Fakten und Hintergründe
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Fakten und Hintergründe
Fakten und Hintergründe zu Wirtschaft und Währung Nr. 2/1997 Mai 1997 Rahmenbedingungen für ein modernes, marktorientiertes Börsengesetz Das Bundesministerium der Finanzen beauftragte im April 1996 das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg und Prof. Dr. Bernd Rudolph, Seminar für Kapitalmarktforschung und Finanzierung an der Ludwig-Maximilians-Universität München, mit der Ausarbeitung eines Gutachtens über die Rahmenbedingungen für ein modernes, marktorientiertes Börsengesetz. Unter dem Titel „Börsenreform - Eine ökonomische, rechtsvergleichende und rechtspolitische Untersuchung“ ist das Gutachten seit Mitte Mai in einer von Hopt/Rudolph/Baum herausgegebenen Fassung im Buchhandel erhältlich. Im folgenden ist das Geleitwort zum Gutachten abgedruckt, das Dr. Franz-Christoph Zeitler, Präsident der Landeszentralbank im Freistaat Bayern, verfaßt hat. Dem Geleitwort schließt sich einiges Zahlenmaterial zur Aktienkultur im internationalen Vergleich an, ganz überwiegend aus dem Gutachten entnommen, das dem Leser zur weiteren Nutzung an die Hand gegeben wird. Mit einem Satz aus dem Gutachten läßt sich die Quintessenz aus den Daten wiedergeben: „Faßt man ... mit Blick auf Deutschland zusammen, läßt sich als ein wesentlicher Aspekt die im internationalen Vergleich angesichts der Wirtschaftskraft des Landes auffallend geringe Rolle der Aktie als Finanzierungsinstrument einerseits und Anlagemedium andererseits herausheben“. Landeszentralbank im Freistaat Bayern Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbank Ludwigstraße 13, 80539 München Tel.: 089/28 89 - 38 10 Fax: 089/28 89 - 35 98 „Fakten und Hintergründe“ erscheint in unregelmäßiger Folge und wird kostenlos an Interessenten abgegeben; verantwortlich: Präsident Dr. Franz-Christoph Zeitler -2- I. Geleitwort zum Gutachten, von Dr. Franz-Christoph Zeitler, Präsident der Landeszentralbank im Freistaat Bayern Börsen sind als Finanzdienstleister und Kapitaldrehscheiben sowohl Quelle wie Spiegelbild der Wachstums-, Innovations- und Wettbewerbskraft einer Marktwirtschaft. Ihre Dienstleistungen sind auf den ersten Blick auf den Produktionsfaktor Kapital gerichtet; je effizienter sie jedoch ihrer Kapitallenkungsfunktion genügen, je schneller und kostengünstiger sie Kapital in rentable und zukunftsträchtige Unternehmen lenken, umso mehr profitiert neben dem Kapitalmarkt auch der Arbeitsmarkt. Börsen prägen Finanzplätze, dienen der Publizität von Stadt und Staat, sind wegen erheblicher Sekundäreffekte für das Wirtschaftsgeschehen eines Raumes ein wichtiger Standortfaktor. Es überrascht also nicht, wenn sich auf nationaler wie internationaler Ebene der Wettbewerb zwischen den Börsenplätzen - gefördert durch Kapitalverkehrsliberalisierung, Abbau von Marktzutrittsschranken sowie modernster Informationsund Kommunikationstechnologie - verschärft. In der Europäischen Währungsunion werden die Karten der Börsenplätze und -systeme neu gemischt. Für den deutschen Emittenten und Anleger bietet der künftige Euro-Kapitalmarkt als zweitgrößter Finanzmarkt der Welt neue Chancen und Möglichkeiten. Für die deutschen Marktteilnehmer entfällt aber auch der bisherige „Standortvorteil“ der D-Mark als internationale Anlage- und Transaktionswährung; der Wind des Wettbewerbs wird noch frischer blasen. Vor allem am Aktienmarkt, teilweise aber auch am Renten(Termin-)markt, besteht in Deutschland Nachholbedarf. So konnte sich bisher z.B. trotz großvolumiger Emissionen von Pfandbriefen noch kein Terminmarkt (Pfandbrief-Future) für dieses wichtige private Finanzierungsinstrument etablieren. Am meisten ins Auge springt aber die im internationalen Vergleich geringe Rolle der Aktie, sowohl als Finanzierungsinstrument der Unternehmen wie als Anlageform der Investoren. In mehr als einem Dutzend konkurrierender Industrieländer kommt dem Aktienmarkt - die Börsenkapitalisierung bezogen auf das BIP - ein höherer relativer Stellenwert zu als in Deutschland (vgl. Seite 5: Tabelle zur Börsenkapitalisierung, rechte Spalte). Auch wenn es nicht darum gehen kann, bewährte Elemente der deutschen „Finanzierungskultur“, etwa die Vorzüge der Stabilitäts- und Langfristorientierung, über Bord zu werfen, so muß doch die Aktie als Emissions- und Anlageinstrument, die Börse als Markt für Risikokapital, fruchtbarer werden. Wir werden auf Dauer unser hohes Wohlstandsniveau nur halten können, wenn wir auch ein überdurchschnittliches Qualitäts- und Innovationsniveau bieten. Etwas pointiert könnte man den heutigen Zustand so beschreiben: In Deutschland -3sind Innovatoren auf der Suche nach Kapital - in den USA ist Kapital auf der Suche nach verwertbaren Ideen. Doch hat sich auch bei uns der Wind schon gedreht. Auch in Deutschland arbeiten Gesetzgeber und Unternehmen an der Zulassung von Pensionsfonds, die als langfristige Investoren volatile Märkte verstetigen können und durch ihren Anlagebedarf einen ständigen Mittelstrom an den Aktienmarkt auslösen. Auch an den deutschen Börsen sind besondere Teilmärkte für Risikokapital - etwa der Neue Markt in Frankfurt oder der Prädikatsmarkt in München - im Entstehen. Aber nicht nur an den etablierten Börsen, auch außerhalb klassischer Börsenveranstaltungen entstehen Handelsplattformen bis hin zu einem, heute noch in einem rudimentären Vorstadium befindlichen, Handel im Internet. Die notwendige Weiterentwicklung des deutschen Börsensystems, seine Anpassung an börsen- und kapitalmarktrelevante EG-Normen, hat die Bundesregierung veranlaßt, das vorliegende Gutachten in Auftrag zu geben. Entstanden ist eine umfassende Bestandsaufnahme des Soll und Ist mit Empfehlungen für eine weitreichende Börsenrechtsreform. Nachdem die Bundesregierung die steuerrechtlichen Bremsklötze für die Eigenkapitalversorgung der Wirtschaft - mit dem völligen Wegfall der Vermögensteuer und dem Konzept einer großen Steuerreform mit niedrigen Sätzen und breiterer Bemessungsgrundlage - aus dem Wege geräumt hat oder wegzuräumen plant, erscheint es nur folgerichtig, mit einer Börsenrechtsreform die Entwicklungsmöglichkeiten und Initiativkräfte der Börsen selbst zu stärken. Das Gutachten bietet eine Fülle von Empfehlungen, befürwortet eine zukunftsoffene Umgestaltung der Normen mit einer Rücknahme staatlicher Regulierung zugunsten von mehr Selbstregulierung - freilich unter Wahrung von Wettbewerb und wirkungsvoller Marktaufsicht. Wenn sich die Verfasser gegen einen radikalen Neuanfang mit Blick auf die deutsche Börsenlandschaft aussprechen, so meine ich zu Recht. Neue Normen sollten den Börsenwettbewerb, nicht aber die Bildung von Marktmacht fördern. Es ist eine Grundeinsicht marktwirtschaftlicher Ordnungspolitik, den Wettbewerb durch wenige, aber durchdachte hoheitliche Rahmenbedingungen zu sichern und offenzuhalten gegen Verkrustung und Monopolbildung, für den Leistungswettbewerb um Innovationen, um neue Märkte, um den Mittelstand in den Regionen, um private Anleger mit ihren von den großen Investoren oft divergierenden Interessen. Bei der jetzigen Verfassung der Märkte wäre es wohl auch Illusion zu glauben, der Finanzplatz Deutschland würde im internationalen Wettbewerb durch Monopole auf der nationalen Ebene gestärkt. Ein Blick auf die USA zeigt z.B. die Bedeutung, die ein funktionierender Handelsverbund - dort das von der SEC durchgesetzte Intermarket Trading System (ITS) - -4für ein dezentrales Börsenwesen und damit die „Wächterfunktion“ des Wettbewerbs gegen Monopolrenten (z.B. Spread-Kartelle) und alleinige Fokussierung auf bestimmte Marktsegmente hat. Die Entscheidung über den Einsatz und die Reichweite von Handelssystemen, der Streit „screen versus open outcry trading“, also zwischen reinen Computerhandelssystemen und einem computerunterstützten Präsenzhandel, ist zwar nicht Sache des Gesetzgebers. Wohl aber sollte der Regulator einen Beitrag leisten, den Wettbewerb der Systeme offenzuhalten, um den Anlegern Erfahrungen zu ermöglichen über die Wirkungsweise der Systeme, z.B. in außergewöhnlichen Marktphasen (sog. crash-Situationen), über ihre Fähigkeit, bei marktbreiten oder marktengen Werten Liquidität zu sichern sowie den Marktteilnehmern ein „feeling“ über die Marktentwicklung zu geben. Schließlich ist nichts schädlicher für einen Finanzplatz und ein Börsensystem als selbst einige wenige isolierte, aber durch die Presse dem Anleger nachhaltig vor Augen geführte Unregelmäßigkeiten oder „saftige Skandale“. Wie alte und neue Erfahrungen zeigen, ist kein System als solches dagegen gefeit. Anlegerschutz und Preisbildung sprechen zunächst für eine Bündelung der Liquidität (z.B. durch Dachskontren); die Liquiditätsfrage darf aber nicht als Vorwand für Marktzutrittsschranken oder Abbau von Marktvielfalt dienen. Eine wirksame Aufsicht auf offenen Märkten muß auf längere Sicht international vernetzt sein. Da die Staatengemeinschaft nur „flache Hierarchien“ akzeptiert, dürften auf Dauer das Aufsichtssystem und die Börsenstruktur einen komperativen Vorteil haben, die rechtzeitig kooperativ-dezentrale und zugleich effektive Modelle entwickeln. Die Veröffentlichung des Gutachtens fällt in das Gedenkjahr für den 100. Geburtstag Ludwig Erhards. Er steht für eine marktwirtschaftliche Ordnung, in gleicher Weise für Schranken und Rahmenbedingungen gegenüber wirtschaftlicher Machtausübung. Seine Auffassung von der Rolle des Staates in der Wirtschaftspolitik hat Bedeutung auch für die Börsen- und Kapitalmarktpolitik: Der Staat habe nicht nur „hinter den Ereignissen herzulaufen, um fallweise gewissen Schäden abzuhelfen“, sondern seine vornehmliche Aufgabe darin zu sehen, „der lebendigen Entwicklung in Freiheit die Impulse zu geben und die Ziele zu setzen“. Dem Gutachten und seinen Empfehlungen wünsche ich in diesem Geiste, Früchte in einer Börsenreform zu tragen. -5- II. Zahlenmaterial zur Börsenstruktur 1 1. Börsenkapitalisierung Börsenkapitalisierung in ausgewählten OECD-Ländern Ende November 1996 Land USA 3) Japan 4) Großbritannien Deutschland Frankreich Kanada 5) Schweiz Niederlande Italien Schweden Spanien 6) Belgien Dänemark Finnland Norwegen Österreich Aktienumlauf Mrd DM 1) 13 354 4 881 2 544 1 002 892 756 624 555 386 357 332 180 105 90 85 48 Börsenkapitalisierungskoeffizient 2) 122 63 152 27 38 88 135 93 23 103 39 44 40 47 38 14 Quellen: Fédération Internationale des Bourses des Valeurs sowie Berechnungen der Deutschen Bundesbank. – 1 Kurswert der inländischen börsennotierten Aktien. – 2 Aktienumlauf in % des nominalen Bruttoinlandsprodukts von 1995. – 3 New York Stock Exchange und Nasdaq. – 4 Börse Tokio. – 5 Börse Toronto. – 6 Börse Madrid. Quelle: Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Januar 1997, S. 28 1 Die den Graphiken und Tabellen zugrundeliegenden Daten wurden zum überwiegenden Teil dem oben angeführten Gutachten entnommen. Zitiert werden die im Gutachten angegebenen Originalquellen. Die Tabelle „Geldanlagen privater Haushalte in Deutschland“ entstammt direkt dem Monatsbericht Januar 1997 der Deutschen Bundesbank. -6- 2. Kapitalaufnahme über die Börsen Anzahl von Börseneinführungen inländischer Gesellschaften 1994 213 93 53 15 9 9 6 0 GB USA* Japan ** D*** F A NL CH*** * New York Stock Exchange (NYSE), American Stock Exchange, Nasdaq. - ** Tokio Stock Exchange und Osaka Stock Exchange. - *** Alle Börsen. Quelle: Deutsche Börse AG (Hrsg.), Fact Book 1994, 73, Frankfurt/M. 1995 Kapitalaufnahme über die Börsen, differenziert nach Kapitalerhöhungen bzw. Neuemissionen, 1989 bis 1995 (in Mrd. US-$) Kapitalerhöhungen Neuemissionen NYSE 1) 287,2 206,2 Nasdaq 63,9 63,8 Japan 2) 112,8 n.v. GB 87,4 64,5 D 3) 84,1 12,3 F 72,5 16,2 1 New York Stock Exchange. – 2 Tokio Stock Exchange und Osaka Stock Exchange. – 3 Alle Börsen. Quelle: Deutsches Aktieninstitut e.V. (Hrsg.), DAI-Factbook 1996, FB_03-4, Frankfurt/M. 1996 -73. Struktur des Aktienbesitzes Aktionäre in der Bevölkerung (Angaben in %) 21,0 15,8 14,0 10,1 9,0 5,8 5,5 4,0 USA GB CH F Japan NL D A Quelle: Deutsches Aktieninstitut e.V. (Hrsg.), DAI-Factbook 1996, FB_08.6-1, Frankfurt/M. 1996 Geldanlagen privater Haushalte in Deutschland 1) (Anteile in %) Bestand am Jahresende Position Insgesamt darunter: bei Banken 2) bei Versicherungen 3) in Aktien in Rentenwerten in Investmentzertifikaten 1970 100 59,9 14,8 10,2 6,8 1,9 1980 100 59,8 16,6 4,2 10,3 2,0 1990 100 48,7 20,3 5,5 14,1 4,2 1995 100 43,6 21,3 5,3 15,9 7,6 1 Einschl. privater Organisationen ohne Erwerbszweck; ab 1990 Gesamtdeutschland. – 2 Einschl. Bausparkassen. – 3 Einschl. Pensionskassen. Quelle: Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Januar 1997, S. 36 -8- Aktienbesitz im internationalen Vergleich (Anteile in % am Gesamtumlauf der Aktien im jeweiligen Land) Stand Ende 1995 Aktionärstyp Finanzielle Sektoren Banken Versicherungen, Pensionsfonds Investmentfonds u.a. D 30,3 10,3 12,4 7,6 USA 44,5 0,2 31,3 13,0 Japan 35,8 13,3 10,8 11,7 F 8,0 4,0 1,9 2,0 GB 52,4 2,3 39,7 10,4 Nicht-finanzielle Sektoren Unternehmen Private Haushalte Öffentliche Haushalte 61,0 42,1 14,6 4,3 51,4 15,0 36,4 0,0 53,9 31,2 22,2 0,5 80,8 58,0 19,4 3,4 33,9 4,1 29,6 0,2 8,7 4,2 10,3 11,2 13,7 Ausland Quelle: Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Januar 1997, S. 29 4. Internationale Börsen im Vergleich Zahl der notierten bzw. zum Handel zugelassenen Aktiengesellschaften Stand 1994 inländ. AGs ausländ. AGs insgesamt USA Nasdaq New York Stock Exchange American Stock Exchange 4 580 2 353 751 322 217 73 4 902 2 570 824 Tokio Stock Exchange 1 689 93 1 782 1 803 666 459 317 215 94 471 801 195 215 242 41 2 274 1 467 654 532 457 135 Japan Europa London Stock Exchange Deutsche Börsen Paris Amsterdam Schweizer Börsen Wien Quelle: Deutsche Börse AG (Hrsg.), Fact Book 1994, 69, Frankfurt/M. 1995 -9Umsätze in Aktien im Jahr 1994 1) (in Mrd. DM) inländ. AGs ausländ. AGs insgesamt USA New York Stock Exchange* Nasdaq* American Stock Exchange* 3 432,3 2 123,2 81,0 368,9 121,5 9,6 3 801,1 2 244,7 90,6 Tokio Stock Exchange* 1 315,0 1,2 1 316,2 1 507,4 1 870,8 6,2 275,3 740,0 26,9 1 764,6 47,9 308,0 0,6 49,3 1,0 3 272,0 2 117,1 314,2 275,9 789,3 27,9 Japan Europa London Stock Exchange** Deutsche Börsen** Paris* Amsterdam** Schweizer Börsen** Wien** * Einfachzählung. – ** Doppelzählung. 1 Bei Doppelzählung sind die Kauf- wie die Verkaufsseite jeweils für sich gezählt. Insgesamt sind die Umsatzzahlen der einzelnen Börsen nur beschränkt vergleichbar, da teilweise unterschiedliche Ausgangsgrößen zugrunde gelegt werden. Quelle: Deutsche Börse AG (Hrsg.), Fact Book 1994, 71, Frankfurt/M. 1995 Umsätze in Aktien außerhalb der Börsen im Sitzland des Emittenten 1992 in % vom börslichen Umsatz an den Börsen des Sitzlandes 100 6070 - 80 62 45 35 20 10 NL CH A D F GB Japan 10 USA Quelle: Hielscher, Udo / Stenzel, Stefan K., Umfang und Ursachen des außerbörslichen Aktienhandels: DWB 56 (1996), 523, 527