Diskriminierung an deutschen Schulen

Transcrição

Diskriminierung an deutschen Schulen
FRAGEN UND ANTWORTEN
Diskriminierung an
deutschen Schulen
NOVEMBER 2013
Es ist offensichtlich, dass Kinder mit „Migrationshintergrund“
deutlich schlechtere Schulleistungen erreichen als die
vergleichbare Gruppe aus deutschem Elternhaus.
Warum ist es Schuld des Schulsystems, dass Kinder mit
Migrationshintergrund im Vergleich zu Kindern deutscher Herkunft besser
abschneiden? Sind nicht auch andere Faktoren wie der familiäre und soziale
Hintergrund ausschlaggebend?
Die Schule hat Kinder mit Migrantionshintergrund in Schulklassen mit
überwiegend Migrantenkindern gesteckt, d.h. getrennt von Kindern deutscher
Herkunft. Dies allein stellt eine Trennung, eine diskriminierende Behandlung dar,
da Kinder aufgrund ihrer Abstammung/Ethnizität von ihrer
Altersgruppe/Klassenkameraden ausgesondert und getrennt werden. Dieser
Vorgang erfolgt nicht explizit, d.h. die Schule sagt nicht: Wir separieren diese
Kinder, weil sie einer ethnischen Minderheit angehören, aber in der Praxis/im
Endeffekt erfolgt genau das. Die Situation bestand am Leonardo Da Vinci
Gymnasium; ein Zustand der Gegenstand einer kürzlich anhängigen Beschwerde
von drei Schülern mit Migrationshintergrund war. Die Beschwerde wurde im
September von einem Richter am Verwaltungsgericht in Berlin abgewiesen.
Die formelle Begründung für die Zusammensetzung der Klassen am Leonardo da
Vinci Gymnasium war: Wahl der zweiten Fremdsprache (Französisch oder
Latein), Wahl des Religionsunterrichts (katholisch/evangelischer
Religionsunterricht oder Ethik) und “soziale” Vorlieben von Eltern, die ihre
Kinder in einer Klasse haben wollen aufgrund der Zusammensetzung an der
vorherigen Schule. Zu beachten ist, dass die Kläger in unserem Prozess nie
verlangt haben, dass ihre Kinder in dieselbe Klasse gehen. Es waren in erster
Linie die Eltern deutscher Kinder, die wollten, dass ihre Kinder in eine Klasse
gehen und die Schule ist diesem Wunsch gerne nachgekommen. Die vorliegende
Trennung ist bereits ein Affront gegen die Würde und das Prinzip von
gleichberechtigter Behandlung.
Warum gehen wir davon aus, dass eine Klasse mit einem hohen
Migrationsanteil problematisch ist? Bedeutet das nicht, dass wir sagen, dass
sie anders sind bzw. in der Tat weniger geeignet eine hochklassige
Schulausbildung zu erhalten?
Die Trennung führt für Kinder mit Migrationshintergrund zu verminderten
Intergrations- und Teilnahmemöglichkeiten im Schulleben und somit dazu, dass
sie nicht von und mit ihren deutschen Mitschülern zusammen lernen können. Dies
hat einen sehr negativen Einfluss auf ihre Schulleistungen.
Eine “Migranten”-Klasse hat das Stigma einer Klasse, die nicht besonders gut ist,
der Schüler kein vernünftiges deutsch sprechen, in der es keine Unterstützung
durch die Eltern gibt und keine wirkliche Motivation der Schüler zu lernen. Diese
Stigmatisierung resultiert in niedrigeren Anforderungen an die Schüler von Seiten
der Lehrer.
Schüler mit Migrationshintergrund benötigen meist mehr Unterstützung an einer
Schule, die hohe Anforderungen an ihre Schüler stellt; z.B werden Eltern, die
OPEN SOCIETY JUSTICE INITIATIVE
|2|
selbst Migranten erster Generation sind, ihren Kindern weniger helfen können als
Eltern von Kindern deutscher Herkunft. Einige Kinder mit Migrationshintergrund
benötigen auch Unterstützung im Hinblick auf ihre Sprachfähigkeiten. Das
Berliner Schulgesetz verlangt von Schulen die Gewährleistung einer angemessen
Unterstützung.
Es gibt es keinen Hinweis darauf, dass Kinder mit Migrationshintergrund weniger
geeignet sind eine hochklassige Schulausbildung zu erhalten. Probleme entstehen
nur, wenn die Schulbehörden annehmen, dass die Schüler nicht für eine
hochklassige (Gymnasial-) Ausbildung geeignet sind und keine Unterstützung
gewähren, wenn sie notwendig wird.
Zwei der Kinder in unserem Fall haben eine Gymnasialempfehlung
bekommen, oder? Was genau ist also schiefgegangen?
Die drei klagenden Schüler haben das erste Jahr an der Schule nicht bestanden
und sind an eine andere Schule gewechselt. Sie befanden sich in einer Klasse mit
einem weitaus höheren Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund als in
anderen Klassen an der Schule. Zudem bestand die Klasse aus Migrationskindern,
die von einer Grundschule mit Schülern mit überwiegend demselben
Migrationshintergrund stammten und als sog. “Brennpunkt”-Schule bezeichnet
werden kann. Die zuständigen Personen am Leonardo da Vinci Gymnasium
haben diese Klasse sofort als problematisch eingestuft, mit der Erwartung einer
hohen Nicht-Versetzungsquote.
Insgesamt 10 der 32 Schüler haben die Versetzung nach ihrem ersten Jahr nicht
geschafft, obwohl 28 der 32 Kinder von der Grundschule eine
Gymnasialempfehlung erhalten hatten. Nur 3 Schüler haben sich getraut sich über
den Zustand zu beschweren.
Die Schule hat keine individuelle Unterstützung angeboten um den Problemen der
Schüler zu begegnen. Sie wurden mit harten disziplinarischen Maßnahmen
sanktioniert, wie getrennter Unterricht in Klassen mit abgedunkelten Fenstern,
isoliert vom Rest der Schule, überwacht von den Sicherheitskräften an der Schule.
Die Schule hat auch nicht die generellen Herausforderungen, vor denen Schüler
mit Migrationshintergrund stehen, beachtet: die Eltern unserer Mandanten waren
nicht dazu in der Lage ihren Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen, aufgrund
von Sprachproblemen oder da sie selbst keine Gymnasialausbildung genossen
hatten.
Die Klasse wurde daher als "unwillig zu lernen", desinteressiert sowie
widerspenstig eingestuft, was im deutschen Schulsystem Synonyme für ein
Scheitern bedeutet.
Die Eltern von zweien der klagenden Schüler hatten beantragten, dass ihr Kinder
in eine andere, ruhigere und weniger problematischere Klasse versetzt werden;
ihre Bitte wurde jedoch aufgrund von organisatorischen Gründen an der Schule
abgewiesen.
OPEN SOCIETY JUSTICE INITIATIVE
|3|
Die restlichen Kinder des Leonardo da Vinci Gymnasiums verbleiben und
akzeptieren die Situation, was also ist das Problem? Behaupten wir, dass
Kinder mit Migrationshintergrung nicht Scheitern können um in einem
Gymnasium zu bestehen? Scheitert nicht auch eine ähnlich hoher Anteil von
deutschen Kindern?
Die restlichen Kinder mit Migrationshintergrund verbleiben an der Schule bzw.
akzeptieren die Situation, weil sie sich nicht trauen die Schule herauszufordern
aufgrund der negativen Konsequenzen die dies für ihre weitere Karriere haben
könnte. Im Falle des Leonardo da Vinci Gymnasiums hatten nur drei Schüler den
Mut die Schulentscheidung herauszufordern, wobei es mehr als dreimal so viele
Schüler gab, die gescheitert sind.
Selbstverständlich können und werden Kinder mit Migrationshintergrund genauso
wie deutsche Kinder am Gymnasium scheitern. Aber sie sollten eine faire Chance
erhalten die Versetzung zu schaffen und ohne Vorurteil, Stigmatisierung bzw.
Schüler behandelt werden, die nicht reinpassen und sowieso zum Scheitern
verurteilt sind.
Im Hinblick auf das Scheitern des Testjahres deutscher Schüler, ja, die Statistiken
aus den Jahren 2012-2013 zeigen, dass diese Schüler ebenfalls scheitern.
Nichtsdestotrotz war der Anteil von Migrantenkindern, die gescheitert sind
zweimal so hoch. In ihrer Vergleichsgruppe waren zweimal so viele Schüler die
so schlecht bewertet wurden dass sie die Versetzung nicht schafften.
Warum diskutieren wir dieses Problem in Deutschland? Gibt es nicht
ähnliche Probleme von Minderheiten in anderen Ländern, wie arme
Afrikanisch stämmige Amerikaner in den USA and Kinder mit
Migrationshintergrund in Großbritannien?
Die Open Society Foundations unterstützt Bildung für Minderheiten auch
anderswo in Europa und in den USA.
Das UN Menschrechtskommitee hat Besorgnis ausgedrückt im Hinblick auf die
"de facto ethnische Trennung in öffentlichen Schulen, angeblich verursacht durch
Diskrepanzen bezüglich der ethnischen Zusammensetzung in großen Stadtteilen
und der umgebenden Vororte sowie durch die Vorgehensweise wie Schulbezirke
gegründet, finanziert und reguliert werden.
Das UN-Kommitee für die Rechte von Kindern hat ernste Besorgnis ausgedrückt
im Hinblick auf die anhaltende Diskriminierung von auländischen Kindern in
Deutschland einschließlich im Bildungsbereich. Das Kommitee hat auch dazu
aufgerufen, die Bemühungen einer Reduzierung von Leistungsunterschieden zu
verstärken unter besonderer Aufmerksamkeit auf ausländische Kinder.
Das Kommittee für die Eliminierung von Rassendiskriminierung hat dazu
aufgerufen "Maßnahmen zu stärken, die die Teilnahmen von Migrantenkindern in
der höheren Schulbildng ermöglicht".
OPEN SOCIETY JUSTICE INITIATIVE
|4|
Ist das Leonardo da Vinci-Verfahren "strategische Prozessführung"?
Die Probleme der drei Kläger stellen individuelle Probleme dar. Aber sie spiegeln
die Probleme von vielen anderen Schülern mit Migrationshintergrund wieder.
Dieses Verfahren, geführt von einem lokalen Anwalt aber mit Unterstützung der
Open Society Justice Initiative, wurde für die Schüler und auf Bitten ihrer Eltern
vor dem Berliner Verwaltungsgericht geführt.
Es erforderte unglaublichen Mut der Eltern das Bildungssystem vor Gericht
herauszufordern. Auf der ganzen Welt, nicht nur in Deutschland, resultiert jeder
Versuch eines Individuums eine systematische Diskriminierung herauszufordern
intensiver Prüfung sowie Kritik von Seiten der Mehrheit, die sich nicht auf die
zugrundeliegenden strukturellen Probleme bezieht sondern auf die Situation des
Individuums, das es wagt seine diskriminierende Behandlung herauszufordern.
Die Situation der drei Schüler am Leonardo da Vinci Gymnasium wirft die Frage
von systematischer Diskriminierung auf, etwas, das irgendwann eine systemweite
Lösung erforderlich macht. Im Hinblick darauf kann dieses Verfahren als
"strategische Prozessführung" angesehen werden.
www.justiceinitiative.org
The Open Society Justice Initiative uses law to protect and empower people around the world. Through
litigation, advocacy, research, and technical assistance, the Justice Initiative promotes human rights and
builds legal capacity for open societies. Our staff is based in Abuja, Amsterdam, Bishkek, Brussels,
Budapest, The Hague, London, Mexico City, New York, Paris, Santo Domingo, and Washington, D.C.
OPEN SOCIETY JUSTICE INITIATIVE
|5|