michael flynn - KunstHalle Wil

Transcrição

michael flynn - KunstHalle Wil
MICHAEL
FLYNN
Kunsthalle Wil, 9. Juni bis 14. Juli 2002
Michael Flynn (geboren 1947)
Kirchhohl 18
D-56179 Vallendar
Telefon ++49 (0) 261 68941
Ausbildung
1963–65
1968–71
1975–78
1985–86
Birmingham College of Art, Painting
Worcester College of Education, Teaching Certificate
Cardiff College of Art, Bachelor Art (Hons), Ceramics
Cardiff College of Art, Master of Art, Fine Art
Auszeichnungen und Stipendien
Welsh Arts Council: 1980, 81, 83, 85, 92, 93, 95
British Council: 1982, 90, 92, 93, 96, 99
Crafts Council of Great Britain: 1984, Select Index 1987
European Ceramics Work Centre, 's-Hertogenbosch/NL, 1990
Mitglied, Academie International de la Céramique, Génève/CH, 1990
Welsh Group, 1992
Triennale de la porcelaine de Nyon/CH, 1998, Prix de la Ville de Nyon
Einzelausstellungen (Auswahl)
seit 1975
in USA, Canada und Europa
1997
Michael Flynn/Wendelin Stahl, Galerie Marianne Heller, Heidelberg/D
1998
Flynn/Heger/Kecskeméti, Grimmerhus Museum, Middlefart/DK
Michael Flynn/Sándor Kecskeméti, Galerie Party, Pecs/H
1999
Ceramics Focus, Contemporary Applied Arts, London/GB
2000
Recent Ceramic Sculpture, Franklin Parrasch Gallery, New York/US
Animal Sculpture, Galerie für Zeitgenössische Keramik, Wien/A
2001
«Harlequin Unmasked» (accompanying exhibition), Gardiner Museum, Toronto/CAN
2001–02
«Michael Flynn»,Victoria and Albert Museum, London/GB
2002
«Michael Flynn», Kunsthalle, Wil/CH
Gruppenausstellungen (Auswahl)
seit 1977
weltweit in Museen und Galerien
1997
Body Language, Newport Museum, Newport, Wales/GB
1998
International Porcelain Triennale, Nyon/CH
The Human Figure, Kunstforum Kirchberg/CH
1999
50 years of Welsh Art, The Welsh Group, National Museum of Wales/GB
International Artists, Skaelskor, Kunstindustrie Museet, Copenhagen/DK
2000
Born of Earth, Garth Clark Gallery, New York/US
World Cup, Suku Gallery, Seoul/Korea
2001
Ceramic Figures, Crafts Council Shop at the Victoria and Albert Museum, London/GB
Harlequin Unmasked, Gardiner Museum, Toronto/CAN
2002
Visiting Artist's at the Clay Studio, Philadelphia/US
Abbildungen
1. «Catching the Cock», Skizze, Bleistift auf Papier
2. «Skywards», 2002, Steinzeug, H 78 cm
3. «Tickle», 2002, Steinzeug, H 38 cm
4. «Körpersprache», 2001, Steinzeug, H 40 cm
5. «Schlafender Heiliger mit zwei kämpfenden Königinnen», 2001, Steinzeug, H 46 cm
Ein herzlicher Dank an
Roland Guggenbühler, Zuzwil (Ausstellungsarchitektur)
Gehrig AG Bauunternehmung Wil
SMW Schrauben- und Metallwarenhandel AG, Züberwangen
© 2002 Kunsthalle Wil und Autor, Poststrasse 10, CH-9500 Wil/SG
Mächtig bewegt
Zuerst ist Michael Flynn ein figürlicher Bildhauer, und dann ist er auch ein hervorragender Zeichner. In seinem
Atelier in Cardiff/GB hat er an grossformatigen Skulpturen gearbeitet. In den letzten Jahren entwickelte er allerdings eine ausdrucksstarke, persönliche Art der Kleinplastik aus keramischem Material. Die Darstellung des
Menschen hat in der Skulptur die wohl längste Tradition. Diese Tatsache führt uns zur tiefen Verwurzelung des
Menschenbildes im schöpferischen Denken. Dadurch birgt das plastische Menschenbild Ausdrucksmöglichkeiten, die jedem Menschen über das Körpergefühl zugänglich sind. Die Werke von Michael Flynn sind im
wahrsten Sinne des Wortes durch ihre gespannte und gerichtete Dynamik raumgreifend. Ihre Bewegung
schwingt über das effektive Mass hinaus in den Raum vor. Die eher kleinformatige, figürliche Plastik ermöglicht
es, sie auch aus recht naher Distanz in ihrer Ganzheit spontan zu überblicken. Darüber hinaus gewinnen sie
die gestalthafte Eindringlichkeit von Menschen, die wir aus der Ferne in ihrem Bewegungsfluss betrachten können. Das skizzenhaft Flüchtige der Modellierung unterstützt den Eindruck der Momentaufnahme, des plastischen Schnappschusses eines extremen Bewegungsablaufs. Die Körperhaltung der Figuren ist keine fixierte
Pose, ist nicht statuarisch verfestigt, sondern der dynamische Moment einer durch Bewegung vorbereiteten
und von anderer Bewegung aufzunehmenden Raumgeste. Ihre unruhige Oberfläche enthält den Abdruck der
formenden Finger, wobei sehr gekonnt das Spiel der Muskulatur evoziert wird. Jede einzelne Buckelung lebt
aus der Intensität ihres subjektiven Kraftzentrums. So wachsen die Körper, aber es ist kein amorphes Werden,
denn in jeder Figur bleibt das statische Gerüst spürbar. Da ist keine Stelle, die nicht aus einer Ordnung lebt,
die der anatomischen analog erscheint. Kleinplastik wird eher aus dem Augenblick geboren, darf spontan und
intim sein, essentiell, pointiert und experimentell: zuerst aber persönlich – im Bezug des Künstlers zu sich
selbst und zur Welt. Daher rührt auch ihr ungeheurer Reichtum an Themen und Gestaltungen.Tatsächlich nehmen die Figuren bei Michael Flynn nach einer längeren Vorbereitungsphase relativ schnell Gestalt an. Nachdem
er weiss, wie die Plastik aussehen soll und sie vor seinem inneren Auge sieht, werden die Figuren möglichst
ohne Unterbruch in einem konzentrierten Schaffensakt modelliert, – ist sie gelungen, braucht es auch keine
Überarbeitung, die gerade den Ausdruck des Spontanen schmälern würde. Genaue Kenntnisse der menschlichen Anatomie sind unerlässlich, um die in expressiver Dynamik, oft auch in extremer Verrenkung agierenden
Körper gekonnt plastisch auszubilden. Matisse hatte gar nicht so unrecht, als er sagte: «Je kleiner die Skulptur,
umso stärker muss das Wesentliche der Form heraustreten.» Dass Michael Flynn im kleineren Format seine
einmalige Qualität gefunden hat, ermöglicht es ihm, an den verschiedensten Orten der Welt zu arbeiten. Dabei verwendet er für seine Werke die örtlichen Erdmaterialien. Häufig hat er die Exponate seiner Ausstellungen in den jeweiligen Ländern geschaffen. Zu «Catching the Cock» gibt es viele formale Varianten, alles Unikate, über die Jahre hinweg geformt, glasiert und gebrannt. Auch das verwendete Material, Irdenware, Steinzeug
oder Porzellan, variiert durch seine unterschiedliche Herkunft und Beschaffenheit. Die Figuren überzieht Michael Flynn stets mit einer Glasur oder Engobe. Er gibt ihnen jedoch nie eine naturalistische Bemalung, sondern ganz im Gegenteil eine freie, oft eher zur Verfremdung tendierende Farbgebung. Dies verleiht seinem
Schaffen
zusätzliche
Individualität
und
Ausstrahlung.
Der dem Hahn nachhechtende oder in grossen Sprüngen nachsetzende Mann gehört auch als Einzelfigur zum
grossen Thema «Beziehung zwischen den Geschlechtern» und «Macht der Frauen», mit dem sich Michael
Flynn plastisch auseinandersetzt. Die reiche Symbolik des Hahnes betrachtend, weist das Fangen des Hahnes
auf den Wunsch nach Kraft, Potenz und Erfolg bei den Frauen hin. Fortpflanzungstrieb, Kampflust und Wehrhaftigkeit liessen ihn auch literarisch zu einem ganz besonderen Vogel werden. Er ist zusätzlich ein Symbol für
die Wachsamkeit. Bei den Figurengruppen ist hier vor allem die auf dem Mann sitzende Frau zu erwähnen, wobei der Mann auf allen Vieren nach einem Hahn hascht. Michael Flynn findet dabei zu einem schon von Hans
Baldung Grien (1484/85–1545) gezeichneten Exempel der «Weibermacht» in der auf Sokrates reitenden Xanthippe von 1513. Manche Werke entstehen aus der Auseinandersetzung mit der figürlichen Kleinplastik des 18.
Jahrhunderts. Michael Flynn findet vor allem seine zeitgemässen Interpretationen in den bewegten Protagonisten der «Commedia dell' Arte». Dass er auch Situationen aus Goethes «Faust» zur plastischen Ausformung
bringt, ist leicht zu verstehen bei einem Stoff, der vom Fluss der Bewegung lebt, bei dem das «Nicht-Verweilen» ein Leitmotiv darstellt und das «Innehalten» Fausts Tod bedeutet. Darunter befindet sich der in Windeseile heranrasende Pudel, mehr im Flug als springend, gerade noch mit einer Pfote den Boden berührend und
neben ihm Mephisto im «Sauseschritt». Das Werk ist Ausdruck grosser Dynamik wie es der Beschreibung von
Faust entspricht: «Bemerkst du, wie in weitem Schneckenkreise er um uns her und immer näher jagt? Und irr'
ich nicht, so zieht ein Feuerstrudel auf seinen Pfaden hinterdrein.» Des «Pudels Kern» ist bereits sichtbar geworden – Mephisto rast mit. Andere Arbeiten zeigen nicht einen Moment aus einer ablaufenden Aktion, sondern den eingefrorenen Sekundenbruchteil einer kulminierenden Dynamik: ein Pferd, beide Hinterbeine hoch
in die Luft geworfen, mit einem Huf den Boden berührend und den abgeworfenen Reiter, der nach einem
Rückwärtssalto mit der Schulter Purzelbaum schlagend auf der Erde landet. Bei aller burlesken Theatralik
bleiben die Plastiken stets eine in sich durchkomponierte Gruppe.Trotz den schlafenden Heiligen, die Michael
Flynn den kämpfenden Königinnen zugesellt, erzählt seine Darstellungswelt nicht von Kontemplation und Verinnerlichung, sondern von Aktivität. Zum Thema Bewegung und Bewegtsein von Mann und Frau gehört auch
die Macht der Musik, wenn die Seele im Leibe hüpft und die Glieder unwillkürlich zucken. Sie verführt zu Tanz
oder Marschieren im Takt des Trommelrhythmus. Auf spannende Silhouettenwirkung angelegte Akrobatinnen
und Akrobaten, die gewagte Schattenwürfe im Licht erzeugen, bevölkern ebenso das plastische Universum von
Michael Flynn.
Michael Flynn bringt Bildwerke hervor, die in Individualität und Aussagekraft thematisch differenziert zur figürlichen Bildlichkeit Stellung nehmen. Durch plastische Form, Bewegung und Raum bringt er Sinnliches und
Geistiges zum Ausdruck. Innere Dynamik, die hervorbrechenden Kraftströme fasst er in ausgreifenden Bewegungsrhythmen. Er bringt das geschmeidige Erdmaterial in expressiver Form selbst zum Sprechen und leistet
so seinen unnachahmlichen Beitrag zur figürlichen Plastik unserer Zeit.
Frank Nievergelt