Lagerhaus-Automatisierung am Beispiel Kiva Systems
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Lagerhaus-Automatisierung am Beispiel Kiva Systems
Seminar Sommersemester 2015: Automobile Systeme in der Automatisierung Prof. Dr. Dieter Zöbel, Universität Koblenz-Landau, FB Informatik Lagerhaus-Automatisierung am Beispiel Kiva Systems Raphael Memmesheimer 31. Oktober 2015 Zusammenfassung In der vorliegenden Arbeit wird die im Rahmen des Fortschritts der Industrie 4.0 zunehmende Lagerhausautomatisierung vorgestellt. Am Beispiel Kiva Systems werden Algorithmen, Softwarearchitekturen und weitere Methoden der Informatik genannt und erklärt. Des Weiteren werden alternative Möglichkeiten der Lagerhausautomatisierung vorgestellt. Zum Schluss wird auf mögliche Szenarien für zukünftige Automatisierung durch autonome Systeme eingegangen. Schlüsselwörter Lagerhausautomatisierung, zellulare Fördertechnik, Industrie 4.0, Kiva Systems 1 Einleitung Automatisierung und Robotik spielen eine immer größere Rolle in der Industrie [SGG+ 13]. Dies betrifft alle Industriezweige, von der Fertigung komplexer Teile über die Verteilung von Paketen bis hin zur Automatisierung kompletter Distributionszentren. Automatisierung ist in der Lage, viele Felder der Industrie effizienter zu gestalten. Neben bisherigen Anforderungen wie Kosteneffizienz und Durchsatzmaximierung gewinnnen Flexibilität, Anpassbarkeit und hohe Verfügbarkeit immer mehr an Wichtigkeit [FNS11], [SGG+ 13], nicht zuletzt wegen der steigenden Nachfrage nach Produktindividualisierung und der Möglichkeit durch mobile Computer zu jeder Zeit an jedem Ort Bestellungen aufzugeben. Einer der bekannteren Vorreiter für Lagerhausautomatisierung von Distributionszentren ist Kiva. Das Kiva System automatisiert Großteile eines Distributionszentrums , indem es Roboterschwärme, im Sinne von einer modularen Anzahl an Robotern, mit beweglichen Regalen und einer ausgefeilten Kontrollsoftware dirigiert. Im Gegensatz zu den normalen Distributionszentren, in denen der Mensch eine große Wegstrecke zum Regal zurück legen muss, wird das Regal von einem mobilen Roboter zum Menschen transportiert. Forschungseinrichtungen arbeiten ebenfalls an neuen Ansätzen der Lagerhausautomatisierung durch Roboterschwärme, indem sie aus Universität Koblenz-Landau, Institut für Informatik [email protected] http://www.uni-koblenz-landau.de/koblenz/fb4/institute/IST/AGZoebel 2 R. Memmesheimer mobilen Robotern modulare Fließbandsysteme formen, die nach Bedarf auch als allein operierende Transportroboter fungieren können. Im Folgenden werden die Grundlagen und Ziele in der Lagerhausautomatisierung mit Fokus auf Distributionszentren betrachtet. In Abschnitt 3 wird das Unternehmen Kiva mit seinem Ansatz der zellularen Fördertechnik vorgestellt. Das dazu verwendete Mehragentensystem wird in Abschnitt 4 vorgestellt. Die Darstellung der verwendeten Algorithmen findet in Abschnitt 5 statt. In der Entwicklung befindliche Alternativsysteme werden in Abschnitt 6 vorgestellt. In Abschnitt 7 befindet sich ein Ausblick auf die sich in der Entwicklung befindenden Alternativlösungen zur zellularen Fördertechnik. Ein Fazit wird in Abschnitt 8 gegeben. 2 Grundlagen Im Folgenden werden die grundlegenden Begriffe zur chaotischen Lagerführung beschrieben, dem in heutigen Lagern vorherrschenden System. Des Weiteren wird die zellulare Fördertechnik, eine auf Automatisierung und Robotik gestützte Methode, vorgestellt. 2.1 Chaotische Lagerführung Im Gegensatz zur Festplatzlagerführung, bei der Artikel kategorisch sortiert und eingelagert werden, werden bei der chaotischen Lagerführung Artikel in freie Plätze im Lager einsortiert. Ziel dessen ist die maximalen Ausnutzung der Lagerkapazität [HS13]. Dabei gibt es bei der ursprünglichen Form der chaotischen Lagerhaltung keine Einschränkungen, solange der Lagerplatz zur Lagerung des Artikels geeignet ist. Beim Einsortieren der Ware wird der Artikel, sowie der entprechende Lagerplatz mit einem Barcodescanner gescannt und es wird ein Eintrag in der Lagerhaltungsdatenbank erstellt. Erweiterungen dieses Systems schreiben z.B. vor, dass Artikel der gleichen Kategorie einen Mindestabstand haben müssen, damit es beim späteren Einsammeln der Artikel nicht zu Verwechslungen kommt. In der Praxis sammeln Mitarbeiter (sogenannte Picker) Artikel einer Liste ein. Diese Liste enthält eine möglichst optimale Route zum Einsammeln der Artikel. Modernere Distributionszentren lösen dieses Problem digital und aktualisieren die Artikelliste anhand des aktuellen Standorts des Pickers. Hat der Picker nun den Lagerplatz eines Artikels erreicht, scannt er diesen, wodurch die Lagerhaltungsdatenbank aktualisiert wird. Bei Verlust der Datenbank ist eine Neuinventarisierung notwendig. Die freien Lagerkapazitäten wird sehr gut ausgenutzt und die Einlagerung erfolgt schnell. Die Picker legen große Wegstrecken von bis zu 16km am Tag zurück. Die eingesammelten Artikel werden in einem Sortierer, einem Fließbandssystem, abgeliefert. Dieses bringt auf dem Weg zum Verpacker die Artikel in die richtige Reihenfolge, somit können die Bestellungen entsprechend direkt hintereinander verpackt werden. 2.2 Zellulare Fördertechnik Eine modernere Form, die in automatisierten Lagerhaltungssystemen Einsatz findet, ist die zellulare Fördertechnik [TH06]. Diese bezeichnet einen modularen und topolo- Lagerhaus-Automatisierung am Beispiel Kiva Systems 3 gieflexiblen Lageraufbau bestehend aus mobilen Robotern [KSKtH12]. Der Ameisenschwarm dient dabei als natürliches Vorbild. Im Gegensatz zu bisherigen Lagerhaltungssystemen bieten zellulare Fördertechniken durch den modularen Aufbau den Vorteil flexibel und skalierbar zu sein. So ist das zellulare Lagerhaltungssystem in der Lage sich den wechselnden Anforderungen anzupassen. Würde an einem Tag nur ein Artikel bestellt werden, so müssten bei einer Fließbandlösung dennoch ein Großteil der Fließbandinstallation betrieben werden, um diesen einen Artikel zu transportieren. Bei einem zellularen Transportsystem würde einer der Roboter aufwachen, um den Artikel zu befördern. Die verbleibenden Roboter würden nicht zum Einsatz kommen und somit auch keine Energie verbrauchen. Weiterhin ist die Inbetriebnahme eines solchen Systems einfacher, da kaum statische Elemente installiert werden müssen. So kann ein sich im Wachstum befindliches Unternehmen das Lager der Auftragslage entsprechend anpassen. Dies gestaltet sich bei der Planung eines herkömmlichen Lagers schwieriger. Bei Wachstum können mehr Roboter in Betrieb genommen und zusätzliche Lagerplätze eingerichtet werden. 3 Kiva Systems Im Jahr 2002 stellte Mick Mountz mit der grundlegenden Idee ”Alle Artikel haben Beine” ein System vor, das die Regale zum Verpacker bringt. Mick Mountz suchte technische Unterstützung bei Pete R. Wurman und Raffaello D’Andrea, die beide so überzeugt von der Idee waren, dass sie in ihrem Sabbatjahr einen Prototypen in Bosten entwickelten. Das System wurde 2004 patentiert [MDL+ 08]. Abb. 1 Dieses Diagramm zeigt die Verteilung der Zeit mit den jeweiligen Aufgaben, um eine Bestellung abzuarbeiten [NK15]. Die ursprüngliche Idee ist zwar nicht realisiert worden, dennoch wurde ein im Vergleich zu Fließbandlösungen oder Hochregallagern sehr unterschiedliches System vorgestellt. Roboterschwärme werden intelligent dirigiert, um bewegliche Regale zu den Kommissionierern zu bringen. Dazu fährt eine mobile Robotikplattform (Drive Unit) unter das Regal des entsprechenden Artikels und hebt es an. Der Roboter fährt damit zu einem Kommissionierstand. Dort angekommen reihen sich alle Drive Units mit den Regalen in eine Schlange ein und führen sie richtig ausgerichtet (das Regal hat auf allen vier Seiten Lagerfächer) dem Kommissionierer vor. Er greift den entsprechenden Artikel aus dem Regal und scannt das Regalfach sowie den Artikel und plaziert diesen in einem Paket. Der zu greifende Artikel wird mit einem Laser oberhalb des Kommisionierstands markiert, damit die Fehlerrate der Kommissionierer durch die monotone Arbeit weiter 4 R. Memmesheimer reduziert wird. Hat der Picker den Artikel entnommen, stellt die Drive Unit das Regal an einem freien Platz ab und wartet auf die nächste Aufgabe [WDM08]. Das Kiva System setzt bei den zeitkritischsten Aufgaben im Bestellprozess ein und optimiert diese (siehe Abbildung 1). Dabei wird insbesondere die Wegstrecke der Mitarbeiter optimiert, indem die Regale zum Kommissionierstand fahren. Dem Kommissionierer wird im Schnitt alle sechs Sekunden ein neues Regal vorgeführt, damit wird eine Produkivitätssteigerung um den Faktor zwei erreicht [NK15]. Im Mai 2012 wurde Kiva von Amazon für 750 Mio $ mit damals 300 Mitarbeitern übernommen [D’A12]. Für bestehende Systeme wird zwar weiterhin Support geleistet, neue Installationen werden nur noch in Distributionszentren von Amazon installiert. Im Folgenden werden die Elemente des Kiva Systems vorgestellt. 3.1 Drive Unit Abb. 2 Die Drive Unit ist ausgestattet mit einem linearen Hebearm, der in der Lage ist, die Regale anzuheben, um sie transportieren zu können. Jeweils eine Kamera ist nach unten und oben und unten gerichtet. Die obere Kamera überprüft, ob das Regal richtig platziert ist, wohingegen die untere Kamera, die am Boden angebrachten Marker liest, um die Drive Unit global zu lokalisieren [Gui08]. Die mobile Robotereinheiten (Drive Units) (siehe Abbildung 2) transportieren die Regale zu den Kommissionierern mit einer Geschwindigkeit von 1,3 m/s [Gui08]. Die Drive Unit besteht im Wesentlichen aus zwei Brushless-DC Motoren mit Encodern und einem linearen Mechanismus zum Anheben der Regale um 5 cm. Die zwei Kameras, jeweils nach unten und oben ausgerichtet, lesen Barcodes an den Regalen und am Boden. Infrarot- und mechanische Drucksensoren stoppen das System bei Hindernissen. In größeren Warenhäusern kommen derzeit bis zu 3000 solcher Roboter zum Einsatz [NK15]. Für unterschiedliche Abmaße und Gewichte der Regale wurden Roboter konstruiert, die bis zu 600kg heben können. Neigt sich die Akkuladung der vier Batterien dem Ende zu, fahren die Roboter autonom zu den Ladestationen, um sich wieder aufzuladen. Dabei ist keine menschliche Unterstützung notwendig [Gui08]. Um Kosten zu reduzieren, werden günstige Komponenten verwendet. Durch intelligente Regelungsalgorithmen werden etwaige Hardwarefehler ausgeglichen. Messungen der Roboter werden untereinander abgeglichen um so z.B. Kamerafehlstellungen im laufenden Betrieb heraus zu rechnen. Lagerhaus-Automatisierung am Beispiel Kiva Systems 5 Die Drive Units navigieren rasterbasiert und können keine rotatorische und translatorische Bewegung gleichzeitig ausführen [KSKtH12]. Dies wird so genau durchgeführt, dass der Gummiabrieb der Reifen ein gleichmäßiges Muster am Boden ergibt. Der Zutritt zu dem Bereich, indem die Roboter agieren ist für Menschen verboten. Der Aufbau wird in Abbildung 4 gezeigt. Die Kommunikation zwischen Drive Units, Kommissionierständen und dem Zentralrechner findet kabellos statt. Es ist zu vermuten, dass der IEEE 802.11 Standard zur Kommunikation verwendet wird. Weitere alternative Möglichkeiten sind Bluetooth und ZigBee [Gün12]. 3.2 Inventory Station Abb. 3 Am Kommissionierstand treffen die Drive Units ein und führen dem Kommissionierer die Regale vor, die die Artikel für die Bestellung enthalten. Der bewegliche Laser (rechts) markiert die Artikel im Regal, um Fehler zu minimieren. Der Kommissionierstand (Inventory Station) (siehe Abbildung 3) ist das Bindeglied zwischen dem Kiva System und den Mitarbeitern. Hier treffen die Drive Units beladen mit dem Regal ein und bringen sie mit dem entsprechenden Artikel zum Kommissionierer. Sobald die Artikel eingepackt sind, werden sie in neueren Versionen des Kiva Systems in bewegliche Regale gepackt und von den Drive Units zur Versandabteilung gefahren. 3.3 Inventory Pod Die Regale (Inventory Pods) (siehe Abbildung 3) bestehen aus mehreren Ebenen, wobei jede Ebene in mehrere Container geteilt ist. Die Container sind unterschiedliche Größen unterteilt, um so die breite Produktpalette in den Regalen unterzubringen. Die Regale werden in einem Gitter im freien Bereich (weiß)aufgestellt. Dabei befinden sich die Regale im Zentrum des Lagers und immer zugänglich zu einem Gang (siehe Abbildung 4), sodass jedes Regal ohne andere zu beeinflussen, zu jeder Zeit transportiert werden kann. 6 R. Memmesheimer Abb. 4 Im Zentrum des Kiva Systems befinden sich die Regale (grün). Am Rand befinden sich die Kommissionierstände (blau und rosa). In dem weißen Bereich dürfen sich keine Menschen aufhalten. Der Bereich unter den Regalen ist für die Drive Units befahrbar [WDM08]. 4 Mehragentensysteme Für Agenten und Mehragentensysteme gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Definitionen. Bei einem Mehragentensystem, wie es von Kiva Systems verwendet wird, passt die Definition des (Verein Deutscher Ingenieure) VDI sehr gut: Ein technischer Agent ist eine abgrenzbare (Hardware- oder/und Software-) Einheit mit definierten Zielen. Ein technischer Agent ist bestrebt, diese Ziele durch selbstständiges Verhalten zu erreichen und interagiert dabei mit seiner Umgebung und anderen Agenten. Im Fall von Kiva wird zwischen den Drive Units, Inventory Station und dem Job Manager Agenten unterschieden. Die Kommunikation zwischen den Agenten wird über XML Nachrichten realisiert, von denen es mehr als 100 verschiedene Typen gibt [WDM08]. Von den einzelnen Agenten werden Stati angefragt und gesendet. Diese werden dann bei der Ressource Allocation berücksichtigt. Im Folgenden werden die Agenten des Kiva Systems vorgestellt. 4.1 Drive Unit Agent Der Drive Unit Agent ist für die Aufgaben- und Pfadplanung (Siehe Abschnitt 5.1) der Drive Units verantwortlich. Die Ergebnisse werden in Form von Bewegungskommandos vom zentralen System direkt an die Drive Units übergeben. 4.2 Inventory Station Agent Der Inventory Station Agent ist der Agent, der den Kommissionierstand verwaltet. Dieser ist für die Schnittstelle zwischen Mensch und dem Kiva System verantwortlich und kontrolliert damit die graphische Oberfläche. Neben der Benutzeroberfläche steuert dieser Agent auch den über der Inventory Station angebrachten Laser, der auf das zu greifende Regalfach des aktuellen Artikels zeigt, um die Fehler zu reduzieren. Des Weiteren kommuniziert der Inventory Station Agent mit den anderen Agenten, um neue Aufgaben zu erhalten, anzufordern und zu beenden. Lagerhaus-Automatisierung am Beispiel Kiva Systems 7 Abb. 5 Agenten des Kiva Systems. Die Agenten sind von anderen Agenten getrennt, können aber miteinander kommunizieren (Pfeile), um den eigenen Status zu übergeben oder den Status anderer Agenten anzufordern. Die Aufgaben (grau unterlegt) werden von den Agenten ausgeführt [WDM08]. Die Agenten werden auf einem zentralen System ausgeführt. 4.3 Job Manager Agent Der Job Manager erhält die Bestellungen des Systems und führt dann die in Abschnitt 5.3 beschriebene Resource Allocation aus um eine möglichst hohe Auslastung sowie einen hohen Durchsatz zu erreichen. Dabei stellen die Drive Units, Inventory Stations, Mitarbeiter und Artikel die Ressourcen des Systems dar. Nach der Resource Allocation weist der Job Manager einer Drive Unit einen POD zu, welcher zu einer Inventory Station transportiert wird. 5 Algorithmen In dem folgenden Abschnitt werden Algorithmen vorgestellt, die vom Kiva System genutzt werden. Zunächst wird die Pfadplanung und Lokalisierung vorgestellt und anschließend auf die Resource Allocation eingegangen. 5.1 Pfadplanung Für die Pfadplanung kommt ein A* Algorithmus zu Einsatz [WDM08]. Der A* Algorithmus findet zwischen zwei Knoten in einem Graphen den garantiert kürzesten Pfad. Er zählt dabei zu den informierten Algorithmen. Durch eine Heuristik werden nur Pfade mit den geringsten Kosten verfolgt. Im Fall von Kiva wird die Gitterstruktur (siehe Abbildung 4) zu einem zweidimensionalen Graphen aufgespannt. Jeder Knoten entspricht einer Zelle die mit allen benachbarten Zellen verbunden ist [WDM08]. Die Gewichte für die Kosten können zur Laufzeit angepasst werden, um so z.B. Wartungsarbeiten in einer Lagerhalle durchführen zu können. In diesem Fall werden Kanten nicht befahrbarer Zellen mit einem sehr hohen Gewicht belegt und somit im resultierenden 8 R. Memmesheimer Pfad nicht mit berücksichtigt. Da ein Regal gleichzeitig von mehreren Kommissionierständen und auch mit verschiedenen Richtungen angefordert werden kann, findet zusätzlich eine Priorisierung mit einem KI-Planer z.B. dem Traveling Salesman Algorithmus statt [WDM08]. 5.2 Lokalisierung Um die geplanten Pfade abfahren zu können, ist eine genaue Lokalisierung der Drive Unit notwendig. Die Lokalisierung wird mit einer Pose p beschrieben, welche die Position x, y in der 2D Ebene, dem Hallenboden, sowie der Ausrichtung θ enthält. Der komplette Zustand xt enthält neben der Pose auch die Geschwindigkeit. Am Hallenboden sind in regelmäßigen Abständen QR Codes am Boden angebracht. Mit der nach unten ausgerichteten Kamera in den Drive Units werden diese Codes gescannt und eine Position abgeleitet. Diese Positionsmessung wird als zt bezeichnet. Zudem liefern Encoderwerte Informationen über die odometrischen Daten. Die Steueraktionen werden mit ut beschrieben. In der Praxis wird zur Verbesserung der Positionsschätzung mit Messungen aus mehreren Sensoren ein Kalman Filter [OKK11] eingesetzt. Dabei steigt die Unsicherheit Σ der Positionsschätzung zwischen den QR Code Messungen, da diese nur auf die Encoderwerte gestützt ist. Das Lesen der QR Code Information und damit einer bekannten globalen Position, führt in einem Korrekturschritt zu einer Positionsschätzung mit geringerer Unsicherheit. Die Konstanten R und Q modellieren den Einfluss des Systemrauschens Rt und des Messrauschen der Sensoren Qt . Dies verdeutlicht der Algorithmus 1. Data: xt−1 , Σt−1 , ut , zt Result: xt , Σt Vorhersage x̄t ← xt−1 + ut Σ̄t ← Σt−1 + Rt Korrektur Kt ← Σ̄t (Σ̄t + Qt )−1 xt ← x̄t + Kt (zt − x̄t ) Σt ← (I − Kt )Σ̄t return xt , Σt Algorithm 1: Kalman Filter, zur Poseschätzung nach Thrun et al. [TBF05] 5.3 Resource Allocation Das Herzstück des Kiva Systems findet sich in der Resource Allocation. Diese Komponente optimiert die Ausnutzung der Agenten. Ziel ist es einen möglichst hohen Durchsatz zur Abarbeitung der Bestellungen zu erreichen und alle so möglichst ausgelastet zu halten. Eine einfache Lösung wäre, es jeden Kommissionierer 100 Robotern zuzuweisen und für jeden alle Artikel vorrätig zu haben. Es wird schnell klar, dass dies sehr kostenintensiv wäre. Hier setzt die Resource Allocation mit ihrer Optimierung an. Man kann die Optimierung als globales Optimierungsproblem sehen, das aus mehreren Gründen unpraktisch ist. Als erstes müssen die Entscheidungen in Echtzeit getroffen werden. Das System kann es sich nicht leisten, komplexe Berechnungen durchzuführen, die möglicherweise zum Stillstand oder zu Verzögerungen führen können. Das gestaltet Lagerhaus-Automatisierung am Beispiel Kiva Systems 9 sich bei einer solchen Dynamik als schwierig, da ständig Bestellungen eingehen und neu priorisiert wird. Weiterhin ist eine globale Optimierung aufgrund der großen Problembeschreibung sehr rechenintesiv. Mehrere zehntausend Bestellungen, eine hohe Anzahl an Artikeln, Robotern und Mitarbeiter müssen optimiert werden. Statt des globalen Optimierungsansatzes wird ein On-the-Fly Entscheidungsansatz verfolgt. Die Heuristik kann in Kosten für den Lagerhausbesitzer gemessen und geändert werden. Dabei gibt es folgende Heuristiken: Job Assignment Die Aufgabe wird immer der Drive Unit mit dem geringstem Abstand zum Zielartikel zugewiesen. Falls eine Drive Unit eine geringe Akku Ladung aufweist, wird auf eine andere Drive Unit in der Nähe zurückgegriffen. Pick Assignment Die Zuweisung des Zielkommissionierers wird anhand dessen Auslastung und Produktivität bestimmt. Die räumliche Entfernung von dem entsprechenden Artikel zum Kommissionierer wird bei der Optimierung ebenfalls berücksichtigt, um Wegstrecken der Drive Units zu reduzieren. Replenishment Assignment Die Bestückung der Regale findet nach den gleichen Kriterien der Pick Assignment Zuweisung statt (siehe Pick Assignment). Pod Storage Wenn ein Artikel in mehreren Regalen vorhanden ist, wird bei der Optimierung ebenfalls berücksichtigt, ob weitere Artikel einer Bestellung im selben Regal platziert sind. Des Weiteren wird die räumliche Nähe zu den Kommissionierern berücksichtigt. Beim Abstellen der Regale werden solchen mit Kassenschlagern Plätze mit geringerem Abstand zu den Kommissionierständen zugewiesen. Mit AlphabetSoup [HWD06] wurde eine Simulations- und Testumgebung für die Resource Allocation, ähnlich der des Kiva Systems als OpenSource veröffentlicht. Diese Software dient zur Veranschaulichung und als Grundlage zum Entwickeln eigener Ressource Allocation Algorithmen. 6 Alternativen In der Forschung gibt es einige alternative Ansätze, die sich gegenüber dem Kiva System eine noch flexiblere Lösung zum Ziel gesetzt haben. 6.1 KARIS Das KARIS (Kleinskaliges Autonomes Rendundantes IntralogistikSystem) (siehe Abbildung 6)[HFSB09] wurde am KIT (Karlsruher Institut für Technologie) entwickelt. Die Roboterplattform besteht aus drei Schichten. In der unteren befindet sich eine holonome Plattform, die mit einer Geschwindigkeit von 2m/s fahren und 100kg transportieren kann. Die zweite Schicht bietet sicherheitsrelevante Sensorik, die den sicheren Umgang mit Menschen gewährleistet. So misst beispielsweise ein Laserscanner den Abstand zu Objekten in der Umgebung. Kommt ein Objekt unter einen Schwellwert, wird die Plattform automatisch gestoppt. Die dritte Schicht wird durch eine mehrdirektionale Fließeinheit gebildet, die Gegenstände aufnehmen und abgeben kann. Im Verbund mit anderen KARIS Einheiten kann sie auch ein Fließband bilden. 10 R. Memmesheimer Abb. 6 Diese schematische Graphik zeigt einen beispielhaften Aufbau eines KARIS Systems. Man sieht die einzelnen Elemente des Systems und die Kombination mehrerer Elemente im Verbund [HFSB09]. 6.2 MuliShuttle Move Das MultiShuttle Move [KSKtH12] ist eine Zusammenarbeit von Fraunhofer IML (Institut für Materialfluss und Logistik) und der Firma Dematic. Dabei soll ein Transportsystem der Zukunft nach dem Vorbild der zellularen Fördertechnik entstehen. Es ist mit einem Boden- und einem Regalfahrwerk ausgestattet. Es kann sich somit am Boden aber auch in den Regalen fortbewegen [KSKtH12]. Das Fahrzeug kann Transporteinheiten mit einem Gewicht bis zu 40kg transportieren. Am Boden sind Geschwindigkeiten von 1 m/s und im Regal von 2 m/s möglich. Die eingebauten Akkumulatoren ermöglichen einen Betrieb von 4,5 Stunden. Durch Sensorfusion von Odometrie-, Funk-, Abstands- und Inertialsensoren werden die Fahrzeuge lokalisiert. Ähnlich dem Mehragentensystem stellen auch hier die Fahrzeuge ihr Wissen dem Schwarm zur Verfügung. Abb. 7 Die MultiShuttle Move Plattform wie sie sich in einem Regal (links) und auf dem Boden einer Lagerhalle (rechts) fortbewegt [KSKtH12]. Das System wird in einer Forschungshalle des Dortmunder Fraunhofer IML Instituts, das eigens für die Forschung an zellularen Transportsystemen erbaut wurde, auf einer Fläche von 1000 m2 in der Praxis erprobt. Lagerhaus-Automatisierung am Beispiel Kiva Systems 11 Abb. 8 Bei Baxter (links) handelt es sich um einen stationären Manipulationsroboter, der einfach trainiert werden kann. Fetch & Freight (rechts) sollen Hol- und Bringaufgaben in Distributionszentren automatisieren. 6.3 Baxter Bei Baxter (siehe Abbildung 8) von Rethink Robotics handelt es sich um einen stationären Roboter, der für wiederholende Aufgaben wie Fließbandarbeit gedacht ist. Der Roboter ist mit zwei Armen ausgestattet und kann einfach trainiert werden. Er ist sicherheitszertifiziert für die Arbeit mit Menschen. Die verbaute Sensorik ist in der Lage frühzeitig Kollisionen des Arms mit einem Menschen oder der Umgebung festzustellen, um entsprechend zu reagieren. Durch den vergleichsweise günstigen Preis und das intuitive Training des Roboters will Rethink Robotics eine rasche Verbreitung erreichen. 6.4 Fetch & Freight Ein System, das mit bisherigen Lagerlösungen umgehen kann ohne die Regallagereinheit ersetzen zu müssen, ist das von Unbounded Robotics vorgestellte Fetch & Freight System [Fer15] (Abbildung 8). Das System besteht aus zwei mobilen Robotern, wobei Fetch mit einem Greifsystem ausgestattet ist und Freight für Transportaufgaben vorhergesehen ist. Dabei gibt es mehrere Möglichkeiten. Fetch kann Artikel aus den Lagerregalen greifen, lädt diese auf Freight ab, der diese zum Kommissionierer bringt. Das System kann ebenso mit einem Menschen und Freight Robotern ausgestattet sein. In diesem Fall folgt der Freight Roboter einem Menschen zum Regal und steht dem Picker als mobiler Transporter zur Verfügung. Ist der Roboter vollgeladen, kommt eine neue Freight Einheit und der Beladene bringt die Artikel zum Kommissionierer. Somit werden die Wegstrecken des Pickers reduziert. 6.4.1 Alternative Anätze Es ist abzusehen das im Rahmen der Industrie 4.0 der Mensch immer weiter durch autonome Systeme ersetzt werden kann. Dabei werden mobile Manipulationsroboter eine wichtige Rolle einnehmen. Die Flexibilität gegenüber herkömmlichen Distributionszentren ist enorm. Nachdem das Kiva bereits eine Lösung für das vermeiden von großen Wegstrecken vorgestellt hat. Werden in den hiergezeigten Ansätzen ebenfalls die Aufgabe des Greifens und Bestückens der Lagereinheiten bestückt. Andere Lösungen setzen auf erprobte Fördertechniken aber erweitern diese durch mehr Modularität. 12 R. Memmesheimer 7 Ausblick Die Lagerhausautomatisierung steckt im Vergleich zu dem potentiell Möglichen noch im Anfangsstadium. Es ist abzusehen, dass immer mehr Aufgaben die derzeit von Menschen ausgeführt werden, in Zukunft durch Automatisierung ersetzt werden. Es gibt Wettbewerbe wie z.B. RobotCup@Work 1 oder die Logistik Liga 2 des RoboCups, die zum Ziel haben, solche Szenarien voll autonom zu lösen. Ein weiterer Wettbewerb wurde von Amazon und Kiva Systems im Mai 2015 bei der ICRA zum ersten Mal ausgetragen [Smi15]. Bei der sogenannten Amazon Picking Challenge sollten Teams die Aufgabe des Pickers lösen. Dazu wurden stationäre Roboter vor einem Regal platziert, der bekannte Artikel enthält. Es sollten bestimmte Artikel einer Bestellung gegriffen und in einer Kiste abgeladen werden. Es wurde ein Preisgeld von bis zu 20.000 $ ausgeschrieben. Der Ausgang des Wettbewerbs zeigt, wie komplex diese jedoch anhand der bekannten Objekte schon vereinfachte, Aufgabe ist. Es konnten nur 3 der 15 teilnehmenden Teams überhaupt Punkte erzielen. Das erstplazierte Team RBO der Technischen Universität Berlin gewann mit 148 Punkten, indem es zehn der 12 Artikel in 20 Minuten griff und ablud. Das Team verwendete einen Vakuum Greifer und war damit in der Lage sich an die unterschiedlichen Formen des Greifers anzupassen. Die Dauer von 20 Minuten für 12 Artikel zeigt allerdings, dass noch Optimierung notwendig ist, um den menschlichen Mitarbeiter zu ersetzen. 8 Fazit In der vorliegenden Arbeit wurde Lagerhausautomatisierung am Beispiel Kiva Systems vorgestellt, in der Roboterschwärme, im Sinne von einer modularen großen Anhahl von Robotern, eine zentrale Rolle spielen. Ebenso wurden alternative Lösungsmöglichkeiten aus der Forschung vorgestellt. Es ist abzusehen, dass Automatisierung und Robotik immer mehr Einfluss in Industrielle Prozesse erhalten, um an die raschen Marktschwankungen und zunehmende Individualisierung anzupassen. Aufgaben die vorwiegend von Menschen erledigt wurden, werden jetzt schon zuverlässig von Robotern durchgeführt. An weiterer Automatisierung, die an Objekterkennung und zuverlässigem Greifen scheitert, wird im Moment intensiv geforscht, um die Fehlerrate zu minimieren und die Geschwindigkeit zu optimieren. Es ist abzusehen, dass auch diese Probleme in nächster Zeit gelöst werden und bereits in die Entwicklung der Industrie 4.0 einfluss erhalten. Es ist denkbar, dass es in nicht all zu ferner Zukunft voll autonome Lagerhäuser und Distributionszentren gibt. 1 2 http://www.robocupatwork.org/ http://www.robocup-logistics.org/ Lagerhaus-Automatisierung am Beispiel Kiva Systems 13 Literatur [D’A12] Raffaello D’Andrea. Guest editorial: A revolution in the warehouse: a retrospective on kiva systems and the grand challenges ahead. IEEE T. Automation Science and Engineering, 9(4):638–639, 2012. [Fer15] Alexander Ferrein. 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