Disneyland der Religionen
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Disneyland der Religionen
FREIZEITPARK TIERRA SANTA Disneyland der Religionen Eine Synagoge aus Pappmaché, die Schöpfung in 15 Minuten: Der Freizeitpark Tierra Santa in Buenos Aires 14.02.2008 - von Karen Naundorf von Karen Naundorf Der Franziskanermönch steht am Eingang der Synagoge und verteilt Kippot. „Buen día, möchten Sie eine?“, fragt er freundlich. Die meisten Gäste schauen ihn verwundert an, schütteln den Kopf. Dem Mönch ist das egal. Dass er heute vor der Synagoge steht, hat seine Chefin entschieden. Im richtigen Leben heißt er Emiliano und studiert Filmregie. Die Gäste gehen an Emiliano vorbei durch die Flügeltür und besichtigen die Synagoge Beit Hakneset, als wäre sie ein Museum. Sie stellen sich vor die Nachbildungen der Tora-Rollen, neben den Chanukka-Leuchter und machen Fotos. Zwei Kinder spielen. Nur ein älteres Paar im Partnerlook läuft gemessenen Schrittes durch den Raum. Doch irgendwann holen auch sie die Digitalkamera aus der Tasche und fotografieren sich gegenseitig mit der Pappmaché-Figur in der hinteren Ecke des Raumes: Ein Gelehrter mit langem Bart, der auf einer niedrigen Holzbank sitzt. Fotografieren ist auf dem sieben Hektar großen Gelände des Freizeitparks „Tierra Santa“, 20 Minuten vom Zentrum von Buenos Aires entfernt, überall erlaubt. Mehr als 2,5 Millionen Besucher waren seit der Eröffnung 1999 schon hier, die meisten aus Argentinien, Bolivien, Chile und Peru. „Multireligiös“ sei der Park, sagt Direktorin María Antonia Ferro. Doch in Tierra Santa spielt das Christentum die Hauptrolle. 30 Jesus-Figuren gibt es im Park zu sehen, die größte misst 15 Meter und fährt alle 30 Minuten mit ausgebreiteten Armen aus einem Pappmaché-Mehrzweck-Hügel in die Höhe. Die Auferstehung, so heißt diese Attraktion im Park. Dem Judentum sind eine Synagoge und die Klagemauer gewidmet. Dem Islam eine Moschee. Eigentlich sollte dort, wo heute das „Heilige Land“ am Río de la Plata steht, ein ganz normaler Freizeitpark gebaut werden. Doch das Gelände liegt in der Einflugschneise des Stadtflughafens, es gab keine Genehmigung für hohe Konstruktionen wie das Riesenrad. Ein anderes Geschäftskonzept musste her. Und so heißen die Attraktionen nicht „Wilde Maus“, sondern „Abendmahl“ oder „Riesenkrippe“. © Jüdische Allgemeine - Wochenzeitung für Politik, Kultur und Jüdisches Leben http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/2630 Seite (1/2) Am Eingang der Synagoge steht eine Mutter mit ihren Kindern. „Wir sind bereits zum zweiten Mal hier“, sagt María Inés, die katholisch ist. „Denn die Kleinen lernen etwas über andere Religionen.“ Sie ruft ihre Söhne zu sich, zeigt ihnen die Mesusa, die in einer Glasvitrine liegt und liest den dazugehörigen Text vor: „Kleiner Zylinder, der an den Eingangstüren von jüdischen Häusern hängt. In seinem Inneren befindet sich ein Manuskript, auf das die Worte des Gebets Schma Israel geschrieben sind.“ In der nächsten Vitrine hängt ein Schofar: „Hammelhorn, das einen Monat vor und während des jüdischen Neujahrsfestes als Instrument benutzt wird.“ So richtig scheinen diese Details die beiden Jungs nicht zu begeistern. „Mama, wir müssen jetzt zur Schöpfung“, sagt Pablo und zupft an der Handtasche seiner Mutter. Die schaut auf die Uhr: 18.40 soll es beginnen. „Du hast recht. Wir müssen los.“ Die Schöpfung ist eine der Hauptattraktionen im Park. 20 Minuten dauert das Spektakel, dann sind alle fertig: Giraffen, Nilpferde, Affen, Löwen, auch Adam und Eva. Das Ganze untermalt mit Bibelzitaten, Musik aus Carmina Burana, viel Dampf und einer Lasershow. Doch so kitschig die Attraktionen auch sein mögen: Viele Besucher nehmen den Themenpark ernst. In die Rillen zwischen den Kunststoff-Steinen der Klagemauer stecken sie fleißig Zettel. „Wir schicken inzwischen einmal im Jahr die gesammelten Gebete nach Jerusalem“, sagt María Antonia Ferro, die Chefin dieses seltsamen Reichs der steifen Pappfiguren. Bevor Ferro vor acht Jahren die Leitung des Parks übernahm, war sie Dekorateurin. Sie half mit, den Park zu entwerfen, der so aussehe wie „Jerusalem vor 2.000 Jahren“. Dem echten Jerusalem stattete sie nur eine Stippvisite ab, in einer Synagoge war sie noch nie. „Als wir eine für Tierra Santa bauten, habe ich mich von einem Rabbiner beraten lassen.“ © Jüdische Allgemeine - Wochenzeitung für Politik, Kultur und Jüdisches Leben http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/2630 Seite (2/2)