Einsamkeit und soziale Isolation schwuler Männer
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Einsamkeit und soziale Isolation schwuler Männer
Einsamkeit und soziale Isolation schwuler Männer Kurzfassung der Studie der Sozialwissenschaftlichen Forschungsstelle der Otto-Friedrich-Universität Bamberg (SOFOS) Ausmaß subjektiver Einsamkeit in Vergangenheit und Gegenwart Aktuell fühlt sich ein Fünftel der befragten Schwulen einsam. Aber: Subjektive Einsamkeit ist nicht nur ein Problem von Schwulen. Dies entspricht etwa dem aktuellen Ausmaß subjektiver Einsamkeit in der durchschnittlichen deutschen Bevölkerung, die im Datenreport 1999 (Stat. Bundesamt, 2000) mit 16 % angegeben ist. Als spezifisch für die schwule Population belegen unsere Analysen jedoch eine überdurchschnittliche emotionale und teils somatische Belastung, die sehr viele homosexuelle Männer in ihrer Biografie durchleben. – Als nahezu belastungsfrei in der Vergangenheit und in der Gegenwart beschreibt sich ein Fünftel der befragten Schwulen. Sie fühlten sich nie einsam und nennen auch keine anderen einsamkeitstypischen Symptome. – Ein weiteres Sechstel der befragten Schwulen kennt zwar aktuell oder aus früheren Zeiten Einsamkeitsgefühle, beschreibt sich aber ansonsten als relativ frei von anderen emotional beeinträchtigenden Merkmalen. – Mehr als ein Fünftel der Befragten Männer empfindet chronische Belastungen. Sowohl früher als auch heute erleben diese Männer verschiedene körperliche und emotionale Beeinträchtigungen. Bei dieser Gruppe ist das Belastungsausmaß insgesamt sehr hoch, insbesondere einsamkeitstypische Symptome wie Selbstwertprobleme, Depressionen, Bedrücktheit und Wertlosigkeit, Selbstverachtung usw., aber auch Selbstmordgedanken und -versuche sind bei ihnen überdurchschnittlich häufig. – Vier Zehntel der befragten Männer beschreiben sich als aktuell nahezu frei von Belastungen und Einsamkeit, erlebten aber diese Beeinträchtigungen in der Vergangenheit in starkem Ausmaß. Soziale Isolation und Ausgrenzung in verschiedenen Handlungsfeldern Personenbezogen konfigurieren sich spezifische Formen sozialer Ausgrenzung und Integration. Wir bilden dies in einem zusammenfassenden Index ab: – Die „sehr Isolierten“ (8 % der Schwulen gehören zu dieser Gruppe) sind weder in eine gelingende Partnerbeziehung noch in Familienbeziehungen eingebunden bzw. halten Homosexualität in der Familie geheim. Sie sind teilweise auch nicht in zufriedenstellende Freundeskreise eingebunden oder verheimlichen ihre Homosexualität vor ihren Freunden. Gleichzeitig sind Kontakte am Arbeitsplatz wie in der Öffentlichkeit in überdurchschnittlichem Maße belastet. – Die als „isoliert“ bezeichnete Gruppe (18 %) hat weitgehend unbelastete Kontakte zu Familienmitgliedern und Verwandten, keine Partnerbeziehung (obwohl sie sich diese wünschen). Auch können sie nur zum Teil auf (für sie zufriedenstellende) Kontakte zu Freunden zurückgreifen. Gleichzeitig sind Kontakte im Bereich Arbeit, teilweise auch im Bereich Öffentlichkeit überdurchschnittlich durch Diskriminierung belastet. – Die als „teilweise isoliert“ bezeichnete Gruppe (23 %) hat eine – aus der Sicht der Befragten – gelingende Partnerbeziehung, keinen bzw. einen (durch mangelnde Akzeptanz, Diskriminierung oder Geheimhaltung) belasteten Kontakt zu Eltern und kann nur zum Teil auf zufriedenstellende Freundschaftsbeziehungen zurückgreifen. Kontakte im Bereich Arbeit und Öffentlichkeit sind deutlich weniger belastet als bei den vorgenannten Gruppen. – Die Gruppe der „kaum/nicht Isolierten“ (51 %) sind in gelingende, weitgehend unbelastete Kontakte zu Familienangehörigen, Verwandten und meist auch Freunden eingebunden und haben eine (für sie) zufriedenstellende Partnerbeziehung. Kontakte am Arbeitsplatz und in der Öffentlichkeit sind weit gehend unbelastet von Diskriminierung/sozialer Ausgrenzung. Soziale Isolation und Einsamkeit Mehr als 40 % derer, die als „sehr isoliert“ gelten können, empfinden aktuell Einsamkeit, meist auch zahlreiche weitere Belastungen. In abgeschwächter Form gilt ähnliches für die Gruppe der „Isolierten“. Je geringer der Grad der Isolation, um so geringer wird auch von den befragten Schwulen Einsamkeit empfunden. Aktueller Kontaktmangel bzw. stark belastete Kontakte bedingen nicht durchwegs aktuelles Einsamkeitserleben. Der Start ins homosexuelle Leben und Einsamkeit Männer, die sich aktuell als stark belastet beschreiben, hatten eine längere Phase zwischen dem inneren Coming-out und dem ersten Gespräch über die eigene Homosexualität (4,8 Jahre) als unbelastete Männer (2,6 Jahre). Bei stark belasteten Männern war auch die Gefühlslage während dieser Zeit (durch Unsicherheit, Überforderung, Hilflosigkeit, Einsamkeit etc.) deutlich negativer getönt. Als ursächlich für Einsamkeit und Isolation im Coming-out nannten Befragte der Zusatzerhebungen u.a. Ängste vor dem Coming-out, Mangel an Ansprechpartnern und unterstützenden Angeboten zur Identitätsbildung, Konfrontation mit heterosexuellem Diktat, verinnerlichte Homosexualität und persönliche Probleme. Einsamkeit und andere Belastungen bei Lesben und Schwulen Insgesamt, also über alle belastenden Erfahrungen hinweg und ohne die Berücksichtigung der zeitlichen Achse, besteht bei den Lesben ein geringeres Belastungsausmaß als bei den schwulen Männern. Insbesondere einsamkeitstypische Symptome wie Selbstwertprobleme, Depressionen, Selbstverachtung, Misstrauen, Selbstmordgedanken und auch Einsamkeit werden von ihnen weniger berichtet. Werden jedoch ausschließlich aktuelle Belastungen erfasst, dann zeigt sich bei beiden Geschlechtern ein etwa gleich ausgeprägtes Belastungsniveau. Auch bei den Frauen sinkt mit zunehmender aktueller Belastung der Grad der Selbstakzeptanz und es werden mehr alltägliche Beeinträchtigungen wahrgenommen. Ausmaß und Art sozialer Isolation von Lesben und Schwulen Sowohl Art als auch Ausmaß sozialer Isolation von Schwulen und Lesben unterscheiden sich kaum; Abweichungen sind dennoch im Detail erkennbar. Schwule sind in ihre Herkunftsfamilie / das Verwandtschaftssystem etwas besser integriert als Lesben und finden dort v.a. häufiger Akzeptanz, insbesondere bei der Mutter. Andererseits sind Lesben deutlich häufiger als Schwule in Lebensgemeinschaften und Partnerbeziehungen integriert, leben seltener alleine. In anderen Bereichen, wie z.B. im Arbeitsumfeld, der Öffentlichkeit bzw. im Freundeskreis sind keine oder nur geringe Unterschiede erkennbar. Prävention von Einsamkeit und Isolation: Handlungsoptionen Als übergreifendes Ergebnis lässt sich herauslesen, dass letztendlich alle Institutionen aufgerufen sind, ob in Recht, Politik oder Bildung, Kultur, Kirche usw., ein realitätsgerechtes Bild von Homosexualität zu zeichnen und damit das Verständnis und die Normalität gleichgeschlechtlicher Lebensweise zu erhöhen. Insbesondere erhoffen sich die Befragten v.a. jedoch eine Verbesserung ihrer Situation durch bessere Unterstützung in der Comingout-Phase. Weiterhin ist die rechtliche Gleichstellung und Gleichbehandlung auch nach der Schaffung des Gesetzes zu Lebenspartnerschaften noch immer ein Thema sowie ein gesetzlich verankertes Diskriminierungsverbot. Auf der anderen Seite finden sich Erwartungen an die homosexuelle Subkultur, für alle Schwulen gleichermaßen „Heimat“ zu sein. Insbesondere die psychosoziale Unterstützung durch das schwule Netzwerk erhält sehr viel Anerkennung, eine Ausweitung dieser Angebote wird zur Prävention von sozialer Isolation und Einsamkeit als sehr sinnvoll bewertet. Andererseits nehmen sich in der Szene viele Schwule als deplaziert wahr, als nicht „normal“ verglichen mit einem (tatsächlich vorhandenen oder imaginierten) homosexuellem Leitbild. Hinweis: Die komplette Studie wird Anfang 2003 gedruckt vorliegen