Saaltext, Dianna Frid, Deutsch
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Saaltext, Dianna Frid, Deutsch
ALPINEUM PRODUZENTENGALERIE Hirschmattstrasse 30A CH-6003 Luzern +41 41 410 00 25 [email protected] www.alpineum.com DIANNA FRID: Words From Obituaries 14. Juni – 19. Juli 2014 Die Sprache ist für die visuelle Kunst oft eine Vermittlerin, eine Wegbereiterin, eine Unterstützerin im Dialog und im Verständnis für das Werk. Wenn die Sprache aber selbst zur Kunst wird zum Beispiel in der Lyrik oder wenn die Sprache Teil eines Kunstwerks wird, wie bei den neusten Arbeiten von Dianna Frid, dann ist sie als Vermittlerin untauglich. Dann wäre sie lediglich ein nacktes Gerüst und wir würden trotz der Verlautbarung von Wörtern am Ende nichts verstanden haben. Dianna Frid zeigt bei uns zwei grosse Werkzyklen: „Notes from Obituaries“ (so auch der Titel der Ausstellung) und „And Death Does not Destroy (After Lucretius)“, eine Arbeit die eigens für die Ausstellung in der Alpineum Produzentengalerie entstanden ist. Obituary, aus dem Englischen übersetzt bedeutet „Nachruf“, ist also eine Würdigung des Lebens eines kürzlich verstorbenen Menschen. Bereits 2002 begann Dianna Frid Nachrufe zu sammeln. Sie stammen aus der New York Times, die dafür eine besondere Form geschaffen hat. Es sind dies Nachrufe von Menschen die auf irgendeine Art ein, sagen wir seltsames oder exzentrisches, ein bemerkenswertes oder bewegendes Leben geführt haben oder die manchmal auch eine dunkle oder entsetzliche Vergangenheit hatten. Allmählich begann Dianna diese Nachrufe in einem komplexen System zu ordnen, sie gemäss Beruf oder Berufung des/der Verstorbenen in unterschiedliche Gruppe zu unterteilen, um jeder dieser Kategorien eine Färbung oder Tönung zuzuteilen. Also es gibt zum Beispiel Menschen, die sich in ihrem Leben der Sprache widmeten – Romanciers, Dichter, Verleger und Sprachwissenschaftler – diese erhielten die Farbe Pink, Menschen mit wissenschaftlichem Hintergrund wie Astronauten, Doktoren, Physiker, wurden in Grün gehalten, die Gruppe der Künstler, Sänger, Designers, Tänzer, Musiker und Architekten bekamen die Farbe Orange zugewiesen, Kriegsverbrecher die Farbe grau und so weiter. Dieses scheinbar so stringente Konzept verharrt nicht in der Kühlheit seines Systems. Ganz im Gegenteil. Aus jedem Nachruf dieser Menschen wählte Dianna ein Textfragment aus – drei, vier Wörter, einen Satz vielleicht. In aufwendiger und exquisiter Handarbeit – und hier beginnt der Punkt wo die nackte Sprache ihr kaltes Gerüst verlässt – verarbeitet sie Leinwand, Papier, Graphit und farbiges Garn zu den Stücken die hier ausgestellt sind. In ihrer Haptik sind sie halb Objekt und halb Bild. Sie sind warm, sie sind aus dem Handwerk geboren. Die kurzen, drei oder vier Wörter langen Satzstücke aus den „Obituaries“ sind mit grösster Sorgfalt auf die dunkel und nobel schimmernden Graphitflächen eingestickt, Buchstabe neben Buchstabe. Die Sprachfragmente eröffnen mehr als der gesamte Erinnerungstext aus dem sie stammen. Davon losgelöst, entstehen Augenblicke einer eigentümlichen Poesie, die dem Wort auch ausserhalb seines Ursprungs eine rätselhafte Bedeutung verleiht. Trotzdem: wer einmal in das Wissen eingeweiht wurde, woher die Textfragmente stammen, dem gelingt es eventuell nur schwer, sich von diesem Wissen wieder zu lösen. Worte sind Worte, meint man, aber kämen diese gestickten Worte aus dem Manual für einen neuen Kühlschrank oder Drucker, hätten sie mich nicht wiederholt berührt und betroffen gemacht. Bei den „Words from Obituaries“ beginnt ein Spiel mit den Lücken einer uns unbekannten Biographie. Unweigerlich hängt das Leben oder Stücke und Abschnitte daraus an den farbigen Fäden und wir beginnen Vermutungen, als feine Verbindungen zu einem vergangenen Leben, an die farbigen Garne zu ketten. Die Erinnerung ist von poetischem Charakter. Eine zeitintensive Tätigkeit wie das Sticken besitzt diesen Charakterzug ebenso: Weil man sich einer einzigen Tätigkeit hingibt. Weil man sich der Beschleunigung auf eigenartig sanfte Art entgegenstemmt, eine gewaltlose kleine Revolution vollzieht. Die Zeit verrinnt trotzdem noch, aber anders, langsamer. Mag das verlangsamte Verrinnen der Zeit auch eine rein subjektive Erfahrung sein, so geht damit aber die Chance einher, der Erinnerung Platz zu geben; bei den „Words from Obituaries“ in doppelter Hinsicht: Sprache ist stetig Erinnerung, da sie aufzeichnet und festhält, bezogen auf die „Words from Obituaries“, da das konkrete Fragment Jemandem einst Lebendigem ein Stück Sprache zurückgibt. In der Arbeit „And Death does not Destroy (After Lucretius)“, sehen wir wiederum Wörter. Die Wörter sind so sehr in den Fluss der schwarzen, vertikalen Streifen, hineingewoben, dass sie sich nicht mehr von den sie umgebenden Formen und Farben unterscheiden, und sich in der gewählten Form auch nicht voneinander abheben. Wüssten wir nicht um die Bedeutung der Buchstaben, fiele es uns leichter, die Zeichen als Mosaiksteine eines fein ziselierten Teppichmusters zu sehen. Wir erkennen aber die Zeichen als Buchstaben und beginnen zu lesen: Mit einiger Mühe finden wir den Rhythmus der Wörter, ihre Länge und ihre Begrenzung. Allmählich begreifen wir den Sinn der Wörter, die sich vor seinen Träger schieben. Eine eigenartige Verwandlung findet statt, denn plötzlich löst sich die Sprache vom Bild dessen Bestandteil sie nach wie vor ist. In diesem Vibrieren erfassen wir aber dennoch etwas von der Bedeutungstiefe des Gestickten und - gleich ob wir das Gedicht kennen oder nicht – beginnt der Text in unserem geistigen Echoraum der Assoziationen zu wiederhallen. Arbeiten sprechen. Dieser Abschnitt stammt aus dem 6 Bände langen Gedicht „Über die Natur der Dinge“ (de Rerum Natura) des römischen Dichters Lukrez, der ca. 99 bis 53 vor Christus gelebt hat. Er vermittelt darin die Naturlehre des griechischen Philosophen Epikur. Während der Philosoph, der 300 Jahre früher lebte, die Ideen lieferte, war Lukrez derjenige der diesen Ideen in Gestalt des Gedichts eine Form gab. Der Abschnitt aus dem 7500 Verse zählenden Gedicht, den Dianna wählte, handelt von der Materialität der Sprache. Für den Dichter Lukrez, sind Wörter wie Atome, die beim Tod nicht zerstört sondern lediglich neu arrangiert werden und somit eine neue Form annehmen. Er schafft eine Verbindung zwischen Wörtern, den eigentlichen Bestandteilen seiner Gedichte und den Atomen, den eigentlichen Bestandteilen von Materie. > Nächste Veranstaltung: Sa 14.6.2014, 16 Uhr Künstlergespräch mit Dianna Frid und Monika Müller (in Englisch) Während Lukrez die Grundbotschaft seines Gedichtes, nämlich das stetige Fliessen und Neukombinieren alles Lebendigen in das Handwerk der Dichtung übersetzte, verschränkte Dianna den Text mit dem Handwerk des Textilen. Nun, dies ist durchaus kein Zufall. Text und Textilie haben dieselbe etymologische Herleitung; beide Wörter stammen vom lateinischen texere, was „weben“ oder „flechten“ bedeutet. Als eine andere Art der Inschrift, nämlich die der Architektur können die Graphitmembranen gelesen werden. Wortlos füllen sie mit ihrer dunklen Präsenz den Raum. Gleichzeitig unterteilen sie stumm atmend die Flächen, bilden Ein- als auch Ausgang. Wie zwischen zwei Klammern lassen sie aus ihrer Mitte die textlichen Dianna Frid verschränkt scheinbar traditionelles Handwerk, dem die sinnliche Präsenz der Materialien und die hingebungsvolle Arbeit des Stickens innewohnt mit dem geistigen Gewebe der Wörter, die sich durch das Lesen eigentümlich von ihren Wortspeichern lösen und an dem Moment wir beginnen, auf immer und ewig der Sprache die Bedeutung, die wir von ihr zu kennen glauben, zuzuschreiben: Darin liegt meine Liebe und Faszination für Diannas Werk. Text: Monika Müller,2014 > Nächste Ausstellung: The Artist As Producer 2 kuratiert von whatspace.nl 30.8. – 27.9.2014 Eröffnung: Samstag, 30.8.14, 11 Uhr, im Rahmen von Kunsthoch Luzern Diese Ausstellung wurde möglich dank : Stadt Luzern FUKA-Fonds / Kanton Luzern Kulturförderung/SWISSLOS / University of Illinois at Chicago / Verein Städtepartnerschaft Luzern–Chicago Wir bedanken uns für die grosszügige Unterstützung unseres Jahresrogramms 2014 bei: Sachsponsor: Luzerner Bier ALPINEUM PRODUZENTENGALERIE LUZERN, Öffnungszeiten Do. - Fr. 16 - 19 Uhr / Sa. 11 - 16 Uhr / oder nach Vereinbarung