Reise nach Zypern …wo die Götter Urlaub
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Reise nach Zypern …wo die Götter Urlaub
Reise nach Zypern …wo die Götter Urlaub machen – Erlebnis Zypern I. Prolog vom 28. September – 12. Oktober 2006 E s war eigentlich ein Zufall, und er kam von ungefähr, dass wir diese Reise bei Eberhardt Travel buchten. Angeregt durch eine erlebnisreiche Fahrt mit diesem Unternehmen nach Zentralfrankreich im Juni 2005 folgten Martina und ich einer Einladung zur „Reisemesse“ in das World Trade Center in Dresden am 8. Oktober 2005. Unter der riesigen Glaskuppel waren, Messeständen ähnlich, am Rande zweier Gassen eine ganze Menge Holzbuden aufgebaut, jede ein Reiseland vertretend, in das man reisen konnte. Kleine Näschereien, Weinproben, Prospekte aller Art wurden angeboten. Die Anbieter waren größtenteils Vertreter der Reisebüros in diesen Ländern. In den Gängen tummelte sich eine bunte Welt des Tourismus, mit schreienden Farben, oberflächlichen Werbesprüchen und den üblichen Klischees, auf die hereinzufallen man vom breiten Publikum erwartete. Es war eine richtige Messe- nur die Produkte waren eben Reisen. Gleichzeitig lag der neue Eberhardt- Katalog für die Neue Reisesaison 2005/2006 an allen Ecken aus. Wir wussten, dass am Saisonbeginn und -ende jeweils recht preisgünstige und interessante Reisen, vor allem für die treuen Kunden ausgelobt wurden. Der erste Blick fesselte mich: Korsika! Ich konnte Martina begeistern, und wir buchten sofort eine Busreise für das zeitige Frühjahr 2006. Endlich würden wir diese herrliche Mittelmeerinsel kennen lernen. Dann bummelten wir entspannt durch die Budenstraßen, die von einem fürchterlichen Lärm aus überzogenen Lautsprechern und von neugierigen Besuchern angefüllt waren. Es zog mich zum Stand von Frankreich, weil ich gerne noch eine Fahrt dorthin unternehmen wollte, obwohl ich gerade gebucht hatte. Ein Glas Rotwein beschwingte uns. Gedanklich befanden wir uns im Mittelmeer. Eine Elsaß- Reise wäre uns noch recht gewesen oder eine in die Normandie und Bretagne. Auch der warme Süden zog uns beide schon immer an. Die Reisen in die Adria nach Kroatien tauchten in der Erinnerung auf. Dann wollten wir schon lange nach Griechenland, ins Land der Antike. Spanien und Portugal war sehr lange schon ein Ziel. Auf meiner Warteliste ruhten weiter die Mittelmeerinseln Sizilien, Sardinien, Kreta, Rhodos, Malta, und plötzlich standen wir vor einem Stand, wo eine junge Frau mit viel Verve für ihr Heimatland Zypern warb und mein Interesse weckte. Sie zeigte auch gleich im Katalog eine große Rundreise durch Zypern – ich wollte, wenn ich uns diesem weiten Flug aussetzte - schon so viel wie möglich von der Insel sehen. Wir traten näher. Frau Ismini, so hieß sie und vertrat hier ihr zyprisches Reisebüro „ISMINI –TRAVEL“, versprach uns mit eifrigen Worten eine interessante und vielseitige Reise, sie verstand es, Martina und mich für diese Fahrt zu erwärmen. Der Haken war geworfen und saß im Fleisch. Der Entschluss für unsere gemeinsamen Reisen wurde immer spontan getroffen. Wir haben nie lange gezögert und waren noch nie enttäuscht. Wir nahmen so viel Prospekte, Karten und Informationsbroschüren mit, wie es zu diesem Lande gab. Wir waren beide von ihrem freundlichen Wesen sehr eingenommen, und als Frau Ismini uns versprach, zu dieser Reise unsere Führerin zu sein, hatte sie uns gewonnen. Zu Hause besprachen wir alles noch einmal, studierten die Reise genau, wogen die Finanzen und Martinas Urlaubsmöglichkeiten ab und legten uns fest. Fast ein Jahr dauerte es nun, bis der Reise- Termin heranrückte. Unterdessen besuchten wir im Frühjahr 2006 die herrliche französische Mittelmeerinsel Korsika. Im Juni verbrachten wir © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 1 10 Tage in Kärnten/Österreich, auf dem Reißeck in 2200 Meter Höhe. Schnee zur Sonnenwendfeier! Nun rückte das September- Ende heran. Martin nervte mich, doch im Internet nach dem Wetter auf Zypern zu fahnden. Ich fand im Netz Tagestemperaturen um die 30 Grad. Dann kam das Kofferpacken. Martina räumte die Schränke leer, probierte unsere Koffer aus- das übliche Zeremoniell. Also flogen die warmen Sachen wieder in den Schrank zurück. Das Bundsministerium für Auswärtige Angelegenheiten meldete keine Reisewarnungen. Manch einer der Bekannten äußerte Bedenken: „Nee, nach Zypern würde ich nicht fahren!“ Warum, konnten sie mir nicht erklären. Abneigung, um nicht zu sagen Angst, hörte ich heraus wegen der unsicheren Verhältnisse in Nahost. Vorurteile. Wir aber wollten nach Zypern! Gehört es noch zu Vorderasien? Politisch gehört es seit dem 1. Mai 2004 zur Europäischen Union. Schon zu Hause beschäftigte mich die besondere Lage der Insel, und ich recherchierte einiges dazu. Welch strategische Brisanz diese Insel im Mittelmeer darstellt, mag man sich an den Entfernungen zu drei Kontinenten klar machen. Seine geografische Lage bildet die Schnittstelle zu Asien, Afrika und Europa. Seine Entfernung zur Südküste des türkischen Festlandes beträgt 75 km, zur Westküste Syriens zirka 95 km. Nach Ägypten sind es ungefähr 325 km. Es ist die östlichste Insel im gesamten Mittelmeer und ist politisch gespalten. Die Republik Zypern, in die wir reisten, bildet heute den südlichen, griechischen Teil, EUMitglied, mit Ambitionen und dem rechtlichen Anspruch auf die ganze Insel (5384 km2). Abgetrennt davon und kontrolliert von den Vereinten Nationen ist die Türkische Republik Nordzypern (3355 km2). Relikte aus der britischen Kolonialzeit sind die Selbständigen Militärbasen Akrotiri bei Limassol und Dhekelia bei Larnaca (255 km2). Die neutrale UNPufferzone nimmt noch einmal etwa 4% des Landes ein. Zur wechselvollen und blutigen Geschichte Zyperns komme ich später. Zunächst verschaffte ich mir einen groben topografischen Überblick. Zwei Gebirgszüge durchziehen die Insel: Die zur Küste hin abfallende, sonst schroffe Kette des Pentadaktylos (Beşparmak) im Nordosten und das vulkanische, waldreiche Troodos-Gebirge im südlichen Landesinnern, mit dem Olympos (1.952 m) als höchster Erhebung. Die rund 700 km lange Küste bietet teils ausgedehnte Sandund Kiesstrände sowie steil abfallende Felsküsten mit kleinen Buchten. Zypern besitzt ein mediterranes Klima mit deutlich kontinentaler Ausprägung. Die südliche Lage bedingt höhere Temperaturen als im nördlichen Mittelmeerraum, und von der © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 2 levantinischen Küste wehen oft heiße Wüstenwinde übers Meer. Das Mittelmeer um Zypern hat die höchsten Wassertemperaturen im gesamten Raum. Im Februar werden etwa 17 °C, im August um 28 °C erreicht. Das Land leidet chronisch unter Wassermangel. Regen fällt vor allem von Dezember bis April. Von Mai bis November ist es trocken und vor allem im Landesinneren z. T. sehr heiß. Nikosia hat im Juli und August eine durchschnittliche Höchsttemperatur von 37 °C, was nur 2 °C unter der Temperatur in Dubai liegt, aber 8 °C wärmer ist als auf Mallorca. In Extremfällen steigt das Thermometer im Zentrum der Insel im Hochsommer auf 47 °C. An den Küsten ist es während des Sommers meist am Tag 30 bis 35 °C warm, Die Insel Zypern vom Satelliten gesehen in der Nacht kühlt es auf 20 bis 23 °C ab. Der Westen der Insel um die Stadt Paphos ist 2 bis 4 °C kühler als der Osten. Im Winter liegen die Temperaturen zwischen 15 °C und 20 °C am Tage, von Zeit zu Zeit auch darüber, selten darunter. Oberhalb von 1 500 m kann es Schnee geben. Ich las auch über Bevölkerung, Religion, Städte, Bodenschätze, Landwirtschaft, Kultur eine ganze Menge nach. Doch das will ich später einflechten, wenn es gerade passt. Mit derlei nützlichen Informationen ausgerüstet, mit wachem Sinn und offenen Augen machte ich mich also auf, während Martina verständlicherweise ihre Erwartungen auf den Komfort und die Erholungsmöglichkeiten in den Hotels gerichtet hatte. II. Flug nach Larnaca Donnerstag, 28. September 2006 er Reiseveranstalter war spendabel und lud uns zu einem Frühstück um 10.15 Uhr in das Flughafenrestaurant ein. Wir waren vorher mit unserem Gepäck zur Straßenbahn Nr. 10 gerollert und zum Hauptbahnhof gefahren, in die S-Bahn umgestiegen und bequem im Untergeschoss des Flughafenterminals Dresden gelandet. Martina kostete das nichts- sie besaß eine Abo- Karte der Dresdener Verkehrsbetriebe, und ich bezahlte gerade mal 1,70 € für eine Stundenkarte. Dagegen kostet der Haustürtransfer von Eberhardt 40 € pro Person! D Wir besorgten vorsichtshalber noch einen Adapter im Shop, weil auf Zypern noch englische Stromnormen gelten. Erstes Begrüßen und Guten-Tag-sagen. Bekanntschaft mit Frau Latta, unserer Reisebegleiterin, die die Flugscheine ausgab. Kurzes Schlange-Stehen am Abfertigungsschalter. Einchecken ohne besondere Vorkommnisse. Warten in der Transitzone. Martina wollte ein Buch kaufen. Sie gab 10 € aus für Jonathan Franzen „Schweres Beben“. Das Flugzeug hatte Verspätung. Ein Grund wurde nicht genannt. Abflug sollte sein 12.15 Uhr. 40 Minuten später stiegen wir über die Gateway an Bord einer Boeing 737-800 und hoben mit ECA 833 der zyprischen Fluggesellschaft Eurocypria Airlines ab. Wir hatten auf Nachfrage am Notausgang einen Sitz bekommen und daher Beinfreiheit fast wie in der Business- Klasse. Das zahlt sich auf dem viereinhalb- stündigen Flug aus. Bildhübsche Stewardessen mit kecken gelben Kappen bedienten uns. Neben mir als dritter in der Sitzreihe hatte ein Mann Platz genommen, der von seiner Frau durch den Gang getrennt wurde. Er sprach wenig während des Fluges und rätselte Kreuzwort. Ich schielte zu ihm hin und bewunderte seine eigenartigen Buchstaben, die er flink mit © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 3 affenartiger, designerschnellen Sicherheit in die Kästchen eintrug. Sie hatten die Schriftform von Russischbrot- wer das kennt, doppelwandig. Das hatte ich noch nie gesehen. Unterwegs teilte man uns verbindlich mit, dass wir in Paphos zwischenlanden werden, aber im Flugzeug verweilen dürfen, das heißt der Flieger setzt einen Teil der Passagiere in der westlichen Touristenzone der Insel ab, während wir unser erstes Quartier an der Südostspitze in Protaras beziehen werden. Nun hatte mich die ganze Zeit während der Vorbereitung auf diese Reise ein Problem beschäftigt, mit dem ich mich aus Prinzip bei Reisen in jedes Ausland vorher befasse, nämlich die Sprache des jeweiligen Landes, in diesem Falle die griechische Sprache. Es ist ja so, dass jeder der eine Fach- oder Hochschule absolviert hat, oder auch schon vorher beim Abitur, in Mathematik, technischen oder Logikfächern, fast alle Buchstaben des griechischen Alphabetes in irgendeiner Formel kennen lernt. Wer aber griechische Schrift lesen muss, in zusammengesetzten Wörtern oder Sätzen, steht vor ganz anderen Problemen- der Aussprache und dann, falls er lesen gelernt hat, natürlich den Vokabeln. Für mich galt es, die erste Hürde zu nehmen, die Buchstaben und ihre Aussprache zu studieren und dann die zweite, einige Wörter, stehende Floskeln und die Zahlen zu erlernen. Dabei half mir über die erste Hürde ein kleines „KauderwelschWörterbuch“ hinweg, das nur mit der lateinischen Lautumschrift operierte. Und damit auch gleich über die zweite. Ich brauchte mir das griechische Schriftbild nicht einzuprägen. Das war meinem Anliegen ungemein förderlich, so dass ich bald Bitte, Danke, Guten Tag, Seid gegrüßt, Wo finde ich…? Rechts, links und anderes sagen konnte. Die Aussprache musste ich noch lernen. Den ersten griechischen Satz fand ich an der Rückenlehne meines Vordersitzes: ΔΕΣΤΕ ΤΗ ΖΩΝΗ ΑΣΦΑΛΕΙΑΣ ΣΑΣ, was vielleicht gesprochen wird wie „deste ti zoni asfaleias sas“. Ich buchstabierte eine ganze Weile daran herum und wusste natürlich, dass es hieß: „Fasten your seatbelts while seated“ , weil es daneben stand oder in deutscher Sprache etwa „Bleibe im Sitzen angeschnallt“. Im Übrigen sahen wir nicht viel durch das kleine Bullauge. Wir flogen viel über Gebirge, später über Wasser. Kleine und größere Inseln schwammen in der blauen Wasserfläche. Einige Male ruckelte der Flugkörper, dann ging das Anschnallsignal an. Aber das war nicht groß beunruhigend. Man darf sich, wenn man einmal drinsitzt in so einem Technikvogel, keine Gedanken machen über Not- und Rettungsmaßnahmen. Wenn abgestürzt wird, ist sowieso Ultimo und die Überlebenschance Null. Wozu also solche Fiktionen. Es wurde schnell Nachmittag, zumal wir die Uhr um eine Stunde vorstellen mussten. Wer grob mitrechnet: Wir flogen gegen 13 Uhr los. Der Flug dauert etwas über vier Stunden. So um 17 Uhr Ortszeit kam am Horizont Land in Sicht, unsere Insel Zypern, die wir von Westen her anflogen. Schon begann die Dämmerung die große Laterne zu dimmen. Ich war überrascht von der Dimension der Stadt Paphos, über der wir zur Landung herabgingen. Ein riesiges Häusermeer überzog den Küstenstreifen. Es sah aus wie Kolonien von Riesen- Pusteln, die weißen Häuser, ohne die von uns gewohnten roten Dächer. Landeanflug auf Paphos Hier sind die Häuser flach gedeckt. Viele haben eine Betonterrasse oben. Die Sonne brach noch einmal aus den Wolken und beleuchtete das Land. Wir sahen durchs Fenster, wie sich die © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 4 Bremsklappen heraus schoben, das Flugzeug Geschwindigkeit und Höhe verlor, der Pilot es langsam auf die Landebahn zusteuerte, die wir nicht sahen. Die Boeing bumperte auf die Rollbahn. Wir spürten die gewaltigen Bremskräfte, die der Pilot auf die Räder brachte. Die Passagiere spendeten den üblichen Beifall. Zwischenlandung in Paphos 17.30 Uhr Ortszeit. Wir blieben sitzen, hoffend, dass es nicht so lange dauern würde. Eine halbe Stunde mussten wir auf unseren Sitzen ausharren, ehe die Motoren wieder angingen und unser Vogel sich wieder in die Luft schwang. Nun flogen wir in der zunehmenden Dunkelheit an der Südküste Zyperns entlang. Rechts war nichts als Meer, links immer dunkler werdende Landmasse. Vielleicht 25 Minuten dauerte dieser „Inlandflug“, bis wir um 18.30 Uhr in Larnaca erneut zu Boden gingen. Auch diese Landung glückte. Nun waren wir dran. Die Maschine war schon halb geleert. Schnell erreichten wir Transitraum, Passkontrolle und steuerten auf das Gepäckkarussell zu. Unterwegs tauschte ich 200 € in 108.20 CYP um. Die nationale Währung Zyperns ist das Zypern-Pfund (int. Kürzel CYP). Ein Zypern-Pfund ist (seit 1983) 100 Cent (Σεντ) (und war davor 1000 Mils). Am 29. April 2005 trat Zypern dem EuroWechselkursmechanismus II bei zu einem Leitkurs von 1 EUR = 0,585274 CYP und darf um diesen Mittelkurs ±15 % schwanken. Der Euro könnte frühestens im Sommer 2007 eingeführt werden. Allerdings ist die Einführung für den 1. Januar 2008 geplant. Ob Zypern es schaffen wird, alle nötigen Umstellungen rechtzeitig vorzunehmen, ist noch fraglich. Mit Sicherheit wird man spätestens im Jahr 2009 die ersten Zypern-Euros zirkulieren sehen. Wenn ich den Kurs aus diesem Untausch errechne, lande ich bei 0,541 CYP für 1 €. Wir rechneten künftig immer mit 1:2 und kamen gut Motive aus Geschichte und hin damit. Mythologie auf der 20-Pfund-Note Am Gepäckstand sprach uns eine beflissene, scheinbar halbamtliche Frau in Englisch an, mit einer Frageliste in der Hand. Ich stellte mich ihr, wusste aber nicht so recht, was sie von uns wollte. Ich schielte mit einem Auge auf das Gepäckband, das einen Koffer nach dem anderen an uns vorbei transportierte, aufgeregt, während ich versuchte herauszufinden, was die Frau wissen wollte, Reiseziele auf der Insel, kulturelle Absichten…Als ich unsere Koffer sah, wandte ich mich abrupt von ihr ab. Ich liebe Befragungen nicht sehr. In der Nebenhalle sammelten wir uns vor den Schaltern der Reisebüros und bekamen zum ersten Male einen Überblick über unsere Reisegruppe, die ich auf etwa 30 Personen schätzte. Wir erfuhren, dass vier Personen von Hellas- Reisen bei uns mitreisten. Und wir lernten Antonio kennen. Er stapfte in dem Dieselgestank vor dem Terminalgebäude vor uns her und lenkte uns zu dem Bus, der uns die restlichen 40 km vom Flughafen Lacarna in unser Hotel nach Protaras brachte. Als wir ausstiegen, gerieten wir in eine feuchte Wärme, die noch am Abend vielleicht 28 Grad ausstrahlte. Aber gleich empfing uns die klimatisierte Atmosphäre der Hotel- Lobby des Beach- Hotels CAVO MARIS, in dem wir vier Nächte Hotel CAVO MARIS, Protaras, Meerblick verbringen werden. Unser Zimmer besaß einen Balkon, von dem aus wir das Meer sehen konnten und den Widerschein der untergegangenen Sonne beobachten. Dann verlieren wir uns in der © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 5 unübersehbaren Menge im riesigen Speisesaal des Hotels, an dessen Buffets so etwas wie Schlaraffenland herrschte. Nach dem Abendessen wollen wir noch im Ort Wasser kaufen gehen. „Metallicó nero“. Mineralwasser. Antonio gab uns den Hinweis, wo der „Supermarkt“ zu finden sei, gleich über die Straße. Leider sahen wir gerade, wie der Besitzer in seinen kleinen Toyota stieg und vor unserer Nase nach Hause fuhr. Als wir über die Straße gingen, erlebten wir eindringlich die Umstellung auf den Linksverkehr, der hier vom ehemals englischen Kolonialherrn eingeführt wurde. Die Klimaanlage auf dem Zimmer ist so geräuschvoll, dass wir sie in der Nacht ausstellen müssen. Freitag, 29. September 2006 III. Rote Dörfer – Dherinia - Pyla Am Morgen frühstückten wir erst einmal inmitten der vielen Gäste, die hier stationär ihren Badeurlaub im Hotel verbringen. Ich stellte fest, dass meine Befürchtungen, nicht genug Griechisch zu können, unbegründet sind. Ich hatte das Gefühl, ich bin in England. Neben einigen Russen sind die Mehrzahl der Gäste Engländer und Deutsche. Auch draußen spricht jeder Englisch. Also kein Sprachproblem. Das Frühstücks- Buffet ist demzufolge sehr britisch: Gekochte Bohnen, gedünstete Tomaten, Rührei und gebackener Speck und hot sausages, heiße Würstchen, Toast und klebrig-süße Baguettes. Doch als „continental breakfaster“ konnte man sich auch Protaras, Hotel CAVO MARIS, Swimming ernähren. pool der Sitz auf der überdachten Terrasse mit dem schönen Blick über die Viel Freude machte uns Palmen und den blühenden Oleander hinweg auf das blaue Wasser des Pools. Hungrige, freche Sperlinge umflatterten uns, um einige Brösel zu erhaschen. Die Luft jetzt um 8 Uhr ist herrlich, nicht zu kalt und nicht zu warm. 8.40 Uhr sammelten wir uns im Bus. Der Kraftfahrer Michail wurde uns von Antonio vorgestellt, ein junger unverheirateter Mann mit der Leidenschaft fürs Essen. Wir fuhren nordwärts über Paralimni nach Dherinia (griech. Deryneia) direkt an die Demarkationslinie zum türkisch besetzten Teil. Das "Land der roten Erde" im Südosten, die Kokkinochoria, was etwa dasselbe heißt, gilt als Gemüsegarten Zyperns, mit Kartoffeln, Auberginen, Tomaten, Gurken, Zwiebeln und anderen Arten. Hier werden die meisten Kartoffeln der Insel geerntet, was ich bestätigt fand, denn als wir in Paralimni hielten, um Geld in einer Bank zu tauschen, beobachtete ich mehrere Kleinlaster, hoch beladen mit den rotbraunen Knollen. Und auch die roten Felder konnte ich im Vorbeifahren sehen, jetzt im beginnenden Herbst schon umgepflügt. Eisenmineralien mögen für die intensive rotbraune Farbe und vielleicht auch für die Fruchtbarkeit der Erde sorgen. Die kleine Stadt Paralimni wurde nach der überfallartigen türkischen Besetzung 1974 der Region Ammochostos, deren Hauptstadt Famagusta (türk. Gazimağusa) ist, zum vorläufigen Verwaltungsmittelpunkt des Regierungsbezirkes. Ich muss nun davon reden, dem giftigen Pfeil, der jedem rechtschaffenen zypriotischen Griechen im Herzen steckt. Man muss sich als Besucher dieser Insel darüber aufklären. 1963 gab es Unstimmigkeiten zwischen dem "türkischen"/muslimischen (19 %) und "griechischen"/griechischorthodoxen (80 %) Teil der ethnisch vermischten Bevölkerung über Verfassung und Gesetze, Ausübung der Staatsgewalt usw. Dieser Streit, von Extremisten auf beiden Seiten systematisch eskaliert, machte ein weiteres gemeinsames Regieren unmöglich. Die türkisch-zyprischen Regierungsmitglieder zogen sich aus der Regierung zurück und strebten seitdem ein selbstverwaltetes Gebiet an, während viele griechischsprachige Zyprioten den © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 6 Anschluss an Griechenland (Enosis) anstrebten. Am 15. Juli 1974 kam es zum Putsch der griechisch-zyprischen Nationalgarde gegen Präsident Makarios. Nachdem Makarios von der Insel nach Malta geflohen war, führte die Türkei als Garantiemacht gemäß dem Londoner Garantievertrag unter dem Eindruck eines drohenden Anschlusses Zyperns an Griechenland eine Intervention auf dem Nordteil der Insel durch. Seitdem hat die Türkei in einem Gebiet, das ca. 37 % der Insel entspricht, Truppen stationiert. 1977 starb Makarios, und Spyros Kyprianou folgte als Präsident. Dieser wurde von der Türkei und den türkischen Zyprern allerdings nicht anerkannt. Daraufhin veranlasste der griechische Süden Wirtschaftssanktionen gegen den Norden. Der Norden seinerseits antwortete nach Verfolgungen und Tötungen türkischer Zyprer mit der Vertreibung von mehreren zehntausenden griechischen Zyprern und der Ansiedlung von mehreren zehntausend Türken aus der Türkei, wodurch das zahlenmäßige Gewicht des türkischen Bevölkerungsanteils gegenüber den griechischen Zyprern erhöht wurde. 1983 wurde auf dem Nordteil der Insel die Türkische Republik Nordzypern ausgerufen, die allerdings nur von der Türkei anerkannt wird. Türkische Republik Nordzypern Verhandlungen unter Führung der UN sollten eine Annäherung beider Seiten bringen - eine Abstimmung über eine Wiedervereinigung scheiterte jedoch am Referendum 2004 in Südzypern, deren griechische Bevölkerung den Wiedervereinigungsversuch mit 3/4-Mehrheit ablehnte, während die türkische Bevölkerung in Nordzypern mit großer Mehrheit für die Vereinigung stimmte. Es war ein Konzept nach dem Vorbild der Schweiz vorgesehen. Zypern sollte ein Staatenbund aus zwei Teilstaaten werden, deren Einwohner sowohl die zyprische als auch die Staatsangehörigkeit des Landes, aus dem sie stammen, erhalten. Am 4. Juni 1990 wurde der Beitrittsantrag Zyperns zur Europäischen Union gestellt, der letztlich für die gesamte Insel gilt, da auch die EU die Türkische Republik Nordzypern nicht anerkennt. Seit Mai 2004 ist die Republik Zypern Mitglied der Europäischen Union. Republik Zypern Antonio ließ uns nach der Durchfahrt durch das Landstädtchen Dherinia, die einige hübsche Kirchen aufwies, hindurch zu einer Anhöhe, die durch ein schönes weißes Gebäude gekrönt war. Es ist ein Aussichtspunkt, von dem wir über die Demarkationslinie und die tote Pufferzone hinüber sehen konnten nach Famagusta. Antonio teilte uns mit, dass er dort noch ein Haus besitzt, das Haus seiner Eltern, aber Türken aus Anatolien darin wohnen, die von der türkischen Regierung nach der Vertreibung der griechischen Zyprioten dort angesiedelt wurden. Wird er sein Haus wieder zurückbekommen? Green Line Östlicher Teil Zyperns © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 7 Er zeigte uns voller Hochachtung eine zierliche Frau, die um ihr Haus in Famagusta kämpfte, die nach seiner Schilderung als Privatperson die Türkische Republik vor dem Internationalen Gerichtshof der EU in Den Haag auf Herausgabe und Entschädigung angeklagt hatte. Sie hätte schon mehr als eine Million Euro Kosten aufgewendet. „Morgen entscheidet sich ihr Prozess“, meinte er. Leider haben wir ihn nicht mehr danach gefragt, wie es ausgegangen ist. Wie sehr die griechischen Zyprioten unter der Besetzung und Abschneidung des nördlichen Teils ihrer Insel leiden, ist in dem kleinen Museum dokumentiert, das wir in aller Kürze ansehen. Ein Diorama der Stadt Famagusta, unter Glas, zeigt mit vielen Lämpchen die Struktur, die munizipalen Gebäude und Sehenswürdigkeiten dieser Stadt. Oft wird von Geisterstadt gesprochen. Viele Hotels stehen leer und beherbergen notfalls Ratten, dennoch glaube ich, dass die Türken die Stadt wieder bevölkert haben, nachdem die Griechen verjagt und teilweise deportiert worden sind. Der Protest gegen diese völkerrechtswidrige Invasion 1974 hält an. Die Texte und Fotos beweisen es. Und mit diesem Schandfleck, neben dem nicht eingestandenen Völkermord an den Armeniern 1915/16, will die Türkei gleichberechtigtes Mitglied der Europäischen Union werden! Wie sieht das die griechische Seite von Zypern? Ich zitiere ein Flugblatt, das ich im Museum entgegennahm. Die obigen Bilder und der folgende Text erklären die Sorgen und politischen Nöte der Inselbewohner, besonders der im griechischen Teil der rechtmäßigen Republik Zypern: Die türkische Militäraggression gegen Zypern dauerte die letzten 31 Jahre ungehindert an. Militärbesatzung, gewaltsame Teilung, Verletzung der Menschenrechte, massive Kolonialisierung, Kulturraub und Denkmalzerstörung, Eigentumsaneignung und ethnische Segregation sind die Hauptmerkmale des durch die Türkei aufgezwungenen Status quo. Die Türkei, ein EU- Bewerberland, ist heute für die internationale Aggression gegen ein EU-Mitgliedsland verantwortlich. Dies ist sicherlich völlig unakzeptabel, eine Herausforderung der internationalen Gesetzlichkeit und eine Gefahr für die Sicherheit und Stabilität in der Region, welche dringend aufgehoben werden muss. Im Juli 1974 marschierte die Türkei in Verletzung aller geltenden Prinzipien des Völkerrechts in die Republik Zypern ein. Die unheilvollen Folgen der Invasion und des darauf folgenden Militäreingriffs der Türkei in Verletzung der UN-Feuereinstellungsvereinbarungen sind für das Volk des neuen EU-Mitgliedstaates stets spürbar. 36,7 % des Territoriums der Republik Zypern ist unter türkischer Besetzung. 142 000 griechische Zyprer d.h. etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung wurden aus dem besetzten Norden vertrieben, wo sie 70 % der Einwohner darstellten; sie haben keinen Zugang zu ihren Häusern und Besitztümern. Etwa 1 476 Personen (darunter einige Hunderte Zivilisten) gelten als vermisst, wobei die türkische Seite jede Zusammenarbeit zur Ermittlung ihres Schicksals verweigert. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 8 Etwa 535 Eingeschlossene (aus einer Gesamtzahl von 20 000 im Jahre 1974) sind in ihren besetzten Dörfern verblieben und werden heute Unterdrückung, Einschüchterung und Belästigungen ausgesetzt. Eine 43 000 Mann starke türkische Armee mit modernster Ausrüstung, von Luftwaffe und Marine unterstützt, ist im besetzten Gebiet stationiert, wodurch es zum am stärksten militarisierten Gebiet der Welt verwandelt wird. 119 000 Festlandtürken aus Anatolien wurden im besetzten Gebiet mit dem Ziel der gewaltsamen Änderung der demographischen Struktur der Insel angesiedelt. 57 000 türkische Zyprer (aus einer Gesamtzahl von 116 000) sind seit 1974 vom besetzten Gebiet ausgewandert und zwar wegen der dort herrschenden wirtschaftlichen, sozialen und moralischen Verelendung, so dass die Zahl der türkischen Siedler und der Soldaten jene der türkischen Zyprer übertrifft. Die gesetzwidrige Bebauung griechisch-zyprischer Grundstücke und der illegale Verkauf griechischzyprischen Bodenbesitzes, aus dem die griechischen Zyprer durch die türkische Invasion gewaltsam vertrieben worden sind, wird fortgesetzt und Wandbild im Cultural Centre of Occupied intensiviert. Diese präzedenzlose Aneignung von Famagusta (Ammochostos) Eigentum ist eine weitere Verletzung der Menschenrechte durch die türkische Seite. Das Okkupationsregime und die Türkei wenden methodisch einen langfristigen Plan zur Ausmerzung des griechischen und christlichen kulturellen und historischen Erbes an: Mindestens 77 Kirchen wurden in Moscheen verwandelt. Mehr als 133 Kirchen und Klöster wurden geschändet. 18 Kirchen werden von den Besatzungstruppen als Munitionslager, Baracken und Militärhospitäler benutzt. 13 Kirchen werden als Ställe und Scheunen benutzt. Die Friedhöfe von mindestens 25 Dörfern wurden geschändet und zerstört. Zahlreiche Ikonen, religiöse Weihgefässe und verschiedene archäologische Schätze wurden geraubt und ins Ausland geschmuggelt. Illegale Ausgrabungen und ein unverhüllter Antiquitätenschmuggel finden massenweise im geheimen Einverständnis mit dem Besatzungsregime statt. Die griechischen Ortsnamen werden willkürlich durch türkische ersetzt. In einer ganzen Reihe von Resolutionen der UN-Vollversammlung, des Weltsicherheitsrates sowie anderer internationaler Organisationen wurden die Invasion und die fortgesetzte türkische Besetzung verurteilt sowie die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimatorte unter Sicherheitsbedingungen, die Ermittlung des Schicksals der Vermissten und der Respekt der Menschenrechte aller Zyprioten sowie der Unabhängigkeit, Souveränität und territorialen Integrität Zyperns gefordert. Selbst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte befand die Regierung der Türkei der groben und systematischen Verletzungen der Menschenrechte auf Zypern für schuldig. Blick über die von der UN bewachte neutrale Pufferzone über die „Green line“ auf Famagusta © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 9 Wiederholte Gesprächsrunden zwischen der griechisch-zyprischen und der türkischzyprischen Seite haben seit 1975 stattgefunden. Es wurde jedoch kein Fortschritt erzielt und dies aufgrund der Haltung der türkischen Seite, die diese untergraben hat und eine Lösung angestrebt hat, die Zypern zweigeteilt aufrechterhalten sollte, und die Insel zur Geisel fremder Interessen verwandelt hätte. Die griechischzyprische Seite bestand auf der wahren Wiedervereinigung der Insel und ihres Volkes. Die jüngsten UN-Bemühungen resultierten in der Unterbreitung eines Plans durch den UNGeneralsekretär für eine umfassende Lösung des Problems. Am 24. April 2004 wurde das Volk Zyperns aufgefordert, den vom UN-Generalsekretär Kofi Annan vorgeschlagenen Plan für eine umfassende Lösung der Zypernfrage (Annan Plan V) in separaten und gleichzeitigen Referenda anzunehmen oder abzulehnen. Eine klare Mehrheit von 75,8 % der griechischen Zyprer empfand, dass der endgültige Text, in den willkürlich viele in der letzten Minute durch die türkische Seite gestellten Forderungen aufgenommen wurden, nicht ausgeglichen war und ihren wichtigsten Besorgnissen in Bezug auf die Sicherheit, Funktionsfähigkeit und Lebensfähigkeit der Lösung nicht entgegenkam. Die negative Stimme der griechischen Zyprer war keine Verweigerung der Wiedervereinigung Zyperns, die ihr wichtigstes Ziel verbleibt. Sie haben einen konkreten Plan abgelehnt, der ihnen vorgebracht wurde. Sie haben ebenfalls ihren türkischen Landleuten nicht den Rücken gekehrt. Sie arbeiten für eine Lösung, welche den Erwartungen beider Gemeinschaften entsprechen wird. Die "Nein"- Stimme im Volksentscheid sollte als ein legitimer Ausdruck der realen Befürchtungen ausgelegt werden, welche zur Ablehnung eines mangelhaften Plans führten, in dem folgendes nicht vorgesehen wurde: Der Rückzug der fremden Truppen aus Zypern und die Eliminierung des Rechtes der fremden Mächte, einseitig auf Zypern einzugreifen. Angemessene Garantien zur Sicherung dessen, dass die durch die Parteien eingegangenen Verpflichtungen erfüllt werden. Ein System der Wiederherstellung des Besitzes, das die Rechte und Interessen der griechischen Zyprer wahrt, welche 1974 gezwungen waren, ihre Heimatorte zu verlassen, sowie die Regelung der Besitzentschädigung, so dass die griechischen Zyprer nicht gezwungen werden, ihre eigene Rückerstattung zu finanzieren. Das Recht aller Zyprer, dort Besitz zu erwerben und zu wohnen, wo sie es wünschen, ohne einschränkende Quoten. Eine funktionsfähige Regierung ohne Sackgassensituationen oder Wahleinschränkungen aufgrund der ethnischen Herkunft. Die Regierung der Republik Zypern strebt die Fortsetzung der Bemühungen um eine Lösung an, bis durch beide Parteien ein Rahmen erzielt wird, der den Befürchtungen des ganzen zyprischen Volkes entgegenkommt. Damit eine Lösung lebensfähig sein kann und der Zeitprobe standhalten kann, muss diese gerecht sein und als solche von den Menschen empfunden werden, die damit leben müssen. Die Lösung muss folglich demokratisch, gerecht, funktionsfähig, finanziell lebensfähig sein und den EU-Prinzipien, dem Völkerrecht und den demokratischen Normen, der Menschenrechtskonvention und den UN-Schlüsselresolutionen entsprechen. Zypern muss ein einheitliches Land verbleiben und volle Souveränität, territoriale Integrität und Unabhängigkeit genießen. Ebenfalls darf keine fremde Einmischung in die inneren Angelegenheiten Zyperns gestattet werden. Zypern trat am 1. Mai 2004 der EU bei, ohne jedoch sein Ziel zu erreichen, sich als ein vereintes Land der Europäischen Familie anzuschließen. Die Zyprer streben jedoch weiterhin eine lebensfähige und dauerhafte Lösung an, die sowohl den griechischen als auch den türkischen Zyprern erlauben wird, friedlich zusammenzuleben, wie sie dies im Laufe von vielen Jahrhunderten getan haben, und die Vorteile der EU-Mitgliedschaft zusammen zu genießen. In einem vereinigten Land, EU-Mitglied, wird © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 10 das zyprische Volk imstande sein, das Potential seiner kulturellen Vielfalt voll auszunutzen und sich eines Lebens in Frieden und Prosperität zu erfreuen. Die Weltgemeinschaft soll dem zyprischen Volk helfen, eine wahre Wiedervereinigung zu erzielen unter den neuen durch den EU-Beitritt Zyperns entstandenen Gegebenheiten. Der Status quo der Militärbesatzung und Teilung eines unabhängigen, souveränen Staates, EU- und UN-Mitglieds, ist völlig UNAKZEPTABEL. Das sind die Worte, die mir ins Gedächtnis greifen. Ich denke dabei, dass unsere Deutsche Bundesrepublik über drei Millionen türkischen Wirtschaftsflüchtlingen eine Heimat gegeben hat, die ihrerseits mächtigen Druck machen, dass die zu 97% in Asien befindliche, voll islamisch orientierte Türkei in die EU aufgenommen wird, ein Staat, der die nationale Minderheit der Kurden unterdrückt, Zypern besetzt hält und seine Geschichte nicht aufgearbeitet hat. Aufmerksam hörten wir Antonio zu, der uns die Probleme seines zyprischen Volkes eindringlich nahe brachte. Dann lenken wir in Dherinia um und fahren nun entlang der Demarkationslinie durch die Felder mit der roten Erde. Wir passierter Frisoulles. Die Kartoffeln werden hier dreimal im Jahr geerntet, brauchen von Saat bis zur Reife durchschnittlich nur 105 Tage! Antonio bemüht sich um persönliche Randnotizen. Er beschwört die natürliche Lebensweise seiner Jugendzeit in den Dörfern und schwärmt von den Rezepten seiner Großmutter. So hätte sie sich damals die Zähne immer mit Zitronen und Salz geputzt und sich damit das Gebiss bis ins hohe Alter erhalten! Mancher Dentist würde erblassen, wenn man ihr nachahmte. Unsere Leute im Bus schmunzelten. Davon angetrieben, steigerte er sich noch: Auch hätte sie immer Mittelchen gegen Durchfall und Verstopfung gewusst. Gegen Durchfall wären eine Zitrone mit einem Löffel Kaffeepulver sichere Abhilfe. Eselsmilch sei ein Mittel gegen Keuchhusten. Auch Kaktusfeigen würden gegen Durchfall hilfreich sein. In seiner Kindheit hätten 11 Personen in zwei Räumen gelebt. Heute würden diese nicht für zwei Personen reichen, beklagte er das schleichende Gift der Zivilisation, schloss sich aber auch nicht davon aus. Der moderne Zyprer wohnt durchaus komfortabel. Ein Dorf auf der Demarkationslinie. Hinter primitiven Holzhäuschen lugen türkische Wachsoldaten herüber. Wir kommen an Wassermelonenfeldern vorbei. Eukalyptusbäume rahmen sie ein. Bei dem von Türken besetzten Dorf Athna verließen wir die Green Line. Hier zeigte uns Antonio die Kirche, die als Ziegenstall missbraucht wird und die armseligen verfallenden Häuser. Wieder sahen wir türkische Soldaten. Bald aber fahren wir in das zweite Tagesziel ein, das Grenzdorf Pyla, in dem Türken und Griechen friedlich nebeneinander leben. Gleichzeitig befinden wir uns in der „Sovereign Military Base“, dem schon erwähnten selbständigen militärischen Hoheitsgebiet der Engländer. Wir steigen aus. Ich sehe einen UN- Stützpunkt mit der schwarzen Nummer 149, untergebracht in einem Haus am Rande eines kleinen Platzes, sicher des ehemaligen Dorfmittelpunktes. Am Balkon hängt schlaff in der Mittagshitze die blaue Fahne mit der Friedenstaube. Der Posten beobachtet unseren Bus und unser Aussteigen ein Weilchen, dann verschwindet er im Schatten des Inneren. Ein leichter Kribble beschleicht mich. Darf ich hier fotografieren? Wir warten drüben am griechischen Rathaus, wobei ich keine direkte Grenze erkennen kann. Türkische Wachstation über Pyla Wir laufen hinauf zum Museum des Dorfes, ein flaches Gebäude mit roten Dachziegeln. Drei Bögen ließen einen Vorraum offen: Museum für Volkskunde. Wir gingen hinein. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 11 Oben auf dem Berg wehen neben der Wachstation die türkische und die nordzyprischen Flagge. Ein echt wirkender Blech- oder Pappsoldat wirkt beunruhigend und bedrohlich, nachdem ich das alles über die Besetzung gerade verdaut habe. Ich bin mit Fotografieren vorsichtig. Sehr interessant und ablenkend von dieser Problematik fand ich den Besuch des kleinen Museums, das in drei oder vier Räumen Ausstattungsgegenstände aus bäuerlicher Zeit präsentierte. Aber auch eine „guten Stube“ mit Stilmöbeln, Lefkara- Stickereien und schönen Spiegeln war eingerichtet. Den Nebenraum erfüllten ein Webstuhl und manche der für die Wolleverarbeitung wichtigen Werkzeuge. Auch eine Küche mit einigen Kesseln und Töpfen regten die Phantasie an, wie die Altvorderen hier lebten. Der folgende Spaziergang durch das Dorf begeisterte mich allein schon durch die Blütenpracht, die in den Gärten über die Zäune wucherte. Freundlich grüßte ein alter Mann herüber, der im Schatten vor seinem Hause saß. Ich freute mich an rotem Oleander vor dem tropischen Hintergrund einer Fächerpalme, und immer wieder an den weiß und purpur- lila leuchtenden Blüten der Bougainvillea, die zur Familie der Wunderblumen und Art der Nelkengewächse gehört. Rund ums Mittelmeer ist sie heute heimisch, diese Wunderblume und bezaubert jedes Auge. „Gute Stube“ im Dorfmuseum Pyla Aber auch Limetten, Orangen und Grapefruits zieren die Gärten, Kürbisse und Paradiesäpfel. Nach dem Dorfrundgang lassen wir uns in dem Kafenío1 neben dem UN- Stützpunkt nieder, bekommen eine Tasse zyprischen Kaffee, dick, bitter und gesüßt. Auf der Terrasse spielen vier Männer Backgammon, das allseits beliebte Brettspiel, bei dem mit zwei Würfeln und DameSteinen gearbeitet wird. Ich habe schon mehrfach zugeguckt, es aber nie verstanden. Mit Leidenschaft geht es hier zu. Einer ist Wortführer und der Energischste, die drei anderen halten dagegen. Die Würfel rollern, die Steine scheppern, werden mit absoluter Zielsicherheit fingerfertig gegen den hohen Rand dirigiert, vor und zurück, herüber und hinüber, wie die Würfel es vorgeben. Für mich eine undurchdringliche Wissenschaft. Also muss ich mich hinter den dunklen Vorhang begeben, der es mir verschleiert. Wer besser als das wunderbare Lexikon des Internets kann mir Antwort geben? Hier ist der gelehrte Überblick: Das älteste Backgammonbrett der Geschichte wurde in der „verbrannten Stadt“ gefunden, der archäologischen Fundstelle in der iranischen Provinz Sistan und Baluchestan. Dieses Spiel ist über 5000 Jahre alt. Es ist älter als ein Brett, das Mitte der 1920er Jahre in der Stadt Ur vom britischen Archäologen Sir Leonard Woolley entdeckt wurde. Weitere Spielbretter fand man im Grab von Tutenchamun im Nil-Delta, die etwa um 1500 vor Christus entstanden sind. Viele Grabmalereien zeugen von der Beliebtheit des Brettspieles, das sowohl von den Führern als auch vom gemeinen Volk gespielt wurde. 1 Kafenío, griech. Kaffeehaus © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 12 Aus dem ägyptischen Spiel Senet entwickelten später die Römer das Spiel Duodecim Scripta, welches als erster naher Verwandter zum Backgammon angesehen werden kann. Man spielte mit drei Würfeln, und es gab drei verschiedene Bezeichnungen: Alea (Würfe), Tabulae (Brett, Tisch) und Ludus duodecim scriptorum (das 12-Linien-Spiel). Bei Pompeji wurde eine zweiteilige, riesige Wandmalerei entdeckt: im ersten Bild sieht man zwei diskutierende Römer beim Spielen, im zweiten Bild den Besitzer der Herberge, der die beiden gerade gewaltsam aus seinem Haus befördert. Die römische Version, Tabula, wurde in ganz Europa eingeführt. Zuerst war es ein beliebter Zeitvertreib der Adeligen, doch allmählich setzte es sich auch in der breiten Bevölkerung durch. Die Kirche versuchte jahrzehntelang vergeblich, das Glücksspiel zu verhindern. Trotz der Beliebtheit des 12-Linien-Spieles im großen römischen Reich dauerte es bis zu den Kreuzzügen, bis das Spiel auch im restlichen Europa richtig bekannt wurde. Im Mittelalter wurde es unter anderem als „Nard“ (Persisch), „Plakoto“, „Tric Trac“, „Puff“, „Tables“ etc. bezeichnet; man spielte nun mit zwei Würfeln. Im Mittelalter wurde eine Version namens Wurfzabel gespielt, die als direkter Vorgänger des heutigen Backgammons Wurfzabelspieler (13. Jahrhundert) gilt. Doch nirgendwo in der westlichen Welt wurde schon so früh und so intensiv Backgammon gespielt wie in England. Laut mündlichen Überlieferungen hatte König Löwenherz mit der Spielleidenschaft seiner Soldaten seine liebe Not. Es gab einen Erlass, dass niemand, der von geringerem Stand als ein Ritter war, um Geld würfeln durfte. Der Name Backgammon wurde im Jahr 1645 erstmals verzeichnet und bezeichnet das Wiedereinsetzen geschlagener Spielsteine in das Brett. Der englische Spielebeschreiber Edmond Hoyle kodifizierte die Regeln etwa im Jahre 1743. Die letzte entscheidende Veränderung war die Einführung des Verdoppelungswürfels. In den 1920er Jahren wurde in einem New Yorker Spielclub das Doppeln erfunden, was einerseits sehr die Erhöhung der Spannung und andererseits eine Einschränkung des Faktors Glück bewirkte. Die Regeln des modernen Backgammon stammen vom Card and Backgammon Committee des New Yorker Racquet and Tennis Club aus dem Jahre 1931… Mehr müssen wir nicht wissen. An den Regeln will ich mich jetzt nicht vergreifen. Nach welchen Regeln hier auf dieser Terrasse gespielt wurde, weiß nur der Eingeweihte. Leidenschaft war zu spüren. Die jetzt am Vormittag aufsteigende Hitze machte den rauchenden Männern mit den wettergegerbten Gesichtern scheinbar nichts aus. Ich schaute noch eine Weile fasziniert zu, begann mich aber zu langweilen, da ich nicht beurteilen konnte, wem das Spielglück sich gnädig neigte, oder ob einer der Spieler besonders gut war. Ich glaube, immer dort wo Würfel im Spiel sind, treten Fähigkeiten zurück, und das ist nichts für mich. Ich ging in den nahen Markt Wasser kaufen, versuchte meine zehn Worte Griechisch einzusetzen. Wortlos hätte auch genügt. Im Laden war nichts los, eine Frau nahm mir das Geld ab. Inzwischen hatten alle im Kafenío ihren Kaffee getrunken, mit oder ohne Zucker. Antonio blies zum Aufbruch. Weiter. IV. Larnaca N ächste Station ist Larnaca, mit heute 80 000 Einwohnern die drittgrößte Stadt Zyperns. Sie liegt auf den Ruinen des antiken Stadtkönigreiches Kítion. Ihr Name deutet auf die vielen Sarkophage2, die hier gefunden wurden und stammt aus dem 17. Jahrhundert. Nach der türkischen Invasion 1974 und dem Verlust des Hafens von Famagusta erlebte Larnaca mit dem Ausbau des Exporthafens neuen Aufschwung, obwohl die Stadt kein Hafenbecken für größere Seeschiffe besitzt. Larnaca wurde zur Drehscheibe im Nahostverkehr. Tausende von Bürgerkriegsflüchtlingen kamen aus dem Libanon, eine neue Welle schon wieder nach der israelischen Libanon- Invasion im Juli 2006. Neue Siedlungen entstanden. Die Wirtschaft boomte und prägte, besser verunzierte das Stadtbild mit modernen Geschäftshäusern und großflächiger Werbung für Tod und Teufel. Einzig eine mit Palmen bestandene Seepromenade gab der Stadt ein wenig touristisches Flair. Wir befuhren die 2 Sarkophag = griech. Λάρναξ Lárnax © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 13 kilometerlange Uferstraße. Rechts diese Reihe überhoher Dattelpalmen, links dann immer der Blick übers blaue Meer, wo weit draußen eionige Schiffe auf Reede lagen. Im Fluge erhaschte ich einen Klick auf das Denkmal mit der goldglänzenden Büste von Kimon, dem Athener General, der 450 vor Christi eine Flotte mit 200 Dreimastern anführte, um Zypern von den Persern zu befreien. Er starb während der Belagerung von Kítion. Diesen Befreiungsakt nahm Antonio zum Anlass, ein wenig in der Geschichte Larnacas zu blättern. Um ganz früh anzufangen: Schon im 1. Buch Moses, der Genesis, wird eine Stadt Kittim erwähnt, die von einem Enkel Noahs gegründet worden sein soll. Funde aus dem 143. und 13. Jh. vor Chr. lassen darauf schließen, dass hier schon rege Kupfer verarbeitet und ebenso schwunghafter Handel betrieben wurde. Ende des 13. Jh. besiedelten die griechischen Achäer das Stadtgebiet. Im 11. Jh. richtete ein Erdbeben großen Schaden an. Phönizische Siedler übernahmen um 800 v. Chr. die zerstörte Stadt. Sie bauten die Heiligtümer wieder auf und errichteten einen großen Astarte- Tempel3. Larnaca, Seepromenade, Büste von Kimon Die Phönizier begründeten hier im 9. Jahrhundert vor Chr. ein mächtiges Königreich. In Kítion erblickte der berühmte Philosoph Zeno4 das Licht der Welt. Er begründete die Schule der Stoiker. Hier nach Kítion kam der Heilige Lazarus nach seiner Wiedererweckung durch Christus. Dieser Märtyrer soll in seinem zweiten Leben von den Juden in einem Segelboot ausgesetzt und in Kítion an Land getrieben sein. Lazarus wurde erster Bischof der Stadt. 12. Jahrhundert befestigte die Mykener die Stadt mit riesigen Mauern. Im Mittelalter war die Stadt ein bedeutender Einschiffungshafen für Kreuzritter und Pilger. Wir bogen rechts in die Altstadt ein und hielten an der Plateia Agiou Lazarou, verließen mitten durch den heftig fließenden Verkehr den Bus und hatten bald die schönste Ansicht von der Lazaruskirche. Der Agios Lazaros, wie der Heilige Lazarus auf Griechisch heißt, soll noch 30 Jahre in Kítion gelebt haben. Im 9. Jahrhundert wurde über seinem Grab von Kaiser Leo VI. eine Kirche in byzantinischer Architektur errichtet. Im 17. Jahrhundert wurde sie originalgetreu restauriert. Im 19. Jahrhundert erhielt sie einen Glockenturm im neoromanischen Stil und eine Loggia längs der Südseite. Wir treten in den Schatten der Loggia, die sicher die Funktion eines Kreuzganges wahrnahm, denn die Kirche wurde bis ins 20. Jahrhundert als Kloster genutzt. Eine prachtvolle Ikonostasis5 aus dem 18. Jahrhundert lässt mich erstaunen. 3 Astarte, [griechisch], hebräisch Aschtoret, aramäisch Attar, westsemitische Göttin der Fruchtbarkeit und der Liebe. 4 Zenon, Zeno, Zenon der Jüngere, aus Kition (Zypern), griechischer Philosoph, * um 336 v. Chr., † 264 v. Chr.; Begründer der Stoa. Von seinen Schriften sind nur Bruchstücke erhalten; er soll sich das Leben genommen haben. Stoa [die; griechisch], ist eine um 300 v. Chr. von Zenon dem Jüngeren aus Kition gegründete philosophische Schulrichtung, benannt nach dem Lehrort, der Stoa poikile in Athen. 5 Ikonostase, [die; griechisch], in den Ostkirchen die Bilderwand, die Altarraum und Kirchenraum trennt; unter den Ikonen der Ikonostase, oft in mehreren Reihen übereinander, befinden sich immer eine Christus- und eine Marienikone. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 14 Selten bin ich in griechisch- orthodoxen6 Kirchen gewesen. Sie verehren neben Christus in einer besonderen Liturgie auch zahlreiche Heilige. Der Altarraum ist durch eben diese Ikonostase und eine Klapptür von dem übrigen Kircheraum getrennt und darf nur vom Priester betreten werden. Gleich im Mittelgang, zu dem einige Stufen hinab führten, steht hinter Glas die Ikone des heiligen Lazarus, dessen Bild einige Gläubige mit Kniefall und Bekreuzigung ehrfürchtig küssten. Ich versuche, auf einigen Ikonen, die auf einem Wandbord lehnen, die Buchstaben im alten Griechisch zu enträtseln, um hinter ihren Namen zu kommen. Sehr schwierig bis unmöglich. Rechts ist das Bildnis der Heiligen Katharina, die als Schutzpatronin des Klosters auf Sinai gilt. In der Mitte, das ist sicher die Gottesmutter und links eine der vielen Schutzheiligen. Wundervolle Leuchter schmückten den dreischiffigen Innenraum. Viel Gold ist aufgewendet. Rechts der Ikonostasis führt eine Treppe zur dunklen Grabkammer hinunter, wo mehrere Sarkophage zu sehen sind. Räucherkessel hängen von der niedrigen Decke herab. Ich muss gebückt stehen. Es ist eng, feuchtheiß und riecht muffig hier unten. Vor dem Sarkophag warten Gläubige, dass wir sie in ihrer Andacht allein lassen. Vielleicht hatten sie einen weiten Weg hierher. Nun müssen sie ihr Gebet von neugierigen und nicht allzu rücksichtsvollen Touristen stören lassen. Wir warten, dass sie uns Gelegenheit lassen zu fotografieren. Beiden ist es gleichermaßen unangenehm. Demjenigen Mitreisenden, den ich den „Menschenjäger“ nenne, reißt die Geduld. Er nimmt die andächtige Gruppe voll aufs Korn und schießt seine Bilder. Ich wende mich angewidert ab. „Das gehört in jedes Fotoalbum“, sagte er einmal. Ich beobachtete später, dass er ohne Zartgefühl oder Kenntnis der Traditionen sich an Frauen wandte- er konnte kein Wort dieser Sprache, ob englisch oder griechisch, quatschte sie an, stellte sie sich an einer Wand zurecht und knipste sie. Dann bedienerte er sich mehrmals, gab aber auch kein Geld, was das wenigste gewesen wäre, und schleimte sich rücklings davon. Kein Wunder, dass die Einheimischen im Orient die Touristen als Geschmeiß betrachten, noch dazu wenn sie „ungläubig“ sind. 6 orthodoxe Kirchen, die aus der byzantinischen Kirche hervorgegangenen Kirchen, deren Bekenntnisgrundlage Bibel und Tradition sind. Die Tradition ist fixiert durch die Beschlüsse der ersten 7 ökumenischen Konzilien (1. Nicäa 325 bis 7. Nicäa 787); sie ist ferner durch die Lehren der Kirchenväter, die Aussagen im reichen liturgischen Gut und durch spätere wichtige Synoden bestimmt (1642 Jassy [Rumänien], 1670 Jerusalem). Die Feier der „göttlichen Liturgie“, die 7 Sakramente, der Vollzug von Sakramentalien (Weihehandlungen), die Verehrung der Ikonen, Gebete und Hymnen nehmen im Leben der orthodoxen Kirchen einen breiten Raum ein. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 15 Wir blickten uns in dem mit unverputzten groben Steinen überwölbten Kirchenraum um. Auf den Kirchenbänken fand ich die seltsame Aufschrift „ΘΕΣΕΙΣ ΑΝΔΡΩΝ“(theseis andron). Ich fragte Antonio. „Nur für Männer“, antwortete er lakonisch, wobei das griechische Wort θεσι (théssi) so viel wie Sitz oder Platz bedeutet. Die Frauen müssen also hinten oder in bestimmten Bereichen sitzen. An den Wänden hingen Heiligenbilder. Bekrönte verschnörkelte Baldachine, mit viel Gold überzogenes Zierwerk, überdachen die Opferstöcke für brennende Kerze, Reliquien oder Andachtsbilder für den Hausheiligen Lazarus. Seine Ikone wird acht Tage vor dem Osterfest, das nach dem alten Julianischen Kalender jeweils am ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond nach dem Frühlingsanfang gefeiert wird, durch die Stadt getragen. Wir sammelten uns zu einem Gang durch die Altstadt in Richtung Meer. Wenn ich mir heute den Stadtplan von Larnaca hernehme, schäme ich mich ein wenig des Reiseleiters, weil er uns von dieser Stadt so wenig gezeigt und von ihr nichts weiter erwähnt hat als die Kirche Agios Lazaros und den Strand. Dabei gibt es weiter hinten am Strand ein türkisches Kastell, in der Altstadt eine Markthalle, dann einen schönen Stadtpark, mehrere Museen, Ausgrabungen des antiken Kition, eine Marmorstatue des Zenon von Kition… Wir hatten eine halbe Stunde Freizeit, doch ohne Anleitung war das Risiko zu groß, weite Wege zu gehen, ohne Entfernungen zu kennen. Ich verschwand mit Martina in einem Andenkengeschäft. Sie suchte eine Kette für sich und konnte sich lange nicht entschließen, bis ich ihr wieder mit einem Machtwort helfen musste. Am breiten Strand beeindruckte mich das von den Wellen vielfach gebrochene Licht des Wassers. Am Himmel hingen hohe Schleierwolken, die Sonne brannte ungehindert. Lange Reihen Liegen mit blauen Bezügen und blau gestreifte Sonnenschirme und warben um Badepublikum, das jetzt in der Nachsaison nicht mehr so zahlreich war. Der Sand ist schmutzig und wie hartgewalzt. Strand von Larnaca Unser Bus kommt. Wir bleiben in der Nähe von Larnaca und fahren in der Nähe des Flughafens zu einer 3 km entfernten grünen Oase an dem so genannten „Großen Salzsee“, der jetzt seinem Namen nicht gerecht wird, ganz einfach weil er kein Wasser hat und im Laufe des langen Sommers ausgetrocknet ist. Unser Ziel ist eine Grabmoschee der Hala Sultan 7 mit dem Zunamen Tekke, der im Türkischen so viel wie klösterliche Anlage bedeutet. Eine Moschee zu betreten war für uns beide nicht neu. Jedes islamische Gotteshaus hat jedoch etwas Besonderes, so auch diese Moschee. Man erzählt sich, besser es wird von den Gläubigen als Tatsache verehrt, dass hier die mutmaßliche Pflegemutter oder Tante des Propheten Mohammed oder mindestens die Tante eines engen Vertrauten Mohammeds begraben ist. Chala Sultan war die Frau des Statthalters von Palästina, kam während des Eroberungszuges 647 n. Chr. im Gefolge des Sultans auf die Insel. Ein unglücklicher Zufall brachte sie ins Jenseits. Hier an dieser Stelle, wo die Moschee heute steht, stürzte sie vom Maultier zu Tode. Während der Türkenherrschaft mussten alle vorbeifahrenden türkischen Schiffe ihr zu Ehren die Flagge senken. Die heutige Moschee, die das Grab der Chala Sultan umschließt, stiftete 1816 der damalige türkische Gouverneur Seyyit Emir Effendi. Soweit die Vergangenheit. Heute zählt diese Moschee neben Mekka und Medina zu den wichtigsten Pilgerstätten des Islam. 7 Hala Sultan, auf Griechisch Chala Sultan, auf Arabisch Umm Haram © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 16 Ein sonnenüberfluteter Innenhof wird von sorgfältig bewässertem Grün geziert. Eine Katze räkelt sich faul auf den warmen Fliesen im Schatten. Der Reinigungsbrunnen ist ein kleines Bauwerk für sich. Acht Säulen tragen ein im Grundriss achteckiges Dach, in seinem Schatten wartet ein geometrisch ebenso angelegter Brunnen mit acht Wasserhähnen auf die Gläubigen, dass sie sich zum Gebet reinigen. Nachdem wir die Schuhe ausgezogen haben, betreten wir das Innere. Es ist karg ausgestattet. Die Minbar, die Gebetskanzel, ragt von Osten her in den Raum, der voll mit bunt gewürfelten Teppichen ausgelegt ist. Wahrscheinlich sind sie von den Gläubigen gespendet und im Laufe der Zeit zusammengetragen worden. Das Mittagslicht wirft freundliches Licht herein. In der Ecke macht sich ein Aufpasser zu schaffen, der über den heiligen Ort wacht. Neben der nach Mekka ausgerichteten Gebetsnische führt ein Gang in die Grabkammer. Das im Dunkel fast verborgene Grab hinter einem Eisengitter wird von einem Monolithen, der auf zwei Stützen ruht, überwölbt. Auch hier sagt eine Legende, dass am Todestag der Umm Haram dieser Stein von Mekka nach Zypern flog und eine Zeit lang über dem Sarg schwebte. Um die Trauernden nicht zu gefährden, baute man diese Stützen unter. Eine andere Legende erzählt, dass sich drei Steine am Vorabend ihres Todes aus Jerusalem lösten und durch das Meer nach Zypern schwammen. Nach einer anderen Sage soll ein Engel den Stein von Sinai hierher gebracht haben. In einem Nebenraum stehen Sarkophage islamischer Prominenter, unter anderem der der Urgroßmutter des Königs Abdullah von Jordanien. Die Stufe zu der etwas tiefer gelegenen Fläche ist mit einem sehr schönen grünen Teppich belegt. Sarkophage islamischer Prominenter Im griechisch- orthodoxen Süden Zyperns sind Moscheen eher selten. Später fanden wir eine Moschee in Paphos verwaist und unbenutzt. Ist es eine Trotzreaktion der Zyprer auf die türkische Besetzung? Ich erfahre es nicht. Schöne Motive suchend, bummle ich der Reisegesellschaft hinterher und steige als Letzter in den Bus, halt- nach mir kam der „Menschenjäger“, der immer ein wenig vor mir dastand, wenn ich mir einen guten Standort zum Fotografieren ausgesucht hatte und verbaute mir die Sicht. Ich gestehe ihm zu, dass er die Dinge mit „meinem Blick“ sah. Wir fuhren gar nicht lange, nur wenige Minuten und hielten an einem trockenen, staubigen Platz am Rande des jetzt völlig ausgetrockneten Salzsees, der als Picknick- Gelände sicher von vielen Einheimischen und Anderen Reisegruppen genutzt wird. Antonio und Carina Latta, unsere Reisebegleiterin, packten jetzt Kisten aus, ich bekam einen Ballon Wein in die Hand. Sie schleppten Plastikbeutel mit Brot und Gemüsekisten und anderes, was eben an Werkzeug zum Essen im Freien benötigt wird. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 17 Die hölzernen Tische und Bänke standen nicht sehr günstig in einigem Abstand, so dass den besseren Platz fand, wer zuerst kam und die Gruppe recht verteilt saß. Nicht jeder fand Schatten. Außerdem blies ein heftiger böiger Wind, der laufend die Servietten, Pappteller und –becher in die Luft wirbelte. Ab und an stieg in unmittelbarer Nähe über der Fläche des Salzsees ein Flugzeug auf oder setzte zur Landung an. Antonio erklärte, dass nach der Invasion 1974 der Flughafen Larnaca eingerichtet wurde, sehr zu ungunsten des Salzsees, der durch herabsinkende Kerosinrückstände derart verschmutzt wird, dass die Zugvögel, vor allen die Flamingos, die ihn im Winter auf ihrem Vogelzug nach Afrika als Zwischenstation aufsuchen, sehr darunter leiden. Was aber Antonio auftischte, was er unermüdlich aufschnitt, weiterreichte, anbot, das war enorm und wohlschmeckend. Er schälte die würzigen Gemüsezwiebeln, zerteilte grüne und rote Paprika, Tomaten, Zucchinis, Gurken. Er schenkte roten und weißen Wein aus. Er schnitt frisches schmackhaftes Brot auf. Dazu schälte er harte Würste aus der Pelle und verteilte die Scheiben freigebig. Der Wein stimmte alle lustig und froh. Wir fanden den windigen und staubigen Platz weniger windig und weniger staubig, obwohl manche in der Picknick am Großen Salzsee bei Larnaca knallen Sonne sitzen mussten. Dafür konnte Antonio aber nichts, und wir fanden die kleine Schlemmerei alle recht gelungen. Der Große Salzsee ist eine riesige öde Fläche. Gerade wurde ein Fußweg angelegt für die Pilger zur Moschee. Der Salzsee liegt bis zu 2 m unter dem Meeresspiegel. So sickert im Winterhalbjahr Meerwasser durch die Dünen in die Senke, das bis August verdunstet und eine bis zu 3 cm dicke Salzkruste bildet, die schon in der Antike geschürft wurde. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das Salz ein wichtiges Exportgut. Durch die zunehmende Luftverschmutzung durch den Flughafen wird seit 1992 kein Salz mehr abgebaut. Auf Wunsch einiger Passagiere, dem ich mich auch anschloss, wollten wir die nahe bei Larnaca gelegene Kirche in Kíti sehen. Wir intervenierten und überredeten Antonio. Kíti liegt nur 11 km südwestlich von Larnaca. Ein Katzensprung. Die Kirche Panagía Angelóktistos 8 gehört zum Weltkulturerbe. Sie enthält in ihrer Apsis das bedeutendste frühchristliche Mosaik der Insel. Neben der Lage von Kíti sieht man auf der Karte deutlich die sumpfigen Gebiete und den Großen Salzsee. Als wir durch eine von blühenden Büschen gesäumte Mauer in eine Art Vorhof traten, machte die kleine Kirche von Kíti genau den Eindruck, den sie auch darstellte, den eine Dorfkirche. Wir dürfen drinnen nicht fotografieren, ermahnte uns Antonio. Schade. Ein alter Mann in weltlicher Kleidung passte auf uns auf, als wir in den dunklen dreischiffigen Raum hineingingen, der sehr nüchtern ausgestattet ist. Die Schiffe werden durch sechs mächtig wirkende rechteckig gemauerte Säulen getrennt, die vielleicht 1,70 m dick sind. Seitlich führen Türöffnungen in Seitenkapellen. 8 Panagía Angelóktistos = …von den Engeln erbaut © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 18 Wir wenden uns zum Chor, zu dem wieder eine Ikonostase den direkten Blick verstellt. Wir dürfen das Heiligste blicken, das Mosaik. Der linke Erzengel Michael ist übertüncht, die Mosaiksteine fehlen, der rechte dagegen, der Erzengel Gabriel zur Linken der Gottesmutter ist wunderbar erhalten. Kíti, Panagía Angelóktistos, Mosaik des Apsisgewölbes im Altarraum: Gottesmutter mit Christuskind und Erzengel Und nun muss ich mir aber klar machen, wie alt dieses Mosaikbild ist. Die Ikonografen und anderen Theologen sind sich heute weitgehend einig. Man muss versuchen, sein Alter in der Kirchengeschichte zu suchen. Immer ist die Suche nach der Herkunft mit Geschichte und Geschichten verbunden. Da ist zunächst der Ursprung der Siedlung Kíti. Ihre Gründung muss wohl eine Folge eines Erdbebens und einer langen Dürre im 4. Jh. gewesen sein, so dass die Bewohner der antiken Siedlung Kition einen neuen Erzengel Gabriel Platz gesucht haben und hier an dieser Stelle fruchtbaren Boden fanden. Wir machen einen großen Sprung, weil da die Geschehnisse besser bekannt sind. Im Jahre 1191 eroberte Richard Löwenherz, der englische König, auf seinem Kreuzzug die Insel Zypern, die unter der Macht eines gewissen Isaak stand, der sich Kaiser nannte und mit Saladin sympathisierte. Kíti wird urkundlich 1196 das erste Mal erwähnt, in einer Liste von Dörfern, die dem lateinischen Bistum Nikosia den Zehnten abliefern mussten. Möglicherweise war Kíti einst der Sitz des Bistums von Kition für eine gewisse Zeit… Der zweite Aspekt der Umsiedlung von Kition nach Kíti ist die Sicherheit, die die Einwohner vor den Überfällen der Araber fürchteten. Die Legende berichtet nun, dass sie begannen eine Kirche zu bauen. Nach Beginn der Arbeiten stellte man fest, dass die Grundmauern der Kirche an anderer Stelle sich befanden. Als dort weiter gebaut wurde, sah man nachts Scharen von Engeln die Kirche errichten. Daher rührt der Beiname „von Engeln erbaut“ (Angeloktisti). Die Kirche, die wir heute besuchen, ist ein Bau des 11. und 12. Jahrhunderts. Ursprünglich entstand ein Kreuzkuppelbau, wie wir ihn dann noch oft auf der Insel sahen. Die nördliche Kapelle für die heilkundigen Heiligen Kosmas und Damian wurde wahrscheinlich in Zeiten der Pest im 13. Jahrhundert angebaut. Vielleicht war sie einmal eine Totenkapelle. Ich konnte nur noch eine Darstellung des Heiligen Georg erkennen. Es gibt Übermalungen und Putzschäden. Und der südliche Vorbau, durch den wir hereinkamen, war eine gotische Kapelle, wie sie den religiösen Wünschen der neuen fränkischen Herrscher entsprach. Einem im Andenkenladen gekauften Heft entnahm ich letztendlich das erstaunliche Alter von etwa 1430 Jahren. Man nimmt an, dass die Herstellung dieses Mosaiks in das letzte Viertel des 6. Jahrhunderts, das heißt nach der Ära Justinians, etwa in die Regierungszeit des byzantinischen Kaisers Maurikios (562 – 602 n. Chr.) fällt. Damit ist dieses Mosaik, da es ja mit der Bauhülle verbunden ist, das älteste bauliche Zeugnis der christlichen Kunst, das ich kenne. Nun wird mir auch die Bedeutung dieser Kirche als UNESCO- Weltkulturerbe klar. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 19 Ich umrunde die Kirche, finde einen Brunnen unter einem ganz alten Baum, der sicher schon hundert Jahre dort Schatten spendet. Der Brunnen scheint noch in Betrieb zu sein. Er ist sauber abgedeckt und mit einer sinnvollen Aufzugsspule versehen. Ein steinerner Waschtrog daneben ergänzt das Ensemble. Mein Auge freut sich an wundervollen Blüten an den Büschen ringsum. Wir sitzen noch ein Weilchen auf einer Bank und genießen die abgeschiedene Ruhe dieses Ortes. Ein Kirchenmann in langem schwarzem Gewand sitzt an einem viereckigen Tisch und spricht mit Kíti, Brunnen an der Panagia Angeloktistos Antonio. Carina setzt sich dazu. Er strahlt eine wunderbare Abgeklärtheit aus. Wer weiß, was ihm Antonio erzählt hat. Ich kaufe im Kirchenladen das bewusste Heft über die Kirche, weil ich ohne nähere Informationen über dieses Mosaik nicht hinweggehen wollte. Ich erfahre, dass die alten Bäume Terpentin- Pistazien und über 300 Jahre alt sind, aus deren Rinde man früher wohlriechendes Terpentin gewann. Außerdem seien ihre Früchte essbar. Weiter interessant ist, dass die gotische Kapelle am Anfang des 20. Jh. als Grundschule des Dorfes genutzt wurde. Das zeigt, wie eng verzahnt damals Kirche und Welt im kleinsten Siedlungsraum waren. Es gibt auch dort noch eine kleine Sammlung wertvoller weil alter Ikonen, die in einer Sakristei aufbewahrt werden. Sie wurde uns nicht gezeigt. Wusste es Antonio nicht oder hielt er uns für interesselos? Ich will ihm Zeitdruck unterstellen. Nun, dieser Besuch hier war kein offizieller Programmpunkt. Wenn ich mich recht besinne, ist die Begegnung mit solchen Bildern im Mittelpunkt ihres „Wirkens“, also in der Kirche, neu. Die Kunst der Ikonenmalerei ist primär eine theologisch- liturgische Kunst, die den Gläubigen zum Verständnis und Erleben der kirchlichen Sakramente der orthodoxen Kirche führen soll, ähnlich der Malerei, Bildhauerkunst und Plastik der katholischen Kirchen bei uns in Europa. Ein Beispiel mag eine der schönsten Ikonen dieser Kirche sein, die den Erzengel Michael darstellt. Es zeigt ihn in kaiserlichem Chiton 9 , mit Edelsteinen und Medaillons mit Kreuzen in Rot und Gold geschmückt; das Zepter deutet seine göttliche Herrschaft, das Medaillon mit dem Evangelium Christi in der Linken auf seine Botschaft für die Menschen. Das vergeistigte Antlitz ist vom Heiligenschein umstrahlt. Wie überirdisch muss das früher auf die einfachen Menschen gewirkt haben! Wenn ich mich im Nachhinein damit beschäftige, tut es mir aufrichtig leid, dass uns vor Ort kunsterfahrene Führer nicht mehr gezeigt haben. Diese Ikonen sind zwar Mittler des Glaubens. Sie geben andererseits auch Einblick in das Denken und Fühlen vergangener Generationen und sind Blickfenster in die Vergangenheit. Die meisten Leute gehen an diesen Fenstern vorbei. Es weist sie keiner darauf hin, und sie haben nicht sehen gelernt. 9 Chiton, [çi'to:n; der; griechisch], griechisches Kleidungsstück in Form eines knie- oder fußlangen Hemdgewands aus einem Stück, mit Naht an der rechten Seite und auf den Schultern durch eine Fibel zusammengehalten. Ursprünglich nur von Männern getragen. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 20 Ich werde an anderer Stelle noch auf Ikonen zurückkommen. Es sollte sogar noch am heutigen Tage sein. V. Agia G Napa egen 15.30 Uhr fahren wir weiter. Letzte Station des Tages: Agia Napa. Dort wenden wir uns gleich nach dem Ausstieg zu dem Kloster, das dem heutigen Bade- und Erlebnisort seinen Namen gab. Es liegt 40 km östlich von Larnaca in einer Bucht im äußersten Südosten Zyperns, unweit unseres ersten Unterkunftsortes Protaras. Agia Napa hat sich in den letzten Jahren von einem einsamen Fischerort zu einer Touristenhochburg im zyprischen Osten entwickelt. Jetzt in der Nachsaison ist alles vereinsamt. Nur noch spärlich sehen wir Touristen in den sich kreuzenden Hauptstraßen, wo wir halten. Viele Lokale haben geschlossen. Es lohnt nicht mehr so recht. Wir beschäftigen uns nicht mit diesem Sektor des Tourismus. Wir wandeln auf religiösen Pfaden. Das Kloster befindet sich im gleichnamigen Dorf im Bezirk Ammochostos. Der Name des Gebietes rührt von einer Ikone „Jungfrau Maria von Napa“, was „Heilige des Waldes“ oder kurz Agia Napa bedeutet. Das Kloster Agia Napa ist dieser „heiligen Mutter vom Walde“ geweiht Wieder muss eine traditionelle Legende den Namen deuten: Danach wurde in der Höhle, die später zur Kirche umgebaut wurde, von einem Jäger diese Marien- Ikone gefunden. Es war der Hund des Jägers, der das gleißende Bildnis der Jungfrau zuerst zu sehen bekam und sofort beharrlich zu bellen anfing, um seinen Herrn zu rufen. Die Höhle, ein Versteck und gleichzeitig Lager zeugen von einer christlichen Gemeinde in der byzantinischen Zeit. Das Gebiet bekam den Agia Napa, Höhlenkirche Namen jedenfalls noch vor dem Jahr 1366. Im 14. Jahrhundert wurde ein Teil der Höhle aus- und zu einer Kirche umgebaut. Nichtsdestoweniger ist das Kloster ein Bau, laut einer Inschrift 1530, aus dem 16. Jahrhundert, als Zypern unter der venezianischen Herrschaft stand. Um diese Grotte herum ist das Kloster entstanden. Von der Gründung des Klosters sind keine genauen Daten bekannt. In dieser Grotte wurden die ersten Gottesdienste abgehalten. Nach Bekanntwerden dieses Ereignisses begannen sehr schnell Gläubige den heiligen Ort aufzusuchen. Die Ikone wurde sehr wahrscheinlich in der Höhle während des Bildersturmes im 7. und 8. Jahrhundert dort verborgen und somit vor der Zerstörung gerettet. Eine weitere Legende erzählt, dass die Tochter einer venezianischen Adelsfamilie hier gegen den Starrsinn ihrer Familie Unterschlupf suchte, weil diese die Heirat mit einem Nichtadeligen ablehnte. Es wird gesagt, dass diese wohl vermögende Venezianerin später die Kirche, die Klosterzellen und eine Getreidemühle auf eigene Kosten erbauen ließ. Die Getreidemühle wurde wahrscheinlich später während der Türkenherrschaft gebaut. Nach und nach wurden eine römische Kapelle und ein Nonnenkloster hinzugefügt. Das rechte Seitenschiff der Kirche, direkt hinter dem Eingang, hatte die Funktion der römischen Kapelle. Der Klosterbereich ist von einer hohen und dicken Mauer umstanden, vor der wir zunächst einen riesigen uralten Sykomorenbaum 10 bestaunten, der neben einem Teich sein schützendes Dach ausbreitete. Seine mächtigen Äste stützte eine starke Eisen- Konstruktion. Seinen Stamm konnten erst vier oder fünf kräftige Männer umspannen. Sykomore, [die; griechisch] Maulbeerfeige, Ficus sycomorus, ein Maulbeergewächs; aus Äthiopien stammender, bis 16 m hoher, bereits tief am Stamm verzweigter Baum, dessen Fruchtstände (Eselsfeigen) essbar sind. Das Holz wurde für die Mumiensärge verwendet. 10 © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 21 Diese mächtige Sykomore (auch „Pharaonen- Feige“ genannt) des Klosters, die neben dem Wasserzentrum wächst, soll angeblich noch von der Venezianerin gepflanzt worden sein. Als die Zeit ihres Todes nahte, errichtete sie ein steinernes Gewölbemonument. Sie wünschte, in diesem Monument, in der Nähe des Wasserspeichers und „seiner taufrischen Kühle“ begraben zu werden. An der nördlichen Seite des Innenhofes ist ein Brunnen mit der Gestalt eines Keilerkopfes. Darüber steht das zweistöckige Haus, in der die venezianische Tochter anfangs gelebt hat. Oben auf dem Hügel an der westlichen Seite der Kirche, befindet sich eine kleine antike Kirche, genau an der Stelle errichtet, wo die Jungfrau Maria nach der Legende eine Rast eingelegt haben soll. Als die Osmanen 1571 auf der Insel einbrachen, wurde das Kloster nicht zerstört. Man schließt dies daraus, dass die Beschreibung des Klosters von Pietro della Valle um 1625 sich präzise mit der heutigen Erscheinung deckt. Er berichtet ebenso dass dieses Kloster damals ein Nonnenkloster war und große Ländereien besaß. Zu einem Mönchskloster wurde es 1668 umgewandelt. Aus einem nicht mehr bekannten Grund wird es seit 1758 nicht mehr ständig von Mönchen bewohnt und bewirtschaftet. Sykomore vor dem Kloster Agia Napa Das Kloster war ursprünglich in einem unbewohnten Gebiet angesiedelt. Erst ungefähr Mitte des 18. Jahrhunderts wurde das erste Haus des Dorfes gebaut. Die ersten Bewohner des Dorfes waren Leute aus Thessaloniki, die ihre alte Heimat wegen der Pest verlassen hatten. Jahrzehnte später, 1813, wurde das Kloster laut einer Inschrift restauriert und erneuert.. Da es keine klösterliche Einsiedelei mehr barg, vermietete man den Besitz an die Bauern in der Gegend. Die klösterlichen Einrichtungen wurden für die verschiedenen Bedürfnisse der Gemeinde genutzt. Nach 1878, unter britischer Kolonialherrschaft, gab es keine Mönche in Agia Napa mehr. Die Klosterkirche wurde nun zur Gemeindekirche des Dorfes. 1950 wurden wieder umfassende Renovierungsarbeiten vorgenommen. Erzbischof Makarios III. wählte Agia Napa als ökumenisches Tagungszentrum aus. Die türkische Invasion zerschlug diese Pläne für die Einrichtung eines solchen Zentrums. Erst 1976, unter Mitwirkung der deutschen evangelischen Kirche, wurde ein neuer Gebäudekomplex geschaffen, der heute Versammlungsort für die christlichen Kirchen im Nahen Osten ist. Der Bevölkerungszuwachs im Dorf machte den Bau einer neuen Kirche notwendig, die im Südwesten des Klosters gebaut wurde und ebenfalls der Jungfrau Maria geweiht ist. Da sich die Sonne jetzt am Nachmittag schon neigte, blendete mich die idyllische Schönheit des Innenhofes im warmen Licht besonders, als ich durch einen Bogen über holprige, glatt geschliffene Kopfsteine das Innere betrat. Antonio steuerte auf den Eingang der Kirche zu, die im Innern sich als die Grotte entpuppte. Im Zugang standen rechts und links eine ganze Reihe Ikonen an die Wand gelehnt, die ich ablichtete. Einige Stufen führten in die eigentliche Grotte, heute durch ausgemauerte Gewölbe © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 22 baulich ausgeformt. Dann setzten wir uns in dem niedrigen Felsenhohlraum auf die Stühle, und Antonio erzählte uns aus der Kirchengeschichte. Sie soll aus dem 16. Jahrhundert stammen. Selbst ein weltlich denkender Mensch kommt nicht daran vorbei, falls er überhaupt ein Auge für die Kunst hat, zuzugestehen, dass diese Ikonen schön sind, vielleicht in dem Sinne, dass sie auf uns eine gewisse Wirkung ausstrahlen, dass sie ein Fenster sind, durch das man in eine für uns fremde religiöse Welt schaut. Es ist diese strenge Symbolik, die Augen, die an dir vorbeiblicken, das Gold, die königlichen Farben Rot und Blau der Gottesmutter oder die schlichten Farben der Gewänder der Heiligen, die Ruhe, die ihre Haltungen aussenden, die nicht immer leicht zu enträtselnde Gestik ihrer Hände…Ich war sehr gefangen von diesen Bildern, die ich immer wieder in den orthodoxen Kirchen vorfand und nicht müde wurde, sie anzuschauen. Ich will einmal die kurze Zeit, in der Richard Löwenherz auf Zypern saß, noch auslassen und nur an ihrem Ende anknüpfen, nämlich an das Jahr 1192, in dem Löwenherz die Insel für hunderttausend Goldstücke an die Templer verkaufte. Diese können nur vierzigtausend anzahlen. Aber auch für den reichen Orden ist die Restsumme nicht leicht aufzubringen. Die Templer versuchen nun, das Geld aus der Bevölkerung zu pressen. Richard Löwenherz Sie ersticken in Nikosia einen Volksaufstand in einem Blutbad. Die geldgierigen Barone mit dem lateinischen Ritus bleiben für die meisten griechisch- orthodoxen Einheimischen fremde Herren. Als es zu weiteren Aufständen kommt, wollen die Templer die Insel wieder loswerden. Nach einer schwierigen Finanztransaktion vergibt Richard Zypern dann zum gleichen Preis weiter an Guy de Lusignan 11 , den abgesetzten König von Jerusalem: Zypern bleibt dreihundert Jahre im Besitz europäischer Feudalherren. In dieser Zeit wird Zypern feudalistisch regiert. Die katholische Kirche ersetzt offiziell die bis dahin griechisch- orthodoxe, welche jedoch trotz starker Unterdrückung überleben kann. Die Dynastie der Lusignans endet, als die letzte Königin, Caterina Cornaro 12 1489 Caterina Cornaro Zypern unter Zwang dem mächtigen Venedig überlässt. Von genau 1489 bis 1571 nach Christus beherrschten dann die Venezianer die Insel und betrachteten sie als letzte Bastion gegen die mächtigen Osmanen und befestigten die großen Städte. Noch in dieser Zeit, und bevor die Osmanen die Insel 1571 in ihren Besitz brachten, Lusignan, [lyzi'njã], französisches Adelsgeschlecht aus dem Poitou, stellte Könige von Jerusalem (11791291), von Zypern (1192-1489) und von Kleinarmenien (1342-1375). 12 Cornaro, Caterina, Königin von Zypern 1473-1489, * 1454 Venedig, † 10. 7. 1510 Venedig; verzichtete unter dem Zwang Venedigs auf ihr Königreich; das ihr zugewiesene Asolo (Provinz Treviso) gestaltete sie zu einem Musenhof. 11 © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 23 muss wohl noch diese Klosterkirche Agia Napa entstanden sein. Über den Einfall der Türken 1571 werde ich noch berichten. Viel Zeit blieb uns nach Verlassen der Kirche nicht, uns umzuschauen. In typisch japanischer Manier wurden noch Fotos geschossen. Das wundervolle Licht unterstützte dieses Vorhaben. Dann marschierten wir zum Bus und fuhren die wenigen Kilometer nach Protaras. Im Hotel Cavo Maris kannten wir uns nun schon mit den Gepflogenheiten des reichhaltigen Buffets aus, verpflegten uns reichlich. Ein kleines Bier kostete 2,10 zyprische Pfund. Da es heute Abend nach dem Essen noch nicht 21 Uhr war, gingen wir über die Straße in den „Supermarkt“ und kauften Ansichtskarten und gleich noch Briefmarken dazu. Auf dem Balkon schrieb ich in der angenehmen Wärme des lauen Abends drei Karten und genoss die Aussicht auf die Lichter der Stadt. Vom Balkon genoss ich den Abend und den weiten Blick. VI. Nikosia- Geteilte Hauptstadt Samstag, 30. September 2006 in wunderschöner, strahlender Morgen brach an. Wir genossen ihn beim Frühstück auf der Terrasse neben dem Schwimmbecken. Freche, hungrige Sperlinge umzwitscherten uns, hüpften über die Fliesen und pickten die Brosamen auf, die zu Boden fielen oder die ihnen zugeworfen wurden. Ganze Schwärme von ihnen lauerten im lockeren Grün, das die Terrasse umgab und verliehen der grünen, blühenden Pflanzenzierde beinahe den Glanz belebter Natur. Heute stand ein Ausflug in die geteilte Hauptstadt Zyperns auf dem Programm. Antonio nutzte die Fahrt, um uns noch Einzelheiten zu schildern, die in den Zusammenhang der türkischen Besetzung des Nordteils der Insel gehören. Ich habe die Fakten bereits dargelegt. Er erinnerte vor allem an die Galionsfigur des zyprischen Widerstandes, den Erzbischof Makarios. Also schalte ich hier einige Lebensdaten dieses berühmten Mannes ein, an dessen Wirken, was die Reflexion in den Medien der DDR- Presse betraf, ich mich noch selbst entsinnen kann. Er hat wohl auch einmal die DDR besucht. E Erzbischof Makarios III. (*13. August 1913 in Pano Panagia, Zypern; † 3. August 1977); eigentlich Michail Christodulos Muskos (Μιχαΐλ Χριστόδουλος Μουσκός); war ein zypriotischer Geistlicher und Politiker. Muskos wurde nach einem Theologie-Studium in Athen orthodoxer Priester und wurde 1948 zum Bischof von Kition und 1950 zum Erzbischof von Zypern berufen. Als Erzbischof wurde er als Makarios III. bezeichnet und bekam den Titel Ethnarch (auf deutsch Volksführer) von Zypern. Er schloss sich danach dem Kampf zur Befreiung Zyperns von den britischen Kolonialtruppen an und ging ein Bündnis mit General Grivas ein. Fast 600 Menschen starben bei den Kämpfen, bis Makarios III. im Jahr 1960 das Präsidentenamt des nun unabhängigen Zypern übernehmen konnte. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 24 14 Jahre später wurde er 1974 durch einen Militärputsch gestürzt, der von der damaligen Junta Griechenlands betrieben wurde. Andauernde innenpolitische Konflikte um die zyprische Verfassung der Anschluss an Griechenland war verboten, und die Türken Nordzyperns hatten recht weit reichende Autonomierechte - waren der Vorwand dafür gewesen. Die Abspaltung Nordzyperns und die folgende Teilung der Insel resultierten aus diesem Putsch. Im Dezember 1974 kehrte er noch einmal in das Amt zurück, das er bis zu seinem Tode innehatte. Antonio nannte noch einmal die Zahlen der türkischen Invasion, damals 1974, während der instabilen politischen Situation: 17 000 Soldaten drangen am 20. Juli auf die Insel und vertrieben 160 000 griechische Zyprioten aus ihren angestammten Heimen. Zirka 1500 von ihnen werden bis heute vermisst. 5000 Soldaten und Zivilisten ließen dabei ihr Leben. Antonio erläuterte auch noch einmal den 1400 Seiten umfassenden Annan- Plan der Einigung Zyperns, den vor allem die griechischen Zyprer im Süden mit ihrem Nein bei der Volksabstimmung ablehnten, obwohl 65% der türkischen Zyprer im Norden zustimmten. Ein Punkt als Beispiel, wie dabei die griechischen Zyprer über den Tisch gezogen werden sollten: 1000 ha Kartoffelland wollten die Engländer gegen 50 km unfruchtbaren MeeresShelf bei Limassol eintauschen. 5000 türkische Soldaten sollten als Besatzungsmacht bleiben. Und so gab es noch viele Punkte, bei denen die im Süden erhebliche Nachteile eingetauscht hätten. Als wir so auf den gut ausgebauten Straßen durchs Land fuhren, der Blick aufs Meer zur Linken mit dem aufs Weichbild von Larnaca wechselte, fragte ich Antonio nach den Ressourcen, die den südlichen Zyprioten zur Verfügung stünden, als erstes nach Trinkwasser, das ja die Lebensgrundlage bildet. Es ist tatsächlich ein ernstes Problem, das die Zyprer meistern müssen. Grundwasser ist nicht vorhanden. Die Insel bildet gewissermaßen einen vulkanischen Sporn auf der afrikanischen Kontinentalplatte. Den Sommer über regnet es überhaupt nicht, im Winterhalbjahr unregelmäßig. Die türkische Besetzung hat für den Süden große Gebiete der bewässerten Mesaoria- Ebene abgeschnitten, die ihr Wasser aus dem lang gezogenen Pentadaktylos- Gebirge im Norden erhält. Mich dünkt, die Reserven des Wassers, das aus dem Troodos- Gebirge abfließt, sind ausgereizt. Auf der Karte finde ich eine Reihe mittlerer und großer Speicherbecken, die den Abfluss der kleinen Flüsschen zurückhalten. In Südzypern gibt es über 90 Speicherbecken. Man hat begonnen, Meerwasser zu entsalzen. 1997 ging die erste in Betrieb. Es gibt heute eine zweite. Sie haben den Nachteil, dass die Sole ins Meer zurückfließt und dort das Wasser aufsalzt und den Rest an Fischen kaputtmacht, der jetzt noch auffindbar ist. Der zyprische Norden wurde 1998 erstmals vom türkischen Festland mit Wasser beliefert. In riesigen Plastiksäcken wurden 10 000 Tonnen Wasser aus dem türkischen Taurusgebirge über das Meer bis Kyrenia (Girne) geschleppt. Was wird aus dem wachsenden Tourismus? Dusche/Bad und Pool müssen sein! Die Touristen machen sich keinen Kopf, wo das Wasser herkommt. Sie verbrauchen es großzügig und gedankenlos. Überhaupt sind die Küsten abgefischt. So absurd es klingt: Fisch muss importiert werden. Die Stromgewinnung ist ein weiteres Problem. Sie stützt sich auf Erdölimporte, vorwiegend aus dem Iran und Russland. Noch werden die teuren Derivate, sprich Erzeugnisse der Erdölverarbeitung eingekauft, das heißt die Weiterverarbeitung und tiefere Spaltung des Erdöls ist im Lande noch nicht entwickelt. Ein Energiefaktor ist die Sonnenenergie, allerdings © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 25 nur im privaten Bereich. Fast auf jedem Haus steht ein Wasserboiler, der von Sonnenkollektoren aufgeheizt wird und das Warmwasser erzeugt. Bei diesen Erläuterungen nähern wir uns dem Weichbild der Hauptstadt Zyperns, der einzigen noch geteilten Hauptstadt Europas. Wir fahren natürlich zuerst in die Hauptstadt der Republik Zypern, ordentliches Mitglied der EUStaaten. Erstaunlich viel Grün säumt hier die Straßen. Der Linksverkehr wurde deutlicher, vor allem an Ampeln und Ringverkehr ist er seltsam ungewohnt. Nikosia: Erzbischöflicher Palast, Makarios-Denkmal Die Leoforos Athinas, auf der wir in die historische Altstadt einfuhren, zog sich an der alten Stadtmauer entlang. Antonio zeigte links von uns auf das Famagusta- Tor, eines der drei Tore, die damals durch die festungsartige Wallmauer in die Stadt führten. Der Festungsring wurde nach den Plänen eines venezianischen Architekten in den Jahren 1567/68 errichtet. Die Stadtmauer umschließt mit ihren elf Bastionen sternförmig die Innenstadt. Um freies Schussfeld zu haben, riss man damals alle Gebäude im Umfeld ab. Darunter auch die Grabstätte der Lusignans, den Königspalast und das Dominikanerkloster. Nikosia (griech. Lefkosia, türk. Lefkoşa) © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 26 Die Mauern sind sehr dick, schräg gestellt und von einem Wassergraben umzogen. Unter den fränkischen Kreuzrittern hieß das zyprische Lefkosia nun Nikosia. Trotz der starken Mauern erstürmte das Heer Mustafa Paschas nach siebenwöchiger Belagerung am 20. Juli 1570 die Stadt. 20 000 Bewohner verloren dabei ihr Leben. Nikosia blieb bis 1878 in türkischem Besitz, fast wieder dreihundert Jahre. Von da an nahmen die Briten von der Insel Besitz, machten es zur Kolonie und herrschten uneingeschränkt bis 1960. Das heiße Wetter sprang uns an, als wir dem Bus entstiegen. Vor uns prangte im gleißenden Sonnenlicht der erzbischöfliche Palast mit einem überlebensgroßen Denkmal von Makarios davor. Der Palast wurde zwischen 1956 und 1961 im neubyzantinischen Stile erbaut. Er ist heute Mittelpunkt der orthodoxen Kirche Zyperns. Makarios kam knapp mit dem Leben davon, als die Putschisten 1974 den Palast mit ihrer Artillerie beschossen. Da standen wir nun, mitten in Nikosia. Die Stadt sagte noch Sie zu mir und stellte mir ihre ersten Kostbarkeiten vor. Hinter den Säulenbögen des Palastes schimmerten kostbare marmorne Wandtäfelungen. Doch alles schien ohne Leben zu sein. Im ganzen Areal war niemand zu sehen. Eine Messing- Tafel wies auf ein kirchliches Ikonen- Museum im Nebentrakt des Palastes. Es beherbergt Tafelbilder, Freskenreste und Ikonen aus den Kirchen Zyperns. Das erste Ziel der Stadtführung war ein Denkmal des UNESCO- Weltkulturerbes- die Agios Ioannis, die Johanniskathedrale. Fotografieren verboten, wies uns Antonio an. Schade, aber einzusehen. Das Blitzlichtgewitter der Touristenapparate, die Ausdünstungen der Menschenkörper haben schon so manchem alten Kunstwerk zugesetzt und die Restauratoren zur Verzweiflung gebracht. Durch eine niedrige Tür traten wir in einen relativ kleinen einschiffigen Kirchenraum ein, der von einer über und über bemalten, tonnenförmigen Decke überwölbt ist. Die Ikonostase 13 strotzte von Gold und Silber und wies eine Vielzahl reich geschmückter Ikonen auf. Genau wie die römischen, so boten auch die Ostkirchen ihren Gläubigen Bilder an, um ihnen die Heilsgeschichte nahe zu bringen. So erzählten auch die Decken und Wandfresken viele und die wichtigsten Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament. Ein trotz Verbot aus der Hüfte abgedrückter Schnappschuss mag verdeutlichen, dass eine Schilderung dieses für meine Begriffe mit Blattgold überladenen Nikosia, Johannis- Kathedrale, Ikonostasis und förmlich überquellenden Reichtums an Bildern und schmückenden Ornamenten schwer möglich ist. Sie spricht zu den Sinnen des religiösen Menschen, blendet ihn, nimmt ihn gefangen und entführt den Gläubigen in die Welt des Übersinnlichen. Die Johanniskathedrale stammt aus dem Jahre 1662 und wurde unter Erzbischof Nikiforos auf dem Grund einer ehemaligen Benediktinerkirche aus fränkischer Zeit errichtet. Ihre Ausmalung mit diesen herrlichen Fresken in post-byzantinischer Manier erfolgte aber erst nach 1730, als diese Kirche zur Kathedrale erhoben wurde. Sie wurden restauriert und begeistern heute jeden Kunstfreund und erbauen natürlich vorrangig die Gläubigen. Ikonostase = Reich mit Ikonen geschmückte Trennwand zwischen Altar- und Gemeinderaum in orthodoxen Kirchen 13 © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 27 Wir erfuhren, dass die christliche Kirche auf Zypern überhaupt zu den ältesten christlichen Ländern der Erde zählt. Die Apostel Paulus und Barnabas verkündeten hier bereits das Christentum im Jahre 45 nach Christus. Somit ist die zyprische Kirche apostolischen Ursprungs. Die Kirche Zyperns gehörte von Anfang an zur Ostkirche, als im 4. Jahrhundert die Kirchenspaltung (Schisma) in eine Ost- und Westkirche ihre Wurzel zu schlagen begannen. Die Herrschaft der Lusignans erhob zwar für ein paar Jahrhunderte den römisch- katholischen Glauben zur Staatsreligion. Doch unter der osmanischen Herrschaft erhielt die orthodoxe Kirche ihre alten Rechte zum Teil zurück: Ein Erzbischof wurde zum offiziellen Vertreter des zyprischen Volkes. Zwischen 1960 und 1974 war Zypern neben dem Vatikan der einzige Staat der Welt, der von einem Kirchenfürsten, Makarios III., regiert wurde. Die in dunklen Farben gehaltene Decke machte den Raum eng. Neben der Würdigung des Theologen Johannes wurde diese Kirche vor allem der Entdeckung des Grabes des Hl. Barnabas 14 in den Ruinen von Salamis 15 geweiht. Zwei prachtvolle Kristall- Lüster füllen den Luftraum des engen Kirchenraumes und erzeugenwenn sie entzündet sind – feierliche und strahlende Helle. Als wir aus der Kirche heraustraten, vom Tageslicht geblendet und der jetzt noch Anfang Oktober unbarmherzig brennenden Sonne ausgeliefert, machte ich folgende Feststellung. Antonio strebte davon, unbeeindruckt der Dinge, die einen neugierigen Besucher noch fesseln können. Er latschte vorneweg, unbeirrt, ob nicht noch Dinge interessant und des Zeigens wert wären. Ich hegte deshalb oft einen kleinen Groll gegen ihn. Ihn interessierte nur sein Zeitplan. Wer mehr wissen und schauen wollte, musste sich sputen. So ging es mir oft, dass ich nach Motiven spähte, stehen blieb, dies und das fotografierte. Dann hatte ich in der Hitze zu hasten, um den Zug wieder einzuholen. So steht neben der Johanniskathedrale ein schmucker Bau, des Betrachtens wert- das Volkskundemuseum und das Museum des Nationalen Kampfes. Davor steht eine weiße Büste des Erzbischofs Makarios- dachte ich! Aber zu Hause, beim Stöbern in meinen Prospekten und Unterlagen korrigiere ich mich. Es ist das Denkmal von Erzbischof Kyprianos, den die Türken 1821 hingerichtet haben. Seine Büste steht im Vorhof des kleinen Mausoleums, das ihm und einigen anderen Geistlichen gewidmet ist. Dem damaligen türkischen Gouverneur von Zypern wurde hinterbracht, dass sie geheime Kontakte mit den Festlandsgriechen hatten, die sich zu dieser Zeit zum Unabhängigkeitskampf gegen die osmanische Herrschaft erhoben. Daraufhin ließ er sie hinrichten. Das Mausoleum und die Büste sind dem Andenken an diese Bluttat gewidmet. Denkmal für Erzbischof Kyprianos Wir biegen um die Ecke, schlängeln uns durch Autos und Passanten in einer engen Gasse in Richtung des zentralen Gemüsemarktes der Altstadt Nikosias, vorbei an einem Ausgrabungsgelände, das mit einem Drahtgitterzaun umgeben ist. Immerhin hatte die Stadt in ihren Blütezeiten im Mittelalter beinahe 250 Kirchen. Barnabas, zeitweise Mitarbeiter des Apostels Paulus, vertrat mit ihm die Belange der nichtjüdischen Christengemeinden auf dem sog. Apostelkonzil (Apostelgeschichte des Lukas 4,36 f., 15,1 ff.; Brief des Paulus an die Galather 2,1 ff.); Heiliger; Fest: 11. 6. 15 Salamis, antike Stadt an der Ostküste Zyperns in der Nähe Famagustas, der Sage nach von Teukros gegründet, 449 v. Chr. Sieg der Athener über die Perser; Ausgrabungen seit 1952. 14 © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 28 Nikosia (Süd): Gemüsemarkt vor der Markthalle Wir biegen in eine Seitenstraße ein, immer auf dem Sprung vor den sich vorbei schiebenden Autos. Auf einmal befinden wir uns mitten im Municipal Market, dem engen, verwinkelten städtischen Gemüsemarkt, auf dessen Freifläche rings um die Markthalle sich zahlreiche Händler unter recht provisorischen Sonnensegeln um die Gunst der Käufer bemühten. Heute war Sonnabend. Viele, Frauen sowohl als Männer drängten sich durch die engen Gassen und wählten aus dem reichen Angebot, das mich nur mit seinen vielfältigen Farben begeisterte, ihren Wochenendbedarf aus. Langsam zogen wir an den Gemüsekisten vorüber, stellten Übereinstimmung und Unterschiede zu unseren heimischen Gemüsern fest, beobachteten Käufer und Verkäufer, das bunte Treiben. Viele suchten nur wenige Früchte aus, die schwungvoll in den rosaroten Plastikbeuteln landen. Ich sah auch ganz alte Männer am Stock oder mit ihrem Rollader. Der Markt ist auch so etwas wie ein Treff mit Bekannten. Die Preise sind unseren ähnlich, eher noch teurer. Fast hätte ich wieder den Anschluss verloren. Antonio war schon weg und im Inneren der Markthalle verschwunden, deren Angebot mich nicht vom Stuhl riss. Am ehesten überzeugte mich die Offerte eines Gewürzhändlers, dessen Vorräte in prall gefüllten Säcken, oben offen, seinen Stand einrahmten. Da gab es Kümmel, Zimtstangen, Safran, Koriander, Fenchel, schwarzen und weißen Pfeffer, aber auch Honig, Marmeladen und vieles andere mehr, bekannte und unbekannte Spezereien. Antonio trieb uns weiter und steuerte uns zum Bus. Über die Ausgrabungen in dem Bereich hinter dem Ikonenmuseum, den erzbischöflichen Palast, dem Volkskundemuseum und der Markthalle, bei denen wir wieder vorbei kamen, konnte ich leider nichts in Erfahrung bringen. Es ist ein großes Areal und sicher fündig. Zu sehen sind Mauerführungen. Altstadt Nikosia, griechischer Teil, Ausgrabungen. Linkes Bild: Im Hintergrund die Omeriye- Moschee © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 29 Noch einmal kamen wir am Erzbischöflichen Palast vorüber. Gegenüber befindet sich ein stattliches Gebäude, das Panzyprische Gymnasium, das Elite- Gymnasium der Stadt, an dem auch Makarios studiert hat. Von hier wurde übrigens in den 1950er Jahren der Gedanke der Enosis 16 weiter getragen. Die Enosis- Idee kam mit der Staatsgründung Griechenlands 1830 auf. Sie beinhaltet den Anschluss aller griechischsprachigen Gebiete, auch Zyperns, an Griechenland. Aber es kam anders. Panzyprisches Gymnasium in Nikosia (Süd) Kurzer Rückblick: 1878 schloss das britische Empire einen Vertrag mit dem Osmanischen Reich, mit dem es der Türkei Schutz gegen das Vordringen des russischen Riesen auf dem Balkan versprach. Im Gegenzug traten die Türken Zypern ab. Die Insel wurde, nach dem Bau des Suezkanals ein wichtiger Stützpunkt auf dem Weg nach Indien geworden, im Jahre 1925 britische Kronkolonie. Die Inselbewohner spalteten sich in zwei Gruppen. Die einen wollten sich an ein Mutterland anschließen, das Griechenland heißt, die anderen sehnten sich nach einem unabhängigen Staat. Es gab aber auch noch eine türkische Volksgruppe. Kämpfe blieben unausweichlich... Wir liefen die Adamantiou Koral hinauf, Richtung Stadtmauer, vorbei an den stattlichen Resten eines Aquädukts, die kaum aus antiker Zeit stammen dürften, sondern aus der Zeit, als die Venezianer sich vor den Türken sicherten, nämlich aus den Jahren 1558 bis 1567. Zypern war nach den Eroberungsfeldzügen der Türken neben Kreta der einzige christliche Standort im östlichen Mittelmeer geblieben. Nach den Erkenntnissen der damals neuesten Verteidigungstechnik riss man ganze Stadtviertel Lefkosias ab, um einen starken Mauerring mit weitem Schussfeld zu errichten. Nikosia (Süd), Aquädukt an der Stadtmauer Selbst das Dominikanerkloster mit den Gräbern der Lusignan- Könige vor dem Paphos- Tor musste weichen. Böschungen und breite Gräben, Erdwälle wurden gezogen, Vorwerke in den Wassergräben gebaut. Senkrechte Schächte in den Wällen sollten den Druck bei Geschosseinschlägen auffangen. Hierzu diente möglicherweise auch der von mir vermutete Aquädukt, um Wasser, das ja schon immer kostbar war, in die Gräben zu leiten. Wie die Geschichte beweist, nutzten alle diese Vorkehrungen nichts. Unter großen Opfern auf beiden Seiten wurden die zyprischen Städte erobert. 1571 begann die über dreihundertjährige osmanische Herrschaft auf der Insel. Die Türken setzten einen so genannten Diwan ein, eine Regionalregierung, dem ein Bey (Gouverneur) und vier Agas vorstanden. Als „Vermittler“ zwischen der griechischen Bevölkerung und dem Bey dient ein christlicher Dragoman. Die neuen Herren schafften die Leibeigenschaft und den Frondienst ab, unter denen die Untertanen 16 Enosis, [griechisch, „Anschluss“], seit dem 19. Jahrhundert Losungswort einer Volksbewegung auf Zypern, die für den Anschluss der Insel an Griechenland eintritt. Die Enosis- Bewegung (seit 1950 geführt von Erzbischof Makarios) blieb auch nach Erlangung der staatlichen Unabhängigkeit (1960). © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 30 jahrhundertelang hatten leiden müssen. Die Türken senkten zunächst die Steuern, verboten den Katholizismus auf der Insel und bestärkten die orthodoxe Kirche, die ihre aus byzantinischer Zeit stammenden Rechte wiederbekam. 1754 wurde der Erzbischof zum Ethnarchen, zum Führer und Vertreter der griechisch- zyprischen Volksgruppe ernannt. 1821 begann der griechische Freiheitskampf auf dem Festland. Als der Erzbischof Zyperns diesen mit Nahrungsmitteln und Geld unterstützte, erkannte der amtierende Gouverneur Küçük Mehmed darin einen Anlass, gegen den wachsenden griechischen Einfluss auf der Insel vorzugehen. Trotz Zurückhaltung der Hohen Pforte ließ Küçük Mehmed den Erzbischof Kyprianos und weitere neun Mönche hinrichten. Sein Denkmal hatten wir gesehen. Seitdem bekam das Verhältnis zwischen Griechen und Türken auf der Insel einen Riss, der bis heute nicht verheilt ist. Ich nehme hier vorweg, dass diese Exekution im Wachsfigurenmuseum in Lefkara mit einer Darstellung verewigt ist. Hinrichtung des Erzbischofs Kyprianos 1821 durch die Türken, Fatsa- Wax- Museum Lefkara Unsere Gruppe, geführt von Antonio kam an die Ringstraße vor den Wällen. Mächtig ragt die Podocataro- Bastion aus der grünen Fläche empor. Sie ist gekrönt vom Freiheitsdenkmal, das an die Kämpfe gegen die britische Kolonialherrschaft 1960 erinnert. Es steht seit 1970 hier und zeigt verschiedene Figuren, die den Auszug der Gefangenen aus den britischen Kerkern symbolisiert. Dass vier Jahre später erneut griechische Zyprer in türkischer Gefangenschaft verschwinden, ahnte damals sicher noch niemand. Sehr pathetisch verlassen die Gefangenen ihren Kerker, dessen an Ketten hängendes Gitter von den Befreiern hochgezogen wird, und steigen die Stufen zur Freiheit empor. Auf einem Postament stehend, reckt eine idealisierte Frauengestalt den Zeigefinger siegreich in die Höhe. Wir besteigen den Bus, die Insassen warten schon, bis wir Wenigen mit Fotografieren fertig werden. Man muss ja alles im „japanischen Stil“ erledigen. Hinschauen. Foto. Fertig. Wir fahren jetzt zur Green Line zum Paphos- Tor, die Grenzlinie zum türkischen Norden der Stadt. Das letzte Stück zum Checkpoint müssen wir laufen. Der Übergang befindet sich in der Nähe des Ledra Palace Hotels, in dem die UN- Soldaten untergebracht sind. Mit einiger Spannung laufen wir den letzten Kilometer. Ich lese ein riesiges Plakat: „NORD CYPRUS FOR EVER“ oder so ähnlich. Davor weht die nordzyprische Halbmond- Flagge. Wir passieren das GoetheInstitut, einigermaßen ordentliche Häuser, die als Unterkünfte der UN- Beobachter ausgewiesen sind, aber auch verwilderte und zerstörte Häuser, in deren leeren Fensterhöhlen noch die Sandsäcke von den erbitterten Straßenkämpfen zeugen, die hier stattgefunden haben. Stacheldrahtrollen winden sich durch wucherndes Gesträuch. Ein tragisches Bild der Verwüstung bietet sich, mit Beton gefüllte Blechtonnen, Nagelbretter an Türen, immer wieder rostiger Stacheldraht, verwilderter Pflanzenwuchs weisen auf die Unvernunft der Türken, die diese schon über dreißig Jahre währende Trennung Nikosias mit ihrer politischen Sturheit erzwingen wollen. Dann erreichen wir den Grenzposten. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 31 Am Checkpoint erfährt zuerst Antonio von den türkischen Grenzwächtern, dass die gestern erstellte Liste mit den Personalien der Reisegruppe, die er hierher geschickt hatte, nicht angekommen oder nicht ausreichend ist. Wir müssen nun - jeder einzeln - mit Reisepass oder Personalausweis unsere Legitimation am Schalter abholen- einen Papierwisch mit Tagesstempel. Dann dürfen wir immer noch nicht durch den Schlagbaum. Wir erfahren, dass wir nur als geschlossene Gruppe gehen dürfen und nur in Begleitung eines Aufpassers, der aber noch geholt werden muss. So stehen wir denn in der Sonne und warten auf den Supervisor. Endlich erlaubt man uns zu gehen. Hinter uns trottet ein junger Mann im gelben Hemd, schweigsam, wie ein Hütehund immer hinter dem Letzten von uns bleibend. Bleibt dieser stehen, bleibt auch er stehen. Die Stasi lässt grüßen. Das Straßenbild der ersten belebten Straße versetzt mich in eine andere Welt. Es gleicht dem vieler Straßen in Deutschlands Städten, die von Türken beherrscht werden wie München, Berlin, Köln und kommt mir fast vertraut vor. Wir sehen den Festungsring von innen. Die Bastionen haben von den Venezianern Namen bekommen. Manche wurden umbenannt, wie es mit Namen so ist bei politischen Wechseln. Dieses hier heißt Mula. Die Mauern ragen nicht mehr sehr hoch heraus. Im Bastion Mula des Festungsringes Laufe der Jahrhunderte wurde viel aufgeschüttet. Elende Behausungen fielen mir auf. Mir wurde bewusst, dass viele Festlandstürken aus Anatolien hierher gezogen sind oder ziehen mussten. Sie machen nichts an den Häusern. Sie gehören ihnen nicht. Im Unterbewusstsein fühlen sie sich bestimmt nur als Herren auf Zeit. Obwohl die Politiker kräftig die Ewigkeitstrompeten blasen. Die Straße erweitert sich hinter einem lang gezogenen Museumstrakt, ein erklärendes Schild kann ich nicht deuten- ich bin des Türkischen nicht mächtig. Der Atatürk Meydani, ein Platz, nach Atatürk 17 benannt, von Bank- und Bürohäusern umstanden, wird von einer mächtigen Säule beherrscht, einst von den Venezianern errichtet, als Triumphsäule mit dem Markuslöwen gekrönt. Sie wurde im 16. Jahrhundert aus den Ruinen der alten Stadt Salamis bei Famagusta hierher in die neue Hauptstadt gebracht. Wir kommen an dem berühmten Saray- Hotel vorbei, das zu seinen Füßen ein gut besuchtes Straßencafé unterhält, wo sich viele junge Leute zum Mittagessen versammeln. An einer Straßenverzweigung sehe ich eine mittelalterliche Ruine, die Mauerreste des Kleinen Han 18 aus dem 17. Jahrhundert, türkisch Kumarcılar Han, die Karawanserei der Glücksspieler. In seinen Räumen wurde dem Glücksspiel gefrönt, als es noch keine staatlich konzessionierten Kasinos gab. Ein Stückchen, etwa 100 Meter weiter, blicke ich durch einen Torbogen in einen altertümlichen Innenhof. Ruinen des Kleinen Han Kumarcılar Han, die Karawanserei der Glücksspieler 17 Atatürk, Kemal, bis 1934 Mustafa Kemal Pascha, türkischer Staatsmann und Feldherr, Schöpfer der modernen Türkei, * 19. 5. 1881 Saloniki, † 10. 11. 1938 Istanbul; vor dem 1. Weltkrieg in der Jungtürkischen Bewegung, Führer der Armeegruppe Yildirim („Blitz“) in Palästina im 1. Weltkrieg; stellte sich nach der Niederlage 1919 an die Spitze der nationalen Erhebung, berief im April 1920 die Nationalversammlung in Ankara ein; vertrieb 1921/22 die Griechen aus Kleinasien und erhielt den Ehrentitel Gazi („siegreicher Kämpfer“); beseitigte das Sultanat und das Kalifat; seit dem 29. 10. 1923 Präsident der Republik, führte Reformen durch (Übernahme westeuropäischer Rechtssysteme, Einehe, Lateinschrift, Hut statt Fes, Einschränkung der Religion). Seine Politik wurde von der Republikanischen Partei fortgeführt. 18 Han, [der; persisch] Karawanserei, Herberge und Lagerhaus in orientalischen Städten und an Karawanenstraßen. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 32 Steinerne Bögen tragen eine Galerie. Es ist Leben im Hof. Musik spielt. An Tischen unter Bierzeltbaldachinen sitzt Volk und trinkt Tee oder Kaffee. Das ist der Große Han, im Türkischen Büyük Han, eine alte Karawanserei. Antonio strebt weiter. Der Mann im gelben Hemd sieht sich misstrauisch nach mir um, der ich zum Fotografieren stehen geblieben war, um (menschen)freie Bahn zu haben. In Gänsereihe läuft unsere Gruppe nun durch die belebte Straße. Sie zieht sich weit auseinander. Schauen ist nur im Vorbeigehen möglich. Ein Stuhl mit defektem Rohrboden steht mitten auf der Straße. Vielleicht will man einen Parkplatz reservieren. Ich denke an ein Bild von van Gogh. Einem Polsterer kann ich in seine bescheidene Werkstatt schauen. Sein Blick ist ob der ungewollten Ablichtung nicht gerade freundlich. Fertige Polstermöbel, den unsrigen nicht unähnlich, stehen vor dem Geschäft und werben für ihn; allerdings sind sie dem Staub der Straße ausgesetzt. Dann lese ich in der Irfan Bey Sokak - so heißt die Straße – ein Schild, das ein Türkisches Bad ankündigt, Büyük Hamam- Historical Turkish Bath, steht darauf, dazu noch der Name des wahrscheinlichen Betreibers. Sein Portalbogen mit den feinen Ornamenten wirkt wie ein Kirchentor und steht auf Kniehöhe, nämlich noch auf dem mittelalterlichen Straßenniveau. Man muss steile Stufen hinabsteigen, um hinein zu gelangen. Vielleicht war es einmal eine Kirche vor der osmanischen Zeit? Wir werden von den zwei Minaretten der Selimiye- Moschee angezogen. Hier, in der ehemaligen Sophienkathedrale, befanden sich in der fränkischen Zeit das kirchliche und wohl auch das weltliche Zentrum der Residenzstadt. Die Kathedrale wurde zwischen 1209 und der Mitte des 14. Jahrhunderts gebaut. Hier ließen sich die Lusignans zu Königen von Zypern krönen. Das Eingangsportal schmückt gotisches Maßwerk im französischen Stil: Dort wo die Türme aufragen sollten, ließen die osmanischen Beys zwei Minarette aufsetzen, zwischen denen heute der rote türkische Halbmond und die Flagge Nordzyperns wehen. So ist dieses Bauwerk ein architektonischer Zwitter, ein seltsames Gemisch von Christentum und Islam, ein Geschichtszeugnis, wie es vielleicht nur von der Hagia Sophia in Istanbul übertroffen wird. Das Tympanon über dem Eingang weist noch in drei Bogenreihen den Reigen der Heiligen auf, während die gotischen Maßfenster Eingang zur Selimiye- Moschee, der ehem. Sophienkathedrale (Nikosia Nord) ihres Schmuckes beraubt wurden. Wir ziehen die Schuhe aus und treten ein. Groß und weit ist der Innenraum, bereit Tausende Gläubige aufzunehmen. Dreischiffig ist das Bauwerk. Mit Farbe, einheitlichem Teppichboden und geschickten Betonungen von Minbar und einem Podest ist ein einheitliches Raumensemble geschaffen worden. Die dicken Säulen sind unterhalb des Bogenlagers schwarz gestrichen und bilden eine optisch- psychologische Grenze, um nach oben zu blicken. Man kniet nach Osten. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 33 Zum Inventar gehören ein Predigtstuhl (Kursi), Lesepulte (Rahle), Korankästen, Moscheeampeln und Gebetsteppiche (Sedschadea). Natürlich suche und finde ich innen auch christliches Steinwerk. Die Kapitelle der Säulen vor dem Chorumgang, die Maßwerksfenster, die nun in gelben Farben leuchten, die Rippenbögen der gotischen Deckengewölbe weisen auf die Ersterbauer und entlarven die Eroberer, die in großen runden Tafeln mit Kalligrafien die Sprüche des Korans preisen. Ich kann die in arabischer Schrift gehaltenen Jahreszahlen entziffern: 1290 und 1280 ( ١٢٩٠ und ١٢٨٠) Leider finde ich keine geschichtlichen Ereignisse, die hinter diesen Daten stehen. So können es nur Daten sein, die dieses Gotteshaus selbst betreffen. Vereinzelte Gläubige hocken oder knien in der Nähe der Säulen. Ich bemühe mich, ihre Andacht nicht dadurch zu stören, indem ich zwischen ihnen und der Kanzel durchlaufe. Manche von unserer Gruppe wissen das nicht. Wir Ungläubigen sind in einer Moschee nur geduldet. Allah ist groß. Vielleicht betet er unseretwegen die 109. Sure (Die Ungläubigen): Sprich: O ihr Ungläubigen, Ich diene nicht dem, dem ihr dienet, Und ihr seid nicht Diener dessen, dem ich diene. Und ich bin nicht Diener dessen, dem ihr dientet, Und ihr seid nicht Diener dessen, dem ich diene. Euch eure Religion und mir meine Religion. Wie tolerant! Ich mache einige Fotos und ziehe dann mühsam die Schuhe an die aufgequollenen Füße, als wir wieder unter die schattigen Rippengewölbe der Spitzbogenvorhalle heraustreten. Bald formiert sich die Gruppenschlange, von dem Mann in Gelb wieder zusammen gehalten. Gelassen und beinahe apathisch sitzen die „Tempelwächter“ auf einer Bank und warten darauf, dem Touristen etwas von dem Kram zu verkaufen, den die Händler zusammengetragen haben. Teile eines seltsamen Gotteshauses, des „Bedesten“ (türk. überdachter Markt) sind eingerüstet. Die verrosten Rüststangen zeugen von jahrelanger Standzeit und wenig Geld der Stadtverwaltung. Dieses gotische Bauwerk aus dem 12. Jh. vereinigt byzantinische, gotische und venezianische Stilelemente in sich und hat durch Erdbeben stark gelitten. Hinter der Kathedrale steht die Sultan-MahmutBibliothek, heute genutzt von der „Assoziation of Friends of Museum“. Sicher war es früher der Sitz der Domherren. Es war nicht weit zur Markthalle. Vorher staunte ich über eine einsame Dattelpalme, die zum Abernten mit einer stationären Leiter versehen war. In einem Torgang staunte ich über die vorsintflutliche Elektrik an manchen Häusern. Die Markthalle von Nikosia Nord ist modern und voller Leben. Von Obst über Gemüse, verpackte Lebensmittel, Fleisch bis hin zu Süßigkeiten findet man hier alles. Auch Schmuck, Kleider, Schuhe und Unterhaltungselektronik werden angeboten. Wir schlendern durch die Hauptgasse, von neugierigen Blicken verfolgt. Die Einheimischen wissen, dass wieder einmal Touristen, an denen sie nichts verdienen, sie nur an ihrem Tagwerk hindern. Vereinzelte werbende Gesten, die mich näher an den Stand locken wollen oder Versuche, mit Anrufen mich zu ködern, Käufer zu werden, muss ich bedauernd ablehnen. Ich brauche nichts. So bleiben wir durchziehende Statisten in diesem lebendigen Bühnenwerk oder um es anders zu vergleichen© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 34 in diesem zeitgenössischen türkischen Tempel des Konsums. Der Rundgang führt uns zurück. Ich erkenne den Kleinen Han wieder. Dann schwenkt Antonio von der Arasta Sokağı in den Torbogen des Büyük Han und verkündet eine halbe Stunde Pause. Einer türkisch- englischen Informationstafel entnahm ich folgende Beschreibung: Diese „Große Herberge“, eine alte Karawanserei, wurde 1571/72 von Mustafa Pascha errichtet, kurz nach der türkischen Eroberung, um reisenden Händlern aus Anatolien und anderen Teilen Zyperns Unterkunft zu bieten. Ursprünglich hieß diese Karawanserei „Alanyaliar Han“. Später dann, nachdem der Kumarcılar Han gebaut war, bezeichnete man ihn als Büyük Han. Er ist in seiner Anlage vergleichbar mit anderen Hans, die man in Anatolien findet. Esd ist das älteste türkische Bauwerk der Insel. Zum Beispiel gibt es eine bemerkenswerte Übereinstimmung mit dem Koza Han in Bursa (Türkei). Das zweistöckige Bauwerk besteht aus 68 Räumen, welche sich zu der großen umlaufenden Galerie öffnen, die sich um einen großflächigen Innenhof rahmt. Zehn Pacht- Läden öffnen sich nach außerhalb. In der Mitte des Hofes befindet sich das Ottoman Mesjid, das auf acht marmornen Säulen ruhende, mit einer Kuppel überdachte, zweistöckige Brunnenhaus, von außen mit einer steinernen Wendeltreppe versehen. Im Han gibt es zwei Eingänge (West und Ost), wobei das Osttor an der Asmaalti- Straße der Haupteingang ist. Ein Steinpaneel ohne Inschrift prangt über dem Torbogen. Zylindrische Säulen tragen die Spitzbögen beider Stockwerke und umgeben den Innenhof. Im Erdgeschoss geben sie damit schattige Arkaden frei. Die Räume im Erdgeschoss haben eine niedrige Bogentür, ein Bogenfenster und einen Kamin. An der Ostseite des Han, wo die Shops zur AsmaaltiStraße sind, links vom Eingang, findet man Kreuzrippengewölbe, rechts davon Tonnengewölbe. Zwei symmetrisch angeordnete Treppen in der NW- und SO- Ecke des Hofes führen vom Hof in das obere Stockwerk. Schichten von behauenen Steinen formen die äußeren und inneren Mauern des Hans. Auf den Mauern gibt es Wasserspeier aus Stein. Das Bauwerk wird unterstützt durch 2 Strebepfeiler in jeder der vier Ecken. An der Spitze des Tonnendaches gibt es zwei hexagonale Schornsteine mit konischer Bedeckung. Sie weisen auf die Kochherde hin. Wir setzten uns in den Schatten eines der breiten Schirmständer und warteten auf einen Kaffee- türkisch oder zyprisch war hier die Frage, die uns wieder auf die besonderen politischen Umstände stieß. Wir konnten zwar in zyprischen Pfund bezahlen. Ich stellte aber fest, dass die Währung hier im Norden die türkische Lira ist. Ich streifte noch ein wenig in den oberen Arkaden umher, entdeckte manchen Kunsthandwerker mit interessanten Schnitzereien, Malereien oder Verkäufer von Antiquitäten. Viel wird es den Händlern nicht einbringen. Es strömen täglich Hunderte von Touristen vorbei, doch diese werden immer ärmer und halten ihr Geld zusammen. Meine vorsichtige Einschätzung. Ich entdeckte an der Wand eine vorsintflutliche fahrbare Nähmaschine, die sicher noch nicht lange ausrangiert wurde. Sie gehört ins Technik- Museum. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 35 Aus einem Raum höre ich einen Mann Flöte spielen, mehr für sich als für andere. Wir brechen auf und laufen zurück zum Grenzposten. An zerfallenden, ungepflegten Häusern lese ich ab, dass die Menschen hier auf ungewisse Zeit leben, von der Politik verunsichert sind. Ich spüre: Sie sind aber Menschen, wollen in Frieden leben, eine Heimat haben. Auch die Türken auf Zypern besitzen angestammte Rechte! Dieser Konflikt kann nur international von außen gelöst werden. Keiner gibt freiwillig nach. Jeder Teil hat seine Argumente. Mag sein, dass der Schwerpunkt jetzt und seit dreißig Jahren sich auf den griechischen Teil verlagert hat. Wir passieren wieder den Atatürk Meydanı mit der dominierenden Venezianischen Säule. Als 1489 die letzte Königin der Lusignans, Caterina Cornaro, den Venezianern Zypern überlässt, betrachten diese die Insel als letzte Bastion gegen die Osmanen und befestigten sie. Ich habe es schon weiter vorn bei der Stadtmauer beschrieben. Hier auf dem zentralen Platz errichteten sie als Herrschaftszeichen diese 6m hohe Venezianische Säule auf dem Atatürk Triumphsäule mit dem Markuslöwen, an deren Basis Meydanı, Lefkoşa (Nikosia Nord) unter anderem venezianische Wappen zu sehen sind. Anstelle des später verloren gegangenen Löwen krönt seit der britischen Kolonialzeit eine Weltkugel das Monument. Spätestens hier muss man sich wieder einmal an die wechselvolle Geschichte der osmanischen Zeit auf dieser strategisch so wertvollen Mittelmeerinsel erinnern: 1570 greifen türkische Truppen Zypern an, nehmen Lefkosia ein, richten dort ein Blutbad an, bei dem 20 000 Menschen starben und belagern Ammochostos (heute Famagusta) fast ein Jahr lang. Der venezianische Befehlshaber Marc Antonio Bragadino, ergibt sich nach tapferer Gegenwehr dem osmanischen Befehlshaber Lala Mustafa, der den Belagerten zunächst freien Abzug gewährt. Später jedoch befiehlt er, Bragadino zu peitschen und Atatürk Meydanı, Lefkoşa (Nikosia Nord) verurteilt die anderen zum Tode. Nach der türkischen Eroberung der Insel 1571 wurden auf Zypern etwa 30 000 Türken vom Festland hier zwangsweise angesiedelt. Im Gefolge der Einverleibung in das osmanische Reich wird die westliche Geistlichkeit vertrieben oder zum Islam zwangsbekehrt und die griechischorthodoxe Kirche wieder in ihre Rechte eingesetzt. Während der 300jährigen osmanischen Herrschaft gab es immer wieder Aufstände, die blutig niedergeschlagen wurden. Unter dieser Herrschaft stärkte sich die Macht der orthodoxen Kirche. Mit der Zeit wird der Erzbischof, Führer der Griechisch- Orthodoxen, deren Repräsentant beim Sultan. Der Erzbischof vertrat als Ethnarch die Belange der griechischen Volksgruppe, die vier Fünftel der Bevölkerung ausmachte. Als 1821 der griechische Unabhängigkeitskampf ausbricht, der Erzbischof und andere kirchliche Persönlichkeiten hingerichtet werden, spätestens dann entwickelt sich aus einer muslimischen Minderheit eine zypriotische Identität, die sich immer wieder gegen die Osmanen auflehnt. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 36 Von Antonio erfahren wir bei diesem Rundgang wenig bis nichts über die türkische Geschichte der Insel. Er ist unmittelbar von der Okkupation betroffen und mental nicht frei in der Beurteilung der Vergangenheit. Man kann es ihm, der mit Wehmut und Hass an die Invasoren und sein verlorenes Haus in Famagusta denken muss, nicht verübeln. Still geht er vor uns her. Wir trotten in der Mittagshitze hinterher, am Schluss der Aufpasser im gelben Hemd. Am Grenzposten heißt es wieder warten. Jeder muss sein Visum vorzeigen. Hundert Meter weiter nimmt uns der Bus auf und fährt uns das kleine Stück bis zur Bastion D’Avila, wo er parkt und in deren Nähe sich das beliebteste Altstadt- Viertel Laiki Gaitonia befindet, wo wir nun die heiße Mittagsstunde von eins bis zwei verbringen. Hier führt uns Antonio in ein bekanntes Lokal. Wir sitzen in einem byzantinisch verbrämten Restaurant „Byzantino Palati“ in der Solon Nr.6 bei ΕΙΔΙКΕΣ ΤΙКΙΕΣ ΛΙΑ ΔΕΙΞΙΣΕΙΣ; ich entschlüssele es mit Idikes Tikies Lia Dixisis, was immer das für Personen oder Dinge sind, die mit diesen griechischen Buchstaben lesbar gemacht werden. Wir sitzen unter einem herbstlich verdorrten aber noch Schatten spendenden Blätterdach im kleinen Hof des Restaurants. Martina bestellt einen Bauernsalat und ich schließe mich einer Sammelbestellung für ein Gericht an, die Antonio durch Umfrage ermittelt hat, nachdem er in der Küche war –was in Griechenland durchaus üblich ist – und geschnökert hat, was essbar ist und was nicht. Beim Gang auf die Toilette, die im ersten Stock zu finden ist, muss man über eine Holztreppe, an deren Wand einige schlecht und geschmacklos Bilder gehängt sind, an einem offenen Raum vorbei, in dem der Besitzer ein winziges Museum gestaltet hat. In dieser Kammer stehen ein eisernes Doppelbett mit linnenüberdachtem Himmel, eine Kommode, ein niedriges Sofa, ein raumhoher Schrank, ein Tisch mit Decke und Bügeleisen, unter einem Spiegel ein Polstersessel. An der Wand hängen unter Glas weitere Aquarelle. Vielleicht hat mal ein Künstler hier gewohnt. Ich kann es nicht ergründen. Unten in der Gaststube fotografiere ich einige Bilder, die ein wenig folkloristischen Charakter tragen und am ehesten etwas über frühere Zeiten berichten. Ein Bild, die Rückenansicht einer schönen Griechin, fesselt mich ganz besonders. Es ist ein seitliches Porträt von beinahe klassischer Schönheit. Danach bummeln wir ein halbes Stündchen in den engen schattigen Gassen, sehen uns die Auslagen und Geschäfte an. Martina zieht mich in einen Laden mit unzähligen Köpfen aus Gips und prüft ausgiebig einige silberne Halsketten im Vorblick auf Weihnachten oder Geburtstag Denises. Ich kann im Verkaufsgespräch mein Englisch anwenden. Martina entschließt sich nach langem gewohntem Zaudern. Kleine Bildergalerien haben es mir angetan. Die Motive sind meist auf die Spitzenattraktionen der Insel abgestimmt, auch einige Akte hängen darunter, darauf abzielend, dass Kunden aus dem Westen nicht so prüde wie es vielleicht noch die muslimischen Landsleute sind. Überall am Ende winziger Sackgassen finde ich einladende Sitzgruppen, die jetzt unter Mittag nur mäßig besetzt sind. Wie schön muss es sein, ohne Zeitdruck hier ein Gläschen Wein zu trinken, zu versuchen mit dem Wirt ein paar Worte zu radebrechen oder einfach dazusitzen und zu spüren, dass die Zeit für Augenblicke stehen bleibt. Mit begehrlichen Blicken werde ich von den umherstehenden Bedienkräften gemustert, manchmal angesprochen und mit devot einladender Geste aufgefordert Platz zu nehmen. Leider muss ich mich fast entschuldigen. Ich hebe die Schultern © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 37 und hebe die nach vorn gekehrten Handflächen hängenden Armes leicht an: Keine Zeit! Krima! Schade! Martina treffe ich jetzt, sie animiert mich unsicher, die Auslagen eines Händlers mit Nüssen, Mandeln, Nougat und anderen Süßigkeiten zu betrachten, dort wieder gibt es herrlich duftende Gewürze. Mit ihnen lebt die Erinnerung an all die orientalischen Basare wieder auf, die wir gesehen haben. Das hier ist nur ein müder, schwacher Abglanz. Ich erinnere mich an Hand eines Bildes, einem Schuster in seine armselige Werkstatt hineingeschaut zu haben. Solche Einblicke zeigen die wahren Verhältnisse derer, die nicht am Honigseim des Tourismus schlürfen, solcher armen Handwerker, die mit einfachsten Handwerkzeugen eine alte Tradition hoch halten, ihr Leben damit fristen, Schuhe reparieren, kleben, flicken, wo für ein paar lumpige Pfund der Markt nagelneue Importe anbietet. Es ist wie bei uns auch: Wer lässt noch Schuhe reparieren? Eine verschwindende aussterbende .Minderheit. Handwerk stirbt. Wir sammeln uns vor der Tachodromío, der Post. Der parkähnliche Platz am Rathaus, den die Bastion D’Avila freigibt, wird von uralten Bäumen bestanden, die mit ihren weit ausladenden Ästen tiefen erholsamen Schatten spenden. Beete mit Tausenden quittegelben Schuhmacher- Werkstatt Studentenblumen säumen die Wiesen, die sicher jeden Altstadt Nikosia (Laiki Gaitonia) Tag fleißig von Stadtgärtnern gesprengt werden. Ein mannshohes Spalier rot blühender Bougainvillea begrenzt einen Parkplatz. Es ist schön hier. Doch Antonio sammelt uns wieder, winkt uns zum Bus auf die vom müden Körper willkommenen Sitzplätze zum Nachmittagsprogramm. Kultur pur ist nun angesagt. Die Fahrt ist wieder nicht lang. Wir halten links in der Leoforos Mouseiou, einer breiten Straße vor dem Stadttheater. Der moderne Bau mit einem klassizistischen Portikus auf der Schauseite wird für Konzerte, Theatervorstellungen und verschiedene festliche Anlässe benutzt. Über den ionischen Säulen prangen die griechischen Buchstaben ΔΗΜΟΤΙКΟ ΘΕΑΤΡΟ ΛΕΥКΩΣΕΙΑ“. Was etwa heißt DimotiusTheater Nikosia. Ich fand heraus, dass es gleichfalls die Hauptbühne für die „Theaterorganisation Zyperns“ ist. Schräg gegenüber befindet sich das Zypern- Museum, geringer die Zahl der Säulen am Eingang, doch bedeutender was den Inhalt und den Wert der darin enthaltenen Schätze angeht. Es birgt eine faszinierende Sammlung zyprischer Altertümer und Kunstschätze von der Jungsteinzeit bis zur frühen byzantinischen Periode. Dieses Archäologie- Museum, 1882 begründet, vermittelt ein geschlossenes Bild der Kulturgeschichte der Insel. Erst 1909 bezog das Museum diesen klassizistischen Bau, den der britische Gouverneur zum Gedenken an Königin Viktoria errichten ließ. Hier in einem ersten Raum, Saal 1, mit den frühesten Funden auf der Insel, wird Antonio sehr gesprächig und brilliert auch bei der weiteren Führung mit gutem Wissen. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 38 Er zeigt uns Symbolfiguren eines steinzeitlichen Fruchtbarkeitskultes, von dem ich eine Nachbildung mitbrachte. Am Original kann man Phallus- und Vagina- Symbol erkennen, die Verbindung von Mann und Frau. Ihre Entstehungszeit datiert bis 3000 Jahre vor Christus. Weibliche Tonidole mit Geburtsloch zeugen von einem der frühest bekannten Kulte. Im Ecksaal 2 fanden wir ganz außergewöhnliche Terrakottamodelle aus der frühen Bronzezeit, etwa um 2000 v. Chr. Das berühmteste stellt eine Schale dar, in der Menschen und Tiere versammelt sind, das berühmte Vounous- Modell. Von draußen, neben einer torähnlichen Öffnung, lugt ein Mann über die Mauer, ein Ausgestoßener, ein Neugieriger? Ein Rundheiligtum ist es, mutmaßt man. Tiere spielen Chalkolithisches kreuzförmiges Idol aus Speckstein eine große Rolle. Heilige Haustiere oder Opfer? Voll Interesse, ob es wissenschaftlich fundiertere Deutungen gibt als Antonios Erzählungen, holte ich mir im Internet dazu folgende Informationen: Das Vounous Modell (Zeichnung, Bild von Juergen E. Walkowitz ): Zu den bronzezeitlichen Attraktionen Zyperns gehört das Vounous- Modell. Es wurde als szenische Komposition von Ritualen in einem runden Temenos 19 verstanden. Als einziger Beleg für eine runde Sakralarchitektur in dieser Zeit, wurde es zum Ausgangspunkt extensiver religionshistorischer Spekulationen. Fundgeschichte Vounous ist zugleich der Name eines niedrigen Hügels an der Nordküste Zyperns, 1 km östlich der Abtei von Bellapais, die eine der Touristenattraktionen der Insel ist. Die im nördlichen Vorgebirge von Kyrenia liegende Stelle ist ein großer Friedhof aus der Bronzezeit. Viele seine Grüfte wurden in den frühen 1930ern geplündert. 1931 und 1932 unternahm man Rettungsausgrabungen bei Vounous. Im Juni 1933 grub Claude F. A. Schaeffer die Grüfte 49-79 aus. Eine Expedition der britischen Schule von Athen setzte die Ausgrabungen 1937-1938 fort. Deutung P. Dikaios legte 1940 eine detaillierte Interpretation vor: Danach handelt es sich um einen Temenos, das von einer niedrigen Mauer umgeben ist. Die Figuren verkörpern die Teilnehmer einer religiösen Zeremonie. Die drei vertikalen Balken der Bukranienwand 20 sind die Idole chthonischer Gottheiten, die Schlangen sind deren Attribute. Gleichzeitig repräsentieren die Balken wegen der (abgebrochenen) Tierschädel auch Bukranien und damit Aspekte einer Stiergottheit und deren Fruchtbarkeitsriten. Neuere Interpretationen stellen den Realismus des Modells in Frage. Eine schlüssige Erklärung wäre eine fremde Herkunft. Im Zentrum des Interesses befinden sich die - größer dargestellten (dunkelgrünen) - beiden Personen (bei 10.30 Uhr) und die rechts der Bukranienwand (bei 13 Uhr) separierte Sitzfigur. Die drei etwas abseits (bei 2 Uhr) platziert Sitzenden komplettieren ein sechsköpfiges Pantheon 21 . Diese Zahl entspricht den in Gruppen zu sechs aufteilbaren 12 Titanen und den sechs Kroniden der Theogonie des Hesiod 22 , die vermutlich um 700 v. Chr. entstand. Hesiod gilt als der Autor der „Zeusbibel“, dessen Glaube sich nach schweren Kämpfen, vermutlich in den „dunklen Jahrhunderten“, jedenfalls noch vor dem Jahre 800 v. Chr. (ggf. auch nur lokal) durchsetzt. Die Gruppe der ebenfalls sechs (im Kreis stehenden - hellgrünen) Personen stellt keine aktuellen Götter dar, könnte aber die (in der Tradition dieser Religion liegenden) „Altgötter“ meinen. Die vor der Bukranienwand sitzende Figur, (im Bild unten) erkennbar an der Kopfbedeckung, muss entweder der 19 Temenos, [das; griechisch], umgrenzter heiliger Bezirk; Heiligtum, meist mit Asylrecht. Bukranion [das; griechisch], Stierschädel, mit Girlanden ein beliebtes Schmuckmotiv der Antike. 21 Pantheon [das; griechisch, „Tempel aller Götter“] 22 Theogonie [griechisch], Mythos und Lehre über Ursprung und Herkunft der Götter. Besonders bekannt ist die Theogonie des Hesiod. 20 © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 39 Herrscher oder der Oberpriester sein. Im letzteren Fall fiele dem Herrscher – nicht etwa einem beliebigen Gläubigen – die Position des vor der Bukranienwand Knienden zu. Unklar bleibt die Funktion der Personen (bei 9 Uhr) nur, wenn man von einer helladischen 23 Position ausgeht. Begreift man die Schale aber als eine anatolisch-orientalische Schöpfung so ergibt sich: Der Mann ist El, die Frau ist Aschera und das Kleinkind auf ihrem Arm ist Baal. Sie stellen die "BethlehemVersion" des levantinischen Kultes, die Geburt Baals dar, die auch als zentrale Feier dieses Kultes und als das Ergebnis der Hierogamie 24 gilt. Auf die Levante bzw. Anatolien als Ursprungsgegend verweist die Tatsache, dass es sich nicht um ein mediterranes Pantheon handelt, das stets aus drei Männern und drei Frauen besteht. Der Zuschauer (bei 5 Uhr) repräsentiert den ausgesperrten Gläubigen oder den interessierten Fremden, den der Wächter (bei 6 Uhr) am Betreten des Kultplatzes hindert. Alles spricht also für eine von orientalischen Emigranten eingeführte Darstellung, die auch die runde Form der Schale erklärt, die der zyprischen Kultplatzform in der beginnenden Bronzezeit nicht entspricht. Zu dieser Zeit kam jedoch eindeutig anatolische Bronzetechnik auf die Insel, die vermutlich Migranten mitbrachten, die auch ihren anderen Glauben pflegten. Es ist rotpolierte Keramik, die noch andere mystische Motive verkörpert. Stierköpfige Menschen sind zu sehen. Mir ist bewusst, dass ich die Einmaligkeit der Funde als Laie nicht beurteilen kann. Im Saal 3 finden sich Vasen, Vasen, Vasen. Aber sie erzählen Geschichten. Hier sind es hauptsächlich bronzezeitliche Rot-aufSchwarz-Malerei, die auf den Handel in ägäischen Gefilden schließen lässt, und die schwarz bzw. weiß überzogene helle Keramik, die mit vielerlei Symbolik versehen ist. Ich erkenne sogar deutlich ein Hakenkreuz, eines unter vielen runenähnlichen Malen. Antonio erklärte nur wenige der vielen Hundert Ausstellungsstücke. Eine Vase liebt er besonders, ein roter Stier auf gelbem Grund mit gesenktem Kopf in Angriffsstellung, darüber eine Sonne, unter dem Kopf eine stilisierte Lotus- Blume. Es gibt Motive mit Fischen und Vögeln, dann wieder abstrakte Symbole… Im kleinen Ecksaal 4 gibt es eine ganze „Terrakotta- Armee“ zu bewundern. Es sind Krieger, die wenn man genau hinsieht, teilweise verwundet dargestellt sind, so als würde man die Leiden des Krieges geißeln. Die meisten Figuren, Krieger, Kentauren, löwenköpfige Menschengestalten sind bewaffnet. Einige thronen auf Wagen, die von Stieren gezogen werden. Die insgesamt über 2000 Stücke stammen von einer Grabung, die von schwedischen Archäologen geleitet wurde, aus einem Fund von Agía Iríni im Nordwesten der Insel. 23 „Terrakotta- Armee“, Fund von Agía Iríni helladische Kultur, bronzezeitliche Kultur des griechischen Festlands; gegliedert in eine frühhelladische (2500—1900 v. Chr.), eine mittelhelladische (1900—1600 v. Chr.) und eine späthelladische (1600—1100 v. Chr.) Periode. In der frühhelladischen Zeit bildete das griechische Festland mit den Kykladen, dem frühminoischen Kreta, Makedonien und Anatolien eine Kultureinheit (ägäische Kultur), getragen von einer einheitlichen nichtindogermanischen Bevölkerung. Die Siedlungen hatten städtischen Charakter. Monumentalbauten in Lerna und Tiryns deuten auf das Bestehen von Herrensitzen. Neben Kupfer und Bronze verwandte man noch Stein (u. a. Obsidian) und Knochen; in den Töpfereien überwog die glasierte, Metallglanz imitierende Urfirniskeramik. Am Anfang des 2. Jahrtausends v. Chr. wurden die frühhelladischen Siedlungen von einwandernden Indogermanen (den als Achäer, Ionier bezeichneten Frühgriechen) zerstört. In der folgenden mittelhelladischen Periode bildete sich eine Mischkultur aus traditionell ägäischen und indogermanischen Elementen. Durch Einflüsse von Kreta entstand um 1600 v. Chr. die mykenische Kultur, die der späthelladischen Periode Griechenlands entspricht. 24 Hierogamie = heilig…, Priester…; Priesterverehrung © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 40 In der Spätbronzezeit waren diese Figuren zu Kultzwecken vor einem Altar aufgestellt. Der Saal 5 überraschte mit großen monumentalen Steinplastiken aus Kalkstein. Marmor war knapp oder auf der Insel nicht vorhanden. Die Aphrodite von Sóloi aus dem 1. Jh. ragt hier heraus und ist auf allen Prospekten des Museums zu sehen, ein weiblicher Torso. Sie ist zur Symbolfigur der Insel Zypern aufgestiegen, obwohl es von Aphrodite schönere Plastiken gibt. Aphrodite von Sóloi 1. Jahrhundert v. Chr. Von der Größe her, aber auch durch seine heldenhafte Pose beherrscht die überlebensgroße selbstverherrlichende Bronzegestalt des Kaisers Septimius Severus 25 den kleinen Ecksaal 6. Über den Bezug dieses römischen Imperators zur Insel Zypern konnte ich nichts erfahren. Nur der Fundort bei Kythrea am südlichen Hange des Petadaktylos- Gebirges, das etwa 20 km nördlich von Nikosia und nicht weit von der Küstenstadt Kyrenia/Girne entfernt liegt, lässt Zusammenhänge vermuten. Natürlich war die Insel Zwischenstation auf den Feldzügen des Kaisers ins Zweistromland, um dort das mächtige Reich der Parther26 im Schach zu halten, das im Osten Roms Eroberungen bedrohte. Es gilt als gesichert, dass die Insel seit dem Jahre 58 v. Chr. bis 330 n. Chr. fest in römischer Hand war. Zypern fällt in dieser Zeit unter die Herrschaft des Römischen Reiches. Auf den Missionsreisen des Heiligen Paulus und Barnabas wird der Prokonsul Sergius Paulus zum Christentum bekehrt: Zypern wird das erste christlich regierte Land. Tektonische Erschütterungen und mehrere Erdbeben ereignen sich im ersten vorchristlichen und nachchristlichen Jahrhundert. Ganze Städte werden wieder aufgebaut. 313 n. Chr. gewährt das Mailänder Edikt den Christen Religionsfreiheit. Zyprische Bischöfe nehmen 325 am Konzil von Nikäa teil. 25 Septimius Severus, geb. 146 in Leptis Magna, Afrika, entstammte einer Familie aus dem Ritterstand, wuchs in Afrika auf und wurde dann in Rom von Marc Aurel in den Senat aufgenommen. Er durchlief die Ämterlaugbahn, wurde 170 Duästor, 178 Prätor, heiratete 185 in zweiter E´he die Iulia Domna aus Syrien, war 186 – 189 Statthalter in Gallia Lugdunensis (Lyon), versah 191 – 193 die Statthalterschaft Oberpannoniens, wurde 193 in Carnuntum bei Wien zum römischen Kaiser ausgerufen. Er zog 197 gegen die Parther und eroberte Ktesiphon, Seleukia und Babylon. 202 ließ er den nach ihm benannten Triumphbogen auf dem Forum romanum bauen. Während eines Feldzuges in Britannien starb er 211 in Eburacum (York). Seine Söhne Caracalla und Geta übernahmen seine Herrschaft. 26 Parther, iranischer Stamm an der Südostecke des Kaspischen Meeres. Zwischen 250 und rund 238 v. Chr. eroberten die Parner, ein ostiranischer Stamm, unter ihrem Anführer Arsakes die seleukidische Satrapie Parthava. Die eingedrungenen Parner erhielten aufgrund ihrer Niederlassung in Parthava den Namen Parther. Vermutlich um 247 v. Chr. wurde Arsakes zum König gekrönt und begründete die Dynastie der Arsakiden; die erste Hauptstadt wurde Nisa. Unter Mithradates I. wurde das Partherreich die Großmacht des Ostens, mit der die Römer in Armenien und Mesopotamien rund 300 Jahre lang zu kämpfen hatten. Vermutlich 141 v. Chr. wurde die Hauptstadt nach Ktesiphon am Tigris verlegt. Die Parther knüpften an das Vorbild der Achämeniden an, kulturell stand das Reich unter griechischem Einfluss. Im 1. u. 2. Jahrhundert n. Chr. wurde das Partherreich durch Bürgerkriege und mehrere römische Feldzüge (siehe oben) erschüttert. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 41 Weiter führte der Rundgang in den Saal 7. Es überwogen Bronzefiguren und –kunstwerke. Waffen, viele Münzen, Siegel, die von Verwaltungs- und Hoheitsmacht zeugen, kleine Statuetten überfordern selbst den aufmerksamen Besucher, wenn er alles das genau studieren will. Die Bezüge zur Geschichte fehlen dem Laien. Ich habe oben nur versucht, an einem Beispiel, eine Verbindung herzustellen. Interessanteste Stücke sind eine Bronzekuh aus Vouní (5. Jh. v. Chr.) und der Gehörnte Gott aus Énkomi (12. Jh. v. Chr.).Das ist ein Blick in die Kunst der Bronzezeit, fast 15000 Jahre zurück! Über eine kleine Treppe gelangen wir in das Untergeschoss, wo rekonstruierte Gräber in dem Zustand zu sehen waren, wie sie von Einheimischen gefunden (und ausgebeutet) wurden. Fotografien belegen das zeitnah und geben Einblicke in die Beziehungen der Einwohner zu ihrer Historie. Bald sind wir gesättigt und fußmüde, nehmen die weiteren Säle nur noch oberflächlich wahr, erfahren im Saal 9 etwas über Begräbnisrituale, sehen Sarkophage, Grabmäler, Stelen der Antike in verschiedenen Epochen. Weiter. Im Saal 10 finden wir Artefakte und Tafeln mit Schriftzeichen aus ganz unterschiedlichen Epochen. Diese zeugen von ausgezeichneter Schriftkunde der antiken Völker. Hervorzuheben ist eine Tafel mit einer bis heute noch nicht entzifferbaren kypro- minoischen Silbenschrift, die ins 16. Jahrhundert vor Christus datiert wird. Ein Double des kleinen sensationellen Keilschriftfundes von Ugarit 27 , dem Ursprung unseres Alphabetes, weist auf Verbindungen zum mächtigen Hethiterreich hin. Später im Bus zeigt uns Antonio eine Tafel, die die Entwicklung und Ähnlichkeiten verschiedener Schriften deutlich macht: 27 Ugarit, im Altertum Stadt an der nordsyrischen Küste, heute Ruinenhügel Ras Schamra (mit Hafen Minet elBeida). Ausgrabungen seit 1929 brachten älteste Funde aus dem 7. u. 6. Jahrtausend v. Chr. Seit dem 2. Jahrtausend v. Chr. Stadtstaat unter Königen; lange unter minoischem und ägyptischem Einfluss, später auf Seiten der Hethiter; um 1200 v. Chr. wurde Ugarit von den Seevölkern zerstört. Ugaritische Sprache, aus dem 14. bis 13. Jahrhundert v. Chr. überlieferte semitische Sprache; Texte mit mythologischen Gedichten in Keilschrift wurden seit 1929 in Ugarit gefunden. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 42 Die indoeuropäische Sprache der Hethiter wurde mit akkadischer Keilschrift auf Tontafeln geschrieben; daneben gab es eine von den Hethitern erfundene Bilderschrift (hethitische Hieroglyphen), die vor allem für monumentale Inschriften auf Stein verwendet wurde. Ich gestehe, dass die Exponate der nachfolgenden Säle, in denen Funde aus den Königsgräbern von Salamis (Nordzypern) gezeigt werden, meine Aufmerksamkeit nicht mehr fesseln konnten. Es war einfach zu viel, in einer Stunde das alles aufzunehmen. Ein Saal dokumentierte die Gewinnung von Kupfer und die Herstellung von Bronze in der Antike bis in die Neuzeit. Interessant ist sie neben anderen Aspekten als Quelle der antiken Bezeichnung der Insel “Zypern“ (lat. Cuprum, Kypris). Nun bin ich wieder bei der unverzichtbaren Kenntnis der frühen Geschichte Zyperns gelandet: In der Bronzezeit, etwa von 2300 – 1050 v. Chr. war Zypern der wichtigste Kupfer- Exporteur des Altertums. In den Gebieten des Kupferabbaues war die Insel dicht besiedelt. Der Handel erstreckte sich bis in den Nahen Osten, Ägypten und in den Raum der Ägäis. In der späten Bronzezeit, etwa um 1450 v.u.Z. errichteten die Mykener 28 Handelsstützpunkte auf der Insel. Die vom griechischen Peloponnes stammenden Einwanderer, die Achäer 29 , übernahmen während des 11. und 12. Jahrhunderts v.u.Z. die Herrschaft auf Zypern und verbreiteten auf der Insel die griechische Sprache, ihre Religion und Bräuche. Sie gründeten die ersten Stadtkönigreiche: Paphos, Salamis, Kition (heute Larnaca), Kourion (bei Limassol). Bald ist Zypern eine Insel mit zehn Stadtkönigreichen. Es folgt die Zeit von 1050 – 750 v. Chr., die so genannte Geometrische Zeit oder die Eisenzeit. Um 800 v.u.Z. siedeln sich Phönizier an der Südküste bei Kition und Amathous an. Die Insel wird wohlhabend, fällt aber in der Folgezeit, die man die Archaische oder klassische Zeit nennt, mehreren Eroberern zum Opfer. Die zyprischen Königreiche werden aufeinander folgend Tributpflichtige Assyriens, Ägyptens und Persiens. Unter persischer Herrschaft genossen die Zyprer lokale Autonomie und konnten eigene Herrscher ernennen. Salamis war damals das mächtigste unter den Königreichen Zyperns. Mit dem König Onisilos an der Spitze rebellierte es 499 v. Chr. gegen die persische Herrschaft. Die Rebellion wurde niedergeschlagen, ebenso die darauf folgenden griechischen Versuche, Zypern zu befreien. Vergeblich versuchte der athenische Feldherr Kimon, 449 v.u.Z. die griechische Kolonie Kition (Larnaca) aus der Gewalt des persischen Bündnisses zu lösen. Ebenso wenig gelingt es König Evagoras von Salamis (411 – 374 v. Chr.) im Jahre 411 mit einer Revolte, Zypern von der persischen Macht zu befreien. Dennoch macht er die Insel zu einem führenden politischen und kulturellen Zentrum der griechischen Welt. 28 Mykenische Kultur, die von den mykenischen Griechen getragene spätbronzezeitliche Kultur des griechischen Festlands, 1600—1200 v. Chr., Endstufe der helladischen Kultur, Teil der kretisch-mykenischen Kultur. 29 Achäer, Achaier, Achaioi, Achiver, frühgriechischer Volksstamm, bei Homer und im lateinischen Sprachgebrauch die Gesamtheit der Griechen; wohl aus Achaia Phthiotis (Thessalien) in die nördliche Küstenlandschaft des Peloponnes eingewandert; Träger der mykenischen Kultur. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 43 Erst 332 befreit Alexander der Große Zypern von den Persern. Die zyprische Flotte half ihm, Phönizien zu erobern. Von 333 – 325 v.u.Z. heißen die Stadtkönigreiche den König Alexander von Makedonien willkommen und lassen sich in dessen Reich eingliedern. Zypern wird Teil des Reiches von Alexander dem Großen. Nach dessen Tod streiten sich die Generäle Alexanders in rivalisierenden Kämpfen um dessen Erbe. Zypern fällt dem hellenistischen Staat der Ptolemäer in Ägypten zu. Die Ptolemäer heben die Stadtkönigreiche auf und vereinigen Zypern, dessen Hauptstadt Paphos wird. Diese so genannte Hellenistische Zeit dauert von 325 – 58 v.u.Z. Dann kommen die Römer, von denen schon die Rede war. Ade erst mal, Historie! Mit wirrem Kopf bestiegen wir den Bus und traten am Spätnachmittag die Heimfahrt nach Protaras an. Der Tag war so voller Eindrücke. Jetzt wollten wir uns nur noch entspannen. In der Hotelhalle lud uns Antonio zu einem kühlen Getränk ein: Brandy sour. Dazu gab es eine Anekdote, die er zum Besten gab. Ein arabischer oder ägyptischer König, den Namen merkte ich mir nicht, war zu Besuch auf Zypern. Man wollte ihm einen erfrischenden Drink anbieten. Alkohol durfte er ja als Moslem nicht trinken. Da mixte man ihm eben diesen Drink mit Zitrusgeschmack. Er war begeistert und trank fortan nur noch brandy sour. Es schmeckte nach mehr. Ich trank auf ausdrücklichen Wunsch Martinas Glas noch leer und fühlte mich danach ausnehmend gut. Wir saßen kurz beisammen und genossen nach dem Abendessen den Balkon und die Ruhe. Sonntag, 1. Oktober 2006 VII. Cap Grekko H eute war der erste Tag zur „freien Verfügung“. Ich war wohl ein wenig lässig und leichtsinnig beim Buchen gewesen und hätte das Reiseprogramm genauer anschauen müssen. Diese ganze Reise hätten wir zum halben Preis haben können, wenn wir nur eine Woche Rundreise gebucht hätten. Insgesamt sechs freie Tage sind es nun, an denen wir uns selbst überlassen sind, ohne Führer, ohne Beratung. Das sollte ich noch unangenehm spüren. Ich wollte so viel wie möglich von diesem Land sehen- und nun sollen wir in den Badehotels rumhängen- ein Zwangsvorstellung! Ich hatte eine Kulturreise erwartet. Doch das Reiseprogramm war unantastbar und korrekt ausgeschrieben. Ich musste mich fügen. Da ich ein wissbegieriger Mensch bin, und auch preiswertere, weniger weite Badehotels in Europa ansteuern kann – wenn ich das will – war ich mit den eingeflochtenen „Tagen zur freien Verfügung“ total unzufrieden und fühlte mich auch ein wenig überlistet, da die Reise im Katalog durchaus nicht als kombinierte Kulturund Badereise ausgeschrieben war, sondern als Busrundreise. Überdies hatte uns Frau Ismini Karapanou Kyriacou zum Eberhardt- Reisefest im WTC Protaras, Beach Hotel „Cavo Maris“, Badelandschaft Dresden bei Buchung am 8. Oktober 2005 in überschwänglichen Tönen versprochen, uns für die freien Tage Programmvorschläge zu machen. Sie wollte uns „an die Hand“ nehmen und Vieles zeigen. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 44 Nichts dergleichen passierte. Antonio blieb an diesen Tagen unsichtbar und unsere Reisebegleiterin Carina Latta ebenfalls. Ich erkundigte mich an der Rezeption des Hotels nach Fahrrädern. Achselzucken. Leider nein. Wie weit ist es nach Paralimni? Zu weit. Wir wollten laufen. Natürlich hätten wir für Dollars ein Mietfahrzeug nehmen können, aber wir wollten die Natur und das Land kennen lernen. Wir hätten auch baden können. Das Wetter spielte mit. Es war heiß. Doch Martina wollte aus Gesundheitsgründen nicht. Es gab zwei Alternativen: Einen Stadtgang zur Eliaskirche in Protaras oder eine Wanderung zum Kap Grekko. Die Entfernung war bei beiden etwa fünf Kilometer. Schließlich entschieden wir uns für das Kap, die südlichste Spitze –nicht Zyperns, das ist bei Limassol eine militärisch genutzte Halbinsel mit dem Cap Gáta. Es ist auch nicht das östlichste, das ist die spitz nach NO auslaufende Halbinsel Karpasia im türkisch besetzten Teil, aber Kap Grekko ist ein wichtiges vorspringendes Horn, das in früheren Zeiten bei Stürmen die Schiffe umsegeln mussten, um in die Bucht von Famagusta einzulaufen. Auf der Karte sieht es wie ein Katzensprung aus, aber es sind zu Fuß doch mehrere Stunden. Wir liefen bei großer Hitze los, mit Hut und Tuch vor der Sonne geschützt. Sonntagsstille überall, relativ leere Straßen. Ein Katzenliebhaber warb um Spenden für seine sieben Katzen, die alle an der Betonmauer seines Hauses wuselten. Bis außerhalb des Ortes Protaras mussten wir auf der Straße laufen. Viele Baustellen für Ferienhäuser wiesen auf die wachsende Prosperität des Ortes und Zuwachs an Ferienhäusern hin. Knatternd dröhnten Touristen auf geleasten Minicars vorüber, zu dem Gestank und dem Lärm aus dem Auspuff noch hupend und schreiend vor Lust: Schaut her, wir sind die Größten! Bald sind wir am letzten Hotel vorbei. In den Anwesen, in denen wir vorbeikommen, blühen natürlich alle die herrlichen Gewächse, die im Mittelmeerraum die Augen verführen wie Malven, Oleander, Bougainvillea in allen Farben. Die Straße steigt jetzt an. Dann bietet sich ein Seitenweg an, der laut griechischer Beschriftung einen Naturpfad ist. Zuerst waren wir unsicher, ob er uns vom Ziel weg- und an die Küste hinunter hinführt, doch bald merkten wir, dass er parallel zur Straße durch das trockene Unterholz mit den verkrüppelten Zirbelkiefern verlief. Der Boden bestand aus karger roter Erde, die oft zutage trat, denn die dürre Macchia 30 zeugte nicht viel Humus, und nur in den wenigen Wintermonaten regnet es ein wenig. Der Wanderweg war asphaltiert. Die Sonne brannte. In der Ferne erblickten wir nun den Felsen, der als militärischer Sperrbezirk nicht zugänglich ist. Wieder galt es ein Schild in griechischer Sprache zu entziffern. Gott sei Dank, es stand auch in englischer Sprache einiges dabei. Ein „Aphrodite- Weg“, ein so genannter Nature Trail, führt um den „Mount 100“ herum. Über brüchige Karstfelsen, teilweise geebnetem Pfad, an einer Bank vorüber, stiegen wir langsam hinab. 30 Macchie, ['makkie; die; lateinisch] italienisch Macchia, (Fleck, Buschwald), durch Abholzung und Beweidung aus Hartlaubwäldern (Hartlaubvegetation) hervorgegangenes immergrünes Gebüsch des Mittelmeerraums; enthält u. a. Erdbeerstrauch, Lorbeer, Wacholder, Zistrose, Myrte, Pistacia- und Ericaarten. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 45 In einen Überhang hinein hatten Schäfer oder andere Leute eine ehemals vorn weit offene Höhle so mit Steinen zugesetzt, dass nun fast eine regensichere Unterkunft daraus geworden ist. Von der Militärstation wurden wir mit dem Fernglas beobachtet. Ich zog mein Fernglas aus der Hülle und blickte hinauf. Wir taten nichts Verbotenes. Die Höhlen ergaben nichts Besonderes. Alte Lumpen lagen da, es gab keinen Hinweis auf Geschichtliches. Der weitere Weg nahm unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Am Ufer angekommen, belohnte uns der Blick aufs blaue Meer und die Felsklippen, an denen schon so viele Schiffe zerschellt sind. Taucher hatten die einzige Bank mit ihren Sachen belegt, die wir für eine kleine Rast brauchten. Ich fing ein Gespräch an, als ich merkte, dass es Russen waren. Auf meine naive Frage, was es da unten zu sehen gäbe, bekam ich die lakonische Antwort, ich solle selber nachsehen. Ich überlegte mir neben der Möglichkeit, dass sie Sporttaucher seien auch die Deutung, dass sie nach alten Wracks suchten. Dann waren mir ihre schroffen Antworten verständlich. Dabei kann man keine Gaffer gebrauchen. An die eigentliche Spitze des Kaps, eine flache Halbinsel und Südostspitze Zyperns, auf der einige Sendemasten stehen, Am Kap Grekko, Südostspitze darf man als Zivilist nicht gehen. Hier standen wir nun an Zyperns. Im Hintergrund die dem Kreuz, das vielleicht an untergegangene Seeleute Sendemasten des eigentlichen Kaps erinnern sollte. Ein frischer Wind fächelte uns Kühlung. Wir aßen einen Apfel, tranken einen Schluck Wasser und stapften auf den durchlöcherten Kalkfelsen weiter, links um den als Mount 100 bezeichneten Felsen herum. Sein Name hat er von seiner Höhe, die genau 100 m über dem Meer liegt. Ein paar Wanderer begegneten uns, sie führten ihre Mountainbikes an der Hand, Leute aus Chemnitz. Sachsen trifft man in der ganzen Welt! Die nächsten Leute, die wir trafen, sind aus Agia Napa hierher gekommen. Sie berichteten, dass ein Weg hinauf auf den Berg führen würde. So kletterten wir denn, nachdem der Berg umrundet war, steil hinauf, genossen dabei eine beinahe unwirkliche Fernsicht auf das weite blaue Meer- irgendwo da draußen in der Weite liegt Afrika! – und landwärts am Horizont, in etwa 8 km Entfernung, das Touristen- Eldorado Agia Napa, einer der beliebtesten Badeorte Zyperns, wie der Baedeker vermutet. Ich halte mich solchen Orten, vor allem den so angepriesenen Nachtleben fern. Ein wenig orientierungslos stiegen wir aufwärts, der Schweiß rann schon, das Hemd war nass. Ein italienisches Ehepaar versicherte uns, dass bald ein Weg käme und siehe da, wir erreichten ein Plateau, wo Autos parkten: Noch 300 m zum Aussichtspunkt, dem View Point. Das war auch noch zu schaffen. Dann genossen wir die beglückende Sicht unter dem wohltuenden Schatten eines kleinen Pavillons, schälten eine Apfelsine, schluckten etwas Wasser und konnten nun, nach einer Ruhepause, den Gipfel auskosten und nach allen Seiten Ausschau halten. Von hier oben sah man deutlich das eigentliche Kap, eine flache Landzunge, mit den Sendemasten, es ist strategischer Militärstützpunkt. Auf dem Plateau tummelten sich eine Menge Italiener, Ausflügler, die mit Leih- Autos hierher kamen. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 46 Sie waren nicht so erschöpft wie wir, aber auch nicht so stolz auf ihre Wanderleistung. An einem Denkmal, das den Platz beherrschte und acht auffliegende Kraniche in Bronze festhielt, lichteten wir uns beide wie richtige Ausflügler gegenseitig ab. Hier sind wir gewesen- guckt alle her! Den Rückweg mussten wir suchen. Er führte jetzt links am Militärcamp vorbei. Wir teilten den staubigen und welligen Pfad mit den heimkehrenden Autofahrern. Dann sahen wir die Landstraße nach Agia Napa, schlugen die Gegenrichtung ein und konnten bald wieder unseren Naturpfad erkennen. Unterwegs kehrten wir ein, tranken Schweppes und Kaffee. Der Weg durch Protaras zog sich in die Länge. Baustellen von neuen Hotels und schmucken Ferienhäusern säumten die Straße. Außer einigen Minicars war es sonntäglich still und drückend heiß. Eine gelbe zyprische Postsäule reizte mich zu näherer Untersuchung und einer Aufnahme. Dieses runde Ding heißt auf Griechisch ΓΡΑΜΜΑΤΟКΙΒΩΤΙΟ, Betonung auf dem Omega, auf Englisch Letter Box, zu Deutsch Briefkasten. Bald sahen wir die Bebauung unserer Hotelanlage, die am Anfang der Feigenbucht, der Fige Tree Bay, wie sie hier heißt, eine Menge Küste in Beschlag nimmt. Jetzt spendete die Blütenpracht an den Häusern und Zaunanlagen die letzten erquickenden Augenblicke, ehe die klimatisierte Kühle der Hotelhalle uns das Glück des gelungenen Ausfluges empfinden ließ und wir erschöpft nach einer Dusche zu einem traumlosen Schlummer auf die Betten fielen. Etwa 15 Marschkilometer lagen hinter uns. Am späten Nachmittag bin ich ans Meer, tappte vorsichtig hinein, schluckte etwas Salzwasser, schwamm zwischen den zahlreichen Klippen und Felsbrocken umher, die strandnah aus dem Wasser ragen. Ich genoss das Bad wie eine zusätzliche Beigabe zum Reiseprogramm, betrachtete die hier lagernden Menschen aus der Position des Außenseiters, traf Tante und Nichte aus unserer Reisegruppe, schwatzte mit ihnen ein Weilchen. Dann, halb auf dem Rückweg, sprang ich auch noch in das Schwimmbecken innerhalb der Hotelanlage, schwamm ein paar Bahnen, um überhaupt einmal diese wässrigen Angebote zu nutzen. Nach dem reichhaltigen Abendessen, das von mir immer mit einem kühlen prickelnden Bier eröffnet und mit einem Becher Eis abgeschlossen wurde – köstlich! – packte ich meinen Koffer, während Martina bereits ihre „Schularbeiten“ gemacht hatte. Letzter Blick vom Balkon übers Meer und das abendliche Protaras. Lärmende Klimaanlage ausschalten. Traumloser Schlaf. Montag, 2. Oktober 2006 VIII. Chirokitia P ünktlich 9.00 Uhr saßen wir im Bus, die Koffer waren verstaut. Abschied vom Cavo Maris, von Protaras und der Ostküste Zyperns. Heute sollte es über Larnaca, Limassol zum abendlichen Quartier in den Bergen nach Agros gehen. Auf halbem Wege zwischen den großen Städten Larnaca und Limassol hielten wir in Choirokoitía (griech. Χοιροκοιτία, sprich: Chirokitía, ich werde es weiter so benennen) an. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 47 Diese steinzeitliche Fundstätte wurde 1998 von der UNESCO in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. Chirokitia liegt 48 km südlich von Nikosia an der Autobahn A1 NikosiaLimassol oder wie die Einheimischen sagen Lefkosia – Lemesos. Von Larnaca liegt es 32 km entfernt, zur Südküste sind es etwa 7 km. Dieser Platz ist eine Siedlung aus dem Neolithikum, der Neusteinzeit, ist also schätzungsweise siebentausend Jahre vor der Zeitenwende bewohnt gewesen. Dieser Ort gehört zu den ältesten gefundenen Siedlungen des Mittelmeerraumes, ja der ganzen Welt. Nach der Periode als Jäger und Sammler wurden die Menschen allmählich sesshaft und ernährten sich von Schafen, Ziegen und Tauben, wie hiesige Knochenfunde beweisen. Die ersten Siedler kamen aus Syrien und Kilikien 31 . Sehr wichtig ist, dass sich mit den in aufeinanderfolgenden Zeiträumen entstandenen Bauten die Ausbreitung der Jungsteinzeit- Kultur verfolgen lässt. Wir wurden zuerst an ein wieder aufgebautes Modell dieser neolithischen Steinhütten geführt, das im Tal nahe einem jetzt versiegten Bachbett errichtet wurde. Sehr eindrucksvoll führte uns Antonio vor, mit welchen baulichen Mitteln sich diese Siedler mit Schutzmauern vor Feinden zu verteidigen wussten. In den niedrigen runden Hütten werden die Kopien einiger Gegenstände, zum Beispiel Werkzeuge gezeigt. Diese Steinhäuser wurden an Hand von Ausgrabungen mit demselben Material und mit den gleichen Methoden nachgebaut, so dass der heutige Mensch eine Ahnung davon bekommt, wie hier die Menschen im Altertum lebten. Chirokitia war von 7000 v.u.Z. und nach einer Pause von 1500 Jahren ab 4000 v.u.Z.bewohnt. Wir stiegen über Treppen den Berg hinauf und bekamen erst einmal eine Vorstellung, wie groß diese Siedlung gewesen war. Am ganzen Hang ziehen sich die kreisförmigen Fundamente solcher Häuser hinauf, eng aneinander gebaut, miteinander verbunden, fast festungsmäßig angeordnet. Zusätzlich pflanzten die Bewohner um die Hütten Büsche, Bäume und Pflanzen, die man damals kultivierte, sowie einheimische Gewächse, die seit der Jungsteinzeit auf Zypern wachsen, um Schatten und Nahrung für Mensch und Tier zu haben. 31 Kilikien, lateinisch Cilicia; heute türkisch Çukurova, Landschaft im östlichen Kleinasien um das heutige Adana. Im Altertum als Zentrum der Seeräuber berüchtigt, seit 84 v. Chr. römische Provinz. Die Kilikische Pforte war Einfallstor nach Syrien. Wichtige Städte: Tarsos (Heimatstadt des Apostels Paulus), Mallos, Soloi. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 48 Viele geologische Epochen gingen also im Paläolithikum der jüngeren Steinzeit voraus. Die Siedler auf dieser Insel hatten wohl auch gar nicht viel Spielraum, um sich als jagende und sammelnde Nomaden zu bewegen. Von daher kann auch der Drang nach Sesshaftigkeit gekommen sein. Die Steinhäuser hatten einen niedrigen Eingang und ein Fenster. Das Dach ruhte auf dünnen Balken und war mit flachen Steinen eingedeckt. Am Hang fanden wir dann nur noch die freigelegten Mauerreste. Weiter oben erkennen wir die immense Arbeit der Ausgräber, die Chirokitίa, neolithische Siedlungsreste, 7. Jahrtausend v.u.Z. noch längst nicht abgeschlossen ist. Um noch einmal auf die rekonstruierten Häuser am Bach zurückzukommen: Die Schutz- Mauer zum Fluss war im Gebrauch, bis die Siedlung jenseits über den Hang gewachsen, eine Grenzbefestigung ins Land nach Westen geschaffen und uneinnehmbar geworden war. Ein 2m breites und 3 m hohes Mauerband schlängelt sich vom Fluss den Hügel hinauf und auf der anderen Seite wieder zum Fluss hinab. Der Eingang zur Siedlung war ein komplexes architektonisches System, dafür entwickelt, die Höhendifferenz von 2 Metern zu überwinden, zwischen dem Niveau, auf dem die Siedlung begann und dem tiefer liegenden Außenbereich. Diese Struktur, zu finden in Zypern und im Nahen Osten, besteht aus einer Reihe von Einrichtungen, die der Eingangskontrolle von Personen in die Siedlung dienten. Sie umschloss eine in die Außenmauer integrierte Treppe in rechtwinklig abgeknickter Bauweise von Steinen mit sorgfältig gepflasterten Stufen. Die Treppe besteht aus drei rechtwinklig zueinander angelegten Fluchten. Der Zugang ist versperrt durch eine zweite Einrichtung, die noch in der Erforschung ist. Passierte jemand den ersten Kontrollpunkt, ein Besucher, der Zugang zur Siedlung suchte, hatte die erste Stufenflucht zu erklimmen, sich dann nach links zu wenden, um die zweite zu nehmen und sich noch einmal zu wenden, um die dritte Stufenreihe zu ersteigen. Dann oben angelangt, musste er sich wieder nach rechts drehen und zwei Meter gehen, bevor er schließlich den Eingang, das Tor der Siedlung erreichen konnte. Möglicherweise musste er sogar im Inneren noch einige Stufen herabsteigen, die aber nicht erhalten sind. Antonio erläuterte an Hand dieser für uns Heutigen unscheinbare Treppe als wirksame Schutzmaßnahme. Er zeigte uns die Handhabung von Schild und Schwert oder Lanze im Zusammenwirken mit dem Eingangskonstrukt. Auf etwa 1,5 ha lebten hier zirka 300 Menschen. Wir turnten bis an die Absperrung zum tätigen Ausgrabungsfeld, sahen erst oben, wie weit sich diese Siedlung über den ganzen Hang erstreckt und dass noch längst nicht alles erschlossen und bestimmt ist. Es gibt hier sicher noch viel zu entdecken und vor allem zu rekonstruieren. Mit einem weiten Blick nach Westen nahm ich Abschied von diesem interessanten Platz. Im Tal, jenseits des Bachbettes, an der Straße warteten schon andere Busse und eine Erfrischung, dann ging die Fahrt weiter in Richtung Westen. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 49 IX. Limassol – Lemesos und Johannisbrot Es ging auf die Mittagszeit zu, las wir nach kurzer Fahrt auf der Küstenautobahn die Vororte und wenig später die ersten Hochhäuser von Limassol erreichen. Die Zyprioten nennen diese Stadt Lemesos (Λεμεσοσ). Sie ist Nachfolgerin zweier Stadtkönigreiche und Schauplatz einer königlichen Hochzeit im Mittelalter. Sie erstreckt sich entlang der Südküste Zyperns und liegt am westlichen Saum der durch eine hervorspringende Halbinsel gebildeten Bucht von Akrotiri. Die Halbinsel ist militärisches Sperrgebiet der Briten. Seit Zerfall der sozialistischen Sowjetunion 1989 haben die Russen diese Stadt für sich entdeckt. Antonio, der hier zu Hause ist, bemerkte spöttisch, Limassol sei die zweite und heimliche Hauptstadt Russlands. Limassol ist mit knapp 160 000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Zyperns nach Nikosia und besitzt nach der türkischen Besetzung von Famagusta heute den größten Hafen Zyperns. Wir fahren in die Stadt ein und bemerken nach den ersten kleineren Vorortbauten auf der Seeseite bald eine Kette von bemerkenswert luxuriösen Hotels, die sich in Strandnähe kilometerweit hinziehen. Ein Hotel am anderen, alles deutet auf den stetig wachsenden Touristenstrom. An Ampelkreuzungen zieht mich der immer noch ungewohnte Linksverkehr in seinen Bann, bis links hinter einem nüchternen Hotel- Betonklotz eine Baulücke zum Halten einladet. Antonio gewährte uns eine Rast im Restaurant „Armonia“, Limassol Stunde Mittagsrast. Wir scharten uns um einfache Tische im Grünen und im Schatten hoher Palmen. Zwei Katzen spielten zwischen den Stuhlbeinen. Wir aßen einen Bauernsalat, einen choriatkí ssaláta, um es mit lateinischen Buchstaben zu umschreiben, tranken eisgekühlte Cola und Schweppes. Das Restaurant „Armonia“ ist in die hintere Fassade eines schlecht gearbeiteten und schon abgewohnten Sechsgeschossers eingearbeitet. Eine mit Rostfarbe gestrichene Treppe führt in einem kleinen Vorbau zur Gaststube und den versifften Toiletten hinauf. Das schattige, ruhige Rasenstück am Meeresufer, die frische Brise vom Wasser aber sind wohltuend und laden uns ein. Die Katzen balgen sich immer noch unter dem freien Plastikstuhl. Ich will sie fotografieren, aber sie sind schneller, auch scheu, und wenn ich nahe herzu gehe, erstarren sie, blicken mich ängstlich an und hören mit ihrer kindlichen Balgerei sofort auf. Als alle ihren Imbiss verzehrt und bezahlt hatten, fuhren wir die lange Uferstraße weiter. Draußen lagen große Schiffe auf Reede. Parkanlagen und Promenaden mit schönen Strandabschnitten, viel Grün. Wir befuhren die in ganz Zypern berühmte Strandstraße Spyrou Araouzou fast bis zum Alten Hafen. Dort verließen wir den Bus. Antonio führte uns zuerst in ein Geschäft für allerlei Meereserzeugnisse und Naturprodukte, das Exhibition Center Sea Sponges 32 Antonio schwang sich in einen Haufen Schwämme und hielt einen Vortrag, wie die vor den Küsten Zyperns und Griechenlands geernteten Schwämme chemisch gereinigt und 32 Ausstellungszentrum für See- Schwämme © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 50 konserviert werden. Riesenexemplare und verschiedene selten Abarten befanden sich darunter. Am Eingang warben Großbuchstaben für Sea Shells, Corals und Sharks 33 An der Decke hingen Teufelsfische, aufgeblasen, ausgestopft und für die Ewigkeit präpariert. Seesterne, Muscheln aller Art und jeder Form waren zu haben, warteten auf Andenkenjäger, die wir ja nicht waren und aus Zollgründen auch nicht sein dürfen. Weiter bot dieses Geschäft Olivenseife in allen Farben an. Die Luft roch auch angenehm danach. Am Eingang zu einem Nebenraum, in dem die üblichen Souvenirs der Insel feilgeboten wurden, stand ein lebensecht modellierter Seemann und machte auf seemännische Produkte aufmerksam. Riesige Schalen von Mördermuscheln lagen zu seinen Füßen, Taucherhelme, Ketten…In Aquarien schwammen Fische. Im Nebenraum tummelten sich auf den Regalen ungezählte Götter und Aphroditen in Gips und imitierter Bronze, ganze Heerscharen von griechischen Philosophen, streitbaren Amazonen Und anderen mythologischen Gestalten in allen denkbaren Posen und Größen. Im hintersten Raum dann konnte man Konfitüren, Feigen, Mandel- und Nusserzeugnisse kaufen usw. Bald standen wir wieder auf der Straße und strebten nun in die Altstadt. Am Kastell, dem einzigen erhaltenen historisch bedeutsamen Bauwerk von Limassol, zog Antonio vorbei und tauchte mit uns in den Schatten einer alten Mühle für Johannisbrot. Alte Maschinen standen in einer dunklen Halle. Mir fehlte jede Vorstellung, was uns da nahe gebracht wurde. Ich konnte mir nur helfen, indem ich die Tafeln abfotografierte, um sie zu Hause in aller Ruhe zu übersetzen. Es muss ein zypernweit bedeutsames Unternehmen gewesen sein, noch bis in die Kriegsjahre des zweiten Weltkrieges hinein, die Johannisbrotmühle von Laniti (engl. Lanitis Carob Mill, griech. Χαροιπομ λος Λανίτη). Was ist Johannisbrot? Johannisbrot hat viele Namen: Karoben, Bockshorn, Soodbrot. Es ist eine getrocknete, süß schmeckende Frucht des Johannisbrotbaums. Die braunen, 10-25 cm langen, flachen Schoten werden unreif geerntet und an der Sonne getrocknet. Sie enthalten ca. 65% Traubenzucker, 6% Eiweiß und 1% Fett. Johannisbrot dient in den Produktionsländern als Nahrungsmittel, außerdem wird es geröstet als Kaffee-Ersatz, zur Herstellung von Brusttee und gemahlen als Geliermittel verwendet; es ist auch wichtiges Viehfutter. Die Samen wurden früher zum Wiegen von Edelsteinen benutzt (daher der Name „Karat“). Der Johannisbrotbaum ist der einzige Hülsenfrüchtler, der Johannisbrotbaum; zypr. Teratsia, aus der Kreidezeit (144- 65 Millionen Jahre) stammt und arab. Kharrub, wissenschaftlicher Name: die Eiszeit überdauert hat. Ceratonia Siliqua Leguminosae In der mediterranen Region wächst er oft in Gemeinschaft mit Olivenbäumen. Systematisch kultiviert, findet man ihn heutzutage in Amerika und Australien. Beides, der Baum und seine Früchte waren schon in antiker Zeit bekannt. Theophrastus 34 bezieht sich darauf als „keronia“ darauf, Dioskurides 35 als keratea mit der Frucht keration. Seit den Lateinern ist das Johannisbrot unter seinem botanischen Namen Ceratonia Siliqua Leguminosae bekannt. 33 Seemuscheln, Korallen und Haie Theophrast von Eresos, griechischer Philosoph, * 372 v. Chr., † 287 v. Chr.; Peripatetiker (Schulhaupt seit 322), Schüler und Nachfolger des Aristoteles; schrieb über Botanik und Mineralogie, verfasste eine Sammlung von Charakterstudien und eine für die antike Philosophiegeschichtsschreibung einflussreiche Geschichte der Naturphilosophie. 35 Dioskurides, Pedanios, griechischer Arzt im 1. Jahrhundert n. Chr.; verfasste eine fünfbändige Arzneimittellehre „De materia medica“, die für mehr als anderthalb Jahrtausende das grundlegende Arzneibuch blieb 34 © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 51 Die alten Römer bezeichneten ihn als Siliqua Graeca, damit andeutend, dass er vielleicht aus Griechenland stamme. Der Johannisbrotbaum war auch weithin bekannt im syropalästinensischen Raum. Zu urteilen nach der „Parabel vom verlorenen Sohn“: Es tauchte darin als Schweinefutter auf. An die europäischen Küsten des Mittelmeerraumes ist es möglicherweise von den Arabern eingeführt worden, worauf die vorherrschend arabische Wurzel des Wortes hinweist. Der deutsche Name nach dem Propheten Johannes lässt auch die Herkunft Palästina anklingen. Der Johannisbrotbaum ist ein hoher, langlebiger, immergrüner Baum, der bis zu 5 – 10 m hoch werden kann. In seinem natürlichen Habitat begegnet man ihm an niedrigen Hängen ab Meereshöhe bis etwa 800 m Höhe. Oft findet man ihn inmitten kultivierter Felder als typisch zyprisches Wahrzeichen. Während des Mittelalters waren „Kharrubs“ bekannt als Johannisbrot. Seither glaubte man, dass dieses und nicht Heuschrecken die Hauptnahrung von Johannes dem Täufer in der Wüste gewesen ist. Der Kharrub war auch bekannt als keration oder teratsi, weil seine Form einem Ziegenhorn (keraton) ähnelte. Die Frucht wird hart, wenn sie reif ist, hat etwa 8 – 10 Samenkörner und einen süßen Geschmack. Wir haben das ausprobiert. Beides, während der Antike und heute wird es dem Tierfutter beigemischt. Johannisbrot wird heute verwendet bei der Vorbereitung von Süßigkeiten und Sirups genauso wie in der pharmazeutischen und chemischen Industrie. Die Borke des Baumes, seine Blätter und unreifen Früchte werden zur Produktion von Tannin verwendet, das sowohl in der industriellen Behandlung von Tierfellen als auch zum Färben von Schiffssegeln gebraucht wird. Wir standen um die Maschinen herum, die 25 Leute der Reisegruppe umstanden ihn. Seine Worte, mit denen er das alles erläuterte verhallten. Ich bekam da nichts mit. Dann machte er sich auf den Weg, uns ein wenig „seine“ Stadt zu zeigen. An dem Kastell lief er einfach vorbei. Ich protestierte heftig. Er ließ sich darauf ein, in den Garten einzubiegen und dort mit der Gruppe zu warten, während ich als einzig Interessierter schnell hinein sollte, um zu fotografieren. Es war ein Irrwitz. Dieses alte Kastell atmet so viel Geschichte, dass es wirklich wert wäre, es in das Besichtigungsprogramm einzubeziehen. Ich spurtete also mit gezückter Kamera hinein, blind an der Kasse vorbei, denn es Limassol. Blick vom Kastell in Richtung Meer war ein richtiges Museum (wahrscheinlich wollte das Reiseunternehmen die Eintrittsgelder sparen), eilte durch einige Erdgeschossräume, klickte paar Mal und stieg geschwind auf die Dachterrasse, sah auch von oben unsere Leute, holte mit schnell einen Rundblick, über die Stadt und hinüber aufs Meer. Im hastigen Rückwärtsgang stürzte ich, der Fotoapparat knallte mit ausgefahrener Optik auf den Boden und der Tubus verkantete- nichts ging mehr. Ich hatte mir auch wehgetan und eine Stinkwut auf Antonio und die Reiseleitung. Ich ließ mir nichts anmerken, nur Martina fauchte mich an, als ich ihr beichtete, dass der Apparat kaputt sei. Ich hatte ja noch die andere Kamera mit, doch dieser war ja ihr Apparat! Dabei ist es einfach zwingend, sich genau in diesem Kastell an Richard Löwenherz zu erinnern. Er hat auf Zypern Spuren hinterlassen. Dabei ist es vielleicht interessant, etwas weiter auszuholen. Wer nicht will, mag das Folgende überlesen: © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 52 X. Richard E Löwenherz – Kreuzfahrer des 3. Kreuzzuges s soll ja von der Hochzeit Richard Löwenherz’ mit Berengaria in Limassol die Rede sein. Ich habe also ein Buch 36 über die Kreuzzüge hergenommen und hier seine abenteuerliche Geschichte zusammengetragen: Richard wird in England geboren, ist aber eher Franzose. Zur Welt kam Richard in England, vermutlich im Schloss Beaumont in Oxford, am 8. September 1157. Das Schloss ist verschwunden, aber an Richards ersten Auftritt erinnert eine Tafel am Straßenrand. In Richards Ahnentafel stammt nur Großmutter Matilde, die Tochter König Heinrichs I., aus England. Großvater Gottfried Plantagenet, der Ehemann Matildes, war ein Graf von Anjou. Aus dieser Ehe stammt Richards Vater, Heinrich von Anjou. Richards Mutter, Eleonore von Aquitanien, heiratete Heinrich von Anjou im Mai 1152. Ihre Ehe mit König Ludwig VII. war erst einige Wochen vorher von vier französischen Bischöfen annulliert worden. Eleonore heiratet keinen armen Mann. Heinrich Plantagenet ist mit zweiundzwanzig Jahren schon Graf von Anjou und Herzog der Normandie. Eleonore bringt das reiche Herzogtum Aquitanien mit in die Ehe. Doch dabei bleibt es nicht. Als König Stephan von England stirbt, erkennt er Heinrich als Erben an. Im Dezember 1154 wird der junge Plantagenet als Heinrich II. zum König von England gekrönt. König Ludwig muss sich von dieser Machtzusammenballung bedroht fühlen. Um den Konflikt zu entschärfen, erkennt Heinrich den französischen König als Oberherren über die Normandie, Anjou und Aquitanien an. Aber diese Unterwerfung bleibt ein formaler Akt. Der Streit um den kontinentalen Besitz der Plantagenets wird sich über Jahrzehnte hinziehen und das Leben Richards überschatten. Im Jahr 1168 herrschte Krieg zwischen Heinrich und Ludwig. Die Söldnertrupps standen sich bei diesen Kriegen selten in Schlachtformation gegenüber. Adlige kamen gelegentlich auf Turnieren um, aber im realen Gefecht hielten sie meist den gebotenen Abstand. Die häufigste Kriegshandlung war die Belagerung von Burgen. Gefangene waren viel zu wertvoll, um sie zu töten. Adlige wurden gegen Lösegeld freigelassen, und die Söldner schonten sich gegenseitig, weil sie dem gleichen Stand angehörten und oft miteinander befreundet waren. Eroberte Burgen wurden geschleift oder von Gefolgsleuten des Siegers übernommen. Wenn eine Burg den Belagerungsmaschinen standhielt, wurden die Bauern und Handwerker des Gegners ausgeplündert. Wer finanziell soweit geschwächt war, dass er keine Söldner mehr anmieten konnte, hatte den Krieg verloren. Da Heinrich reicher war als Ludwig, behielt er in der Regel die Oberhand. Im Friedensvertrag des Jahres 1169 wird Richards Verlobung mit Alice, einer Tochter Ludwigs, bestätigt. Das Mädchen wird der Obhut der englischen Krone übergeben. Richard wird 1172 in Poitiers der Titel eines Herzogs von Aquitanien verliehen, er tritt also das Erbe seiner Mutter an. Wenn Eleonore in Poitiers Hof hielt, herrschte sicher Weltoffenheit. In Aquitanien blühte die Kunst der Troubadoure, und Eleonore soll den Minnesang geschätzt haben. Über ihren realen Liebesaffären liegen die Nebel des Tratsches und der Legende. Der Chronist Wilhelm von Newburgh merkt an, Eleonore habe in ihrer ersten Ehe unter der Keuschheit ihres Gatten gelitten: „Eleonore nahm am meisten an der Lebensweise Ludwigs Anstoß und klagte, sie habe einen Mönch und keinen König geheiratet. Man sagt auch, dass sie noch während der Ehe... einer Heirat mit dem normannischen Herzog (Heinrich) zuneigte.” Heinrich war alles andere als ein Mönch: Eleonore hat acht Kinder zur Welt gebracht. Richard muss allein mit drei männlichen Erben als Mitbewerbern rechnen: Mit dem jungen Heinrich, der vor ihm geboren wurde, mit Gottfried und Johann. Heinrich sollte England und Anjou erben, Richard Aquitanien, die anderen den Rest. Der Plan enthält Zündstoff. Als König Heinrich dem erst fünfjährigen Johann drei bedeutende Festungen übereignet, ist alles klar: Der alte Heinrich will die Burgen selbst verwalten und so dem Zugriff des jungen Heinrich entziehen. Als Richard in Poitiers die Insignien der Herzöge von Aquitanien empfängt, wird er nur dem Namen nach Herzog. König Heinrich setzt seine Söhne nämlich nur symbolisch ein. Die reale Macht und das Steueraufkommen behält er für sich. Der junge Heinrich besteht darauf, einen Teil seines Erbes sofort zu übernehmen, aber Vater Heinrich winkt ab. Die Beziehungen zwischen König Heinrich und Eleonore waren nach der Geburt des achten Kindes (Johann) merklich abgekühlt. Ob die beiden sich je im heutigen Sinn »geliebt« haben, ist zweifelhaft. Was der König bei Frauen suchte, fand er offensichtlich bei seiner Konkubine Rosamunde... Da Heinrich die Übergabe ihres Erbes an Richard verweigert, rebelliert Eleonore gegen ihren Gatten. Sie wirbt Söldner in ihrer Heimat an und schickt im Frühjahr 1173 Richard und Gottfried nach Paris. Auch den jungen Heinrich hält es nicht länger beim Vater. Der Chronist Robert von Torignei: 36 Peter Milger „Die Kreuzzüge- Krieg im Namen Gottes“, Orbis Verlag, Sonderausgabe 2000 © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 53 „Erzürnt zog sich Heinrich von seinem Vater zurück und gelangte nach Argenton. Von dort floh er zum König von Frankreich, ohne dass seine Diener, die der König für ihn abgestellt hatte, davon wussten.” Der Chronist zählt die Adligen auf, die die Partei des jungen Heinrich ergriffen hatten und fährt fort: „Der König zerstörte bei all diesen die Häuser, Setzlinge und Wälder. Ebenso entfremdeten sich Königin Eleonore und ihre Söhne, Graf Richard von Aquitanien und Gottfried von der Bretagne.” Der französische König Ludwig ist über die Anwesenheit von drei Königssöhnen entzückt und hält erfreut einen Hoftag ab. Der Streit im englischen Königshaus stärkt seine Position. Feierlich schlägt er Richard zum Ritter. Vater Heinrich lässt sich durch das Bündnis seiner Söhne mit König Ludwig nicht beeindrucken. Im November 1173 stößt er mit einem Söldnerheer bis Chinon vor und bedroht Aquitanien. Heinrich ist wesentlich reicher als seine Gegner, er kann mehr Söldner einstellen. Solche Fehden, auch unter Verwandten, waren nicht unüblich. Als Heinrich in Aquitanien eindringt, gelingt es ihm, Eleonore gefangen zu nehmen. Richard, kaum sechzehn, versucht einen Gegenangriff auf La Rochelle. Die Verhaftung seiner Mutter Eleonore kann für Richard den Verlust Aquitaniens bedeuten. Die Bürger von La Rochelle zeigen indessen wenig Neigung zum Risiko: Sie schlagen sich auf die Seite des mächtigen Heinrich. Die Stadt lebt vom Weinexport nach England. Richard muss abziehen, der Krieg geht weiter. Auf einigen Miniaturen tragen Heinrich und Richard Kirchen in der Hand: Sie zeigen die Könige als Schutzherren der Kirche. Als besonders fromm galten sie den Zeitgenossen nicht. Richard hat die Messe gerne besucht, weil er den Gesang liebte. Im Frühjahr 1174 demonstrieren Vater und Sohn in Saintes eine sachliche Beziehung zur Kirche. Heinrichs Söldner kämpfen gegen die Gefolgsleute Richards, die in der Kirche Zuflucht gesucht hatten. Richard kann fliehen, hat aber keine Truppen mehr. Da König Ludwig und seine Brüder die Fronten gewechselt haben, muss Richard aufgeben. Im September 1174 unterwirft sich der Sohn dem Vater und bittet tränenreich um Vergebung. Heinrich verzeiht ihm, weil es die Staatsraison erfordert. Der Staat braucht Erben, und keine Gefangenen im Verlies. Heinrich beauftragt seinen Sohn, gegen rebellierende Barone vorzugehen. Im Jahr 1177 befindet sich Alice, die Tochter Ludwigs, fast acht Jahre lang im Gewahrsam des englischen Königs. Die Ehe zwischen Alice und Richard kommt nicht zustande, weil Heinrich große Gebiete um die Stadt Bourges als Mitgift fordert. Schließlich erreicht Ludwig, dass Papst Alexander III. König Heinrich mit dem Bann droht, falls die Heirat weiter verzögert würde. Im September 1177 halten die beiden Könige eine Friedenskonferenz in Nonancourt ab. Sie verhandeln erneut über strittige Besitzrechte, bekräftigen den Heiratsplan und schließen einen Waffenstillstand. In Paris stirbt im Herbst 1180 Ludwig VII. Als Nachfolger wird Ludwigs Sohn als Philipp II. zum König von Frankreich gekrönt. Richards Geschick wird von nun an mit diesem Mann verbunden sein gelegentlich als Freund, meistens aber als Feind. Bei einer Konferenz im Jahr 1182 in Grandmont beklagen sich aquitanische Adlige bei Heinrich über die Grausamkeit, mit der Richard bei der Niederwerfung von Rebellionen vorgeht. Einige Chronisten werfen ihm vor, er habe seine Untertanen unterdrückt und ungerechte Forderungen an sie gestellt. Der englische Chronist Roger von Hoveden zeichnet das düsterste Bild: „Er entführte die Frauen, Töchter und Mägde seiner Untertanen mit Gewalt und machte sie zu seinen Konkubinen. Wenn er seine Lust mit ihnen gehabt hatte, gab er sie an seine Soldaten zur Erfreuung weiter. Vater Heinrich scheint die Beschwerden über seinen Sohn nicht ernst genommen zu haben. Gemeinsam bekämpfen der König, Richard und der junge Heinrich eine Rebellion im Limousin. Aber die Einigkeit hält nicht an. Der junge Heinrich ist zwar formal der Haupterbe, verfügt aber immer noch nicht über eigene Territorien und Steuereinnahmen. Er erwägt eine Wallfahrt nach Jerusalem, versucht aber dann, seine irdischen Ziele durch ein Bündnis mit den Rebellen im Limousin zu erreichen. Bei Aix an der Vienne führt Richard seine Truppen 1183 gegen die Verbündeten seines Bruders Heinrich und behält die Oberhand. Die gefangenen Söldner lässt er in der Vienne ertränken. Das grausame Vorgehen sollte wohl als Warnung verstanden werden. Richards Sinn für symbolische Akte entwickelt sich. Das Gefecht an der Vienne ist Richards einzige Begegnung in Frankreich, die einer Schlacht nahe kommt. König Heinrich eilt mit Verstärkungen herbei, um die Rebellion seines Sohnes Heinrich zu beenden. Auf der anderen Seite entsendet König Philipp Truppen zur Unterstützung der Rebellen. Damit ist der Waffenstillstand gebrochen und von der Kreuzfahrt gegen Saladin ist keine Rede mehr. Der junge Heinrich, der sich durch Kirchenplünderungen mit Geld versorgt hatte, beginnt gerade die Oberhand über Vater und Bruder zu gewinnen, als er im Juni 1184 plötzlich stirbt. Die Rebellion bricht zusammen und die Erbfolge hat sich für Richard scheinbar vereinfacht. König Heinrich ist bereit, © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 54 Richard zum Haupterben zu erklären, verlangt aber dafür Aquitanien für Bruder Johann. Empört begibt sich Richard nach Aquitanien, das ihm wichtiger ist als die Anwartschaft auf die englische Krone. Johann und Gottfried hausen daraufhin mit ihren Söldnern im Süden, und Richard fällt im Gegenzug in die Bretagne ein. König Heinrich ruft erschrocken seine Söhne nach England, um den Streit zu beenden. Er entlässt Eleonore aus der Haft und zwingt Richard, Aquitanien an Eleonore zurückzugeben. Heinrich erneuert im Frühjahr 1186 bei einem Treffen mit König Philipp die Abmachungen, die er mit König Ludwig im Jahr 1183 getroffen hatte. Richards Position als Erbe ist gestärkt, der Verlierer Gottfried begibt sich nach Paris. Bei einem Turnier im August 1186 gerät er unter die Hufe eines Streitrosses und stirbt an den Folgen. Im Frühjahr 1187 fordert König Philipp die Herausgabe nordfranzösischer Territorien und die Erfüllung des Heiratsversprechens. Philipps Schwester Alice befindet sich seit fast zwanzig Jahren in Heinrichs Obhut. Gerüchte besagen, der König hätte sie entjungfert. Im Juni 1187 stehen sich vor Châteauroux zwei große Armeen gegenüber. Heinrich und Richard auf der einen Seite, König Philipp auf der anderen. Es geht nicht um Alice, sondern wie immer um Burgen und Äcker. Auch die Schlacht von Châteauroux findet nicht statt. Das Risiko ist beiden Seiten zu hoch, man verhandelt und schließt, wie schon so oft, einen Waffenstillstand. Ein päpstlicher Legat ist auch dabei und erinnert Heinrich an sein altes Versprechen, einen Kreuzzug zu unternehmen. Saladin bedränge die Christen in Palästina, lässt der Papst ausrichten, und die Feudalherren sollten lieber Heiden bekämpfen, statt in Europa Ländereien zu verwüsten. Nach der Konferenz begibt sich Richard mit Philipp nach Paris. Warum, bleibt ein Rätsel. Richard benutzt das Geld, um seine Burgen in Aquitanien zu befestigen. Aber plötzlich unterwirft sich Richard aus ebenfalls nicht erkennbaren Gründen wieder seinem Vater. Etwa zur gleichen Zeit wird das Heer des Königreichs Jerusalem bei Hattin vernichtet. Als die Nachrichten im Herbst 1187 eintreffen, gelobt Richard in der Kathedrale von Tours die Kreuzfahrt. Sein Sinn für Symbolik zeigt sich erneut: Er ist von den großen Fürsten der erste, der das Kreuz nimmt. Ende 1188 bricht Philipp den Waffenstillstand und belagert die Festung Gisors, die als Mitgift für Alice gedacht war. Philipp sieht nach Richards Kreuznahme keine Chance mehr für die Ehe und fordert Gisors zurück. Wieder kommt es nicht zum Kampf. Bei den Verhandlungen zwischen Heinrich und Philipp steht plötzlich Jerusalem im Vordergrund. Der Bischof von Tyrus war angereist und hält eine bewegende Predigt. Beide Könige nehmen das Kreuz. Sie handeln unter dem Druck der öffentlichen Meinung. Der Fall Jerusalems hatte die Kreuzzugspropaganda wiederbelebt. Die Könige denken noch nicht an den Aufbruch. Im Herbst 1188 marschieren Heinrich und Richard in Richtung Paris gegen Philipp. Wieder herrscht Krieg wegen strittiger Besitzrechte. Bei Pacy-sur-Eure kreuzt Richard mit dem besten Ritter Philipps die Waffen. Niemand kommt zu Schaden und beide bezichtigen sich hinterher gegenseitig, beim Kampf gemogelt zu haben. Rittergeschichten dieser Art liebten die Leute. Der Krieg wird aber nicht nach ritterlichen Regeln geführt. Heinrichs Söldner plündern auf dem Gebiet des französischen Königs. Im Oktober 1188 verhandeln Heinrich, Richard und Philipp in Châtillon-sur-Indre erneut über einen Frieden. Es kommt zum Streit zwischen Vater und Sohn. Heinrich weigert sich, Richard als Erben einzusetzen. Im Gegenzug huldigt Richard dem französischen König und erkennt dessen Oberherrschaft über den kontinentalen Besitz der Familie an. Der Krieg geht weiter. Richard kämpft nun an der Seite Philipps gegen seinen Vater. Mehrfach treffen sich die Kontrahenten zu Verhandlungen, aber selbst ein eigens angereister Legat des Papstes vermag keinen Frieden zu stiften. Im Juni 1189 befindet sich Heinrich auf der Flucht vor Richards Söldnern und gerät beinahe in Gefangenschaft. Im Juli ist es dann soweit. Bei den Verhandlungen Anfang Juli 1189 in Ballon muss Heinrich nachgeben. Richard soll die englische Krone erben und nach dem Kreuzzug doch noch Alice, die Schwester Philipps, heiraten. Der Beginn des Kreuzzuges von Richard und Philipp wird auf das Frühjahr 1190 festgelegt. Heinrich II. ist krank und stirbt im Juli 1189, ohne sich mit Richard versöhnt zu haben. Seine Leiche wird in der Abteikirche von Fontevrault beigesetzt. Richard besucht kurz darauf die Grabstätte ohne Anzeichen einer Bewegung. England verdankt Heinrich die Ursprünge der modernen Finanzverwaltung. Aber das ist kein Stoff für Legenden. Am 13. September 1189 wird Richard in Westminster Abbey zum englischen König gekrönt und gesalbt. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 55 Die Londoner sind freudig erregt, die Kreuzzugsstimmung tut das Übrige. Während der Feier entsteht ein Tumult vor dem Palast, der in heftige Angriffe auf das jüdische Viertel mündet. Der Chronist Richard von Devizes: Die Besatzung des Towers, für Ruhe und Ordnung verantwortlich, greift nicht ein. Die Juden standen eigentlich unter dem Schutz des Königs. Richard ist empört, weil die Juden treue Steuerzahler sind. Warum er das Pogrom nicht verhindern konnte, ist nicht bekannt. Zur Finanzierung des Kreuzzuges verkauft Richard alles, was sich zu Geld machen lässt. Richard von Devizes: Richard braucht das Geld vor allem für Schiffe, die er in allen Häfen requirieren lässt. Er zahlt einen Teil der Kaufsumme, den Rest muss ein reicher Beamter, Bürger oder Feudalherr aufbringen. Richard von Devizes schildert die Flotte: Die Verwaltung des Landes übergibt Richard dem Kanzler William Longchamp. Viele Engländer dürften aufgeatmet haben, als er schließlich abreiste. Immerhin hatte Richard in kurzer Zeit das Steueraufkommen mehrerer Jahre eingezogen. Philipp und Richard treffen sich im März 1190 in Nonancourt. Es ist klar, dass keiner ohne den anderen reisen würde. Man weiß, was man voneinander zu erwarten hat. Philipp und Richard beeiden mit ihren Baronen ausdrücklich, das Gebiet des anderen während der Kreuzfahrt nicht anzutasten sondern zu schützen. In den nächsten Monaten regelt Richard die Verwaltung des kontinentalen Familienbesitzes Um die Südflanke zu sichern, wird eine Ehe mit Berengaria, der Tochter des Königs von Navarra ins Auge gefasst. Richards Bruder Johann muss schwören, drei Jahre lang nicht nach England zu reisen. Im Sommer 1190 sind Richards Vorbereitungen für die Kreuzfahrt abgeschlossen. Am 2 Juli versammeln sich beide Heere vor Vézelay. Der Augenzeuge und Chronist Ambroise reimt: Vor Vézelay, zwischen Bergen zwar, Beherbergt Gott die eigene Schar. Im Weinberg und im Felde offen, Schläft mancher Mutter Sohn und Hoffen. Und jeder legt in Gottes Hand, Frau und Kinder und sein Land. Versetzten auch die ganze Habe Und kauften dafür Gottes Gnade.” Von Vézelay war ein halbes Jahrhundert früher Philipps Vater, Ludwig VII., zum zweiten Kreuzzug aufgebrochen. Diesmal haben sich wenig Kreuzfahrer eingefunden, dafür ist der Anteil der Bewaffneten größer. Wie Friedrich Barbarossa planen auch Richard und Philipp eine Militärexpedition. Bernhard von Clairvaux hatte rund vierzig Jahre vorher ideelle Ziele gepredigt und himmlischen Lohn versprochen. Diesmal wirken viele Söldner mit, weil sie von den Königen bezahlt werden und Richard und Philipp bewegt nicht die Vorstellung, die „Welt“ von Heiden zu befreien. Sie sind in Vézelay damit beschäftigt, alle Eroberungen und die erwartete Beute zu teilen. Beide Heere brechen getrennt nach Süden auf. Richards Aufgebot kommt Ende Juli 1190 in Marseille an. Seine Flotte, nach Robert von Devizes mehr als hundert Schiffe, ist noch nicht eingetroffen. Die Kreuzfahrer waren in Lissabon aufgehalten worden. Mehrere hundert Mann hatten in der Stadt geplündert und Frauen geschändet, so dass sich der König von Portugal gezwungen sah, sie zu verhaften. Richard hat keine Lust, in Marseille zu warten und bricht in gemieteten Schiffen nach Messina auf. Er geht mehrfach an Land, da er Seereisen nicht mag. Im September 1190 erreicht Richard Messina auf Sizilien. Philipp, der sich in Genua einige Schiffe gemietet hatte, ist schon da und wohnt in einem Stadtpalast. Auch Richards Flotte ist inzwischen eingetroffen. Richard herrscht über Sizilien, kümmert sich um seine Verwandtschaft und um die Aufbesserung seiner Kasse. Im November 1189 war König Wilhelm II. von Sizilien gestorben. Die Witwe, die er hinterlassen hatte, ist Richards Schwester Johanna. Die Ehe zwischen Wilhelm und Johanna war kinderlos geblieben. Daher steht Konstanze, die Tante Willhelms, in der Erbfolge vorn. Dieser Umstand ist von einiger Tragweite, da Konstanze mit Heinrich, dem ältesten Sohn Kaiser Friedrichs, verehelicht ist. Die Sizilianer waren von der Idee einer Staufischen Fremdherrschaft wenig begeistert und hatten gemeinsam mit Papst Clemens III. einen entfernten Verwandten namens Tankred zum König erhoben. Richard verlangt von Tankred die Herausgabe von Wertsachen, die Wilhelm Heinrich II. vermacht hatte. Es handelte sich um einen vier Meter langen goldenen Tisch, ein großes Zelt aus Seide, goldene Becher und Platten und mehrere Schiffsladungen Getreide und Wein. Richard bleibt nicht untätig. Er erobert ein Kloster auf einer Insel vor Messina. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 56 Nach weiteren Zwischenfällen führt Richard einen Angriff auf Messina an. Nach heftigen Kämpfen fällt die Stadt. Richard lässt seine Fahnen über Messina aufziehen und nimmt Geiseln. Nachdem Tankred sie mit Gold ausgelöst hat, wird ein Waffenstillstand geschlossen. Das Wesentliche ist geregelt, aber Winterstürme verhindern die Weiterreise. Das Glücksspiel nimmt solche Ausmaße an, dass einfachen Soldaten und Matrosen das Würfeln verboten wird. Kleriker und Ritter dürfen zwanzig Schillinge am Tag verspielen. Die Kreuzfahrer verbringen ein halbes Jahr in Messina. Im Frühjahr wird bekannt, dass Eleonore eine neue Braut für Richard nach Messina bringen wird: Berengaria, die Tochter des Königs von Navarra. Philipp ist empört, denn seine Schwester Alice wartet ja noch immer auf Richard. Richard bringt vor, sein Vater Heinrich habe mit seiner Verlobten geschlafen und eine Ehe mit der entehrten Alice käme nicht in Frage. Philipp kann sich gegen diese Beleidigung nicht zu Wehr setzen. Er löst gegen Bargeld den Ehevertrag und segelt nach Palästina ab. Im April treffen Eleonore und Berengaria in Messina ein. Weil die Zeit drängt, wird die Hochzeit verschoben. Eleonore kehrt nach England zurück und Richards Flotte bricht nun ebenfalls nach Palästina auf. Berengaria reist mit. Ein Sturm treibt die Flotte auseinander. Richard bleibt ein paar Tage auf Rhodos, um sich von der Seekrankheit zu erholen. Drei Schiffe werden nach Zypern abgetrieben. Zwei von ihnen stranden Ende April 1191 an der Südküste, das dritte, mit Johanna und Berengaria an Bord, ankert vor Limassol. Die einheimischen Griechen eignen sich die Wertsachen der gestrandeten Kreuzfahrer an und nehmen die Überlebenden gefangen. Eine Sitte, die übrigens auch in England herrschte. Es kommt zum Kampf, beide Seiten beklagen Verluste. Zypern gehörte zum byzantinischen Reich. Der Statthalter Isaak hatte aber die Macht illegal an sich gerissen. Dieser Umstand und die Gefangennahme der gestrandeten Kreuzfahrer kommen Richards Absicht entgegen, die Insel zu erobern. Am 8. Mai 1191 nähert sich die englische Flotte der Küste bei Limassol. Zypern hat sich von dem Raubzug Rainalds von Châtillon wieder erholt und ist von großer strategischer Bedeutung für die Belagerer von Akkon. Richard verfügt über eine selten große und teure Streitmacht. Ein klarer Fall für das Recht des Stärkeren. Der Angriff erfolgte wahrscheinlich in Amathous, östlich des heutigen Limassol. Da die Stadt an der Seeseite nicht befestigt ist, haben die Bewohner beim Nahen der Flotte am Strand Barrikaden errichtet. Richard von Devizes: „Der König, in seiner Rüstung, sprang als erster vom Schiff und schlug den ersten Schwertstreich, aber bevor er den zweiten schlagen konnte, waren Dreitausend auf seiner Seite und schlugen sich mit ihm. Schnell hatten sie das Holz im Hafen weggeräumt. Die kräftigen Männer eilten nach oben in die Stadt und waren nicht sanfter als die Löwinnen, denen man das Junge weggenommen hat. Die Verteidiger kämpften tapfer gegen sie. Die Verwundeten fielen auf dieser Seite und auf jener. Die Schwerter auf beiden Seiten waren trunken vom Blut. Die Zyprioten wurden bezwungen, die Stadt und Burg wurden genommen. Die Sieger nahmen sich, was ihnen gefiel. Der Herr der Insel wurde gefangen und vor den König gebracht. Er bat um Verzeihung, die im gewährt wurde. Er huldigte dem König...” Der Statthalter Isaak Kommenos denkt nicht daran, Richard als Oberherrn der Insel zu akzeptieren. Kaum ist er frei, fordert er Richard auf, die Insel zu verlassen. Inzwischen treffen König Guido von Lusignan, der Fürst von Antiochia, Gesandte der Templer und einige mit Guido verbündete Barone in Zypern ein. König Philipp ist inzwischen vor Akkon eingetroffen und hat die Partei Konrads von Montferrant ergriffen. Die Delegation unter Guido hofft auf die Unterstützung des englischen Königs. Unter den Baronen befanden sich Verwandte von Richards Vasallen. Richard setzt also auf die Karte Guidos und befindet sich damit im Lager der Gegner König Philipps und Konrads. Die Verhältnisse pendeln sich nach heimatlichen Mustern ein. Richard nutzt die Verstärkung durch die Ankömmlinge, um einen Feldzug gegen Isaak zu unternehmen. In mehreren Gefechten werden die Streitkräfte Isaaks niedergeworfen. Isaak ergibt sich, nachdem Richard ihm versprochen hat, ihn nicht in Eisen zu legen. Richard hält sein Wort: Isaak wird in silberne Ketten gelegt. In den Küstenstädten erhebt Richard sogleich eine Besitzsteuer von fünfzig Prozent. Auch der Ertrag für Richards Legende ist nicht schlecht: Seine Attacke am Strand und die List mit den silbernen Ketten machen bald die Runde. Richard heiratet auf Zypern. Nach der Überlieferung soll er in der Georgskapelle der Burg getraut worden sein. Die Ehe mit Berengaria war dynastisch gesehen nicht ertragreich: Sie blieb kinderlos. Richard verliert bald das Interesse an seiner Gattin… Richard wird Zypern bald für hunderttausend Goldstücke an den Templerorden verkaufen. Vierzigtausend Goldstücke können die Templer anzahlen. Aber auch für den reichen Orden ist die Restsumme nicht leicht aufzubringen. Die Templer errichten Burgen und versuchen, das Geld aus der Bevölkerung zu pressen. Sie ersticken in Nikosia einen Aufstand in einem Blutbad. Die geldgierigen Barone mit dem lateinischen Ritus bleiben für die meisten griechisch-orthodoxen Einheimischen © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 57 fremde Herren. Als es zu weiteren Aufständen kommt, wollen die Templer die Insel wieder loswerden. Nach einer schwierigen Finanztransaktion vergibt Richard Zypern dann an König Guido von Lusignan. Zypern bleibt rund dreihundert Jahre im Besitz europäischer Feudalherren. Der Chronist Neophytus von Zypern schreibt über Richard: „Der Engländer plünderte das Land aus und segelte nach Jerusalem, dabei hinterließ er Vasallen, die weiter raubten und ihm die Beute nachsandten. Er erreichte nichts, der Sünder, der er war, gegen den Mitsünder Saladin, er erreichte nichts als den Verkauf von Zypern an die Lateiner... Groß war die Klage und unerträglich die Düsternis, die von Norden kam, wie es prophezeit war.” Wie es mit Richard weiterging, ist noch eine lange Geschichte. Sein Name wird im Zusammenhang mit Zypern nicht mehr erwähnt, höchstens noch einmal, als er im April 1192 dem Guido von Lusignan es ermöglicht, den Templern die Insel Zypern abzukaufen. Er zieht mit seinen 25 Schiffen in die Schlacht nach Akkon, das nach blutigen Kämpfen am 12. Juli 1191 erobert wird. Als sein Gegner Saladin nicht rechtzeitig Lösegeld herbeischafft, lässt Richard am 20. August 1191 ein entsetzliches Blutbad anrichten, bei dem 2700 muslimische Männer, Frauen und Kinder hingemeuchelt werden. Zwei Tage nach dem Massaker bricht Richard mit seinem Heer nach Jerusalem auf. Von einer Belagerung dieser Stadt sieht er wegen hereinbrechenden Winters ab und bläst im Oktober 1192 zum Rückzug übers Meer. Sein weiterer Weg ist genauso abenteuerlich wie der vorige, aber im Zusammenhang mit Zypern nicht mehr interessant. Dennoch will ich der Vollständigkeit halber seinen Weg bis an sein Ende nachzeichnen: Richard unternimmt noch einen vergeblichen Vorstoß auf Jerusalem und Saladin scheitert bei dem Versuch, Jaffa zu erobern. Ende August 1192 wird deutlich, dass keine Seite in der Lage ist, eine Entscheidung zu erzwingen. Richard schließt mit Saladin einen Waffenstillstand über fünf Jahre. Die eroberten Küstenstädte bleiben im Besitz der Christen, nur Askalon muss niedergerissen werden. Pilgern wird der freie Zugang zu den heiligen Stätten in Jerusalem garantiert. Vor Saladins Gesandten müssen die Barone des Königreichs die Einhaltung des Vertrags beschwören. Anfang Oktober 1192 tritt Richard von Akkon aus die Heimreise an. Sein Ziel, die Eroberung Jerusalems, hat er nicht erreicht. Dass ein Küstenstreifen Palästinas wieder in christlicher Hand ist, kann er sich als Verdienst anrechnen. Seine Heimreise verläuft abenteuerlich, aber wenig glücklich. Eine Landung in Südfrankreich oder Italien will Richard offenbar vermeiden. Die Winterstürme lassen eine möglichst kurze Seereise ratsam erscheinen. Richard verlässt auf Korfu sein Schiff, segelt mit gemieteten Booten an der dalmatinischen Küste entlang und landet schließlich mit wenigen Begleitern nahe bei Venedig. Von dort aus nimmt er den Landweg in Richtung Wien. Er befindet sich nun auf dem Gebiet Leopolds von Osterreich, den er sich in Akkon zum Feind gemacht hat. Richard reist in der Verkleidung eines einfachen Pilgers. Die Berichte sind legendär gefärbt. Sein Talent als Mime reicht offenbar nicht aus, um einen Mann aus dem Volk zu spielen. In der Chronik »Itinerarium Regis Ricardi« wird beschrieben, wie Richard als König auftrat. Richard wird Ende Dezember 1192 gefangen genommen, wahrscheinlich in einem Gasthaus bei Wien. Die Chronisten vermuten, Richard habe zuviel Geld ausgegeben. Die Schergen, die ihn dingfest machen, ahnen die Folgen nicht. Die Verhaftung verändert die Machtverhältnisse in Europa. Leopold von Osterreich lässt Richard auf die Burg Dürnstein bringen. Es steht schlecht um ihn. Richards Gegner hatten üble Nachrede in Europa verbreiten lassen: Richard habe Philipp verraten, mit Saladin paktiert und Konrad von Montferrat ermorden lassen. Leopold meldet dem Staufer Heinrich, inzwischen Kaiser Heinrich VI., den wertvollen Fang. Ein gewaltiges politisches Geschäft läuft an, während Richard in sein Gefängnis auf Dürnstein gebracht wird. Dass der treue Sänger Blondel Richard hier nach langer Suche gefunden habe, wird von den zeitgenössischen Chronisten nicht vermerkt. Diese Legende ist später entstanden. Im Februar 1193 nimmt Leopold Richard mit nach Regensburg, um mit Kaiser Heinrich VI. den Preis für die Übergabe zu verhandeln. Da Leopold befürchtet, die Kaiserlichen könnten sich Richards unentgeltlich bemächtigen, schickt er ihn zurück nach Dürnstein. Der Preis für den kostbaren Gefangenen wird auf hunderttausend Mark festgesetzt. Außerdem soll Richard mit fünfzig Schiffen und zweihundert Rittern Kaiser Heinrich bei der Eroberung Siziliens beistehen. Das war auch für einen König ziemlich viel. Im März 1193 hält Kaiser Heinrich in Speyer Gericht über Richard. Er wird angeklagt, durch den Vertrag mit Saladin das Königreich Jerusalem verraten zu haben. Weiterhin wird ihm unterstellt, er habe den Mord an Konrad von Montferrat angestiftet. Richard weist die Anschuldigungen zurück. Die Art und Weise, wie er das tut, beeindruckt den Kaiser. Heinrich VI. lässt die Anschuldigungen fallen, lobt Richards Taten und gibt ihm den Friedenskuss. Der Freispruch hat keineswegs Richards Entlassung zur Folge. Der Kaiser setzt das Lösegeld auf einhundertfünfzigtausend Mark fest. In England wird eine Einkommensteuer von fünfundzwanzig Prozent erhoben, um Richard loszukaufen. Richard, als Kreuzfahrer eigentlich unantastbar, bleibt weiter in Haft. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 58 Der Papst hat inzwischen Leopold von Osterreich exkommuniziert, aber das macht auf Richards Feinde wenig Eindruck. Sein mächtigster Feind, König Philipp von Frankreich, bietet Kaiser Heinrich die gleiche Summe für Richard oder hunderttausend Mark für die Verschiebung der Freilassung. Philipp hat sich mit Richards Bruder Johann verbündet. Sie sind dabei, sich die Besitzungen Richards anzueignen und wollen Zeit gewinnen. Richard wird im März auf die staufische Burg Trifels gebracht. Es ist noch kein Geld aus England eingetroffen. Richard soll im Gefängnis ein Gedicht geschrieben haben: „Schwach sind die Worte, und die Zunge stockt dem Häftling, seinen Schmerz zu klagen. Doch mag dies Lied ihm Linderung verschaffen. Der Freunde hab' ich viel, doch schmal sind ihre Gaben. Die Schande soll sie treffen, wenn nicht ausgelöst ich hier zwei Winter bleibe.“ Doch die englischen Steuerzahler sind schon dabei, das Geld für seine Auslösung aufzubringen. Aus dem Gefängnis heraus wird Richard diplomatisch aktiv und vermittelt zwischen Heinrich VI. und dessen Erzfeind Heinrich dem Löwen. Schließlich lehnt Heinrich es ab, Richard an Philipp auszuliefern. Richards Schicksal hängt nur noch von den Fähigkeiten des englischen Fiskus ab. Mit seinen Bewachern soll Richard auf Burg Trifels eifrig gescherzt und getrunken haben, bis sie unter dem Tisch lagen. Nichts von dem, was einen Mann zum Manne macht, fehlt in seiner Legende. Nach einem Fürstentag in Mainz im Februar 1994 ist es soweit. Zwei Drittel des Lösegeldes sind eingegangen und für den Rest stellt Richard Geiseln. Die Transaktion in Mainz sollte weltpolitische Folgen haben. Kaiser Heinrich VI. finanzierte mit dem Geld der englischen Steuerzahler die Eroberung Siziliens. Und so kam es, dass Heinrichs Sohn, Kaiser Friedrich II., später im Süden Italiens regieren konnte. Richard erkennt den Kaiser als seinen obersten Lehnsherren an und empfängt dafür England als Lehen. Diese Huldigung bleibt allerdings eine Formsache. Nach rund vierzehn Monaten Haft wird Richard entlassen und landet im März 1994 in Sandwich. Die Rebellion seines Bruders Johann war schon mit der Nachricht von Richards Freilassung zusammengebrochen. Kirche, Adel und Beamte hatten in der Mehrzahl Richard die Treue gehalten und gezahlt. In der Kathedrale von Canterbury dankt er Gott für seine Rückkehr. Das Osterfest nutzt Richard für eine politische Demonstration: Vor allen Fürsten zeigt er sich mit seiner Mutter in Westminster Abbey. Er trägt alle Insignien der Macht. Er ist wieder da, bleibt aber nicht lange. Richard landet im Mai 1994 in Barfleur in Frankreich. Er wird von Söldnern begleitet und mustert weitere an. Englands Steuerzahler hatten noch einmal bluten müssen. Richard fängt an, wo er vor der Kreuzfahrt aufgehört hat: Er verteidigt den Familienbesitz gegen den König von Frankreich. Philipp hatte die Abwesenheit vertragswidrig genutzt, um in der Normandie vorzurücken und belagert Verneuil. Nachdem Richards Truppen die Belagerer vertrieben haben, erscheint Johann vor Richard, wirft sich auf den Boden und bittet um Verzeihung. Richard soll sie mit den Worten gewährt haben: „Du warst ein Kind und bist in schlechte Gesellschaft geraten.” Der Krieg geht mit gelegentlichen Unterbrechungen weiter. Richard entlässt Alice bei einer Friedenskonferenz im August 1195 aus dem Gewahrsam der englischen Krone. Sechsundzwanzig Jahre nach ihrer Verlobung mit Richard kann Alice nun einen französischen Grafen heiraten. König Philipp unterstützt immer wieder Rebellionen gegen Richard im Süden Frankreichs. Bei einem Aufstand des Vizegrafen von Limoges belagern Richards Söldner im März 1199 die Burg Chalus. In der Burg sind nur vierzig Männer und Frauen. Am Abend will sich Richard noch einmal umsehen. Dabei trifft ihn ein Armbrustschütze namens Bertram in die Schulter. Kurz darauf erobern Richards Söldner die Burg und bringen die Besatzung um. Nur der Schütze bleibt am Leben. Richards Verletzung ist tödlich. Der Chronist Wilhelm von Newburgh berichtet: „Als der König die Hoffnung auf sein Überleben aufgab, übertrug er seinem Bruder Johann die Herrschaft über England und seine ganzen anderen Gebiete. Er veranlasste, dass dem genannten Johann von den Anwesenden Treueide geleistet würden und befahl, dass ihm seine Burgen übertragen würden. Seinem Neffen Otto vermachte er drei Viertel seines Schatzes und sein Geschmeide und ordnete an, dass das vierte Viertel an seine Diener und die Armen übergeben würde. Als darauf der genannte Bertram vor den Königgerufen wurde, sprach dieser zu ihm: »Was habe ich dir Übles getan, warum hast du mich getötet? Jener antwortete: »Du hast mit eigener Hand meinen Vater und meine zwei Brüder getötet und wolltest mich selbst umbringen. Nimm also an mir die Rache, die du dir ausgedacht hast. Es bereitet mir keine Sorge, sofern du nur stirbst, weil du der Welt soviel angetan hast. « Da befahl der König, ihn als freien Mann gehen zu lassen und ihm einhundert Schillinge in Silber zu geben. Aber der Vasall Mercadeus ergriff ihn ohne Wissen des Königs und hängte ihn nach dem Tod des Königs auf. Vorher hatte er ihm die Haut abziehen lassen... Über den Tod des Königs wurde gesagt: »In diesem Tod vernichtet die Ameise den Löwen. Oh Schmerz, bei einem solchen Leichenbegängnis verdunkelt sich die Welt.” © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 59 Richard starb, weil er sich wieder einmal zu weit nach vorn begeben hatte. Sein ständiger Aufenthalt im Kampfgetümmel war staatsmännisch unklug, hat aber seine Legende dauerhaft gefördert. Seine Kreuzfahrt wurde in den Heldenepen besungen, politisch hat sie ihm nichts genützt. Richards Eingeweide wurden in Chalus bestattet, sein Herz in der Kathedrale von Rouen. Was sonst noch blieb, wurde neben seinem Vater in der Klosterkirche von Fontevrault bestattet, also in Frankreich. Keinen seiner großen Feinde hat Richard Löwenherz besiegt. Und doch ist der englische König, der fast nie in England war, einer der ganz Großen der Legende. Die symbolischen Gesten, sein mutiger Einsatz in der vordersten Linie waren nach dem Geschmack seiner Zeit. Einige Zeitgenossen haben Richard Grausamkeit und Geldgier vorgeworfen. Andere betonen seinen Sinn für Humor und Poesie. Seine Feldzüge und seine Freiheit haben seine Steuerzahler ermöglichen müssen. Den Beinamen Coeur de Lion, Löwenherz, verdankt Richard sich selbst und der Begegnung mit Saladin, die mit einem Unentschieden endete. Richard Löwenherz Sarkophag in Fontevrault Alles das ging mir auch durch den Kopf, als ich wie der Blitz im Kastell von Limassol raste, schon um die anderen nicht solange warten zu lassen. Antonio erwähnte von Löwenherz nichts. Wir trotteten nun noch ein Weilchen durch die recht unattraktive Altstadt. Alte Handwerksläden und moderne Einkaufshallen lagen beieinander. Auf dem Stadtplan ist zu erkennen, dass die östlichen Ausläufer der Stadt beinahe die Ruinen von Amathous erreichen. Auf dem Ruinengelände sollen noch Reste der Stadtmauer dieses alten Stadtstaates, ein Nymphäum 37 und die rekonstruierte Agora 38 und Reste einer Brunnenanlage. Es gibt auch etliche Kirchen in der Stadt; vor einer blieben wir kurz stehen. Ich hatte aber noch solche Wut auf mich selbst wegen des kaputten Fotoapparates, dass ich Antonios Ausführungen nicht zuhörte. Durch eine belebte Nebenstraße liefen wir noch, und schon standen wir als Häufle am Rande des Strand- Boulevards und warteten auf den Bus. XI. Lefkara G und Wachsfiguren ut 50 km sind es ostwärts, größtenteils wieder zurück, auf der Autobahn A1 und noch ein Stück nach Norden in die Berge, als wir in Pano- Lefkara anlangen. Es gibt auch noch ein KatoLefakra, das liegt unterhalb davon. Pano heißt oben. Dieses verträumte Städtchen ist das zyprische Zentrum für textile Spitzenerzeugnisse und Silberschmiedearbeiten. Ich hatte während der Fahrt im Baedeker nachgelesen, dass es ein Wachsfigurenmuseum gibt. Das wollte ich mir ansehen, statt in der Hitze im Ort umherzulaufen, zumal ich keine Absicht hatte, Spitze zu kaufen. Der Bus hielt direkt vor dem Museum und entließ mich der Sorge, es lange suchen zu müssen. 37 Nymphäum, [das, Mehrzahl Nymphäen; griechisch] Nymphaion, in der griechischen Antike ein Heiligtum der Nymphen, meist eine Grotte; auch römische und besonders moderne Bezeichnung für die in der römischen Kaiserzeit in den Städten üblichen Brunnenanlagen mit prunkvollen Fassaden und großen Wasserbecken. 38 Agora, [die; griechisch], ursprünglich „Versammlung“ des Heeres oder Volkes, sehr früh auch schon „Versammlungsort“; der Marktplatz altgriechischer Städte. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 60 Die Leute der Reisegruppe einschließlich Martina, die bei dem Wort Museum scheut, verkrümelten sich. Ich enterte die kleine Treppe, durchquerte eine stille menschenleere Kaffeestube und kam durch eine hintere Tür an den Eingang des Museums, der völlig verwaist schien. Aus einer gläsernen Vitrine schauten mich Männerköpfe an, abgetrennte Häupter, erste Muster aus Wachs, ein Mann bei der Arbeit, vor sich einen bärtigen Kopf, sicher der Meister im Selbstbild. Niemand war da, dem ich Tribut zollen musste. Also trat ich ein und musste die Augen erst einmal an das Halbdunkel gewöhnen. Dann wurden meine Augen immer größer, vor Staunen über meine Entdeckungen und dem Glück, unbehelligt Fotos machen zu dürfen, bin ich ganz aufgelöst. Ich lese Schilder, vergesse gleich wieder den Inhalt, oft fehlt mir der faktische Bezug. Ich sehe nur eins: Dieses Museum birgt eine meisterhafte Erinnerung in einzelnen Szenen und Bildern an verschiedene Epochen der Inselbevölkerung. Mehr als 150 menschliche Figuren sind ausgestellt. Sie sind in acht Themenbereichen angesiedelt. Jedes Thema behandelt, in chronologischer Reihenfolge, eine Grundsicht auf die historische und Kulturelle Vergangenheit der Insel. Ich „erlebe“ im gewissen Sinne die Geschichte Zyperns im Kurzdurchlauf. Natürlich sind manche Szenen auch durch die Brille dieses Ortes gesehen. Das Wachs eröffnet dem Künstler die Möglichkeit, auch äußerliche Feinheiten zu formen, so dass sich die dargestellten Erscheinungen kaum von ihren imaginären oder leibhaftigen Vorbildern unterscheiden. Da sind zuerst Menschen in festlichen Trachten, als Begrüßung, dahinter die Landkarte Zyperns mit der Lage des Ortes Lefkara am östlichen Rand des Troodos- Gebirges. Thema 1: Traditionelles Handwerk: Ich konnte nicht alles mit der Kamera aufnehmen. Das Halbdunkel erschwerte die Fotoarbeit. Ich hätte ein Stativ haben müssen. Ein Bild ist der bodenständigen Landwirtschaft in alten Zeiten gewidmet. Ein Bauer mit Holzpflug. Ein Joch für zwei Ochsen lehnt an der Wand, ein Bild zeigt seine Anwendung. Es ist die Zeit vor der Motorisierung. Lange liegt sie noch nicht zurück. Der hier im Städtchen hoch entwickelten Stickerei ist eine Szene gewidmet. Zwei Frauen sitzen in landesüblicher Kleidung mit Kopftuch und häkeln und sticken an den dünnfädigen Kunstwerken. Ein Konditor zeigt stolz auf seine gefertigten Süßigkeiten aus Mandeln, Nüssen und Zucker, eine zyprische Spezialität. Eine Dorfschule. Fischer sind bei der Arbeit im nächsten Bild. Man sieht sie beim Netze flicken und Fischkörbe flechten. Auch dem Alltag mit einer Szene im Kaffeehaus, dem Kafenίo, ist gedacht. Auf dem Tisch liegt das beliebte Back Gammon. Sie rauchen und trinken Kaffee, den der Wirt im Hintergrund aus einer Eigenbau- Konstruktion entnimmt. Das Radio im Hintergrund lässt auf die Zeit nach dem 2. Weltkrieg schließen. Ein Brautpaar in festlicher weißer Tracht steht vor dem Popen. An ihre Kleidung sind, einem alten Brauche gemäß, Geldscheine angehängt, © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 61 Hochzeitsgeld, das ihnen die ersten Anschaffungen erleichtert. Ein alter Backofen. Thema 2: Die prähistorische Zeit: Die Gewinnung von Kupfer vor allem in der Antike, aber auch bis in die jüngere Neuzeit, ist ein wichtiges Element des Inselreichtums, obwohl die kleinen Leute nichts davon hatten als Fronarbeit. Ein bärtiger Mann in weißem Kittel hockt auf einem Stein und schlägt Kupfererz in kleine Stücke. Hinter ihm brennt ein Schmelzofen. Thema 3: Königtum /Religion: Richard Löwenherz mit Frau Berengaria ist ein Bild gewidmet. Die Staffage ist grob. Über die historische Echtheit der Kostümierung lässt sich streiten. Ein daneben stehender Ritter weist in die kurze Zeit, da 1191/92 Löwenherz sich die Macht auf Zypern angeeignet hat. Stellvertretend für die westlichen Mächte England und Frankreich, siedelt er den katholischen Glauben auf Zypern an und verhilft dem Geschlecht der Lusignans 39 zu 300 Jahren Herrschaft auf der Insel. Zwei Mönche in weißen Kutten weisen auf die Begebenheit mit den 13 Mönchen in Kantara 40 um das Jahr 1231. Zypern wurde regiert durch das feudale System der Lusignans, welches das Volk und auch die griechisch orthodoxe Religion massiv unterdrückte. Die Lusignans glaubten, ihre Sprache, ihre Rechtsformen und ihre Kultur der Bevölkerung leichter aufzuzwingen, wenn sie die katholische Religion durchsetzen. Der orthodoxe Klerus der Insel wehrte sich inständig, und viele Kirchenleute wurden ins Exil verbannt. Der Gipfel der Unterdrückung wurde erreicht, als man im Jahre 1231 13 Mönche auf Kantara festsetzte, weil sie sich dem Dogma der katholischen Bischöfe widersetzten und ihre Bekehrung verweigerten. Drei Jahre lang wurden sie gefoltert, und als sie sich fortgesetzt weigerten, die Konfession zu wechseln, ordnete der Vatikan an, dass sie hingerichtet und als Strafe für ihre Ketzerei bei lebendigem Leibe verbrannt würden. Thema 4: Kampf um die Unabhängigkeit: Wie schon weiter vorn beschrieben, ist auch die Hinrichtung des Erzbischofs Kyprianos und seiner Getreuen nachgeformt. Mit ergebenem, ins Jenseits gerichtetem Blick erwartet er seine Strangulation durch die türkischen Henker. Es war die Zeit der Enosis. Auch die britischen Kolonialherren hängen zypriotische Unabhängigkeitskämpfer. Die näheren Umstände auf allen Schildern nachzulesen, nahm ich mir nicht die Zeit. 1878 besetzte Großbritannien (bei formeller Anerkennung der türkischen Oberhoheit) die Insel, 1914 annektierte es sie; 1925 wurde Zypern britische Kronkolonie. Thema 5: Türkische und englische Herrschaft: Eindrucksvolle Studien der von den Lebensgewohnheiten der konservativen englischen Oberschicht, die sie aus England mitbrachten, eisern daran festhielten und bis heute pflegen, werden in Wachsmodellen gezeigt, Bilder eines britischen Gouverneurs, aber auch eines inhaftierten Widerstandskämpfers in der Todeszelle, es ist alle so nah, so echt….Die Figuren blicken dich an, fordern dich auf… Ein Gang führt an den einzelnen Boxen vorbei. Er ist spärlich erleuchtet. Schon starke Lampen 39 Lusignan, [lyzi'njã], französisches Adelsgeschlecht aus dem Poitou, stellte Könige von Jerusalem (11791291), von Zypern (1192—1489) und von Kleinarmenien (1342—1375). 40 Kantara, (arab. Brücke, Bogen) Festungsruine aus dem 10. Jh. am Eingang zur Halbinsel Karpaz im Osten Zyperns (türkisch besetzt), östlichste der drei Festungen des Pentáktylosgebirges, die im Mittelalter zum Schutz der Insel errichtet wurden. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 62 würden viel Wärme erzeugen, schädlich für das konservierte Wachs. Wieder bin ich vom Zeitlimit bedrängt. Thema 6: Die zyprischen Kämpfer und ihr Opfermut: Eine Schießerei wurde gezeigt. Ein Camp wird gestürmt. Tote hängen im Stacheldraht. Ich kenne die Einzelheiten nicht. Seit 1955 führte die Untergrundorganisation EOKA unter G. Grivas einen Guerillakampf gegen die britische Kolonialmacht, die mit harten Repressalien antwortete. Gleichzeitig kam es zum Konflikt zwischen den interessierten Mächten: Großbritannien wünschte den Fortbestand des Kolonialstatus, Griechenland den Anschluss, die Türkei eine Teilung der Insel. 1959 wurde der Konflikt durch das Londoner Abkommen zunächst beigelegt: Zypern erhielt die Unabhängigkeit, die von den drei Mächten garantiert wurde. Für das Verhältnis der Nationalitäten wurde eine vorläufige Rechtsgrundlage geschaffen; Großbritannien wurden Militärstützpunkte zugestanden. Makarios wurde zum Staatspräsidenten gewählt. Am 16. 8. 1960 erfolgte die Unabhängigkeitserklärung. Kennzeichnend für die Verfassung von 1960 blieb der institutionalisierte Dualismus von griechischer Mehrheit und türkischer Minderheit. Alle Staatsorgane wurden im Verhältnis 70: 30 besetzt. Das aus 35 griechischen und 15 türkischen Abgeordneten bestehende Repräsentantenhaus wurde nach allgemeinem, gleichem, geheimem und direktem Wahlrecht bestellt, jedoch wählten beide Nationalitäten ihre Abgeordneten in gesonderten Wahlkreisen. Auch der griechische Präsident und der türkische Vizepräsident (F. Küçük) wurden getrennt gewählt. Als Makarios 1963 dieses System zugunsten der griechischen Mehrheit beseitigen wollte (Aufhebung des Proporzes bei Wahlen und Stellenbesetzungen), kam es zu blutigen Kämpfen zwischen den Volksgruppen. Die UN entsandten 1964 eine Sicherheitstruppe, die noch heute auf Zypern stationiert ist. In der 2. Hälfte der 1960er Jahre beruhigte sich die Lage, doch kam eine Verständigung trotz jahrelanger Verhandlungen nicht zustande. Inzwischen entstand bei Teilen der griechischen Zyprioten Missstimmung gegen Makarios, der die Enosis- Bewegung nur noch formell zu unterstützen schien. Seit 1972 trat die von Grivas († 1974) geführte EOKA wieder mit Terroranschlägen, jetzt gegen Regierungsmitglieder und Regierungseinrichtungen gerichtet, in Erscheinung. Gegen Makarios wandte sich auch ein Teil des Klerus. Am 15. 7. 1974 putschte dann die von griechischen Offizieren befehligte und von der Regierung Griechenlands gesteuerte Nationalgarde gegen Makarios. Makarios verließ vorübergehend das Land. Alles das haftet dieser Generation und auch ihren Kindern noch frisch im Gedächtnis. Themen 7 und 8: Türkische Invasion und gegenwärtige Geschichte der Teilung: Unter dem Eindruck eines drohenden Anschlusses der Insel an Griechenland landeten am 20. 7. 1974 türkische Truppen und besetzten den Nordosten der Insel, rund 40% der Gesamtfläche. Es kam zu großen Bevölkerungsverschiebungen (Flucht, Vertreibung, Umsiedlung). 1975 erklärte sich der türkische Teil zum „Föderativen türkisch-zypriotischen Staat“, dessen Präsident R. Denktasch wurde. Verhandlungen zwischen den Volksgruppen blieben ergebnislos, da die Griechen auf einem Einheitsstaat mit begrenzt autonomen Kantonen bestanden, während die Türken eine lose Föderation zweier weitgehend selbständiger Staaten forderten. Dieser Ausstellung muss man einfach mehr Zeit gönnen. Hier ist ansatzweise Geschichte, punktuell, optisch aus ihrem Dunkel herausgehoben worden. Die dargestellten Begebnisse hatten vor Ort für mich noch viele Fragezeichen. Kaum, dass ich einzelne Schlüsselereignisse erfahren habe- ich war noch fremd im Land. Ich begann gerade mich hinein zu denken. Heute weiß ich mehr. Lexika, mitgebrachte Prospekte, Internet- Recherchen und Bücher verrieten mir ihr Wissen, das ich jetzt versuche zusammenzufassen. Sehr drastisch, besonders bedrückend fand ich die Darstellungen von Märtyrern, Volkshelden, Kämpfern, Kirchenführern, Aufständischen und Rebellen in Kerker, Haft und vor der © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 63 Hinrichtung, die bis in die Einzelheiten nachgestellt waren. Kurz vor dem Ausgang glänzten im tadellosen Anzug zwei Präsidenten der Republik. Seit 1974 gaben oder nahmen sich das Zepter in die oder aus der Hand: • Präsident Glafkos Klerides (18. Juli 1974 bis 7. Dezember 1974 Interimspräsident) • Präsident Erzbischof Makarios III. (7.Dezember 1974 bis 3. August 1977 †) • Präsident Spyros Kyprianou (31. August 1977 bis 28. Februar 1988) • Präsident Georges Vassiliou (28. Februar 1988 bis 28. Februar 1993) • Präsident Glafkos Klerides (28. Februar 1993 bis 1. März 2003) • Präsident Tassos Papadopoulos (seit 1. März 2003) Am Ausgang kam ich mir wie ein kleiner Entdecker vor. Zyperns wechselvolle Geschichte war mir wieder ein wenig näher gerückt. Dann hatte ich noch 20 Minuten bis zum verabredeten Zeitpunkt, suchte Martina, fand sie in den wie ausgestorben scheinenden Straßen dieser Stickerei- Hochburg nicht und machte nun einen kleinen Rundgang. Zahllose Geschäfte mit textilen Angeboten lockten den Besucher zum Kauf von gehäkelten und bestickten Decken, Tüchern, Laken, Vorhängen, Gardinen, Stolen, Servietten, ja sogar Sonnenschirme habe ich gesehen. Die andere Sparte an speziellem Handwerk dieses Ortes sind die Silberwaren. Da findet man Schmuck für jeden Körperteil, gediegen und filigran, Ringe, Ketten, Diademe, Armbänder, wertvoll eingefasste Uhren, ich habe mich nicht sonderlich darauf eingelassen, bin auch in kein Geschäft hinein gegangen; ich wollte nichts erwerben. Mit einer Stickerin, die an der Straßenecke vor ihrem Laden saß und mit einer Lochstickerei beschäftigt war, knüpfte ich ein kleines Gespräch an, lobte ihr Tun, weil ich weiß, wie viel Arbeit und Mühe darin steckt. Irgendwann wird diese unterbezahlte Handarbeit wie auch schon das Klöppeln nur noch als bewahrte Volkskunst in Museum konserviert werden. Hier dient sie noch dem Broterwerb. Bereitwillig zeigte sie mir, wie sie kleine Löcher aus dem Leinengewebe herausschnitt, deren Ränder sie dann mit winzigen Stichen und unendlicher Geduld umnähte- Lochsaumstickerei ist Kunst. Die Ruhe im Ort, das Klima jetzt im Herbst sind natürlich eine heilsame und helfende Umgebung. Aber was hilft das alles, wenn die Kunden - so wie ich - nur Interesse zeigen und nichts kaufen? Lefkara hat noch seinen Ruf durch ein anderes Image. Berühmt auf ganz Zypern ist dieser Ort wegen seiner schönen Holzbalkone, die die Häuser schmücken. Das fiel mir beim weiteren Rundgang auf. Ich untersuchte mit meinem Fotoapparat einen Tordurchgang, und als einer Frau meine Neugier auffiel, lud sie mich ein näher zu kommen und winkte mich in den Hinterhof, der noch schöner war als die Straßenseite. Von hier hinten konnte ich einen Blick hinunter in die Ebene genießen. Der Einsatz von Holz muss auffallen, da das Land ja sehr holzarm ist. Natürlich gehört Lefkara schon in das Gebiet des TroodosGebirges, was ein Blick nach Norden bestätigt, wenn man von der Hauptstraße in den engen Nebengassen nach oben schaut. Ich musste Abschied nehmen, traf die Truppe am Bus wieder, schwatzend und ihre Beute betrachtend. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 64 XII. Ins östliche Troodos- Gebirge – Ankunft in Agros Genau 14.15 Uhr setzten wir unsere Reise fort. Nun sollte es weiter hinauf ins TroodosGebirge gehen. Am Abend würden wir im Hotel Rodon in Agros sein und vier Tage und Nächte dort oben verweilen. Antonio, hinter dem wir saßen, klebte sich das Handy ans Ohr, neigte lauschend den Kopf und meldete danach, es würde da oben mächtig regnen. Diese Meldung erhielt dadurch Gewicht, dass das so ziemlich die ersten Regenfälle dieses Herbstes sind und auch uns ein wenig beeinträchtigen würden. Abwarten. Schwere, finstere Wolken trieben am Horizont. Bald knallten die ersten Tropfen an die Scheiben des Busses. Der Regen erreichte uns mit kurzen heftigen Schauern also schon während der Fahrt. Das kann ja heiter werden! So willkommen das Nass bei den Einwohnern ist: Wir Touristen lernen das Land lieber im Trockenen kennen. Die E110 windet sich, dem Diktat der Höhenlinien in der Topografie folgend, langsam immer höher hinauf. Wundervolle Wolkenbilder sind in der Ferne zu beobachten. In Agio Ioannis ergriff Antonio das Mikrofon und erzählte uns schmunzelnd die ganz außergewöhnliche Mär, dass wir hier in „Klein- Moskau“ sind. „Hier wohnen eine ganze Reihe Leute, die alle Lenin oder Stalin heißen“, meinte er. Den Dorfplatz, den wir gerade überquerten, nannte er den Roten Platz. Kartenausschnitt EASTERN TROODOS AREA um Agros, M. 1 : 60 000 – Nr. 40: Hotel Rodon Nach einer reichlichen Stunde Fahrt erreichen wir unser Ziel. Das „Rodon- Mount Hotel and Resort“ ist ein stattlicher Hotelkomplex in etwa 1100 m Höhe. Um gleich diese Beschreibung zu erledigen: Es hat 123 Doppelzimmer, 24 Familiensuiten, 2 Einzelzimmer, je eine Präsidenten und eine Hochzeitssuite, also Platz für rund 300 Personen. Unser Zimmer lag nach hinten hinaus. Vom Balkon sah ich direkt links vor uns einen grünen, blühenden Felsen und rechts den Hotelgarten mit hellgrünen Olivenbäumen und dahinter in der Ferne die dunstigen Hügel des bergigen Umlandes. Agros liegt im Herzen des Pitsilia- Gebirges. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 65 Das Abendessen sollte es erst 19.30 Uhr geben, wir nutzten die verbleibende Zeit zu einem ersten Erkundungsspaziergang in der Umgebung des Hotels. Alles war noch frisch, feucht und nass vom Regen, der hier kurz und heftig niedergegangen war. Ich stieg, Martina hinter mir her lockend, auf eine kleine Anhöhe, von der wir gut sahen, dass das Dorf Agros weit unten im Tal sich hinzog, etwa 200 m tiefer, terrassenförmig in der leichten Hanglage sich hinziehend. Wir entschlossen uns, der steigenden Straße folgend, noch weiter höher zu steigen. Bald standen wir an einer Baustelle. Von ihnen sahen wir in den nächsten Tagen noch mehrere, so dass man annehmen kann, dass diese Gegend prosperiert. Die Urlauber tragen sicher sehr viel Geld hierher. Wir hatten bald das bewohnte Areal hinter uns gelassen. Neugier trieb uns immer weiter, zumal der Weg nun flach den Windungen der Terrassen folgte, in die die Hügel abgetreppt sind und sämtlich dem Obst- oder Weinanbau dienen. Das Dorf Agros, etwa vom Hotel Rodon gesehen Es ist Oktober und die Zeit der Weinlese. Rechts von uns hingen die blauen und gelben Trauben schwer an den teilweise uralten Reben und luden zum Naschen regelrecht ein. Wir kosteten, naschten die köstlichen Beeren, suchten die größten aus. Jeder entdeckte noch größere. Wir waren wie im Rausch. Solch eine Gelegenheit hatten wir noch nie gehabt. Einsam und allein in der Abenddämmerung im fremden Land, umschlossen von göttlicher Stille und den herbstlichen Farben. Das Laub troff noch von der Nässe und blinkte in der Abendsonne. Die Stimmung verzauberte uns. An der Wegbiegung, hangabwärts, werkelte ein alter Mann mit seinem Esel. Uns überkamen nun doch einige Skrupel wegen des kleinen Mundraubes, dessen wir uns für schuldig hielten, zumal Martina in eine Plastiktüte einigen Vorrat abgezupft hatte. Wir hielten uns etwas verborgen. Er war auch noch ein Stück entfernt. Doch dieser alte Bauer hatte mit seinem schweren Tagewerk zu tun und achtete unser nicht. Wir machten uns auf den Rückweg, nicht ohne über die Weitsicht in die Bergwelt des Troodos ins Schwärmen zu geraten, die Braun- und Goldtöne, die die untergehende Sonne zum Leuchten brachte, die frische, vom Regen gereinigte und gefilterte Bergluft des Pitsilia. Ich atmete tief durch. Welch ein Gegensatz zu der Glutluft gestern am Kap Grekko! Das Abendessen war gegenüber dem Schlemmer- Angebot des Cavo Maris mäßig. In dem großen Saal wirkte unsere Gruppe mit etwa 30 Leuten verloren. Das Saisonende war deutlich zu spüren. Ich genoss diese Ruhe. Für die nächsten Tage nahm ich mir vor, den Swimming- Pool zu nutzen. Draußen ist es jetzt schon herbstlich frisch. Ich stöbere noch ein wenig in einer Informationsmappe von Hellas- Reisen, um für morgen ein Ziel zu Hotel Rodon in Agros, Troodos- Gebirge finden- mit wenig Erfolg. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 66 XIII. Wanderungen um und in Agros und Mezé- Essen in der Taverna Dienstag, 3. Oktober 2006 ir erleben den sechsten Tag unserer Reise. Erst 16 Uhr treffen wir uns alle wieder zu gemeinsamem Tun. Heute Vormittag müssen wir unser Programm selbst gestalten. Im Baedeker las ich von dem ehemaligen Kloster Palaichóri, einem kleinen malerischen Ort, der etwa 10 km Luftlinie von hier entfernt liegt. Hier soll es eine Kirche aus dem frühen 16. Jahrhundert geben, die voll mit schönen Fresken ausgekleidet ist. Weltkulturerbe der UNESCO. Ich interveniere bei der Reiseleitung- keine Möglichkeit. Außerdem lese ich, das nur montags und mittwochs geöffnet ist. Zum Laufen ist es zu weit. 25 km Wanderung würde uns beide überfordern. Also laufen wir beide, Martina und ich, einfach los, aufs Geratewohl. W Anfangs gehen wir einige Zeit mit dem Ehepaar Schelter aus Erfurt, doch Martina will immer wieder ausscheren. Sie ist heute nicht sehr kommunikationsfreudig. Außerdem wandert sie nicht gern in Gesellschaft. Ich will zudem etwas höher hinaus- man nehme das nicht allzu wörtlich. Wir wählen einen Pfad, der in die Höhe führt, Schelters folgen den Windungen der Straße weiter. Tschüs. Wir sind hier in der Gegend von Agros mitten in den Pitsilia- Bergen, die ein östlicher Teil des Troodos- Massivs sind. Ihre Hügel und Täler pendeln zwischen Höhen von 1100 und 1400 Metern. Die Strahlen der Sonne wärmen kräftig, doch die frische Bergluft mildert das Klima. Wir treffen ein uraltes Bauernpaar, das auf einem ebenso uralten Toyota- Pickup aus seinem Weinberge kommt. Auf der Ladefläche Plastikkisten mit Trauben. Wir grüßen. Sie winken zurück. Sie haben Wein gelesen, ohne fremde Hilfe, ohne jugendlichen Nachwuchs. Es ist die Situation wie bei uns: Landflucht. Die Alten sterben aus. Ich denke an die steinalten Rebstöcke von gestern Abend und den alten Mann mit seinem Esel. Es gibt hier Weinberge, langsam verfallende Terrassen, die nicht mehr bearbeitet werden, weil die Besitzer zu alt und ohne Nachwuchs sind. Wie doch die Folgen der Weltwirtschaft bis in die kleinsten und fernsten Winkel dringen! Uralte, jahrhundertelange Traditionen sterben in weniger als einer Generation. Wir steigen stetig. Bald können wir das Rodon- Hotel ganz weit unten sehen, fast wie bei einer Luftaufnahme. Da weitet sich mein Herz. Das ist der Lohn des Steigens, der Mühe. Der Brustkorb dehnt sich- tief durchatmen: Wie schön ist das Leben! Wie schön ist die Natur! Weit hinten am Horizont strecken sich die blauen Berge des TroodosGebirges mit der weißen Kugel des knapp 2000 m hohen OlymposBerges, der höchsten Erhebung von Zypern. Um uns ist nun vertrocknetes Gesträuch und dorniges Gestrüpp. Wir sind jetzt in der Höhe, auf fast nicht mehr erkennbaren Wegen der Winzer, die zu ihren Besitzungen führen. Nichts ist abgegrenzt. Ich will hoch. Wir stapfen einen steinigen Pfad, der am immer steiler und abschüssiger werdenden Hang entlang führt und irgendwann aufhört ein Weg zu sein. Blick auf das Troodos- Gebirge mit dem Olympos Ich schaue nach oben und sehe einen Strommast. Der wird sicher an einem Weg stehen und zugänglich sein. Nun klimmen wir die Falllinie empor, müssen manchmal die Hände beim Klettern zu Hilfe nehmen. Martina beklagt sich schon, ich hätte sie in die Irre geführt. Ich © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 67 tröste, rede ihr gut zu. Ab und zu bleibe ich besinnend stehen, bin entzückt über die herrlichen gelben Blütenstände der Disteln, fotografiere sie. Martina wettert vor sich hin. Dann stehen wir oben. Es ist ein Weg, wenngleich es noch kein Gipfelpunkt ist. Erst von hier sieht man, dass es noch höher geht. Der Platys drüben auf der Kette jenseits des Tales ist 1420 m hoch. Wir stehen jetzt vielleicht auf etwa 1300 m, entschließen uns wieder nach unten zu gehen. Der Weg führt in das Tal hinunter, in dem der nördlichste Teil des Dorfes Agros liegt. Wir kreuzen den Europäischen Fernwanderweg E4, markiert mit dem blauen E. Wir suchen eine Sitzgelegenheit für eine kleine Pause, finden nichts Passendes, bleiben stehen und Verschnaufen. Überall verstreut liegen hier Papphülsen von Geschossen aus Jagdgewehren. Ich glaubte auch einmal einen Knall gehört zu haben. Die Bauern der Gegend gehen auf die Jagd. Worauf schießen sie? Ich habe hier keine wilden Tiere beobachten können. Den Prospekten zufolge soll es Mufflons geben. Kein Schatten. Es wird heiß. Aus dem Tal Distelblüten wie kleine Sonnen klingt helles Kinderlachen, Schulhoflärm herauf. Eine Abzweigung verlockt zum Erobern des nächsten Dorfes, es sind nur wenige Kilometer. Doch wir wenden uns nach rechts, der Weg fällt angenehm. Sogar Pfützen vom gestrigen Regen stehen noch an schattigen Stellen. Vögel zwitschern. Wir naschen wieder ein paar Weintrauben. Verlockend reifen die samtblauen Beerendolden und scheinen zu rufen: Pflücke mich, pflücke mich! Bald sehen wir weiter unten Leute winken, die zu uns heraufsehen. Hallo! Sie haben das Tal von der anderen Seite her erkundet und kommen uns nun entgegen. Bald treffen wir sie. Wir tauschen unsere Erfahrungen aus. Der Vormittag ist noch nicht vorbei. Tschüs! Bis bald. Nun nimmt uns die aus Agros heraufführende Straße auf. Sie gabelt sich bald. Ein Zweig führt nach Pelendri und am Ende an die Küste nach Limassol, der andere nach Chandria und westwärts hinauf in das Troodosgebirge. Beide Richtungen werden wir in den nächsten Tagen kennen lernen. Jetzt aber wandern wir wieder nach Agros hinein. Die Asphaltstraße holt weit aus. Auf ihren Serpentinen haben wir immer Agros im Bild. Diese ziehen sich in die Länge. An einem Neubau, der mit viel Beton und massiven Stützwänden an den Hang gebaut wird, ruhen wir aus, trinken einen Schluck Kaffee und essen einen Pfirsich. Nun geht es immer bergab, hinein ins Dorf. Es wird viel gebaut. An einem Haus denke ich, ich sehe nicht recht: Da steht auf einem hohen Betonsockel eine Freiheitsstatue mit Strahlenkrone, die Fackel in die Luft gereckt, die keine ist, sondern eine stinknormale Glühbirne. Im Arm trägt sie ein Buch und ein seltsames Zepter. Soll das ein Wahrzeichen von Agros werden? Ich bin verstört. Langsam beginnen die Füße zu schmerzen. Die schiefe Ebene des harten Asphalts staucht. Ich suche das weiche Bett der von den Pinien abgeworfenen Nadeln, die am Straßenrand das Gehen erleichtern. Dann sind wir unten im Ort. Eine Gärtnerei mit Tausenden Rosen in langen Beetreihen lässt einen Erwerbszweig erahnen, den wir heute Nachmittag noch besser kennen lernen werden. An einem Pfirsichhain versucht Martina, ein paar Früchte zu ernten. Sie sind trotz ihres reifen Aussehens noch sehr hart und fast nicht genießbar. Schade. Es ist wie im Paradies hier, wo die Früchte in den Mund wachsen. Bald steigt die Straße wieder. Zum Hotel hinauf wird es noch einmal richtig beschwerlich. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 68 Wir ruhen uns ein Weilchen im Hotelzimmer aus, trinken, essen ein wenig, sitzen auf dem Balkon, genießen die Ruhe. Dann ist die Zeit heran, 16 Uhr, wo wir uns alle treffen, um gemeinsam wieder zu Tale zu ziehen und das Nachmittags- und Abendprogramm zu erleben. Wir gehen den gleichen Weg zurück, biegen dann aber am Sportzentrum rechts ab. Wir werden aufgeklärt über den besonderen genossenschaftlichen Charakter des Dorfes. Alle Einwohner haben eine Kooperative gebildet, ihr Vermögen zusammengetan und mit ihrem Geld das Rodon- Hotel gebaut. Sie sind nun alle daran beteiligt, und etliche arbeiten dort, etwa 30 Leute. Andere wieder versorgen das Hotel mit Obst und Gemüse, mit Fleisch und Brot, mit Blumen, Andenken und Wein. So versorgt das Hotel den Bewohnern Arbeit. Diese haben sogar eine eigene Bank gegründet, ein einmaliges Beispiel in Zypern, das jedoch jetzt Schule macht und auch anderswo nachgeahmt wird. Für den Winter, wenn die Touristen ausbleiben, haben die findigen Agros- Leute einen Dreh gefunden, Menschen hierher zu bringen. Sie organisieren sportliche Wettkämpfe, Trainingslager und Schulungen in einem großzügig ausgestatteten Komplex, der sogar einer größeren Stadt würdig wäre. So ist auch im Winter das Hotel ausgelastet. Erstaunlich. Nun haben wir eine Begegnung mit der Vergangenheit- könnte man sagen. An einer Straßenkrümmung kommt uns ein alter Mann mit seinem Esel entgegen, ein Bild wie es sich die Reisejournalisten wünschen, wie es auf den Reiseprospekten zu sehen ist, auf Umschlägen auf Büchern über Zypern, kurz gesagt ein Klischee, das heute nicht mehr der Wirklichkeit entspricht, ein Esel auf Zypern als Transportmittel. Gut, man sagt, Agros sei noch ein Dorf. Immerhin braucht das Tier ganzjährig Futter. Dennoch kann ein Esel kaum noch den benzingetriebenen Tieren Konkurrenz bieten. Nur vielleicht noch in den schwer zugänglichen Wein- Terrassen leistet es vereinzelt Hilfe, das unendlich geduldige, manchmal etwas eigensinnige, genügsame Grautier, das in unserem Falle ein hübsches Kaffeebraun aufweist. Alle rissen natürlich die Fotoapparate an die Wange, hielten voll drauf, bedrängten sich gegenseitig- man will ja diese Szene möglichst ohne die störenden Touristen einfangen. Es gab heillose Aufregung. Der arme Mann tat sein Bestes, machte gute Miene zum bösen Spiel, denn er hatte nichts davon, dass er so plötzlich im Mittelpunkt stand. Er zog das Eseltier stumm hinter sich her, dies trabte Schritt für Schritt gemächlich den Berg hoch. Der Bauer verhielt einen kurzen Moment, lachte verlegen und trollte sich von dannen. In dieser Zeit musste ich auch versuchen, ihn möglichst günstig einzufangen und fluchte innerlich auf den Menschenjäger, der immer in vorderster Linie im Wege stand. Noch schlimmer sind in neuer Zeit die Videofilmer, die unbeweglich zu deinem gewählten Objekt die Sicht verderben und erst dann weggehen, wenn alles vorbei ist. Sie sind den Rauchern gleiche taktlose Egoisten. Wir stehen vor dem Anwesen der Familie Tsolakis, dem „House of Roses“, Rosenhaus und treten neugierig in die kleine Werkstatt. Grundidee war, aus den hier gezüchteten und geernteten Rosen die Blätter auszupressen und allerlei Produkte daraus herzustellen: Duftendes Rosenwasser, Rosenöl, Rosenlikör, Rosengeist (hochprozentiger Schnaps), Rosensüßigkeiten und sogar Wein mit Rosengeschmack. Dazu gesellt sich eine kleine keramische Werkstatt, in der gleich die entsprechenden und ansprechenden Gefäße getöpfert werden. Hier standen wir nun und staunten. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 69 Beeindruckend vor allem die mühsame Handarbeit und die Menge von Blättern, ehe man einen Tropfen Rosenöl daraus gewonnen hat. Wir umstanden zunächst dem Töpfer, der eine Serie kleiner Krüge auf das Brennen vorbereitete. Es Traditionelle Rosenwasser- Destillation stand auch ein kleiner Brennofen in der Ecke. Wir schauten einem jungen Mann über die Schulter, der den frisch in Schablonen geformten Tonkörpern mit einem Messer die Grate entfernte. Bald rief Antonio zur Verkostung an eine kleine Theke. Jeder durfte entweder einen Rosenschnaps oder ein Glas Rosenwein kosten. Ein Novum für meinen Gaumen, aber es haute mich nicht um, da ich Alkohol gegenüber äußerst skeptisch bin. Martina prüfte ein Angebot an rosenblättrigen Duftkerzen und Rosenseifen. Alles sehr verlockend, aber für uns nicht praktikabel. Ein winziger Verkaufsraum nebenan füllte sich langsam mit Neugierigen. Es sind sehr originelle Vasen und Porzellankompositionen darunter, alle in irgendeinem Bezug zur Rose. Beinahe hätten wir gekauft, dachten aber im letzten Moment an das Fluggepäck. Wir liefen zurück und sollten nun die Bekanntschaft von Nikis machen, einer energischen, selbstbewussten Frau, die sich mit ihren häuslichen Ideen und Rezepten zur Marmeladen- und Konfitürenherstellung ein kleines, gut gehendes Geschäft aufgebaut hat. Hier bietet sie aus heimischen Früchten erzeugte Konfitüren, Honig, Süßigkeiten an. Wir stiegen eine Treppe hinunter- ihr Haus war an den Hang gebaut und nutzte die Schräge. Da im Untergeschoss befindet sich die Küche. Frau Nikis beschäftigt zwanzig Frauen, die das Obst putzen, zerkleinern, kochen, rühren, formen, abfüllen. An fahrbaren Gerüsten hängen in langen Schnüren die Soudzsoúkos, das sind aufgereihte Mandeln oder Walnüsse, in karamellisiertem und geliertem Traubenmost getränkt, getrocknet und dann in Schnuren aufgefädelt. Wir durften ein Stück naschen- köstlich! Soudzsoúkos Im Laden fiel die Wahl schwer. Honig gab es von Thymian, Wald- und Sommerblumen, Glykó, in Gelee eingelegte süße Früchte, Tomatenpüree, Konfitüren aus Beeren, Kiwis, Quitten, Kirschen und Pfirsich. Wir nahmen ein Glas Feigenkonfitüre mit. Nun spazierten wir in langer Kette in Richtung Kirche, die wir von Nikis schon übers Tal hinweg gut gesehen haben. Als Zwischenziel wählte Antonio eine Terrasse, sie gehörte zu einem Kafenío, das auf der anderen Straßenseite lag. Agros: Nikis- Cyprus home made Sweets © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 70 Die Kirche des Ortes konnte man gut von hier oben sehen. Kaffeepause. Die Glocken läuteten zur Abendandacht. Antonio schlug vor, hineinzugehen, um den Ablauf eines griechisch- orthodoxen Gottesdienstes einmal lebendig zu erleben. Später belese ich mich: Orthodoxe Kirchen (von altgriechisch ορθός – richtig oder geradlinig, und δόξα – glauben) nennen sich die christlichen Kirchen des byzantinischen Ritus, die im griechischen Kulturraum entstanden oder von dorther gegründet worden sind. Die kirchlichen Traditionen und Lehren der orthodoxen Kirchen nahmen ihren Anfang im byzantinischen Reich mit seinem Zentrum Byzanz bzw. Konstantinopel. Deshalb spricht man auch von der griechischen Kirche im Gegensatz zur lateinischen Kirche bzw. römischen Kirche. Der Begriff Ostkirchen ist ebenfalls gebräuchlich, Das Sakrament der Weihe ist in drei Stufen aufgeteilt. Die erste Stufe ist das Diakonat, die zweite das Priestertum und die dritte die des Bischofs. Die Weihe können nur Männer empfangen. Nur die Bischöfe, die meist (fast immer) zugleich auch Mönche sind, sind zum Zölibat verpflichtet. Allerdings sind auch die Bischöfe oft nicht ursprünglich aus dem unverheirateten Klerus, denn es werden häufig verwitwete Priester zum Bischof geweiht. Priester und Diakone dürfen verheiratet sein, allerdings nicht nach der Subdiakonweihe heiraten. Wenn sie verwitwen oder sich von ihrer Frau trennen, müssen sie unverheiratet bleiben. Neben dem Weihesakrament kennen die orthodoxen Kirchen auch die so genannten Niederen Weihen zum Lektorat und Subdiakonat (Hypodiakon). Die Ämter sind in eine kirchliche Hierarchie eingebunden: An der Spitze steht der Patriarch, Erzbischof oder Metropolit als primus inter pares unter den Bischöfen, dann kommen Bischof (griech. επίσκοπος episkopos, eigentlich Aufseher oder Vorarbeiter), Priester (griech. πρεσβύτερος presbyteros, eigentlich Ältester), und Diakon (griech. διάκονος diakonos, eigentlich Helfer oder Tischdiener). Subdiakon, Vorleser, Sänger und Türhüter sind weitere Ämter ohne sakramentale Weihe und ohne Altardienst, die ihren Ursprung in der frühchristlichen Liturgie haben, heute aber zum Teil andere Funktionen haben als die Namen nahe legen. Bekenntnisgrundlagen sind Bibel und Tradition. Die Tradition ist fixiert durch die Beschlüsse der ersten 7 ökumenischen Konzilien (1. Nicäa 325 bis 7. Nicäa 787); sie ist ferner durch die Lehren der Kirchenväter, die Aussagen im reichen liturgischen Gut und durch spätere wichtige Synoden bestimmt (1642 Jassy [Rumänien], 1670 Jerusalem). Die Feier der „göttlichen Liturgie“, die 7 Sakramente, der Vollzug von Sakramentalien (Weihehandlungen), die Verehrung der Ikonen, Gebete und Hymnen nehmen im Leben der orthodoxen Kirchen einen breiten Raum ein. Im Mittelpunkt der orthodoxen Spiritualität steht die reiche, hauptsächlich gesungene Liturgie voller Symbolik, deren heutige Form großteils bis ins vierte Jahrhundert zurückgeht, in ihrer Grundstruktur wohl sogar bis ins erste und zweite Jahrhundert. Die Form des ersten Teils der Liturgie, die so genannte Liturgie der Katechumenen mit Gebeten und Bibellesungen, geht auf den jüdischen Synagogengottesdienst zurück, wie er zur Zeit Jesu üblich war, während der zweite Teil, die Liturgie der Gläubigen mit der Eucharistiefeier, im wesentlichen christlichen Ursprungs ist. Da schon Musik aus verborgenen Lautsprechern ertönte und einzelne alte Menschen in den hohen Stühlen andächtig und in sich gekehrt nach vorn schauten, schlichen wir uns auf leisen Sohlen dazu und nahmen Platz. Die Armlehnen waren schulterhoch, so als wollten sie den Gläubigen beim Gebet stützen. Griechisch- orthodoxer Gottesdienst in der Kirche von Agros © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 71 Direkt vor mir saß der weißbärtige Diakon, der in dem heiligen Buche mit monotoner Singstimme eine Epistel sang. Ihm gegenüber antwortete der Vorleser, Sänger oder Subdiakon. Sie verschwanden beinahe hinter ihren Lesepulten. Das dauerte eine ganze Weile. Man ist recht unsicher, wenn man das Ritual nicht kennt. In der orthodoxen Liturgie bekreuzigt man sich jedes Mal, wenn die Trinität erwähnt wird, wenn das Kreuz oder eine Ikone verehrt wird, beim Segen, und bei unzähligen weiteren Gelegenheiten, die aber nicht genau geregelt sind und von verschieden Gläubigen recht unterschiedlich gehandhabt werden. Man bekreuzigt sich mit recht ausladender Bewegung und von rechts nach links (Stirn, Brust, rechte Schulter, linke Schulter), umgekehrt wie in der katholischen Kirche. Beim Bekreuzigen werden Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger zusammengehalten (drei Finger – Trinität), während Ringfinger und kleiner Finger an der Handfläche sind (zwei Finger – die zwei Naturen Christi, in die Handfläche – kommen herab zur Erde). In manchen orthodoxen Kirchen folgt der Bekreuzigung grundsätzlich noch eine Verbeugung. Das wusste ich aber nicht so genau. Alles theatralisch nachzuahmen empfand ich als unwürdig. Dann trat aus der Klapptür der Ikonostase der Priester hervor, schwenkte den Weihrauchkessel zu den sitzenden Gläubigen in alle Richtungen und sprach segnende Gebete. Alle orthodoxen Liturgien benötigen zur vollen Feier neben dem Priester (oder Bischof) noch einen Diakon. Dieser assistiert dem Priester, und die Struktur des abwechselnden gegenseitigen Ansprechens dient beiden als Gedächtnisstütze. Notfalls können die Liturgien aber auch in einer vereinfachten Form ohne Diakon gefeiert werden. Mit Orthros und weiteren Gebeten ist der Gottesdienst auch an normalen Sonntagen reichlich drei Stunden lang – wobei nicht alle von Anfang bis Ende dabei sind, späteres Erscheinen und früheres Verlassen des Gottesdienstes sind relativ normal. Typisch ist der häufige Anruf Kyrie eleison (Κύριε ελέησον, Herr, erbarme dich) Bald verständigten wir uns, standen auf und schlichen uns wieder aus der Kirche. Auf einem Tisch lagen die runden Brotlaibe, die bei der Eucharistiefeier verteilt werden. Auch die orthodoxen Kirchen sind der Auffassung, dass Brot und Wein wirklich Leib und Blut Christi sind. Die Liturgie hat Parallelen zum jüdischen Tempelgottesdienst. Im Gegensatz zur römisch-katholischen Eucharistielehre gibt es für die orthodoxe Theologie jedoch keine konkrete Formel, durch die der Priester die Wandlung vollzieht -- das Mysterium des Abendmahls geschieht durch die Liturgie als Ganzes. Die Eucharistie, die bei den byzantinischen Kirchen auch als „Göttliche Liturgie“ bezeichnet wird, gilt auch hier als Opfer, genauer als Vergegenwärtigung des einen Opfers Christi (siehe Byzantinischer Ritus). Der Empfang der Eucharistie durch nicht-orthodoxe Christen gilt als unmöglich, da nach orthodoxem Glauben der Teilnehmerkreis der Eucharistie (und nichts anderes) per definitionem die Kirche ist, und nicht-orthodoxe somit quasi automatisch zur Orthodoxen Kirche überträten wenn sie teilnähmen. Wenn ein Gläubiger die Eucharistie empfangen möchte, meldet er sich üblicherweise am Vortag beim Priester an; dies gilt vor allem für Auswärtige, die der Priester nicht persönlich kennt. Voraussetzung für den Empfang der Eucharistie ist zudem die Beichte. Die Anwesenheit von Gläubigen ist für die Feier der Eucharistie unabdingbar — eine eucharistische Liturgie ohne Gläubigen ist so wenig möglich wie ohne Priester. Ein Priester darf die Eucharistie höchstens einmal am Tag feiern, sie darf auch in jedem Kirchengebäude nur einmal am Tag stattfinden und ein Gläubiger ebenfalls höchstens einmal am Tag daran teilnehmen. Tägliche Eucharistiefeier ist jedoch in der Orthodoxie auch für Priester ziemlich unüblich, gewöhnlich ist eher der wöchentliche Rhythmus, vor allem die Feier am Sonntag. Alle getauften orthodoxen Christen dürfen die Eucharistie empfangen, auch Kleinkinder, da die orthodoxe Kirche „Glauben“ vor allem im Sinne eines Vertrauens versteht, zu dem auch kleine Kinder schon fähig sind, weniger im Sinne eines „Für-wahr-Haltens“, das einen entwickelten Verstand erfordern würde. Allerdings verlangen einige Kirchen von erwachsenen Teilnehmern eine vollständige Beichte am Vorabend, was dazu geführt hat, dass in manchen orthodoxen Kirchen die Erwachsenen gewöhnlich nur einige Male im Jahr selbst die Eucharistie empfangen, während sie sonst nur als Mitbetende oder Sänger teilnehmen. Es gibt zurzeit jedoch Bestrebungen, den wöchentlichen Empfang wieder zur Norm zu machen. In den Orthodoxen Kirchen des byzantinischen Ritus wird der Mittelteil eines runden, gesäuerten, beim Backen mit christlichen Symbolen gestempelten Brotlaibs (Prosphore) — Sauerteig gilt als Gleichnis des Reiches Gottes — verwendet, sowie durch Beigabe von ein wenig kochendem Wasser (Zeon) ungefähr auf Blutwärme erwärmter Rotwein. Der Mittelteil wird auch als Lamm bezeichnet. Allein dieses Lamm und der Wein werden konsekriert. Leib und Blut Christi werden vor der Ausgabe an die Gläubigen im Kelch vermischt und diese © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 72 Mischung wird dann mit Hilfe eines goldenen Löffels an die Gläubigen ausgegeben. Die im Westen mittlerweile wieder übliche Handkommunion ist hier nicht bekannt, die Gläubigen empfangen die Kommunion in den Mund. Bleibt ein Rest, wird dieser nach der Kommunionspendung vom Diakon oder vom Priester verzehrt. Diese runden Brote lagen auf dem Tisch, und wir wollten nicht in Verlegenheit geraten, die Eucharistiefeier als Ungläubige zustören. Wir kehrten an den Tisch zur Terrasse zurück. Über uns wob sich ein Dach aus Weinlaub mit einer Fülle reifer blauer Trauben. Es wurde dämmrig. Neben uns saßen ein paar neugierige Dörfler. Sie ließen sich fotografieren. Der „Menschenjäger“ machte den Anfang. Zwei ältere Herren. Der eine stützte sich in Pose auf seinen Knotenstock. Es ist eine willkommene Abwechslung, mit den Touristen ein wenig Tuchfühlung zu haben. Ein kleines Wort und ein Lächeln genügt und diese Männer, die in jedem Dorf meistens vor dem Kafenion sitzen und das Geschehen auf der Straße beobachten, oft in einer Spielrund drinnen, sind dankbare Gesprächspartner, wenn man die wenigen Worte Gespräch nennen darf, die man ihnen zuruft. Wir winken uns zu, trennen uns. Nun beginnt die Dunkelheit, wir laufen einige hundert Meter. Dann ist das Ziel für diesen Abend erreicht. Ich lese ab: ΚΑΦΕΣΤΙΑΤΟΡΙΟ Η ΚΟΙΛΑΔΑ Bar, Restaurant Was etwa zu lesen wäre wie „Kafestiatório i Kilada“, übersetzen kann ich es nicht. Drinnen fanden wir in einem abgeteilten schmalen, schlauchförmigen Raum eine gedeckte Tafel für 30 Personen vor. Uns erwartete ein festliches Mezé- Essen, eine griechische Spezialität, die auch auf Zypern gepflegt und angeboten wird. Es wurden in den vier Stunden mindestens 11 Gänge serviert, auf dem Tisch standen Karaffen mit rotem und weißem Wein, wer den griechischen Ouzo mochte, konnte sich nachschenken, was einige gewissenhaft taten. Die Verlockung war für viele groß zuzulangen. Alles war inklusive! Und immer wieder wurden die Karaffen gefüllt. Aber vorher kämpften wir uns durch die Speisen durch, die Antonio laut angekündigte, doch in dem anschwellenden Lärm von dreißig zur Lust entschlossenen Menschen ging das meiste unter. Es gab an Speisen – was sich mein Gaumen gemerkt hat - Choriátiki (Bauernsalat), Dolmádes (mit Hackfleisch gefüllte Weinblätter), Keftédes (gebratene Hackfleischbällchen), Souvlákia (gegrillte Fleischspießchen), Moussakás (Auflauf aus Auberginen, Hackfleisch, Kartoffelscheiben und irgendwelche Soße), auf jeden Fall standen Hoúmous (Püree aus Kichererbsen, Sesam, Olivenöl und Zitrone), Halloúmi (typisch zyprischer fester Schafs- oder Ziegenkäse) auf dem Tisch. Die Strategie bei solchem Festmahl muss sein: Von jeder Speise sehr wenig zu nehmen, auch wenn es schmeckt! Die meisten hatten sich schon bei den Salaten gesättigt, bei Tsaisíki (Joghurt mit Knoblauch und gehackten Gurken) und Weißbrot, und als die „Knaller“ kamen, die Paidákia (gegrillte Lammkoteletts), gaben die meisten schon die Platten weiter. Es wurde eine beispiellose Schlemmerei. Der Wein floss, die leeren Karaffen wurden immer öfter gegen volle getauscht. Dann begann der Tanz. Nikos, der Kellner, hatte sich schon lange an den Runden, die ausgeschenkt wurden beteiligt. Er war nun schon so berauscht, dass er die Tabletts mit Essen abenteuerlich über seinem Kopf schwenkte und beim Aufsetzen auf den Tisch mehrmals das Ziel verfehlte. Antonio wachte, nahm ihm vieles ab und schließlich wurde Niki vom Dienst „suspendiert“. Er werkelte an der Stirnseite an einem Radio, brachte es mit griechischen oder zyprischen Nationaltänzen zum Klingen, breitete die Arme aus und fing an, mit kunstvollen Schrittfolgen und eleganten Drehungen, sich in Trance zu wiegen. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 73 Erst langsam, dann steigernd und immer schneller, hämmerte der Takt. Jeder kennt ja diese griechischen Tänze, vor allem den Surtaki. Diese kennt und pflegt man auch in Zypern, bei Festen und Feiern allemal. Die eigentlichen zyprischen Volkstänze sieht man seltener. Nun animierte uns Nikos während seiner schwierigen Drehungen, lachte uns mächtig beschwipst zu und versuchte gleichzeitig sich selbst Vergnügen zu bereiten und uns etwas vorzuführen. Er sprang auf einem Fuß blitzschnell unter sich selber durch und vollzog eine ganze Drehung um die eigene Achse. Ich wollte ihn aufs Bild bannen, doch er war schneller als meine Kamera. Ich fing ihn immer nur von hinten ein oder er war unscharf. Das war er aber ganz und gar nicht. Er balzte sich an Carina, die junge Reisebegleiterin, heran, forderte sie auf. Nun hielt Antonio den Zeitpunkt für gekommen, auch andere aus dem Publikum nach vorn zu holen. Den Motor aber bildete Nikos, den der Alkohol euphorisierte…Wie aufgezogen drehte er seine Runden. Bald nahmen sich einige Herrschaften den Mut, nach vorn zu kommen, und jetzt geriet das Fest in die lauteste und wilde Phase. Einige sprachen ungezügelt dem Weine zu. Währenddessen brachte der Wirt immer noch Gänge der Mezé auf den Tisch. Antonio ging jetzt auch aufs Parkett, hob die Hände und zelebrierte die Musik nach seiner Auffassung. Schrittfolge, Drehung, Hopser, Wendung, Drehung- Klatsch, Stampfen, in die HändeKlatsch…Die Tänzer fassten sich an der Schulter und versuchten den Rhythmus zu synchronisieren, was natürlich vom einen zum anderen mit erheblichen Verzögerungen gelang oder aber bei Richtungswechsel zu kleinen Zusammenprallern führte. Alle freuten sich. Die Feier war richtig im Gange, drohte gelegentlich auszuufern. Ein Dorfbewohner mit weißem Hemd und Blazermütze mischte sich wortlos ein, tanzte mit. Die Frauen kreischten. Den Männern stieg der Wein zu Kopf. Am Tisch wurden Erinnerungen und Witze erzählt. Jeder wollte den anderen übertönen. Die Lacher dröhnten im Chor wie kleine Detonationen. Kurzum es war lustig und gleichzeitig sehr anstrengend, weil Magen und Verdauungsorgane maßlos strapaziert waren und neben den fünf Sinnen extra Kraft kosteten. Nikos tanzt… Pünktlich 22 Uhr blies Antonio zum Zapfenstreich. Zum Hotel ins „Rodon“ hinauf hätten wir eine gute Stunde im Dunkeln laufen müssen. Aber Antonio hatte vorsorglich einen Bus gechartert, der die ganze lustige Bande im Nu ins Hotel und zur verdienten Ruhe brachte. XIV. Pelendri – Timios Stavros (Heilig Kreuz – Kirche) Mittwoch, 4. Oktober 2006 eute war ein fakultativer Ausflug vorgesehen, ein Trick des Veranstalters, den Reisepreis um 28 CYP = 50 € zu schönen. Natürlich zahlte jeder brav diesen zusätzlich (vorher einkalkulierten) Salär, und jeder nahm selbstverständlich auch an dieser schon zu Hause angesagten Rundfahrt durch das Troodos- Gebirge teil. Bei bestem Wetter bestiegen wir früh einen Oldtimer- REDFORD- Bus. Groß prangte ein Schild: „ISMINI Travel“ auf dem Deck und verkündete den Besitz des zyprischen Reisebüros, dem Antonio angehörte. Dieser Bus war es wieder, der uns schon gestern Abend nach Hause brachte. Wenn man das Fahrzeug sieht, glaubt man nicht, dass da 30 Personen hineinpassen. Wir saßen wie die Heringe, Martina und ich ganz hinten. H © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 74 Die Fahrt währte noch gar nicht lange, da hielt der Bus kurz, Antonio zeigte nach links an den Straßenrand, kurbelte das Fenster herunter und rief einigen Arbeitern etwas zu. Dann winkte einer von den Arbeitern herauf. Wir hätten ihn in dieser Uniform nicht erkannt: Es war unser Niko von gestern Abend. Er befand sich unter einer Gruppe von sechs Straßenarbeitern. „Einer arbeitet, und die andern fünf sind die Chefs“, sagte Antonio. „Und Nikos ist einer von den Chefs!“ Und lachte. Wir dachten an seine Kellner- Kapriolen und seine Tanzeinlagen und lachten auch. Man kennt ihn in Agros und seinen Hang zum Alkohol und gibt ihm lieber ein wenig Arbeit, als ihn als Stadtstreicher auszuhalten. Wir passierten auf der E806 Potamitissa und hielten bald darauf in Pelendri, das uns auf der Fahrt von Limassol nach Agros als „Klein- Moskau“ vorgestellt wurde. Ausstieg zur ersten Besichtigung. Die HeiligKreuz- Kirche Timios Stravos ist von der UNESCO eingetragenes Kulturerbe. Ein kleiner Seitenweg von der Hauptstraße führt zu einem Vorhügel, auf dem ein kleines äußerlich unscheinbares Feldstein- Kirchlein thront. Wir dürfen drinnen nicht fotografieren. Zuerst nimmt Antonio die Gruppe zusammen und doziert: Ursprünglich hatte diese Kirche eine einschiffige gewölbte Struktur mit eingezogenen Bögen, wurde im 12. Jahrhundert gebaut und 1178 erstmals ausgemalt, wie durch eine Inschrift im Sanktum (1), dem Allerheiligsten nachweisbar ist. Aus unbekannten Gründen wurde die Kirche zerstört. Nur die Apsis verblieb und wurde während eines Wiederaufbaues im 14. Jahrhundert mit einbezogen. Das war die erste von mehreren Rekonstruktionsbemühungen, welche immer unternommen wurden, wenn ein Teil der Kirche verfiel. Dieser wurde jedes Mal in ähnlicher Art wieder hergestellt oder auch durch verbesserte Strukturen ersetzt. Das nördliche Seitenschiff (2) wurde im 15. Jahrhundert angebaut, während das südliche (3) im 16. Jahrhundert hinzugefügt wurde. Das Ergebnis ist die heutige dreischiffige Form, deren ansprechenden Proportionen die unterschiedliche Architekturgeschichte Lügen straft. Die Original- Malereien des 12. Jahrhunderts, besonders die Deesis 37 (4), wie sie in der Halbkuppel in einem in zyprischen Kirchen selten erhaltenem Stil ausgeführt ist, aber zu dieser Zeit in Kappadokien, Griechenland und Kreta durchaus üblich war. Der Hauptteil der Kirche wurde von mindest drei Künstlern in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ausgemalt. Der erste folgte dem paleologischen Stil von Konstantinopel, wie es der Pantokrator in der Kuppel der Vierung zeigt (5). Der zweite, welcher mehr linear und weniger sophistisch arbeitete, malte die Engel, das heilige Tuch und die Heilige Steintafel in den Flächen unterhalb oder bei der Kuppel. Der Dritte folgte dem „Kreuzigungsstil“, der nach der Eroberung der verschiedenen christlichen Ministaaten durch die Araber aus Palästina kam. Ein gutes Beispiel dafür sind die Szenen aus dem Leben der Jungfrau Maria am westlichen Gewölbe (6). Einige Fresken in der Nordkapelle, komplettiert mit dem Portrait des Heiligen Paares (7), stammen aus einer noch späteren Periode, wahrscheinlich aus dem 16. Jahrhundert. 37 Deesis, ['de:ezis; die; griechisch, „Bitte“], die in der byzantinischen Kunst anzutreffende Darstellung des thronenden Christus zwischen Maria und Johannes dem Täufer; auf Bildern des Jüngsten Gerichts. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 75 Treffen der Jungfrau Maria mit Elisabeth Szenen aus dem Leben der Jungfrau Maria (oben) Pelendri, Heiligkreuzkirche, erste Hälfte 14. Jh. Es war ein seltsames Freiheitsgefühl, das sich mir hier in dieser Kirche beschlich, als wir hineingehen durften. Leitern, Gerüststangen, Plastikplanen, Mörtelkübel verstellten Weg und Sicht. Es wurde gerade rekonstruiert. Ein Mann und eine Frau waren am Werke, und wie uns Antonio wichtig mitteilte, ein Professor aus Nikosia. Ich entfernte mich von der Gruppe, die Antonio um sich geschart hatte, verpasste natürlich einiges Wichtige, aber schaute mich mit meinen Augen um. Ich stieg über Bretter, Malereimer, Plastfolien und machte heimlich ein paar wenige Aufnahmen, während Antonio an Hand der einzelnen Heiligen-Gesichter den byzantinischen Malstil zeigte: Mandelaugen, gerade Nase mit feinem roten Längsstrich, starrer Blick in ungewisse Ferne und als Weiterentwicklung den Renaissance- Stil, bei dem die Gesichter menschlichen Ausdruck wie Trauer, Andacht, Huldigung etc. aufweisen. Ich ging auf kurzen Entdeckungsgang. An einem Pfeiler am Übergang zum Tonnengewölbe entdeckte ich ein schönes Bildnis des Heiligen Simeon. Mir fiel seine Geschichte wieder ein, weil ich sie in der Klosterruine nördlich von Aleppo in Syrien erfahren habe. Hier ist sie: Simeon wurde im Jahre 386 in einem kilikischen Bauerndorf geboren. Mit 16 Jahren trat er in das Kloster "Burdsch as- Saba („Löwenburg") ein, das am südlichen Hang des Berges „Scheich Barakat" liegt. Nach 10 Jahren verließ er das Kloster wieder und siedelte nach Telanissos über (das heutige Dorf Deir Sim'an). Dort führte er drei Jahre lang ein gewöhnliches, bescheidenes Leben. Eines Tages suchte er sich einen Ort auf dem nahe gelegenen Berg aus, errichtete dort eine Säule und lebte fortan darauf. Mehrere Male wurde die Säule durch eine neue, höhere Säule ausgetauscht. Die höchste Säule war schließlich zwischen 17 und 20 Meter hoch. Auf dieser Säule verbrachte Simeon 42 Jahre seines Lebens. Als Simeon im Jahre 459 starb, wurde um die letzte Säule herum ein Memorialbau zu Ehren des Heiligen errichtet, der schon wenig später zu einer Wallfahrtsstätte wurde, die Gläubige aus aller Welt anzog. Einer der Gründe für die weite Verbreitung des Ruhmes des Heiligen - bis nach Frankreich, England, Spanien und Italien - mag in der wirtschaftlich wichtigen Stellung der damaligen syrischen Haupt- und Hafenstadt Antiochia (das heutige Antaki'ya) gelegen haben. Der Bischof Cyrus berichtet uns, dass das Bild des Säulenheiligen schon 15 Jahre vor dessen Tod in allen wichtigen. Salons von Rom aushing. So kam der Heilige schon vor seinem Tod zu weltweiter Berühmtheit. Der Heilige Simeon auf der Säule Auch den griechischen Malern war natürlich die byzantinische Geschichte bekannt und auch die Eremitenzeit des Säulenheiligen Simeon. Bildmaterial von der Kirche gab es nur in Form einiger Postkarten. Meine Fotos wurden mehrfach unscharf. Wenn das Zoom ausgefahren ist, verwackelt man leicht. An der Westseite © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 76 des Südschiffes fand ich ein imposantes Fresko mit vielen Heiligen, die die Auferstehung darstellen sollen. Manche haben Schriften in der Hand. In der Nordkapelle steht ein uraltes Holzkreuz, das aus der Gründerzeit der Kirche stammen könnte. Für einen Moment blitzt der Gedanke auf, wie lange Zeit 800 Jahre sind, in der dieses religiöse Mal hier überdauert hat, und was draußen auf Zypern und in der Welt sich ereignete. Ich trete am Südende aus der kleinen Kirche aus, die Sonne blendet, wärmt, zwingt bald in den Schatten. Ein kleines verwildertes Areal umgibt hier den Bau. Blaue Trichterwinde bedeckt den Boden Ein Sanddornbaum mit seinen orangenen Beeren steht da und ein Granatapfelbaum. Ein verwunschenes Idyll. Ich geselle mich zu den Leuten, die auf einer schmalen Mauer im Schatten sitzen. Ein Mann weckt aller Interesse. Antonio hat ihn gerufen. Es ist Stalin. Er heißt richtig Stalin. Er freut sich offensichtlich, so im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen und hat auch etwas mitgebracht, eben auch ein Zeichen zyprischer Gastfreundschaft. Er hat ja nichts davon, verteilt freigebig Mandeln, noch in ihrer Hülle, so wie sie vom Baume fallen oder geschüttelt werden. Wir wandeln langsam zum Bus zurück und fahren zum nächsten Etappenziel. XV. Pano S Platres und die Kalidonia- Wasserfälle chätzungsweise 12 km ist der Weg nach Pano Platres. Wir erinnern uns: Pano bedeutet Ober-…und Kato…Unter-. Er führt über eine Kreuzungsspinne von Straßen, die längs des Troodos und quer hinüber führen. In der Nähe gibt es einen Staudamm, der die Frühjahrswässer auffängt. Das Dorf Moniatis wird passiert. Es liegt mitten im Wald, der uns nicht mehr verlässt. Der Bus stöhnt den Berg hinauf. Beim Umschalten in den nächst niedrigeren Gang knackt es trocken und laut, er ruckt dann mit neu übersetzter Kraft an und beschleunigt wieder. Durch die offenen Fenster weht stickiger Dieselqualm, Zugluft und ein Hauch früheren Reisens herein. Bald Der REDFORD- Bus in Kato Platres sind wir erlöst. Wir halten vor einer blitzsauberen Taverne in Kato Platres, wo es viele Ferienhäuser, ein Forsthaus, ein Hotel und eine Polizeistation gibt. Hier erfrischen wir uns, ruhen ein wenig aus. Herr Vassos verteilt freigebig und stolz, wenn er gelobt wird, Äpfel aus eigener Ernte. Sie schmecken prächtig. Wir sitzen an der Theke zu einer Tasse Kaffee, den Frau Vassos bereitet. Anton schält einen Apfel und schiebt uns wie ein Vater klein geschnittene Stücke rüber. Dann stehen wir am Beginn eines Wanderpfades. Einige Ältere, die sich den schwierigeren Weg nicht mehr zutrauen, erhalten Instruktion über einen leichteren, wieder einige bleiben am Bus und wollen sich den Mühen nicht unterziehen. Wir laufen los. Martina hat sich selbstlos den kleinen Rucksack aufgeschnallt, mit Wasser drin und etwas Verpflegung und strebt stetig voran, immer bei Antonio und immer vorn als Erste. Ich bin, weil ich oft stehen bleibe, Motive suche, knipse, stets hinten, in Hast und um Anschluss bemüht, eile dann am Pulk vorbei und lasse mich wieder zurückfallen. Der Wald hier oben in vielleicht 1600 m Höhe riecht frisch, filtert die Sonne, speichert Feuchtigkeit, selbst jetzt noch nach einem heißen Sommer. Wir laufen auf breitem Weg etwa © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 77 1,5 Stunden. Ich erlebe die Natur! Wie vermisst man die frische Luft im Autobus, auch wenn sie draußen heiß ist. Aber ich spüre, dass ich lebe. Wandern ist wohl doch die beste Art der Fortbewegung im Freien. Der Blick hat genügend Zeit, sich mit kleinen Dingen zu befassen, dem eigenartigen Wuchs eines Baumes vielleicht oder einer unbekannten Pflanze oder dem Piepsen eines Vogels, dem Flug eines Adlers in der Luft. Phrygana Antonio hielt uns auf und zeigte uns eine unscheinbare Pflanze am Boden, benannte sie mit Phrygana. Sie findet sich auf felsigem und wenig tiefgründigem Boden und wird selten bis 1 oder 2 m hoch. Sie soll sehr aromatisch nach allen möglichen Gewürzen duften. Sie sei sehr selten und wüchse nur auf Zypern, meinte er. Ein ausgewachsenes Exemplar haben wir nicht gesehen. Der steinige, teilweise von den heftigen Regenfällen im Winter ausgewaschene Pfad stieg stetig an. Das Wasser entwickelt dann gewaltige Kraft. Im Winter gehen an durchschnittlich 19 bis 27 Tagen fast zwei Drittel der Jahresmenge nieder, oft in schweren Gewittern mit Starkregen (bis 150 Liter/Tag). Häufig kommt es dabei zu Überschwemmungen. Typisch hier oben ist die Schwarzkiefer (Pinus nigra), vereinzelt sieht man Western Troodos Area, M.: 1 : 60 000 (verkleinert) Eukalyptusbäume, Zypressen und Pinien und im ganzen Troodosgebirge auch Laubbäume wie Ahorn, Platanen und Eichen. Es gibt die endemische Goldeiche (Quercus alnifolia) als Strauchgewächs, den Erdbeerbaum (Arbutus andrachne) und den phönizischen Wacholder (Juniperus phoenicea) und am Boden wuchert die vielgestaltige Macchia, die den ganzen Mittelmeerraum dominiert. Der Weg wurde enger, die Vegetation immer wilder. Dann hörten wir das Rauschen von Wasser- die bekannten Kalidoniafälle. Was da an Wasser über eine vielleicht 15 bis 20 m © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 78 hohe Felskante herabströmte, sich im Fallen in kleine Tropfen- Kaskaden auflöste und in einem Tosbecken wieder zusammenfloss, waren keine gewaltigen Massen. Aber der Fakt an sich, dass nach einem Sommer von vielleicht sechs Monaten absoluter Trockenheit, in denen kein Tropfen Regen auf der Insel fiel, wenn man das relativ bescheidene Areal des Troodos in Betracht zog, dann war das hier schon erstaunlich und für mich ein kleines Wunder. Es ist der Kryos Potamus, der Kalte Fluss, der aus größerer Höhe herabkommt, und dessen Wasser im Sommer unterhalb fast völlig aufgefangen und genutzt wird. Kameras wurden gezückt, die Bank von müden Frauen belagert, und Antonio warf seinen schweren Rucksack ab, den er den Weg heraufgeschleppt hat und teilte saftige Apfelsinen aus. Die Pause im Schatten der hohen Bäume und der labenden und kühlenden Feuchtigkeit der Luft nutzte jeder auf seine Weise. Die meisten kletterten und stiegen auf den großen Steinen umher, um ein günstiges Kameramotiv oder einen bequemen Sitzplatz mit ungestörtem Blick auf den Wasserfall zu suchen. Wendepunkt. Ein Teil, die Fußlahmen, sollten den Weg zurück nehmen wie gekommen. Der andere Teil unter Antonios Führung folgte dem Kryos Potamus, der das Wasser des Kataraktes zu Tale trägt. Fluss ist jetzt geschmeichelt, aber im Winter kann das ganz Kalidonia Wasserfall: Carina streckt die anders aussehen. Hand nach Bedürftigen aus Nun beginnt der schönste Teil der Wanderung. Entlang des wild schäumend sich über Felsbrocken, rankende Baumwurzeln hinweg ergießenden und leise murmelnd strömenden Bachs, folgten wir einem Trittpfad, der von Zeit zu Zeit die Bachseite wechselte. Unbeschreiblich ist die Umgebung, urwaldartig, märchenhaft. Ich versuche vorn und ungestört zu gehen, dem Schwatzen der Mitreisenden zu entfliehen- das große Glück in der Natur kann man nur ohne Menschen genießen, diese großen Zerstörer. Manchmal zwängt sich das Wasser durch einen kleinen Felsen – Canyon, dann wieder weicht es einem mächtigen Fels aus, der ihm den Weg versperrt und fließt elegant um ihn herum. Talwärts am Kryos Potamus Es ist so schön hier. Dann ist es plötzlich mit der Ruhe vorbei. Stimmengewirr, laute Rufe, Singen dringt uns entgegen. Ohne Respekt vor diesem Refugium der Natur, rufen und brüllen sie sich zu, wie wenn sie in der Disco wären. Ein Haufe israelischer und französischer Jugendlicher, darunter junge Frauen mit gewagten, für diesen Weg völlig ungeeigneten Schuhen, kommt uns lärmend entgegen, fragt Antonio nach dem Weg. Sie wollen zum Wasserfall hinauf. Der hat sie wohl verprellt mit seiner Antwort, denn sie kehrten nach einiger Diskussion um, vermischten sich auf dem engen Pfad mit unseren Leuten, nahmen uns jetzt die Ruhe und den Frieden dieser Zauberwelt. Wir mussten nun schneller gehen, dass wir ihnen ein Stück enteilen und vor ihrem lauten Geschrei fliehen konnten. Wilhelm Busch geht mir durch den Sinn: „…So wird manche schöne Stunde/ in der Liebe Seelenbunde/ durch Herbeikunft eines Dritten/ mittendurch und abgeschnitten…“ © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 79 Stundenlang hätten wir so gehen können, auch Martina gefiel es ausnehmend. Doch bald lichtete sich der Weg. Wir gelangten an ein Informationsschild und auf den Ausgangsweg zurück. Am Ende lugte zwischen dichtem Grün die Forellenfarm von Psilo Dendro hervor. Er ist mehr Gastronom als Fischer, der in mehreren Teichen die Fließgeschwindigkeit und Sauberkeit des Wassers nutzt, um der Fischarmut auf der Insel aufzuhelfen. Das war das Ende einer Fußwanderung zu den KalidoniaWasserfällen oder Kalidonia Waterfalls oder Caledonian Falls oder richtig Mονοπατι Καληδονιων. Wörtlich gelesen: Monopati Kalidónion. Verwirrung stiftet dabei der Buchstabe η, den wir in der Mathematik mit eta aussprechen. Es ist aber das griechische i für ita. Wer das hier liest, muss sich nicht wundern, wenn die Schreibweise der griechischen Namen von der einen oder der anderen Quelle etwas abweicht. Korrekt wäre natürlich die Wiedergabe aller Namen in griechischer Schrift. Das könnten Viele nicht entziffern. Die Reiseführer bedienen sich häufig der englischen Übersetzung. Schlimmer wird es im Norden Zyperns. Dort haben viele Orte türkische Namen, sind aber griechischen Ursprungs. Auf den Karten finden sich, weil alles ehemals englisch besetzt war, die englischen Bezeichnungen. Wenn nun der deutsche Tourist kommt, möchte er möglichst noch das Ganze verdeutscht schreiben, weil er weder Türkisch noch Griechisch und vielleicht auch kein Englisch beherrscht. Es ist ein heilloses Durcheinander. XVI. Phini H ier bin ich nämlich selbst Opfer dieser Namensschreibung geworden. Vergeblich habe ich diesen Ort so geschrieben auf der Karte gefunden. Vom Klang her ist „Phini“ erst einmal richtig gesprochen. Geschrieben wird es aber im Griechischen Φοινι. Nun nehmen es die Kartografen buchstäblich und transformieren jeden Buchstaben in die lateinische Umschrift. Es wird daraus Foini. So liest es die Karte. Man muss aber wissen, dass die griechischen Doppellaute οι und ει wie i ausgesprochen werden. Also muss es richtig heißen: Fíni (vorn betont). Nun kann man sich noch über die Rolle des Ph und seiner langsamen Überalterung im Deutschen auseinandersetzen und dessen Ersetzung durch das F. Schon ist das Rätsel gelöst! Jetzt sind wir perfekt im Griechischen! Die Buchstabenverbindungen sind der Knalleffekt. Wer die richtig lesen und aussprechen kann, ist der Schrift und der Aussprache dicht auf den Versen. Die Vokabeln lernen sich dann schnell. Ha ha ha. Wir fahren nach Phini - dabei bleibe ich jetzt – zum Mittagessen. Wir haben schon Kohldampf. Unser Oldtimer- Bus hält vor einem Ausflugslokal an einem schattigen Winkel des kleinen Dorfes. Ein Bachbett direkt neben dem flachen Gebäude deutet auf Wasser im Frühjahr hin, das von den höheren Lagen des Troodos herabfließt. Jetzt ist es ausgetrocknet. An seinen Ufern wächst in dichten Hecken Feigenkaktus. Davor breitet sich ein kleiner Parkplatz, auf dem schon einige Fahrzeuge stehen. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 80 Der unauffällige Bau des Hauses sowie der Flachbau schmiegt sich eng, ja verwächst mit dem Hang, der sich über dem Ufer des Baches erhebt. Drinnen in dem Flachbau sitzen schon Reisegruppen an langen Tischen. Wir werden an einen langen, freien Tisch gelotst, der schön eingedeckt ist, sitzen recht eng, auf jeder Seite 15 Leute. In Karaffen stehen Wasser und Wein zur Selbstbedienung. Ein etwas schmuddeliger Mann trägt die Speisen auf. Es wiederholt sich in Abwandlung die Zeremonie einer Mezé. Das Essen soll 17 Gänge gehabt haben, ich habe nicht gezählt. Je mehr also angeboten werden, desto stolzer ist jeweils der Gastgeber auf seine Leistung. Das Essen dauerte lange und war ähnlich umfangreich und vielgestaltig wie das Abendessen in Agros. Nach dem Essen sah ich auf dem Busparkplatz zu, wie unser Kraftfahrer eine Kaktusfeige aufschnitt, uns ihr Inneres zeigte und demonstrierte, wie man sie roh isst. Phini- Ausflugslokal am Bach Er packte die stachlige Frucht, nahm dazu sein Taschentuch, um sich nicht die feinen Nadeln in die Haut zu stechen, entfernte vorsichtig mit dem Taschenmesser die Haut und legte das gelbe, reife, süße Fruchtfleisch frei, das er dann vor unseren Augen genüsslich aß. Wir stiegen wieder ein und bald wieder aus. Es war nicht weit bis zum Museum von Theophanis K. Pilavakis, ein inselweit bekanntes Töpferzentrum. Durch ein niedriges Tor traten wir in einen Hof, der wie aus dem vorigen Jahrhundert konserviert schien. Riesige Tongefäße lagerten unter einem niedrigen, offenen mit Weinlaub überwucherten Dach. Alte Balken stützen es. Eine Weinpresse mit hölzerner Spindel schlief ihren musealen Schlaf. Töpferei- Werkzeug lehnte an einer Lehmwand, Spatel und Holzzinken, um den Tonbrei zu bearbeiten. Uns erklärte keiner etwas, ich musste also raten. Beachtlich große Tongefäße, mehr als ein Meter im Durchmesser, standen in Reih’ und Glied. Eine steinerne Ölmühle fristete ihr Dasein im Halbdunkel. Schnell trat ich hinzu, wo Herr Pilavakis jetzt die Leute unterhielt. Er ist ein 82jähriger lustiger alter Herr, der jetzt das alte Haus und das Erbe seiner Familie pflegt und ein privates Museum daraus gemacht hat. Er hatte über 40 Jahre in England gelebt und war zurückgekommen, als seine Frau gestorben war. Nun verbringt er seinen Lebensabend in Phili und zeigt uns einige seiner einzigartigen Produkte, mit denen seine Töpferfamilie zypernweit bekannt geworden ist. Ein Plakat preist den größten Tontopf der Welt an. Er reicht Pilavakis bis an die Schulter. Dazu brauchte man eine besondere Technik des Formens und Brennens, mindestens aber große Brennöfen. Ansonsten machte er viel Spaß. Er erzählte kurze Schnurren auf Deutsch, griff sich die eine oder den anderen aus unseren Leuten heraus und demonstrierte kurz, was er meinte. Die Spitze der Belustigung erreichte Herr Pilavakis, als er uns die Sauna für Schwangere demonstrierte. Dazu musste Martina als Medium in ein großes Tongefäß steigen, in dem ein kleiner Korbstuhl zum Sitzen und – Schwitzen einlud. Schwangere Frauen sollten das Schlechte aus dem Blut schwitzen. Unter dem Gefäß wurde ein Feuer angebrannt, über die Öffnung ein Tuch gehängt. Fertig war die Sauna. Danach wurden die Wöchnerinnen auf eine Liegestatt bugsiert, ihr Leib mit Binden umwickelt, um die gute Figur wieder herzustellen. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 81 Das wurde gleich auch noch an Martina demonstriert, weil sie die einigermaßen hübscheste von uns war und auch so ziemlich die zierlichste Figur hatte. Während Martinas Mitte umwickelt wurde, schaute ich mich in den kleinen niedrigen und halbdunkeln Räumen um. Ein alter Webstuhl mit einigen Proben an der aus groben Felssteinen gemauerten Wand demonstrierte einen Nebenerwerb der Töpferfamilie. An der anderen Wand hingen Bilder. Eines zeigte die Familie beim Töpfern vor etwa hundert Jahren, ein anderes zwei berühmte Mitglieder der Familie, von denen einer ein Priester und einer sogar ein Bischof war! Berühmte historische Persönlichkeiten der Familie Pilavakis Die Familie beim Töpfern in alten Zeiten In einem anderen Raum führte Herr Pilavakis einen Tontopf vor, bat dazu eine beherzte Dame aus unserer Mitte, sich in der Weise niederzulassen, als wenn sie ihre Notdurft darauf verrichten wollte, und fragte, was es für ein Topf sei. Natürlich lachten alle- ein Nachttopf! Da lachte aber Herr Pilavakis, nahm den Topf demonstrativ, setzte ihn an den Mund und ahmte nach, daraus zu trinken. Seine wahre Funktion sei ein Melktopf gewesen. Darin wurde früher die Milch beim Melken der Ziegen und Schafe gesammelt. Dann zeigte er uns einen Ofen aus Ton, Krüge, Vasen und regelrechte Kunstwerke, von denen er eines in der Linken hochhielt und in der rechten Hand ein 10- Cent- Stück. „Dieser Tonkrug war Pilavakis Schöpfung auf der Zyprischen 10- Cent- Münze Vorbild und Muster für die Münzprägung des zyprischen Geldes“, sagte er stolz. Es ist eine Art naive Kunst, die sehr dieser antiken braunen Keramik ähnelt, die ich im Zypernmuseum gesehen habe. War sie Vorbild oder sind hier Wurzeln echter Volkskunst verankert, die sich auf Zypern bis heute erhalten haben? Erzbischof Makarios III. war in Ton gebrannt, eine symbolische Weltkugel mit amphibischen Menschenwesen darauf, viele Vasen mit Rosetten, Eines der Tonkunstwerke der Töpferei Verzierungen; Schalen, Backmulden, Krüge mit einem Pilavakis in Phini oder zwei Henkeln, oben oder unten angebracht, für die verschiedensten Zwecke im Haushalt und allgemeinen bäuerlichen Gebrauch. Martina durfte sich für ihre „Dienste“ zwei Ansichtskarten auswählen, die der alte Herr mit seinem Autogramm versah. Ich gebe es hier wieder, weil ich in dieser kurzen Zeit ein Fan von ihm geworden bin. So wie er das Leben meistert, allein auf sich gestellt und wie er das Erbe der Vergangenheit an die heutige Generation weiter vermittelt- alle Hochachtung vor diesem Mann! © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 82 Theophanis K. Pilavakis So lustig und gleichzeitig lehrreich ist mir die Keramikkunst noch nicht nahe gebracht worden. Beim Einsteigen auf dem Dorfplatz beobachtete ich im Kafeníon unter dem schattigen und Früchte tragendem Weinlaub eines uralten Rebstocks sieben alte Herren des Dorfes. Sie sitzen, verbringen ihre Zeit auf der Bank, rauchend, schwatzend, schweigend, je nach Temperament. Manch einer hat sich auf seinen Stock gestützt. Sie haben Zeit. Nichts bleibt ihnen verborgen, was im Dorfe vor sich geht. Antonio nennt sie die „Philosophen“ des Ortes. Ich habe mein Foto „Die sieben Söhne des Sophokles“ benannt. Wenn dieser griechische Vorfahr auch kein Philosoph war, dann doch ein Dichter und Stratege. Und was machen diese alten Männer denn anders als Strategie? Sie meistern den schalen Rest ihres Lebens, nehmen es wie es ist, verbringen es gemeinsam. In Ruhe, Beschaulichkeit und Abgeklärtheit. Uns zum Vorbild. Neugierig beäugen sie die Fremden. Ein kleinster Wink, und man kann sich mit ihnen unterhalten. Wie schlimm empfinde ich es immer, wenn ich feststellen muss, dass ich weiter muss und vor allem, dass ich ihre Sprache nicht spreche. Das meine ich damit, wenn ich häufig das Gefühl habe, dass ich durch ein fremdes Land fahre, als wenn ich in ein buntes Aquarium schaue, die schönen Pflanzen und bunten Fische sehe, aber immer durch dickes Glas von den eigentlichen Bewohnern getrennt bin. Busreisen sind oft nichts als Fassade, schöner Schein. Ab und zu tauche ich die Hand ins Aquarium, streichle einen Fisch. Mein Kopf bleibt immer draußen. XVII. Weinverkostung E bei Lambouri igentlich sollte das Reiseprogramm an diesem Nachmittage mit einer Weinverkostung in Kilani ausklingen. Doch Antonio druckste herum, es würde etwas nicht klappen. Er müsse kurzerhand umplanen. Wir würden nach Platres fahren. Hier säße in einem alten Herrenhaus etwas außerhalb des Ortes eine der größten Winzereien der Insel auf 1128 m Höhe. Dieses schien wie neu gebaut, auf jeden Fall restauriert. Man sah auch das Geld, das hier geflossen war. Wir erfuhren beim Vorstellen des Winzers, dass er sich aus Deutschland einen jungen Mann vom Fach hergeholt hatte, durch Heirat nun eng verbunden, der die Weinerzeugung nach den neuesten und effektivsten deutschen Methoden betrieb. Wir stiegen in den kühlen Keller hinab. Uns wurden die blitzenden Edelstahl- Tanks gezeigt, das Flaschenlager, die Etikettiermaschine. Alles erschien steril, neu und atmete keinen Hauch Winzer- Romantik. Ein Industriebetrieb eben. Weingut Lambouri in Platres Oben an der Theke konnten wir von den Weinen kosten. Natürlich wird hier roter, weißer und Rosé- Wein erzeugt, hauptsächlich von den bewährten Sorten Cabernet Sauvignon und Chardonnay, aber auch von einer neuen Mataro- Traube, die hier in 1000 m Höhe vortrefflich gedeiht. Der Winzer verwies stolz darauf, dass der deutsche Konsul regelmäßig hier seinen Weinvorrat aufstockt, dass er an der Küste in den großen Städten viele seiner Abnehmer hat und auch Wein nach Europa exportiert, obwohl er keine großen Mengen herstellt. Es gibt von Lambouri die Sorten: Chardonnay Fumé, Cabernet Sauvignon, Dry White, Dry Red, Dry Rosé und Dry Red Special Reservé. Uns bot man von dreien an. Die Jahrgänge waren nicht älter als drei Jahre. Wir standen, und ich hatte das Gefühl- da niemand etwas kaufte – dass der Winzer bei aller Freundlichkeit froh war, als wir dann, nach vielleicht einer halben Stunde, sein modernes Haus wieder verließen. Ein Pflichtprogramm ohne Verve. Enttäuschend. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 83 XVIII. Chandria D und wieder Agros ie Heimfahrt nach Agros enthielt noch einen kleinen Blickpunkt. Nach dem Wein bekamen die meisten von uns Kaffeedurst. So ließ Antonio in Chandria den Bus für eine kleine halbe Stunde anhalten. Die Nachmittagssonne war schon erträglich. Chandria ist ein kleines Dorf, schon wieder im Pitsilia- Gebirge, das den östlichen Teil des Troodos- Massivs einnimmt. Die Hauptstraße folgt mit ihren Windungen den Höhenlinien, die die Topografie des Geländes vorgeben. Die Häuser sind schlicht und zweckmäßig gebaut, kaum Fenster zur Straße. Hohe Mauern stützen sie gegen den Hang oder das Tal. Auf den Dächern stehen die Hochbehälter für warmes Wasser. Stromkabel, Leitungsmasten und teilweise Solarzellenplatten auf den Dächern verunzieren das Bild. Eine Telefonzelle, ein Kaffeehaus. Weiter kann ich zunächst nichts Kommunales mehr ausmachen. Wovon leben diese Leute? Ich erfahre es in der kurzen Zeit nicht. Wir halten ein Stück unterhalb und laufen einige Meter. Ich versuchte auf der kleinen Terrasse im Kafeníon, von der man den Blick ins Tal frei hatte, zwei frei Stühle zu belegen, aber zwei Damen von uns wollten unbedingt mit zwei anderen zusammensitzen. „Hier ist besetzt!!“, wiesen sie mich ab. Ich erwähne diese belanglose Begebenheit, weil sie für viele Reisegruppen symptomatisch ist, wenn auch psychologisch und menschlich verständlich. Im Laufe jeder Reise bilden sich Grüppchen und Gruppierungen, die sich dann einigeln und innerhalb der etwas unüberschaubaren großen Gruppe zu kleinen Clans zusammenschließen. Da bilden zum Beispiel die immer mehr befeindeten Raucher eine Allianz, die schon dadurch zueinander hält, dass sie ihr Laster gemeinsam haben. Manche kennen sich von früheren Reisen und wollen sich unbedingt von den anderen abschotten. Mit gefällt diese egoistische Verhaltensweise nicht, obwohl bei solchen Rentnerreisen keine anderen Leute im Bus sitzen als sie einem zu Hause auf der Straße begegnen. Ihre Motive zu reisen weichen von den meinen erheblich ab. Da erklärte mir später einmal eine Frau, sie führe mit ihrer Nichte, für die sie zugezahlt hat, weil diese arbeitslos ist, eine pekuniäre Gemeinschaft. Ein anderes Paar gestand mir auf mein Fragen, dass der Mann des Partnerpaares etwas schwerhörig sei, daher immer etwas hilflos, und sich auch im Ausland schwer zurechtfindet. Die Sprache! Nun gut, ich habe Verständnis, aber solch Verhalten schweißt eine Reisegruppe nicht zusammen. Ich habe die Erfahrung gemacht: Was über 12 Personen zählt, ist für Erlebnisreisen zu viel. Leider fangen organisierte Busreisen sich bei dieser Anzahl erst an Spielkartenrunde in Chandria zu rentieren. Andere Reisen sind einfach teurer. Wir fanden in dem kleinen verräucherten Kafenion Platz am runden Tisch. Nebenan klitschten die Männer des Ortes Karten. Antonio erkannte den Bürgermeister und begrüßte ihn lauthals. Der grüßte zurück und winkte uns zu, wandte sich aber wieder den Karten zu. Über die Köpfe hielt ich den Fotoapparat hoch und knipste die Kartentischszene. Das habe ich in vielen Kaffeehäusern auf Zypern gesehen. Bescheiden steht ihr Teeglas oder die längst geleerte Kaffeetasse daneben. Man ist vertieft im Spiel und das sehr leidenschaftlich, oder man mustert die Fremden, um dann sein Scherflein an Beobachtung beizusteuern, wenn später darüber philosophiert wird. Irgendwie muss die Zeit umgebracht werden, beschaulich, ohne Hektik, ruhend in der Gemeinschaft. Wehe, wer von ihr ausgestoßen ist! Auch hier störten wir nur ihre Sitzungen, in der Taverne oder draußen vor der Tür die Männer, die uns dennoch noch lange freundlich zuwinkten, als wir losfuhren. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 84 Gegen 18 Uhr lud uns der Busfahrer vor dem Rodon- Hotel in Agros wieder aus. Die Fahrt im Oldtimer- Bus war nicht so komfortabel wie die anderen, aber sie gaben dem Ausflug ein besonderes Flair. Als es noch keine klimatisierten Fahrzeuge gab, reiste man auch nicht anders. Und ganz früher hat sich niemand über die schlecht gefederten Reisekutschen aufgeregt. Martina gab sich der Ruhe hin. Ich ging auf Entdeckungsgang im Hotel und schwamm einige Runden im Schwimmbecken. Die Temperatur war um die 20 Grad, der frischen Höhenlage hier oben angepasst. Deshalb war ich auch der Einzige, der das herrlich klare und saubere Wasser nutzte. Die Wenigsten gehen über ihre Bequemlichkeitsgrenzen hinaus. Und erleben natürlich nicht den Reiz des Besonderen. Später machte ich mich über einen Informationshefter eines anderen Reisebüros her und fotografierte einige Infoseiten über Zypern einfach ab. Man verzeihe mir ihre Verwendung in diesem Aufsatz! Immer abends schreibe ich einige Zeilen in mein ReiseTagebuch, um später die Fakten nachzulesen. Sie helfen mir noch nach Jahren, zusammen mit meinen Fotos, mich minutiös an selbst kleine Begebenheiten zu erinnern. Ich gehe auf den Balkon und schaue an den Abendhimmel. Ein wunderbarer Vollmond steigt über den Felsen empor und seine Bahn, wenn man länger hinschaut, ist sogar zu beobachten, so dass man ein Gefühl dafür bekommt, dass wir uns auf der Erde drehen. Ich fühle eine eigenartige Nähe zu den Gestirnen. XIX. Scheunendachkirche und Kykko- Kloster Donnerstag, 5. Oktober 2006 eute stand pünktlich 9 Uhr wieder der bequeme Mercedes- Bus vor der Tür. Landschaftlich wie kulturell erwarteten uns heute Höhepunkte: Die Spitzen des Troodos und das Kykko- Kloster. Die Fahrt ist länger als gestern. Antonio greift zum Mikrofon und plaudert über zyprische Verhältnisse. Da ist zunächst die Grundschule. Sechs Jahre plus drei Jahre Gymnasium sind Pflicht. Es gibt eine Kleiderordnung. Fehlt der Schüler mehr als 20mal, wird er oder sie sitzen bleiben. Sind die Zensuren schlechter als Vier, müssen die Eltern die Zeugnisse abholen. Es gibt auch Ganztagsschulen. Junge Männer müssen nach dem Gymnasium erst eine 26monatige Militärzeit absolvieren, ehe sie eventuell weiter studieren können. Wir durchfahren wieder Chandria. Auf einer Höhe bei Kyperunta erhebt sich eine große unfertige Kirchenbaustelle. Es ist keine Ruine, wie es beinahe aussieht, sondern entpuppt sich, als wir näher kommen, als ein großer Neubau. Die Baufirma ist Pleite gegangen und jetzt ruht die Geschichte. Hier in der Gegend breiten sich große Apfelplantagen aus, wo nach der Ernte gleich gemostet und der fertige Apfelsaft als Produkt weiter gehandelt wird. Neben den Plantagen zieht sich an den Hängen reicher Baumbestand hin: Zedern, Erlen, Sequoias (Mammutbäume), Goldeichen, Pinien, Platanen, Akazien, Schwarzkiefern. H Wir belustigen uns an den Schnurren, die uns Antonio von dem Typen Christagis erzählt. Den soll es wirklich gegeben haben. Christagis hatte eine Phobie. Seine reiche Phantasie gaukelte ihm vor, er hätte seine Geschichten, die er erzählte, tatsächlich erlebt. Er glaubte fest daran und setzte voraus, dass seine Zuhörer ihm das abnahmen. So gab er einige Proben zum Besten: • Unter anderem glaubt er fest daran, dass er im Kriege Pilot war. Christagis fliegt von Griechenland nach Zypern. Bei der Landung stellt er einen Fahrwerksfehler fest. Es fährt nicht aus. Da hat er kühn das Flugzeug während der Landung ausbalanciert, bis das Flughafenpersonal ein Stützholz unter die Tragfläche gebracht hat. Wirklich! • Ein andermal war er Pilot eines F16- Jägers, unter Beschuss des Feindes. Ein Treffer riss ein Loch in den Tank. Christagis wirft die Maschine auf den Rücken, damit der © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 85 Tank nicht leer läuft und fliegt kopfüber noch 300 km auf dem Rücken- und landet sicher. • Christagis war auch Busfahrer. Einmal traf er unterwegs einen gefürchteten TUIManager, der ihn für die Werbung prüfen wollte. Dieser hatte seinen Hund mit, einen Pudel. Sie hielten an, weil der Hund mal musste, dieser büxte aus und badete in einem Wassergraben. Wütend auf Christagis, wies der Manager auf den tropfnassen Hund. Da nahm Christagis den Pudel geistesgegenwärtig beim Schopf, lässt den Motor an und hält ihn unter den heißen Auspuff. Das Haar versengte. Job und Hund und Manager entfernten sich. • Christagis war auch Kämpfer im Krieg. Einmal hat er eine Kugel in die Wange bekommen. Da er rechtzeitig den Mund aufgemacht hat, sieht man heute nur noch das Einschussloch. Er zeigt auf die eine Narbe. • Einmal hatte Christagis Motorradpanne. Das Vorderrad war platt. Da riss er es beim Fahren hoch und ist die 75 km bis nach Hause in dieser Position gefahren: Irgendwie mochte ich diesen optimistischen Typen und hätte noch mehr Geschichten aus Antonio herauskitzeln mögen. Makelloser Himmel und große Wärme strahlte die Sonne aus. Die Straße windet sich im breiten Marathasa- Tal nach oben. Oberhalb von Pedoulas stiegen wir zum Fotostopp aus, um einen Blick auf ein Bergdorf zu genießen, auf seine wunderbare Kirche. Der Narthex ist auf beiden Seiten Kuppeln bekrönt, die auf schlanken Säulen ruhen. Die Mittelkuppel ragt aus rotem Ziegeldach heraus. Alle Fenster sind zugemauert und mit schwarzen Kreuzöffnungen durchbrochen. Weit schweift das Auge bis über die bebauten Terrassen in ferne Höhen des Gebirges. Ein Judasbaum und ein Essigbaum geben uns Schatten. Wir sind im Troodosgebirge. Erste Station ist eine uralte Scheunendachkirche. Inmitten herrlicher Natur , am rechten Ufer des Flusses Klarios (Karkotis) in einer dicht bewachsenen Schlucht errichtet, liegt sie an den Ausläufern des Troodosgebirges, fünf Kilometer südlich von Kakopetria, das historische Kloster des Heiligen Nikolaos vom Dach oder auf Griechisch Ο Αγιοσ Νικολαοσ Τησ Στεγισ (Sprich O Agios Nikolaos tis stegis). Diese kleine Kirche liegt abseits der Straße. Antonio zeigt sie uns als Zugabe zum Programm. Sie gehört zum Weltkulturerbe der UNESCO. Es gibt so viele Kirchen hier im Gebirge. Diese aber ist sehr alt und stammt mindestens aus dem 11. Jahrhundert, ist aus Feldsteinen gemauert und grob verputzt. Ihr architektonisches Charakteristikum ist ein über die Längsmauern gelegtes Satteldach, 13 m lang und 8 m breit, das die eigentliche Holz- Kirche überdeckt und gleichzeitig vor den heftigen Schneefällen hier im Gebirge schützt. Das geschah schon Ende des 12. bis Anfang 13. Jahrhunderts. Dieses zweite Dach mit den flachen Ziegeln verlieh bereits im 13. Jh. dem Heiligen Nikolaos den Namen „vom Dach“ (tis Stegis) Wir dürfen eintreten, werden aber wieder von einem alten Mann bewacht, der uns ermahnt, nicht zu fotografieren. So kaufe ich ihm ein Heftchen ab und lese so gleich etwas über die Geschichte des Klosters nach: Der Heilige Nikolaos. Hauptschiff. Fresco aus dem 1. Jahrzehnt des 12. Jh. Seine Gründung erfolgte in der mittelbyzantinischen Epoche im 11. Jahrhundert, es erlebte während der Frankenherrschaft großen Aufschwung, wie zahlreiche Fresken in der Kirche bezeugen. Es ist bekannt, dass der Erzbischof von Zypern während der Frankenherrschaft- wir erinnern uns: 1192 – 1489 waren die Lusignans die Herren – nach 1260, dazu gezwungen wurde, dieses Kloster zu seinem Sitz zu wählen. Dieses geschah, weil die fränkischen Eroberer auf Erlass des Papstes von Rom, Alexander IV. (1260), in ihrer Bemühung um die Latinisierung der Insel die orthodoxen Bistümer von 14 auf 4 reduzierten und sowohl den Erzbischof wie auch die anderen Bischöfe vertrieben. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 86 1633 wurde das Kloster renoviert. Ein Mönch Philotheos stiftete neben diesen Kosten ein Fresko, das den Aposteln Peter und Paul gewidmet ist. 1735 besuchte ein russischer Mönch und Pilger, Basilios Bersky, das Kloster. Er brachte eine Inschrift an, die heute noch erkennbar ist: „Von Trikoutsia nach Troodos gewandert und über den Schnee dort berichtet, den Schweiß der Adler, das wunderbare Asbestgestein…ich der Mönch Wassilis Moskoworotsos aus `Kiew im Juli.“ Verbrieft ist eine Nachricht: „Es (das Kloster) ist klein, aber verfügt über zwei Mühlen und zahlreiche Felder und Wälder, von denen es seinen Lebensunterhalt bestreitet und die türkischen Steuern bezahlt.“ 1808 ist der letzte Mönch des Klosters, der Verwalter Jerasimos, gestorben. So schnell wie wir hinein gelangten, waren wir in dem kleinen Hauptschiff herumgegangen, schauten uns die Fresken an, einige fast 900 Jahre alt- man muss sich das einmal klar machen! Es sind die ältesten, die auf der Insel erhalten „Der Barmherzige“. Fresco aus dem 3. geblieben sind. Jahrzehnt des 14. Jh., das sich im Narthex der Kirche befindet Berühmt ist ein Fresco, das die Bekehrung der „40 Heiligen von Sebaste“ aus der Zeit der Christenverfolgung veranschaulicht. Die Männer sollten gezwungen werden, dem Christentum abzuschwören. Sie wurden, nur mit einem Lendentuch bekleidet, aufs Eis ausgesetzt. Man sieht sie zittern vor Kälte, wie sie aneinanderrücken oder sinnbildlich gesprochen zueinander stehen. Ihre offenen Augen sprechen Trotz und Durchhaltewillen aus. Für die Abtrünnigen hielt man Feuer und warmes Badewasser bereit. Auf dem Bild bemühen sich die Standhaften um einen Mann, der zusammenbricht. Vom Himmel schweben Märtyrerkronen herab. Dieses Kirchlein ist eine Schatztruhe. Von außen ist sie ein eher unscheinbares Bauwerk, aber es hat fast 1000 Jahre Geschichte erlebt. Sie birgt Fresken aus sechs Jahrhunderten, eine seltene Versammlung byzantinischer Kunst. Weiter trug uns der Bus durch die Berglandschaft des Troodos. Ich könnte den genauen Weg nicht mehr beschreiben. Ich weiß nur noch, dass wir durchs Fenster ziemlich nahe den höchsten Berg Zyperns, den Olympos sehen konnten. Eine weiße Kugel macht ihn unverwechselbar. Leider gehört das Plateau des Berges nicht den Zyprern. Die Engländer haben es okkupiert, besser ausgedrückt, aus der Kolonialzeit gesichert. Was es strategisch bedeutet, von hier den Weitblick zu haben, mache man sich mit einem Blick auf die Karte deutlich. Zunächst fuhren wir am Kykko- Kloster vorbei, immer höher, vorbei an einem frei stehenden Glockenturm, in dem sechs Glocken frei aufgehängt sind. Ihr Schall schwingt weit ins Tal hinaus. Er wurde erst 1882 gebaut, weil bis dahin die osmanischen Eroberer Glockenverbot verhängt hatten. Die größte wiegt 1280 kg und wurde in Russland gegossen. Unser Ziel war das Grabmal von Erzbischof Makarios III. Auf der Höhe steht sein Mausoleum. Zwei Soldaten bewachen es. Einer steht immer für zwei Stunden unbeweglich Wache, der andere löst ihn ab. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 87 Ein schlichter Steinsarkophag ist mit einer dicken Metallplatte abgedeckt. Ein Bild wird von zwei Blumenschalen flankiert. Im Hintergrund, in der Tiefe der Gruft, zu der einige Stufen hinab führen - ich hätte ihn beinahe nicht bemerkt - steht breitbeinig ein Wachsoldat auf Ehrenwache, die Maschinenpistole vor der Brust, vor einer von einem hellen gleißenden Lichtband durchbrochenen Mauer. Die Fotografen drängeln sich um ein Bild „ohne“. Wir stehen einige Gedenkminuten lang vor dem Andenken dieses kämpferischen Präsidenten und Erzbischofs von Zypern. Makarios liegt nicht von ungefähr hier begraben. Er ist unweit von hier in einem Dorfe geboren und hütete als Junge in diesen Bergen Schafe und Ziegen. Schon als Novize verbrachte er mehrere Jahre in der Klosterbruderschaft des Kykko- Klosters. Später, während der Freiheitskämpfe in den 1950er Jahren unterstützte das Kloster die Untergrundbewegung EOKA 38 . Etwa 2 km entfernt befand sich der Unterschlupf des EOKA- Führers General Grivas. Auf dem Berggipfel hier steht eine kleine Kapelle zu Ehren von Makarios III. Zu ihr führt ein aus Bruchsteinen gemauerter, mit breiten Brüstungen begrenzter Weg. In der Kapelle steht der „Throni“, der kleine Thron, das heißt der Thron der Heiligen Jungfrau“. In älteren Zeiten stand hier ein hölzerner Thron, auf den die heilige Ikone bei Bittgebeten gesetzt wurde. Zuletzt geschah dies im Jahre 1990 bei einer großen Dürre. 1935 wurde der Thron durch ein Zementgewölbe ersetzt, das jüngst diesem größeren, imposanteren Bau seinen Platz überlassen musste. Auf einem Thronsessel lehnen Ikonen. Eine davon ist die Nachbildung der „Heiligen Ikone des Klosters“. Um den Sitz flattern weiße Bändchen, geknüpft von Pilgern. Sie sollen Wünsche und Bitten an sie erfüllen helfen. Ein so genannter Wunschbaum steht auch am Rande des Plateaus, fast wie unser heimatlicher Weihnachtsbaum geschmückt, aber nur mit im Winde wehenden weißen Bändern. Um diese „Heilige Ikone“ dreht sich die Entstehungsgeschichte des Kykko- Klosters, die ich hier nacherzählen will: Der Überlieferung nach ist der byzantinische Statthalter Zyperns Manuel Voutomitis, um das Jahr 1100 n. Chr. auf Jagd gegangen. Er verlief sich jedoch im Troodos- Gebirge, in dem es zu jener Zeit dichte Wälder mit wilden Tieren und seltenen Vögeln gab. Nachdem er lange hin und her irrte, traf er auf einen greisen Einsiedler namens Isaias. Der Byzantiner behandelte ihn sehr schlecht, weil sich der Ikone der Gottesmutter auf dem Asket, der alles Weltliche mied, nicht bereit zeigte, ihm behilflich zu „Throni“ sein und den Weg zu weisen, oder auf seine Fragen zu antworten. Voutomitis fand den Weg dann allein und kehrte nach Nicosia zurück. Dort erkrankte er und erkannte, dass seine Krankheit die Strafe für sein schlechtes Verhalten zu Isaias war. Unverzüglich schickte er seine Diener aus, den Einsiedler aufzufinden. Als dieser dann vor ihm stand, bat der Statthalter den Greis innig um Verzeihung. Der Mönch erwiderte nichts, sondern betete einfach um dessen Genesung. Bald darauf erholte sich Voutomitis und versprach dem Mönch, ihm jeden Wunsch zu erfüllen. Der heilige Mann verlangte jedoch weder Geld noch Ehren. Einem heiligen Gebot folgend, bat er Voutomitis, die heilige Ikone der Gottesmutter nach Zypern zu holen, eine der drei eigenhändig vom Evangelisten Lukas gemalten Ikonen. Da zögerte der byzantinische Statthalter, er zweifelte, ob er den Kaiser Alexios Komninos davon überzeugen könnte, die im Palast aufbewahrte Ikone abzugeben. Trotzdem nahm er Isaias mit und beide reisten in die kaiserliche Stadt Konstantinopel. Dort fanden sie den Kaiser sehr bekümmert, da seine Tochter schwer krank war, es war dieselbe Krankheit, von der Voutomitis geheilt worden war. Beide erschienen gerade zu dieser Zeit vor dem Kaiser. Isaias betete innbrünstig um die Genesung des Mädchens. Daraufhin genas sie. 38 EOKA =Epanastatiki Organosis Kypriakou Agonos, Revolutionäre Organisation für den Kampf auf Zypern © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 88 Da erzählten Voutomitis und Isaias dem Kaiser, dass es Gottesgebot sei, die heilige Ikone ins TroodosGebirge zu bringen. Es war nicht leicht für den Kaiser, diese wertvolle Reliquie abzugeben. Erst als er von derselben Krankheit heimgesucht wurde, wie vordem Voutomitis und seine eigene Tochter, begriff er, dass es Gebot Gottes war, die Ikone abzugeben. Später schenkte er auch das Geld zur Errichtung des Klosters, wo die Ikone aufbewahrt werden sollte. Voll Freude nahm Isaias die Ikone mit nach Zypern. Das Volk empfing ihn tief gerührt und ehrerbietig und begleitete ihn von der Meeresküste bis ins Troodos- Gebirge. Unterwegs neigten sich die Bäume, teilhabend an dem feierlichen Empfang, sogar die Muscheln kamen aus dem Wasser heraus und begleiteten die Prozession. Tatsächlich kann man bis heute auf den bewaldeten Hängen in Tillyria gebeugte Kiefern und Meeresmuscheln vorfinden, Spuren der Anteilnahme der Naturkräfte am Empfangszug für die heilige Ikone auf Zypern. So sagt man. Wir betraten von der Straße her die Klosteranlage und versammelten uns zunächst im 1. Innenhof (9). Dem Eingang gegenüber erhebt sich das Zellengebäude. Drei Seiten des Hofes schmücken ihn mit prächtigen Arkaden. An den Wänden glitzern und gleißen jetzt in der Mittagssonne Mosaiken von eindrucksvoller Vielfalt, alle behandeln sie Szenen und Geschehnisse aus der Bibel oder sie stellen einige der zahllosen Heiligen dar, die die Ostkirche verehrt. Ich verfalle ins Fotofieber und lichte so viel wie möglich davon ab. Manche dieser Geschichten aus der Bibel kenne ich: - Von Moses und dem brennenden Dornbusch Das Heilige Abendmahl Jesus und der Zöllner Zacharias auf dem Baum Jesus und seine Jünger im Garten Getsemane Die Taufe Jesu Grablegung und Beweinung Christi Das Jüngste Gericht Die Steinigung der Hure u. a. Das Wunder der Brotvermehrung am See Genzareth u.a. Die Heilige Ikone Im Mittelpunkt aller Kykko- Beschreibungen steht die Ikone der Heiligen Gottesmutter, die der Überlieferung zufolge ein Werk des Apostels Lukas ist. Dieser Überlieferung nach handelt es sich um eines der authentischen, zeitgenössischen Porträts der Heiligen Jungfrau. Die heilige Ikone ist auch unter dem Namen „Panagia Eleoussa“, d.h. die Barmherzige, bekannt. Abgebildet ist die Heilige Jungfrau, die das Christus-Kind im Arm hält. Die „Maria von Kykko“ ist in der orthodoxen Welt sehr bekannt und beliebt. Zahlreiche Ikonen in Griechenland, Georgien, Bulgarien, Ägypten und Äthiopien sind der Gottesmutter von Kykko gewidmet, ein Zeichen großen Respekts unter den orthodoxen Völkern. Seit 1576 hat die Ikone einen vergoldeten Silberbeschlag, ein weiterer folgte im Jahre 1795. Das Gesicht der Gottesmutter ist verdeckt und wird nie enthüllt, wahrscheinlich weil es der Kaiser Alexios so wünschte oder um dadurch größeren Respekt einzuflößen. Man erzählt, dass im Jahre 1669 der Patriarch Alexandriens, Gerasimos, es wagte, den Überhang hochzuheben, um auf das Gesicht Mariens zu sehen. Er soll jedoch für diese schändliche Tat bestraft worden sein und Gott tränenvoll gebeten haben, ihm dies zu Die Heilige Ikone, die vom verzeihen. Der russische Mönch Vassilios Barsky, der 1735 das Evangelisten Lukas gemalte Kloster besucht hat, schreibt, dass die Mönche nur in Zeiten der Gottesmutter Panagia Eleoussa Dürre das Gesicht der Heiligen Jungfrau enthüllten. Sie brachten die Ikone zuerst auf die nahe liegende Bergspitze „Throni“, wo sie dann einen Bittgang machten. Sie schauten jedoch nicht auf das Gesicht Mariens, das gegen den Himmel gerichtet war. Die Ikone der Gottesmutter von Kykko ist auf Zypern sehr beliebt. Unzählig sind die Volkslieder, in denen sie gepriesen wird, zahlreich auch die historischen Zeugnisse über Ehrenbezeigungen bei © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 89 Litaneien auf der gesamten Insel. Die Ikone war ebenfalls unter den Gläubigen anderer Gebiete beliebt, welche in früheren Zeiten ihre Pilgerschaft zum Heiligen Grab mit einem Besuch im berühmten KykkoKloster verbanden. Heutzutage ist die Besucherzahl natürlich um vieles größer, weil die modernen Transportmittel den Zugang bedeutend erleichtern. Hier im Kloster treffen Menschen aus aller Welt zusammen, sie beten die wundertätige Ikone der Gottesmutter an, bitten um Genesung und Kraft, damit sie den schweren Prüfungen ihres Lebens standhalten können. In der Kirche findet man Weihgeschenke, die an die Wunder der Heiligen Jungfrau erinnern, z.B. ein Stück der Zunge eines Schwertfisches, eine Gabe, die an die Rettung einer Matrosenschar vor dem Ertrinken erinnert. Ihr Schiff wurde 1718 von einem großen Schwertfisch durchlöchert. Ein anderes Mal hat ein Maure versucht, die Ikone zu entweihen, sein Arm erstarrte. So befindet sich heute ein Bronzearm in der Nähe der heiligen Ikone, um daran zu erinnern. Alle Opfergaben zeugen von Wundertaten der Gottesmutter, welche auch in vielen Gedichten aus verschiedenen Zeiten besungen werden. Auch die in den 1990er Jahren neu gestalteten Mosaiken zeigen solche wundervolle Begebenheiten. Dank der Wunderkraft der heiligen Ikone habe es in Zeiten großer Dürre geregnet, Frauen, die kinderlos waren, seien fruchtbar geworden, Kranke wurden geheilt. Früher baten die Inselbewohner die Mönche von Kykko, sie bei Prozessionen in ihren Dörfern mit der Ikone der Gottesmutter zu begleiten, um die Weihen zu erteilen. Die Zyprer glaubten, dass schon die Präsenz der Ikone ausreichte, eine Seuche, Epidemie, die Pest oder jedes andere von Gott gesandte Unheil zu beenden. Die heilige Ikone wurde jedoch insbesondere als Regen bringend geachtet. Aus historischen Quellen geht hervor, dass sehr oft Bittgänge und Litaneien stattgefunden haben mit der Bitte, dass „sich der Himmel öffne“. Während der türkischen Herrschaft haben die unterjochten Zyprer des Öfteren die heilige Ikone um Hilfe ersucht. Um die Ikone im Zuge einer Prozession außerhalb des Klosters tragen zu dürfen und um Regen zu bitten, war eine besondere Erlaubnis nötig. Diese Bitte der Christen wurde von den osmanischen Herrschern oft abgeschlagen, so dass sich die Christen an den Sultan selbst wandten, um die erforderliche Ferman über das Recht, die Erlaubnis durch einen Ferman 39 zu bekommen und so dem Druck der Heilige Ikone im Zuge einer Herrscher auszuweichen. Davon zeugt beispielsweise ein Ferman aus Prozession aus dem Kloster dem Jahre 1634. heraus zu tragen So könnte ich noch manches geschichtliche Ereignis hier wiedergeben. Ich entnehme es einem Begleitheft des Klosters. Alle diese Fakten kann man nicht behalten, auch wenn man sie erzählt bekommt. Von Antonio bekamen wir wenig zu hören. Ich stand allerdings nicht immer bei ihm und hätte nur Zeit verloren. Ich trage mir gern meine Informationen selbst zusammen. Die Wandmalereien und Mosaiken wiesen viel Gold auf, echtes Gold, was auf den relativen Reichtum des Klosters schließen lässt. Ich habe nur gestaunt und- fotografiert. Im Zellenhaus der Mönche, in das wir über Treppen und Gänge gelangten waren vor allem Geschichten aus dem Alten Testament abgebildet, modern ausgemalt, aber in eben typisch byzantinischer Malweise. Ich sah Bilder, die den Brudermord von Kain an Abel zeigten, die Schaffung der Frau aus Adams Rippe oder die Legende vom Bau der Arche Noah. Ich musste eilen, um mich an die Gruppe anzuschließen. Über einen zweiten Hof betraten wir dann die relativ kleine Kirche. Sie war voll von Menschen, vornehmlich Touristen. Es standen draußen Reihen von Autobussen, die Reisende von ganz Zypern hierher gebracht haben. Die Pracht in diesem orthodoxen Gotteshaus ist kaum noch zu steigern. Ich habe nichts Prächtigeres gesehen. Die Kirche Die Klosterkirche wurde mit dem Ziel gebaut, die heilige Ikone zu beherbergen. Ursprünglich war sie ein Holzbau, ähnlich wie das ganze Kloster. Die Holzkonstruktionen waren feueranfällig, und so richteten die großen Feuerbrände von 1365 und 1541 bedeutende Schäden an. Dadurch gingen die wertvollen Wandmalereien verloren. Nach der Feuersbrunst von 1541 wurde das Kloster wiederaufgebaut. Diesmal wurde statt des Holzes Steinmaterial benutzt. Trotzdem brachen zwei weitere große Brände in den Jahren 1751 und 1813 aus, die sogar Menschenopfer gefordert haben. Das Innere der Kirche, die Mönchszellen und der Gasthof brannten ab, Kunstwerke und geistiges Gut 39 Ferman (türk., pers. Befehl): in islamischen Ländern Erlass bzw. Erlaubnis des Herrschers © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 90 ganzer Jahrhunderte gingen verloren, bedeutende Handschriften und historische Dokumente wurden zu Asche. Die ursprüngliche Kirche war einschiffig, später wurde sie zu einem dreischiffigen Gebäude umgebaut. Ihre gegenwärtige Architektur könnte als Kuppelbasilika bezeichnet werden. Das mittlere Schiff ist der Gottesmutter gewidmet, das rechte Schiff den Allerheiligen und das linke den Erzengeln Gabriel und Michael. Einer Inschrift zufolge stammt die Ikonenwand aus dem Jahre 1755, d.h. sie entstand unmittelbar nach dem Brand von 1751. Sie blieb später zusammen mit den in der Kirche befindlichen Ikonen wie durch ein Wunder vom Brand von 1813 verschont. Die berühmte Ikone der Heiligen Jungfrau befindet sich in der Mitte der Altarwand, sie ist die dritte, links des Zentraleingangs. Die meisten Ikonen sind im byzantinischen Stil gehalten, während es auch andere gibt, welche von westeuropäischem Einfluss zeugen. Unter den letzteren sind ebenfalls die Ikonen des kretischen Malers Joannis Kornaros (1745 - 1812) aus dem späten 18. Jh. zu nennen. Den Schmuck vollenden Kerzenleuchter, Kronleuchter und Lüster aus dem 18. und 19. Jh. prächtigen russischen Stils und Herkunft sowie kirchliches Zubehör und Weihgaben. Die Klosterbruderschaft, deren Geschichte 900 Jahre alt ist, zählt heute 20 Mönche und 2 Novizen. Seit Januar 1984 bekleidet Nikiphoros das Amt des Abtes. Man ließ uns bis zur Abfahrt noch etwas Zeit, so dass ich mit einem Ehepaar noch die Gelegenheit wahrnahm, das im Baedeker mit zwei Sternen versehene Museum im Kykko- Kloster aufzusuchen. Gemessen am Eintrittspreis und der kleinen halben Stunde, die zur Verfügung stand, war es beinahe eine Kulturschande. In einem Seitenflügel ist das Museum untergebracht, eine Schau von einmaligen und seltenen religiösen Antiquitäten der Ostkirche, Byzantinische und Post- Byzantinische Kunst wie auch Objekte der frühen christlichen Ära, Ikonen Wandgemälde, Gefäße, prunkvolle Gewänder, reich mit Edelsteinen verzierte Bibeln, Gravuren, Juwelen auf Pokalen, Hirtenstäben, Bischofsmützen, Keramik, Kirchenmöbel und Holzschnitzereien, bemalt und unbemalt. Das alles war in einer hochmodernen Darstellung präsentiert, dass mir Schauer über den Rücken liefen. Im Hintergrund ertönte unaufdringlich ritueller Gesang aus Mönchskehlen. Ikone im Museum des Kykko- Klosters, 19. Jahrhundert: Das Sakrament der Heiligen Taufe Das Licht war abgedunkelt, die Beschriftung der Vitrinen und Ausstellungsstücke dennoch gut lesbar, wenn auch nur in Griechisch und Englisch. Logisch. Es war eine einzigartige Ausstellung. Mich hat es gewundert, warum der Reiseveranstalter mit keinem Wort auf diese Sehenswürdigkeit eingegangen ist. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 91 Die Uhr lief grausam schnell. Bald musste ich abbrechen, wäre gerne noch verweilt oder vor manchem Kunstwerk länger stehen geblieben. Unten löste ich meinen Fotoapparat wieder ein, den ich abgeben musste. Ich hätte zwar schummeln können, da ich in der Tasche noch den kleinen mitführte, aber ich möchte im fremden Land ungern negativ auffallen. Wir verlassen den Klosterbereich wieder durch das Haupttor, mit mir das Ehepaar Schelter, dem mein Lob für das gesteigerte Kunstinteresse gilt, und ohne die ich diese kleine Zeiteskapade im Alleingang nicht gewagt hätte. Ein Mönch steht zur Begrüßung und für Fragen im Eingangstunnel. Abschied für uns. Ich werfe einen letzten Blick auf die herrlichen Mosaike. Dann ist das vorbei. Die staubige Straße, die stinkenden Busse, die eilenden Menschen, Buden für Andenken, Essen stehen am Rand. Es ist Mittagszeit. Auch ich habe jetzt Hunger. Hinter einem Auto sitzt ein Mönch und ruht selbstvergessen. Der Kopf ist ihm schwer geworden und auf die Brust gesunken. Vom Getümmel dieser Welt ist er weit entfernt. Das Alter sehnt sich nach Ruhe. Dieses friedliche Bild nehme ich mit und noch eine idyllische grüne Ansicht von der Ostseite der Klosteranlage. Dann finden wir den Bus. Wir fahren nicht lange, da hält Antonio an einem Rastplatz, wie wir ihn im Vorbeifahren schon mehrmals gesehen haben. Bänke und Tische laden den müden Wanderer oder Fahrradfahrer oder auch Motorisierten ein, das Mitgebrachte zu verzehren. Wir griffen in unsere Verpflegungsbeutel und machten Picknick im Freien von 13.30 bis 14.30 Uhr im Halbschatten von riesigen Aleppokiefern in göttlicher Ruhe des lockeren Gebirgswaldes. XX. Kakopetria D und weitere Scheunendachkirchen in Galáta as nächste Etappenziel an diesem Tage war nun mit einer längeren Anfahrt über die Berge des Troodosgebirges verbunden. Weit reicht der Blick ins Land von hier oben, manchmal konnte ich im Hintergrund, im blauen Dunst das Meer ahnen. Nach einstündiger Fahrt hielten wir in Kakopetria und besichtigten zunächst den Ort. Es liegt an den Nordhängen des Troodos, im fruchtbaren Tale eines Flüsschens, dem Kargótis. Enge Gassen und alte hohe Walnussbäume bieten den Bewohnern Schatten. Das Dorf ist alt, aber es hat die Chance, seinen Charakter zu bewahren. Die Regierung gibt den Bewohnern einen Kredit mit günstigen Zinsen, Rabatt und Rückzahlungsbedingungen, wenn sie ihr Haus wieder sanieren, restaurieren oder wenigstens außen in einen ordentlichen Zustand versetzen. Das Programm hat in dem Musterort Kakopetria gezogen. Viele Touristen besuchen Kakopetria. Bewohner bieten ihre Waren auf der Straße an, direkt vor ihrer Haustür. Da handelt ein alter Mann, der über dem Geländer seines Eckhauses lehnt und nach uns schaut, mit Keramik, Strohkörben und Ansichtskarten. Auch Spielzeug bietet er feil. Ich muss einen niedlichen Esel aufs Bild bannen. Er zieht eine kleine aus Stroh geflochtene Karre. Am Wegrand hat eine Hausfrau ihren Stand aufgebaut. Sie hat alles, was ihr Garten hergegeben hat, in Gläser eingeweckt. In vielen Farben stehen sie in einer Reihe. Daneben liegen frische Weintrauben, Äpfel, Zwiebeln, Bohnen. Wir spazieren weiter, kommen an schönen Häusern vorbei, Holzbalkone, Vorbauten, von Weinlaub überdachte Terrassen glänzen im goldgelben und herbstlichen Sonnenlicht. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 92 Vor einer verfallenen Scheune steht die Gruppe und blickt hinüber, wo neben dem Bach Kargótis früher eine Mühle stand, die sich heute zu einem großen Hotel gemausert hat. Wir gehen durch den Ort, an dessen befahrener Hauptstraße sich einige Restaurants und Cafés befinden. Wir kehren im ΕΣΤΙΑΤΟΡΙΟ ΖΟΥΜΟΣ (Restaurant Sumos) ein, trinken einen kafedáki glikó, einen kleinen, süßen griechischen Kaffee und essen ein Eis. Dabei schauen wir von einer schattigen Terrasse auf das Blick von der Terrasse des ΖΟΥΜΟΣ in grüne Uferdickicht des Flusses. Kein Straßenlärm Kakopetria dringt hierher. Vögel zwitschern. Nur das gedämpfte Murmeln der Gäste aus der Tiefe des Cafés ist zu hören, ein Geräusch, das man unterdrücken kann. Es ist schön hier, und ich denke mir aus, wie es wäre in einen Individualurlaub… Wir müssen die Hauptstraße hinunter und suchen den Bus. Antonio winkt einen falschen herbei – er sieht unserem ähnlich. Dessen Fahrer ist ganz verwundert, von einem Fremden Befehle zu erhalten. Kurzes Palaver. Wir laufen wieder zurück. Antonio greift zum Handy. Was wäre, wenn es dieses Hilfsmittel nicht gäbe? In einen anderen Bus steigen gerade eine Gruppe schwarz gekleideter Frauen ein, Nonnen auf Pilgerfahrt? Ich forsche nicht nach. Wir fahren nicht weit, nur noch ein wenig nordwärts, durch den Ort Galata hindurch. Wir halten auf staubigem Felde und laufen einen Feldweg hinunter. Tatsächlich sah es aus, als würden wir der Scheune eines Bauern einen Besuch abstatten. Ein nüchterner Bau aus Feldsteinen gemauert, wird von einem etwa 70 Grad spitzen Satteldach überdeckt. Darunter verbirgt sich die Panagía tis Podíthou. Die zu einem ursprünglichen Klosterkomplex gehörige Kirche der Eleoúsa (die Barmherzige) wurde gemäß einer gefundenen Inschrift im Jahre 1502 gegründet. Es ist sogar noch der Name des Gründers bekannt: Dimitrios de Coron, ein griechischer Militäroffizier im Dienste von James II., König von Zypern, der mit Eleni Paleologina verheiratet war. Die Kirche war der Theotokos Eleousa (Wohltätigen Jungfrau) gewidmet. Noch vor vierzig Jahren gab es hier noch ein kleines zweistöckiges Gebäude aus osmanischer Zeit, das die Mönche beherbergte. Das Satteldach liegt auf einer umlaufenden Mauer auf, die einen überdachten Umgang um die innere Kirche ermöglicht. Der Grundriss ist rechteckig. Er mündet im Osten in einer halbkreisförmigen Apsis, die leicht aus der Mauer hervortritt. Der Flur ist bedeckt mit ausgetretenen, gebrannten Terrakotta- Ziegeln. Die Ausmalung der Kirche ist nie vollendet worden. Fresken bedecken die Ziergiebel der westlichen und östlichen Mauer, die Apsis, die ganze Ostwand so gut wie Teile der Nord- und Südwand. Alle Gemälde wurden zu gleicher Zeit des Kirchenbaues geschaffen mit Ausnahme von zwei Fresken aus dem 17. Jahrhundert, die Petrus und Paulus darstellen. Der Maler war beeinflusst von der Renaissancezeit wie viele Maler seiner Zeit, diese Epoche ist bekannt unter © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 93 dem Namen Italo- Byzantinischer Stil. Sein Hauptmerkmal sind die Wahl frischer Farben und die dreidimensionale Behandlung des Sujets. Antonio leuchtete mit der Taschenlampe in der dunklen kleinen Halle die einzelnen Objekte an und erklärte dies an einzelnen Beispielen. Die Schilderung der Kreuzigung am ganzen Inhalt der Westwand ist ein gutes Beispiel für diesen Malstil. Man kann ihn auch beobachten an den Fresken in der Apsis von Maria mit dem Kinde und der Kommunion der Apostel darunter. Die Ikonostase wurde 1780 neu vergoldet. Ich konnte leider keine Fotos machen. Neben der kleinen Kirche steht ein hölzernes Gerüst, in das eine kleine Glocke gehängt ist. Das Geläut wird, wenn es bimmelt, wohl nur die Gläubigen erreichen, die hierher zur Andacht kommen. Von hier gibt es über eine einzeln stehende Pinie einen wunderbaren Blick in die Ferne auf die sanften Höhen des Glockenturm der Kirche Troodosgebirges. Reste von Mauern zeugen von einer Panagia tis Podithou Vergangenheit, die sich vor den heutigen verschlossen hat. Nur 100 m weiter, etwas seitab vom Wege, durch eine Baumgruppe versteckt, liegt eine zweite von ehemals sieben Scheunendachkirchen in diesem Sprengel. Es ist die winzige Kirche Panágia Theotókos. Sie hat auch den Namen Panágia Theotókos Archángelos (Erzengelkirche). Sie ist 1514 als Familienkapelle entstanden, in der Zeit, als die Venezianer herrschten. Diese kleine Kirche, die man eher Kapelle nennen sollte, ist voll ausgemalt mit dem ganzen ikonografischen Programm von Mariä Verkündigung bis zur Kreuzigung und Auferstehung. Der Wächter nahm das Fotografieren etwas lockerer, schaute hinweg, verbat nur Blitzlicht. Trotzdem gelang nichts wirklich Gutes. Wände und Decke sind voll ausgemalt, jeder Quadratzentimeter. Mehrfach musste ich aufpassen, dass ich mich nicht an den Querbalken stieß, die den Panágia Theotókos Archángelos Raum von Wand zu Wand überspannen. Apsis Ostseite Jeglicher Architekturkenntnis spottend, hielten sie die Wände in Kopfhöhe zusammen, wobei sicher die Absicht verfolgt wurde, den nach außen wirkenden seitlichen Auflagerdruck des steilen Satteldaches aufzunehmen. Ich schätze, der Bau wurde von örtlichen Handwerkern hochgezogen, die es nicht besser wussten. Diese Zugbänder gehören in die Ebene der Dach-Traufe. So wird die religiöse Wirkung der Malerei nachhaltig gestört. Dennoch sind diese Fresken rustikaler als in der vorigen Kirche. Sie tragen eine andere Handschrift. Die Spender dieser Malereien sind namentlich bekannt, ebenso kennt man den Namen des Malers, Symeon Axéndi, der uns aber Zugbänder stören die Wirkung der Fresken in der Kirche Panágia Theotókos Archángelos, Galáta nichts sagt. Alle wichtigen Szenen aus dem Leben und von Tode Jesu sind abgebildet, wie gesagt das ganze Programm. Es hätte eines gelehrten Vortrages bedurft, alle Darstellungen zu erläutern und zu interpretieren. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 94 Die Heimfahrt verlief ohne besondere Höhepunkte. Im Hotel Rodon in Agros versammelten wir uns im Vestibül und erhielten eine Eislimonade kredenzt, wohl als Abschiedstrunk gedacht, denn morgen früh würden wir das Hotel verlassen. Ein letztes Mal benutzte ich als Einziger das Schwimmbad, genoss das reine Wasser in der herben frischen Bergluft und schwamm, bis ich keine Luft mehr bekam. Abendessen, Koffer packen, die letzte Nacht im Gebirge. XXI. Der Weg der Persephone Freitag, 6. Oktober 2006 Frühmorgens Abschied vom „Dorf- Hotel“ Rodon in Agros. 8.30 Uhr setzt sich unser Bus in Bewegung. Wir fahren westwärts, zunächst noch einmal ins Troodosgebirge, auf den höchsten zugänglichen Punkt, um dann, mit einigen Höhepunkten, abends das Cynthiana- Hotel in Paphos anzusteuern, wo wir die letzten sechs Tage verbringen werden. Wir passieren Chandria, wo im Kafeníon schon die Männer sitzen, die Ortsphilosophen. Der erste Blickpunkt an diesem Tage: die „Kirchenruine“ in Kyperounta, der im Aufbau begriffene, unter Nöten leidende Neubau, von dem es heißt, dass das Geld aus ist. Oberhalb einer langen Stützmauer aus hässlichem Beton erhebt sie sich stolz und ist weithin sichtbar. Es dauert nicht lange, bis wir bei Fahrt durch verschiedene Landschaftsformen das Troodos- Plateau erreichen. Kirchenneubau in Kyperounta Antonio erklärt uns die kahlen, unwirklich grauen Hänge, die unterwegs ein riesiges Areal einnehmen. Wir sehen es im Süden unserer Hangstraße, die jetzt durch kahles Bergland führt. Westlich des Gebirgsortes Amíandos (= auf Griechisch: Asbest) wurde bis vor wenigen Jahrzehnten, genauer bis 1986 Asbest im Tagebau abgebaut. Das hat der Natur großflächige Wunden geschlagen. Die jetzige Regierung ist bemüht, diese toten Berghänge wieder mit Muttererde aufzufüllen und später aufzuforsten. Das ist mühsam und teuer und wird lange Zeit dauern. Dafür hat man Terrassen angelegt, diese mit Bäumen bepflanzt, die man 5 Jahre lang künstlich bewässert. Die Muttererde wird extra mit Transportern oft von weit her angefahren. Das Projekt ist bis 2017 geplant und kostet Unsummen. Noch 1940 waren in der Asbestindustrie 10 000 Leute beschäftigt. Nach dem Krieg wurde das Asbest über Limassol per Schiff verladen und in die UdSSR und auch in die damalige DDR exportiert. Die Bodenschätze Zyperns sind längst verbraucht. Die Kupfererz- Gewinnung ist unrentabel geworden, wenngleich man es in geringsten Mengen wieder versucht. Von den reichen Kupfervorkommen der Antike erinnert heute nur noch der Namen der Insel- Kypros. In der Nähe des Olympos fördert man noch geringe Mengen Chromerze. Wir tauchen wieder in den Wald ein und erreichen bald mit 1900 Metern das höchste Plateau des Troodos. Dieses Bergmassiv ist der Rumpf einer vulkanischen Erhebung aus dem Meer. Die Sedimentgesteinsschichten sind lange schon abgetragen. Zurück blieben die harten vulkanischen Tiefengesteine, das grau-grüne Gabbro und andere Magmatite, aber auch noch Lavagesteine. Der Gipfel ist 1951 m hoch, militärisch besetzt von den Engländern. In den Wintermonaten Januar, Februar liegt dort Schnee, der sich in den Lagen bis 1500 m bis April hält und dann Wasser in die Ebene liefert, das in vielen Staubecken gesammelt wird. Es gibt auch viele Quellen hier oben. An den Bächen leben der Wiedehopf, Drosseln, Geier, der zyprische Steinmätzer, das ist ein Singvogel, den es nur hier auf dieser Insel gibt. Das Gestein, wo es frei liegt, ist jetzt rotbraun, gefärbt von Eisen. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 95 Wir kommen an und steigen aus. Ein großer freier Platz ist jetzt, 9.10 Uhr, noch ganz leer. Dieser Ort liegt am Kreuzungspunkt wichtiger Verkehrsstraßen. Er besteht eigentlich nur aus ein paar Restaurants, zwei Hotels, einer Tankstelle und vielen Verkaufsbuden, die im Sommer dicht von Touristen und Ausflüglern umlagert sind. Viele Verkaufs- Stände sind jetzt am Vormittag noch geschlossen. Viele öffnen gar nicht mehr. Wir nähern uns dem zyprischen Winter. Drei Telefonzellen stehen verwaist im Halbschatten einer oben verkrüppelten und verdorrten Schwarzkiefer, die hier oben recht häufig anzutreffen ist. Wir sammeln uns und werden nun von Antonio zu einer Wanderung eingeladen, die etwa 2 Stunden dauern wird. Der Weg heißt Persephoni und sein Name zwingt mich, die etwas längere Geschichte aus dem griechischen Schatz der Mythologie zu heben, die Antonio dazu nur in Stichworten und andeutungsweise erzählt. Wer war Persephone? Göttervater Zeus erwuchs aus der Liebesverbindung mit einer seiner göttlichen Schwestern, nämlich der Korn- und Ackergöttin Demeter, die gemeinsame Tochter Persephone, die künftige Göttin der Unterwelt und Gefährtin des Hades. Persephone wuchs sorgenfrei im Kreise ihrer Schwestern Athena und Artemis auf. Eines Tages erblickte sie ihr Onkel Hades, der Herrscher der dunklen Unterwelt, der sogleich von ihr entzückt war. Aber ihre Mutter Demeter wollte ihm nicht die Hand des Mädchens geben, denn ein Leben im Reich des Schattens sollte ihr erspart bleiben. Daher entführte der Unterweltsgott die liebliche Jungfrau, als sie mit ihren Gefährtinnen in der Nähe des Einganges zum Orkus 40 auf einer Wiese Blumen pflückte. Manche meinen, dass diese Pforte zum Totenreich in der Ebene von Eleusis in Attika lag, andere berichten, sie läge in der sizilianischen Ebene am Fuße des Ätna. Demeter war verzweifelt über das plötzliche und geheimnisvolle Verschwinden ihrer Tochter.. den Entführer konnte ihr niemand nennen, denn er hatte sein Haupt in nächtliches Dunkel gehüllt. Die Mutter wollte nun nicht mehr in den Olymp zurückkehren und irrte auf der Suche nach ihrem Kind neun Tage und Nächte lang über die ganze bewohnte Erde. In der Dunkelheit erleuchtete sie ihren Weg mit zwei Fackeln. Sie aß keinen Bissen, trank keinen Schluck, sie wusch sich nicht und machte sich nicht mehr schön. Auf dieser langen Wanderung kam die Göttin in Gestalt einer alten Frau nach Eleusis. Dort ruhte sie sich auf einem großen Stein aus, der in Erinnerung ihres Schmerzes von den folgenden Geschlechtern aghélastro petra, der „freudlose Felsen“ genannt Unter dem wohlwollenden Blick der Persephone (r.), wurde. Demeter begab sich zum König von Eleusis, die dieser Szene beiwohnt, übergibt Demeter (l.), in Kelos, an dessen Hofe sie ein wenig ausruhte. Eine der Hand das Zepter, dem Knaben Triptolemos, Sohn des Königs von Eleusis, die Weizenähre, die er alte Dienerin namens Iambe konnte ihr sogar mit wiederum den Menschen bringen soll. Relief um 430-420 v. Chr., Athen, Archäologisches Späßen ein Lachen entlocken. Nationalmuseum 40 Orkus, lateinisch Orcus, römischer Gott der Unterwelt und des Todes, auch Totenreich und Unterwelt selbst, entsprechend dem griechischen Hades. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 96 Als Dank für die freundliche und gastliche Aufnahme wurde Triptolemos, der jüngste Sohn des Königs, in die Geheimnisse des Getreideanbaus eingeweiht. Er bekam von Demeter den Auftrag, die Kenntnisse der Feldbestellung in aller Welt zu verbreiten. In Eleusis entstand später um den „freudlosen Felsen“ ein bedeutendes Heiligtum zu Ehren von Demeter und Persephone, Berühmt waren die Fruchtbarkeitsmysterien, die nur den Eingeweihten enthüllt werden durften. Demeters freiwillige Verbannung hatte die Erde unfruchtbar gemacht. Die ganze Weltordnung drohte durcheinander zu geraten. Endlich erhörte Zeus das Bitten der verzweifelten Mutter. Er befahl seinem Bruder Hades, die Braut freizugeben und zur Mutter zurückzubringen. Aber das war nicht mehr möglich. Persephone hatte in der Unterwelt versehentlich von einem Granatapfel gegessen, und wer im Reich der Schatten irgendetwas zu sich nahm, durfte nicht mehr ans Sonnenlicht zurück. Auch die Götter unterstanden diesem Gesetz. Zeus musste sich daher mit seinem Bruder auf halbem Wege einigen und fällte die Entscheidung, dass Persephone einen Teil des Jahres bei Hades in der Tiefe verbringen sollte und einen anderen Teil bei ihrer Mutter auf Erden. Demeter konnte nun wieder ihren Platz im Olymp einnehmen, und die natürliche Ordnung der Dinge war wieder hergestellt. So floh Persephone jedes Frühjahr aus dem unterirdischen Schattenreich, und zugleich kamen auch die Pflanzen und Blüten aus der Erde hervor. Zur Zeit der Aussaat aber musste sie wieder in die Unterwelt zurück. Während ihres winterlichen Aufenthaltes bei den Unterirdischen aber ließ Mutter Demeter die Erde unfruchtbar bleiben. Mit dieser Erzählung erklärten die Alten den Wechsel der Jahreszeiten. Nun wandern wir auf einem nach Harz und Nadeln duftenden, schattigen Weg der Persephone. Die griechischen Zyprer sind natürlich auch der griechischen Mythologie verhaftet, was aus vielen Namen, die sie Orten und Dingen gaben, hervorgeht. Wir laufen in Gänsereihe auf dem schmalen Waldweg, achten auf Wurzeln und Steine. Mir ist das Tempo, das Antonio vorgibt, zu hoch, weil es nicht Zeit lässt, schöne Fotomotive auszukosten. Bleibe ich stehen, walzt alles an mir vorüber. Ich falle hoffnungslos zurück und verliere den Anschluss. In fremdem Gelände ist das peinlich. Also verzichte ich auf Bilder und genieße die herbe Luft und schärfe den Blick auf die Natur um mich herum. Rechts den Hang hinauf sehe ich Drahtzäune- englisches Sperrgebiet rings um den Olympos, einige Bauten, Schilder mit Verbotshinweisen. Rechts zieht sich der schüttere Bergwald, vorwiegend Schwarzkiefern, den Hang hinauf. Links öffnet sich der Blick ins Land. Lange begleitet uns die Aussicht auf die Halden des Asbestbergbaus. Ihre grauen Halden stören gewaltig das idyllische Bild der Natur und erinnern nachhaltig an den Lebensanspruch der Menschen. Antonio bleibt stehen und zeigt auf den Boden. Halden des Asbest- Bergbaus stören Ich bin überrascht. Wie dekoriert oder eingepflanzt, wie riesige Narben die Natur sprießen da und dort ein paar lila Herbstzeitlose. Das Unterholz ist dornig und vertrocknet, aber sprüht von bunten Farben, dennoch blühen Salbei und Berberitze und viele Kräuter, die mir nicht bekannt sind. Ähnlich unseren Heidelbeeren locken blaue Beeren zum Naschen. Natürlich tue ich das nicht. Ich beschäftige mich zu wenig damit. Dann ein nüchternes Schild auf Englisch: Ende Persephone Trail. Ein anderer Weg führt weiter hinein in das Troodos- Wandergebiet, längere Wege. Wir biegen ab und folgen einem breiten Weg, der mit dem Bulldozer gebaggert wurde und nicht mehr so lieblich ist wie der eben verlassene Waldpfad. Wir sind auf dem Europäischen Fernwanderweg E4. Bald rasten wir im Schatten. Einige Frauen besetzen eine Bank. Andere müssen mal und verkrümeln sich außer Sichtweite. Nach dem Aufbruch ist diese Wanderung, die eher einem Spaziergang glich, auch schon wieder vorbei. Was sind schon 3 km! © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 97 Wieder auf dem Troodos- Platz zurück, besetzen wir eine mit Bänken überdachte schattige Picknick- Station. Es ist jetzt 11.30 Uhr und Zeit für eine Mittagsrast. Antonio und Carina, unterstützt vom Kraftfahrer packen Vorräte aus und bereiten uns ein wunderbares Picknick. Sie schneiden Zwiebeln, Paprika, Tomaten, Gurken, Zucchini, Salami, Schinken, zwei Sorten Schafskäse, Brot und reichen Wein und Oliven, die Antonio von seiner Mutter mitgebracht hat. Es schmeckt, so im Freien. Jeder wird satt, und es bleibt eine Menge übrig. 12.40 Uhr steigen wir wieder ein und verlassen nun das Troodos- Gebirge. Auf der B8 fahren wir die 40 km hinunter in die Ebene bis Limassol, kreuzen dort die Küstenautobahn und brausen dann direkt in die heiße Nachmittagsonne nach Westen bis Kolossi. XXII. Kolossi D ieser Ort beherrschte in antiker Vorzeit die Halbinsel Akrotiri, heute ist sie noch teilweise „SBA“, Sovereign Base Area, im Besitz der Engländer, Relikt der Kolonialmacht. Kolossi liegt nur 14 km von Limassol (Lemesos) entfernt. Ich rätsle über die Herkunft des Namens. Kolossä oder auch Kolossai, was sehr ähnlich klingt oder verwandt sein kann, ist eine antike kleinasiatische Stadt im südlichen Phrygien, etwa in der Mitte Kleinasiens. Sie war Sitz einer der ältesten Christengemeinden und Adressat des Kolosserbriefs, dem Apostel Paulus zugeschriebener, wahrscheinlich aber von einem Schüler desselben verfasster Brief des Neuen Testaments an die Gemeinde von Kolossä. Hier also Kolossi. Unzweifelhaft in den Mittelpunkt des Geschichtsinteresses rückte der Ort mit dem Bau einer Burg durch den Johanniterorden 41 . Um 1210 schenkte der fränkische König Hugo I. den Johannitern fruchtbares Land um Kolossi. Nach dem Fall von Akkon 1291, wir erinnern uns an Richard Löwenherz, diente die Feste als Hauptsitz des Johanniterordens. Sie und sicher auch die Lusignans erbauten während des 13. Jahrhunderts hier eine Burg und begannen das Land zu kultivieren. Sie erzeugten Olivenöl, Weizen, Baumwolle, Wein und bauten auch Zuckerrohr an. 1373 griffen die Genueser die Burg an, konnten sie aber nicht erobern. Mitte des 15. Jahrhunderts baute man unter dem Großkomtur Louis de Magnac die Burganlage aus und erhielt ihren heutigen Grundriss. Viele Bauten davon sind geschliffen. Mächtig und beeindruckend erhebt sich der zentrale Donjon, der Burgfried, Hauptturm und Rest der ehemaligen Wehranlage. Er ist 21 m hoch und 16 x 16 m im Geviert. An einem Kassenhäuschen vorbei dürfen wir in das Museumsareal hinein. Große Hitze lastet jetzt, 13.10 Uhr, auf den hellen Mauern, den Steinplatten, die die Wärme an die Umgebung zurückgeben. Zunächst versammelt uns unser Herdenführer und spricht. 41 Johanniterorden, Johanniter, Malteser-, Hospitaliter-, Rhodiser-Orden, geistlicher Ritterorden, entstanden aus einem um die Mitte des 11. Jahrhunderts von Kaufleuten aus Amalfi gestifteten Spital in Jerusalem zur Pilgerbetreuung und Krankenpflege. Gerard, vermutlich ein Provençale, rief einen 1113 von Papst Paschalis II. bestätigten Orden ins Leben. Unter Gerards Nachfolger Raimond de Puy (1118—1160) wandelte sich die Gemeinschaft in einen Ritterorden um, der von einem Großmeister geleitet wurde. Die Ritter trugen schwarze Mäntel mit weißem Kreuz. Ordenssitze waren nach dem Fall Jerusalems (1187) u. a. Akko, Zypern (19 Jahre) und Rhodos; seit 1522 bis 1798 lag der Hauptsitz auf Malta . Nach dem Verlust Maltas lebte der Orden, manchmal in geänderter Form, in einigen Ländern weiter und wurde im 19. Jahrhundert reorganisiert (neuer Sitz des Großmeisters: Rom). In Deutschland bestehen ein evangelischer Zweig des Johanniterordens (Preußischer Johanniterorden) und ein katholischer, Malteserorden genannt, der sich wie jener vornehmlich karitativen Zwecken widmet. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 98 Im Schatten eines alten Baumes setzen wir uns wie die Hühner auf der Stange auf eine Steinkante. Dieser Baum ist riesig und etwas Besonderes. Er ist ein Schmetterlingsblütler, ein so genannter Machärionbaum. Er soll 160 Jahre alt sein und stammt aus Nordamerika. Er ist 27 m hoch und trägt als Früchte scharfe Schoten (griech. Macherie = Messer). Antonio hält seinen Vortrag. Wir erfahren eine Menge über die Besonderheit dieses Mönchsordens, der die sehr weltliche Erzeugung von Zucker hier zu seinem Haupterwerb erkoren hat. Die Johanniter Kolossi, Mühlenhaus der einstigen bauten in ihrer Großkommende 42 hier eine Zuckerrohrfabrik Zuckerrohrfabrik, deren Reste heute noch eindrucksvoll belegen, wie professionell und umfänglich produziert wurde. Neben einem Aquädukt, der das Wasser einer Mühle zuführte, die die notwendige Energie umwandelte bis zu den Hallenkomplex, der noch schöne Bögen aufweist, lässt sich das gut nachvollziehen. Ich habe nachgelesen und über die zyprische Zuckerrohrproduktion folgendes gefunden: Zucker auf Zypern „Der Überfluß an Zuckerrohr und dessen Herrlichkeit in Zypern ist gar nicht zu beschreiben. Der Patrizier Frederico Cornaro aus Venedig hat bei Limassol ein großartiges Besitztum, Episkopi, wo man so viel Zucker macht, daß ich glaube, die ganze Welt müßte daran genug haben. Der beste geht nach Venedig und man verkauft davon alle Jahre mehr. In dieser Gegend, sollte man glauben, könne niemand sterben, so reizend ist es zu sehen. wie man den feinen und den weniger feinen Zucker macht, und wie die Leute, fast 400.sind es, an der Arbeit sind. Geräte haben sie so vielerlei, daß ich in einer anderen Welt zu sein glaubte, und Kochkessel von einer Größe, daß es niemand für wahr halten wird, wenn ich sie beschreibe." Aus der Feder des italienischen JerusalemPilgers Pietro Casola stammt diese überschwängliche Schilderung eines Besuches im Zentrum der zyprischen Zuckerindustrie Ende des 15. Jahrhunderts. Nahezu jeder Reisende, der sich zwischen dem ausgehenden 13. und der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auf der Insel umsah, äußerte sich ähnlich bewundernd über Ausmaß und Qualität der dortigen Zuckerproduktion. Arabische Kolonisten machten das Zuckerrohr schon um 700 auf Zypern heimisch, nachdem die kostbare Pflanze aus ihrer Heimat im Melanesischen Archipel über das untere Indus-Tal, den Persischen Golf und das Zweistromland bis an die syrische Mittelmeerküste vorgedrungen war. Jahrhundertelang nur von lokaler Bedeutung, nahm die zyprische Zuckerproduktion einen stürmischen Aufschwung, als in der Kunst der Zuckerherstellung bewanderte "fränkische" Flüchtlinge nach dem Verlust ihrer Güter im Kolossi, Wohnturm der alten Johanniterburg 42 Kommende, [die; lateinisch], Verwaltungseinheit beim Johanniterorden und beim Deutschen Orden. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 99 Heiligen Land 1291 nach Zypern hineinströmten und hier erfolgreich ihr altes Gewerbe fortsetzten. Blick auf Kolossi Auch der kämpferische Johanniter-Orden war vor der Wucht der muslimischen Offensive auf die Insel ausgewichen und baute sich in seiner Großkommende Kolossi nahe Limassol ein Zuckerimperium auf, das zur technologisch führenden und ertragreichsten Zuckerproduktionsstätte Zyperns wurde. In ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, im Gebiet von Episkopi, besaßen die venezianischen Cornaros, eine einflussreiche Familie international tätiger Bankiers und Kaufleute, ausgedehnte Zuckerrohrplantagen. Eine weitere bedeutende Anbauzone für das süße Rohr war die Küstenebene nördlich und südöstlich von Paphos, wo sich die Plantagen und Raffinerien der königlichen Lusignan- Familie konzentrierten - so in Lemba, Achelia und Kouklia. Andere Anbaugebiete der Lusignans lagen bei Lefke, Morphou (türk. Güzelyurt)) und Akanthou (türk. Tatlisu) nahe der Nordküste. Auch die Johanniter besaßen im Norden Plantagen, so in Lapithos (türk. Lapta) wie auch in Morphou. Das Zuckerrohr konnte als Sommerfrucht gezogen werden, da sein hoher Wasserbedarf zu Füßen des Troodos-Gebirges und der Pentadaktylos/Resparmak- Bergkette gesichert war - beste Voraussetzungen also, um eine blühende, exportorientierte Zuckerindustrie entstehen zu lassen. Das von den Plantagen herbeigeschaffte Zuckerrohr wurde zunächst in Stücke geschnitten und dann einem zweistufigen Mahlprozess zugeführt: ein gewaltiger Mühlstein, der - so in Kouklia - einen Durchmesser von 2,60 m und eine Dicke von 0,53 m erreichen konnte, wurde von Tieren bewegt und zermalmte das Rohr. Dann presste man in einem zweiten Arbeitsgang unter Einsatz einer feiner regulierbaren Wassermühle den im Rohr verbliebenen Saft aus. Ein großvolumiger Bottich fing den Saft auf, der darauf durch Stoff gefiltert und in großen Kupferkesseln gekocht wurde, was bis zu drei Mal zu wiederholen war, uni Zucker bester Qualität zu erhalten. Kolossi, Gotische Bogenarchitektur des Mühlenhauses der Rohrzuckerfabrik Der nach jedem Umkochen heller werdende und eindickende Sirup wurde schließlich in konisch zulaufende Keramikformen mit einem Loch im Boden abgefüllt. Sie saßen auf Auffangbehältern, in die Reste des Sirups tropften, während sich im oberen Gefäß die Zuckerkristalle absetzten, durchtrockneten und härteten und durch die konische Form ihres Gefäßes in die typische Zuckerhutform gebracht wurden. 1445 übernahm das venezianische Handelshaus Martini die Vermarktung des Zuckers der königlichen Domänen Kouklia und Achelia, und im gleichen Jahr kaufte es auch erstmals die Produktion der JohanniterKommende zu Kolossi auf. Das strenge Preisdiktat und festgelegte Abnahmequoten seitens des © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 100 Aufkäufers bereiteten den Produzenten zwar gelegentlich Ungemach, auf der anderen Seite waren sie das Problem der Vermarktung in Europa los. Der Historiker Etienne de Lusignan berichtete 1573 in seinem in Bologna erschienenen Werk „Chorograffia et breve historia universale dell'isola di Cipro…“ von alarmierenden Entwicklungen: „Die Insel erzeugt ziemlich viel Zucker auf den Gütern zu Lapithos, Achelia, Ktima, Chrysochou, Episkopi und Kolossi; an anderen Orten war dies auch der Fall, aber weil man mehr Gewinn mit weniger Auslagen bei der Baumwolle findet, wird jetzt nur mehr weniger Zucker erzeugt (…) Die Baumwolle gibt den besten Ertrag auf Zypern, weshalb sie viel die Goldpflanze nennen.“ Was der Historiker Lusignan hier nüchtern konstatiert, waren die unübersehbaren Vorboten des dramatischen Niedergangs der zyprischen Zuckerrohrkultur. In den wenigen Jahrzehnten zwischen 1570 und 1600 kollabierte dieser einst blühende Wirtschaftszweig. Entscheidend für den Zusammenbruch war die wachsende Konkurrenz der klimatisch begünstigten und effizienter bewirtschafteten Plantagen der neuen europäischen Kolonien auf den westafrikanischen Inseln und in Lateinamerika. Um 1540 importierte Venedig nur noch einen kleinen 'Teil seines Bedarfs aus den ostmediterranen Erzeugergebieten. Eine weitaus größere Menge bezog es aus Madeira via Lissabon als Zucchero di Medera. 1420 hatten die Portugiesen erstmals aus Sizilien eingeführte Zuckerrohrschösslinge (auch Weinstöcke aus Zypern!) auf Madeira angepflanzt und, durch den Erfolg ermutigt, auch auf den Kapverdischcn Inseln, den Azoren und Sao Tomé. Billigzucker aus Madeira war schon um 1500 in Westeuropa ein fester Begriff. Sebastian Münster notierte nach älteren Quellen in seiner "Cosmographey oder Beschreibung aller Länder Herrschaften…“"(hier in der Ausgabe Basel, 1592):„ Es hat auch der König von Portugal lassen Zuckerrohr pflantzen in diese Insel / und das wechßt mit Hauffen / und bringt järlichen groß Gut. Solcher Zucker ist auch so geschmackt /dass er obertrifft den so in Sicilia und Cypro wechßt.“ Als schließlich brasilianischer Zucker weit unter dem Preis der Erzeuger am Mittelmeer ab 1530/40 auf den europäischen Markt drängte beschleunigte dies den Niedergang der Zuckerindustrien von Zypern über Sizilien bis Andalusien. Wir stiegen auf den Turm hinauf. Man gelangt über eine Zugbrücke gleich ins erste Obergeschoss. Unten sind die Lagerräume und Zisternen. Es gibt zwei Säle mit Kamin. Auch im zweiten Stock finden sich Kamine mit dem Wappen des Stifters Louis de Magnac. Von der Kolossi, Wohnturm, 2. Stock, Dachterrasse aus konnten wir weit ins Land Aufenthaltsraum mit Kamin sehen, in der dunstigen Ferne das Meer. Es gibt eine süße Weinsorte, den Commendaria, der noch an die Kommende der Johanniter erinnert. Leider habe ich ihn verpasst. XXIII. Kourion A uf ging es in Eile, nach nur 40 Minuten, zur nächsten Station, den Ausgrabungsstätten von Kourion. Nach nur wenigen Kilometern erreichten wir das Dorf Episkopi. Ein großes Schild wies uns von der Hauptstraße weg nach links. Dann versperrte eine Schildwache den Weg. Ein Wärterhäuschen auch hier. Kurze Verständigung, dann fahren wir ein. Rechts erheben sich Mauern, antike Mauern. Kourion ist ein Riesenkomplex, für den man mehr als einen Tag braucht, um alles zu studieren. Wir machten unseren Rundgang auf Japanisch. Klick und weiter. Wir halten vor dem Haus des Eustólius, eines reichen Römers. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 101 Hölzerne Laufgänge, erhöht über den ausgegrabenen Mauernabschnitten angebracht, zwingen den Besucher zur Disziplin, nicht zwischen den Steinen, den herrlichen Mosaiken herumzulaufen und die Zeugnisse der Vergangenheit zu vernichten. Ich kenne Zustände in der Türkei, wo jährlich Hunderttausende über die Gräberfelder walzen, rücksichtslos über die Artifakte turnen, ihre dummen Sprüche und Initialen in die Steine ritzen und anderen Unfug treiben. Die Achtung vor der Vergangenheit beginnt mit der Achtung vor dem Alter. Wenn ich unsere Gesellschaft betrachte: Wo ist diese Achtung geblieben? Ein erstes sehr gut erhaltenes Mosaik zeigt die Göttin Ktisis, eine weibliche Personifizierung des schöpferischen Geistes, mit dem Messstab in der Hand, die genau einem römischen Fuß entspricht, einem Grundmaß des Bauwesens. Nach Berichten des römischen Ausgrabungen in Kourion: Theater und Haus des Eustólios Historikers Ammanius Marcellinus erlitt die Stadt Kourion in den frühen Morgenstunden des 21. Juli 365 n. Chr. ein Erdbeben, das die Stadt vollständig zerstörte und die meisten Menschen im Schlaf überraschte. Bei Ausgrabungen 1934 und 1984 – 1987 entdeckte man die Reste eines Wohnhauses und Skelette seiner einstigen Bewohner. Nimmt man das Datum und blickt in die Geschichte, so sind also schon nicht mehr die Römer die Herrscher über Zypern. Nach dem Konzil von Nikäa im Jahre 325 gehört Zypern zum Oströmischen Reich, als Byzanz bekannt. Das Christentum wird Staatsreligion. Kaiserin Helena besucht Zypern. Doch in diesem 4. Jahrhundert zerstören Erdbeben die großen Städte Zyperns völlig. Haus des Eustólios, Ktisis, Mosaik Das ausgegrabene Haus des Eustólios ist zum großen Teil überdacht. Man hat bei den Grabungen die Skelette einer Familie gefunden, die sicher vom Erdbeben beim Einsturz des Hauses überrascht wurde. Der Mann hat sich in rührender Weise über die Körper seiner Frau und seines Kleinkindes geworfen, um sie vor den herabfallenden Steinen zu schützen. Der Mann war um die 25, die Frau 19 und das Kind höchstens eineinhalb Jahre alt. Eine Tragödie vor 1640 Jahren. Man nennt sie „Romeo und Julia von Kourion“. Wenn ich das noch weitergeben darf, was ich im Baedeker las: „Im benachbarten Stall lagen die Skelette eines 13jährigen Mädchens und eines Esels. Die Untersuchungen ergaben, dass das Mädchen schon vor dem Erdbeben tot war. Vermutlich war der Esel vor Ausbruch des Bebens unruhig geworden. Das Mädchen wollte nach ihm schauen und wurde von Hufschlägen des sich aufbäumenden Tieres getroffen, bevor dann der Stall über ihnen zusammenstürzte. Der Esel war noch mit einer Eisenkette an einem 360 kg schweren Futtertrog aus Kalkstein angekettet. Die beiden Halfterringe, einer aus Eisen, einer aus Bronze, waren an seinem Maul.“ Die Geschichte der Menschheit ist immer eine Geschichte von Katastrophen gewesen. Die haften im Gedächtnis an die Skelette einer Kleinfamilie Altvorderen. In ihr spielen auch die Religionen eine große Rolle. Museum Episkopi Foto Baedeker © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 102 So fanden wir christliche Symbole wie den Fisch als Mosaik. Er erinnert an die neutestamentliche „Speisung der 5000“ am See Genezareth. Die Mauern des Eustólios- Hauses stoßen direkt an die Außenwand des Amphitheaters, das im grellen Sonnenlicht liegt. Trotz Hitze steigt uns Antonio voran, einen der fünf Gänge hinab. Das Amphitheater Wir nehmen auf den harten Steinstufen Platz und empfinden es nach, wie es wohl gewesen sein musste: Mehrere Tausend Menschen versammeln sich, vielleicht in der Dämmerung eines warmen Tages. Erwartungsvolles Gemurmel. Dann zeigen sich vorn auf der Skene, das ist ein hoher Aufbau, der heutigen Bühne ähnlich, der bis in die Höhe der letzten Sitzreihen reichte, die ersten Protagonisten. Beifall rauscht auf. Über der Skene versinkt das noch blaue Meer langsam im Schatten des Abends. Fackeln sind angezündet. Ein Chor tritt auf. Man spielt die jahrhundertealte Tragödie „König Amphitheater von Kourion Ödipus“ von Sophokles. Es wird still im Rund. Der Wind ist nur noch eine schwache Brise und weht vom Meer, trägt den Gesang hinauf bis in die letzten Ränge. Danach treten die ersten Mimen auf. Alle Schauspieler sind Männer. Frauen dürfen nicht auf die Bühne. Die Schauspieler tragen Masken. Mit ihnen lassen sich Gute und Böse trennen. Männer tragen dunkle Masken, „Frauen“ weiße, so kann man auch die Geschlechter erkennen. Wieder marschiert ein Chor von links, die Feinde. Ein weiterer Chor, von rechts kommend, signalisiert den Zuschauern freunde. Sie singen gegeneinander. Einzelauftritte: Huldigung, Verrat, Brudermord. Der König der Feinde wird Sieger. Schlusschor. Pfiffe ertönen, Geschrei von den Rängen. Das Stück fiel durch. Da wurde kein Unterschied gemacht, ob die Handlung schlecht geknüpft war, ob die Mimen versagten, die Verse unverständlich waren. Das Publikum entschied. Das Stück wird nie mehr gespielt werden. Nun sitze ich hier und träume in der gleißenden Sonne. Im Nahen Osten habe ich schon manche Theater gesehen, in Bosra und Palmyra (Syrien), Byblos (Libanon), Amman, Petra und Jerasa (Jordanien), Pergamon und Ephesus (Türkei). Alle haben mich fasziniert, haben meine Phantasie auf den Plan gerufen. Die Schauspielkunst ist wie gespielte Musik. Worte und Gesang klingen auf, verwehen, erreichen die Sinne der Menschen, aber versinken mit deren Erinnerung im Staub der Vergangenheit. Erst heute fand man mit Film und Elektronik Mittel, Theater zu konservieren. Aber was weiß man noch von den Anfängen? Nichts. Wenig. Viel zu wenig. Natürlich ist einiges überliefert. Die großen Zeiten der klassischen hellenischen Theaterkunst haben sich gewandelt. Vielleicht haben religiöse Themen auf der Bühne die mythologischen abgelöst. Nur wenig an Schriftgut ist auf uns gekommen. Erhalten haben sich bis heute einige griechische Stücke des Aischylos 43 (Sieben gegen Theben, Die Perser) und eben von Sophokles 44 (Elektra, Ödipus auf Kolonos). Ich träume weiter. Die alten Griechen haben die Theaterkunst entwickelt. Wann sie genau ihren Anfang nahm oder mit welchem Ereignis, das kann heute niemand schlüssig sagen. Aus der hellenischen 43 Aischylos, der älteste der großen griechischen Tragödiendichter, * 525/524 v. Chr. Eleusis, † 456/455 v. Chr. Gela, Sizilien; kämpfte in den Perserkriegen mit, Liebling der Athener (oftmaliger Sieger im Wettkampf der Tragiker). Von den über 70 dem Titel nach bekannten Stücken sind 7 ganz, von dreien größere Bruchstücke erhalten; sie zeigen in kühner, bilderreicher Sprache die Gerechtigkeit der göttlichen Weltordnung: „Orestie“ (Trilogie), „Der gefesselte Prometheus“, „Die Perser“, „Sieben gegen Theben“, „Die Schutzflehenden“. 44 Sophokles, griechischer Tragödiendichter in Athen, * um 496 v. Chr., † um 406 v. Chr.; Schauspieler, wiederholt in hohen Staatsämtern (Schatzmeister, Stratege). Die attische Tragödie entwickelte Sophokles durch Einführung des 3. Schauspielers, Vergrößerung des Chors und Lösung des Einzelstücks aus dem Zusammenhang der Trilogie über seinen Vorgänger Aischylos hinaus. Von über 100 Stücken sind 7 vollständig erhalten, deren Größe in der Charaktergestaltung liegt: „Aias“; „Antigone“; „Elektra“; „Ödipus Tyrannos“; „Trachinierinnen“; „Philoktet“; „Ödipus auf Kolonos“; dazu kamen durch Papyrusfunde rund 400 Verse des Satyrspiels „Ichneutai“. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 103 Kultur des Ackerbaues war es zunächst dieser Kult an die Fruchtbarkeit der Erde, dem man huldigte. Bekannt ist der Dionysos- Kult, der nach dem Mythos den Griechen den Weinbau brachte. Das war etwa in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts vor Christus. Umzüge, auf denen der Gott Dionysos mitgeführt wurde, sind erste theatralische Vorstellungen, Dionysien wurden gefeiert, Feste zu seinen Ehren. Auch der Demeterkult wurde zum Grund für Aufführungen. Die Demeter als Urmutter der Natur war verantwortlich für den Wechsel der Jahreszeiten, siehe das Schicksal der Persephone! Gesänge und Totenrituale mögen eine Vorstufe für die späteren Tragödien gewesen sein. Die von Mund zu Mund weitergegebenen Geschichten der olympischen Götterfamilie, die immer mehr im Volksmund zu einem schlüssigen Komplex von Symbolfiguren für alle konkreten und abstrakten Lebensformen wurden, speisten die Phantasie der frühen Dichter, die diese Geschichten in künstlerische Verse gossen. Das athenische Dionysostheater am Südhang der Akropolis, das schon im 5. Jahrhundert v.u.Z. bestanden hatte, nahm zum Beispiel 17 000 Zuschauer auf. Das im arkadischen Megalopolis aus dem 4. Jh. v.u.Z. hatte sogar Platz für 44 000 Zuschauer. Brot und Spiele, war die Devise der Römer. Zu den Spielen zählte auch das Theater. Also Theater gab es schon vielleicht vier-, fünfhundert Jahre, als in Kourion diese Stätte gebaut wurde. Auf eine kleine hellenische Spielstätte aus dem 2. Jh. vor bauten die Stadtkönige von Episkopi und Kourion im 2. Jh. nach der Zeitenwende ein größeres Theater, das die heutigen Abmessungen hat. Meine Gedanken gingen mit mir durch, als ich so auf den harten Stufen saß und die Sonne auf mich hernieder brannte. Was hat sich hier nicht alles abgespielt, im wahrsten Sinne des Wortes! Ich setze bewusst ein Ausrufezeichen. Zweitausend Jahre Antikes Theater von Kourion. Freilichtbühne. Wir gehen weiter. Jetzt erst erlebe ich die Ausdehnung des archäologischen Grabungsgeländes. Bis zum antiken Stadion zieht es sich auf etwa 1,5 km hin. Der erste Eindruck für mich war ein unübersichtliches Feld von Mauern, Säulen, Bögen, Straßen und Plätzen, das sich bestimmt nicht in einer halben Stunde dem Besucher erschließt. Die Besichtigung einer solchen Anlage geht immer einher mit der Voraussetzung, dass man zumindest etwas Bescheid weiß über die Zeit, in der in diesen Mauern Leben herrschte. Was also war hier los? Lassen wir alles beiseite, was vor den großen Erdbeben im 4. Jahrhundert geschah. Viele Städte und auch Basiliken werden danach neu gebaut. Beginnen wir in der byzantinischen Zeit. Die Kirche auf Zypern erhält im 5. Jahrhundert n. Chr. volle Autonomie. Der Erzbischof darf einen Purpurmantel und anstelle des Hirtenstabes ein Zepter tragen. Das geschah mit Erlass des Kaisers Zeno nach der Auffindung des Grabes des Heiligen Barnabas 45 . 647 wird Zypern von den Arabern unter Muawiya überfallen. Und noch drei Jahrhunderte danach ist Zypern immer wieder den Einfällen von Arabern und Piraten ausgesetzt, bis Nikophoros Phokas sie endlich 965 aus Kleinasien und Zypern vertreibt. Dann ist für zweihundert Jahre relative Ruhe. Stadtkönige regieren die Menschen auf der Insel, die Bischöfe deren Seelen. Bis die Kreuzritter um 1190 kommen. Doch diese Geschichten habe ich bereits erzählt. Ein bedeutender Komplex ist die Episkopal- Basilika aus dem 5. Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Sie ist eines der wichtigsten frühchristlichen Zeugnisse auf Zypern. 45 Barnabas, zeitweise Mitarbeiter des Apostels Paulus, vertrat mit ihm die Belange der nichtjüdischen Christengemeinden auf dem sog. Apostelkonzil (Apostelgeschichte des Lukas 4,36 f., 15,1 ff.; Brief des Paulus an die Galather 2,1 ff.); Heiliger; Fest: 11. 6. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 104 Kourion, Frühchristliche Basilika Sie war 55 m lang und, dreischiffig, 37 m breit, mit einer halbrunden Apsis. Im Osten befand sich ein Portikus oder Narthex, durch den man in die Kirche gelangte. Ein Baldachin, getragen von vier Säulen, deren Fundamente man noch sieht, überspannte den Altar. Im Westen der Basilika schließt sich ein Atrium an, daneben eine weitere Kapelle, das Haus des Diakons, der Bischofspalast und die Taufanlage (Baptisterium) mit Kapelle und Kruzifixwand. Während des zweiten arabischen Einfalles im Jahre 654 wurde die Anlage zerstört. Sie wurde wieder in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts noch für eine Zeitlang genutzt und begann danach im späten 7. und frühen 8. Jh. zu Kourion, Reste der frühchristlichen Basilika verfallen. Auf dem großen Gelände finden sich die Reste einer griechischen Agora wie die auch eines römischen Forums, entstanden vor 365 v.u.Z. Säulen dokumentieren die Grenzen wie auch Händlerhäuser und Ladenstraßen. Eine Patrizierfamilie hat ein Atriumhaus gebaut, in dem ein sehr schön erhaltenes Mosaik den Kampf eines Gladiatoren (ΛΥΤΡΑΣ, Lytras = Kämpfer) gegen einen Gegner darstellt, von dem nur noch wenig zu sehen ist. Aber die Gestalt des Schiedsrichters (ΔΑΡΕΙΟΣ, Darios = Schiedsrichter) ist wunderbar zu sehen. Er hebt die Hand, versucht den Kourion, Haus des Gladiators, Mosaik Kämpfer zu beruhigen, entscheidet – oder zählt? Die Ruinen sind wegen des Mosaiks mit Zeltkonstruktion und Holz überdacht. Es ist das Haus des Gladiators. Leider blendet die Sonne stark und lässt dem Fotografen keine Chance. Antonio führt uns noch bis zum Achilles- Mosaik. Ein Schutzdach, ein Laufsteg als Umgang. Die Leute der Gruppe drängen sich um die besten Fotopositionen. Antonios Erklärungen verwehen im Wind. Ich muss mich selbst orientieren. Es ist ein Gebäude auch aus dem 4. Jahrhundert nach Christus. Der Hof wird an zwei Seiten von zimmern und dem Portikus mit dem stark beschädigten Achilles- Mosaik begrenzt. Diese liegt voll in der Sonne. Keine Möglichkeit für ein gutes Bild. Kein Kontrast. Der Gladiator Margaritis kämpft gegen Aber es erzählt eine schöne Geschichte aus der den „Griechen“ (Ellinikos) Mythologie: Achilles wird von seiner Mutter Thetis in das Haus des Königs Lykomedes von Skyros geschickt, um dort als Mädchen verkleidet mit den Töchtern des Königs aufzuwachsen. Thetis wollte verhindern, dass er nicht im Kampf um Troja teilnimmt und dort stirbt, wie es ihm bestimmt war. Doch Odysseus braucht Achilles, da ohne ihn Troja nicht zu besiegen war und wählt eine List. Er kommt mit Geschenken beladen, unter denen sich auch Waffen befinden, an den Hof des Königs von Skyros, nimmt ein Kriegshorn und bläst wie von ungefähr zum Kampf. Da greift Achilles zu den Waffen und verrät sich damit. Diese Szene ist auf dem Mosaik dargestellt. Der Kampf um Troja ist schon im 5. Jahrhundert eine berühmte und allseits bekannte Legende. Langsam begeben wir uns auf den Rückweg durch das Ruinengelände, das mit einigem Aufwand noch besser restauriert und seine ursprünglichen Lebensfunktionen noch mehr sichtbar gemacht werden könnte. Wir gehen über das römische Forum, die Agora, den Markt. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 105 Ein wunderbarer Blick öffnet sich noch einmal, er geht hinaus aufs blaue Meer, auf die Bucht von Episkopis. Die tief stehende Oktobersonne lässt die Säulenstümpfe und hier und da einsam aufragende Palmen lange Schatten werfen. Bestellte Felder und grüne Haine, Felshänge, die in der Ferne immer steiler ins Meer fallen und das blaue Wasser, wo sich am dunstigen Horizont Himmel und Flut vereinen, gestalten zusammen mit der Ruhe, die dieser jetzt einsame Ort aussendet, einen eigenartigen Reiz. Dann werde ich angetrieben. Die anderen von der Gruppe sind schon weit vorn. Die Herde folgt unaufhaltsam ihrem Führer. Sie kommt mit kargem Futter aus, nippt nur hier und da vom Hingereichten und ist damit zufrieden. Blick von der Ruinenstätte Kourion zur Bucht von Episkopis Warum nicht. XXIV. Aphrodite W eiter ging die Fahrt nach Westen auf der Küstenautobahn. Britische Siedlungen tauchen auf. Wir erfahren, dass sich die Engländer hier durch Verträge auf alle Zeit eingenistet haben. Das Gebiet gehört noch zu dem Akrotiri- SBA, dem Sovereign Base Area der Halbinsel Akrotiri. Die Engländer haben sich völlig autarke Siedlungen gebaut, mit Kirchen, Einkaufseinrichtungen, Sportstätten, Krankenstationen und allen urbanen Möglichkeiten. Sie leben wie auf einer Insel auf der Insel eine eigenständige Stadt im Staate, eine Diaspora, sie schwärmen natürlich aus und nehmen sich alle Rechte, die die Insel- Zyprer auch haben, für den freien Zugang im Land und leben wie die Drohnen im Bienestock, ohne den Zyprern zu nutzen. Doch ehe wir auf die Autobahn auffahren, sehen wir noch die Umrisse des großen antiken Stadions, das 1 km westlich der Ausgrabungen liegt. Es wurde vom 2. bis zum 5. Jahrhundert von Kourion genutzt, um militärische Siege oder religiöse Feste zu feiern. Es ist bald 200 m lang. Auch auf die Reste eines Apollon- Tempels verweist Antonio und zeigt in die Richtung, wo sie liegen. Es ist ein weiteres Halb- Tagesprogramm, wollte man dort alles besichtigen. Ein Rundheiligtum aus der Zeit 6. Jahrhundert vor Chr. und ein archaischer Steinaltar aus dem 7. Jh. v.u.Z. sind die ältesten Relikte. Wir halten an einem touristischen Rummelplatz rechts der großen Hauptstraße. Hunderte parkende Autos, Verkaufsbuden, lärmende Menschen. Wir steigen aus. Ein Tunnel unter der Straße führt zum Strand zum Felsen der Aphrodite, wo der Sage nach diese Göttin der Liebe, Erotik und Fruchtbarkeit geboren und in Schaum gebadet dem Meere entstiegen sein soll. Dieser Felsen ist Pilgerstätte für alle Zypernbesucher. Vor allem mit den wechselnden Lichtverhältnissen ist er immer wieder lockendes und lohnendes Foto- Objekt. Wir stapfen und waten über grobkiesigen Strand, an dem sich wabernde Tangschwaden im Takt der kleinen Wellen reiben, die das bewegte warme Wasser hin und zurück treibt. Ich eile schnell ans Wasser hin, stolpere über das bisweilen faustgroße Geröll und suche nun den Aphrodite- Felsen, aufgeregt, nun auch hier zu sein, kann ihn aber nicht so recht ausmachen, da vor dem Strand noch andere, mehr oder weniger große Felsengruppen oder einzelne Felsen stehen, an denen sich die Wellen brechen. Jeder kann es sein. Da sehe ich ihn, den Felsen der Aphrodite. Manchmal spricht die Literatur auch in der Mehrzahl von den Felsen der Aphrodite. Keiner weiß es genau, wo es nun passiert ist. An diesem Gestade soll sie sich vollzogen haben, die sagenumwobene Geburt der Aphrodite, wie sie in der griechischen Mythologie heißt oder der Venus, wie die Römer sie nannten, die Göttin der Liebe, der Schaumgeborenen. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 106 APHRODITE, die Göttin der Schönheit und der Liebe Griechische Mythen scheinen oft ungeheuer grausam und spiegeln unbeschönigt die Abgründe und Turbulenzen des menschlichen Daseins in Gestalt der olympischen Götter und Heroen. Und so liest sich auch der Geburtsmythos der schaumgeborenen Liebesgöttin Aphrodite, Teil einer urzeitlichen Schöpfungsgeschichte, wie eine atemberaubend grausige Familientragödie. Schuld war, so scheint es, der Himmelsgott und Unhold-Vater Uranos, der mit Gaia, der Erde, allnächtlich Kinder zeugte. Doch weil er seine Nachkommen hasste, verbarg er sie in einer dunklen Höhle und ließ sie nie ans Licht. Gaia zürnte dem Gatten, verschaffte sich eine riesige Sichel und wandte sich an ihre Söhne, den Vater zu bestrafen. Kronos war es dann, der die Tat ausführte: Er entmannte Uranos, als dieser sich gerade wieder einmal mit Gaia vereinen wollte, und warf die abgeschnittene Männlichkeit ins Meer, wo sie lange hin und her getrieben wurde. Weißer Schaum, Aphros, bildete sich um sie aus der unsterblichen Haut. Ein Mädchen entsprang und wuchs groß darin. Und wie so oft- das Schreckliche war des Schönen Anfang: Auf Zypern, wo die nackte Aphrodite dem Meer entstieg, wurde sie dann von den Horen bekleidet und bekränzt und geschmückt und bei den Göttern eingeführt. Alle küssten sie und wünschten sie zur Frau in ständiger Ehe. Der Glückliche aber sollte erstaunlicherweise Hephaistos sein, Gott der Schmiede und der Hässlichste im Olymp. Kein Wunder, dass die schöne Aphrodite diesem Mann, der seine Werkstatt in einem Vulkan selten verließ, bald den schmucken Kriegsgott Ares als ihren Liebhaber vorzog ... Aphrodite, die Tochter des Zeus und der Dione, war die Göttin der Liebe und der Schönheit. Der hinkende und hässliche Schmiedegott Hephaistos war ihr Gemahl, doch gehörte ihre Liebe dem Kriegsgott Ares. Diese Aufsehen erregende Affäre trieb den Gatten zu rasender Eifersucht. Daher wob er ein Zaubernetz, mit dem nur Hephaistos umzugehen verstand. So fing er die Gattin und ihren Liebhaber, als sie gemeinsam das Ehebett entehrten. Anschließend gab er sie dem Gelächter der Götter preis, die Hephaistos eigens zusammengerufen hatte. Aus dem Verhältnis zwischen Aphrodite und Ares gingen mehrere Kinder hervor, so Eros und Anteros (die griechischen Begriffe für ,Lieben’ und ,Geliebt werden’), Phobos und Deimos („Furcht“ und „Schrecken“), Harmonia, die spätere Gemahlin des Königs von Theben, Kadmos, sowie zuletzt Priapos, der Gott der Gärten. Unter ihren irdischen Liebhabern nahm der edle trojanische Held Anchises einen wichtigen Platz ein. Aus dieser Verbindung wurde Aineas geboren, dessen Geschlecht der spätere Gründer von Rom angehören sollte. Die Rolle, die Aphrodite im Trojanischen Krieg spielte, war keineswegs nebensächlich und beschränkte sich mit Sicherheit nicht auf ihre folgenschwere Liebesgeschichte mit Anchises. In gewisser Hinsicht war es gerade die Schönheit der Göttin, die den Krieg auslöste. Und das kam so: Am Tag der Hochzeit zwischen Peleos und Thetis, den künftigen Eltern des großen Helden Achilles, warf Eris (die Zwietracht) den Göttinnen Hera, Athena und Aphrodite einen Apfel zu, welcher der Schönsten unter ihnen zugedacht war. Zeus wünschte, dass der junge Prinz Paris aus Troja die Siegerin bestimmen sollte. So erschienen alle drei Göttinnen bei ihm in Troas. Eine jede rühmte ihre eigene Schönheit und bot Paris verlockende Gaben an. Hera versprach dem jungen Prinzen die Herrschaft über ganz Asia, Athena Unbesiegbarkeit im Krieg, doch Aphrodite übertraf ihre Rivalinnen, denn sie versprach ihm die Hand Helenas, der schönsten Frau der Welt. So gewann die Göttin den Preis der Schönheit, und wegen Helena entbrannte dann der berühmte Trojanische Krieg. Im Verlauf der Kriegsereignisse nahm Aphrodite stets für Troja Partei, und obwohl sie den Untergang der Stadt nicht verhindern konnte, gelang es ihr doch, das trojanische Geschlecht überleben zu lassen. Aphrodite (Αφρoδιτη) steht in der griechischen Mythologie neben der Liebe und der Schönheit auch für die sinnliche Begierde. Ursprünglich zuständig für das Wachsen und Entstehen, wurde sie erst später zur Liebesgöttin, die sich in allen polytheistischen Religionen findet: In der römischen Mythologie entspricht ihr Venus, in der ägyptischen Hathor, und in © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 107 der germanischen Mythologie Freya. Auch die anderen frühen Völker haben sie benannt und verehrt: • nordisch – Frigg • persisch – Mitra • babylonisch – Ishtar • arabisch – Alilat • sumerisch – Inanna • armenisch – Anaitis • phönizisch, syrisch, westsemitisch – Astarte • skytisch – Argimpasa • assyrisch – Mylitta • etruskisch – Turan Nach Hesiod 46 ist sie die Tochter des Uranos, dem sein Sohn Kronos die Geschlechtsteile abschnitt und ins Meer warf. Der Samen vermischte sich mit dem Meer, schäumte auf und daraus entstand Aphrodite, die dann in Zypern an Land ging. Dieser Mythos, dem sie auch den Beinamen "die Schaumgeborene" verdankt, wurde aus dem Wortstamm αφρος (aphros) (Schaum) konstruiert. Man geht heute aber davon aus, dass diese Verbindung etymologisch unhaltbar und der Name Aphrodite möglicherweise gar nicht griechischen, sondern orientalischen Ursprungs ist. Allerdings gibt es auch andere Mythen über die Abstammung der Göttin: Nach Homer ist sie eine Tochter von Zeus und Dione, andere berichten wieder, sie sei in einer Muschel geboren, wie sie auch Botticelli darstellt. Eine weitere Quelle nennt sie gemeinsam mit den Erinnyen und den Moiren als Tochter des Kronos. Verheiratet war Aphrodite mit Hephaistos, dem Gott der Schmiede und des Feuers, den sie allerdings ständig mit Sterblichen und Unsterblichen betrog. So pflegte sie eine lange Beziehung zum Kriegsgott Ares, aus der Eros, Harmonia, Phobos, Deimos und Anteros entstanden. Einmal aber wurden die beiden Liebenden von Hephaistos in flagranti in einem Netz gefangen. Als er sie so den anderen Göttern Aphrodite wird aus einer Muschel geboren, die aus präsentierte, erhoben diese das sprichwörtliche dem weißen Schaum der Meereswellen auftaucht. Terrakotta, 4. Jh. v. Chr., Athen, „homerische Gelächter“. Archäologisches Nationalmuseum Aus ihrer Affäre mit dem Trojaner Anchises ging Aineas hervor, Held im Trojanischen Krieg, der dann zu den Stammvätern der Römer gehören sollte. Außerdem zeugte sie mit Dionysos den Priapos und mit Hermes den Hermaphroditos. Außerdem hatte sie eine Affäre mit dem schönen Adonis, der jedoch vom eifersüchtigen Ares in Form eines Keilers bei der Jagd getötet wurde. Mythen Der Sage nach soll Aphrodite den Trojanischen Krieg ausgelöst haben, indem sie dem Trojaner Paris dazu brachte, die schöne Helena zu rauben. Als der Krieg ausgebrochen war, unterstützte sie, gemeinsam mit Ares, Troja nach Kräften. Die Göttin wird oft in Verbindung zu Tauben und Sperlingen gebracht, aber auch die Schildkröte kann ihr Symbol sein. Besonders ist sie die Göttin der Blumen, Bäume und Früchte, besonders Myrte, Rose, Anemone, Zypresse, Linde und Apfel. Ihren unwiderstehlichen Liebreiz verdankte sie ihrem magischen Gürtel der Aphrodite, den sie auf Bitten sogar gelegentlich auslieh. Eines der Hauptzentren der Verehrung der Aphrodite war die Stadt Paphos auf Zypern. Deshalb ist ein weiterer Beiname der Göttin „die Paphische“ (Paphia) und Kupfer (griechisch kypros) ist das ihr heilige Metall. Später wurde der Aphroditetempel von Paphos in ein Heiligtum der Jungfrau Maria umgewandelt, wo die Muttergottes bis heute als Panhagia Aphroditessa verehrt wird. 46 Hesiod, griechisch Hesiodos, griechischer Epiker, um 700 v. Chr.; aus böotischem Bauerngeschlecht; verfasste als Anleitung für bäuerliches Arbeiten das Lehrgedicht „Werke und Tage“, in dem er zu Arbeit und Gerechtigkeit aufruft, und die „Theogonie“, die den Ursprung der Götter und die Weltentstehung darstellt. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 108 Ein anderes Heiligtum der Aphrodite gab es in Kleinasien in der Stadt Aphrodisias. Aspekte & Mehrgestaltigkeit Es scheint, dass der Ursprung ihrer Verehrung bereits in die Epoche zurückfällt, in welcher die Griechen noch mit den übrigen indogermanischen Völkern eine Einheit bildeten; denn wir finden bei der Mehrzahl dieser Völker eine ihr wesensverwandte Göttin. Aber diese ursprüngliche Gestalt ist auf den Inseln und dem Festland von Griechenland durch orientalische, besonders vorderasiatische und phönizische, Einflüsse stark verwischt worden. Vielfache Züge der semitischen Astarte (Aschera, griech. Aschtaroth) wurden in die Aphrodite hineingetragen. Wie diese wurde sie bewaffnet dargestellt. Als solche hieß sie Areia und wurde zur Geliebten des Ares, zu welchem sie auch schon insofern in Beziehung stand, als er Gott des Gewitters und somit auch der Befruchtung der Erde ist. Aphrodite, Manuskript des Später haben sich hauptsächlich drei Formen der Aphrodite Gregor Nazianzus , 12. Jh. herausgebildet, man kann auch sagen eine panhellenische Kloster Agios Panteleimon, Athos dreifache „Große Mutter“. In Homers Hymnos erscheint die Göttin als „Herrin der wilden Tiere“, die sich auf ihren Wink paaren. Besonders wurde jedoch die Göttin der Liebe nach zwei Aspekten unterschieden der „heiligen, himmlischen“ Aphrodite Urania und der „dem ganzen Volk gehörenden“ Göttin Pandemos. Man spricht auch in diesem Zusammenhang von einem Dualismus der Aphrodite. Platon interpretierte diese als eine homosexuelle und eine heterosexuelle. „Die heilige Liebe“ („sakral“): 1. Urania (Venus caelestis), „Die Himmlische“, „Die Himmelsgöttin“ steht für „die reine, himmlische, edle Liebe“. Als Urania wurde sie zur Adoptivtochter des Zeus als des lichten Himmels und der Dione (Erdgöttin „Mutter des Universums“), der weiblichen Ergänzung desselben Aphrodite Dione gemacht und gern auf den lichten Höhen (akroi) der Berge verehrt, daher auch Akraia genannt. Als solcher dient ihr der Polos (oder Modius), ein runder, hoher, scheffelartiger Aufsatz, das Abbild des Himmelsgewölbes, und in gleicher Anschauung, die Schildkröte als Symbol. 2. „Die irdische Liebe“ („profan“):Pandemos „die bei jeglichem Volk“, also auf Erden waltende, repräsentiert „die sinnliche, käufliche Liebe“. Platon beschreibt sie als die Göttin der „gemeinen Sittlichkeit“, andere Quellen sprechen davon, dass sie die Schutzherrin der Tempelprostitution gewesen sei. Aber auch der menschlichen Zeugung steht sie vor. Sie wurde auch die Göttin (Porne „die Kitzlerin“) der Hetären und Lustknaben, ähnlich wie im Mittelalter die büßende Magdalena die Schutzheilige der Dirnen war. 3. Peitho „die Überredung“ steht sie für die „Überredungskünste eines erotisches Abenteuer“. Sie verkörperte somit die süßen Worte, die ein Liebender finden musste, um die Geliebte zum Sex zu überreden. 4. „Beschützerin der Seefahrt“: Pontia, Thalassia (Venus marina), Anadyomene „Die aus dem Meer Auftauchende“, Limenia „Göttin des Meers und des Hafens“ (póntos bzw. thálassa). Als Pontia stand sie ursprünglich nur der Fruchtbarkeit der Tierwelt des Meers vor, wurde aber allmählich zur Meergöttin überhaupt, besonders zur Göttin der Meeresstille und glücklichen Meerfahrt Euploia (bei den Gnidiern) sowie der Häfen. So wurde Thalassa („die See“) ihre Mutter genannt und sie selbst oft mit Poseidon zusammen verehrt. Als einen der bemerkenswerten Tempel der Aphrodite Pontia wird der in der Stadt Hermione auf dem Peloponnes erwähnt. Eine ältere, prähellenische Manifestation der Aphrodite, welche nicht unbedingt im Einklang mit ihrer späteren Rolle als griechische Liebesgöttin steht, gehört neben einer erschaffenden zu © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 103 einer zerstörenden „Großen Göttin“. Sie wird auch als eine Form der Anpassung der dreifachen Göttin Moira(e) (Trinität) gedeutet. • „Die Bewaffnete, Zerstörende“: Androphonos „Die Männermordende“, repräsentiert einen Titel ihrer älteren Manifestation, der ihr als „Zerstörerin“ oder „Totengöttin“ verliehen wurde. • Skotia „Die Dunkle“ • Epitymbidia die „Göttin der Gräber“ und Meiboea die „Bienenkönigin“, die ihre Liebhaber kastrierte und durch Aussaugen tötete. Weitere Beinamen, diesem Aspekt zugeordnet, sind: Hoplismene („die Bewaffnete“), Areia (von Ares „die Kriegerische“), Enoplios (Waffen Haltende), Anosia (Unheilige), Basilis (Königin), Eleemon (Gnädige), Xenia, Summakhia (Verbündete im Krieg). Die Stadt Paphos auf Zypern (Kypros), war eines der Hauptzentren der Verehrung der Aphrodite. Daher der weitere Beiname der Göttin Paphia „die Paphische“. Kupfer und Zypresse sind ihr heilig (griechisch kypros wird auch als Henna- Pflanze gedeutet). Pan lauert der tugendhaften Aphrodite Später wurde der Aphroditetempel von Paphos in ein auf, die ihn mit einer Sandale zurückweist. Heiligtum der Jungfrau Maria umgewandelt, wo die Marmorne Skulpturengruppe, etwa 100 v. Chr. aus Delos Muttergottes bis heute als Panhagia Aphroditessa Athen, Archäologisches Nationalmuseum verehrt wird… Genug des mythologischen Geschwafels. Wir wissen nun fast alles über meistgeliebte Göttin des Altertums. Ich rannte also an den Strand, weil ich bemerkte, dass die Mehrheit der Gruppe wahrscheinlich wegen der Schuhe und des Kieses – nicht weiter heranging. Einer dieser Felsen musste es sein! Bald machte ich mir klar, dass man einen festen Ort überhaupt nicht festgelegt hat und wenn, dann kann man jeden anderen Felsen hier dagegen halten und behaupten, er wäre es gewesen, bei dem die Dame dem Wasser entstiegen ist. An dieser Küste soll es aber gewesen sein. Badegäste und Strandläufer streiften trotz des steinigen Ufers vorbei. Es war ein Wetter, wie es schöner zum Baden nicht sein kann. Das Wasser noch warm, die Luft nicht mehr so heiß. Ideal. Ich tauchte die Hand ins Wasser. Glasklar und sauber, mit leichtem Geruch nach Tang, schwappten die kleinen Wellen des Mittelmeeres mir um die Füße. Trennung und zurück. Am Kiosk, wo einige ein Eis verzehrten, rang ich mich zum Kauf einer AphroditeFigur durch, bezahlte 12 € und freute mich mit Martina über das Andenken. Die Pause wurde beendet. Wir fuhren weiter. Unterwegs streiften wir erneut, leider nur in der Vorbeifahrt, ein Heiligtum, das mit Aphrodite zu tun hat. Das unscheinbare Dorf Koúklia war in der Antike Schauplatz der großen Aphrodisien, Feierlichkeiten zu Ehren der Göttin der Liebe, Erotik und Fruchtbarkeit. Dieses wichtige Heiligtum existierte schon in der Bronzezeit. Historisch belegt ist eine Siedlung seit dem 15, Jahrhundert v. Chr. Auch aus der Römerzeit ist wenig bis nichts erhalten geblieben. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 104 Der Ort mit dem Aphrodite- Heiligtum hieß Paläa Paphos. Bis ins 4. Jh. n. Chr. blühte Paläa Paphos als Pilgerstätte. Aus aller Welt kamen sie, um in großer Prozession durch die heiligen Gärten zu den Feierlichkeiten zu ziehen. Die Mysterienfeiern dauerten mehrere Tage. Man badete zuerst im Meer nach vorgeschriebenem Ritus. In die Aphrodisien bezog man auch Adonis ein, den schönen Liebhaber der Aphrodite. Höhepunkt der Feiern war die Heilige Hochzeit. Da vereinigte sich der Priesterkönig mit der Göttin in Gestalt einer Priesterin. Den heiligen Stein salbte man mit Öl und brachte Aphrodite Opfer aus Weihrauch, Parfüms, Balsam und Honigplätzchen dar. Ein wichtiger Bestandteil der Aphrodisien war die so genannte Tempelprostitution, die Herodot 47 im 5. Jh. v. Chr. beschreibt. Jede Frau hatte sich vor ihrer Ehe in der Nähe des Tempelbezirks einem Fremden hinzugeben. „Hat sich eine Frau hier niedergelassen, dann darf sie nicht eher nach Hause zurückkehren, als bis ein Fremder ihr Geld in den Schoß geworfen und ihr außerhalb des Heiligtums beigewohnt hat.“ (Herodot 1,119) „Meine Aphrodite“ Diese Sitte war wohl ein Initiationsritus für die Männer, während die Jungfräulichkeit der Frau eine Weihgabe für Aphrodite darstellte. Außerdem brachte sie dem Heiligtum wichtige Einnahmen. In römischer Zeit soll sich im heiligen Bezirk ein Orakel befunden haben. Verfolgten wurde hier Asyl gewährt. Im Mittelalter bauten die Lusignans und wahrscheinlich mit dem vorhandenen Steinmaterial über das Heiligtum eine Zuckerrohrfabrik. Unter augenzwinkerndem Schmunzeln- ein Schalk, wer Arges dabei denkt, schilderte Antonio diese heilige Prostitution, die allerdings mit Einführung des christlichen Glaubens langsam verschwand. Heute lebt sie wieder, aber ist nicht mehr heilig, sondern mit schmutzigem Geld verbunden. Wir sind gespannt auf Paphos, dann fahren wir auf breiter Straße durch die Stadt Paphos ins Hotel, das 7 km weiter draußen liegt. Plötzlich biegen wir nach links ab, fahren durch einen Bananenhain, wo die reifenden Fruchtstauden in blaue Plastiktüten eingepackt waren. Dann liegt es vor uns, das blaue Meer und wunderschön gelegen, erhebt sich das moderne Dreisterne- Hotel „Cynthiana“. Wir erhalten die Suite Nr. 405 mit Blick aufs Meer. Wir haben noch nie so komfortabel und schön gewohnt. Zwei Zimmer stehen zur Verfügung. Neben dem Schlafzimmer stehen im Wohnzimmer zwei Sofas und eine Couch, ein runder Tisch mit Rohrsesseln. Ein Balkon im Schlafzimmer erlaubt das Sitzen im Abendsonnenschein. Gegen 18.25 sinkt die Sonne hinter den Horizont und versinkt teils im Meer, teils hinter Palmen. Ich eile nach draußen und fotografiere die gepflegte Hotellandschaft und natürlich dann den Sonnenuntergang. Wir haben nun 5 volle Tage Zeit in oder besser in der Gegend von Paphos- im Traumhotel. 47 Herodot, griechisch Herodotos, griechischer Geschichtsschreiber, * um 485 v. Chr. Halikarnassos, Karien, † um 425 v. Chr. Thurioi, Unteritalien; unternahm ausgedehnte Reisen nach Persien, Ägypten, Babylonien, der Cyrenaica und an das Schwarze Meer. Das reiche historische und ethnographische Material verwendete er mit großer Erzählkunst in seinen 9 Büchern der Geschichte, darunter eine Beschreibung der Perserkriege bis 479. Das Streben nach historischer Wahrheit, nach Ordnung und Verarbeitung der Nachrichten macht ihn zum Begründer der kritischen Geschichtsschreibung. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 105 XXV. Pano Paphos Sonnabend, 7. Oktober 2006 Wir haben heute wieder einen „Tag zur freien Verfügung“, meines Erachtens eine Neuerung bei Kultur- und Rundreisen. Auf Nachfrage beim Reiseveranstalter hieß es, die Reisenden wollten es so. Ich nicht. Wir hatten heute die Aufgabe, den Tag sinnvoll zu nutzen. Während Martina aus Gesundheitsgründen das Baden meidet, erscheint es mir eine reine Zeitverschwendung, faul zwischen faulen Menschen auf einer Liege in der Sonne zu schmoren. Ich gehe gerne abends oder auch morgens schwimmen, bis die Luft knapp wird, erlebe das Wasser, tauche, pruste, wühle alle Schwimmarten durch. Dann wird es langweilig. Ich fühlte mich von der Reiseleitung allein gelassen. Carina, die uninteressierte Reisebegleiterin, verkrümelte sich. Nicht einmal ihre Zimmernummer wollte sie uns sagen. Ich hatte keine Lust auf Badeurlaub, obwohl ich gerne im Meer schwimme. Ich wollte ganz einfach nicht den Tag am Strand verbummeln. Ich wollte das Land kennen lernen. Deshalb bin ich hierher gekommen. Ich wollte die alte Kultur dieser Insel verstehen lernen, nicht mit genusssüchtigen Menschen im Wettbewerb um die modischen Freuden der Spaßgesellschaft treten. Von Antonio wussten wir, dass zwei Buslinien in die Stadt fahren, die 10 und die 15. Er hat uns auch auf den Markt in Pano Paphos, der Oberstadt von Paphos hingewiesen und dort eine Adresse genannt – ein Freund von ihm – wo wir preiswert essen gehen können. Wir laufen die etwa 1000 m zur Bushaltestelle, am Bananenhain vorbei, wo die reifenden Stauden hingen. Ähnlich wie in Ägypten wachsen hier die so genannten Kochbananen, die zwar süß aber kleiner sind als die uns geläufigen Sorten aus Südamerika. Ich denke, hier auf Zypern, wo das Wasser so knapp ist und die Luftfeuchte relativ gering, ist kein guter Platz für solcherart Obst. Es wird wohl vorwiegend zum Eigenverbrauch bestimmt sein. An der Hauptstraße hieß es aufpassen. Zur Haltestelle nach rechts in die Stadt mussten wir über die Straße hinweg- es ist Linksverkehr! Der Bus Nr. 10 rollte ein. 80 Cent zyprischen Geldes, also 1 Pfund 60 für beide, hatte ich bereits abgezählt und reichte es dem nervösen Fahrer. Die Fahrgäste waren vorwiegend Engländer, die sich ausnahmslos laut und vorlaut so aufführten, als wären sie noch die Herren im Lande. Viele Hotels am Meer beherbergen wahrscheinlich einheimische Engländer oder die auf Zypern angesiedelte. Ich hatte auch keine Lust zu fragen. Die 7 km bis in die Stadt kamen wir an vielen Hotels vorbei. Die Busfahrt währte etwa eine Dreiviertelstunde, mehr als 12 km, vorbei am Hafen und dann in einer großen Schleife bergwärts in die Oberstadt. Endstelle Agora. Marktplatz. Gegen 9.30 Uhr betraten wir das Gelände in der Oberstadt von Paphos, das einmal eine große Markthalle, zum anderen viele kleine Stände und Läden ihrer näheren Umgebung aufweist, so dass hier die Einheimischen, aber auch viele Touristen einkaufen. Entsprechend ist das Profil des Angebotes, Touristenkitsch und Waren des täglichen Bedarfes in herrlich bunter Mischung. Eine kleine verglaste Gemüsehalle steht separat. In ihr sitzen die Frauen und bieten ihre eigenen Erzeugnisse an, neben Obst und Gemüse auch Honig, Marmeladen, Nüsse und Näschereien, die Pano Paphos, Gemüsemarkthalle sie daraus gezaubert haben. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 112 Länger als eine Stunde schob und zwängte ich mich mit Martina durch die Massen, mehr ihr zuliebe. Heute ist Sonnabend, Wochenendeinkäufe sind vor allem für Frauen so etwas wie Panikkäufe, so als würde ab morgen Schluss sein mit dem Angebot. Ich muss nicht schildern, welch furchtbaren Kitsch manche Händler anboten und dem Besucher zumuteten. Aber ich konnte auch Kollektionen von allerfeinsten Gewürzen bewundern. Manches fein geformte Schachspiel hätte mir zugesagt- mir fehlt ein kompetenter Partner zu Hause und Platz, die Spiele aufzubewahren, sonst hätte ich eine Sammlung angelegt. Überhaupt Schachspielen. Wer pflegt es noch? Die Figuren sind den Göttersagen nachgestaltet, in Gussmetall, Holz oder Plastikmasse, aufregend schön. Bücherangebote fand ich nicht, außer einigen Prospektheften über die Insel. Dagegen Ansichtskarten en masse. Alles schien den Bedürfnissen der Frauen angepasst. Textilien jeder Art, vom Kunstpelz bis zum sparsamsten Bikini, Bademoden, Tücher, Spielzeug der Billigklasse, alles made in China. Ich fand kaum einheimische Erzeugnisse außer Stickereien aus Lefkara, und die waren entsprechend teuer. Ikonendrucke schienen als Andenken gut verkäuflich. Der Fischverkauf fand in einem besonders abgetrennten Gang statt. Es stank hier fürchterlich. Das Angebot war nicht üppig. Ich machte schnell, dass ich weiter kam. Nach der zweiten Runde durch das Labyrinth überzeugte ich Martina, dass es genug sei, wobei sie auch nach nichts Besonderem fahndete, sondern sich dem den meisten Frauen eigenen Genusse des Schauens und Probierens, des Vergleichens und Verwerfens, dem Aufgehen im Suchen und Aufspüren mit Eifer hingab. Vergrabene Wünsche brechen dann an die Oberfläche, bekommen Ableger. Ein Gedanke gebiert einen neuen. Farben locken, neue Moden. Die Augen wandern, die Finger hinterdrein, tasten, fühlen, probieren. Zum Beispiel bei der Oberbekleidung. Da muss ein Bügel gezogen werden, während die Augen schon das nächste Stück im Auge haben. „Darf ich mal anprobieren?“ Die Verkäuferin nickt, obwohl sie kein Deutsch versteht. Zu mir die Ansage: „Wartest du mal?“ Und verschwindet in einer Kabine. Kitzel des Unbekannten. Der Stoff duftet nach Parfüm, er greift sich weich, der Schnitt… „Ich mache schnell! Und der verblüffende, leise mir zugeflüsterte Zusatz: „Ich kaufe sowieso nichts!“ Wie beruhigend! Nun habe ich mindestens eine Viertelstunde Zeit, will mich gerade nach meinen Vorlieben umsehen, doch ich werde zurückgepfiffen: „Hältst du das mal!“ Der Vorhang schließt sich hinter Martina. Ich stehe, behangen mit Tasche und Rucksack etwas überflüssig davor und bin angenagelt. Hinter den Falten raschelt es. Die Garderobe wird hörbar abgeschält, die neue übergezogen. Minuten werden mir zu Ewigkeiten. Dann endlich fliegt der Vorhang zurück. Ich darf urteilen. Sie schaut mich an, erst fragend, dann verächtlich: „Du hast ja keine Ahnung!“, als sie mein mitleidiges Lächeln sieht. Trotzig dreht sie sich rum und wendet sich ihrem neuem Spiegelbild zu, dreht sich, spitzt den Mund, kämmt sich mit den gespreizten Fingern den Pony, dreht sich erneut, wechselt Stand- und Spielbein, betrachtet jetzt in Halbpirouette die Rückpartie, hört sich nun doch meinen Kommentar an. Ich bemäkele das Material. Wieder wird das am Spiegel überprüft, was ich Laie zu bedenken gebe. Sie würde es selbst bei Strafe nicht zugeben, falls ich Recht hätte, aber sie möchte mir ja auch gefallen! Ein Konflikt bricht aus. Ein Mann würde nun seine Entscheidung treffen. Entweder benötigt er das Teil und nimmt es, falls es passt, oder er lässt es. Ganz anders meine Martina. Jetzt geht es erst richtig los. Da © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 113 Farbe und Form nicht gleich einschlagen, aber irgendetwas an dem Teil seinen Reiz noch ausübt, muss ich nun die nächstkleinere oder nächstgrößere Größe aus dem Regal fischen, gewissenhaft zuarbeiten. Dabei bin ich immer noch Taschenträger. „Das kannst du wieder hinschaffen!“ Gibt mir zwei von den fünf Bügeln in die Hand. Ich bringe es wieder hin, hänge es ordentlich an seine Stelle, eile zur Kabine. „Das kannst du auch hinhängen. Bring mir noch einmal das erste!“ Das Prozedere beginnt von neuem. Und so weiter. Wir kauften schließlich etwas Honig aus heimischer Produktion. Martina ersteht für sich einen Halsring mit Simili- Gemme. Es ist heiß und staubig, viel Verkehr auf den Straßen Gott sei Dank verlassen wir den Markt. Ich weiß hier in Paphos nicht Bescheid. Ein Minarett ragt in den blauen Mittagshimmel. Ich steuere darauf zu. Die zugehörige Moschee steht unbenutzt. Außer Betrieb. Durch ein Fenster schaue ich hinein. Putz, Dreck, keine Teppiche, ausgeräumt. Leer. Gibt es keine Moslems in Paphos? Andere Minarette habe ich nicht gesehen. Hat man die Retourkarte gegen die türkischen Muslime gespielt? Was die Türken uns Griechen können, können wir ihnen auch? Ich bekam keine Antwort auf diese Fragen. Ein moslemischer Friedhof dicht bei der Moschee lag verwahrlost in der grellen Sonne. Dicht dabei träumte eine Autowerkstatt ihren Mittagsschlaf. Wir gingen zurück. Ich versuchte nun auf der anderen Straßenseite eine christliche Kirche zu finden, die als „Agios Kendeas Church“ auf meinem Stadtplan eingezeichnet war. Über mehrere Nebenstraßen erreichten wir sie. Spielende Kinder, paar Halbwüchsige, einige Frauen standen in den Hauseingängen. Die Kirche war geschlossen. Ein Zaun ringsum verhinderte erfolgreich ein Nähertreten. Wir beschlossen, zur Hauptstraße zurück zu gehen. Wir stiegen über Treppen hinunter. Das Tachydromeo, die Hauptpost, ist ein schönes Gebäude, im englischen Stil gebaut. Wir bummelten ein wenig durch die steil ansteigende Straße. Teure ausländische Marken haben sich hier angesiedelt und die einheimischen Kaufleute verdrängt. Autohäuser, Telefonanbieter, eigentlich alles kein Ambiente, das mein Interesse verdient. Ich folge Martina in ein exklusives Geschäft von ESPRIT, nur ihr zu Gefallen. Dabei spielt sich die oben beschriebene Zeremonie ab. Wir gehen zum Busplatz am Markt zurück. Jetzt sehe ich auch den empfohlenen „Freund“ von Antonio, das „SOVOS -Restaurant- Café- Snackbar“. Viel Betrieb. Viele suchen jetzt ein preiswertes Mittagessen. Wir haben abends reichlich. Der Bus kommt. Wir fahren zurück und freuen uns über unsere Selbständigkeit. Am Nachmittag, als wir wieder in unserem „Beach- Hotel“ sind, nutze ich die Gelegenheit zu einem Bad im Meer. Das Hotel ist wunderbar angelegt. Es blockiert den Zugang zu einer Landspitze. Zu beiden Seiten der Bettenhäuser ist Wasser. Geschickt hat man die natürlichen Felsen genutzt und eine fast wellenfreie Nichtschwimmerzone, eine „Badewanne“ geschaffen, in der sich die älteren und vorsichtigeren Leute schwimmen lassen. Wer ins Meer © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 114 richtig hinein will, muss über einen Felsensteg gehen, der durch ein Seil gesichert ist und sich am Ende über eine Edelstahlleiter ins Wasser gleiten lassen. Das Schwimmen hinaus ins freie Wasser ist nicht ganz ungefährlich. Es gibt Untiefen beziehungsweise Felsbrocken unter der Oberfläche und entlang der Landzunge eine schäumende Brandung. Die Steine sind rissig und haben scharfe Kanten. In den Höhlungen lauern Seeigel. Ich bleibe im tiefen Wasser und schwimme rechts um die Klippe herum, auf deren ebenem Plateau Liegestühle und Sonnenschirme stehen und versuche, mich von außen in die „Badewanne“ zu lavieren. Ein im Wasser gespanntes Tau hilft mir dabei, Kollisionen mit den Felsen zu vermeiden, die die Brandung in Schüben versucht. Erste Bekanntschaft mit dem Meer. Das Wasser ist relativ warm, doch der Wind ist frisch. Ich lerne den Hotelbetrieb besser kennen. Wir genießen unsere Suite, trinken selbst gekochten Kaffe und essen Obst. Da es schon Oktober ist, sinkt die Sonne zeitig. Das nebenstehende Bild entstand 17.14 Uhr. Der Himmel färbte sich in allen Farben von hellem Rosa bis ins tiefe Purpur, die Palmen rauschten im aufbrisenden Abendwind. Es ist schön hier. Die Bucht, an der das Hotel gelegen ist, heißt auf Englisch Coral Bay, die Korallenbucht. Als Paphos 1962 für den Fremdenverkehr „entdeckt“ worden ist, als man beim Graben im Sand in der Nähe des alten Hafens römische Mosaiken fand, mag es vielleicht hier Korallen gegeben haben. Doch in den letzten fünfzig Jahren ist ein Touristenstrom wie ein eiserner Hobel über die damals nur von Fischern benutzte Küste hinweggefegt. Da ist von der ursprünglichen Natur nicht viel geblieben. Alles muss sich den Bedingungen des modernen Fremdenverkehrs unterordnen. Hotels werden aus dem Boden gestemmt. Beiderseits der Küstenstraße ziehen sich riesige Hotelkomplexe, sind neue Baustellen angelegt. Ob das die Natur verträgt, fragt keiner. Investruinen zeugen von Unternehmern, die sich übernommen haben. Ich möchte nicht im Hochsommer hier sein, um nichts in der Welt! © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 115 XXV. Sonntag Vormittag in Kato Paphos Sonntag, 8. Oktober 2006 Heute ist der nächste freie Tag. Martina und ich haben entschieden, wieder nach Paphos hinein zu fahren, dieses Mal an den Hafen, nach Kato Paphos, die Unterstadt. Wenn ich nach dem Frühstück auf die Liegewiesen schaue, da haben sich Viele schon in MallorcaManier die schönsten Plätze reserviert, Handtücher auf die Liegen gelegt, kleine Festungen zusammengerückt, Schattenplätze erobert. Ich bin froh, da nicht mithalten zu müssen. Diesen Stress möchte ich mir nicht antun. Martina und ich nahmen also nach dem Frühstück Paphos, Coral Bay, Cynthiana Beach Hotel auf der Terrasse des Hotels. Während die meisten von unserer Gruppe sich auf den zahlreichen Liegen im Hotelbereich für einen langen langweiligen Tag einrichteten, rüsteten wir zum Alleingang zu den Sehenswürdigkeiten von Kato Paphos. Wir warteten wieder auf den Stadtbus, der im Pendelverkehr die ganze Korallenbucht entlang fährt und in der Hauptsache die Badegäste hin und her befördert, und fuhren mit ihm in die Stadt, bemüht, den Ausstieg am Hafen von Paphos nicht zu verpassen. Das Wetter machte dem Sonntag alle Ehre. Am Hafen bummelten wir den Kai entlang. Meine Blicke glitten über die zahlreichen Schiffe, Segler, Ausflugsboote, kleine Yachtkreuzer, Glasbodenboote. Martina wandte sich mehr den Keramiken und Auslagen der Händler auf der Landseite zu, die jetzt um diese Stunde gerade ihr Zeug auspackten. Die Gastronomen rückten Sonnenschirme und Stühle auf den Freisitzen zurecht. Mein Ziel war zunächst das alte Hafenkastell. Leider war es für Besucher noch nicht geöffnet. Ein buntes Gewimmel von freudigen Menschen zog uns an. Das müssen alles Engländer gewesen sein. Was ich mir zusammenreimte war, dass zu dieser frühen Vormittagsstunde ein kleines Bürgerfest veranstaltet wurde mit zwei Inhalten: Eine Tombola für das bevorstehende Weihnachtsfest und ein Wettbewerb um den schönsten Hund in verschiedenen Größenklassen. Wir liefen durch all die Hundeliebhaber mit ihren bellenden, an den Leinen ziehenden und sehr aufgeregten Vierbeinern hindurch bis zum Ende der Mole, hinter der sich die Reste der alten fränkischen Festung türmten, die nach der Eroberung der Insel durch die Venezianer um 1570 geschleift. Ursprünglich wurde sie zum Schutz des Hafens von den Byzantinern errichtet. Das kann 1000 Jahre früher gewesen sein. So genau weiß das heute niemand mehr. Wir schauten ein Weilchen den Hunde- Vorführungen zu. Mit großem Ernst zogen magere Tiere an der Leine ihre fetten Frauchen oder winzige Hündchen ihre massiven Herrchen hinter sich her, machten auf Kommando artig halt, einer strengen Beobachtung einer aus bunt gekleideten Damen und Herren bestehenden Jury ausgesetzt. Eine Stuhlreihe begrenzte das Aktionsfeld. Als wir eintrafen, defilierten gerade die Möpse, Pekineser und andere Schleifchen- Hündchen. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 116 Die mittleren Größen warteten geduldig und teils gelangweilt schienen mir einige Superhunde, Neufundländer oder ähnliche. Mit dem Kroppzeug, das da gerade über die Steinplatten trippelte, konnten sie nichts anfangen, obwohl sie sicher alle aufregend rochen. Frauchen und Herrchen schwatzten miteinander. Man kannte sich. Ich vermute, die englische Kolonie von Paphos und Umgebung war ziemlich komplett versammelt. Ich hätte noch lange Stoff zum Sehen gehabt, doch wir hatten noch viel vor. Hafen Paphos, Reste der fränkischen Festung Es war mittlerweile nach 10 Uhr geworden. Das Kastell öffnete sein Burgtor für Besucher. Martina wollte nicht mit. Ich ließ es mir nicht nehmen, zumal von der Dachterrasse ein Blick auf Stadt und Hafen nicht zu verachten war. 1 Pfund Eintritt schmälerte wieder das Taschengeld. Das alles spart sich der Reiseveranstalter. Ich bat Martina zu warten, was sie auch geduldig tat. Ich sprintete die engen Treppen hinauf, die mehrfach den Lauf wechselten und konnte nun auch von oben winken und sah den Hafen und das Meer von oben und die weite Fläche des archäologischen Grabungsfeldes und weit nach Norden in Richtung unseres Hotels. Dann hastete ich wieder herunter, versuchte noch einige touristenfreie Fotos zu schießen und erreichte über die Wehrgrabenbrücke wieder den Treffpunkt. Einige Geschichtsdaten brachte mir dieser Abstecher: Die Lusignans bauten die alte byzantinische Festung im 13. Jahrhundert aus, und nachdem die Venezianer sie 1570 zerstörten, wurde sie gleich nach der Eroberung durch die Osmanen 1589 – 1592 wieder aufgebaut mit dem Ziel, das Armeekommando aufzunehmen. Dies ist einer Inschrift über dem einzigen Zugang zu entnehmen. Das kleine Fort auf der antiken Mole im westlichen Teil des Hafens von Paphos war einst ein wichtiger Teil des Verteidigungssystems von Zypern. Paphos, Hafenkastell Die Türme waren zentrale Punkte im Venezianischen Verteidigungswall. Die Reste des Turmes, einverleibt in das Osmanische Bollwerk, gehörten damals zu zwei Türmen, die zu Zeiten der fränkischen Herrschaft nach dem zerstörerischen Erdbeben von 1222 erbaut wurden. Die beiden Türme waren durch einen Zwischenwall miteinander verbunden. Als die Genueser 1373 das Fort eroberten, erhöhten sie die Mauern und gestalteten einen Wassergraben einfach durch Abschneiden eines Teiles der Mole, welche Zugang vom seeseitigen Turm zum Ufer bildete. Einer der beiden Türme verblieb als Ruine seit Ende des 15. Jahrhunderts, als es durch ein Erdbeben zerstört wurde. Kurz bevor die Osmanen 1570 einbrachen, zerstörten die Venezianer, was von den Türmen übrig war, mittels Pulverexplosion in Übereinstimmung mit ihrer Entscheidung, die Verteidigung der Insel nur von drei Städten aus zu führen: Famagusta, Lefkosia und Kyrenia. Was heute noch überlebt hat, ist die osmanische Restauration des westlichen fränkischen Turmes, seiner venezianischen Ergänzungen und die Steinreste des zweiten Turmes in der Entfernung von 50 m im Osten. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 117 Das Erdgeschoss besteht aus einer zentralen Halle mit kleinen Räumen an jeder der zwei langen Seiten, welche als Gefängniszellen während der osmanischen Okkupation genutzt wurden. Zwei kleine unterirdische Zellen waren für Langzeit- Gefangene bestimmt. Die kleine türkische Garnison lebte in den Räumen des oberen Geschosses und nutzte den zentralen Raum als Moschee. Auf dem Dach des Kastells gab es zwölf Zinnen oder Brustwehren, welche mit der gleichen Anzahl von Kanonen bestückt waren. Diese wurden 1878 von den Osmanen Blick nach Osten vom Dach des Hafenkastells entlang der entfernt, als sie die Verwaltung der Insel Mole auf die Reste des zweiten Turmes an die Briten abgaben. Ab 1878 wurde dann das Kastell von den Briten als Gefängnis verwendet und noch später als Salzlager. 1935 wurde es als geschichtliches Monument deklariert. Es wurde restauriert und ab 1940 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ich eilte wieder zu meiner Martina, die ergeben und geduldig gewartet hatte, um nun endlich das eigentliche Ziel, den Archäologie- Park mit den weltberühmten Mosaiken anzusteuern. Wir empfanden es als großzügige Geste der Regierung, an Sonntagen den Eintritt frei zu halten. Das ist ein guter Beitrag zur Förderung der Kultur. Leider ist man in unserem geldgierigen Land weit davon entfernt, dem nicht so gut betuchten Volk wertvolle Kultur an bestimmten Tagen ohne Eintrittsgeld nahe zu bringen. Wir hatten also heute Glück: Eintritt frei. Jetzt am Vormittag waren noch wenige Leute im Areal. So konnten wir uns bequem und beinahe ungestört erst die Ruinen, dann die herrlichen Mosaike besichtigen. Der Park, in dem sich die Grabungen zu etwa einem Drittel der antiken Stadt Nea- Paphos befinden, ist archäologisch noch längst nicht völlig erschlossen. Vieles harrt noch auf Entdeckung und Hebung an das Licht der Sonne. Die Reste der Häuser weisen auf eine Nutzung der ausgegrabenen Siedlung in der Zeit zwischen dem 4. Jahrhundert vor bis zu den zerstörerischen Erdbeben im 4. Jahrhundert nach Christus. Die Grundrisse und mancherlei andere Funde lassen weitgehend genau auf die Nutzung und Aufteilung der Räume vieler Häuser und Anlagen schließen. Die Bodenmosaiken aber geben uns Aufschluss über den Zeitgeist und den kulturellen Hintergrund der damaligen Bewohner. Ich muss mich, wenn ich darauf eingehe, auch wieder mit der griechisch- römischen Mythologie beschäftigen. Erstes Ziel war das Haus des Theseus. Eigentlich steht kein Haus mehr. Es sind die Ruinenreste eines wahrscheinlichen Palastes des Statthalters, der die größte Abmessung aller hier gefundenen Häuser besitzt. Er beinhaltet mehr als 100 Räume mit insgesamt 9500 m2 Fläche. Die Villa des Theseus wurde von einer polnischen Archäologischen Gruppe ausgegraben. Ihr Bau begann im 2. Jahrhundert und unterlag mancherlei Veränderungen. Sie war bewohnt bis ins 7. Jahrhundert. Sie war der offizielle Sitz des Prokonsuls, des römischen Gouverneurs von Kato Paphos, Archäologie- Park, Haus des Theseus „Theseus im Kampf mit dem Minotaurus“ Zypern. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 118 Die Sonne brannte grell und hell. Es war ungeheuer schwierig, unter diesen Umständen vernünftige Fotoaufnahmen von den Mosaiken im Freien zu bekommen. Wir wandten uns dem Haus des Aion (3. -5. Jh. u. Z.) zu, wobei der Bau nur eine schützende Umhausung, nicht die Rekonstruktion des ehemaligen Römerhauses sein soll. Auch dieses kleine Areal wurde von den polnischen Spezialisten freigelegt. Die unüberdeckten Räume schließen die Empfangshalle des Hauses ein, die auch noch außergewöhnliche geometrische und figürliche Mosaiken enthalten. Im überdachten Teil fanden wir gut erhaltene Mosaiken, allerdings auch mit großen Fehlflächen. Das zentrale Paneel des Hauptraumes ist in fünf kleinere Paneele aufgeteilt und stellt verschiedene mythologische Szenen dar. Oben links: Leda mit dem Schwan Oben rechts: Dreikönigsfest des Dionysos Mitte: Der Schönheitswettbewerb zwischen Kassiopeia und den Nereïden Unten rechts+links: die Bestrafung des Marsyas Im Zentrum der Komposition ist die Darstellung des Gottes Aion, leider fast ausgemerzt, die Personifikation der Zeit, dessen Namen man für das Haus gewählt hat. Die Mosaiken erzählen so schöne, interessante Geschichten und geben damit auch Einblick in den Glauben und die religiösen Ansichten der ersten Jahrhunderte unserer Zeit. Da ist zum Beispiel der Wettbewerb der Kassiopeia mit den Nereiden im Mittel- Mosaik. Nereiden (Nereïden, lat. Nerines) sind in der griechischen Mythologie eine Gruppe von Meeresnymphen. Sie sind Töchter des Nereus, dem Sohn der Gaia und des Pontos und der Doris, der Tochter des Okeanos. Nach der Mutter werden sie auch Doriden genannt. Die Nereiden sind Beschützerinnen der in Seenot Geratenen. In Begleitung des Poseidons erheitern sie oft die Seeleute mit ihrem Spiel. Oder sie begleiten die Amphitrite, selbst eine Nereide, wenn die in ihrem Muschelboot über die Wellen reist. Zu den Nereiden gehören beispielsweise Amphitrite, Deianira, Doris, Eione, Galatea oder Thetis. Es gibt verschiedene Quellen, die ihre Namen aufzählen. Alle fünfzig sind bei Hesiod genannt, Homer nennt ihrer 33, andere Darstellungen erwähnen 45 oder 49 Nereiden. Die Autoren weichen in den Namen voneinander ab, so dass die Gesamtzahl der Nereiden auf bis zu 100 veranschlagt wird. Das Bild erzählt den Kampf um einen Schönheitspreis. Hier ist der sagenhafte Hintergrund: Kassiopeia und Cepheus, der Herrscher über Äthiopien hatten zusammen eine Tochter namens Andromeda. Andromeda wuchs zu einem bildhübschen Mädchen heran und Kassiopeia fing an, mit ihr zu prahlen. Ihre Tochter sei die schönste überhaupt, auch schöner als die des Meeresgottes Nereus. Zutiefst gekränkt, beklagten sich die Nereiden bei Poseidon, welcher sich gebührend rächen sollte. Er schickte Cetus, dass Meeresungeheuer, heute bekannt als Walfisch. Der Walfisch überschwemmte alle Landpartien, an denen Völker des Cepheus lebten. Um aber sein Land zu retten, schickte Cepheus in allergrößter Not einen Abgesandten nach Delphi zum Orakel. Die Antwort jedoch war erschreckend. Cepheus sollte seine einzige Tochter, die Andromeda, dem Walfisch als Opfer darbringen. Dies sei die einzige Möglichkeit, Äthiopien von dieser Plage zu befreien. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 119 Vom Volke gedrängt, entschloss sich Cepheus schweren Herzens, seine Tochter zu opfern, um sein Land zu retten. Andromeda wurde alsbald an die Klippen des Meeres gekettet, um Cetus als Fraß zu dienen. Es dauerte nicht lange, bis der Walfisch mit all seiner Kraft auf die Klippen zugeschossen kam. Doch in allerletzter Sekunde erschien Perseus. Vom Anblick der wunderschönen Andromeda beglückt, schoss er vom Himmel herab und bohrte ein Schwert tief in des Ungeheuers Rücken. Erst nach einem langen schrecklichen Kampf, konnte Perseus durch das Gorgonenhaupt, welches Cetus vor Schrecken zu Stein erstarren ließ, als Sieger aus dem Kampf hervorgehen. Schauen wir aufs mittlere Mosaik, rechter Teil: Da liegt die schöne Nymphe Thetis, eingebettet zwischen Doris (mit dem dunklen Schleier) und ihrem Mann Poseidon, der sie aus dem Meere hebt. Poseidon ist umgeben von Meeresungeheuern. Doris hat Thetis ins Rennen geschickt und eine zweite Tochter, deren Namen ich nicht so recht entziffern kann. Vater Pontos (rechts unten) hebt abwehrend und entsetzt die Hand. Der Preis ist wahrscheinlich gerade vergeben. Er und seine jüngeren (geflügelten) Töchter (eine davon ist Galatea) fliehen verärgert auf ihren Kentauren. Von oben, dem Olymp, schauen Zeus und Athena zu. Sie haben entschieden und zeigen beide einmütig nach links, wo im linken Teil des Mosaiks Kassiopeia schon bekränzt und als Schönste geehrt wird. Was für Geschichten! Das untere Mosaik ist die Bestrafung des Flötenspielers Marsyas, der den Gott Apollon – welche Ungeheuerlichkeit! – zum musikalischen Wettstreit herausgefordert hat. Natürlich verliert er gegen den Lyra spielenden Gott und erfährt eine unmenschliche Strafe. Moral: Man soll die Götter nicht herausfordern. Wie zeitlos! Haus des Aion, Mosaik oben rechts: Dreikönigsfest des Dionysos Der kleine Dionysos sitzt auf dem Schoß des Götterboten Hermes, dieser erkennbar an seinen Flügelchen an Kopf und Fußgelenken. Dionysos wird an seinen künftigen Beschützer, den sich behutsam nähernden Silenen 47 Tropheus und einige Nymphen übergeben, die gerade ein Bad für den Knaben einlassen. Den Segen scheinen die Götter Nektarios und Theogonia zu erteilen. Die Geschichte von Leda mit dem Schwan hat sich bis in die Gemälde der Neuzeit erhalten. Leda, die schöne Königin von Sparta. Zeus nähert sich ihr in Gestalt eines Schwanes, verführt sie und hat mit ihr die Kinder Kastor und Pollux sowie die schöne Helena. 47 Silenen sind zweibeinige Pferdemenschen © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 120 Wir wenden uns nun dem Haus des Dionysos zu, einem lang gestreckten, architektonisch gut gelösten Schutzpavillon, der weitere Mosaiken von unschätzbarem Wert schützt und im Stil einer römischen Villa, wie sie im 2./3. Jahrhundert n. Chr. üblich war, 1997 errichtet worden ist. Das Haus gehörte einem namentlich unbekannten, sicher aber reichen Mann und überdeckte einst 2000 m2, wovon über 550 m2 mit Mosaiken bedeckt sind. Gleich am Eingang werden wir rechts und links von Mosaiken begrüßt. Das linke SkyllaMosaik ist das älteste überhaupt. Es besteht nur aus schwarz-weißen Steinchen und stammt vielleicht noch von dem griechischen Vorbesitzer, von dem man in einem Kellerraum rund 2500 Tetradrachmen aus der Zeit von 204 bis 88 vor unserer Zeitrechnung gefunden hat. Die genauen Zahlen sind das Geheimnis der Numismatiker. Das rechte Mosaik behandelt in neun Feldern das Thema der Vier Jahreszeiten. Allegorische Tierfiguren schmücken die zwischen den Eckfeldern mit den Köpfen der jeweiligen Götter. Im Zentrum schaut wahrscheinlich Gott Apollon zu uns herauf. Eine Begrüßungsformel „Sei gegrüßt – Auch du“ ist in zwei schmalen Feldern eingearbeitet und deutet auf einen Raum Haus des Dionysos, Mosaik „Vier Jahreszeiten“ hin, der als Eingang zu dem Hause diente. Das Haus war bis auf eine Gruppe französischer Touristen, die von einer dicken Frau in elegantem langem Kleid angeführt wurde, leer. So konnten wir in Ruhe alles betrachten, ohne allerdings Erklärungen zu hören. Ich verschaffte mit im Nachhinein den Ein- und Überblick und erfuhr auch noch einiges von Antonio, der mit uns am nächsten Tage dieselbe Tour, wenn auch sehr gekürzt unternahm. Ich war froh, dass ich heute in aller Gelassenheit meine Ruhepunkte setzen konnte. Rund um das Atrium verläuft eine Säulenhalle, deren Fußboden mit Mosaik- Geschichten gepflastert war. Die erste ist die von Thisbe und Pyramos. Die Eltern des jungen Liebespaares waren gegen eine Verbindung der beiden. Daher trafen sie sich heimlich im Walde. Als Thisbe eines Tages als erste am Treffpunkt erschien, floh sie vor einem Panther, der gesättigt, mit Thisbe und Pyramos blutverschmiertem Maul dort lag. Als Pyramos darauf erschien und den Panther mit Thisbes Tuch im Maul da liegen sah, stürzte er sich vor Kummer in sein Schwert, in dem Glauben, Thisbe sei von dem wilden Tier zerrissen worden. Thisbe folgte ihm in den Tod. Es ist eine klassische Variante des Schicksals von Romeo und Julia, allerdings viel prosaischer nachzulesen bei Gustav Schwab. Ein weiteres Bild schöner Liebe zeigt ein Mosaik, das die ebenfalls tragische Geschichte von Phaidra erzählt, die sich in ihren Stiefsohn Hippolytos verliebt. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 121 Poseidon rettet Amymone Liest man die Sage von Phaidra und Hippolytos in aller Ausführlichkeit, wird erst dann klar, welche Tragödie sich zwischen den beiden und vor allem auch für den Vater Theseus abgespielt hat. Sie sei hier nur kurz angedeutet: Theseus, König von Athen, verlor in der Schlacht gegen die Amazonen seine geliebte Antiope, die ihm einen Phaidra verliebt sich in ihren Stiefsohn Hippolytos Sohn Hippolytos geboren hatte. Theseus nahm sich als zweite Frau Phaidra, eine jüngere Schwester der Ariadne, die Geliebte seiner Jugend, bedachte aber nicht, dass er selbst schon im vorgerückten Alter war. Hippolytos wuchs nun, vom Vater zur Erziehung aufs Land gegeben, zu einem schönen Jüngling heran, blieb aber kalt für Schönheit und Liebe und schweifte stattdessen an der Seite der schönen Göttin Artemis durch Feld und Wald um zu jagen. Das erzürnte die verliebte und abgewiesene Aphrodite, die Göttin der Liebe, und sie beschloss, ihn mit einer unreinen Liebe zu verderben. Anlässlich der eleusinischen Mysterienspiele sah Phaidra das erste Mal ihren schönen Stiefsohn, der ihr wie ein verjüngtes Ebenbild ihrer Jugendliebe erschien und verliebte sich unsterblich in ihn. Sie behielt ihre Neigung in ihrem Busen, schämte sich ihrer Aufwallung. Die Flammen ihres Herzens gingen in der Nähe des schönen Hippolytos zu unlöschbarem Brande an. Sie quälte und verzehrte sich, blass und krank und wollte, mit verwirrtem Sinn, endlich sterben. Einer alten, treu ergebenen Amme gelang es, ihr Geheimnis zu entlocken. Ohne dass Phaidra es wusste, verriet jene Hippolytos deren unkeusche Liebe und bat ihn, dass er den Wünschen und der Leidenschaft seiner Stiefmutter Erhörung schenke. Mit Abscheu und Entsetzen hörte Hippolytos von dem Antrag, er fluchte dem Frevel dieses pflichtvergessenen Weibes. Sobald Phaidra von seiner Reaktion hörte, schämte sie sich, verzweifelte und beschloss zu sterben. Sie will durch den Tod ihre Schmach am Ehemann und bittere Liebesschuld an Hippolytos abbüßen. Dieser sollte aber mit ihr sterben. Er sollte ihr Los teilen und nicht hochmütig auf sie herabschauen. Sie erhängte sich in ihrem Gemache. Vorher aber hatte sie noch auf ein Tontäfelchen, das sie sorgsam versiegelte, aufgeschrieben, dass ihr Hippolytos mit Gewalt nach der Ehre getrachtet und sie nur durch den Tod der Schmach habe entgehen können. Theseus kam von Delphi zurück, fand die Tote, das Täfelchen und glaubte die verdrehte Darstellung seiner abtrünnigen Frau. Er tobte vor Zorn, fluchte und verfluchte seinen Sohn, indem er seinen Vater Poseidon bat, ihn zu vernichten. Hippolytos kam vor Theseus, erklärte bei Zeus und Artemis heiliger Zeugenschaft seine Unschuld, doch nichts half, er wurde Phaidra liebt Hippolytos verstoßen. Bald auch ereilte ihn das göttliche Schicksal. Er kam beim Lenken seines Wagengespannes unter die Räder und starb, dem Vater Theseus vorher nochmals seine Unschuld beteuernd. Erst als Artemis ihm die Wahrheit offenbarte, wie sich Phaidra mit diesem lügnerischen Brief der Beschuldigung arger Tat entziehen wollte, erkannte dieser sein voreiliges Tun, und der Reiz seines Lebens war dahin. Theseus begrub in tiefem Schmerz die Leiche des Sohnes unter dem Myrtenbaum, unter dem Phaidra, die Gequälte, immer gesessen hatte, auch sie fand darunter ihren Platz im Tode, der ihr im Leben nie vergönnt war. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 122 Für Hippolytos aber wurde jährlich ein Fest veranstaltet. Er wurde fortan als Halbgott verehrt. Die Bräute weihen dem keuschen Jüngling, dem Liebling der Artemis, den die verschmähte Aphrodite in den Tod gestürzt, unter kummervollen Tränen ihr Lockenhaar und beklagen ihn in holden Gesängen. (gekürzt nach H.W.Stoll, „Sagen des klassischen Altertums“) Im so genannten Tablinum, als Empfangshalle oder Speisesaal genutzt, befinden sich die Mosaiken, die dem Weingott Dionysos gewidmet sind. Ein Mosaik stellt die ersten Weintrinker dar. Dionysos genießt die Gastfreundschaft des attischen Königs Ikarios und bringt ihm als Gegengeschenk die Kunst des Weinbaus und der Weinherstellung bei. Doch diese Geschichte geht auch tragisch aus. Dionysos und Akme beim Weintrinken. Ikarios führt Weintrauben heran. Hirten betrinken sich. Ikarios ist glücklich über die neu erlernte Kunst, gibt zwei Hirten von dem Getränk zum Kosten. Sie trinken von dem Wein und denken, von ihm berauscht, sie würden vergiftet. Daraufhin erschlagen sie den Ikarios. Man vergisst, dass diese herrlichen Kunstwerke beinahe 1800 Jahre alt sind. Da ist eine große Fläche mit wirklich kunstvollen Geometriemustern, da sind ganze Friese mit Tieren und Jagdszenen, ein Pfauenmosaik. Eine letzte Geschichte noch: Wieder wird eine tragische weil unerfüllte Liebe dargestellt. Apollon ist in Liebe zur Nymphe Daphne entflammt. Sie flieht vor dem sie verfolgenden Apollon zu ihrem Vater, dem Flussgott Peneios. Zeus erbarmt sich ihrer und verwandelt sie in einen Lorbeerstrauch, der bis heute auf Griechisch ihren Namen trägt. Auf dem Mosaik verwandeln sich ihre Beine schon in einen Strauch. Eine sehr schöne Darstellung ist dann noch zu bewundern, die Entführung des Daphne und Apollon Ganymed. Zeus hat hier die Gestalt eines Adlers angenommen, der den schönen Jüngling in den Olymp entführt und ihn zum Mundschenk der olympischen Götter macht. Ich wollte so viel wie möglich an Bildmaterial mit nach Hause nehmen. Jedes Bild eine Geschichte, eine Allegorie, ein Symbol. Unter den geometrischen Mustern befindet sich sogar ein Hakenkreuz. Welche Brücke besteht zwischen den Römern, den germanischen Runen und Hitlers Unheilzeichen? Und so beschäftigt mich Vieles. Die Tierkampfszenen zeigen den Heutigen, dass in Griechenland, aber auch hier auf der Insel Zypern Bären, Berglöwen, Panther, Mufflons, Wildschweine gelebt haben Entführung des Ganymed und von den Menschen nahezu ausgerottet wurden. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 123 Wald hat es sicher auch noch ausreichend gegeben, obwohl er früher bestimmt auch schon für Häuserbau, Feuerungszwecke, Schiffsbau und neuen Siedlungsplatz missbraucht und gerodet wurde. Alles das erzählen mir diese Bilder. Sinneslust, Kampfesmut, List und Tücke, Leidenschaft, Liebe und Hass, was gab es damals nicht, was auch heute noch die Menschen umtreibt? Die größten und stärksten Motivationen, Habgier und Macht, lenken auch heute noch die Geschicke der Menschen. Wir verlassen das an antiken Schätzen so reiche Haus des Dionysos, machen noch davor eine kleine Ruhepause. Ein Abstecher reizt mich noch, das Haus des Orpheus. Enttäuscht stelle ich fest, dass die drei Mosaiken, die man schon ausgrub, eines schon 1942, durch eine Sandschicht abgedeckt sind. Ein schützendes Dach soll darüber gebaut werden, eine löbliche Maßnahme, die ich einsehe. Also bleibt mit nur eine Informationstafel, die mir die herrlichen Kunstwerke aus bunten Kieselsteinen als Plakat zeigt. Ich lichte es ab und hier sind wenigstens die Abbildungen, wenn sie auch niemals die wahre Schönheit der Steinmosaiken wiedergeben können: Orpheus sitzt auf einem Felsen und lockt auf seiner Lyra die Tiere des Waldes an, die er mit seinem Spiel bezaubert. Auf einem zweiten Bild kämpft Herakles mit bloßen Händen gegen einen Löwen. Ein drittes Bild zeigt eine Amazone, die vor ihrem Pferd stehend eine Doppelaxt in der Hand hält. Nun haben wir genug von Mosaiken, richten unsere Blicke in die Ferne. Zum Leuchtturm hin lenken wir über das weitflächige Grabungsfeld unsere Schritte, wo sicher noch viel Unentdecktes unter der Erde verborgen liegt. Immerhin war Nea Paphos eine Metropole des Statthalters der Insel gewesen. Wir ergründen das Forum mit einem Amphitheater davor, eine große leere Fläche, bewachsen mit dornigem, dürrem Stechginster. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 124 Steinbrocken, scheinbar zusammenhangslose Mauerreste in unterschiedlichen Höhen verunsichern mein Vorstellungsvermögen. Ich lese noch einmal im Baedeker nach: Gegenüber der Agora befand sich hier einst die antike Akropolis mit dem Asklepieion 48 und dem Odeon 49 . Die Agora, der Markt- und Versammlungsplatz, bestand aus einem 95 x 95 m2 großen Hof mit Säulenumgang. Im Osten ist noch das Stylobat 50 des Umganges erhalten, zu dem Treppenstufen hinaufführten. Hier fand man Granitsäulen mit korinthischen Marmorkapitellen. Das teilweise rekonstruierte Odeon, wo wir uns zu einer kleinen Rast niederließen, wurde im 4. Jh. von Erdbeben fast völlig zerstört, es besaß 25 Sitzreihen und bot 3000 Zuschauern Platz. Ein Odeon hat die Funktion eines Konzerthauses. Es bestand wie ein Theater aus einer halbrunden Orchestra 51 , Cavea 52 und Skene, war jedoch im Gegensatz zu einem Amphitheater in der Regel überdacht. Schaut man vom Odeon zum Leuchtturm hinauf, dann gehörte das Mauerwerk links davon zum ehemaligen Asklepieion. Dieses war ein dem Gott der Heilkunst gewidmeter Tempel mit Räumen für Heilschlaf und Therapien, kurz ein antikes Kurhaus. Es gäbe ja noch die Ruinen der alten Festung Saranta Kolones aufzusuchen, aber Martina ist müde und sucht ein Plätzchen zum Ausruhen. In dem Wort steckt die Bedeutung „vierzig Säulen“, die genau zum Bau dieses römischen Kastells verwendet wurden. Um 1100 stand hier eine Burg, mit der die Byzantiner die Küste sicherten. Später wurde sie von den Franken genutzt. Saranta Kolones wird auch mit den Kreuzfahrern zusammen genannt, jedoch schon 1222 völlig zerstört. Seitdem diente das Kastell als Steinbruch. Heute ist kaum noch etwas aus dieser Zeit erhalten, vielleicht einige Nea Paphos, vorn Reste des Asklepieions Säulenreste. Es lohnt nicht hinzugehen. Wir verließen das Areal durch einen Nebeneingang, überquerten die belebte Hauptstraße Leoforos Apostolou Pavlou, die Apostel-Paulus- Allee, die zum Hafen führt. Nach kurzer Orientierung fanden wir den Komplex der Kreuzkuppelkirche. Wir hörten Musik und sahen Leute zum Eingang strömen. Als wir auch in die kleine Kirche eintreten wollten, fand gerade ein Gottesdienst statt, und der kleine Raum war gerappelt voll. Gesang schwoll an. Ich blieb einen Moment stehen und spürte ein sonntägliches Gefühl. 48 Asklepieion, [griechisch], Heiligtum des Heilgotts Asklepios (Äskulap); ausgegraben sind u. a. das Asklepieion von Athen (um 400 v. Chr.), von Epidauros, Kos und Pergamon. Ein Asklepieion entsprach im Altertum dem heutigen Kurbad. 49 Odeon, [das, Mehrzahl Odeen; griechisch] Odeion, Odeum, antikes überdachtes Gebäude für musikalische Aufführungen, mit halbrundem Zuschauerraum. Heute ist Odeon Bezeichnung für Theater, Musikhallen oder auch Tanzhallen und Kinosäle. 50 Stylobat, oberste Stufe eines antiken Tempelunterbaues, auf der die Säulen stehen 51 Orchestra, Spielfläche 52 Cavea, Zuschauerraum eines römischen Theaters © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 125 Wir umrundeten das recht große Grabungsgelände und stellten fest, dass ehemals eine sehr große Kirche hier gestanden haben muss. Wieder konnte ich mich nur an einer griechischenglisch beschrifteten Informationstafel kundig machen und ich erfahre: Dieses ausgegrabene Monument ist eine der größten frühchristlichen Basiliken auf Zypern gewesen. Die erste Kirche wurde im 4. Jahrhundert n. Chr. gebaut. Sie war als Trapez angelegt, mit sieben Kuppeln und zwei Apsen in der zentralen Kuppel. Nach Westen hatte sie einen Narthex und ein Peristyl 53 - Atrium. Die innere Dekoration der ersten Basilika war sehr reich an Mosaik- Kompositionen, die weite Teile des Fußbodens überzogen. Sie waren geometrisch gemustert und zeigten symbolische christliche Szenen. Diese Basilika wurde im 6. Jh. zu einer Fünf- Kuppel- Kirche umgebaut und seine inneren Apsen weggenommen, der Mosaik- Fußboden des zentralen Schiffs wurde überbaut und die zwei nördlichen Kuppeln wurden mit neuen Mosaiks gepflastert. Während der arabischen Einfälle im 7. Jahrhundert wurde auch dieses Bauwerk zerstört. Eine neue byzantinische Kirche wurde in die Ruinen der Basilika hineingebaut. Nach deren Zerstörung im Jahre 1159 wurde auch diese im 16. Jahrhundert überbaut, von der jetzt sichtbaren kleinen Agía Kyriakí in Kreuzform. Es gibt im Norden der Chrysopolítissa noch eine kleine Kirche des Franziskaner- Klosters aus dem 13. oder 14. Jahrhundert. Sie wurde aber auch während eines Erdbebens im 16. Jahrhundert zerstört. Die jüngste Kirche steht also förmlich auf dem Mosaikfussboden der größeren älteren. Eine der beiden links zu sehenden weißen Säulen wird „Paulus-Säule“ genannt. Der Legende nach soll der Apostel Paulus auf seiner Missionsreise nach Zypern an sie gefesselt und gegeißelt worden sein. Die Apostelgeschichte berichtet weiter, dass Paulus (oder vorher Saulus) und Barnabas während dieser Reise gegen den Widerstand des Zauberers Bar- Jesus, den Paulus mit Blindheit geschlagen hatte, den römischen Statthalter Sergius Paulus zum Christentum bekehrten: Ich rufe den Geist aus der Apostelgeschichte 13, 6 - 12: …Als sie die ganze Insel bis nach Paphos durchzogen hatten, trafen sie einen Zauberer und falschen Propheten, einen Juden, der hieß Barjesus; der war bei dem Statthalter Sergius Paulus, einem verständigen Mann. Dieser rief Barnabas und Saulus zu sich und begehrte, das Wort Gottes zu hören. Da widerstand ihnen der Zauberer Elymas - denn so wird sein Name übersetzt - und versuchte, den Statthalter vom Glauben abzuhalten. Saulus aber, der auch Paulus heißt, voll heiligen Geistes, sah ihn an und sprach: Du Sohn des Teufels, voll aller List und aller Bosheit, du Feind aller Gerechtigkeit, hörst du nicht auf, krumm zu machen die geraden Wege des Herrn? Und nun siehe, die Hand des Herrn kommt über dich, und du sollst blind sein und die Sonne eine Zeitlang nicht sehen! Auf der Stelle fiel 53 Peristyl, [das; griechisch], von einem Säulenumgang umgebener Hof, Teil der griechisch-römischen Profanund Palastarchitektur. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 126 Dunkelheit und Finsternis auf ihn, und er ging umher und suchte jemanden, der ihn an der Hand führte. Als der Statthalter sah, was geschehen war, wurde er gläubig und verwunderte sich über die Lehre des Herrn… Immer wieder mischen sich Legende, religiöser Eifer und geschichtliche Tatsachen. Während Martina an der Paulus- Säule ausruhte, ging ich noch einmal um das Ruinenareal herum und staunte über die Abmessungen des ehemaligen Bauwerkes, die allein der Grundriss verriet. Ein englisches Ehepaar staunte ebenfalls, und so kamen wir schnell ins Gespräch über Woher und Wohin und den Gegenstand, den wir gerade bestaunten. In tausendsechshundert Jahren sind hier vier Kirchen übereinander errichtet worden. Die erste war die gewaltigste. Mit welchen Mitteln wir heute bauen und welchen Stellenwert die Religion heute noch hat, sieht man an der erhaltenen Kirche. Ein skizzenhafter Vergleich mag das verdeutlichen: Das rot eingezeichnete Bild ist der heutige Kirchenbau der Agía Kyriakí Chrysopolítissa, er passt gerade mal in ein Schiff der alten Basilika; das schwarze sind die Risse der ehemaligen Anlagen. Ein sehenswertes Relikt der Natur fand ich beim Stöbern. Die Reste einer alten knorrigen Baumwurzel waren erhalten, wie sie sich an die Eckmauer und die Kuppel des alten Kirchleins anschmiegt. Wie schade, dass ich nicht mehr Zeit aufwenden kann, das alles zu erkunden! Das Leben holte uns schnell ein. In einem kleinen Park neben dem Ruinenareal war ein sonntäglicher Basar eingerichtet, der sicher für die englischen Gottesdienstbesucher gedacht war, die im Anschluss an die Messe noch ein Schwätzchen, etwas für den Magen und zum Mitnehmen haben wollten. Dort kaufte Martina ein grünes Seidentuch bei einem englischen Ehepaar und hatte so ihr Erfolgserlebnis. Wir machten uns auf den Rückweg, bummelten hinunter zum Hafen und nahmen die Linie 15, um zurück ins Hotel zu fahren. Gegen 14 Uhr langten wir nach einer Dreiviertel Stunde Fahrt an, ruhten uns aus. Am Nachmittag nutzte ich dann auch die Annehmlichkeiten des Strandlebens, las in Prospekten und ging schwimmen. XXVII. Die Königsgräber im antiken Paphos Montag, 9. Oktober 2006 ndlich wieder ein Tag, an dem wir geführt werden, der letzte überhaupt, dann werden wir uns wieder uns selbst überlassen. Ein Mammutprogramm steht auf dem Zettel: Königsgräber, Archäologiepark, Neophytoskloster, Akámas- Halbinsel. Auf sich allein gestellt, selbst mit Mietauto, ist das nicht an einem Tag zu schaffen, nicht wenn man sich die gebührende Zeit an jedem Ort nehmen will. Dann wären das für mich vier Tagesausflüge. Das wird eben heutzutage zeitsparend an einem Tag von der Reiseorganisation zusammengequetscht. Gott sei Dank kannten wir schon den Archäologiepark und hatten ihn auf eigene Faust erkundet. Aber zuerst hielt der Bus nach kurzer Fahrt vor den Toren von Paphos. Das Gräberfeld ist eine Nekropole von riesigen Ausmaßen, etwa dem Archäologiepark in der Ausdehnung ebenbürtig. Früher mag das alles in Alt- Paphos zusammen gehört, eine Einheit gebildet haben. Im Schatten eines Johannisbrotbaumes erläuterte uns Antonio einiges zur Geschichte. Zuerst ist der Name „Königsgräber“ falsch. Hier wurden zwar hohe Würdenträger der Stadtstaaten beerdigt, auch solche, die sich König nannten, aber im Wesentlichen war das der Friedhof der E © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 127 alten Stadt Paphos. Diesen antiken Friedhof, zusammen mit den Gebieten von Alt- und NeuPaphos, nahm 1980 die UNESCO in ihre „World Cultural Heritage List“ auf. Wer könnte die Fakten der Historie besser zusammenfassen als eine zyprische Wissenschaftlerin? Ich darf Frau Maria Hadjisavva wörtlich zitieren, allerdings ins Deutsche übersetzt: „EINE EINFÜHRUNG IN DAS ANTIKE PAPHOS Gegen das Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. verlegte der König von Paphos, Nikakles, seine Hauptstadt von Alt- Paphos (Kouklia) nach Neu- Paphos (Katopaphos). Die Absicht, aktiver in die dramatischen politischen Ereignisse seiner Zeit einzugreifen, war ein Grund dafür, dass Nikokles Alt- Paphos verließ, das ein religiöses Zentrum war. Er behielt jedoch seinen Titel als Priester-König des Aphrodite-Kultes bei und verfügte weiterhin über die reichen Einkünfte des Heiligtums. Nach der Beseitigung der zyprischen Königreiche um 311 v. Chr. wurde die Insel zum Zankapfel zwischen Ptolemaios und Antigonos bzw. später dessen Sohn Demetrios Poliorketes. Obwohl Demetrios im Jahre 306 Ptolemaios besiegte, gewann Ptolemaios im Jahre 294 v. Chr. die Herrschaft über die Insel, indem er Demetrios' Abwesenheit in Griechenland ausnutzte. Hauptstadt von Zypern und Sitz eines Gouverneurs mit dem Titel Strategos (General) wurde Salamis. Nach kurzer Zeit jedoch wurde die Hauptstadt nach Neu- Paphos verlegt, das den Ptolemäern wegen seiner größeren Nähe zu Alexandria und wegen seiner Schiffsbauholz liefernden Wälder besonders wichtig schien. Mitbestimmend für diese Entscheidung war das Heiligtum der Aphrodite, das im politischen und wirtschaftlichen Leben der Insel eine wichtige Rolle spielte. Mit der Festigung der ptolemäischen Herrschaft begann eine Epoche wirtschaftlicher Blüte für Zypern. Neue Städte mit dem Namen Arsinoe wurden gegründet, neue, ägyptischen Göttern gewidmete Tempel erbaut. Die Ausbreitung der klassischen griechischen Kultur, die in Zypern unter der Herrschaft Evagoras' von Salamis (411 - 394 v. Ch.) begonnen hatte, setzte sich fort unter der Wirkung der stärker internationalen hellenistischen Zivilisation. Während die Macht der kleinen Königreiche im östlichen Mittelmeer durch interne Konflikte unterhöhlt wurde, eroberten im Westen die römischen Legionen Karthago und überschritten 199 v. Chr. die Grenze Makedoniens. Dieses Ereignis markierte das Ende einer Epoche, die Alexander mit der Ausbreitung griechischer Herrschaft und Kultur nach Osten eingeleitet hatte. Auseinandersetzungen um Zypern zwischen den Ptolemäern selbst führten zur Intervention Roms. Im Jahre 58 v. Chr. beging der letzte ptolemäische Herrscher Zyperns, "Ptolemaios König von Zypern", Selbstmord; die Insel wurde von den Römern besetzt. Der ptolemäische Strategos wurde von einem römischen Prokonsul abgelöst, dessen Residenz während der gesamten römischen Herrschaft Paphos blieb. Im Jahre 77 n. Chr. wurden die hellenistischen Städte Zyperns durch schwere Erdbeben zerstört. Die römischen Kaiser Trajan und Hadrian trugen wesentlich zum Neuaufbau der Städte und des Aphrodite - Heiligtums bei. Paphos war als Hauptstadt eine der volkreichsten Städte der Insel und besaß ausgedehnte öffentliche Bauten und Befestigungsanlagen. Die Ausgrabungen der letzten Jahre im Bereich der antiken Stadt geben eindrücklich Zeugnis vom Reichtum ihrer Bewohner in römischer Zeit. DIE GRÄBER DER KÖNIGE Die Gräberfelder von Paphos liegen direkt außerhalb der Mauern im Norden und Osten der Stadt. Den nördlichsten Teil dieser erstaunlich weitflächigen Nekropole bilden die so genannten Königsgräber. Das eindrucksvolle Gesamtbild der Gräber und der schwere dorische Stil ihrer Gebälke tragen viel zur Anziehungskraft dieser Monumente bei. Das Gräberfeld wurde in der hellenistischen und römischen Zeit (3 Jh. v. Chr. bis 3 Jh. n. Chr.) ohne Unterbrechung für Bestattungen genutzt und diente auch den frühen Christen als Zuflucht während der Verfolgung. Im Mittelalter wurden einige der größeren Gräber zeitweilig bewohnt, wobei die ursprüngliche Architektur verändert wurde. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 128 Luftaufnahme eines Teiles des Gräberfeldes, abfotografiert von einer Infotafel Im letzten Viertel des 19. Jh. wurden die "Königsgräber" von Cesnola und seinen Nachfolgern systematisch geplündert. Die deutschen Archäologen Ross und Dörpfeld sowie der britische Architekt Jeffery besuchten den Platz und beschrieben einige der zugänglichen Gräber. In den Jahren 1915-16 grub der Kurator des Zypern- Museums, Markiden, einige Schachtgräber aus. Im Jahre 1937 begann der Hon. Kurator des Paphos Museums, Loizos Philippou, die damals bekannten großen Gräber mit Peristyl- Hof freizulegen; er führte diese Arbeiten mit einigen Unterbrechungen bis 1951 fort. Zwar wurden auf diese Weise einige Grabkomplexe zugänglich, aber keine neuen Aufschlüsse für die Geschichte von Paphos gewonnen. Da eine wissenschaftliche Überwachung der Arbeit fehlte, gingen die durch eine systematische Grabung zu gewinnenden Befunde für immer verloren. 40 Jahre später, im Jahre 1977, begann das Zyprische Department of Antiquities in Anbetracht der Bedeutung dieser Gräber als einziger unzerstörter architektonischer Denkmäler einer ganzen Epoche mit der systematischen Ausgrabung der Nekropole. Bisher wurden 13 Grabungskampagnen durchgeführt; in dieser Zeit wurden drei große Grabkomplexe und zahlreiche kleinere Gräber untersucht.“ Wieder kommt ein geschichtlicher Puzzle- Stein über die Stadtkönigreiche hinzu, und wir wissen wieder etwas mehr. Dann läuft Antonio vor uns her, ohne innezuhalten. Er hat vor, uns nur einige der bedeutendsten Grabanlagen zu zeigen. Um umfassend hier zu studieren, die Bestattungsriten, die verschiedenen Bauweisen der Gräber über die Jahrhunderte, kennen zu lernen, ginge ein Tag drauf. Allein schon der Nachnutzung im Mittelalter nachzuspüren, wo in den Gräberschächten Menschen wohnten oder sie als Zufluchtsorte nutzten, ist äußerst interessant. Überall sind in dem weichen Kalkstein Löcher und Höhlen gestemmt. Treppenstufen in schmalen Schächten führen in die dunkle Tiefe von fünf bis sechs Metern hinab. Bei dem grellen Sonnenlicht muten sie wie schwarze unheimliche Löcher an. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 129 Peristyl- Atrium- Grab Nachdem wir das Büro des Kustoden, ein kleines Wärterhäuschen, passiert haben, sehen wir auf der linken Seite der asphaltierten Straße das erste zugängliche Grab. Ein Teil der Anlage ist oberirdisch und kann durch einen rechteckigen, türähnlichen Eingang betreten werden. Wir steigen in einen engen, so genannten Dromos 54 , den Zugang zu den Grabkammern. Es handelt sich um ein Felskammergrab mit zwei kleinen, für Kinderbegräbnisse reservierten Loculi 55 und fünf Loculi für Erwachsene. Die Innenwand der Grabkammer war ursprünglich verputzt und bemalt. Reste des Wandstucks sind am Rande der meisten Loculi sichtbar. Das Grab wurde vor langer Zeit ausgeraubt. Es stammt wahrscheinlich aus der hellenistischen Periode (325 – 58 v. u. Z.). Die 12 Säulen gehorchen der dorischen Ordnung, die in den dorischen und westlichen Gebieten Griechenlands seit dem 7. Jh. v. Chr. entwickelt wurde. Kennzeichnend sind die gedrungene Säule ohne Basis und das schlichte Kapitell aus Polster und Platte. Die Schäfte sind leicht kanneliert und ebenso leicht konisch nach oben verjüngt. Die Säulen bilden ein Atrium, einen Hof. Nach zwei Seiten führen Kammern tief in den Fels hinein, mit weiteren Verzweigungen, den Lokuli, den Einzelgräbern. Von der Felsfläche blicken wir hinab in die Peristyl-Höfe zweier großer Gräber. Der Zugang zum ersten, im Südteil dieses Bereichs liegenden Grab führt über eine gedeckte Treppe mit 12 Stufen. In die rechte Seitenwand der Treppe ist eine Grabnische eingetieft. Die Treppe führt zur NordwestEcke eines quadratischen Peristyl-Hofes. Beim Eintritt sehen wir links das wohlerhaltene dorische Gebälk mit seinen Triglyphen56 und Metopen57 . Auf der Westseite des Peristyls liegt der Zugang zur in den Felsen gehauenen Grabkammer, die über eine Vielzahl von Loculi verfügt. Alle gähnen leer. Gegenüber dieser Grabkammer liegt eine andere rechteckige Kammer mit einem dekorierten Eingang; sie diente höchstwahrscheinlich zu rituellen Zwecken. Der östliche und südliche Portikus58 sind zerstört; Trümmer bedecken immer noch den Südteil des Hofes. Die freigelegte Fläche zwischen den beiden großen Grabanlagen mit Peristyl-Hof ist ein reines Schachtgräber- Feld. Ganze Gruppen von Gräbern sind durch Mauern getrennt, die jeweils eine Familienbegräbnisstätte einfassten. Fünf der insgesamt 20 Gräber dienten als Zweites Grab mit Peristyl- Atrium Kindergräber. 54 Dromos, [der; griechisch, „Lauf“], Bezeichnung für einen sportlichen Laufwettbewerb im antiken Griechenland; unterschieden wurden: Kurzstreckenlauf (Stadionlauf), Doppelstadionlauf (Diaulos) und Landstreckenlauf (Dolichos). Hier in der Nekropole bezeichnet man damit eine ebene, schräg abfallende oder mit Stufen versehene Passage, die den Eingang zu einer unterirdischen Kammer bildet. 55 Loculus: rechteckige Vertiefung im Felsen, die für ein Einzelbegräbnis bestimmt ist. Mehrzahl: Loculi 56 Triglyphen, Elemente, die die Metopen eines dorischen Frieses voneinander trennt, durch drei Lisenen gegliedert 57 Metope, [die; griechisch], rechteckige Platte zwischen den Triglyphen am Fries des dorischen Tempels; oft bemalt oder mit Reliefs verziert. 58 Portikus, [der; lateinisch], nach einer Seite offene Säulenhalle, oft zur Begrenzung von Märkten und Plätzen, aber auch als selbständiger Bau errichtet, in unserem Falle offen zum Atrium- Hof. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 130 Nach dem Grabungsbefund gehören die meisten dieser Gräber in die hellenistische Periode (3. bis 1. Jh. v. Chr.) Der Gesamtbereich ist von einem Drainagesystem durchzogen, das wahrscheinlich in einer späteren Epoche angelegt wurde, als dieser Platz zum Wohnbereich gehörte. Der Weg zurück führt über eine etwas höher gelegene, nicht asphaltierte Straße zu dem asphaltierten Platz. Etwa 50 Meter vor diesem Platz treffen wir auf ein anderes großes, kürzlich ausgegrabenes Grab. Die Architektur dieses Grabes ist bislang einzigartig und zeigt keine Beziehungen zu den normalen Gräbern mit Peristyl-Atrien. An Stelle eines Atriums im Zentrum des Grabes findet sich hier ein offener rechteckiger Hof, in dessen Mitte ein rechteckiger Block steht. Der eindrucksvolle Dromos, auf der Westseite des Grabes gelegen, besteht aus 13 Stufen und verläuft parallel zum Westflügel des Hofes. Er endet in einem bogenähnlichen Torweg, der im rechten Winkel umbiegt und die Verbindung mit dem Westflügel de Hofes herstellt. Der östliche und südliche Flügel des Hofes wurde vollständig ausgegraben, während die beiden anderen Flügel nur teilweise untersucht sind. Hinter dem Ostflügel des Atriums liegt eine große Grabkammer, die fünf Loculi, ein Schachtgrab und eine Nische für Gebeine aufweist. Von den achtzehn bisher ausgegrabenen Bestattungen waren nur drei aus der frühhellenistischen Zeit ungestört. Sie waren in den Boden des Atriums eingelassen und mit einem Haufen verstürzter Architekturtrümmer überdeckt, der eine Plünderung dieser Gräber verhinderte. Die Beigaben in zweien dieser Gräber waren identisch: je zwei rhodische Amphoren, ein Unguentarium59 und ein goldener Myrtenkranz. Ein weiteres Grab mit Peristyl-Hof ist die besterhaltene Anlage dieses Typus. Die Triglyphen und Metopen seines dorischen Gebälks sind klar modelliert und alle vier Portiken sind erhalten. Im Gegensatz zu den sonst überall verwendeten Säulen ist hier der West- Portikus von quadratischen Pfeilern getragen. Den Zugang bildet eine 13-stufige Treppe, die ursprünglich zum Teil mit Steinplatten überdeckt war und in einem Winkel von 90° verläuft. Sie führt in den West- Portikus. Gegenüber dem Eingang liegt hinter dem Ost- Portikus die Grabkammer mit Peristyl- Hof mit quadratischen Pfeilern einer Anzahl Loculi für Einzelbegräbnisse. Einige Schachtgräber wurden unter den Portiken eingetieft. Der übliche Brunnen wurde unter dem Süd- Portikus, nahe dem Eingang zum PeristylHof angelegt… Puh, das war ein Lehrgang in griechischer Architektur. Die Fakten entnahm, ich dem lehrreichen Führer, den ich mir für 1 zyprisches Pfund kaufte. Bald saßen wir alle wieder im Bus. Das Ganze dauerte nicht einmal eine Stunde. Das nächste Ziel, den Archäologie-Park in Kato Paphos, im Zusammenhang mit der Führung durch Antonio zu beschreiben, spare ich mir, da Martina und ich am Tage zuvor auf eigene Faust das Mehrfache und intensiver gesehen haben, als wir nun im Schnelldurchlauf auf japanische Art gezeigt bekamen. Einziger Vorteil heute war, dass ich in Ruhe ergänzende Fotos machen konnte. Die Häuser Aios, Dionysos und die offenen Mauern des Theseus, das war alles, was die Reiseleitung zum Sehen anbot. Im Vergleich zu dem, was man alles an archäologischen Stätten in Kato Paphos anschauen kann, eine Führung für Kulturbanausen. 59 Unguentum, [das; lateinisch], die Salbe; z. B. Unguentum leniens, Kühlsalbe, © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 131 XXVIII. Neophytos- W Kloster ir hatten nun eine Weile Muße, um während der Busfahrt aus dem Fenster die westzyprische Landschaft anzuschauen. Mit fiel die ungeheure Bautätigkeit auf. Neue Häuser schießen förmlich wie Pilze aus dem Boden. Seit einigen Jahren boomt der Tourismus. Auch scheint sich hier immer mehr ausländisches Kapital anzusiedeln. Die Häuser wachsen stetig und überwiegend die Hänge hinauf. Ich frage mich, wo die Besitzer das Wasser hernehmen. Neben der kargen Flora im nahen Bereich der Küste gibt es auch nur niederes Getier, unter anderem Schlangen. Antonio erzählte von seinem klugen Großvater, der sich auf seinem Hof eine schwarze, ungiftige Schlange zähmte, die ihrerseits die giftigen aus ihrem Revier hielt und wie ein Haushund Mäuse und Ratten fraß. Eidechsen habe ich selbst viele gesehen, wie sie sich in der Sonne wohl fühlten. Andere Wildtiere bekam ich während meines Aufenthaltes aber nicht zu Gesicht, von einigen Greifvögeln abgesehen, die hoch in den Lüften segelten. Die Fahrt nach Neophytos ist nicht weit. Es liegt gerade mal 12 km nordöstlich von Kato Paphos entfernt. Dennoch liegt es schon etwa 412 Meter hoch in einem tiefen Tal. Das idyllisch gelegene Kloster ist von hohen Bergen umgeben. Die Luft ist frisch und rein. Auf dem Wege zum Kloster Neophytus Nach dem Aussteigen zog ein Trinkwasserhahn unsere Leute an, einen Schluck zu nehmen. Der erste Eindruck vom Kloster: Saubere wie neu anmutende Gebäude, Kontrast von Licht und Schatten, göttliche Ruhe im schattigen Klosterhof. Wir versammelten uns vor der Felswand, in die vor vielen hundert Jahren der anfängliche Kern des Klosters, die Engkleistra 61 des Heiligen Neophytos eingehauen wurde. Die Mittagssonne hüllte die Bergwand in gleißendes Licht. Vor die natürliche Felsenhöhle, die frühere Mönche erst zu einer Einsiedelei, später zu einer Höhlenkirche ausgebaut hatten, wurde in neuerer Zeit eine Wand geblendet. Sie schützt diesen alten Teil des Klosters vor dem Abrutschen des Felsmassivs, das sich schon durch unangenehme Risse bemerkbar gemacht hat. Das Bauwerk ruht auf einer Tonschicht und ist extrem absturzgefährdet. Stützwände und Betonschlitzwände sichern die Grottenkirche. Die Vorwand ermöglicht den bequemen Aufstieg und sie bildet mit aufgesetzten fünf Bögen eine schattige und bei schlechtem Wetter schützende Arkade, von deren Ebene aus man in die Höhlenkirche gelangt. Eine kleine Brücke führt über einen Bach, der jetzt nur ein Rinnsal darstellt, aber nach einem regenreichen Winter oder der Schneeschmelze alle Beachtung verdient. Wir dürfen aufsteigen. Oben sitzt ein alter Wärter an einem kleinen Tisch. Auf einem anderen kleinen Tisch liegt Marianna, eine Hauskatze Neophytus- Kloster, Engkleistra und schläft. Einige von uns stürzen sich gleich auf sie: „Wie süüüß!“ Einige Naturfreunde halten sie zurück, die empfindsamen Gefühllosen, die nur ihr eigenes Gefühl befriedigen. Mit der strengen Auflage, nicht zu fotografieren, dringen wir in die niedrige und enge Höhle ein. Wir stehen plötzlich in einer Kirche. 61 Engkleistra heißt so viel wie Einsiedelei, Höhle eines Eremiten © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 132 Oder ist es eher eine bemalte Höhle? Wand und Decke gehen ineinander über. Die Wände haben keine Ecken, ein seltsames Raumerlebnis. Die Fresken sind so alt, dass sich sofort Respekt einstellt. Das christliche Bildprogramm entstammt der byzantinischen Ostkirche. Die Heiligen sind zahllos. Jesus ist die Zentralfigur, seine Apostel sind dargestellt, Szenen aus dem Leben Jesu. Bemerkenswert ist eine Ikone mit dem Abbild des Heiligen Neophytos, des Mönches, der diese Einsiedelei begründet hat. Wieder muss ich, um nicht dumm zu sterben und einige Fakten zu nennen, ein wenig aus dem Prospekt wiedergeben. Die Geschichte des Neophytos ist eng verbunden mit der Zyperns. Wir werden Parallelen wiederfinden. Lesen wir in dem Heftchen, verfasst vom ehemaligen Direktor des Archäologischen Dienstes: DER HEILIGE NEOPHYTOS UND SEINE ZELLE Der Gründer des Klosters, der Heilige Neophytos, wurde im Jahre 1134 als Sohn einer armen, kinderreichen Familie in Lefkara geboren, wie er selbst in seinem Typikon schreibt. Schon im frühen Kindesalter zeichnete er sich durch seinen Glauben an Gott und seine Vorliebe für die Zurückgezogenheit aus. Der Heilige Neophytos verließ deshalb, als seine Eltern ihn im Alter von 18 Jahren verlobten (in dieser Zeit war die Hochzeit Sache der Eltern, die die künftigen Eheleute nicht nach ihrer Meinung fragten) seinen Geburtsort und begab sich heimlich zum Kloster Ayios Ioannis Chrysostomos, Koutsoventi, um Mönch zu werden. Da er ungebildet war, wurde ihm vom Igoumen 62 des Klosters, Maximos, die Pflege der Weinberge des Klosters anvertraut, die sich nordöstlich des Klosters im Gebiet "Stoupais" befanden. Fünf Jahre lang beschäftigte sich der junge Mann mit dem Weinanbau. Von Natur aus wissbegierig und willensstark, lernte er in diesem Zeitraum die ersten Buchstaben und lernte das Psalmbuch auswendig. Da holte ihn der Igoumen zurück ins Kloster und ernannte ihn zum stellvertretenden Kirchenleiter. Damit beschäftigte er sich zwei Jahre lang. Die fünf Jahre jedoch, die er im Gebiet Stoupais verbracht hatte, bestärkten ihn in seinem natürlichen Wunsch nach einem asketischen Leben. Deshalb bat er den damaligen Igoumen des Klosters um die Erlaubnis, Eremit zu werden. Da er jedoch noch sehr jung war, erlaubte ihm der Igoumen nicht, das Kloster zu verlassen und in einer der oberhalb des Klosters gelegenen Höhle zu leben. Da erbat sich der Heilige die Erlaubnis, nach Jerusalem zu gehen, um dort im Heiligen Land zu beten, den Christus mit seinem Leben, der Kreuzigung und seiner Auferstehung gesegnet hat. Er hoffte, auf seiner Reise ins Heilige Land einen alten Eremiten zu treffen, der ihn mit dem asketischen Leben vertraut machen würde. Er wanderte sechs Monate lang im ganzen Heiligen Land, das zu dieser Zeit von den Arabern und Kreuzrittern besetzt war, und versuchte sein Ziel zu erreichen, jedoch erfolglos. So kehrte er nach Zypern zurück und begab sich wieder zum Kloster Ayios Ioannis Chrysostomos, Koutsoventi. Er versuchte erneut erfolglos, den Igoumen davon zu überzeugen, ihm zu erlauben, ein asketisches Leben zu führen. Die Weigerung des Igoumen, seinem starken Wunsch nach einem asketischen Leben nachzukommen, veranlasste den Heiligen Neophytos, das Kloster Ayios Ioannis Chrysostomou zu verlassen, um sich zum heiligen Berg Latros in Kleinasien zu begeben, wo es ein großes Klosterzentrum gab, in dem auch später, im Jahre 1289 ein anderer Zypriot, der Patriarch von Konstantinopel, Gregorios II., der Zypriot (1283-1289), Zuflucht fand. Deshalb begab er sich in der Hoffnung, ein Schiff zu finden, das ihn dorthin bringen würde, nach Pafos. 62 Igoumen, Hegumenos, [griechisch] neugriechisch Igumenos, Kloster-Oberer in den orthodoxen Kirchen. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 133 Am Hafen von Pafos jedoch wurde er als Flüchtling festgenommen und eingesperrt, und die Wächter stahlen ihm die beiden Münzen, mit denen er die Überfahrt bezahlen wollte. Als er auf die Initiative frommer Leute hin am nächsten Tag freigelassen wurde, wie er selbst schreibt, hatte er kein Geld mehr für die Fahrt und war gezwungen, im Inland einen Ort für Eremiten zu finden. So kam er zu dem Hang und seiner kleinen Naturhöhle, die er in seine Engkleistra umwandelte. Das geschah im Jahre 1159. Drei Monate lang (vom 24. Juni, Feiertag der Geburt des Heiligen Johannes der Täufer, bis September) untersuchte er den Ort, um festzustellen, ob er ruhig und abgelegen sei. Dann begann er die kleine Naturhöhle zu bearbeiten, indem er die lockeren Felsen abtrug und sie ein ganzes Jahr lang, bis zum Feiertag des Heiligen Kreuzes 14. September, vergrößerte. So schuf er die Kirche seiner Engkleistra und eine Zelle, in die er auch sein Grab meißelte. Die Kirche der Engkleistra widmete er dem Heiligen Kreuz. Nach fünf Jahren Suchens fand er ein Stück des Heiligen Kreuzes, das er in einer kreuzförmigen Nische eines Holzkreuzes befestigte, das bis heute erhalten ist. Das Stück vom Heiligen Kreuz jedoch ist verschwunden. Anfänglich wurde das Holzkreuz in einer kreuzförmigen Nische an der Ostwand der Engkleistra befestigt. Die Wand hatte Ayios Neophytos gebaut, um die Höhle zu schließen. Zu dieser Zeit wurde, den Berichten des Heiligen zufolge, der Bischofsthron in Pafos frei. Im siebten Jahr des Aufenthaltes des Heiligen in der Höhle wurde Basilios Kinnamos zum Bischof von Pafos geweiht. Der Bischof von Pafos begegnete dem Heiligen Neophytos mit Wohlwollen und vier Jahre lang bedrängte er ihn, sich zum Priester weihen zu lassen. Im Jahre 1170 erhielt der Heilige vom Bischof von Pafos, Basilios Kinnamos, die Priesterweihe und nahm auf dessen Drängen hin, einen Schüler auf, dem er auch die notwendige Kost gab. Seitdem wurde die Engkleistra ausgebaut und verschönert. In den gesamten Berghang wurden Zellen eingehauen. Obwohl der Heilige anfänglich eine begrenzte Anzahl von Mönchen aufnehmen wollte, legte er später, in seinem zweiten Typikon, das er im Jahre 1214 schrieb, deren Zahl auf 15 bis 18 fest. Der Ruhm des Heiligen begann sich überall auszubreiten und die Zahl der Besucher der Engkleistra stieg bedeutsam an. Die Besucher störten, wie zu erwarten war, den Heiligen. Um der Störung der Besucher zu entgehen, war der Heilige im Jahre 1197 gezwungen, hoch über der Engkleistra eine andere Zelle auszusparen, "Neu Zion", wie er sie nannte, in der er vor der Störung der Besucher Zuflucht suchte. Um jedoch die Gottesdienste zu verfolgen und an der Eucharistie teilnehmen zu können, hub er über der Engkleistra eine kleine Zelle, "das Heiligtum", aus, die er durch eine rechteckige Öffnung mit der Engkleistra verband .Nördlich von "Neu Zion" und weiter oben schuf er eine weitere Zelle, die des Heiligen Johannes der Täufer. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 134 Inzwischen hatten sich in Zypern dramatische Ereignisse abgespielt, die Zypern von Byzanz trennten und der Kirche und dem Volk Zyperns Unglück brachten. Im Jahre 1184 erklärte sich Isaak Komninos zum Herrscher über Zypern und in den sieben Jahren Unterdrückung brachte er Zypern viel Unheil. Im Jahre 1191 wurde Zypern von Richard Löwenherz, dem König von England, eingenommen, der es ausraubte und dann an die Templer verkaufte und ein Jahr darauf, nach Volksaufständen, die blutig niedergeschlagen wurden, an den entthronten König von Jerusalem, Guy de Lusignan, welcher das Fränkische Königreich in Zypern begründete. Das Land wurde den rechtmäßigen Besitzern weggenommen und die Zyprioten verrichteten Sklavenarbeit. Die traurige Lage Zyperns beschreibt der Heilige eindrucksvoll in einem Brief, bekannt unter dem Titel „Über die Unmenschlichkeit im Lande Zypern", den er 1196 verfasste. Die Armut und das Unglück des Volkes veranlassten viele, in den Klöstern, darunter auch der Engkleistra, Herberge zu suchen. Nur zögernd ließ sich der Heilige von den Mönchen überzeugen, Land, Weingebiete und ein paar Tiere zu erwerben, um all denjenigen, die im Kloster Zuflucht gefunden hatten, Nahrung bieten zu können. Es ist nicht bekannt, wann der Heilige Neophytos verstarb. Im Jahre 1214 diktierte er sein Typikon dem Sekretär des Bistums Pafos, Basilios. Das handschriftliche Dokument, das sich heute in der Universitätsbibliothek von Edinburg befindet, ist eigenhändig vom Heiligen korrigiert worden. Er ist demzufolge nach 1214 verstorben, nachdem er seinen Neffen, Jesaja, der Verwalter der Engkleistra war, zu seinem Nachfolger bestimmt hatte. Es ist allgemein bekannt, dass der Heilige seinem Wunsch gemäß in einem Holzsarg aus Fichten-, Zedern- und Zypressenholz, den er selbst zu Lebzeiten gefertigt hatte, bestattet wurde. Sein Nachfolger, Jesaja, schloss, seinen Anweisungen gemäß, das Loch, das zur Aufnahme des Sarges in das Grab geschaffen wurde, mit einer Wand, die er mit Deisis. Fürbitte und der Heilige Neophytos. Wandmalereien versah, damit sie nicht auffiel. Wandmalerei in der Zelle des Heiligen, 1183 Das führte dazu, dass der genaue Bestattungsort des Heiligen im Laufe der Jahre in Vergessenheit geriet, und der russische Mönch Vasili Barsky im Jahre 1735 schreibt, dass die Eucharistie auf dem Grab des Heiligen stattfand. Der Heilige Neophytos hinterließ zahlreiche Schriftstücke. Obwohl er erst nach seinem 18. Lebensjahr schreiben lernte, ist er möglicherweise der Schriftsteller der mittelbyzantinischen Epoche mit den meisten Schriften. Außer Predigten verfasste er auch Interpretationen der Heiligen Schrift und andere, die wichtige Informationen über die Heiligen und die Geschichte Zyperns enthalten. Diese Schriften des Heiligen begann sein Kloster zu veröffentlichen. Es sind bereits drei umfangreiche Bände erschienen. Die Engkleistra im Jahre 1214 Der Heilige Neophytos liefert uns im zweiten Typikon, das er 55 nach seiner Niederlassung in der Engkleistra, d.h. im Jahre 1214 (1159+55), schrieb, eine detaillierte Beschreibung der Engkleistra. Die Beschreibung ist im 20.Kapitel seines Typikon festgehalten. "Über hinaus der Höhlenkirche haben wir ein Tor geschaffen,.... danach eine Küche, ein Lager mit seinem Obergeschoß für die Lagerung von Waren, verschiedene Zellen und zwei weitere im Garten. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 135 Auf gleiche Weise werden die unteren Zellen am Brunnen als Ställe und Scheunen genutzt, während die unteren Zellen als Wohnräume genutzt wurden. Danach der Verwaltungsraum und darüber der fünfbögige Sonnenraum. Und in diesen Räumen befindet sich der Refektorium, der in den Hang gehauen wurde. Danach kommt der Narthex mit dem Geräteraum, und über diesem das Heiligtum, wo ich und die heiligen Zuhörer mit Hymnen und Gesang an den heiligen Sakramenten teilnehmen .Und wiederum über dem Heiligtum ist die jüngere Engkleistra „Nea Zion“, das vollständige Werk der heiligen Vorsehung, und eine weitere Zelle, die nach dem Prodromos benannt wurde, in den Hang gehauen. Danach wiederum der größte Bau am Bach, der mit vielen Bögen gebaut wurde." Nur einige der Bauten, die der Heilige erwähnt, sind erhalten geblieben. Heute gibt es die Kirche und die Altarstätte und die Zelle des Heiligen mit seinem Grab, den Narthex mit der Sakristei und das Heiligtum und das Refektorium des Klosters. Der fünfbögige Sonnenraum, der wahrscheinlich bis 1735 erhalten blieb, als Vasili Barsky das Kloster besuchte und sorgfältig zeichnete, ist später verschwunden und durch eine hölzernen Konstruktion, die auch bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts zerstört war, ersetzt worden. Im Jahre 1963 wurde zur Abstützung des Felsens, in den die Engkleistra eingehauen ist, ein neuer fünfräumiger Ort geschaffen, zu dem die Höhlenkirche und der Narthex mit der Sakristei, die sich darüber befindet, und das Refektorium zählten. Das "Heiligtum" und ein großer Teil von "Neu Zion" und der Zelle des Prodromos sind bis heute erhalten. Die Engkleistra, d.h. die Heilige- Kreuz- Kirche und die Zelle des Heiligen Neophytos wurden im Jahre 1183 mit Fresken versehen, wie der Heilige Neophytos in seiner Typikon ausdrücklich bemerkt. Diese Ausschmückung wird auch durch die teilweise zerstörte Inschrift in der Zelle des Heiligen nachgewiesen. Die Hauptkirche jedoch, nicht die Altarstätte, wurde aus unbekannten Gründen erneut mit Der heilige Neophytos Fresken versehen, die bis heute erhalten sind. Ikone, um 1500 Diese zweite Ausschmückung erfolgte nach 1214, denn der Heilige erwähnt in seinem Typikon nur eine Ausschmückung - die von 1183. Wir durften drei Räume begehen. Der niedrigste Raum in der Mitte wurde als Altar genutzt. An die Decke ist ein ikonisches Bild von Christus gemalt. Ich versuchte es von unten abzubilden, leider nur als Ausschnitt. Alles musste schnell und heimlich geschehen. Die Zelle des EinsiedlerMönches ist spartanisch. Überall Fresken, wertvoll, weil gut erhalten und für andere künstlerische Vergleiche 800 Jahre, sehr alt. Wir gingen durch einen Torbogen hinüber ins das neue Kloster und zuerst in die Hauptkirche. Diese existiert etwa vom Anfang des 16. Jahrhunderts. Es ist eine Basilika mit Kuppeln, die voll mit Fresken ausgeschmückt war, von denen heute nur ein kleiner Teil erhalten ist. Diese stammen aus dem Jahre 1544. Wir durften uns umschauen. Das Programm der Ausmalung dient der Anbetung der Gottesmutter und vieler Heiligen. Eine von Gold strotzende Ikonostase ist hervorzuheben, eine fabelhafte Schnitzarbeit aus Holz. Sie ist zum kleinen Teil erneuert, der andere mit wunderbaren Ikonen stammt aus 1544. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 136 Ich betrachtete die schönen korinthischen Kapitelle, Messgerät, einen Ambo mit Gold, Rot und Blau bedeckt, oben ein in Silber gefasster Kopf des Heiligen Neophytos. Eine schöne Kirche. Wir durften noch in das kleine Museum, in dem neben den wertvollsten Ikonen auch Krüge, Vasen und kirchlicher Zierrat gezeigt wurde. Ich hatte über dem Fotografieren die Gruppe verloren. Der Klosterhof, seine Ruhe, sein Grün zogen mich magisch an. Ich konnte mich nicht trennen. Doch bald gab es einen Gefühlswechsel. Unsere Truppe drängte sich im Klosterladen, der weit in Zypern für seine süßen Erzeugnisse bekannt ist. Thymian- Honig, Gelees, Konfitüren gab es, aber auch allerlei Produkte aus eigen gezogenen Nüssen, Mandeln, Feigen und natürlich Zucker, aber auch aus Erdnüssen, Kokosraspeln, Datteln und anderen Früchten. Wir verließen den Laden mit Honig und einigen Süßigkeiten. XXIX. Akámas- S Kloster Neophytos, Hauptkirche Halbinsel tart zur Weiterfahrt 13.10 Uhr. Wir waren schon etwas hungrig. Offen ist nun noch der Abstecher zur Akámas- Halbinsel, zum Bad der Aphrodite. Der Bus begab sich auf den Weg nach Norden, etwa 35 km nur war die Fahrt – Zypern ist verhältnismäßig klein. Unterwegs Landschaft mit Obstplantagen, aber auch Eichen, Zypressen, Mandelbäumen zogen vorüber. Von Antonio lernten wir, dass die weiß blühenden Mandelbäume süße Mandeln abwerfen, die rosa blühenden aber die bitteren. Unverhofft und überrascht hielt der Meister, ließ uns aussteigen und führte uns neben dem grünen Dickicht einer Apfelsinenplantage an einen primitiven Stand, auf dem ein intelligent aussehender Kaufmann, vielleicht der Plantagenbesitzer (sicher auf Vorbestellung) für jeden einen Plastiksack mit saftigen Orangen bereithielt, die kostenlos an uns ausgegeben wurden. Wir verschmausten gleich einige dieser Früchte, ungespritzt, außen todsicher ökologisch einwandfrei. Allerdings waren die Gifte bereits den Pflanzen während des Wachsens zugesetzt worden. Darauf möchte ich ebenfalls mein Leben verwetten. Vor Pestiziden und Herbiziden ist man bei Obst und Gemüse nicht mehr sicher. Entweder der Körper freundet sich mit diesen Insekten- und Pilzwaffen an oder man isst kein Obst und Gemüse mehr. Hoch leben die Vegetarier! Aber wovon? Wir durften die Plantage betreten. Ich gestehe, dass ich erstmals meinen Fuß in einen Orangenhain setzte. Der Boden war übersät mit verdorrten Schalen. Sie verrotten schlecht, wenn sechs Monate das Wasser fehlt. Kindskopfgroße Früchte dieser Mischsorte zwischen Pampelmusen und Orangen wuchsen hier neben den Orangen, aber alle noch grün. Unsere abgepackten Früchte kamen vielleicht doch vom nächsten Supermarkt und waren schon gespritzt? An einem Wasserhahn mit einem dünnen Faden als Ausfluss wuschen wir die klebrigen Hände und stiegen wieder ein. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 137 Einigermaßen gestärkt, aber dennoch hungrig, setzten wir die Fahrt fort und kamen nach kurzer Zeit in dem Städtchen Polis an, dem einzigen größeren Ort am Golf von Chrysochous. Polis ist heute Badeort und war in der Vergangenheit Sitz des antiken Stadtkönigtums Marion, dessen Ruinen noch zu sehen sind. Wir allerdings bogen vorher ab und fuhren noch bis zu dem Fischerdorf Latsi. Hier erlaubte uns Antonio Freizeit, Zeit für einen individuellen Mittagsimbiss und eine Stunde Ausspannen. Ich kaufte in einem Laden, der jetzt in der Mittagsstunde leergefegt war, eine Packung Kekse und machte mich dann mit Martina auf einen Rundgang durch den kleinen Ort. Dieser lebt von zwei sich bedingenden Einnahmequellen, dem Hafen und dem Fremdenverkehr. Wir besuchten ein Klubhotel, das von der Landschaft ein großes Areal ausgespart und zu einem Park umgewandelt hat, mit künstlichen Wasserfällen, verschiedenen Vegetationsinseln, vom Bungalowdorf und Abenteuerspielplätzen bis hin zu einem kleinen Museum und einem Einkaufsladen. Dann liefen wir den Strand entlang, ehemals die Domäne der Fischer, heute mehr der Tummelplatz von Halbinsel Akámas mit Polis und Latsi Freizeit- Kapitänen auf ihren Luxusjachten. Ein ausgemustertes Schiff liegt auf dem Trockenen, von Pfählen gestützt, ein elegant geschwungener Rumpf. Die ehemals blauen Farben des Außenanstriches machen deutlich dem Verfall und hässlichen Rostflecken Platz. Es muss ein schönes Schiff gewesen sein, die „Spiridon“. Tiefes Blau und grelles Weiß kontrastierten an der Mole des Hafens. Gerade tuckerten einige Boote in dem klaren blauen Wasser auf die Anlegestellen zu. Sehnsucht kommt auf, auch dabei zu sein, die Freiheit des Meeres zu genießen. So aber schlenderten wir nur vorbei an den vielen Motorbooten, Seglern aller Größenordnungen und blickten neugierig aus der Nähe in die Privatsphäre der Bootsleute. Freiheit hin oder her. Sie müssen sich auch allerhand Zwängen unterwerfen und müssen eine Menge materieller Dinge um sich versammeln, um in den Genuss einer solchen Bootsfahrt zu kommen. Mein Neid wurde geringer, als ich mir das überlegte. Latsi ist klein und überschaubar. Bald hatten wir alles gesehen, und es wurde zum Aufbruch geblasen. Ich ließ mich noch von einer Händlerin, vielleicht einer Bäuerin, sie sah recht schmutzig aus, beschwatzen, für zwei Pfund zwei Granatäpfel und einige überreife Feigen zu kaufen, wofür ich mir Schelte von Martina einhandelte. Am Ende behielt sie Recht, und ich warf alles weg, weil die Feigen matschig und die Granatäpfel nicht mehr gut waren, als ich sie für den Genuss prüfte. Auf einer gut asphaltierten Küstenstraße fuhren wir noch ein paar Kilometer. Unterwegs wies unser Führer auf einen Hotelkomplex hin, der 1998 mitten ins Naturreservat gebaut worden ist. Der ehemalige Außenminister Aleco Michaelides setzte den Bau des Luxushotels „Anassa“ durch, westlich von Latsí, in der Nähe der Bäder der Aphrodite. Die Akamas- Halbinsel soll zur Schutzzone erklär werden. Ihre Strände gehören zu den letzten Brutgebieten der vom Aussterben bedrohten Meeresschildkröten im Mittelmeerraum. Doch der © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 138 unheilvolle naturzerstörende, auf Sensationen bedachte Tourismus rückt immer näher heran. Das Hotel Anassa ist das teuerste und vornehmste Hotel Zypern und gilt als Treffpunkt der Reichen und des Jet- Sets, was immer sich unter diesem Begriff an blasierten Menschen verbergen mag. Prachtvolle Bauten, vereinzelte Wohnanlagen mit künstlich grünen Gärten, edlen Werkstoffen und Schmuckelemente zieren diesen hermetisch fürs Volk abgeriegelten Bereich. Die Straße liegt etwas oberhalb. Wir können in dieses teure Paradies hineinschauen. Nicht lange, dann endet die Asphaltstraße an einem Parkplatz, der mit allen Zeichen des Umfeldes einer touristischen Sehenswürdigkeit ausgestattet schien. Andenkenbuden, ImbissStände, Menschen. Wir sollten jetzt wandern, hieß es, zum Bad der Aphrodite. Ein Rundweg begann mit der Plünderung eines Johannisbrotbaumes, dessen schwarze Früchte Antonio mit einem Stecken abschlug und verteilte. Wir kosteten die harte, bohnenähnliche Hülse. Sie schmeckte süß. Eukalyptus, Feigenbäume. Es dauerte nicht lange, da erreichten wir das so geheimnisvoll vermarktete Wasserloch. Aus einer Felsspalte sickert Wasser, sammelt sich in einem natürlichen Becken und fließt dann in der üppigen Vegetation in Richtung Meeresufer, das vielleicht ein Kilometer Luftlinie entfernt lag. Allerdings lässt sich ein regulärer Wasserlauf nicht erkennen. Jetzt im herbstlichen Nachsommer bei halbjährlicher Trockenheit ist es schon verwunderlich, eine solche Oase der Feuchtigkeit zu finden. Hier in diesem Tümpel, der im tiefen Schatten eines Feigenbaumes liegt, soll der Legende nach einst Aphrodite ihren schneeweißen Leib gebadet haben. Dabei wurde sie von Akámas, dem Sohn des Theseus überrascht. Sie verliebten sich ineinander, wie es so kommt. Ihr Liebesabenteuer wurde aber durch den Verrat einer alten Frau, der personifizierten Verleumdung, jäh beendet. Aphrodite musste auf den Olymp zurückkehren. 5 km von dem Bad der Aphrodite entfernt; entspringt in einer Sandbucht ihre Liebesquelle, die Fontana Amorosa. Sie ist mit geländegängigen Fahrzeugen zu erreichen oder auch zu Fuß. Als wir weitergingen, dachte ich, dass wir eine längere Wanderung unternehmen werden, war aber sehr enttäuscht, als Antonio an einem Aussichtspunkt uns auch den Schlusspunkt, der kleinen Fußwanderung setzte. Nichts zu sehen von den Schildkröten. Keine Rundwanderung, auch wenn sie weh täte oder ein wenig abenteuerlich wird. Kein Risiko. Alte Leute eben. Einige klagen schon, wenn sie ein paar Schritte gehen sollen. Von hier oben hat man einen weiten Blick über den Norden der Insel, nach Osten die Bucht über Latsi bis Polis. Nach Westen wird die Sicht verwehrt durch steile Klippen, die nahezu unberührt scheinen. Wenn man aber nach unten sieht, rücken Karawan- Besitzer und Zelturlauber in dieses Paradies ein, und nicht alle sind reine Naturfreunde. Wir genießen eine Weile diese schöne Aussicht. Dann machen wir uns auf den Rückweg. Die Fahrt nach dem Hotel ist ohne Spannung. Der Tag war lang. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 139 XXX. Pano Paphos = Ktima Martinas Geburtstag - Dienstag, 10. Oktober eute und morgen sind wieder Tage der freien Verfügung, Badetage, die wir nicht wollen. Wir haben uns abgefunden und nehmen uns heute in der Oberstadt von Paphos einige Ziele vor. Der Baedeker ist mir dabei ein aufschlussreicher Gehilfe; in jedem Falle schlauer als die Reiseleitung und erst recht klüger als die Reisebegleiterin, die kein Interesse zeigt, im fremden Lande etwas hinzuzulernen. Was sagt die Historie? Dem antiken Mythos zufolge gründete der arkadische König Agapenor von Tegea die Stadt Paphos und das 15 km entfernte Aphrodite- Heiligtum Paläa Paphos. Auf dem Rückweg vom Trojanischen Krieg 62 wurde er durch einen Sturm in Zypern an Land geworfen. Allerdings wissen wir von Chirokitía, dass Zypern schon im 7. Jahrtausend v. Chr. besiedelt war. Und noch früher! Wo sind die Ursprünge? Gehen wir also nicht gar zu weit in den Nebel der Vergangenheit und halten uns an die schriftlich überlieferten Fakten. Historisch belegt ist die Gründung von Néa Paphos im 4. Jahrhundert v. u. Z., als der letzte Priesterkönig von Paläa Paphos, Nikokles, seinen Sitz hierher verlegte. Die Ptolemäer verliehen Néa Paphos, der heutigen Unterstadt (Kato Paphos), einige Bedeutung. Die Stadt übernahm von Salamis die Führungsrolle wegen der günstigen Lage am Meer und den waldreichen Gebieten im Hinterland, und Néa Paphos wurde Hauptstadt der ganzen Insel. Auch das frische Bergwasser des Troodosgebirges mag eine Rolle gespielt haben. Dann kamen die schrecklichen Erdbeben um 365 n. Chr. Néa Paphos wurde nicht wieder aufgebaut. Stattdessen nahm Salamis wieder den Platz als Inselhauptstadt ein. Erst unter den Lusignans gewann Paphos wieder Bedeutung und wurde römisch- katholischer Bischofssitz. Weitere Erdbeben und Überfälle führten dazu, dass Paphos verlassen wurde. Oberhalb der Küste wurde eine neue Siedlung namens Ktima angelegt. Während der Osmanenzeit war Paphos unbedeutend, da Famagusta und Nikosia näher zur Türkei liegen. H Wir benutzten wieder den Stadtbus und fuhren bis zur Oberstadt. Diesmal besuchten wir nicht den Markt, sondern wandten uns dem nahen Stadtpark zu, der alte Mauern, alte Tore und viele schattige Eukalyptusbäume aufwies. Erholsam ist es hier, doch ich wollte zunächst zum Byzantinischen Museum. Wir fragten uns durch. Ein Mann half freundlich. So richtig verstand er uns nicht, hatte ich den Eindruck. Plötzlich wich die Straße zurück, und die Flanke eines kirchenähnlichen Bauwerkes wurde sichtbar. Eine Bank lud zum Sitzen ein. Martina strebte hin und ruht erst einmal. Bischofssitz in Ktima (Pano Paphos) Es ist der Bischofssitz und ist für uns Sterbliche nicht zugänglich. Wir schauen uns um. In ganz kurzer Entfernung sehe ich die weiße Büste des Erzbischofs Makarios III. in einem Garten. Ich steure dahin und finde so nebenbei das Byzantinische Museum der Stadt. Martina will nicht mit hinein. Das macht mir den Stress, immer zu wissen, dass sie jetzt wartet. Also muss ich mich beeilen, obwohl diese Schau von Ikonen, Kirchengeräten wieder in ganz frühe Zeiten führen. Byzanz und seine Religion beeinflusste Zypern vom vierten 62 Trojanischer Krieg, historisch umstrittener Krieg, vermutlich im 12. Jahrhundert v. Chr. zwischen Griechen und Trojanern in Troja, sagenumwoben und viel besungen (Homer, Vergil). © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 140 Jahrhundert u. Z. bis zum Sieg der Franken, die ab 1192 die römisch- katholische Religion zur Staatsreligion erhoben. Ich lerne Einiges über Ikonen. Hier im Museum finde ich hervorragende Stellvertreter vom 12. bis zum 16. Jahrhundert. Ein kleines Büchlein klärte mich über diese Heiligenbilder auf: „Die Ikone ist der höchste Ausdruck der Geistigkeit der byzantinischen Malerei. Der Hl. Johannes von Damaskus definierte die Ikone wie folgt: „Eine Ikone ist ein Bild, das dem Original ähnelt, sich aber gleichzeitig auch von ihm unterscheidet. Eine Ikone enthält also gleichzeitig sowohl ein Element der Ähnlichkeit wie auch der Unterschiedlichkeit. Die Ähnlichkeit ist ein notwendiges Element, weil die Barmherzigkeit von Christus, der Jungfrau oder eines Heiligen im Porträt durch die Ähnlichkeit übermittelt wird. Diese Ähnlichkeit interpretiert auch einen ästhetischen Gesichtspunkt in der byzantinischen Malerei allgemein und in der Ikonenmalerei im Besonderen. Die Übermittlung der heiligen Barmherzigkeit erfordert eine exakte Kopierung des Originals. Es ist deshalb einfach, den Heiligen, der auf der jeweiligen Ikone dargestellt wird, zu erkennen, unabhängig von der Zeit, in der die Ikone gemalt wurde. Diese Tatsache hat der byzantinischen Kunst einige Kritik eingebracht. Trotz der Ähnlichkeiten, die eine Ikone des Apostels Paul z.B. des 6. Jahrhunderts mit einer Ikone desselben Heiligen, die im 12. oder 16. Jahrhundert gemalt wurde, aufweist — und das ist natürlich für ein Porträt — trägt jede Ikone den ganz spezifischen Ausdruck der jeweiligen Epoche, obwohl die Grundzüge unverändert Heilige Jungfrau Eleoussa, Ende 12. Jh. sind. Auf diese Weise bleibt die Ähnlichkeit, wie sie vom Hl. Klosterkirche des Hl. Savvas, Karonos Johannes von Damaskus erwähnt wird, erhalten. Andererseits muss sich die Ikone von der Wirklichkeit unterscheiden. Diese Unterschiedlichkeit wird durch bestimmte technische Prinzipien ausgedrückt. Solche Prinzipien sind: der Rhythmus in der Linienführung, das Fehlen der dritten Dimension und der Körperlichkeit, die Missachtung der Anatomie, die Betonung gewisser Körperteile wie Augen, Nase, Hände, die Benutzung von Gold und Rot als Hintergrund und schließlich die unnatürliche Anwendung des Lichtes, das diffus und nicht von einer bestimmten Quelle herkommend benutzt wird. Diese Prinzipien zeigen, dass die im Porträt dargestellten Personen zu einer übernatürlichen Welt gehören und betonen die Geistigkeit der Ikone. Die Ikone als solche ist kein Objekt der Anbetung, noch hat sie magische Kräfte. Die Ikone ist das Medium, über das der Gläubige mit dem abgebildeten Heiligen in Verbindung tritt. Johannes der Täufer Epiphaniaskirche Paphos Wie der Hl. Basil von Caesarea betonte (Migne 32, 149) und der 7. Ökumenische Rat im Jahre 787 n. Chr. in seinen Dogmen festhielt, "geht die Ikone über das Original hinaus". © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 141 Wenn der Gläubige die Ikone verehrt, dann meint er nicht das Material, aus dem die Ikone hergestellt wurde, sondern den dargestellten Heiligen. Die religiöse Bedeutung und die Geistigkeit einer Ikone ist keine Minderung des Kunstwerkes. Der Maler zeigt in der Ikone nicht nur seinen Glauben, sondern auch seine malerischen Fähigkeiten und seine Sensibilität. Sowohl sein Können wie auch seine künstlerische Qualität kommen durch das Material zum Ausdruck, das er für die Schaffung der heiligen Darstellung verwendet. Seine gestalterischen Fähigkeiten, seine Verwendung von Hell und Dunkel, und allgemein die von ihm benutzte Technik werden zum Mittel, um sein inneres Selbst und seine ästhetischen Empfindungen zum Ausdruck zu bringen. Es ist deshalb einfach, einen guten Maler von einem mittelmäßigen oder schlechten zu unterscheiden, wie auch Glanzepochen von Zeiten des Zerfalls der Ikonenmalerei. Erzengel Michael, etwa 1500 Diese materielle Seite der Ikonenmalerei hat eine besondere Bedeutung, Der Maler, der in einer bestimmten historischen Epoche lebt, bringt nicht nur die Ideale seiner Zeit, sondern auch diese Zeit selbst zum Ausdruck. Wenn er die Auftraggeber, die für das Werk bezahlt haben, im unteren Teil der Ikone darstellt, dann übermittelt er Informationen über seine Zeit. Die Bekleidung und der Schmuck der Auftraggeber informieren uns über ihren gesellschaftlichen Stand, ihre ökonomische Position, die Mode jener Zeit, ja selbst über die Handelsbeziehungen Zyperns mit anderen Ländern. Die Einflüsse, die man in der Ikone aufspüren kann, interpretieren die politischen Abenteuer des Landes, die engen Bande zwischen dem byzantinischen Reich und den französischen, venezianischen und türkischen Besatzern. So wird die Ikone zu einem Buch, das einem viel erzählen kann, wenn man es zu lesen versteht.“ Ich musste das Buch leider zuschlagen und Martina erlösen. Sie hatte es sich auf einer Bank in der Sonne bequem gemacht und zeigte mir den Umgang mit einer steinernen Ölpresse, die im Vorgarten aufgestellt war. Wir blickten uns um und suchten nun das Ethnographische Museum und siehe da. Es befindet sich auf der anderen Straßenseite. Die Breitseite des Hauses zeigt drei elegant geschwungene, über zwei Geschosse gehende Bögen, die eine überdachte Terrasse bilden und unten mit verschnörkeltem Gitterwerk vor Eindringlingen geschlossen sind. Wir traten ein, und sofort kam eine untersetzte dicke Frau, von Parfüm duftend wie eine Aktrice, mit Schmuck behängt, reichte uns servil ihre fettige Hand, fragte nach unserer Sprache und konnte uns dann in Deutsch die notwendigen Einweisungen geben. Langsam bemerkte ich, und sie, die sich als Frau Eliades vorstellte, erwähnte es auch nachdrücklich, dass dieses Haus eine private Sammlung ihres Mannes, Professor G. S. Eliades ist. Eliades ist (oder war, das konnte ich nicht herausfinden) ein Gymnasiallehrer, der sich ein Leben lang mit der zyprischen Volkskunst befasst hat. Er hat 1957 dieses Haus erworben und seither eine einzigartige Sammlung ganz unterschiedlicher Art in allen seinen Räumen zusammengestellt, die insgesamt ein bürgerliches Haus städtischer Architektur des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Paphos repräsentieren. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 142 Als erstes sahen wir das Studierzimmer, was ich gleich selbst annektiert hätte, so gefiel es mir. Studierzimmer des Herrn G.S.Eliades Dann schlug uns die Frau vor, erst einmal die Sammlungen des Untergeschosses anzusehen. Gesagt. Getan. Wir gelangten über eine Außentreppe ins Untergeschoss und standen in einem mit glänzenden Kieselsteinen gepflasterten kreuzförmigen Gang, von dem vier Räume abgingen. Gleich vorn rechts war eine Bauernstube, eher eine traditionelle Küche eingerichtet. In der Mitte der Tisch mit den Grundutensilien, die den meisten Dorfbewohnern Zyperns früher zur Verfügung standen: die polierte Tonschale, aus der die ganze Familie in alten Tagen aß, der unentbehrliche tönerne Weinkürbis, einige Gläser, ein Salzfässchen, einige Zwiebeln und Knoblauch. Flaschen, Mörser aus Messing. Holz oder Ton, Kupfergerät. Ein transportabler Blechofen mit einer Wärmepfanne darunter wurde zum Kochen aller Arten von Mahlzeiten und Süßspeisen…Alle Gegenstände stammen aus Dörfern Zyperns und stellen einen Einblick in das Leben der einfachen Menschen dar. Im Gange stand ein Karren, wie ihn die Esel zogen. In einem in die Wand eingelassenen Blindfenster, eine Art Schaukasten mit Fensterflügeln, häuften sich auf vier Borden Topfscherben, Handgriffe von Weinamphoren, Fossilien und Beiköpfe, Fundstücke aus Paläologischer Vorzeit. Die Amphorengriffe stammen aus dem 3. bis 1. Jahrhundert v.u.Z. Zwei Schädel und Schädelplatten sind in einem Glaskasten links im Gang zu sehen, etwa 250 Jahre alt. Je mehr man sich vertieft, desto interessanter und vielseitiger spreizt sich das Spektrum der Vergangenheit. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 143 Auf einem kleinen Tisch im Gang stehen zwei Wassertöpfe, aus denen je ein Büschel Thymian ragte. Neben dem Hausgebrauch dienten sie auch als dekoratives Element und waren in jedem zypriotischen Haus der Vergangenheit zu sehen, Die Thymianbüschel sollten verhindern, dass Schlangen hineinschlüpfen. Wie schon Aristoteles erwähnte, gab es früher viele Schlangen und giftige Vipern auf der Insel. Die Legende sagt, dass die Heilige Helena, Mutter Konstantins des Großen, Kaisers von Byzanz, anlässlich ihres Besuches von Zypern im 4. Jahrhundert nach Chr. eine große Anzahl Katzen aus Jerusalem mitbrachte. Die Katzen wurden im Gebiet des Kaps von Limassol ausgesetzt, wo sich das Kloster des Heiligen Nikolas befand, in der Hoffnung, dass die Katzen die Schlangen ausrotten würden. Seither wird die Kirche des Hl. Nikolas auch Katzenkirche genannt. Wir treten in den Hof. Die Sonne blendet. Wohltuend sorgt viel Grün für Schatten. Wir sehen eine Olivenölmühle, ein riesiger runder Stein mit einem Loch in der Mitte. Steingemauerte Backöfen sind in eine Ecke des Hofes gebaut, mit den Gerätschaften zum Backen von Brot, einem Trog zum Teigkneten und Brotbrettern ausgestattet. Sogar ein Grab finden wir, ähnlich den in Felsen gehauenen Gräbern der Könige aus der Zeit 3. bis 2. Jh. v. Chr. einschließlich Grabgefäße und Grabsteine zum Verschließen des Grabeinganges. Auch eine Kapelle ist in einer Höhle nachgestellt. Einige Ikonen zieren die moosbedeckte Wand. Vielerorts wurden solche Höhlen auch als Eremitagen verwendet wie in Neophytos. Mitten im Garten, der voller exotischer Pflanzen stand, war ein Dorfbrunnen nachgestaltet. Brunnen sind schon immer im Dorfe zentraler Treff von Jung und Alt gewesen, überall auf der Welt, auch hier auf Zypern. Schwatz und Klatsch, Neuigkeiten, ernsthafte Unterhaltung, Kontakt mit dem Nachbarn. Das waren die Zeitungen von früher! Ein Drehkreuz für das Seil, an dem die Zieheimer hingen, steckte auf einem Achsholz, das sich wiederum auf zwei Steinlagern drehte. Ich sah solchen Brunnen bereits in Kiti bei Larnaca. Als wir wieder die Treppe ins Obergeschoss hinaufstiegen, um die restlichen Räume zu sehen, bemerkte ich über der Tür ein seltsames Wappen. Es zeigt ein dekoratives Relief aus dem Jahre 1878, einen doppelköpfigen Adler mit Kronen und unten drei Spieler beim Billardspiel. Die Inschrift ist teilweise ausgemerzt. So ein seltsames Symbol über einer Tür habe ich noch nicht gesehen. Oben beinahe königliche Insignien. Adler breiten ihre Schwingen über gebändigte Panther aus und unten Lust und Leidenschaft zum Spiel? Ich schließe auf Vorbesitzer, die das Spiel aus Frankreich mitbrachten. Immerhin bevorzugten auch schon im 17. und 18. Jahrhundert so berühmte Personen wie Ludwig XIV. und Napoléon Bonaparte das außergewöhnliche Ballspiel. Wieder öffnet sich eine Gedankenbrücke ins Gestern. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 144 Wir sind wieder im Obergeschoss. Frau Eliades steht stolz neben uns, möchte uns alles zeigen. Martina wird ungeduldig. Ich möchte der Zypriotin mein Interesse zeigen. Ich staune über die Vielfalt der angelegten Sammlungen. Da findet sich eine Münzensammlung, in die ich mich nicht vertiefen will. Sie führt wieder in die Zeit der Römer und alten Griechen. Da ist in einer Ecke des Flures eine Reihe von Ikonen an die Wand gelehnt. In einer Vitrine stehen Silbergefäße und Silberbestecke von großem Wert. Mit Edelsteinen besetzte Muschelschalen, Pokale, Sammeltassen, Becher. Es ließe sich Vieles zusammentragen über die Verwendung und den ehemaligen Zweck dieser Dinge. Es wird Zeit, sich von Frau Eliades zu verabschieden. Bald stehen wir auf der sonnenüberfluteten Straße und suchen ein neues Ziel für diesen Vormittag. Da Martina Geburtstag hat, wollen wir hinunter nach Kato Paphos und irgendwo einkehren. Zunächst streben wir auf einen Aussichtspunkt zu, von dem man einen großartigen Ausblick auf die Unterstadt genießen kann. Ein Lokal muss hier gewesen sein. Jetzt ist es eine Ruine, nur eine alte Frau sitzt selbstvergessen auf einem Stuhl. Wir gehen auf die Terrasse und schauen. Wir wollen noch einmal ans Meer und zum Hafen hinunter und machen uns auf den Weg. Es sind zwei oder drei Kilometer, für die wir etwas länger als eine Stunde laufen. Da es bergab geht, ist die einzige Anstrengung, der direkten Sonneneinstrahlung auszuweichen. So nutzen wir jeden Schatten, der sich bietet und wechseln mehrmals die Straßenseite. Wir laufen immer die Agapinoros entlang und stoßen auf die Daidalou. Ampelkreuzung. Eine mächtige Kirche beherrscht den großen freien Platz, die Agioi Anargyroi . Es ist sicher ein Bau aus moderner Zeit, als Kreuzkuppelkirche ausgeführt. Mir hat sie imponiert, kompakt wie eine Festung, stolz wie eine Burg, schlicht die aufstrebenden Wände, klar die Formensprache ihrer Apsen, der mit Lüftungslöchern nur angedeuteten Fenstern, am schönsten die Dachlandschaft, die Kuppeln klassisch gedeckt mit Mönch und Nonne, die schlanken Glockentürme, eine in die Neuzeit herübergeholte Tradition. Wir wollen ans Wasser, verfehlen den Weg, finden nur unbekanntes Terrain, suchen jetzt einen entspannenden Sitzplatz. Ehe wir etwas Passendes gefunden haben, suchen wir die Richtung Hafen, laufen ein weites Stück. Eine Schule mit lärmenden Schulklassen bietet am Rande für uns eine Bank. Ich verfolge das von Lehrern geordnete Getriebe der uniform gekleideten Mädchen und Jungen und bestaune die wohltuende Ordnung gegenüber dem Chaos au deutschen Schulhöfen. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 145 Eine Klasse wechselt gerade das Zimmer. Ich empfinde Freude über dieses Land, das seine Kinder gut behandelt. Wir haben uns entschieden, einen großen Eisbecher zu schlemmen. Das tun wir auch, als wir die Strandstraße erreichen, suchen uns einen Freisitz in einer Trattoria, genießen die Ruhepause, das Zuzweitsein im fremden Lande, den Schatten, das kühle süße Eis. Die Rechnung wage ich auf Griechisch anzufordern: „Kyrios, to logariasmó parakaló!“ Da ich auch noch die Zahlen verstand, heimste ich einige Pluspunkte beim Kellner ein. Nun wird Martinas Wunsch erfüllt, über die bunte Shopping- Meile bummeln zu gehen. Ich bin heute sehr großzügig, hefte mich an ihre Fersen, gönne ihr generös die Entscheidung, in welches Geschäft sie hinein will, um zu entdecken. Ich staune nur über die Unmengen von wertlosem und sinnlosem Kitsch, den man uns Touristen anbietet. Es ist unbeschreiblich. Doch es würde nicht hergestellt und angeboten, wenn es nicht auch gekauft würde. Also gibt es eine Menge Menschen, die für solchen Kram ihr Geld ausgeben. Ich gönne den Einheimischen den Verdienst und verüble es denen nicht. Ich begeistere mich wieder an Schachfiguren, die die alte Römerzeit verherrlichen Ich bin wieder versöhnt mit dem „Tag zur freien Verfügung“. Am Hafen bietet sich noch einmal der herrliche Blick über die Schiffe, die Mole mit dem Hafenkastell, die blühenden Oleanderbäume, die Palmenfächer und die vielfarbigen Bougainvillea- Blüten. Doch ein Bus rauschte heran, und wir mussten uns mit einer großen Zahl von schwitzenden, dicken und laut palavernden Engländer hineinzwängen, die alle in ihre Hotels zurückwollten, die längs des langen Strandes der Korallenbucht von Paphos verteilt liegen. Nach einer reichlich halbstündigen Fahrt erreichten wir wieder unsere Bananenplantage und dann unser reizendes Hotel Cynthiana. Am Nachmittag genossen wir jeder auf seine Art die Freuden des Nichtstuns. Martina ruhte und schlief, neue Kraft sammelnd. Ich badete und las die gekauften Hefte, vertiefte meine Erkenntnisse, schmeckte meine gesehenen Bilder im Geiste nach und beobachtete meine Mitmenschen und deren Nichts- Tun und langweilte mich dabei kräftig. Wie hält man so etwas über längere Zeit aus? Über die Abende berichte ich nichts. Natürlich freuten wir uns auf das Menü, das wir am Buffet uns selbst wählen können. Ein obligatorisches Gläschen Bier oder Wein gab den i- Punkt dazu. Die Abendprogramme nutzten wir nicht. In den verräucherten Lokalen fühlen wir uns nicht wohl. Wir sind wohl auch schon ein wenig menschenscheu und kontaktarm geworden. Natürlich versäumte ich nicht, den abendlichen Sonnenuntergang aufs Korn zu nehmen. Ich habe nun bereits so viele Bilder davon, dass ich die Wiedergabe hier lieber sein lasse. Goldgelb, Orange, Blutrot, Purpur und Lila. Es ist ein Lichtspiel ohnegleichen. Dazu die wehenden Palmenwipfel, die im aufbrisenden Abendwind sich biegen und neigen. Es ist schön hier. Wenn es ganz dunkel ist, bin ich allein am Wasser. Die Menschen haben sich in ihre Betonhöhlen zurückgezogen und sind fernab der Natur. Ich träume noch eine kleine Weile. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 146 Die Wellen schwappen über die Felsen, schäumen auf, wirbeln zwischen den Klippen, strömen zurück und kommen wieder. Leise rauscht die Brandung, dunkel am Horizont dehnt sich die Silhouette des Troodosgebirges. Über dem Meer liegt jetzt nur noch ein lila Streifen, der Wasser und Luft verbindet, er wird immer dunkler. Ich gehe auch nach oben, kleide mich um fürs Dinner. Mittwoch, 11. Oktober 2006 XXXI. Agia Solomoni Letzter freier Tag. Morgen geht es zurück in die Heimat. Wieder nehmen wir uns am Vormittag Kato Paphos als Ziel, wissen immer besser Bescheid mit dem Stadtbus, kennen die Haltestellen und fahren allerdings erst einmal bis zum Markt hoch nach Ktima bzw. Pano Paphos. Martina will dann noch die moderne Geschäftsstraße durchkämmen, ihr bekannte Marken- Unternehmen besuchen, den Trend verfolgen, vielleicht etwas anprobieren oder gar kaufen. Als der Bus uns an der Endstelle auslädt, ist es heiß und ein bisschen schwül. Wolken bedecken den Himmel. Kühler Wind deutet auf schlechtes Wetter, vielleicht bringt er sogar Regen her. Wir nähern uns dem für die Jahreszeit normalem Herbstwetter, wo es auch regnen kann. Am Restaurant ZOVOS vorbei begehen wir noch einmal kurz den Markt mit dem konkreten Ziel, eine gute Kopie des steinzeitlichen Fruchtbarkeitsgottes zu finden, Erinnerung an das Zypernmuseum. Nach langem Suchen, wobei Martina mit anderthalb Augen ihren Interessen folgte, fanden wir ein kleines Exemplar, von dem im VI. Kapitel schon die Rede war. Dann lösten wir uns ganz schnell und sehr einig von dem Trubel und entflohen dieser Budenstadt. Von der Endhaltestelle führt ein Lift in einen unteren Stadtteil. In einer Senke lädt ein Türkisches Bad zur Reinigung ein. Es hat eine halbrunde weiße Kuppel und sieht sehr türkisch aus. Da es im Schatten, teils in greller Sonne liegt, ist das Gebäude nicht sehr fotogen. In einer kleinen Anlage setzten wir und auf einen Randstein und stärken uns mit einer Banane und mitgebrachtem Kaffee, denn der Vormittag ist weit fortgeschritten, dann machen wir uns auf den Weg. Martina geht tapfer an den Luxusgeschäften vorbei, wohl auch mir zuliebe. Wir wollen nun nach Kato Paphos hinunter. Wieder suchen wir Schatten. Wind fegt Schmutz und Staub durch die Luft. Der Himmel wird milchig. Heute ist kein Badewetter, für Einheimische sowieso nicht. Heute biegen wir an der Abzweigung ab, folgen der Leoforos Apostolou Pavlou, der Apostel-Paulus-Straße, geraten also nicht links von der Agioi Anargyroi auf die Daidalou, sondern weit rechts von dieser markanten Kirche. Kato Paphos- Romana- Hotel © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 147 Ein markanter Gebäudekomplex beherrschte diese Kreuzung, das „Romana Hotel“, ein mit vielen Klischees aus der Römerzeit dekorierter und darum blickfangender, interessanter Bau. Gegenüber diesem attraktiven Hotel stiegen wir auf den so genannten Fabrica- Hügel und begannen unsere eigentliche archäologische Entdeckungsreise an diesem Tag. Blanke Felsen und verdorrtes Macchia- Gestrüpp bedecken diese von Bebauung frei gehaltene Erhebung, von der wir einen guten Blick auf die gerade bewunderte Hotelanlage und das Meer und nach der anderen Seite auf die neue Kirche Agioi Anargyroi werfen konnten. Unter uns befinden sich unterirdische Grabanlagen aus hellenistischer Zeit. Der Name Fabrica erinnert an eine Bauhütte und Steinmetze, die hier einst arbeiteten. Spuren von Keillöchern zeigen, dass dieser Hügel in römischer Zeit als Steinbruch genutzt wurde. Australische Archäologen graben zur Zeit ein antikes Theater aus, das wir dann sehen können. Vorerst sehen wir ein Gitter um ein halb gesichertes Boden-Mosaik noch aus der hellenistischen Zeit. Die schwarz-weißen Steinchen deuten auf Entstehen vor der Zeitenwende hin, lange vor den herrlichen Mosaiken drüben im Archäologiepark. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht in ein Loch rutschen, aber es macht Spaß, auf eigene Faust auf Entdeckung zu gehen. Die regellos herumliegenden Felsen machen den Eindruck, als hätten Riesen sich hier mit Steinen beworfen. Sie heißen Digenis- Felsen. Es gibt auch eine Legende: Vor langer Zeit liebte ein byzantinischer Held die Königin Regaena. Diese hatte Digenis versprochen, ihn zu erhören, wenn er ihr Wasser aus dem Pentadáktylos bringe. Als sie ihr Versprechen nicht hielt, warf Digenis voller Wut einen Felsblock, den heutigen Fabrica- Hügel, auf ihren Palast. Regaena bewarf ihn daraufhin mit einer Spindel, die ihn in eine Granitsäule verwandelte. Dieser Fabrica- Hügel ist durchlöchert wie ein Schweizer Käse. An mehreren Stellen führten oft nur notdürftig freigelegte Treppenstufen in ein unterirdisches Höhlensystem, das sicher in der Vergangenheit viele Nutzungen erfahren hat. Wir stromerten durch die unübersichtlichen Höhlen, und meine Phantasie begann zu arbeiten. Höhlen schützen. Vor Unwetter. Vor Wetter überhaupt. Vor Menschen. Sie spart bauen. Über eine Nutzung ist nichts mehr zu erfahren. Einzelne natürliche Pfeiler stützen die verrußten Decken. Es gibt oft mehrere Ein- oder Ausgänge. Kurze Treppen verbinden manchmal unterschiedlich hohe Räume. Die Höhlen sind hoch, zum Wohnen fast ungemütlich. Man denkt an sakrale Nutzung, an Gemeinschaftseinrichtungen. Vielleicht waren es auch die Steine, die man ausbrechen wollte und nur das Nötigste stehen ließ, um das Gebirge nicht einstürzen zu lassen. Dann wäre aber der Tagebau einfacher gewesen. Einsiedeleien sind es bestimmt nicht gewesen. Dazu war der Ort zu bewohnt. Möglicherweise standen auch einmal Häuser darüber, und die Höhlen waren die unterirdischen Lagerräume. Lüftungslöcher führten oft senkrecht ans Tageslicht. Andernorts denke ich wieder an eine Kirche, Kultstätten. Der Massentourismus wird daran vorbeigelenkt. Gott sei Dank. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 148 Ein Hohlraum hat einen ganz offiziellen Ausgang, durch den wir auf die Straße treten. Eigentlich ist es der Eingang zum Höhlensystem. Wir haben die Besichtigung von Hinten begonnen, abenteuerlicher, mit einem Anflug von Entdeckerfreude. Nicht weit davon in Richtung Hafen wehen linker Hand von einem Baum viele bunte Tücher. Hier findet sich unter der Erde eine unterirdische Kirche, die Höhlenkirche Agia Solomoni, zu der wir nun hinuntersteigen. Von einem oben offenen Vorraum führen mehrere Eingänge zu unterschiedlichen Stellen. Die eine ist der Zugang zur Kirche selbst, in die man wieder mit einigen Stufen hineinsteigen muss. Die Finsternis wird nur durch ein paar Wachskerzen aufgehellt. Ansonsten muss das Tageslicht, das aus dem kleinen Vorhof hineinfällt ausreichen. Der Kirchenraum ist auch nicht tief, vielleicht 6 – 8 Meter bis zum Altarbereich. Decke und Wände sind arg verrußt von Fackeln und Kerzen. Die Wände sind nackter Fels mit Narben, Rissen, Löchern und Vertiefungen. Links lehnen Papptafeln gegen die Wand, an denen Ikonen befestigt sind. Kunstblumen und Deckchen schmücken Altar und einen Steintisch an der Seite. Rechts lehnen ebenfalls Ikonen. Der Fußboden ist festgetreten, nicht gepflastert, erdig und wirkt wie aufgeschüttet. Blickfang und Andachtsmitte ist eine Christus- Ikone vor einem weißen Tuch mit zwei roten Kreuzen. Ich vermute, die heutigen Gläubigen haben ohne Aufwand von Geld diese Höhle mit primitiven Mitteln wiederbelebt und in religiösen Gebrauch genommen. Man sagt, dass frühe Christen vor 2000 Jahren hier Zuflucht suchten. Diese auf antike Grabanlagen zurückgehenden Katakomben wurden nach der Märtyrerin Solomoni benannt, einer Jüdin, die zusammen mit ihren sieben Söhnen während des Makabäer- Aufstandes 166 n. Chr. hier lebendig eingemauert worden sein soll. Vom Vorhof führen Stufen in die Tiefe zu einem Brunnen, der diese Stelle wertvoll machte, weil seinem Wasser eine heilende Wirkung bei Augenleiden nachgesagt wird. Ich steige hinunter bis zur „Quelle“, einem kleinen Wasserbecken, leider mit Gegenständen verschmutzt, wie es üblich ist bei öffentlichem unkontrolliertem Zugang. Wenn der Mensch allein ist und anonym handeln kann, ohne sich für sein Tun verantworten zu müssen, wird er zum Urtier, zur Sau. Der Brunnenraum ist aus dem Stein Eingang zur Höhlenkirche Agia gearbeitet, so dass mehrere Leute sich bewegen können, Solomonis (Mitte) und Treppe zum ohne weitere Ausstattung. unterirdischen Brunnen (rechts) Wieder ans Tageslicht gestiegen, bleibt ein Blick durch das verschlossene Gitter der dritten Tür, die vom Vorhof in einen Andachtsraum führt, die eigentliche Grottenkirche vielleicht, vielleicht eine Totenkapelle, auch noch unter der Erde gelegen. Es ist finster darin. Die Augen gewöhnen sich langsam um. Ich sehe verblichene Fresken in der Apsis und zu beiden Seiten. Die Fresken, mit denen die Wände ehemals bemalt waren, sind vermutlich verschimmelt, auch abgehackt, nie saniert, mindestens eineinhalb Tausend Jahre alt. Die Denkmalspfleger haben noch keine schützenden Hände darüber gelegt, scheint mir. Der Boden ist mit groben Steinen unordentlich gepflastert ohne erkennbares Programm. Die gewölbte Decke ist nahezu schwarz. Nur mühsam erkennt man, dass sie voll ausgemalt war. Welche Herausforderung, sie wieder © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 149 sichtbar zu machen! Das Podest für einen Taufstein kann man ausmachen. Eine Nische führt möglicherweise in die Sakristei, einen winzigen Nebenraum für den Priester. Wir klettern nach oben, machen Platz für eine Familie, die neugierig nach unten drängt. Martina rafft es. Sie will auch ein Tüchlein an den Wunschbaum knüpfen, raubt mir ein Taschentuch und befestigt es mit verschmitztem Lächeln an dieser 300 Jahre alten Terpentin- Pistazie. Wir wünschten uns etwas, verrieten es nicht, als das Tuch wie die anderen im Winde zappelte, hin und her schwang und nun wer weiß wie lange dort hängen bleibt. Wie willig lässt sich der so moderne Mensch auf solche Schamanen- Mätzchen ein. Er tut es mit einem Lächeln, versteht es als Scherz, doch im Innern? Der Glauben wird durch das geschmückte Portal hinausgetrieben. Durch kleine Hintertüren schleicht er sich wieder ein. Da werden Münzen in Brunnen geworfen, Bronzestatuetten an bestimmten Stellen berührt, bis das Metall goldgelb glänzt, heilige Steine angefasst, Ikonen geküsst, die Liste ließe sich endlos lang ausdehnen. Hier wird eben ein Tuch am Wunschbaum befestigt. Wer erfüllt diese Wünsche? In allen monotheistischen Religionen haben die Gläubigen ihre Riten, ihre Heiligen, ihre Reliquien, ihre Herren und Mütter, die über sie wachen, in anderen Religionen gibt es sie sowieso. Ich frage mich, warum macht das aber der „moderne“, aufgeklärte Atheist? Und glaubt auch noch daran! Heidnischer Aberglaube ist eben in jedem von uns infiltriert! Unser Besichtigungsprogramm war zu Ende. Wir fanden schnell den Weg zum Hafen. Kühler Wind war aufgekommen. Vor die Sonne hatten schwammige Wolken ihre Schleier gezogen. Böen fegten durch die Straßen und wirbelten den Staub des trockenen Sommers auf. Schlechtes Wetter zog heran. Wir hatten Glück, standen gut an der Haltestelle, als der Bus einlief und bekamen einen Sitzplatz, denn mit uns wollten jetzt eine Menge Engländer wieder in ihre Hotels entlang der Küste. Und wir hatten fast die Schweres Wetter über dem Troodosgebirge weiteste Strecke. Am Nachmittag dann erlebten wir ein Gewitter mit Blitz und Donner von großer Heftigkeit. Seltsam, es regnete bei uns nicht. Das Unwetter tobte vielleicht zwei Stunden über die Insel und verzog sich dann in Richtung Troodos. Die Luft roch frisch und war sehr abgekühlt. Der Badestrand lag verwaist, selbst die begehrtesten Plätze waren jetzt zu haben. Ich überredete Martina, mit mir noch ein letztes Mal den Badestrand zu genießen. Wir suchten eine Liege direkt auf der Felsenbrücke zwischen Badewanne und Meer. Der Unterschied zwischen Luft- und Wassertemperatur war gering und machte das Zuwassergehen leicht. Ich bereute, dass ich keine Schwimmflossen oder Taucherbrille mithatte. Sie hätten das Gepäck belastet. So schwamm ich ein letztes Mal in dem herrlich sauberen Wasser. Später beobachtete ich eine Gruppe Taucher, eine Tauchschule, die ihre umfangreichen Gerätschaften Badezugang zum Meer im Wasser ausprobierten. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 150 Viel wird man unter Wasser nicht sehen. Hier ist felsiger Grund an der Küste, kaum Sand. Es gibt Tangwiesen, Kleinfische sicher auch, Anemonen. Der Name der Bucht lässt auch auf Korallenriffe schließen. Ich sammelte darüber keine Informationen. Wie beschrieben war ich auf Kulturreise und nicht im Badeurlaub. Am Abend fotografierte ich mit innerlichem Glücksgefühl und gleichzeitigem Abschiedsweh noch einmal den Sonnenuntergang, der heute klarer war als gestern. Zunächst leuchtet sie noch eine Weile durch die Palmen. Dann umgibt sie sich mit einem Schleier aus lila Watte und rutscht in wenigen Minuten in diese Schicht über dem Wasserhorizont, bis sie sich rot färbt uns versinkt, weil ihr Licht mit untergeht. So sehen wir es. Doch in Wirklichkeit drehen wir uns von ihr weg. Wer es sich bewusst macht, bemerkt wie schnell unser Planet sich dreht! Was blieb uns noch: Ein vorzügliches Abendmenü, dann Kofferpacken. Zeitig schlafen gehen. Es wäre müßig, von dem nun folgenden Geschehen viel Aufhebens zu machen, der Rest der Reise ist schnell erzählt: Donnerstag, 12. Oktober 2006 ir mussten sehr zeitig aufstehen. 5.30 Uhr gab es ein nicht sehr üppiges Frühstück. Koffer zum Bus. Wir trafen auf Antonio, der uns nun bis zum Flugzeug begleitete. Die Fahrt zum Flughafen Paphos war recht kurz. Die Wartezeit auf den Abflug dagegen dehnte sich über fast zwei Stunden. Eine zypriotische Maschine brachte uns in etwas mehr als vier Stunden sicher nach Dresden zurück. Gepäck- Karussell. Rolltreppe. S-Bahn. Hauptbahnhof. Straßenbahn Nr. 10. Striesen. Bergmannstraße. Wir rollern mit dem Gepäck übers heimische Pflaster. Keglerstraße. Wir waren wieder zu Hause. W XXXII. Epilog Z ypern ist eine Reise wert, das ist mein Fazit. Wir haben so viel es uns in diesen zwei Wochen möglich war gesehen. Ich war beeindruckt von dieser Insel und seinen Bewohnern, und ich habe vom Gefühl her diese verschiedenen Ebenen erlebt: • Da waren zuvorderst die politischen Spannungen, unter denen die Zyprioten und zwar griechische und türkische heute noch leiden. Wer genau hinhört und hinsieht, wird sie spüren. • Da ist die Lage der Insel in ihrer Nähe zu drei Kontinenten, ein Katzensprung nach Antalya, nach Haifa oder Alexandria. Am meisten bemerkt man im Süden, der Republik Zypern aber die Nähe zu Griechenland und Europa. • Da sind die Religionen, der Islam im türkisch besetzten Norden mit seiner Intoleranz, Gleichgültigkeit bis zur Verfolgung christlicher Werte und das Christentum mit seinen Ausformungen und Widersprüchen der griechisch- orthodoxen Ostkirche und der römisch- katholischen Kirche des Vatikans. • Da sind die unterschiedlichen Landschaften, das grüne Gebirge, die im Sommer ausgetrockneten Felder und Wadis der Küstenebenen mit Wasser- und Energieproblemen. • Und da sind die unvergleichlichen Erlebnisse mit den Zeugnissen der Vergangenheit, die mich, wie man diesem Bericht leicht entnehmen kann, am meisten beeindruckten. © Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 151