Jahrbuch für Archäologie und Paläontologie in Hessen
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Jahrbuch für Archäologie und Paläontologie in Hessen
2010 Jahrbuch für Archäologie und Paläontologie in Hessen Herausgegeben von der Archäologischen und Paläontologischen Denkmalpflege des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen zusammengestellt von Egon Schallmayer In Kommission bei 3 port aus der Westerwälder Töpferregion nach Fulda stattfand und der Bedarf der Landschaft zwischen Rhön, Vogelsberg und Spessart aus der Produktion der nahe gelegenen Töpferorte gedeckt wurde. Die oben aufgeführten Fundstellen ermöglichen einen umfangreichen strukturierten chronologischen Überblick über die osthessische Keramik des 18. und 19. Jahrhunderts, der auch überregional relevante Aussagen zulässt. Eine umfangreichere, bis zur jetzigen Materialsichtung nicht mögliche Be- arbeitung ließe darüber hinaus weitere Ergebnisse erwarten. Literatur W. Kirchhoff/H. Hedrich/W. Küntzel/M. Zell/B. Kling, Steinzeug in Fulda aus Römershag, Oberbach, Steinau. Katalog zur Ausstellung 2010/2011 im Vonderau Museum Fulda (Fulda 2011). – G. K. Stasch (Hrsg.), Das weiße Gold aus Hessen. Malereien auf Fayence und Porzellan. Vonderau Museum Fulda, Katalog 15 (Fulda 2005). Aufschlüsse zu neuzeitlichem Statuenfund vom Frankfurter Museumsufer _______________________ Die Gartenplastik vom „Schaumainkai 43“ – Restaurierung, Ikonografie und städtebaulicher Kontext Bei Umbauarbeiten des Deutschen Architekturmuseums Frankfurt kam im Juni 2010 auf dem Areal „Schaumainkai 43“ in einem der rückwärtigen offenen Höfchen ein überraschender archäologischer Fund zutage. Es handelt sich um eine fast lebensgroße Sandsteinplastik, die in mehrere Stücke zerbrochen war (Abb. 1). Die Figur hatte geschützt unter dem Wurzelberg eines alten Baumes gelegen, der dem Einbau technischer Anlagen weichen musste. Nach Sichtung und Fundaufnahme durch das Denkmalamt der Stadt Frankfurt a. M. unter Leitung von Dr. Andrea Hampel wurde das Bodendenkmal vom nun zuständigen Archäologischen Museum Frankfurt inventarisiert sowie von September bis Oktober 2010 umfassend restauriert. Die restaurierte Skulptur wird künftig als Dauerleihgabe im Architekturmuseum der Öffentlichkeit an ihrer Fundstelle und geschützt vor Witterungseinflüssen gezeigt werden. Die etwa 1,45 m hohe vollplastische Skulptur aus rotem Buntsandstein, eine Frauenfigur über einem Sockel, war gut erhalten. Ihr Kopf sowie kleinere Teile, u. a. von der seitlich beigefügten Pfauenfigur, waren zwar abgebrochen, jedoch vorhanden. Andere Körperteile wie der rechte Unterarm und die rechte Brust der Frauenfigur und der Pfauenkopf sind vollständig verloren. Anhaftendes Erdreich und aufliegende Krusten, wahrscheinlich aus Kalkmörtel, bedeckten die Skulptur partiell. In verschiedenen Bereichen ist die Oberfläche durch Herauslösungsprozesse oder mechanische Gewalteinwirkung stark beschädigt. Dagegen sind auf der Rückenpartie weite Teile der weißen Fassung erhal- ten. Pigmentanalysen ergaben, dass es sich hierbei um ölgebundenes Bleicarbonat (Bleiweiß) handelt, das sich im jetzigen staubartigen Zustand sehr leicht von der Steinoberfläche ablösen lässt. Die Konservierung wurde in der Steinwerkstatt des Archäologischen Museums Frankfurt durchgeführt. Zunächst wurden die auflagernden Mörtelreste und das Erdreich mechanisch entfernt und vereinzelt die Oberfläche mit Wasser gereinigt. Die Steinfragmente wurden wieder miteinander verklebt, wobei ein Epoxydharz zum Einsatz kam, das 191 Thomas Flügen 1 Frankfurt a. M. Archäologisches Museum Frankfurt. Die Fundstelle der Skulptur im „Schaumainkai 43“, in einem auf der Rückseite gelegenen Höfchen (Foto: Denkmalamt der Stadt Frankfurt am Main). fügte Pfau weist die Frauenfigur als Darstellung der römischen Göttin Juno bzw. der griechischen Göttin Hera aus. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Gartenskulptur. Mit Skulpturen von Personen aus Literatur und antiker Mythologie brachte die höfische und großbürgerliche Gartenkunst im 17. und 18. Jahrhundert ihr gesellschaftliches Selbstverständnis gegenüber der Welt bildhaft zum Ausdruck. Beispiele barocker Gartenanlagen mit Skulpturenschmuck sind z. B. im Stadtschloss Fulda, im Schlosspark Schwetzingen oder im Schlossgarten von Herrenhausen in Hannover erhalten. Üblicherweise standen die Figuren auf einem Sockel in der Gartenanlage. Die einheitliche weiße Fassung ließ die Skulptur makellos erscheinen und bildete darüber hinaus einen wirksamen Schutz gegenüber der Witterung (Abb. 3). Alternativ kamen solche Plastiken aber auch in Verbindung mit Gartenbauwerken zum Einsatz. Dies dokumentiert etwa ein um 1800 entstandenes Ölgemälde im Besitz der Familie von Leonhardi. 2 Frankfurt a. M. Archäologisches Museum Frankfurt. Die „Juno“ nach der Restaurierung (Foto: Th. Flügen, Archäologisches Museum Frankfurt). 3 Frankfurt a. M. Archäologisches Museum Frankfurt. Gartenskulptur im Schlosspark Fulda. So könnte die Frankfurter Skulptur ehemals ausgesehen haben (Foto: Th. Flügen, Archäologisches Museum Frankfurt). als sehr stabil und alterungsbeständig gilt. Ergänzungen, die dazu dienten, Löcher und Fehlstellen zu schließen, wurden mit pigmentiertem Mörtel ausgeführt, um ein geschlossenes Erscheinungsbild der Skulptur zu erzielen. Zur Festigung der weißen Farbfassung wurde eine zehn-prozentige Acryldispersion aufgetragen. Alternative Produkte wie Leinöl, Kieselsäureester oder Methylcellulose kamen nicht zum Einsatz, da sie irreversibel oder bei einer Aufstellung der Skulptur im Freien ungeeignet sind. Beschreiben lässt sich die restaurierte Skulptur wie folgt: Die aufrecht stehende nackte Frauenfigur lehnt an einen Baumstumpf, auf den sie sich mit der linken Hand stützt. Mit der Rechten hält sie den Teil eines Gewandes, der auf der Vorderseite von der rechten Hüfte aus den Schambereich bedeckt und am Rücken bis auf den Boden herabhängt. Das lockige Haar der Frauenfigur ist am Hinterkopf zu einem Knoten gebunden. Rechts von ihr steht auf dem Sockel zu ihren Füßen der Pfau (Abb. 2). Stilistisch ist die Figur dem Barock zuzuweisen; der als Attribut zur Identifikation der Hauptperson beige192 4 Frankfurt a. M. Archäologisches Museum Frankfurt. Die Weingärten von Johann Peter Leonhardi am Mainufer von Sachsenhausen um 1800 (Bild: Derreth 1976, 81; F. Berger, Historisches Museum Frankfurt). Es zeigt die Weingärten des Reichsfreiherrn Johann Peter von Leonhardi (1747–1830) am Mainufer von Sachsenhausen in einer rückwärtigen Ansicht. Den im Zentrum stehenden Torbau bekrönen entsprechende Skulpturen (Abb. 4). Bemerkenswert ist, dass die Fundstelle unserer Juno nur knapp außerhalb des vorliegenden Bildausschnitts zu verzeichnen wäre. Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelte sich vor den Stadttoren Frankfurts insbesondere entlang der beiden Mainufer eine regelrechte „Gartenszene“. Hierzu führt Ursula Kern, Kuratorin am Historischen Museum Frankfurt, aus: „In vielen Lebenserinnerungen von Frankfurterinnen und Frankfurtern kommt der Garten als topographischer städtischer Raum vor, in dem die neu entdeckten Werte der Empfindsamkeit, der Naturnähe und auch der individuellen Entwicklung gelebt werden konnten. Die im Garten verbrachte Zeit wurde als die eigentliche gelebte Lebenszeit empfunden, die, frei von konventionellen Zwängen der städtischen Ordnung, eigene Lebensentwürfe erlaubte. Begleitet von unterschiedlichen Wünschen, erfüllte der Garten mehrere Funktionen: Während die einen dem Trubel der Stadt entflohen, sich Ruhe, Erholung und Genesung von der Natur versprachen, nutzten andere den neuentstandenen Lebensraum für gesellschaftliche Vergnügungen und Feste. Besonders die wohlhabenden Bürgerinnen und Bürger widmeten der Anlage, Einrichtung und Gestaltung von Gartenhäusern und Gärten ein großes Maß ihrer freien Zeit, sie eigneten sich dabei außergewöhnliche naturwissenschaftliche Kenntnisse an und experimentierten in Botanik und Landwirtschaft.“ Zeitgenössische Aussagen finden wir reichlich. So schwärmt Johann Bernoulli 1784 in seinem Reisebericht: „Die Wasserseite von Frankfurt ist die 193 5 Frankfurt a. M. Archäologisches Museum Frankfurt. Die Veränderungen der Straßensituation am Schaumainkai/ Schweitzerstraße in der zeitlichen Abfolge (Planausschnitte nach der CD Mein Frankfurt – Historische Karten 2007). 6 Frankfurt a. M. Archäologisches Museum Frankfurt. Ausschnitt aus der Mainansicht von J. K. Zehender. Ergänzt ist J. H. Wickers Ansicht des Gartenhauses Nr. 13 (Bilder: Derreth 1976, 89; J. H. Wicker, Historisches Museum Frankfurt). angenehmste und lebhafteste. Die Aussicht auf den Main, auf die Brücke, auf Sachsenhausen und auf die Gärten, die sich in einer unabsehbaren Reihe am Ufer des Stroms hin erstrecken, ist reizend.“ In einem ihrer Briefe schrieb 1820 die einer Altfrankfurter Familie entstammende Cleophe Bansa: „[...] das Leben im Freien auf dem Lande ist ihnen [den Kindern] so gut bekommen […], [...] sie entwickeln hier besser ihre Körperkräfte, haben einen weiteren Spielkreis und werden doch nicht menschenscheu, weil es uns an Besuch nicht fehlt; die größte Freiheit im Springen, die leichte Kleidung, das Baden im warmen Bach unter freiem Himmel, ihre Liebhaberei an Hunden, Gänsen, Hühnern, Kühen, Schweinen, welches sie alles zu ihren Spielsachen rechnen, die einfache Lebensart, das frühe Aufstehen ist alles ihrer Gesundheit höchst zuträglich und in der Stadt unmöglich, ihnen zu verschaffen [...]“. Und Johann Wolfgang von Goethe stellte rückblickend fest: „Noch mehr Beschäftigung gab ihm ein sehr gut unterhaltener Weinberg vor dem Friedberger Thore, wo selbst zwischen den Reihen der Weinstöcke Spargelreihen mit großer Sorgfalt gepflanzt und gewartet wurden. Es verging in der guten Jahreszeit fast kein Tag, dass nicht mein Vater sich hinaus begab, da wir ihn denn meist begleiten durften, und so von den ersten Erzeugnissen des Frühlings bis zu den letzten des Herbstes Genuss und Freude hatten. Wir lernten auch mit den Gartengeschäften umgehen, die, weil sie sich jährlich wiederholten, uns endlich ganz bekannt und geläufig wurden. Nach mancherlei Früchten des Sommers und Herbstes war aber doch zuletzt die Weinlese das Lustigste und am meisten Erwünschte; [...]“. Anhand historischer Stadtpläne der Jahre 1792– 1895 lässt sich die Entwicklung der Gartenanlagen am Schaumainkai gut veranschaulichen. Zum einen sind die Einflüsse der gartenbaulichen Veränderung vom Weinberg über den Barockgarten bis zum Englischen Landschaftsgarten abzulesen. Zum anderen lassen die Pläne auch die städtebauliche Erschließung des südlichen Mainufers erkennen, das ehemals dem Festungsgürtel vorgelagert war. Beim 194 Bau der Untermainbrücke in den Jahren 1872–1874 wurde auch der Straßenverlauf am Schaumainkai verändert. Aus dem ehemaligen Heiligengässchen und dem Grundstück „Schaumainkai 11“ wurde die heutige Schweizerstraße, die Zufahrtsstraße zur Untermainbrücke. Im Zuge dessen wurden auch die Hausnummern neugeordnet. Die ehemalige Adresse „Schaumainkai 13“ wurde nun „Schaumainkai 43“, die Adresse des heutigen Deutschen Architekturmuseums (DAM) (Abb. 5). Der Frankfurter Bankier, Hofrat und Schöffe Johann Christian Gerning (1745 – 1802) beauftragte verschiedene Künstler, Bilder „seiner“ Stadt anzufertigen, darunter Johann Heinrich Wicker (1723 – 1786), der Ansichten der Gartenhäuser zeichnete. Die vorliegenden Zeichnungen können der Mainansicht von Johann Kaspar Zehender um 1770 zugeordnet werden (Abb. 6). Unter Hausnummer 13 ist das Gartenhaus des Herrn Fuchs abgebildet, das am selben Ort wie das heutige DAM und sein Vorgängerbau stand. Somit könnte die Gartenskulptur angesichts ihrer Zeitstellung diesem Anwesen entstammen – unter der Voraussetzung, dass sich die Fundstelle ungefähr beim ehemaligen Aufstellungsort befand. Mit dem Bodenfund der Frankfurter Gartenskulptur können die besonderen Möglichkeiten der Neuzeitarchäologie angesichts der reichen historischen literarischen und bildlichen Überlieferung genutzt werden. Anhand der Verknüpfung mit diesen Quellen lassen sich Hinweise zu Kontext und wahrscheinlichem Standort der Plastik beantworten. Darüber hinaus gehende Fragen, etwa die nach Bildhauer oder Auftraggeber, lassen sich eventuell anhand zusätzlicher Archivrecherchen beantworten, um ein noch detaillierteres Bild vom kulturhistorischen Zusammenhang des Objekts zu gewinnen. Durch die Aufstellung der Skulptur nahe ihrer Fundstelle möchten die beteiligten Institutionen der Stadt Frankfurt am Main dem Museumsbesucher die Möglichkeit geben, ein Stück Stadtgeschichte vor Ort zu entdecken. Die Mikro-Röntgenfluoreszenzanalyse im Oktober 2010 führte Frau Sonngard Hartmann, RömischGermanisches Zentralmuseum Mainz, durch, wofür ihr an dieser Stelle herzlich gedankt sei. Literatur G. Bott, Die angenehme Lage der Stadt Frankfurt am Main (Frankfurt a. M. 1954). – O. Derreth, Gärten im Alten Frankfurt (Frankfurt a. M. 1976). – Mein Frankfurt – Historische Karten [Compact Disc], hrsg. von Stadtvermessungsamt Frankfurt/Institut für Stadtgeschichte (Frankfurt am Main 2007) – J. W. von Goethe, Goethe‘s sämtliche Werke in 36 Bänden, Bd. 4 (Stuttgart 1866) 56. – U. Kern, „Die schönsten Gärten und Landhäuser findet man an den beiden Main-Ufern …“. Bürgerlich-städtische Naturerfahrung und Lebenspraxis im Garten um 1800 in Frankfurt am Main. Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 70, 2004, 147–166. – Lexikon der Kunst III (Leipzig 1991) 214–215 s. v. „Hera“.