Review: Album Blahblahrians
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Review: Album Blahblahrians
REZENSIONEN MUSIK & KÜNSTLER STREIFGANG DURCH DIE FOLK-TRADITIONEN JOHANNA NEWSOMS NEUES ALBUM OFFENBART RAFFINESSE IM DETAIL MARTIN MUTSCHLER G lühend vor Erwartung bin ich ganz Ohr, was »Divers« mir erzählt. Mit »Anecdotes« beginnt das Flanieren, Wandeln durch Palasträume. Es sind die 1960er, Vashti Bunyan fährt mit einem Pferdewagen auf die Hebriden, um nichts zu finden außer ein Leben; und Joe Boyd, der geniale Produzent, heilt kranke Seelen mit Blockflöten. Es geht weiter mit »Sapokanikan«, einer unfassbaren Hymne über unsere Städte, die vor Jahrhunderten Wälder waren oder Sümpfe oder eine indianische Tabakpflanzung. Wie sich hier amerikanische und private Historie, urbane Themen und die simple Frage nach der Liebe zwischen dir und mir vermischen, das schafft niemand so unangestrengt und souverän wie Joanna Newsom. »Divers» ist zunächst ein ganz normales Album: kein Epos, keine Überlänge. Die Raffinesse offenbart sich im Detail: in kaum merklichen Tempodrosselungen, in der Dichte der Arrangements, in aufblühenden Chören und Akkordwechseln.Joanna schnarrt wie Karen Dalton und strahlt wie Judee Sill. Näher an den anglo-amerikanischen Folk-Traditionen war sie nie und näher nie an dem Moment, als in eben jenen 60ern die Loops und jähen Hallfahnen Einzug in die Popmusik hielten. Joanna Newsom hat es geschafft, eine Platte aufzunehmen, die alle Jahreszeiten gleichzeitig ist: ein verästelter Baum, der grünt und blüht, Blätter wirft und vor Kälte zittert. Wie schon bei »Ys«, wie bei »Have One on Me« kommt mit dem Album des Jahres auch ein Lieblingsbuch ins Haus. Es öffnet sich und sagt mit schönster Stimme: Lies mich! Weit weg von fertig Erotic Market Von Brücken Blahblahrians Four Music Jarring Effects Mallternative! Typisches Produkt von Four Music, den Stiefelknechten von Sony. Alles aus diesem Stall riecht nach Popakademie, Text-Coaching und pietistischer Heilslehre. Klangtechnisch sind Von Brücken another brick in the wall of sound. Alle Regler nach oben. Sinnlose Intensivierung ist häufiges Symptom solch zugedröhnter Produktionen. Ex-Jupiter-Jones-Frontmann Müller vernünftelt dazu von großen Gefühlen für tätowierte Spießer. In diesem musikalischen Blubberzeug ist so viel Fanta drin, da ist Hopfen und Malz verloren. Einen Bonuspunkt für »Blendgranaten«, eine Positionierung gegen Rechts. Hoffentlich läuft dieser Song bald in Einkaufszentren. Diego Castro Elektronischer Sound auf der Höhe der Zeit und »Neuer« Feminismus. Erotic Market sind mit kurzer Zündschnur am Puls von Werbung, Alltagssprache und Promi-Getwitter - eben dem ganz banalen Wahnsinn der von Männern dominierten Welt. Das Duo ist der neue Star auf den Hipster-Festivals Frankreichs. Ihre Tracks sind ordentlich und auf den Punkt produziert. Der Sound ist reduziert auf abwechslungsreiche, auf Vintage geschraubte Synthies, und die Beats könnten auch den neusten Rihanna-Song zusammenhalten. Auch wenn die Musik nichts Hervorstechendes oder Nie-Dagewesenes aufweist - immerhin werden politische Botschaften cool, modern und mit Verve vermittelt. Alan Rüben van Keeken Doe Paoro Albino & Holger Burner After Planet der Klassen Anti O. L. Die Singer-Songwriterin Doe Paoro verbindet virtuos Elemente aus Pop, Soul, R'n'B, Dubstep und Lhamo. So auch auf ihrem neuen Studioalbum »After«. Lhamo ist eine aus Tibet stammende Volksoper, in der spirituelle Gesänge, Volkslieder und Tänze miteinander verbunden werden. Paoro kam mit dieser Musik in Berührung, während sie durch das Himalaya-Gebirge reiste und sich durch Meditation mit Stille auseinandersetzen wollte. Die Autodidaktin integrierte Lhamo in ihre eigenen Kompositionen. Dabei herausgekommen ist ein einzigartiger Sound, mit dem Paoro zeigt, dass Pop nicht zwangsläufig banal sein muss. »Pop can be surprising and make you uncomfortable sometimes.« Stefanie Gengenbach Häufig krankt linker Politrap daran, dass er zu pädagogisch oder agitatorisch und letztlich hohl daherkommt. Anders das Album der beiden MCs, die eine gelungene Mischung aus Introspektion und politischer Kampfansage liefern, und auch Themen ansprechen beispielsweise die Ukraine-Krise -, zu denen andere Musiker nichts zu sagen haben. Die beiden verbinden Melancholie mit Wut (»Irre«) und teilen aus gegen Islamhasser und neoliberale Linke (»1+1«), die Politik der EU (»OXI Bis die Troika fällt«) oder battlen sich gegenseitig (»Freundschaftliche Hinweise«). Herausgekommen ist eine ausgewogene Komposition aus Alltagsbeobachtung und Angriffslust, die Mut zum politischen Handeln macht. Ellas Hörn