Vorschau und - Freiraum

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Vorschau und - Freiraum
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Jürgen Buchmann
Memoiren
eines Münsterländer
Mastschweins
Zweite, um einen glückhaften
Ausgang vermehrte Auflage
freiraum-verlag
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© Überarbeitete und ergänzte Neuausgabe 2014 freiraum-verlag
Greifswald
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlaggestaltung und Satz: Isabel Wienold
Druck: Sowa Sp. z o.o.
ISBN: 978-3-943672-38-1
www.freiraum-verlag.de
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Erstes Kapitel
Anfangsskrupel und Einstand des Schweins
Ich war nie Mensch; das war von Geburt an mein Unglück,
und dieses Unglück wurde durch die Poesie erst recht zum
Unglück. Denn wenn man Ferkel ist und die anderen Ferkel
spielen und scherzen oder was Ferkel sonst treiben mögen; und wenn man Jungschwein ist und die andern Jungschweine suhlen sich oder fressen oder was Jungschweine
sonst treiben mögen: Dort zugleich Ferkel zu sein oder
Jungschwein, wo man Literat ist, Poet und Dichter - das ist
der Stich des Schweinesken, der schmerzlicher durchbohrt
als Messer und Gabel.
Verschmähtes und Nachgelassenes
Gott sei mit uns! Es ist das unaussprechliche Fleisch!
E. A. Poe, Eine Geschichte aus Jerusalem
Schüchtern und nicht ohne Zaudern übergebe ich der Welt diese Seiten,
die in Stunden der Muße und Inspiration meiner Feder entströmten.
Werden sie vor dem strengen Richtstuhl der Kritik bestehen? Wird
ihrem Verfasser vergönnt sein, dereinst einen Platz in der Literaturgeschichte einzunehmen, anstatt auf einer Speisekarte?
Man wird mir zugestehen müssen, dass mein Unternehmen ohne
Beispiel ist: Ich werde ein Schwein in aller Naturgetreue zeigen, und
dieses Schwein werde ich selbst sein. Ich allein. Tatsächlich wage ich
zu behaupten, dass ich anders bin als jeder, dem ich zeit meines Lebens begegnet bin; ja, ich vermute, dass kein zweites Wesen existiert,
das beschaffen ist wie ich selber.
Wie aber diese Andersheit in Worte fassen? Gleich zu Anfang komme ich damit auf eine elementare Verlegenheit meines Vorhabens.
Man möchte meinen, da alles, was ich mitzuteilen habe, aus meinen
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eigensten und unmittelbarsten Erfahrungen, Irrtümern und Leidenschaften zusammengesetzt sei und ich meinen Stoff also vollkommen
beherrsche, so könne jene Frage höchstens den mir zu Gebote stehenden Takt und Anstand des Ausdrucks betreffen. Indessen bildete die
gefällige Fügung des Wortes zu keiner Zeit meine Verlegenheit, und
bereits im Koben wusste ich mich einer zierlichen und wohlgesetzten Rede zu befleißigen, in einem Grade, der mir nicht selten den
Unmut meiner Stallgenossen eintrug, bis hin zu derber Attacke und
zusammengerotteter Verfolgung, vor der ich genötigt war Zuflucht
am äußersten Ende der Koppel zu suchen.
Dort, unter Brombeeren und Hagebutten versteckt und marmoriert von den Prügeln, die ich bezogen hatte, haderte ich mit dem
neidischen Stern, der mir die Gabe des Wortes verliehen hatte, zu der
Bedingung, von niemand verstanden zu werden.
Man hat mir eingewendet, so ganz anders und unverständlich sei
ich nun doch nicht, und was da hinter dem Berge halte, sei denn
auch keinesfalls einzig und unvergleichlich, sondern nichts weiter als
eben das Schweinische. Aber hier muss ich Protest einlegen. Unausbleiblich verbindet sich mit dem Etikett „schweinisch“ die Erwartung
eines strotzenden und unverhältnismäßigen Erfindungsreichtums auf
dem Felde des Erotischen – eine Erwartung, wie man hinzufügen
darf, die im allgemeinen darauf rechnet, möglichst ausführlich bedient zu werden. Meinerseits lege ich Wert auf die Feststellung, dass
die Andeutungen der frühreifen, nach dem Willen ihrer und meiner
Eltern zum Ehebunde mit mir bestimmten Porcella, die mit allerlei verstohlen-bedeutsamer Musterung meiner Person einhergingen,
mich umgekehrt eher unbehaglich berührten, und ich beeile mich
zu versichern, dass es mir fern liegt, in diesen Blättern das Stalltor
ländlicher Lüsternheit und quiekender Ausschweifungen aufzustoßen
– selbst wenn die Hälfte meiner Leserschaft an dieser Stelle das Buch
aus der Hand legt.
Um Missverständnissen entgegenzuwirken, habe ich mich entschieden, den Begriff des Schweinischen in diesen Blättern durch den des
Schweinesken zu ersetzen: Nicht ohne Bedacht beschwört er die Arabeske, jenes Ornament, das an die Zeichen einer Schrift gemahnt,
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dessen Botschaft jedoch unbestimmt und gleichsam in der Schwebe
bleibt.
Wenn meiner Großmama ein ohrenfälliges Malheur entfuhr, pflegte sie auszurufen: „Schwejn blejwt schwejn, dao helpet kenne pillen.“
Ich gestehe, dass es Augenblicke gab, in denen ich sie um diese naive
Gewissheit beneidete. Was ist das Schwein? Was ist das Schweineske?
Wenn niemand mich danach fragt, weiß ich es; will ich es einem Frager erklären, weiß ich es nicht. Hier meine Geschichte: Mag sich der
Leser seinen Reim darauf machen.
Stimmen aus dem Stall und Kommentare des Kobens
De Herold, so´n klaougschejter was dat, de wull dat schwejn dat kwieken lärn. Jümmers de näsen inne lucht. Den büss du nich vöüerniem
genaouch wään. Wenn du äinn hess fäöiern laoten, ha he dat gesichte
votaogen un iss ´n pa schritt trügge blejm´m. So äinn was dat.
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Fünftes Kapitel
Verherrlichung des Schweins und permutative
Anthropologie des Onkels Salmanassar
Pláudite, pórcellí, porcórum pígra propágo!
Beifall erheisch ich, ihr Ferkel,
der Schweine müßige Nachfahrn!
Johannes Leo Placentius, Pugna Porcorum per Publium Porcium
Poetam. Schweinfried Schweins Schröckliche Schweineschlacht
(1546)
Selbst aus den Ställen erklang das Gegrunz der Schweine wie
ein mit Mühe unterdrückter behaglicher Jubel über die schönen Würste und fetten Schinken, welche die lieben Tiere für
den Winterkohl des Jahres mit Selbstgefühl in der Stille heranbildeten. Wilhelm Raabe, Der Schüdderump
„Vanitas!“ rief mein Onkel, als ich ihm eröffnete, dass ich Schriftsteller
werden wollte, „vanitatum vanitas! Ein Jünger des Apoll, ein Musensohn! Ein Schreiberling willst du werden, ein Tintenfex, ein Worteklauber und Poet? Quis leget haec? Wer soll das lesen? Was erwartest
du dir? Den Beifall eines Ebers? Den Applaus einer Sau? Das Bravo
eines Ferkels?”
Kleinlaut wandte ich ein, wenn ich im Stall auf kein Verständnis
stieße, so möchte ich es doch draußen in der Welt erhoffen, und wo
das Schwein sich verweigere, werde vielleicht der Mensch sich nicht
verschließen.
„Sancta simplicitas!“ versetzte mein Onkel, „Der Mensch! Da bist du
an eine bestechende Anschrift geraten. Hast du niemals beobachtet,
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an welchem Ort der Kulturteil der Zeitung im Hause Diekmannshemke landet?“
Er nahm seine Augengläser ab, um die Linsen zu reinigen, und setzte in milderem Tone hinzu:
„Drei Dinge, mein Sohn, bewegen das Herz des Menschen, und die
Kunst befindet sich n i c h t darunter: Das Fressen, der Fußball und
das Fritzeln. Hieraus ergibt sich auf dem Wege der Permutation oder
Stellenvertauschung ein Halbdutzend möglicher Abfolgen, und zwar
primo: Erst Fritzeln, dann Fressen und Fußball; secundo: Erst Fußball
und Fressen, dann Fritzeln; tertio: Erst Fritzeln, dann Fußball und
Fressen; quarto: Erst Fressen, dann Fritzeln und Fußball; quinto: Erst
Fußball, dann Fritzeln und Fressen; sexto: Erst Fressen und Fußball,
dann Fritzeln. Ecce gloria mundi: Und das war´s dann.“
Mein Oheim hauchte auf die Linsen, prüfte die Sauberkeit seiner
Gläser und setzte befriedigt die Brille wieder auf.
„Bei Licht betrachtet“, fuhr er fort, “wieviel mehr richtet das
Schwein aus! Da sind Medaillon und Filet, Lendchen und Nüsschen,
Koteletts, Frikadelle und Schnitzel, Speck und Schinken, Gulasch und
Potthast, Kassler und Braten, Geschnetzeltes und Gehacktes, Gesottenes und Geselchtes, Geräuchertes und in Essig Gelegtes, Eisbein und
Pfötchen, Sülze, Pressack, Aspik und Gelee sowie Wamme, Flomen
und Schmalz, ganz zu schweigen von Frankfurtern, Wienerle, Leber-,
Kohl- und Sommerwurst, Mettendchen, Wurstebrei, Töttchen und
Möppkenbrot: Quid multa? Wozu noch Worte verlieren? Inhabita terram, et pasceris divitiis eius, sagt der Psalmist: Bleibe im Lande, und
nähre dich redlich.“
„Was ist F r i t z e l n ?“ fragte ich.
Mein Onkel wurde rot vor Zorn und rief: „Lausejunge! Ich werde
dich lehren, was Fritzeln ist!“
Und nur ein tollkühner Sprung zur Seite rettete mich vor dem strafenden Schwung seiner Kinnbacken.
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Stimmen aus dem Stall und Kommentare des Kobens
‘n pa dage daovo ha he sejn onkel votellt, he wull dichter wärn. Dat
ha us in Mastholte no failt,´n schwejn, dat dichtet. Sick vo de löitens
graut daon, dat was, wat he wulle. Usseäine sett inn schwejt von sejn
angesichte speck an, un so ´n foulwammes schmäärt de ganze läiwe
lange dach verse un dumm töüch un laot de annern sick afschinnen.
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