Reise nach Zypern …wo die Götter Urlaub

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Reise nach Zypern …wo die Götter Urlaub
Reise nach Zypern
…wo die Götter Urlaub machen – Erlebnis Zypern
I. Prolog
vom 28. September – 12. Oktober 2006
E
s war eigentlich ein Zufall, und er kam von ungefähr, dass wir diese Reise bei
Eberhardt Travel buchten. Angeregt durch eine erlebnisreiche Fahrt mit diesem
Unternehmen nach Zentralfrankreich im Juni 2005 folgten Martina und ich einer
Einladung zur „Reisemesse“ in das World Trade Center in Dresden am 8. Oktober 2005.
Unter der riesigen Glaskuppel waren, Messeständen ähnlich, am Rande zweier Gassen eine
ganze Menge Holzbuden aufgebaut, jede ein Reiseland vertretend, in das man reisen konnte.
Kleine Näschereien, Weinproben, Prospekte aller Art wurden angeboten. Die Anbieter waren
größtenteils Vertreter der Reisebüros in diesen Ländern. In den Gängen tummelte sich eine
bunte Welt des Tourismus, mit schreienden Farben, oberflächlichen Werbesprüchen und den
üblichen Klischees, auf die hereinzufallen man vom breiten Publikum erwartete. Es war eine
richtige Messe- nur die Produkte waren eben Reisen.
Gleichzeitig lag der neue Eberhardt- Katalog für die Neue Reisesaison 2005/2006 an allen
Ecken aus. Wir wussten, dass am Saisonbeginn und -ende jeweils recht preisgünstige und
interessante Reisen, vor allem für die treuen Kunden ausgelobt wurden.
Der erste Blick fesselte mich: Korsika! Ich konnte Martina begeistern, und wir buchten sofort
eine Busreise für das zeitige Frühjahr 2006. Endlich würden wir diese herrliche
Mittelmeerinsel kennen lernen.
Dann bummelten wir entspannt durch die Budenstraßen, die von einem fürchterlichen Lärm
aus überzogenen Lautsprechern und von neugierigen Besuchern angefüllt waren. Es zog mich
zum Stand von Frankreich, weil ich gerne noch eine Fahrt dorthin unternehmen wollte,
obwohl ich gerade gebucht hatte. Ein Glas Rotwein beschwingte uns. Gedanklich befanden
wir uns im Mittelmeer. Eine Elsaß- Reise wäre uns noch recht gewesen oder eine in die
Normandie und Bretagne.
Auch der warme Süden zog uns beide schon immer an. Die Reisen in die Adria nach Kroatien
tauchten in der Erinnerung auf. Dann wollten wir schon lange nach Griechenland, ins Land
der Antike. Spanien und Portugal war sehr lange schon ein Ziel. Auf meiner Warteliste ruhten
weiter die Mittelmeerinseln Sizilien, Sardinien, Kreta, Rhodos, Malta, und plötzlich standen
wir vor einem Stand, wo eine junge Frau mit viel Verve für ihr Heimatland Zypern warb und
mein Interesse weckte. Sie zeigte auch gleich im Katalog eine große Rundreise durch Zypern
– ich wollte, wenn ich uns diesem weiten Flug aussetzte - schon so viel wie möglich von der
Insel sehen. Wir traten näher. Frau Ismini, so hieß sie und vertrat hier ihr zyprisches
Reisebüro „ISMINI –TRAVEL“, versprach uns mit eifrigen Worten eine interessante und
vielseitige Reise, sie verstand es, Martina und mich für diese Fahrt zu erwärmen. Der Haken
war geworfen und saß im Fleisch. Der Entschluss für unsere gemeinsamen Reisen wurde
immer spontan getroffen. Wir haben nie lange gezögert und waren noch nie enttäuscht.
Wir nahmen so viel Prospekte, Karten und Informationsbroschüren mit, wie es zu diesem
Lande gab. Wir waren beide von ihrem freundlichen Wesen sehr eingenommen, und als Frau
Ismini uns versprach, zu dieser Reise unsere Führerin zu sein, hatte sie uns gewonnen.
Zu Hause besprachen wir alles noch einmal, studierten die Reise genau, wogen die Finanzen
und Martinas Urlaubsmöglichkeiten ab und legten uns fest.
Fast ein Jahr dauerte es nun, bis der Reise- Termin heranrückte. Unterdessen besuchten wir
im Frühjahr 2006 die herrliche französische Mittelmeerinsel Korsika. Im Juni verbrachten wir
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10 Tage in Kärnten/Österreich, auf dem Reißeck in 2200 Meter Höhe. Schnee zur
Sonnenwendfeier!
Nun rückte das September- Ende heran. Martin nervte mich, doch im Internet nach dem
Wetter auf Zypern zu fahnden. Ich fand im Netz Tagestemperaturen um die 30 Grad. Dann
kam das Kofferpacken. Martina räumte die Schränke leer, probierte unsere Koffer aus- das
übliche Zeremoniell. Also flogen die warmen Sachen wieder in den Schrank zurück. Das
Bundsministerium für Auswärtige Angelegenheiten meldete keine Reisewarnungen. Manch
einer der Bekannten äußerte Bedenken: „Nee, nach Zypern würde ich nicht fahren!“ Warum,
konnten sie mir nicht erklären. Abneigung, um nicht zu sagen Angst, hörte ich heraus wegen
der unsicheren Verhältnisse in Nahost. Vorurteile.
Wir aber wollten nach Zypern! Gehört es noch zu Vorderasien? Politisch gehört es seit dem 1.
Mai 2004 zur Europäischen Union.
Schon zu Hause beschäftigte mich die besondere Lage der Insel, und ich recherchierte einiges
dazu.
Welch strategische Brisanz diese Insel
im Mittelmeer darstellt, mag man sich an
den Entfernungen zu drei Kontinenten
klar machen. Seine geografische Lage
bildet die Schnittstelle zu Asien, Afrika
und Europa. Seine Entfernung zur
Südküste des türkischen Festlandes
beträgt 75 km, zur Westküste Syriens
zirka 95 km. Nach Ägypten sind es
ungefähr 325 km. Es ist die östlichste
Insel im gesamten Mittelmeer und ist
politisch gespalten.
Die Republik Zypern, in die wir reisten, bildet heute den südlichen, griechischen Teil, EUMitglied, mit Ambitionen und dem rechtlichen Anspruch auf die ganze Insel (5384 km2).
Abgetrennt davon und kontrolliert von den Vereinten Nationen ist die Türkische Republik
Nordzypern (3355 km2). Relikte aus der britischen Kolonialzeit sind die Selbständigen
Militärbasen Akrotiri bei Limassol und Dhekelia bei Larnaca (255 km2). Die neutrale UNPufferzone nimmt noch einmal etwa 4% des Landes ein.
Zur wechselvollen und blutigen Geschichte Zyperns komme ich später.
Zunächst verschaffte ich mir einen groben topografischen Überblick.
Zwei Gebirgszüge durchziehen
die Insel: Die zur Küste hin
abfallende, sonst schroffe Kette
des Pentadaktylos (Beşparmak)
im
Nordosten
und
das
vulkanische,
waldreiche
Troodos-Gebirge im südlichen
Landesinnern,
mit
dem
Olympos (1.952 m) als höchster
Erhebung. Die rund 700 km
lange
Küste
bietet
teils
ausgedehnte
Sandund
Kiesstrände
sowie
steil
abfallende
Felsküsten
mit
kleinen Buchten.
Zypern besitzt ein mediterranes Klima mit deutlich kontinentaler Ausprägung. Die südliche
Lage bedingt höhere Temperaturen als im nördlichen Mittelmeerraum, und von der
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levantinischen Küste wehen oft heiße Wüstenwinde übers Meer. Das Mittelmeer um Zypern
hat die höchsten Wassertemperaturen im gesamten Raum. Im Februar werden etwa 17 °C, im
August um 28 °C erreicht.
Das Land leidet chronisch unter
Wassermangel. Regen fällt vor allem von
Dezember bis April. Von Mai bis
November ist es trocken und vor allem im
Landesinneren z. T. sehr heiß. Nikosia hat
im Juli und August eine durchschnittliche
Höchsttemperatur von 37 °C, was nur 2 °C
unter der Temperatur in Dubai liegt, aber
8 °C wärmer ist als auf Mallorca. In
Extremfällen steigt das Thermometer im
Zentrum der Insel im Hochsommer auf
47 °C. An den Küsten ist es während des
Sommers meist am Tag 30 bis 35 °C warm,
Die Insel Zypern vom Satelliten gesehen
in der Nacht kühlt es auf 20 bis 23 °C ab.
Der Westen der Insel um die Stadt Paphos ist 2 bis 4 °C kühler als der Osten. Im Winter
liegen die Temperaturen zwischen 15 °C und 20 °C am Tage, von Zeit zu Zeit auch darüber,
selten darunter. Oberhalb von 1 500 m kann es Schnee geben.
Ich las auch über Bevölkerung, Religion, Städte, Bodenschätze, Landwirtschaft, Kultur eine
ganze Menge nach. Doch das will ich später einflechten, wenn es gerade passt.
Mit derlei nützlichen Informationen ausgerüstet, mit wachem Sinn und offenen Augen machte
ich mich also auf, während Martina verständlicherweise ihre Erwartungen auf den Komfort
und die Erholungsmöglichkeiten in den Hotels gerichtet hatte.
II. Flug nach Larnaca
Donnerstag, 28. September 2006
er Reiseveranstalter war spendabel und lud uns zu einem Frühstück um 10.15 Uhr in
das Flughafenrestaurant ein. Wir waren vorher mit unserem Gepäck zur Straßenbahn
Nr. 10 gerollert und zum Hauptbahnhof gefahren, in die S-Bahn umgestiegen und
bequem im Untergeschoss des Flughafenterminals Dresden gelandet. Martina kostete das
nichts- sie besaß eine Abo- Karte der Dresdener Verkehrsbetriebe, und ich bezahlte gerade
mal 1,70 € für eine Stundenkarte. Dagegen kostet der Haustürtransfer von Eberhardt 40 € pro
Person!
D
Wir besorgten vorsichtshalber noch einen Adapter im Shop, weil auf Zypern noch englische
Stromnormen gelten. Erstes Begrüßen und Guten-Tag-sagen. Bekanntschaft mit Frau Latta,
unserer Reisebegleiterin, die die Flugscheine ausgab. Kurzes Schlange-Stehen am
Abfertigungsschalter. Einchecken ohne besondere Vorkommnisse. Warten in der Transitzone.
Martina wollte ein Buch kaufen. Sie gab 10 € aus für Jonathan Franzen „Schweres Beben“.
Das Flugzeug hatte Verspätung. Ein Grund wurde nicht genannt. Abflug sollte sein 12.15
Uhr. 40 Minuten später stiegen wir über die Gateway an Bord einer Boeing 737-800 und
hoben mit ECA 833 der zyprischen Fluggesellschaft Eurocypria Airlines ab. Wir hatten auf
Nachfrage am Notausgang einen Sitz bekommen und daher Beinfreiheit fast wie in der
Business- Klasse. Das zahlt sich auf dem viereinhalb- stündigen Flug aus. Bildhübsche
Stewardessen mit kecken gelben Kappen bedienten uns.
Neben mir als dritter in der Sitzreihe hatte ein Mann Platz genommen, der von seiner Frau
durch den Gang getrennt wurde. Er sprach wenig während des Fluges und rätselte Kreuzwort.
Ich schielte zu ihm hin und bewunderte seine eigenartigen Buchstaben, die er flink mit
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affenartiger, designerschnellen Sicherheit in die Kästchen eintrug. Sie hatten die Schriftform
von Russischbrot- wer das kennt, doppelwandig. Das hatte ich noch nie gesehen.
Unterwegs teilte man uns verbindlich mit, dass wir in Paphos zwischenlanden werden, aber
im Flugzeug verweilen dürfen, das heißt der Flieger setzt einen Teil der Passagiere in der
westlichen Touristenzone der Insel ab, während wir unser erstes Quartier an der Südostspitze
in Protaras beziehen werden.
Nun hatte mich die ganze Zeit während der Vorbereitung auf diese Reise ein Problem
beschäftigt, mit dem ich mich aus Prinzip bei Reisen in jedes Ausland vorher befasse, nämlich
die Sprache des jeweiligen Landes, in diesem Falle die griechische Sprache. Es ist ja so, dass
jeder der eine Fach- oder Hochschule absolviert hat, oder auch schon vorher beim Abitur, in
Mathematik, technischen oder Logikfächern, fast alle Buchstaben des griechischen
Alphabetes in irgendeiner Formel kennen lernt.
Wer aber griechische Schrift lesen muss, in zusammengesetzten Wörtern oder Sätzen, steht
vor ganz anderen Problemen- der Aussprache und dann, falls er lesen gelernt hat, natürlich
den Vokabeln. Für mich galt es, die erste Hürde zu nehmen, die Buchstaben und ihre
Aussprache zu studieren und dann die zweite, einige Wörter, stehende Floskeln und die
Zahlen zu erlernen. Dabei half mir über die erste Hürde ein kleines „KauderwelschWörterbuch“ hinweg, das nur mit der lateinischen Lautumschrift operierte. Und damit auch
gleich über die zweite. Ich brauchte mir das griechische Schriftbild nicht einzuprägen. Das
war meinem Anliegen ungemein förderlich, so dass ich bald Bitte, Danke, Guten Tag, Seid
gegrüßt, Wo finde ich…? Rechts, links und anderes sagen konnte. Die Aussprache musste ich
noch lernen. Den ersten griechischen Satz fand ich an der Rückenlehne meines Vordersitzes:
ΔΕΣΤΕ ΤΗ ΖΩΝΗ ΑΣΦΑΛΕΙΑΣ ΣΑΣ, was vielleicht gesprochen wird wie „deste ti zoni
asfaleias sas“. Ich buchstabierte eine ganze Weile daran herum und wusste natürlich, dass es
hieß: „Fasten your seatbelts while seated“ , weil es daneben stand oder in deutscher Sprache
etwa „Bleibe im Sitzen angeschnallt“.
Im Übrigen sahen wir nicht viel durch das kleine Bullauge. Wir flogen viel über Gebirge,
später über Wasser. Kleine und größere Inseln schwammen in der blauen Wasserfläche.
Einige Male ruckelte der Flugkörper, dann ging das Anschnallsignal an. Aber das war nicht
groß beunruhigend. Man darf sich, wenn man einmal drinsitzt in so einem Technikvogel,
keine Gedanken machen über Not- und Rettungsmaßnahmen. Wenn abgestürzt wird, ist
sowieso Ultimo und die Überlebenschance Null. Wozu also solche Fiktionen.
Es wurde schnell Nachmittag, zumal wir die
Uhr um eine Stunde vorstellen mussten. Wer
grob mitrechnet: Wir flogen gegen 13 Uhr
los. Der Flug dauert etwas über vier
Stunden. So um 17 Uhr Ortszeit kam am
Horizont Land in Sicht, unsere Insel Zypern,
die wir von Westen her anflogen. Schon
begann die Dämmerung die große Laterne
zu dimmen. Ich war überrascht von der
Dimension der Stadt Paphos, über der wir
zur Landung herabgingen. Ein riesiges
Häusermeer überzog den Küstenstreifen. Es
sah aus wie Kolonien von Riesen- Pusteln,
die weißen Häuser, ohne die von uns
gewohnten roten Dächer.
Landeanflug auf Paphos
Hier sind die Häuser flach gedeckt. Viele haben eine Betonterrasse oben. Die Sonne brach
noch einmal aus den Wolken und beleuchtete das Land. Wir sahen durchs Fenster, wie sich die
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Bremsklappen heraus schoben, das Flugzeug Geschwindigkeit und Höhe verlor, der Pilot es
langsam auf die Landebahn zusteuerte, die wir nicht sahen.
Die Boeing bumperte auf die Rollbahn. Wir spürten die gewaltigen Bremskräfte, die der Pilot
auf die Räder brachte. Die Passagiere spendeten den üblichen Beifall. Zwischenlandung in
Paphos 17.30 Uhr Ortszeit. Wir blieben sitzen, hoffend, dass es nicht so lange dauern würde.
Eine halbe Stunde mussten wir auf unseren Sitzen ausharren, ehe die Motoren wieder
angingen und unser Vogel sich wieder in die Luft schwang.
Nun flogen wir in der zunehmenden Dunkelheit an der Südküste Zyperns entlang. Rechts war
nichts als Meer, links immer dunkler werdende Landmasse. Vielleicht 25 Minuten dauerte
dieser „Inlandflug“, bis wir um 18.30 Uhr in Larnaca erneut zu Boden gingen. Auch diese
Landung glückte. Nun waren wir dran. Die Maschine war schon halb geleert. Schnell
erreichten wir Transitraum, Passkontrolle und steuerten auf das Gepäckkarussell zu.
Unterwegs tauschte ich 200 € in 108.20 CYP um.
Die nationale Währung Zyperns ist das Zypern-Pfund (int.
Kürzel CYP). Ein Zypern-Pfund ist (seit 1983) 100 Cent (Σεντ)
(und war davor 1000 Mils).
Am
29.
April
2005
trat
Zypern
dem
EuroWechselkursmechanismus II bei zu einem Leitkurs von 1 EUR =
0,585274 CYP und darf um diesen Mittelkurs ±15 % schwanken.
Der Euro könnte frühestens im Sommer 2007 eingeführt werden.
Allerdings ist die Einführung für den 1. Januar 2008 geplant. Ob
Zypern es schaffen wird, alle nötigen Umstellungen rechtzeitig
vorzunehmen, ist noch fraglich. Mit Sicherheit wird man
spätestens im Jahr 2009 die ersten Zypern-Euros zirkulieren
sehen.
Wenn ich den Kurs aus diesem Untausch errechne, lande ich bei
0,541 CYP für 1 €.
Wir rechneten künftig immer mit 1:2 und kamen gut
Motive aus Geschichte und
hin damit.
Mythologie auf der 20-Pfund-Note
Am Gepäckstand sprach uns eine beflissene, scheinbar halbamtliche Frau in Englisch an, mit
einer Frageliste in der Hand. Ich stellte mich ihr, wusste aber nicht so recht, was sie von uns
wollte. Ich schielte mit einem Auge auf das Gepäckband, das einen Koffer nach dem anderen
an uns vorbei transportierte, aufgeregt, während ich versuchte herauszufinden, was die Frau
wissen wollte, Reiseziele auf der Insel, kulturelle Absichten…Als ich unsere Koffer sah,
wandte ich mich abrupt von ihr ab. Ich liebe Befragungen nicht sehr.
In der Nebenhalle sammelten wir uns vor den Schaltern der Reisebüros und bekamen zum
ersten Male einen Überblick über unsere Reisegruppe, die ich auf etwa 30 Personen schätzte.
Wir erfuhren, dass vier Personen von Hellas- Reisen bei uns mitreisten.
Und wir lernten Antonio kennen. Er stapfte
in
dem
Dieselgestank
vor
dem
Terminalgebäude vor uns her und lenkte uns
zu dem Bus, der uns die restlichen 40 km
vom Flughafen Lacarna in unser Hotel nach
Protaras brachte.
Als wir ausstiegen, gerieten wir in eine
feuchte Wärme, die noch am Abend
vielleicht 28 Grad ausstrahlte. Aber gleich
empfing uns die klimatisierte Atmosphäre
der Hotel- Lobby des Beach- Hotels
CAVO MARIS, in dem wir vier Nächte
Hotel CAVO MARIS, Protaras, Meerblick
verbringen werden.
Unser Zimmer besaß einen Balkon, von dem aus wir das Meer sehen konnten und den
Widerschein der untergegangenen Sonne beobachten. Dann verlieren wir uns in der
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unübersehbaren Menge im riesigen Speisesaal des Hotels, an dessen Buffets so etwas wie
Schlaraffenland herrschte.
Nach dem Abendessen wollen wir noch im Ort Wasser kaufen gehen. „Metallicó nero“.
Mineralwasser. Antonio gab uns den Hinweis, wo der „Supermarkt“ zu finden sei, gleich
über die Straße. Leider sahen wir gerade, wie der Besitzer in seinen kleinen Toyota stieg und
vor unserer Nase nach Hause fuhr. Als wir über die Straße gingen, erlebten wir eindringlich
die Umstellung auf den Linksverkehr, der hier vom ehemals englischen Kolonialherrn
eingeführt wurde.
Die Klimaanlage auf dem Zimmer ist so geräuschvoll, dass wir sie in der Nacht ausstellen
müssen.
Freitag, 29. September 2006
III. Rote Dörfer – Dherinia - Pyla
Am Morgen frühstückten wir erst einmal inmitten der vielen Gäste, die hier stationär ihren
Badeurlaub im Hotel verbringen.
Ich stellte fest, dass meine Befürchtungen,
nicht
genug
Griechisch
zu
können,
unbegründet sind. Ich hatte das Gefühl, ich bin
in England. Neben einigen Russen sind die
Mehrzahl der Gäste Engländer und Deutsche.
Auch draußen spricht jeder Englisch. Also kein
Sprachproblem. Das Frühstücks- Buffet ist
demzufolge sehr britisch: Gekochte Bohnen,
gedünstete Tomaten, Rührei und gebackener
Speck und hot sausages, heiße Würstchen,
Toast und klebrig-süße Baguettes. Doch als
„continental breakfaster“ konnte man sich auch
Protaras, Hotel CAVO MARIS, Swimming
ernähren.
pool der Sitz auf der überdachten Terrasse mit dem schönen Blick über die
Viel Freude machte uns
Palmen und den blühenden Oleander hinweg auf das blaue Wasser des Pools. Hungrige,
freche Sperlinge umflatterten uns, um einige Brösel zu erhaschen. Die Luft jetzt um 8 Uhr ist
herrlich, nicht zu kalt und nicht zu warm.
8.40 Uhr sammelten wir uns im Bus. Der Kraftfahrer Michail wurde uns von Antonio
vorgestellt, ein junger unverheirateter Mann mit der Leidenschaft fürs Essen. Wir fuhren
nordwärts über Paralimni nach Dherinia (griech. Deryneia) direkt an die Demarkationslinie
zum türkisch besetzten Teil.
Das "Land der roten Erde" im Südosten, die Kokkinochoria, was etwa dasselbe heißt, gilt
als Gemüsegarten Zyperns, mit Kartoffeln, Auberginen, Tomaten, Gurken, Zwiebeln und
anderen Arten. Hier werden die meisten Kartoffeln der Insel geerntet, was ich bestätigt fand,
denn als wir in Paralimni hielten, um Geld in einer Bank zu tauschen, beobachtete ich
mehrere Kleinlaster, hoch beladen mit den rotbraunen Knollen. Und auch die roten Felder
konnte ich im Vorbeifahren sehen, jetzt im beginnenden Herbst schon umgepflügt.
Eisenmineralien mögen für die intensive rotbraune Farbe und vielleicht auch für die
Fruchtbarkeit der Erde sorgen.
Die kleine Stadt Paralimni wurde nach der überfallartigen türkischen Besetzung 1974 der
Region Ammochostos, deren Hauptstadt Famagusta (türk. Gazimağusa) ist, zum vorläufigen
Verwaltungsmittelpunkt des Regierungsbezirkes.
Ich muss nun davon reden, dem giftigen Pfeil, der jedem rechtschaffenen zypriotischen
Griechen im Herzen steckt. Man muss sich als Besucher dieser Insel darüber aufklären.
1963 gab es Unstimmigkeiten zwischen dem "türkischen"/muslimischen (19 %) und "griechischen"/griechischorthodoxen (80 %) Teil der ethnisch vermischten Bevölkerung über Verfassung und Gesetze, Ausübung der
Staatsgewalt usw. Dieser Streit, von Extremisten auf beiden Seiten systematisch eskaliert, machte ein weiteres
gemeinsames Regieren unmöglich. Die türkisch-zyprischen Regierungsmitglieder zogen sich aus der Regierung
zurück und strebten seitdem ein selbstverwaltetes Gebiet an, während viele griechischsprachige Zyprioten den
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Anschluss an Griechenland (Enosis) anstrebten. Am 15. Juli 1974 kam es zum Putsch der griechisch-zyprischen
Nationalgarde gegen Präsident Makarios.
Nachdem Makarios von der Insel nach Malta geflohen war, führte die Türkei als Garantiemacht gemäß dem
Londoner Garantievertrag unter dem Eindruck eines drohenden Anschlusses Zyperns an Griechenland eine
Intervention auf dem Nordteil der Insel durch. Seitdem hat die Türkei in einem Gebiet, das ca. 37 % der Insel
entspricht, Truppen stationiert.
1977 starb Makarios, und Spyros Kyprianou folgte als Präsident. Dieser wurde von der Türkei und den
türkischen Zyprern allerdings nicht anerkannt. Daraufhin veranlasste der griechische Süden
Wirtschaftssanktionen gegen den Norden.
Der Norden seinerseits antwortete nach Verfolgungen und Tötungen
türkischer Zyprer mit der Vertreibung von mehreren zehntausenden
griechischen Zyprern und der Ansiedlung von mehreren zehntausend
Türken aus der Türkei, wodurch das zahlenmäßige Gewicht des
türkischen Bevölkerungsanteils gegenüber den griechischen Zyprern
erhöht wurde. 1983 wurde auf dem Nordteil der Insel die Türkische
Republik Nordzypern ausgerufen, die allerdings nur von der Türkei
anerkannt wird.
Türkische Republik Nordzypern
Verhandlungen unter Führung der UN sollten eine Annäherung beider Seiten bringen - eine Abstimmung über
eine Wiedervereinigung scheiterte jedoch am Referendum 2004 in Südzypern, deren griechische Bevölkerung
den Wiedervereinigungsversuch mit 3/4-Mehrheit ablehnte, während die türkische Bevölkerung in Nordzypern
mit großer Mehrheit für die Vereinigung stimmte. Es war ein Konzept nach dem Vorbild der Schweiz
vorgesehen. Zypern sollte ein Staatenbund aus zwei Teilstaaten werden, deren Einwohner sowohl die zyprische
als auch die Staatsangehörigkeit des Landes, aus dem sie stammen, erhalten. Am 4. Juni 1990 wurde der
Beitrittsantrag Zyperns zur Europäischen Union gestellt, der letztlich für die gesamte Insel gilt, da auch die EU
die Türkische Republik Nordzypern nicht anerkennt. Seit Mai 2004 ist die Republik Zypern Mitglied der
Europäischen Union.
Republik Zypern
Antonio ließ uns nach der Durchfahrt
durch das Landstädtchen Dherinia, die
einige hübsche Kirchen aufwies,
hindurch zu einer Anhöhe, die durch ein
schönes weißes Gebäude gekrönt war.
Es ist ein Aussichtspunkt, von dem wir
über die Demarkationslinie und die tote
Pufferzone hinüber sehen konnten nach
Famagusta. Antonio teilte uns mit, dass
er dort noch ein Haus besitzt, das Haus
seiner Eltern, aber Türken aus Anatolien
darin wohnen, die von der türkischen
Regierung nach der Vertreibung der
griechischen Zyprioten dort angesiedelt
wurden. Wird er sein Haus wieder
zurückbekommen?
Green Line
Östlicher Teil Zyperns
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Er zeigte uns voller Hochachtung eine zierliche Frau, die um ihr Haus in Famagusta kämpfte,
die nach seiner Schilderung als Privatperson die Türkische Republik vor dem Internationalen
Gerichtshof der EU in Den Haag auf Herausgabe und Entschädigung angeklagt hatte. Sie hätte
schon mehr als eine Million Euro Kosten aufgewendet. „Morgen entscheidet sich ihr Prozess“,
meinte er. Leider haben wir ihn nicht mehr danach gefragt, wie es ausgegangen ist.
Wie sehr die griechischen Zyprioten unter der Besetzung und Abschneidung des nördlichen
Teils ihrer Insel leiden, ist in dem kleinen Museum dokumentiert, das wir in aller Kürze
ansehen. Ein Diorama der Stadt Famagusta, unter Glas, zeigt mit vielen Lämpchen die
Struktur, die munizipalen Gebäude und Sehenswürdigkeiten dieser Stadt. Oft wird von
Geisterstadt gesprochen. Viele Hotels stehen leer und beherbergen notfalls Ratten, dennoch
glaube ich, dass die Türken die Stadt wieder bevölkert haben, nachdem die Griechen verjagt
und teilweise deportiert worden sind. Der Protest gegen diese völkerrechtswidrige Invasion
1974 hält an. Die Texte und Fotos beweisen es. Und mit diesem Schandfleck, neben dem
nicht eingestandenen Völkermord an den Armeniern 1915/16, will die Türkei
gleichberechtigtes Mitglied der Europäischen Union werden!
Wie sieht das die griechische Seite von Zypern? Ich zitiere ein Flugblatt, das ich im Museum
entgegennahm. Die obigen Bilder und der folgende Text erklären die Sorgen und politischen
Nöte der Inselbewohner, besonders der im griechischen Teil der rechtmäßigen Republik
Zypern:
Die türkische Militäraggression gegen Zypern dauerte die letzten 31 Jahre ungehindert an.
Militärbesatzung, gewaltsame Teilung, Verletzung der Menschenrechte, massive Kolonialisierung,
Kulturraub und Denkmalzerstörung, Eigentumsaneignung und ethnische Segregation sind die
Hauptmerkmale des durch die Türkei aufgezwungenen Status quo. Die Türkei, ein EU- Bewerberland,
ist heute für die internationale Aggression gegen ein EU-Mitgliedsland verantwortlich. Dies ist
sicherlich völlig unakzeptabel, eine Herausforderung der internationalen Gesetzlichkeit und eine
Gefahr für die Sicherheit und Stabilität in der Region, welche dringend aufgehoben werden muss.
Im Juli 1974 marschierte die Türkei in Verletzung aller geltenden Prinzipien des Völkerrechts in die
Republik Zypern ein.
Die unheilvollen Folgen der Invasion und des darauf folgenden Militäreingriffs der Türkei in Verletzung
der UN-Feuereinstellungsvereinbarungen sind für das Volk des neuen EU-Mitgliedstaates stets
spürbar.
 36,7 % des Territoriums der Republik Zypern ist unter türkischer Besetzung.
 142 000 griechische Zyprer d.h. etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung wurden aus dem
besetzten Norden vertrieben, wo sie 70 % der Einwohner darstellten; sie haben keinen Zugang zu
ihren Häusern und Besitztümern.
 Etwa 1 476 Personen (darunter einige Hunderte Zivilisten) gelten als vermisst, wobei die türkische
Seite jede Zusammenarbeit zur Ermittlung ihres Schicksals verweigert.
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 Etwa 535 Eingeschlossene (aus einer Gesamtzahl von 20 000 im Jahre 1974) sind in ihren
besetzten Dörfern verblieben und werden heute Unterdrückung, Einschüchterung und
Belästigungen ausgesetzt.
 Eine 43 000 Mann starke türkische Armee mit modernster Ausrüstung, von Luftwaffe und Marine
unterstützt, ist im besetzten Gebiet stationiert, wodurch es zum am stärksten militarisierten Gebiet
der Welt verwandelt wird.
119 000 Festlandtürken aus Anatolien wurden im
besetzten Gebiet mit dem Ziel der gewaltsamen
Änderung der demographischen Struktur der Insel
angesiedelt.
57 000 türkische Zyprer (aus einer Gesamtzahl von
116 000) sind seit 1974 vom besetzten Gebiet
ausgewandert und zwar wegen der dort herrschenden
wirtschaftlichen,
sozialen
und
moralischen
Verelendung, so dass die Zahl der türkischen Siedler
und der Soldaten jene der türkischen Zyprer übertrifft.
Die gesetzwidrige Bebauung griechisch-zyprischer
Grundstücke und der illegale Verkauf griechischzyprischen Bodenbesitzes, aus dem die griechischen
Zyprer durch die türkische Invasion gewaltsam
vertrieben worden sind, wird fortgesetzt und
Wandbild im Cultural Centre of Occupied
intensiviert. Diese präzedenzlose Aneignung von
Famagusta (Ammochostos)
Eigentum
ist
eine
weitere
Verletzung
der
Menschenrechte durch die türkische Seite.
Das Okkupationsregime und die Türkei wenden methodisch einen langfristigen Plan zur Ausmerzung
des griechischen und christlichen kulturellen und historischen Erbes an:
 Mindestens 77 Kirchen wurden in Moscheen verwandelt.
 Mehr als 133 Kirchen und Klöster wurden geschändet.
 18 Kirchen werden von den Besatzungstruppen als Munitionslager, Baracken und
Militärhospitäler benutzt.
 13 Kirchen werden als Ställe und Scheunen benutzt. Die Friedhöfe von mindestens 25
Dörfern wurden geschändet und zerstört.
 Zahlreiche Ikonen, religiöse Weihgefässe und verschiedene archäologische Schätze wurden
geraubt und ins Ausland geschmuggelt.
 Illegale Ausgrabungen und ein unverhüllter Antiquitätenschmuggel finden massenweise im
geheimen Einverständnis mit dem Besatzungsregime statt.
 Die griechischen Ortsnamen werden willkürlich durch türkische ersetzt.
In einer ganzen Reihe von Resolutionen der UN-Vollversammlung, des Weltsicherheitsrates sowie
anderer internationaler Organisationen wurden die Invasion und die fortgesetzte türkische Besetzung
verurteilt sowie die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimatorte unter Sicherheitsbedingungen, die
Ermittlung des Schicksals der Vermissten und der Respekt der Menschenrechte aller Zyprioten sowie
der Unabhängigkeit, Souveränität und territorialen Integrität Zyperns gefordert.
Selbst der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte befand die Regierung der
Türkei der groben und systematischen
Verletzungen der Menschenrechte auf
Zypern für schuldig.
Blick über die von der UN bewachte neutrale
Pufferzone über die „Green line“ auf Famagusta
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Wiederholte Gesprächsrunden zwischen der
griechisch-zyprischen und der türkischzyprischen
Seite
haben
seit
1975
stattgefunden. Es wurde jedoch kein
Fortschritt erzielt und dies aufgrund der
Haltung der türkischen Seite, die diese
untergraben hat und eine Lösung angestrebt
hat, die Zypern zweigeteilt aufrechterhalten
sollte, und die Insel zur Geisel fremder
Interessen verwandelt hätte. Die griechischzyprische Seite bestand auf der wahren
Wiedervereinigung der Insel und ihres
Volkes.
Die jüngsten UN-Bemühungen resultierten in der Unterbreitung eines Plans durch den UNGeneralsekretär für eine umfassende Lösung des Problems.
Am 24. April 2004 wurde das Volk Zyperns aufgefordert, den vom UN-Generalsekretär Kofi Annan
vorgeschlagenen Plan für eine umfassende Lösung der Zypernfrage (Annan Plan V) in separaten und
gleichzeitigen Referenda anzunehmen oder abzulehnen. Eine klare Mehrheit von 75,8 % der
griechischen Zyprer empfand, dass der endgültige Text, in den willkürlich viele in der letzten Minute
durch die türkische Seite gestellten Forderungen aufgenommen wurden, nicht ausgeglichen war und
ihren wichtigsten Besorgnissen in Bezug auf die Sicherheit, Funktionsfähigkeit und Lebensfähigkeit
der Lösung nicht entgegenkam. Die negative Stimme der griechischen Zyprer war keine Verweigerung
der Wiedervereinigung Zyperns, die ihr wichtigstes Ziel verbleibt. Sie haben einen konkreten Plan
abgelehnt, der ihnen vorgebracht wurde. Sie haben ebenfalls ihren türkischen Landleuten nicht den
Rücken gekehrt. Sie arbeiten für eine Lösung, welche den Erwartungen beider Gemeinschaften
entsprechen wird.
Die "Nein"- Stimme im Volksentscheid sollte als ein legitimer Ausdruck der realen Befürchtungen
ausgelegt werden, welche zur Ablehnung eines mangelhaften Plans führten, in dem folgendes nicht
vorgesehen wurde:
 Der Rückzug der fremden Truppen aus Zypern und die Eliminierung des Rechtes der fremden
Mächte, einseitig auf Zypern einzugreifen.
 Angemessene Garantien zur Sicherung dessen, dass die durch die Parteien eingegangenen
Verpflichtungen erfüllt werden.
 Ein System der Wiederherstellung des Besitzes, das die Rechte und Interessen der
griechischen Zyprer wahrt, welche 1974 gezwungen waren, ihre Heimatorte zu verlassen,
sowie die Regelung der Besitzentschädigung, so dass die griechischen Zyprer nicht
gezwungen werden, ihre eigene Rückerstattung zu finanzieren.
 Das Recht aller Zyprer, dort Besitz zu erwerben und zu wohnen, wo sie es wünschen, ohne
einschränkende Quoten.
 Eine funktionsfähige Regierung ohne Sackgassensituationen oder Wahleinschränkungen
aufgrund der ethnischen Herkunft.
Die Regierung der Republik Zypern strebt die Fortsetzung der Bemühungen um eine Lösung an, bis
durch beide Parteien ein Rahmen erzielt wird, der den Befürchtungen des ganzen zyprischen Volkes
entgegenkommt. Damit eine Lösung lebensfähig sein kann und der Zeitprobe standhalten kann, muss
diese gerecht sein und als solche von den Menschen empfunden werden, die damit leben müssen.
Die Lösung muss folglich demokratisch, gerecht, funktionsfähig, finanziell lebensfähig sein und den
EU-Prinzipien, dem Völkerrecht und den demokratischen Normen, der Menschenrechtskonvention
und den UN-Schlüsselresolutionen entsprechen. Zypern muss ein einheitliches Land verbleiben und
volle Souveränität, territoriale Integrität und Unabhängigkeit genießen. Ebenfalls darf keine fremde
Einmischung in die inneren Angelegenheiten Zyperns gestattet werden.
Zypern trat am 1. Mai 2004 der EU bei, ohne jedoch sein Ziel zu erreichen, sich als ein vereintes Land
der Europäischen Familie anzuschließen. Die Zyprer streben jedoch weiterhin eine lebensfähige und
dauerhafte Lösung an, die sowohl den griechischen als auch den türkischen Zyprern erlauben wird,
friedlich zusammenzuleben, wie sie dies im Laufe von vielen Jahrhunderten getan haben, und die
Vorteile der EU-Mitgliedschaft zusammen zu genießen. In einem vereinigten Land, EU-Mitglied, wird
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das zyprische Volk imstande sein, das Potential seiner kulturellen Vielfalt voll auszunutzen und sich
eines Lebens in Frieden und Prosperität zu erfreuen.
Die Weltgemeinschaft soll dem zyprischen Volk helfen, eine wahre Wiedervereinigung zu erzielen
unter den neuen durch den EU-Beitritt Zyperns entstandenen Gegebenheiten. Der Status quo der
Militärbesatzung und Teilung eines unabhängigen, souveränen Staates, EU- und UN-Mitglieds, ist
völlig UNAKZEPTABEL.
Das sind die Worte, die mir ins Gedächtnis greifen. Ich denke dabei, dass unsere Deutsche
Bundesrepublik über drei Millionen türkischen Wirtschaftsflüchtlingen eine Heimat gegeben
hat, die ihrerseits mächtigen Druck machen, dass die zu 97% in Asien befindliche, voll
islamisch orientierte Türkei in die EU aufgenommen wird, ein Staat, der die nationale
Minderheit der Kurden unterdrückt, Zypern besetzt hält und seine Geschichte nicht
aufgearbeitet hat.
Aufmerksam hörten wir Antonio zu, der uns die Probleme seines zyprischen Volkes
eindringlich nahe brachte. Dann lenken wir in Dherinia um und fahren nun entlang der
Demarkationslinie durch die Felder mit der roten Erde. Wir passierter Frisoulles. Die
Kartoffeln werden hier dreimal im Jahr geerntet, brauchen von Saat bis zur Reife
durchschnittlich nur 105 Tage!
Antonio bemüht sich um persönliche Randnotizen. Er beschwört die natürliche Lebensweise
seiner Jugendzeit in den Dörfern und schwärmt von den Rezepten seiner Großmutter. So hätte
sie sich damals die Zähne immer mit Zitronen und Salz geputzt und sich damit das Gebiss bis
ins hohe Alter erhalten! Mancher Dentist würde erblassen, wenn man ihr nachahmte. Unsere
Leute im Bus schmunzelten. Davon angetrieben, steigerte er sich noch:
Auch hätte sie immer Mittelchen gegen Durchfall und Verstopfung gewusst. Gegen Durchfall
wären eine Zitrone mit einem Löffel Kaffeepulver sichere Abhilfe. Eselsmilch sei ein Mittel
gegen Keuchhusten. Auch Kaktusfeigen würden gegen Durchfall hilfreich sein.
In seiner Kindheit hätten 11 Personen in zwei Räumen gelebt. Heute würden diese nicht für
zwei Personen reichen, beklagte er das schleichende Gift der Zivilisation, schloss sich aber
auch nicht davon aus. Der moderne Zyprer wohnt durchaus komfortabel.
Ein Dorf auf der Demarkationslinie. Hinter primitiven Holzhäuschen lugen türkische
Wachsoldaten herüber. Wir kommen an Wassermelonenfeldern vorbei. Eukalyptusbäume
rahmen sie ein. Bei dem von Türken besetzten Dorf Athna verließen wir die Green Line. Hier
zeigte uns Antonio die Kirche, die als Ziegenstall missbraucht wird und die armseligen
verfallenden Häuser. Wieder sahen wir türkische Soldaten.
Bald aber fahren wir in das zweite Tagesziel ein, das
Grenzdorf Pyla, in dem Türken und Griechen friedlich
nebeneinander leben. Gleichzeitig befinden wir uns in der
„Sovereign Military Base“, dem schon erwähnten
selbständigen militärischen Hoheitsgebiet der Engländer.
Wir steigen aus. Ich sehe einen UN- Stützpunkt mit der
schwarzen Nummer 149, untergebracht in einem Haus am
Rande eines kleinen Platzes, sicher des ehemaligen
Dorfmittelpunktes. Am Balkon hängt schlaff in der
Mittagshitze die blaue Fahne mit der Friedenstaube. Der
Posten beobachtet unseren Bus und unser Aussteigen ein
Weilchen, dann verschwindet er im Schatten des Inneren.
Ein leichter Kribble beschleicht mich. Darf ich hier
fotografieren? Wir warten drüben am griechischen Rathaus,
wobei ich keine direkte Grenze erkennen kann.
Türkische Wachstation über Pyla
Wir laufen hinauf zum Museum des Dorfes, ein flaches Gebäude mit roten Dachziegeln. Drei
Bögen ließen einen Vorraum offen: Museum für Volkskunde. Wir gingen hinein.
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Oben auf dem Berg wehen neben der
Wachstation die türkische und die
nordzyprischen Flagge. Ein echt
wirkender Blech- oder Pappsoldat
wirkt beunruhigend und bedrohlich,
nachdem ich das alles über die
Besetzung gerade verdaut habe. Ich
bin mit Fotografieren vorsichtig.
Sehr interessant und ablenkend von dieser Problematik fand ich den Besuch des kleinen
Museums, das in drei oder vier Räumen Ausstattungsgegenstände aus bäuerlicher Zeit
präsentierte. Aber auch eine „guten Stube“ mit Stilmöbeln, Lefkara- Stickereien und schönen
Spiegeln war eingerichtet. Den Nebenraum erfüllten ein Webstuhl und manche der für die
Wolleverarbeitung wichtigen Werkzeuge. Auch eine Küche mit einigen Kesseln und Töpfen
regten die Phantasie an, wie die Altvorderen hier lebten.
Der folgende Spaziergang durch das Dorf
begeisterte mich allein schon durch die
Blütenpracht, die in den Gärten über die
Zäune wucherte. Freundlich grüßte ein alter
Mann herüber, der im Schatten vor seinem
Hause saß. Ich freute mich an rotem Oleander
vor dem tropischen Hintergrund einer
Fächerpalme, und immer wieder an den weiß
und purpur- lila leuchtenden Blüten der
Bougainvillea,
die
zur
Familie
der
Wunderblumen und Art der Nelkengewächse
gehört. Rund ums Mittelmeer ist sie heute
heimisch, diese Wunderblume und bezaubert
jedes Auge.
„Gute Stube“ im Dorfmuseum Pyla
Aber auch Limetten, Orangen und Grapefruits zieren die Gärten, Kürbisse und Paradiesäpfel.
Nach dem Dorfrundgang lassen wir uns in dem Kafenío1 neben dem UN- Stützpunkt nieder,
bekommen eine Tasse zyprischen Kaffee, dick, bitter und gesüßt. Auf der Terrasse spielen vier
Männer Backgammon, das allseits beliebte Brettspiel, bei dem mit zwei Würfeln und DameSteinen gearbeitet wird. Ich habe schon mehrfach zugeguckt, es aber nie verstanden. Mit
Leidenschaft geht es hier zu. Einer ist Wortführer und der Energischste, die drei anderen halten
dagegen. Die Würfel rollern, die Steine scheppern, werden mit absoluter Zielsicherheit
fingerfertig gegen den hohen Rand dirigiert, vor und zurück, herüber und hinüber, wie die
Würfel es vorgeben. Für mich eine undurchdringliche Wissenschaft. Also muss ich mich hinter
den dunklen Vorhang begeben, der es mir verschleiert. Wer besser als das wunderbare Lexikon
des Internets kann mir Antwort geben? Hier ist der gelehrte Überblick:
Das älteste Backgammonbrett der Geschichte wurde in
der „verbrannten Stadt“ gefunden, der archäologischen
Fundstelle in der iranischen Provinz Sistan und
Baluchestan. Dieses Spiel ist über 5000 Jahre alt. Es ist
älter als ein Brett, das Mitte der 1920er Jahre in der Stadt
Ur vom britischen Archäologen Sir Leonard Woolley
entdeckt wurde.
Weitere Spielbretter fand man im Grab von Tutenchamun
im Nil-Delta, die etwa um 1500 vor Christus entstanden
sind. Viele Grabmalereien zeugen von der Beliebtheit des
Brettspieles, das sowohl von den Führern als auch vom
gemeinen Volk gespielt wurde.
1
Kafenío, griech. Kaffeehaus
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Aus dem ägyptischen Spiel Senet entwickelten später die Römer das Spiel Duodecim Scripta,
welches als erster naher Verwandter zum Backgammon angesehen werden kann. Man spielte mit drei
Würfeln, und es gab drei verschiedene Bezeichnungen: Alea (Würfe), Tabulae (Brett, Tisch) und Ludus
duodecim scriptorum (das 12-Linien-Spiel). Bei Pompeji wurde eine zweiteilige, riesige Wandmalerei
entdeckt: im ersten Bild sieht man zwei diskutierende Römer beim Spielen, im zweiten Bild den
Besitzer der Herberge, der die beiden gerade gewaltsam aus seinem Haus befördert.
Die römische Version, Tabula, wurde in ganz Europa eingeführt. Zuerst war es ein beliebter Zeitvertreib
der Adeligen, doch allmählich setzte es sich auch in der breiten Bevölkerung durch. Die Kirche
versuchte jahrzehntelang vergeblich, das Glücksspiel zu verhindern.
Trotz der Beliebtheit des 12-Linien-Spieles im großen römischen
Reich dauerte es bis zu den Kreuzzügen, bis das Spiel auch im
restlichen Europa richtig bekannt wurde. Im Mittelalter wurde es
unter anderem als „Nard“ (Persisch), „Plakoto“, „Tric Trac“,
„Puff“, „Tables“ etc. bezeichnet; man spielte nun mit zwei
Würfeln. Im Mittelalter wurde eine Version namens Wurfzabel
gespielt, die als direkter Vorgänger des heutigen Backgammons
Wurfzabelspieler (13. Jahrhundert)
gilt.
Doch nirgendwo in der westlichen Welt wurde schon so früh und so intensiv Backgammon gespielt wie
in England. Laut mündlichen Überlieferungen hatte König Löwenherz mit der Spielleidenschaft seiner
Soldaten seine liebe Not. Es gab einen Erlass, dass niemand, der von geringerem Stand als ein Ritter
war, um Geld würfeln durfte.
Der Name Backgammon wurde im Jahr 1645 erstmals verzeichnet und bezeichnet das
Wiedereinsetzen geschlagener Spielsteine in das Brett. Der englische Spielebeschreiber Edmond
Hoyle kodifizierte die Regeln etwa im Jahre 1743.
Die letzte entscheidende Veränderung war die Einführung des Verdoppelungswürfels. In den 1920er
Jahren wurde in einem New Yorker Spielclub das Doppeln erfunden, was einerseits sehr die Erhöhung
der Spannung und andererseits eine Einschränkung des Faktors Glück bewirkte.
Die Regeln des modernen Backgammon stammen vom Card and Backgammon Committee des New
Yorker Racquet and Tennis Club aus dem Jahre 1931…
Mehr müssen wir nicht wissen. An den Regeln will ich mich jetzt nicht vergreifen. Nach
welchen Regeln hier auf dieser Terrasse gespielt wurde, weiß nur der Eingeweihte.
Leidenschaft war zu spüren. Die jetzt am Vormittag aufsteigende Hitze machte den rauchenden
Männern mit den wettergegerbten Gesichtern scheinbar nichts aus. Ich schaute noch eine Weile
fasziniert zu, begann mich aber zu langweilen, da ich nicht beurteilen konnte, wem das
Spielglück sich gnädig neigte, oder ob einer der Spieler besonders gut war. Ich glaube, immer
dort wo Würfel im Spiel sind, treten Fähigkeiten zurück, und das ist nichts für mich.
Ich ging in den nahen Markt Wasser kaufen, versuchte meine zehn Worte Griechisch
einzusetzen. Wortlos hätte auch genügt. Im Laden war nichts los, eine Frau nahm mir das Geld
ab. Inzwischen hatten alle im Kafenío ihren Kaffee getrunken, mit oder ohne Zucker. Antonio
blies zum Aufbruch. Weiter.
IV. Larnaca
N
ächste Station ist Larnaca, mit heute 80 000 Einwohnern die drittgrößte Stadt Zyperns.
Sie liegt auf den Ruinen des antiken Stadtkönigreiches Kítion. Ihr Name deutet auf die
vielen Sarkophage2, die hier gefunden wurden und stammt aus dem 17. Jahrhundert.
Nach der türkischen Invasion 1974 und dem Verlust des Hafens von Famagusta erlebte
Larnaca mit dem Ausbau des Exporthafens neuen Aufschwung, obwohl die Stadt kein
Hafenbecken für größere Seeschiffe besitzt. Larnaca wurde zur Drehscheibe im Nahostverkehr.
Tausende von Bürgerkriegsflüchtlingen kamen aus dem Libanon, eine neue Welle schon
wieder nach der israelischen Libanon- Invasion im Juli 2006. Neue Siedlungen entstanden. Die
Wirtschaft boomte und prägte, besser verunzierte das Stadtbild mit modernen
Geschäftshäusern und großflächiger Werbung für Tod und Teufel. Einzig eine mit Palmen
bestandene Seepromenade gab der Stadt ein wenig touristisches Flair. Wir befuhren die
2
Sarkophag = griech. Λάρναξ Lárnax
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kilometerlange Uferstraße. Rechts diese Reihe überhoher Dattelpalmen, links dann immer der
Blick übers blaue Meer, wo weit draußen eionige Schiffe auf Reede lagen.
Im Fluge erhaschte ich einen Klick auf das Denkmal mit
der goldglänzenden Büste von Kimon, dem Athener
General, der 450 vor Christi eine Flotte mit 200
Dreimastern anführte, um Zypern von den Persern zu
befreien. Er starb während der Belagerung von Kítion.
Diesen Befreiungsakt nahm Antonio zum Anlass, ein
wenig in der Geschichte Larnacas zu blättern.
Um ganz früh anzufangen: Schon im 1. Buch Moses, der
Genesis, wird eine Stadt Kittim erwähnt, die von einem
Enkel Noahs gegründet worden sein soll. Funde aus dem
143. und 13. Jh. vor Chr. lassen darauf schließen, dass
hier schon rege Kupfer verarbeitet und ebenso
schwunghafter Handel betrieben wurde. Ende des 13. Jh.
besiedelten die griechischen Achäer das Stadtgebiet. Im
11. Jh. richtete ein Erdbeben großen Schaden an.
Phönizische Siedler übernahmen um 800 v. Chr. die
zerstörte Stadt. Sie bauten die Heiligtümer wieder auf und
errichteten einen großen Astarte- Tempel3.
Larnaca, Seepromenade, Büste von Kimon
Die Phönizier begründeten hier im 9. Jahrhundert vor Chr. ein mächtiges Königreich. In Kítion
erblickte der berühmte Philosoph Zeno4 das Licht der Welt. Er begründete die Schule der
Stoiker.
Hier nach Kítion kam der Heilige Lazarus nach seiner Wiedererweckung durch Christus.
Dieser Märtyrer soll in seinem zweiten Leben von den Juden in einem Segelboot ausgesetzt
und in Kítion an Land getrieben sein. Lazarus wurde erster Bischof der Stadt.
12. Jahrhundert befestigte die Mykener die Stadt mit riesigen Mauern. Im Mittelalter war die
Stadt ein bedeutender Einschiffungshafen für Kreuzritter und Pilger.
Wir bogen rechts in die Altstadt ein und
hielten an der Plateia Agiou Lazarou,
verließen mitten durch den heftig fließenden
Verkehr den Bus und hatten bald die schönste
Ansicht von der Lazaruskirche. Der Agios
Lazaros, wie der Heilige Lazarus auf
Griechisch heißt, soll noch 30 Jahre in Kítion
gelebt haben. Im 9. Jahrhundert wurde über
seinem Grab von Kaiser Leo VI. eine Kirche
in byzantinischer Architektur errichtet. Im 17.
Jahrhundert
wurde
sie
originalgetreu
restauriert.
Im 19. Jahrhundert erhielt sie einen Glockenturm im neoromanischen Stil und eine Loggia
längs der Südseite. Wir treten in den Schatten der Loggia, die sicher die Funktion eines
Kreuzganges wahrnahm, denn die Kirche wurde bis ins 20. Jahrhundert als Kloster genutzt.
Eine prachtvolle Ikonostasis5 aus dem 18. Jahrhundert lässt mich erstaunen.
3
Astarte, [griechisch], hebräisch Aschtoret, aramäisch Attar, westsemitische Göttin der Fruchtbarkeit und der
Liebe.
4
Zenon, Zeno, Zenon der Jüngere, aus Kition (Zypern), griechischer Philosoph, * um 336 v. Chr., † 264 v. Chr.;
Begründer der Stoa. Von seinen Schriften sind nur Bruchstücke erhalten; er soll sich das Leben genommen
haben. Stoa [die; griechisch], ist eine um 300 v. Chr. von Zenon dem Jüngeren aus Kition gegründete
philosophische Schulrichtung, benannt nach dem Lehrort, der Stoa poikile in Athen.
5
Ikonostase, [die; griechisch], in den Ostkirchen die Bilderwand, die Altarraum und Kirchenraum trennt; unter
den Ikonen der Ikonostase, oft in mehreren Reihen übereinander, befinden sich immer eine Christus- und eine
Marienikone.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Selten bin ich in griechisch- orthodoxen6 Kirchen gewesen. Sie verehren neben Christus in
einer besonderen Liturgie auch zahlreiche Heilige. Der Altarraum ist durch eben diese
Ikonostase und eine Klapptür von dem übrigen Kircheraum getrennt und darf nur vom Priester
betreten werden. Gleich im Mittelgang, zu dem einige Stufen hinab führten, steht hinter Glas
die Ikone des heiligen Lazarus, dessen Bild einige Gläubige mit Kniefall und Bekreuzigung
ehrfürchtig küssten. Ich versuche, auf einigen Ikonen, die auf einem Wandbord lehnen, die
Buchstaben im alten Griechisch zu enträtseln, um hinter ihren Namen zu kommen. Sehr
schwierig bis unmöglich.
Rechts ist das Bildnis
der Heiligen Katharina,
die als Schutzpatronin
des Klosters auf Sinai
gilt. In der Mitte, das ist
sicher die Gottesmutter
und links eine der
vielen Schutzheiligen.
Wundervolle Leuchter
schmückten
den
dreischiffigen
Innenraum. Viel Gold
ist aufgewendet.
Rechts der Ikonostasis führt eine Treppe zur
dunklen Grabkammer hinunter, wo mehrere
Sarkophage zu sehen sind. Räucherkessel
hängen von der niedrigen Decke herab. Ich
muss gebückt stehen. Es ist eng, feuchtheiß
und riecht muffig hier unten. Vor dem
Sarkophag warten Gläubige, dass wir sie in
ihrer Andacht allein lassen. Vielleicht hatten
sie einen weiten Weg hierher. Nun müssen sie
ihr Gebet von neugierigen und nicht allzu
rücksichtsvollen Touristen stören lassen. Wir
warten, dass sie uns Gelegenheit lassen zu
fotografieren. Beiden ist es gleichermaßen
unangenehm. Demjenigen Mitreisenden, den
ich den „Menschenjäger“ nenne, reißt die
Geduld. Er nimmt die andächtige Gruppe voll
aufs Korn und schießt seine Bilder. Ich wende
mich angewidert ab. „Das gehört in jedes
Fotoalbum“, sagte er einmal. Ich beobachtete
später, dass er ohne Zartgefühl oder Kenntnis
der Traditionen sich an Frauen wandte- er
konnte kein Wort dieser Sprache, ob englisch
oder griechisch, quatschte sie an, stellte sie
sich an einer Wand zurecht und knipste sie.
Dann bedienerte er sich mehrmals, gab aber auch kein Geld, was das wenigste gewesen wäre,
und schleimte sich rücklings davon. Kein Wunder, dass die Einheimischen im Orient die
Touristen als Geschmeiß betrachten, noch dazu wenn sie „ungläubig“ sind.
6
orthodoxe Kirchen, die aus der byzantinischen Kirche hervorgegangenen Kirchen, deren Bekenntnisgrundlage
Bibel und Tradition sind. Die Tradition ist fixiert durch die Beschlüsse der ersten 7 ökumenischen Konzilien (1.
Nicäa 325 bis 7. Nicäa 787); sie ist ferner durch die Lehren der Kirchenväter, die Aussagen im reichen
liturgischen Gut und durch spätere wichtige Synoden bestimmt (1642 Jassy [Rumänien], 1670 Jerusalem). Die
Feier der „göttlichen Liturgie“, die 7 Sakramente, der Vollzug von Sakramentalien (Weihehandlungen), die
Verehrung der Ikonen, Gebete und Hymnen nehmen im Leben der orthodoxen Kirchen einen breiten Raum ein.
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Wir blickten uns in dem mit unverputzten groben Steinen überwölbten Kirchenraum um. Auf
den Kirchenbänken fand ich die seltsame Aufschrift „ΘΕΣΕΙΣ ΑΝΔΡΩΝ“(theseis andron). Ich
fragte Antonio. „Nur für Männer“, antwortete er lakonisch, wobei das griechische Wort θεσι
(théssi) so viel wie Sitz oder Platz bedeutet. Die Frauen müssen also hinten oder in bestimmten
Bereichen sitzen. An den Wänden hingen Heiligenbilder. Bekrönte verschnörkelte Baldachine,
mit viel Gold überzogenes Zierwerk, überdachen die Opferstöcke für brennende Kerze,
Reliquien oder Andachtsbilder für den Hausheiligen Lazarus. Seine Ikone wird acht Tage vor
dem Osterfest, das nach dem alten Julianischen Kalender jeweils am ersten Sonntag nach dem
ersten Vollmond nach dem Frühlingsanfang gefeiert wird, durch die Stadt getragen.
Wir sammelten uns zu einem Gang durch die Altstadt in Richtung Meer. Wenn ich mir heute
den Stadtplan von Larnaca hernehme, schäme ich mich ein wenig des Reiseleiters, weil er uns
von dieser Stadt so wenig gezeigt und von ihr nichts weiter erwähnt hat als die Kirche Agios
Lazaros und den Strand.
Dabei gibt es weiter hinten am Strand ein türkisches Kastell, in der Altstadt eine Markthalle,
dann einen schönen Stadtpark, mehrere Museen, Ausgrabungen des antiken Kition, eine
Marmorstatue des Zenon von Kition…
Wir hatten eine halbe Stunde Freizeit, doch ohne Anleitung war das Risiko zu groß, weite
Wege zu gehen, ohne Entfernungen zu kennen. Ich verschwand mit Martina in einem
Andenkengeschäft. Sie suchte eine Kette für sich und konnte sich lange nicht entschließen, bis
ich ihr wieder mit einem Machtwort helfen musste.
Am breiten Strand beeindruckte mich das
von den Wellen vielfach gebrochene Licht
des Wassers. Am Himmel hingen hohe
Schleierwolken,
die
Sonne
brannte
ungehindert. Lange Reihen Liegen mit
blauen Bezügen und blau gestreifte
Sonnenschirme
und
warben
um
Badepublikum, das jetzt in der Nachsaison
nicht mehr so zahlreich war.
Der Sand ist schmutzig und wie hartgewalzt.
Strand von Larnaca
Unser Bus kommt. Wir bleiben in der Nähe von Larnaca und fahren in der Nähe des
Flughafens zu einer 3 km entfernten grünen Oase an dem so genannten „Großen Salzsee“, der
jetzt seinem Namen nicht gerecht wird, ganz einfach weil er kein Wasser hat und im Laufe des
langen Sommers ausgetrocknet ist. Unser Ziel ist eine Grabmoschee der Hala Sultan 7 mit
dem Zunamen Tekke, der im Türkischen so viel wie klösterliche Anlage bedeutet.
Eine Moschee zu betreten war für uns beide nicht neu. Jedes islamische Gotteshaus hat jedoch
etwas Besonderes, so auch diese Moschee. Man erzählt sich, besser es wird von den Gläubigen
als Tatsache verehrt, dass hier die mutmaßliche Pflegemutter oder Tante des Propheten
Mohammed oder mindestens die Tante eines engen Vertrauten Mohammeds begraben ist.
Chala Sultan war die Frau des Statthalters von Palästina, kam während des Eroberungszuges
647 n. Chr. im Gefolge des Sultans auf die Insel. Ein unglücklicher Zufall brachte sie ins
Jenseits. Hier an dieser Stelle, wo die Moschee heute steht, stürzte sie vom Maultier zu Tode.
Während der Türkenherrschaft mussten alle vorbeifahrenden türkischen Schiffe ihr zu Ehren
die Flagge senken. Die heutige Moschee, die das Grab der Chala Sultan umschließt, stiftete
1816 der damalige türkische Gouverneur Seyyit Emir Effendi. Soweit die Vergangenheit.
Heute zählt diese Moschee neben Mekka und Medina zu den wichtigsten Pilgerstätten des
Islam.
7
Hala Sultan, auf Griechisch Chala Sultan, auf Arabisch Umm Haram
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Ein sonnenüberfluteter Innenhof wird von sorgfältig bewässertem Grün geziert. Eine Katze
räkelt sich faul auf den warmen Fliesen im Schatten. Der Reinigungsbrunnen ist ein kleines
Bauwerk für sich. Acht Säulen tragen ein im Grundriss achteckiges Dach, in seinem Schatten
wartet ein geometrisch ebenso angelegter Brunnen mit acht Wasserhähnen auf die Gläubigen,
dass sie sich zum Gebet reinigen.
Nachdem wir die Schuhe ausgezogen
haben, betreten wir das Innere. Es ist
karg ausgestattet. Die Minbar, die
Gebetskanzel, ragt von Osten her in
den Raum, der voll mit bunt
gewürfelten Teppichen ausgelegt ist.
Wahrscheinlich sind sie von den
Gläubigen gespendet und im Laufe der
Zeit zusammengetragen worden. Das
Mittagslicht wirft freundliches Licht
herein. In der Ecke macht sich ein
Aufpasser zu schaffen, der über den
heiligen Ort wacht.
Neben der nach Mekka ausgerichteten Gebetsnische führt ein Gang in die Grabkammer. Das
im Dunkel fast verborgene Grab hinter einem Eisengitter wird von einem Monolithen, der auf
zwei Stützen ruht, überwölbt. Auch hier sagt eine Legende, dass am Todestag der Umm Haram
dieser Stein von Mekka nach Zypern flog und eine Zeit lang über dem Sarg schwebte. Um die
Trauernden nicht zu gefährden, baute man diese Stützen unter.
Eine andere Legende erzählt, dass sich
drei Steine am Vorabend ihres Todes aus
Jerusalem lösten und durch das Meer nach
Zypern schwammen. Nach einer anderen
Sage soll ein Engel den Stein von Sinai
hierher gebracht haben.
In einem Nebenraum stehen Sarkophage
islamischer Prominenter, unter anderem
der der Urgroßmutter des Königs Abdullah
von Jordanien. Die Stufe zu der etwas
tiefer gelegenen Fläche ist mit einem sehr
schönen grünen Teppich belegt.
Sarkophage islamischer Prominenter
Im griechisch- orthodoxen Süden Zyperns sind Moscheen eher selten.
Später fanden wir eine Moschee in Paphos verwaist und unbenutzt. Ist es
eine Trotzreaktion der Zyprer auf die türkische Besetzung? Ich erfahre es
nicht.
Schöne Motive suchend, bummle ich der Reisegesellschaft hinterher und
steige als Letzter in den Bus, halt- nach mir kam der „Menschenjäger“, der
immer ein wenig vor mir dastand, wenn ich mir einen guten Standort zum
Fotografieren ausgesucht hatte und verbaute mir die Sicht. Ich gestehe ihm
zu, dass er die Dinge mit „meinem Blick“ sah.
Wir fuhren gar nicht lange, nur wenige Minuten und hielten an einem
trockenen, staubigen Platz am Rande des jetzt völlig ausgetrockneten
Salzsees, der als Picknick- Gelände sicher von vielen Einheimischen und
Anderen Reisegruppen genutzt wird. Antonio und Carina Latta, unsere
Reisebegleiterin, packten jetzt Kisten aus, ich bekam einen Ballon Wein in
die Hand. Sie schleppten Plastikbeutel mit Brot und Gemüsekisten und
anderes, was eben an Werkzeug zum Essen im Freien benötigt wird.
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Die hölzernen Tische und Bänke standen nicht sehr günstig in einigem Abstand, so dass den
besseren Platz fand, wer zuerst kam und die Gruppe recht verteilt saß. Nicht jeder fand
Schatten. Außerdem blies ein heftiger böiger Wind, der laufend die Servietten, Pappteller und
–becher in die Luft wirbelte. Ab und an stieg in unmittelbarer Nähe über der Fläche des
Salzsees ein Flugzeug auf oder setzte zur Landung an. Antonio erklärte, dass nach der Invasion
1974 der Flughafen Larnaca eingerichtet wurde, sehr zu ungunsten des Salzsees, der durch
herabsinkende Kerosinrückstände derart verschmutzt wird, dass die Zugvögel, vor allen die
Flamingos, die ihn im Winter auf ihrem Vogelzug nach Afrika als Zwischenstation aufsuchen,
sehr darunter leiden.
Was aber Antonio auftischte, was er
unermüdlich aufschnitt, weiterreichte, anbot,
das war enorm und wohlschmeckend. Er
schälte die würzigen Gemüsezwiebeln,
zerteilte grüne und rote Paprika, Tomaten,
Zucchinis, Gurken. Er schenkte roten und
weißen Wein aus. Er schnitt frisches
schmackhaftes Brot auf. Dazu schälte er
harte Würste aus der Pelle und verteilte die
Scheiben freigebig. Der Wein stimmte alle
lustig und froh. Wir fanden den windigen
und staubigen Platz weniger windig und
weniger staubig, obwohl manche in der
Picknick am Großen Salzsee bei Larnaca
knallen Sonne sitzen mussten.
Dafür konnte Antonio aber nichts, und wir fanden die kleine Schlemmerei alle recht gelungen.
Der Große Salzsee ist eine riesige öde Fläche. Gerade wurde ein Fußweg angelegt für die
Pilger zur Moschee. Der Salzsee liegt bis zu 2 m unter dem Meeresspiegel. So sickert im
Winterhalbjahr Meerwasser durch die Dünen in die Senke, das bis August verdunstet und eine
bis zu 3 cm dicke Salzkruste bildet, die schon in der Antike geschürft wurde. Bis zu Beginn des
20. Jahrhunderts war das Salz ein wichtiges Exportgut. Durch die zunehmende
Luftverschmutzung durch den Flughafen wird seit 1992 kein Salz mehr abgebaut.
Auf Wunsch einiger Passagiere, dem ich mich auch anschloss, wollten wir die nahe bei
Larnaca gelegene Kirche in Kíti sehen. Wir intervenierten und überredeten Antonio. Kíti liegt
nur 11 km südwestlich von Larnaca. Ein Katzensprung. Die Kirche Panagía Angelóktistos 8
gehört zum Weltkulturerbe. Sie enthält in ihrer Apsis das bedeutendste frühchristliche Mosaik
der Insel. Neben der Lage von Kíti sieht man auf der Karte deutlich die sumpfigen Gebiete und
den Großen Salzsee.
Als wir durch eine von blühenden
Büschen gesäumte Mauer in eine Art
Vorhof traten, machte die kleine
Kirche von Kíti genau den Eindruck,
den sie auch darstellte, den eine
Dorfkirche. Wir dürfen drinnen nicht
fotografieren, ermahnte uns Antonio.
Schade. Ein alter Mann in weltlicher
Kleidung passte auf uns auf, als wir
in den dunklen dreischiffigen Raum
hineingingen, der sehr nüchtern
ausgestattet ist.
Die Schiffe werden durch sechs mächtig wirkende rechteckig gemauerte Säulen getrennt, die
vielleicht 1,70 m dick sind. Seitlich führen Türöffnungen in Seitenkapellen.
8
Panagía Angelóktistos = …von den Engeln erbaut
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Wir wenden uns zum Chor, zu dem wieder eine Ikonostase den direkten Blick verstellt.
Wir dürfen das Heiligste blicken, das
Mosaik. Der linke Erzengel Michael ist
übertüncht, die Mosaiksteine fehlen, der
rechte dagegen, der Erzengel Gabriel zur
Linken der Gottesmutter ist wunderbar
erhalten.
Kíti, Panagía Angelóktistos, Mosaik des Apsisgewölbes
im Altarraum: Gottesmutter mit Christuskind und
Erzengel
Und nun muss ich mir aber klar machen, wie alt
dieses Mosaikbild ist. Die Ikonografen und anderen
Theologen sind sich heute weitgehend einig. Man
muss versuchen, sein Alter in der Kirchengeschichte
zu suchen. Immer ist die Suche nach der Herkunft mit
Geschichte und Geschichten verbunden. Da ist
zunächst der Ursprung der Siedlung Kíti. Ihre
Gründung muss wohl eine Folge eines Erdbebens und
einer langen Dürre im 4. Jh. gewesen sein, so dass die
Bewohner der antiken Siedlung Kition einen neuen
Erzengel Gabriel
Platz gesucht haben und hier an dieser Stelle
fruchtbaren Boden fanden.
Wir machen einen großen Sprung, weil da die Geschehnisse besser bekannt sind. Im Jahre
1191 eroberte Richard Löwenherz, der englische König, auf seinem Kreuzzug die Insel
Zypern, die unter der Macht eines gewissen Isaak stand, der sich Kaiser nannte und mit Saladin
sympathisierte. Kíti wird urkundlich 1196 das erste Mal erwähnt, in einer Liste von Dörfern,
die dem lateinischen Bistum Nikosia den Zehnten abliefern mussten. Möglicherweise war Kíti
einst der Sitz des Bistums von Kition für eine gewisse Zeit…
Der zweite Aspekt der Umsiedlung von Kition nach Kíti ist die Sicherheit, die die Einwohner
vor den Überfällen der Araber fürchteten. Die Legende berichtet nun, dass sie begannen eine
Kirche zu bauen. Nach Beginn der Arbeiten stellte man fest, dass die Grundmauern der Kirche
an anderer Stelle sich befanden. Als dort weiter gebaut wurde, sah man nachts Scharen von
Engeln die Kirche errichten. Daher rührt der Beiname „von Engeln erbaut“ (Angeloktisti).
Die Kirche, die wir heute besuchen, ist ein Bau des 11. und 12. Jahrhunderts. Ursprünglich
entstand ein Kreuzkuppelbau, wie wir ihn dann noch oft auf der Insel sahen. Die nördliche
Kapelle für die heilkundigen Heiligen Kosmas und Damian wurde wahrscheinlich in Zeiten der
Pest im 13. Jahrhundert angebaut. Vielleicht war sie einmal eine Totenkapelle. Ich konnte nur
noch eine Darstellung des Heiligen Georg erkennen. Es gibt Übermalungen und Putzschäden.
Und der südliche Vorbau, durch den wir hereinkamen, war eine gotische Kapelle, wie sie den
religiösen Wünschen der neuen fränkischen Herrscher entsprach.
Einem im Andenkenladen gekauften Heft entnahm ich letztendlich das erstaunliche Alter von
etwa 1430 Jahren. Man nimmt an, dass die Herstellung dieses Mosaiks in das letzte Viertel des
6. Jahrhunderts, das heißt nach der Ära Justinians, etwa in die Regierungszeit des
byzantinischen Kaisers Maurikios (562 – 602 n. Chr.) fällt. Damit ist dieses Mosaik, da es ja
mit der Bauhülle verbunden ist, das älteste bauliche Zeugnis der christlichen Kunst, das ich
kenne. Nun wird mir auch die Bedeutung dieser Kirche als UNESCO- Weltkulturerbe klar.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 19
Ich umrunde die Kirche, finde einen Brunnen
unter einem ganz alten Baum, der sicher schon
hundert Jahre dort Schatten spendet. Der Brunnen
scheint noch in Betrieb zu sein. Er ist sauber
abgedeckt und mit einer sinnvollen Aufzugsspule
versehen. Ein steinerner Waschtrog daneben
ergänzt das Ensemble. Mein Auge freut sich an
wundervollen Blüten an den Büschen ringsum.
Wir sitzen noch ein Weilchen auf einer Bank und
genießen die abgeschiedene Ruhe dieses Ortes.
Ein Kirchenmann in langem schwarzem Gewand
sitzt an einem viereckigen Tisch und spricht mit
Kíti, Brunnen an der Panagia Angeloktistos
Antonio. Carina setzt sich dazu.
Er strahlt eine wunderbare Abgeklärtheit aus. Wer weiß, was ihm
Antonio erzählt hat. Ich kaufe im Kirchenladen das bewusste
Heft über die Kirche, weil ich ohne nähere Informationen über
dieses Mosaik nicht hinweggehen wollte. Ich erfahre, dass die
alten Bäume Terpentin- Pistazien und über 300 Jahre alt sind, aus
deren Rinde man früher wohlriechendes Terpentin gewann.
Außerdem seien ihre Früchte essbar. Weiter interessant ist, dass
die gotische Kapelle am Anfang des 20. Jh. als Grundschule des
Dorfes genutzt wurde. Das zeigt, wie eng verzahnt damals
Kirche und Welt im kleinsten Siedlungsraum waren. Es gibt auch
dort noch eine kleine Sammlung wertvoller weil alter Ikonen, die
in einer Sakristei aufbewahrt werden. Sie wurde uns nicht
gezeigt. Wusste es Antonio nicht oder hielt er uns für
interesselos? Ich will ihm Zeitdruck unterstellen.
Nun, dieser Besuch hier war kein offizieller Programmpunkt. Wenn ich mich recht besinne, ist
die Begegnung mit solchen Bildern im Mittelpunkt ihres „Wirkens“, also in der Kirche, neu.
Die Kunst der Ikonenmalerei ist primär eine theologisch- liturgische Kunst, die den Gläubigen
zum Verständnis und Erleben der kirchlichen Sakramente der orthodoxen Kirche führen soll,
ähnlich der Malerei, Bildhauerkunst und Plastik der katholischen Kirchen bei uns in Europa.
Ein Beispiel mag eine der schönsten Ikonen dieser Kirche
sein, die den Erzengel Michael darstellt. Es zeigt ihn in
kaiserlichem Chiton 9 , mit Edelsteinen und Medaillons
mit Kreuzen in Rot und Gold geschmückt; das Zepter
deutet seine göttliche Herrschaft, das Medaillon mit dem
Evangelium Christi in der Linken auf seine Botschaft für
die Menschen. Das vergeistigte Antlitz ist vom
Heiligenschein umstrahlt. Wie überirdisch muss das
früher auf die einfachen Menschen gewirkt haben! Wenn
ich mich im Nachhinein damit beschäftige, tut es mir
aufrichtig leid, dass uns vor Ort kunsterfahrene Führer
nicht mehr gezeigt haben. Diese Ikonen sind zwar Mittler
des Glaubens. Sie geben andererseits auch Einblick in das
Denken und Fühlen vergangener Generationen und sind
Blickfenster in die Vergangenheit. Die meisten Leute
gehen an diesen Fenstern vorbei. Es weist sie keiner
darauf hin, und sie haben nicht sehen gelernt.
9
Chiton, [çi'to:n; der; griechisch], griechisches Kleidungsstück in Form eines knie- oder fußlangen
Hemdgewands aus einem Stück, mit Naht an der rechten Seite und auf den Schultern durch eine Fibel
zusammengehalten. Ursprünglich nur von Männern getragen.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 20
Ich werde an anderer Stelle noch auf Ikonen zurückkommen. Es sollte sogar noch am heutigen
Tage sein.
V. Agia
G
Napa
egen 15.30 Uhr fahren wir weiter. Letzte Station des Tages: Agia Napa. Dort wenden
wir uns gleich nach dem Ausstieg zu dem Kloster, das dem heutigen Bade- und
Erlebnisort seinen Namen gab. Es liegt 40 km östlich von Larnaca in einer Bucht im
äußersten Südosten Zyperns, unweit unseres ersten Unterkunftsortes Protaras.
Agia Napa hat sich in den letzten Jahren von einem einsamen Fischerort zu einer
Touristenhochburg im zyprischen Osten entwickelt. Jetzt in der Nachsaison ist alles
vereinsamt. Nur noch spärlich sehen wir Touristen in den sich kreuzenden Hauptstraßen, wo
wir halten. Viele Lokale haben geschlossen. Es lohnt nicht mehr so recht. Wir beschäftigen uns
nicht mit diesem Sektor des Tourismus. Wir wandeln auf religiösen Pfaden.
Das Kloster befindet sich im gleichnamigen Dorf im Bezirk Ammochostos. Der Name des
Gebietes rührt von einer Ikone „Jungfrau Maria von Napa“, was „Heilige des Waldes“ oder
kurz Agia Napa bedeutet.
Das Kloster Agia Napa ist dieser „heiligen
Mutter vom Walde“ geweiht Wieder muss eine
traditionelle Legende den Namen deuten:
Danach wurde in der Höhle, die später zur
Kirche umgebaut wurde, von einem Jäger diese
Marien- Ikone gefunden. Es war der Hund des
Jägers, der das gleißende Bildnis der Jungfrau
zuerst zu sehen bekam und sofort beharrlich zu
bellen anfing, um seinen Herrn zu rufen. Die
Höhle, ein Versteck und gleichzeitig Lager
zeugen von einer christlichen Gemeinde in der
byzantinischen Zeit. Das Gebiet bekam den
Agia Napa, Höhlenkirche
Namen jedenfalls noch vor dem Jahr 1366.
Im 14. Jahrhundert wurde ein Teil der Höhle aus- und zu einer Kirche umgebaut.
Nichtsdestoweniger ist das Kloster ein Bau, laut einer Inschrift 1530, aus dem 16.
Jahrhundert, als Zypern unter der venezianischen Herrschaft stand. Um diese Grotte herum ist
das Kloster entstanden. Von der Gründung des Klosters sind keine genauen Daten bekannt. In
dieser Grotte wurden die ersten Gottesdienste abgehalten. Nach Bekanntwerden dieses
Ereignisses begannen sehr schnell Gläubige den heiligen Ort aufzusuchen. Die Ikone wurde
sehr wahrscheinlich in der Höhle während des Bildersturmes im 7. und 8. Jahrhundert dort
verborgen und somit vor der Zerstörung gerettet.
Eine weitere Legende erzählt, dass die Tochter einer venezianischen Adelsfamilie hier gegen
den Starrsinn ihrer Familie Unterschlupf suchte, weil diese die Heirat mit einem
Nichtadeligen ablehnte. Es wird gesagt, dass diese wohl vermögende Venezianerin später die
Kirche, die Klosterzellen und eine Getreidemühle auf eigene Kosten erbauen ließ. Die
Getreidemühle wurde wahrscheinlich später während der Türkenherrschaft gebaut.
Nach und nach wurden eine römische Kapelle und ein Nonnenkloster hinzugefügt. Das rechte
Seitenschiff der Kirche, direkt hinter dem Eingang, hatte die Funktion der römischen Kapelle.
Der Klosterbereich ist von einer hohen und dicken Mauer umstanden, vor der wir zunächst
einen riesigen uralten Sykomorenbaum 10 bestaunten, der neben einem Teich sein schützendes
Dach ausbreitete. Seine mächtigen Äste stützte eine starke Eisen- Konstruktion. Seinen Stamm
konnten erst vier oder fünf kräftige Männer umspannen.
Sykomore, [die; griechisch] Maulbeerfeige, Ficus sycomorus, ein Maulbeergewächs; aus Äthiopien
stammender, bis 16 m hoher, bereits tief am Stamm verzweigter Baum, dessen Fruchtstände (Eselsfeigen) essbar
sind. Das Holz wurde für die Mumiensärge verwendet.
10
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 21
Diese mächtige Sykomore (auch „Pharaonen- Feige“ genannt) des Klosters, die neben dem
Wasserzentrum wächst, soll angeblich noch von der Venezianerin gepflanzt worden sein.
Als die Zeit ihres Todes nahte, errichtete sie ein steinernes Gewölbemonument. Sie wünschte,
in diesem Monument, in der Nähe des Wasserspeichers und „seiner taufrischen Kühle“
begraben zu werden.
An der nördlichen Seite des Innenhofes ist ein Brunnen mit der Gestalt eines Keilerkopfes.
Darüber steht das zweistöckige Haus, in der die venezianische Tochter anfangs gelebt hat.
Oben auf dem Hügel an der westlichen Seite der Kirche, befindet sich eine kleine antike
Kirche, genau an der Stelle errichtet, wo die Jungfrau Maria nach der Legende eine Rast
eingelegt haben soll.
Als die Osmanen 1571 auf der Insel
einbrachen, wurde das Kloster nicht zerstört.
Man schließt dies daraus, dass die
Beschreibung des Klosters von Pietro della
Valle um 1625 sich präzise mit der heutigen
Erscheinung deckt. Er berichtet ebenso dass
dieses Kloster damals ein Nonnenkloster war
und große Ländereien besaß.
Zu einem Mönchskloster wurde es 1668
umgewandelt. Aus einem nicht mehr
bekannten Grund wird es seit 1758 nicht mehr
ständig von Mönchen bewohnt und
bewirtschaftet.
Sykomore vor dem Kloster Agia Napa
Das Kloster war ursprünglich in einem
unbewohnten Gebiet angesiedelt. Erst ungefähr
Mitte des 18. Jahrhunderts wurde das erste
Haus des Dorfes gebaut. Die ersten Bewohner
des Dorfes waren Leute aus Thessaloniki, die
ihre alte Heimat wegen der Pest verlassen
hatten.
Jahrzehnte später, 1813, wurde das Kloster laut einer Inschrift restauriert und erneuert.. Da es
keine klösterliche Einsiedelei mehr barg, vermietete man den Besitz an die Bauern in der
Gegend. Die klösterlichen Einrichtungen wurden für die verschiedenen Bedürfnisse der
Gemeinde genutzt.
Nach 1878, unter britischer Kolonialherrschaft, gab es keine Mönche in Agia Napa mehr. Die
Klosterkirche wurde nun zur Gemeindekirche des Dorfes.
1950 wurden wieder umfassende Renovierungsarbeiten vorgenommen. Erzbischof Makarios
III. wählte Agia Napa als ökumenisches Tagungszentrum aus. Die türkische Invasion
zerschlug diese Pläne für die Einrichtung eines solchen Zentrums.
Erst 1976, unter Mitwirkung der deutschen evangelischen Kirche, wurde ein neuer
Gebäudekomplex geschaffen, der heute Versammlungsort für die christlichen Kirchen im
Nahen Osten ist.
Der Bevölkerungszuwachs im Dorf machte den Bau einer neuen Kirche notwendig, die im
Südwesten des Klosters gebaut wurde und ebenfalls der Jungfrau Maria geweiht ist.
Da sich die Sonne jetzt am Nachmittag schon neigte, blendete mich die idyllische Schönheit
des Innenhofes im warmen Licht besonders, als ich durch einen Bogen über holprige, glatt
geschliffene Kopfsteine das Innere betrat.
Antonio steuerte auf den Eingang der Kirche zu, die im Innern sich als die Grotte entpuppte.
Im Zugang standen rechts und links eine ganze Reihe Ikonen an die Wand gelehnt, die ich
ablichtete. Einige Stufen führten in die eigentliche Grotte, heute durch ausgemauerte Gewölbe
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 22
baulich ausgeformt. Dann setzten wir uns in dem niedrigen Felsenhohlraum auf die Stühle, und
Antonio erzählte uns aus der Kirchengeschichte. Sie soll aus dem 16. Jahrhundert stammen.
Selbst ein weltlich denkender Mensch kommt nicht daran vorbei, falls er überhaupt ein Auge
für die Kunst hat, zuzugestehen, dass diese Ikonen schön sind, vielleicht in dem Sinne, dass sie
auf uns eine gewisse Wirkung ausstrahlen, dass sie ein Fenster sind, durch das man in eine für
uns fremde religiöse Welt schaut. Es ist diese strenge Symbolik, die Augen, die an dir
vorbeiblicken, das Gold, die königlichen Farben Rot und Blau der Gottesmutter oder die
schlichten Farben der Gewänder der Heiligen, die Ruhe, die ihre Haltungen aussenden, die
nicht immer leicht zu enträtselnde Gestik ihrer Hände…Ich war sehr gefangen von diesen
Bildern, die ich immer wieder in den orthodoxen Kirchen vorfand und nicht müde wurde, sie
anzuschauen.
Ich will einmal die kurze Zeit, in der Richard Löwenherz auf Zypern saß,
noch auslassen und nur an ihrem Ende anknüpfen, nämlich an das Jahr
1192, in dem Löwenherz die Insel für hunderttausend Goldstücke an die
Templer verkaufte. Diese können nur vierzigtausend anzahlen. Aber auch
für den reichen Orden ist die Restsumme nicht leicht aufzubringen. Die
Templer versuchen nun, das Geld aus der Bevölkerung zu pressen.
Richard Löwenherz
Sie ersticken in Nikosia einen Volksaufstand in einem Blutbad. Die geldgierigen Barone mit
dem lateinischen Ritus bleiben für die meisten griechisch- orthodoxen Einheimischen fremde
Herren. Als es zu weiteren Aufständen kommt, wollen die Templer die Insel wieder loswerden.
Nach einer schwierigen Finanztransaktion vergibt Richard Zypern dann
zum gleichen Preis weiter an Guy de Lusignan 11 , den abgesetzten König
von Jerusalem: Zypern bleibt dreihundert Jahre im Besitz europäischer
Feudalherren. In dieser Zeit wird Zypern feudalistisch regiert. Die
katholische Kirche ersetzt offiziell die bis dahin griechisch- orthodoxe,
welche jedoch trotz starker Unterdrückung überleben kann. Die Dynastie
der Lusignans endet, als die letzte Königin, Caterina Cornaro 12 1489
Caterina Cornaro Zypern unter Zwang dem mächtigen Venedig überlässt.
Von genau 1489 bis 1571 nach Christus beherrschten dann die Venezianer die Insel und
betrachteten sie als letzte Bastion gegen die mächtigen Osmanen und befestigten die großen
Städte. Noch in dieser Zeit, und bevor die Osmanen die Insel 1571 in ihren Besitz brachten,
Lusignan, [lyzi'njã], französisches Adelsgeschlecht aus dem Poitou, stellte Könige von Jerusalem (11791291), von Zypern (1192-1489) und von Kleinarmenien (1342-1375).
12
Cornaro, Caterina, Königin von Zypern 1473-1489, * 1454 Venedig, † 10. 7. 1510 Venedig; verzichtete
unter dem Zwang Venedigs auf ihr Königreich; das ihr zugewiesene Asolo (Provinz Treviso) gestaltete sie zu
einem Musenhof.
11
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 23
muss wohl noch diese Klosterkirche Agia Napa entstanden sein. Über den Einfall der Türken
1571 werde ich noch berichten.
Viel Zeit blieb uns nach Verlassen der Kirche nicht, uns umzuschauen. In typisch japanischer
Manier wurden noch Fotos geschossen. Das wundervolle Licht unterstützte dieses Vorhaben.
Dann marschierten wir zum Bus und fuhren die wenigen Kilometer nach Protaras.
Im Hotel Cavo Maris kannten wir uns nun schon mit den Gepflogenheiten des reichhaltigen
Buffets aus, verpflegten uns reichlich. Ein kleines Bier kostete 2,10 zyprische Pfund. Da es
heute Abend nach dem Essen noch nicht 21 Uhr war, gingen wir über die Straße in den
„Supermarkt“ und kauften Ansichtskarten und gleich noch Briefmarken dazu. Auf dem Balkon
schrieb ich in der angenehmen Wärme des lauen Abends drei Karten und genoss die Aussicht
auf die
Lichter
der
Stadt.
Vom
Balkon
genoss
ich den
Abend
und den
weiten
Blick.
VI. Nikosia-
Geteilte Hauptstadt
Samstag, 30. September 2006
in wunderschöner, strahlender Morgen brach an. Wir genossen ihn beim Frühstück auf
der Terrasse neben dem Schwimmbecken. Freche, hungrige Sperlinge umzwitscherten
uns, hüpften über die Fliesen und pickten die Brosamen auf, die zu Boden fielen oder
die ihnen zugeworfen wurden. Ganze Schwärme von ihnen lauerten im lockeren Grün, das die
Terrasse umgab und verliehen der grünen, blühenden Pflanzenzierde beinahe den Glanz
belebter Natur. Heute stand ein Ausflug in die geteilte Hauptstadt Zyperns auf dem
Programm.
Antonio nutzte die Fahrt, um uns noch Einzelheiten zu schildern, die in den Zusammenhang
der türkischen Besetzung des Nordteils der Insel gehören. Ich habe die Fakten bereits
dargelegt. Er erinnerte vor allem an die Galionsfigur des zyprischen Widerstandes, den
Erzbischof Makarios. Also schalte ich hier einige Lebensdaten dieses berühmten Mannes ein,
an dessen Wirken, was die Reflexion in den Medien der DDR- Presse betraf, ich mich noch
selbst entsinnen kann. Er hat wohl auch einmal die DDR besucht.
E
Erzbischof Makarios III. (*13. August 1913 in Pano
Panagia, Zypern; † 3. August 1977); eigentlich Michail
Christodulos Muskos (Μιχαΐλ Χριστόδουλος Μουσκός);
war ein zypriotischer Geistlicher und Politiker.
Muskos wurde nach einem Theologie-Studium in
Athen orthodoxer Priester und wurde 1948 zum
Bischof von Kition und 1950 zum Erzbischof von
Zypern berufen. Als Erzbischof wurde er als Makarios
III. bezeichnet und bekam den Titel Ethnarch (auf
deutsch Volksführer) von Zypern.
Er schloss sich danach dem Kampf zur Befreiung Zyperns von den britischen Kolonialtruppen
an und ging ein Bündnis mit General Grivas ein. Fast 600 Menschen starben bei den
Kämpfen, bis Makarios III. im Jahr 1960 das Präsidentenamt des nun unabhängigen Zypern
übernehmen konnte.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 24
14 Jahre später wurde er 1974 durch einen
Militärputsch gestürzt, der von der damaligen Junta
Griechenlands
betrieben
wurde.
Andauernde
innenpolitische Konflikte um die zyprische Verfassung der Anschluss an Griechenland war verboten, und die
Türken Nordzyperns hatten recht weit reichende
Autonomierechte - waren der Vorwand dafür gewesen.
Die Abspaltung Nordzyperns und die folgende Teilung
der Insel resultierten aus diesem Putsch.
Im Dezember 1974 kehrte er noch einmal in das Amt
zurück, das er bis zu seinem Tode innehatte.
Antonio nannte noch einmal die Zahlen der türkischen Invasion, damals 1974, während der
instabilen politischen Situation: 17 000 Soldaten drangen am 20. Juli auf die Insel und
vertrieben 160 000 griechische Zyprioten aus ihren angestammten Heimen. Zirka 1500 von
ihnen werden bis heute vermisst. 5000 Soldaten und Zivilisten ließen dabei ihr Leben.
Antonio erläuterte auch noch einmal den 1400 Seiten umfassenden Annan- Plan der Einigung
Zyperns, den vor allem die griechischen Zyprer im Süden mit ihrem Nein bei der
Volksabstimmung ablehnten, obwohl 65% der türkischen Zyprer im Norden zustimmten.
Ein Punkt als Beispiel, wie dabei die griechischen Zyprer über den Tisch gezogen werden
sollten: 1000 ha Kartoffelland wollten die Engländer gegen 50 km unfruchtbaren MeeresShelf bei Limassol eintauschen. 5000 türkische Soldaten sollten als Besatzungsmacht bleiben.
Und so gab es noch viele Punkte, bei denen die im Süden erhebliche Nachteile eingetauscht
hätten.
Als wir so auf den gut ausgebauten Straßen durchs Land fuhren, der Blick aufs Meer zur
Linken mit dem aufs Weichbild von Larnaca wechselte, fragte ich Antonio nach den
Ressourcen, die den südlichen Zyprioten zur Verfügung stünden, als erstes nach
Trinkwasser, das ja die Lebensgrundlage bildet. Es ist tatsächlich ein ernstes Problem, das
die Zyprer meistern müssen. Grundwasser ist nicht vorhanden. Die Insel bildet
gewissermaßen einen vulkanischen Sporn auf der afrikanischen Kontinentalplatte. Den
Sommer über regnet es überhaupt nicht, im Winterhalbjahr unregelmäßig. Die türkische
Besetzung hat für den Süden große Gebiete der bewässerten Mesaoria- Ebene abgeschnitten,
die ihr Wasser aus dem lang gezogenen Pentadaktylos- Gebirge im Norden erhält.
Mich dünkt, die Reserven des Wassers, das aus dem Troodos- Gebirge abfließt, sind
ausgereizt. Auf der Karte finde ich eine Reihe mittlerer und großer Speicherbecken, die den
Abfluss der kleinen Flüsschen zurückhalten. In Südzypern gibt es über 90 Speicherbecken.
Man hat begonnen, Meerwasser zu entsalzen. 1997 ging die erste in Betrieb. Es gibt heute
eine zweite. Sie haben den Nachteil, dass die Sole ins Meer zurückfließt und dort das Wasser
aufsalzt und den Rest an Fischen kaputtmacht, der jetzt noch auffindbar ist.
Der zyprische Norden wurde 1998 erstmals vom
türkischen Festland mit Wasser beliefert. In
riesigen Plastiksäcken wurden 10 000 Tonnen
Wasser aus dem türkischen Taurusgebirge über
das Meer bis Kyrenia (Girne) geschleppt. Was
wird aus dem wachsenden Tourismus?
Dusche/Bad und Pool müssen sein! Die
Touristen machen sich keinen Kopf, wo das
Wasser herkommt. Sie verbrauchen es
großzügig und gedankenlos.
Überhaupt sind die Küsten abgefischt. So absurd es klingt: Fisch muss importiert werden.
Die Stromgewinnung ist ein weiteres Problem. Sie stützt sich auf Erdölimporte, vorwiegend
aus dem Iran und Russland. Noch werden die teuren Derivate, sprich Erzeugnisse der
Erdölverarbeitung eingekauft, das heißt die Weiterverarbeitung und tiefere Spaltung des
Erdöls ist im Lande noch nicht entwickelt. Ein Energiefaktor ist die Sonnenenergie, allerdings
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 25
nur im privaten Bereich. Fast auf jedem Haus steht ein Wasserboiler, der von
Sonnenkollektoren aufgeheizt wird und das Warmwasser erzeugt.
Bei diesen Erläuterungen nähern
wir uns dem Weichbild der
Hauptstadt Zyperns, der einzigen
noch geteilten Hauptstadt Europas.
Wir fahren natürlich zuerst in die
Hauptstadt der Republik Zypern,
ordentliches Mitglied der EUStaaten. Erstaunlich viel Grün
säumt hier die Straßen. Der
Linksverkehr wurde deutlicher, vor
allem an Ampeln und Ringverkehr
ist er seltsam ungewohnt.
Nikosia: Erzbischöflicher Palast, Makarios-Denkmal
Die Leoforos Athinas, auf der wir in die historische Altstadt einfuhren, zog sich an der alten
Stadtmauer entlang. Antonio zeigte links von uns auf das Famagusta- Tor, eines der drei Tore,
die damals durch die festungsartige Wallmauer in die Stadt führten.
Der Festungsring wurde nach den Plänen eines venezianischen Architekten in den Jahren
1567/68 errichtet. Die Stadtmauer umschließt mit ihren elf Bastionen sternförmig die
Innenstadt. Um freies Schussfeld zu haben, riss man damals alle Gebäude im Umfeld ab.
Darunter auch die Grabstätte der Lusignans, den Königspalast und das Dominikanerkloster.
Nikosia
(griech. Lefkosia,
türk. Lefkoşa)
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 26
Die Mauern sind sehr dick, schräg gestellt und von einem Wassergraben umzogen. Unter den
fränkischen Kreuzrittern hieß das zyprische Lefkosia nun Nikosia. Trotz der starken Mauern
erstürmte das Heer Mustafa Paschas nach siebenwöchiger Belagerung am 20. Juli 1570 die
Stadt. 20 000 Bewohner verloren dabei ihr Leben. Nikosia blieb bis 1878 in türkischem
Besitz, fast wieder dreihundert Jahre. Von da an nahmen die Briten von der Insel Besitz,
machten es zur Kolonie und herrschten uneingeschränkt bis 1960.
Das heiße Wetter sprang uns an, als wir dem Bus entstiegen. Vor uns prangte im gleißenden
Sonnenlicht der erzbischöfliche Palast mit einem überlebensgroßen Denkmal von Makarios
davor. Der Palast wurde zwischen 1956 und 1961 im neubyzantinischen Stile erbaut. Er ist
heute Mittelpunkt der orthodoxen Kirche Zyperns. Makarios kam knapp mit dem Leben
davon, als die Putschisten 1974 den Palast mit ihrer Artillerie beschossen.
Da standen wir nun, mitten in Nikosia. Die Stadt sagte noch Sie zu mir und stellte mir ihre
ersten Kostbarkeiten vor. Hinter den Säulenbögen des Palastes schimmerten kostbare
marmorne Wandtäfelungen. Doch alles schien ohne Leben zu sein. Im ganzen Areal war
niemand zu sehen. Eine Messing- Tafel wies auf ein kirchliches Ikonen- Museum im
Nebentrakt des Palastes. Es beherbergt Tafelbilder, Freskenreste und Ikonen aus den Kirchen
Zyperns.
Das erste Ziel der Stadtführung war ein Denkmal des UNESCO- Weltkulturerbes- die Agios
Ioannis, die Johanniskathedrale. Fotografieren verboten, wies uns Antonio an. Schade, aber
einzusehen. Das Blitzlichtgewitter der Touristenapparate, die Ausdünstungen der
Menschenkörper haben schon so manchem alten Kunstwerk zugesetzt und die Restauratoren
zur Verzweiflung gebracht. Durch eine niedrige Tür traten wir in einen relativ kleinen
einschiffigen Kirchenraum ein, der von einer über und über bemalten, tonnenförmigen Decke
überwölbt ist.
Die Ikonostase 13 strotzte von Gold
und Silber und wies eine Vielzahl
reich geschmückter Ikonen auf.
Genau wie die römischen, so boten
auch
die
Ostkirchen
ihren
Gläubigen Bilder an, um ihnen die
Heilsgeschichte nahe zu bringen.
So erzählten auch die Decken und
Wandfresken viele und die
wichtigsten Geschichten aus dem
Alten und Neuen Testament. Ein
trotz Verbot aus der Hüfte
abgedrückter Schnappschuss mag
verdeutlichen,
dass
eine
Schilderung dieses für meine
Begriffe mit Blattgold überladenen
Nikosia, Johannis- Kathedrale, Ikonostasis
und förmlich überquellenden Reichtums an Bildern und schmückenden Ornamenten schwer
möglich ist. Sie spricht zu den Sinnen des religiösen Menschen, blendet ihn, nimmt ihn
gefangen und entführt den Gläubigen in die Welt des Übersinnlichen.
Die Johanniskathedrale stammt aus dem Jahre 1662 und wurde unter Erzbischof Nikiforos auf
dem Grund einer ehemaligen Benediktinerkirche aus fränkischer Zeit errichtet. Ihre
Ausmalung mit diesen herrlichen Fresken in post-byzantinischer Manier erfolgte aber erst nach
1730, als diese Kirche zur Kathedrale erhoben wurde. Sie wurden restauriert und begeistern
heute jeden Kunstfreund und erbauen natürlich vorrangig die Gläubigen.
Ikonostase = Reich mit Ikonen geschmückte Trennwand zwischen Altar- und Gemeinderaum in orthodoxen
Kirchen
13
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Wir erfuhren, dass die christliche Kirche auf Zypern überhaupt zu den ältesten christlichen
Ländern der Erde zählt. Die Apostel Paulus und Barnabas verkündeten hier bereits das
Christentum im Jahre 45 nach Christus. Somit ist die zyprische Kirche apostolischen
Ursprungs. Die Kirche Zyperns gehörte von Anfang an zur Ostkirche, als im 4. Jahrhundert die
Kirchenspaltung (Schisma) in eine Ost- und Westkirche ihre Wurzel zu schlagen begannen.
Die Herrschaft der Lusignans erhob zwar für ein paar Jahrhunderte den römisch- katholischen
Glauben zur Staatsreligion. Doch unter der osmanischen Herrschaft erhielt die orthodoxe
Kirche ihre alten Rechte zum Teil zurück: Ein Erzbischof wurde zum offiziellen Vertreter des
zyprischen Volkes. Zwischen 1960 und 1974 war Zypern neben dem Vatikan der einzige Staat
der Welt, der von einem Kirchenfürsten, Makarios III., regiert wurde.
Die in dunklen Farben gehaltene Decke machte den Raum eng. Neben der Würdigung des
Theologen Johannes wurde diese Kirche vor allem der Entdeckung des Grabes des Hl.
Barnabas 14 in den Ruinen von Salamis 15 geweiht.
Zwei prachtvolle Kristall- Lüster füllen den Luftraum des engen Kirchenraumes und erzeugenwenn sie entzündet sind – feierliche und strahlende Helle. Als wir aus der Kirche heraustraten,
vom Tageslicht geblendet und der jetzt noch Anfang Oktober unbarmherzig brennenden Sonne
ausgeliefert, machte ich folgende Feststellung.
Antonio strebte davon, unbeeindruckt der Dinge, die einen neugierigen Besucher noch fesseln
können. Er latschte vorneweg, unbeirrt, ob nicht noch Dinge interessant und des Zeigens wert
wären. Ich hegte deshalb oft einen kleinen Groll gegen ihn. Ihn interessierte nur sein Zeitplan.
Wer mehr wissen und schauen wollte, musste sich sputen. So ging es mir oft, dass ich nach
Motiven spähte, stehen blieb, dies und das fotografierte. Dann hatte ich in der Hitze zu hasten,
um den Zug wieder einzuholen.
So steht neben der Johanniskathedrale ein schmucker
Bau, des Betrachtens wert- das Volkskundemuseum
und das Museum des Nationalen Kampfes. Davor steht
eine weiße Büste des Erzbischofs Makarios- dachte ich!
Aber zu Hause, beim Stöbern in meinen Prospekten und
Unterlagen korrigiere ich mich.
Es ist das Denkmal von Erzbischof Kyprianos, den
die Türken 1821 hingerichtet haben. Seine Büste steht
im Vorhof des kleinen Mausoleums, das ihm und
einigen anderen Geistlichen gewidmet ist. Dem
damaligen türkischen Gouverneur von Zypern wurde
hinterbracht, dass sie geheime Kontakte mit den
Festlandsgriechen hatten, die sich zu dieser Zeit zum
Unabhängigkeitskampf
gegen
die
osmanische
Herrschaft erhoben. Daraufhin ließ er sie hinrichten.
Das Mausoleum und die Büste sind dem Andenken an
diese Bluttat gewidmet.
Denkmal für Erzbischof Kyprianos
Wir biegen um die Ecke, schlängeln uns durch Autos und Passanten in einer engen Gasse in
Richtung des zentralen Gemüsemarktes der Altstadt Nikosias, vorbei an einem
Ausgrabungsgelände, das mit einem Drahtgitterzaun umgeben ist. Immerhin hatte die Stadt in
ihren Blütezeiten im Mittelalter beinahe 250 Kirchen.
Barnabas, zeitweise Mitarbeiter des Apostels Paulus, vertrat mit ihm die Belange der nichtjüdischen
Christengemeinden auf dem sog. Apostelkonzil (Apostelgeschichte des Lukas 4,36 f., 15,1 ff.; Brief des Paulus
an die Galather 2,1 ff.); Heiliger; Fest: 11. 6.
15
Salamis, antike Stadt an der Ostküste Zyperns in der Nähe Famagustas, der Sage nach von Teukros
gegründet, 449 v. Chr. Sieg der Athener über die Perser; Ausgrabungen seit 1952.
14
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 28
Nikosia (Süd): Gemüsemarkt vor der Markthalle
Wir biegen in eine Seitenstraße ein, immer
auf dem Sprung vor den sich vorbei
schiebenden Autos. Auf einmal befinden wir
uns mitten im Municipal Market, dem
engen,
verwinkelten
städtischen
Gemüsemarkt, auf dessen Freifläche rings
um die Markthalle sich zahlreiche Händler
unter recht provisorischen Sonnensegeln um
die Gunst der Käufer bemühten. Heute war
Sonnabend. Viele, Frauen sowohl als
Männer drängten sich durch die engen
Gassen und wählten aus dem reichen
Angebot, das mich nur mit seinen
vielfältigen Farben begeisterte, ihren
Wochenendbedarf aus.
Langsam zogen wir an den Gemüsekisten vorüber, stellten
Übereinstimmung und Unterschiede zu unseren heimischen
Gemüsern fest, beobachteten Käufer und Verkäufer, das bunte
Treiben. Viele suchten nur wenige Früchte aus, die schwungvoll
in den rosaroten Plastikbeuteln landen. Ich sah auch ganz alte
Männer am Stock oder mit ihrem Rollader. Der Markt ist auch so
etwas wie ein Treff mit Bekannten. Die Preise sind unseren
ähnlich, eher noch teurer. Fast hätte ich wieder den Anschluss
verloren. Antonio war schon weg und im Inneren der Markthalle
verschwunden, deren Angebot mich nicht vom Stuhl riss. Am
ehesten überzeugte mich die Offerte eines Gewürzhändlers,
dessen Vorräte in prall gefüllten Säcken, oben offen, seinen
Stand einrahmten. Da gab es Kümmel, Zimtstangen, Safran,
Koriander, Fenchel, schwarzen und weißen Pfeffer, aber auch
Honig, Marmeladen und vieles andere mehr, bekannte und
unbekannte Spezereien.
Antonio trieb uns weiter und steuerte uns zum Bus.
Über die Ausgrabungen in dem Bereich hinter dem Ikonenmuseum, den erzbischöflichen
Palast, dem Volkskundemuseum und der Markthalle, bei denen wir wieder vorbei kamen,
konnte ich leider nichts in Erfahrung bringen. Es ist ein großes Areal und sicher fündig. Zu
sehen sind Mauerführungen.
Altstadt Nikosia, griechischer Teil, Ausgrabungen. Linkes Bild: Im Hintergrund die Omeriye- Moschee
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Noch
einmal
kamen
wir
am
Erzbischöflichen
Palast
vorüber.
Gegenüber befindet sich ein stattliches
Gebäude,
das
Panzyprische
Gymnasium, das Elite- Gymnasium der
Stadt, an dem auch Makarios studiert
hat. Von hier wurde übrigens in den
1950er Jahren der Gedanke der Enosis 16
weiter getragen. Die Enosis- Idee kam
mit der Staatsgründung Griechenlands
1830 auf. Sie beinhaltet den Anschluss
aller griechischsprachigen Gebiete, auch
Zyperns, an Griechenland. Aber es kam
anders.
Panzyprisches Gymnasium in Nikosia (Süd)
Kurzer Rückblick:
1878 schloss das britische Empire einen Vertrag mit dem Osmanischen Reich, mit dem es der
Türkei Schutz gegen das Vordringen des russischen Riesen auf dem Balkan versprach.
Im Gegenzug traten die Türken Zypern ab. Die Insel wurde, nach dem Bau des Suezkanals ein
wichtiger Stützpunkt auf dem Weg nach Indien geworden, im Jahre 1925 britische
Kronkolonie. Die Inselbewohner spalteten sich in zwei Gruppen. Die einen wollten sich an ein
Mutterland anschließen, das Griechenland heißt, die anderen sehnten sich nach einem
unabhängigen Staat. Es gab aber auch noch eine türkische Volksgruppe. Kämpfe blieben
unausweichlich...
Wir liefen die Adamantiou Koral hinauf,
Richtung Stadtmauer, vorbei an den stattlichen
Resten eines Aquädukts, die kaum aus antiker
Zeit stammen dürften, sondern aus der Zeit, als
die Venezianer sich vor den Türken sicherten,
nämlich aus den Jahren 1558 bis 1567. Zypern
war nach den Eroberungsfeldzügen der Türken
neben Kreta der einzige christliche Standort im
östlichen Mittelmeer geblieben. Nach den
Erkenntnissen
der
damals
neuesten
Verteidigungstechnik
riss
man
ganze
Stadtviertel Lefkosias ab, um einen starken
Mauerring mit weitem Schussfeld zu errichten.
Nikosia (Süd), Aquädukt an der Stadtmauer
Selbst das Dominikanerkloster mit den Gräbern der Lusignan- Könige vor dem Paphos- Tor
musste weichen. Böschungen und breite Gräben, Erdwälle wurden gezogen, Vorwerke in den
Wassergräben gebaut. Senkrechte Schächte in den Wällen sollten den Druck bei
Geschosseinschlägen auffangen. Hierzu diente möglicherweise auch der von mir vermutete
Aquädukt, um Wasser, das ja schon immer kostbar war, in die Gräben zu leiten.
Wie die Geschichte beweist, nutzten alle diese Vorkehrungen nichts. Unter großen Opfern auf
beiden Seiten wurden die zyprischen Städte erobert. 1571 begann die über dreihundertjährige
osmanische Herrschaft auf der Insel. Die Türken setzten einen so genannten Diwan ein, eine
Regionalregierung, dem ein Bey (Gouverneur) und vier Agas vorstanden. Als „Vermittler“
zwischen der griechischen Bevölkerung und dem Bey dient ein christlicher Dragoman. Die
neuen Herren schafften die Leibeigenschaft und den Frondienst ab, unter denen die Untertanen
16
Enosis, [griechisch, „Anschluss“], seit dem 19. Jahrhundert Losungswort einer Volksbewegung auf Zypern,
die für den Anschluss der Insel an Griechenland eintritt. Die Enosis- Bewegung (seit 1950 geführt von
Erzbischof Makarios) blieb auch nach Erlangung der staatlichen Unabhängigkeit (1960).
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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jahrhundertelang hatten leiden müssen. Die Türken senkten zunächst die Steuern, verboten den
Katholizismus auf der Insel und bestärkten die orthodoxe Kirche, die ihre aus byzantinischer
Zeit stammenden Rechte wiederbekam. 1754 wurde der Erzbischof zum Ethnarchen, zum
Führer und Vertreter der griechisch- zyprischen Volksgruppe ernannt.
1821 begann der griechische Freiheitskampf auf
dem Festland. Als der Erzbischof Zyperns
diesen mit Nahrungsmitteln und Geld
unterstützte,
erkannte
der
amtierende
Gouverneur Küçük Mehmed darin einen Anlass,
gegen den wachsenden griechischen Einfluss
auf der Insel vorzugehen. Trotz Zurückhaltung
der Hohen Pforte ließ Küçük Mehmed den
Erzbischof Kyprianos und weitere neun Mönche
hinrichten. Sein Denkmal hatten wir gesehen.
Seitdem bekam das Verhältnis zwischen
Griechen und Türken auf der Insel einen Riss,
der bis heute nicht verheilt ist. Ich nehme hier
vorweg,
dass
diese
Exekution
im
Wachsfigurenmuseum in Lefkara mit einer
Darstellung verewigt ist.
Hinrichtung des Erzbischofs Kyprianos 1821
durch die Türken, Fatsa- Wax- Museum Lefkara
Unsere Gruppe, geführt von Antonio kam an die Ringstraße vor den Wällen. Mächtig ragt die
Podocataro- Bastion aus der grünen Fläche empor. Sie ist gekrönt vom Freiheitsdenkmal,
das an die Kämpfe gegen die britische Kolonialherrschaft 1960 erinnert. Es steht seit 1970
hier und zeigt verschiedene Figuren, die den Auszug der Gefangenen aus den britischen
Kerkern symbolisiert. Dass vier Jahre später erneut griechische Zyprer in türkischer
Gefangenschaft verschwinden, ahnte damals sicher noch niemand. Sehr pathetisch verlassen
die Gefangenen ihren Kerker, dessen an Ketten hängendes Gitter von den Befreiern
hochgezogen wird, und steigen die Stufen zur Freiheit empor. Auf einem Postament stehend,
reckt eine idealisierte Frauengestalt den Zeigefinger siegreich in die Höhe.
Wir besteigen den Bus, die Insassen warten schon, bis wir Wenigen mit Fotografieren fertig
werden. Man muss ja alles im „japanischen Stil“ erledigen. Hinschauen. Foto. Fertig.
Wir fahren jetzt zur Green Line zum Paphos- Tor, die Grenzlinie zum türkischen Norden der
Stadt. Das letzte Stück zum Checkpoint müssen wir laufen. Der Übergang befindet sich in der
Nähe des Ledra Palace Hotels, in dem die UN- Soldaten untergebracht sind.
Mit einiger Spannung laufen wir den letzten
Kilometer. Ich lese ein riesiges Plakat:
„NORD CYPRUS FOR EVER“ oder so
ähnlich. Davor weht die nordzyprische
Halbmond- Flagge. Wir passieren das GoetheInstitut, einigermaßen ordentliche Häuser, die
als Unterkünfte der UN- Beobachter
ausgewiesen sind, aber auch verwilderte und
zerstörte
Häuser,
in
deren
leeren
Fensterhöhlen noch die Sandsäcke von den
erbitterten Straßenkämpfen zeugen, die hier
stattgefunden
haben.
Stacheldrahtrollen
winden sich durch wucherndes Gesträuch.
Ein tragisches Bild der Verwüstung bietet sich, mit Beton gefüllte Blechtonnen, Nagelbretter
an Türen, immer wieder rostiger Stacheldraht, verwilderter Pflanzenwuchs weisen auf die
Unvernunft der Türken, die diese schon über dreißig Jahre währende Trennung Nikosias mit
ihrer politischen Sturheit erzwingen wollen. Dann erreichen wir den Grenzposten.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 31
Am Checkpoint erfährt zuerst Antonio von den türkischen Grenzwächtern, dass die gestern
erstellte Liste mit den Personalien der Reisegruppe, die er hierher geschickt hatte, nicht
angekommen oder nicht ausreichend ist. Wir müssen nun - jeder einzeln - mit Reisepass oder
Personalausweis unsere Legitimation am Schalter abholen- einen Papierwisch mit
Tagesstempel. Dann dürfen wir immer noch nicht durch den Schlagbaum. Wir erfahren, dass
wir nur als geschlossene Gruppe gehen dürfen und nur in Begleitung eines Aufpassers, der aber
noch geholt werden muss. So stehen wir denn in der Sonne und warten auf den Supervisor.
Endlich erlaubt man uns zu gehen. Hinter uns trottet ein junger Mann im gelben Hemd,
schweigsam, wie ein Hütehund immer hinter dem Letzten von uns bleibend. Bleibt dieser
stehen, bleibt auch er stehen. Die Stasi lässt grüßen.
Das Straßenbild der ersten belebten Straße versetzt
mich in eine andere Welt. Es gleicht dem vieler
Straßen in Deutschlands Städten, die von Türken
beherrscht werden wie München, Berlin, Köln und
kommt mir fast vertraut vor. Wir sehen den
Festungsring von innen. Die Bastionen haben von
den Venezianern Namen bekommen. Manche
wurden umbenannt, wie es mit Namen so ist bei
politischen Wechseln. Dieses hier heißt Mula. Die
Mauern ragen nicht mehr sehr hoch heraus. Im
Bastion Mula des Festungsringes
Laufe der Jahrhunderte wurde viel aufgeschüttet.
Elende Behausungen fielen mir auf. Mir wurde bewusst, dass viele Festlandstürken aus
Anatolien hierher gezogen sind oder ziehen mussten. Sie machen nichts an den Häusern. Sie
gehören ihnen nicht. Im Unterbewusstsein fühlen sie sich bestimmt nur als Herren auf Zeit.
Obwohl die Politiker kräftig die Ewigkeitstrompeten blasen.
Die Straße erweitert sich hinter einem lang gezogenen Museumstrakt, ein erklärendes Schild
kann ich nicht deuten- ich bin des Türkischen nicht mächtig. Der Atatürk Meydani, ein Platz,
nach Atatürk 17 benannt, von Bank- und Bürohäusern umstanden, wird von einer mächtigen
Säule beherrscht, einst von den Venezianern errichtet, als Triumphsäule mit dem
Markuslöwen gekrönt. Sie wurde im 16. Jahrhundert aus den Ruinen der alten Stadt Salamis
bei Famagusta hierher in die neue Hauptstadt gebracht.
Wir kommen an dem berühmten Saray- Hotel
vorbei, das zu seinen Füßen ein gut besuchtes
Straßencafé unterhält, wo sich viele junge Leute
zum Mittagessen versammeln.
An einer Straßenverzweigung sehe ich eine
mittelalterliche Ruine, die Mauerreste des Kleinen
Han 18 aus dem 17. Jahrhundert, türkisch
Kumarcılar Han, die Karawanserei der
Glücksspieler. In seinen Räumen wurde dem
Glücksspiel gefrönt, als es noch keine staatlich
konzessionierten Kasinos gab. Ein Stückchen,
etwa 100 Meter weiter, blicke ich durch einen
Torbogen in einen altertümlichen Innenhof.
Ruinen des Kleinen Han
Kumarcılar Han, die Karawanserei der
Glücksspieler
17
Atatürk, Kemal, bis 1934 Mustafa Kemal Pascha, türkischer Staatsmann und Feldherr, Schöpfer der
modernen Türkei, * 19. 5. 1881 Saloniki, † 10. 11. 1938 Istanbul; vor dem 1. Weltkrieg in der Jungtürkischen
Bewegung, Führer der Armeegruppe Yildirim („Blitz“) in Palästina im 1. Weltkrieg; stellte sich nach der
Niederlage 1919 an die Spitze der nationalen Erhebung, berief im April 1920 die Nationalversammlung in
Ankara ein; vertrieb 1921/22 die Griechen aus Kleinasien und erhielt den Ehrentitel Gazi („siegreicher
Kämpfer“); beseitigte das Sultanat und das Kalifat; seit dem 29. 10. 1923 Präsident der Republik, führte
Reformen durch (Übernahme westeuropäischer Rechtssysteme, Einehe, Lateinschrift, Hut statt Fes,
Einschränkung der Religion). Seine Politik wurde von der Republikanischen Partei fortgeführt.
18
Han, [der; persisch] Karawanserei, Herberge und Lagerhaus in orientalischen Städten und an
Karawanenstraßen.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 32
Steinerne Bögen tragen eine Galerie. Es ist Leben im Hof. Musik spielt. An Tischen unter
Bierzeltbaldachinen sitzt Volk und trinkt Tee oder Kaffee. Das ist der Große Han, im
Türkischen Büyük Han, eine alte Karawanserei.
Antonio strebt weiter. Der Mann im gelben
Hemd sieht sich misstrauisch nach mir um, der
ich zum Fotografieren stehen geblieben war, um
(menschen)freie Bahn zu haben. In Gänsereihe
läuft unsere Gruppe nun durch die belebte
Straße. Sie zieht sich weit auseinander. Schauen
ist nur im Vorbeigehen möglich. Ein Stuhl mit
defektem Rohrboden steht mitten auf der Straße.
Vielleicht will man einen Parkplatz reservieren.
Ich denke an ein Bild von van Gogh.
Einem Polsterer kann ich in seine bescheidene Werkstatt
schauen. Sein Blick ist ob der ungewollten Ablichtung nicht
gerade freundlich. Fertige Polstermöbel, den unsrigen nicht
unähnlich, stehen vor dem Geschäft und werben für ihn;
allerdings sind sie dem Staub der Straße ausgesetzt. Dann lese
ich in der Irfan Bey Sokak - so heißt die Straße – ein Schild,
das ein Türkisches Bad ankündigt, Büyük Hamam- Historical
Turkish Bath, steht darauf, dazu noch der Name des
wahrscheinlichen Betreibers. Sein Portalbogen mit den feinen
Ornamenten wirkt wie ein Kirchentor und steht auf Kniehöhe,
nämlich noch auf dem mittelalterlichen Straßenniveau. Man
muss steile Stufen hinabsteigen, um hinein zu gelangen.
Vielleicht war es einmal eine Kirche vor der osmanischen Zeit?
Wir werden von den zwei Minaretten der Selimiye- Moschee
angezogen.
Hier, in der ehemaligen Sophienkathedrale,
befanden sich in der fränkischen Zeit das kirchliche
und wohl auch das weltliche Zentrum der
Residenzstadt. Die Kathedrale wurde zwischen
1209 und der Mitte des 14. Jahrhunderts gebaut.
Hier ließen sich die Lusignans zu Königen von
Zypern krönen. Das Eingangsportal schmückt
gotisches Maßwerk im französischen Stil: Dort wo
die Türme aufragen sollten, ließen die osmanischen
Beys zwei Minarette aufsetzen, zwischen denen
heute der rote türkische Halbmond und die Flagge
Nordzyperns wehen. So ist dieses Bauwerk ein
architektonischer Zwitter, ein seltsames Gemisch
von Christentum und Islam, ein Geschichtszeugnis,
wie es vielleicht nur von der Hagia Sophia in
Istanbul übertroffen wird. Das Tympanon über dem
Eingang weist noch in drei Bogenreihen den Reigen
der Heiligen auf, während die gotischen Maßfenster
Eingang zur Selimiye- Moschee, der ehem.
Sophienkathedrale (Nikosia Nord)
ihres Schmuckes beraubt wurden.
Wir ziehen die Schuhe aus und treten ein. Groß und weit ist der Innenraum, bereit Tausende
Gläubige aufzunehmen. Dreischiffig ist das Bauwerk. Mit Farbe, einheitlichem Teppichboden
und geschickten Betonungen von Minbar und einem Podest ist ein einheitliches Raumensemble
geschaffen worden. Die dicken Säulen sind unterhalb des Bogenlagers schwarz gestrichen und
bilden eine optisch- psychologische Grenze, um nach oben zu blicken. Man kniet nach Osten.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 33
Zum Inventar gehören ein Predigtstuhl (Kursi), Lesepulte (Rahle), Korankästen,
Moscheeampeln und Gebetsteppiche (Sedschadea). Natürlich suche und finde ich innen auch
christliches Steinwerk. Die Kapitelle der Säulen vor dem Chorumgang, die Maßwerksfenster,
die nun in gelben Farben leuchten, die Rippenbögen der gotischen Deckengewölbe weisen auf
die Ersterbauer und entlarven die Eroberer, die in großen runden Tafeln mit Kalligrafien die
Sprüche des Korans preisen. Ich kann die in arabischer Schrift gehaltenen Jahreszahlen
entziffern: 1290 und 1280 ( ١٢٩٠ und ١٢٨٠) Leider finde ich keine geschichtlichen
Ereignisse, die hinter diesen Daten stehen. So können es nur Daten sein, die dieses Gotteshaus
selbst betreffen.
Vereinzelte Gläubige hocken oder knien in der Nähe der Säulen. Ich bemühe mich, ihre
Andacht nicht dadurch zu stören, indem ich zwischen ihnen und der Kanzel durchlaufe.
Manche von unserer Gruppe wissen das nicht. Wir Ungläubigen sind in einer Moschee nur
geduldet. Allah ist groß. Vielleicht betet er unseretwegen die 109. Sure (Die Ungläubigen):
Sprich: O ihr Ungläubigen,
Ich diene nicht dem, dem ihr dienet,
Und ihr seid nicht Diener dessen, dem ich diene.
Und ich bin nicht Diener dessen, dem ihr dientet,
Und ihr seid nicht Diener dessen, dem ich diene.
Euch eure Religion und mir meine Religion.
Wie tolerant! Ich mache einige Fotos und ziehe dann mühsam
die Schuhe an die aufgequollenen Füße, als wir wieder unter die
schattigen Rippengewölbe der Spitzbogenvorhalle heraustreten.
Bald
formiert
sich
die
Gruppenschlange,
von
dem
Mann in Gelb wieder zusammen
gehalten. Gelassen und beinahe
apathisch sitzen die
„Tempelwächter“ auf einer Bank und warten darauf, dem
Touristen etwas von dem Kram zu verkaufen, den die Händler
zusammengetragen haben. Teile eines seltsamen Gotteshauses,
des „Bedesten“ (türk. überdachter Markt) sind eingerüstet. Die
verrosten Rüststangen zeugen von jahrelanger Standzeit und
wenig Geld der Stadtverwaltung. Dieses gotische Bauwerk aus
dem 12. Jh. vereinigt byzantinische, gotische und
venezianische Stilelemente in sich und hat durch Erdbeben
stark gelitten. Hinter der Kathedrale steht die Sultan-MahmutBibliothek, heute genutzt von der „Assoziation of Friends of
Museum“. Sicher war es früher der Sitz der Domherren. Es war nicht weit zur Markthalle.
Vorher staunte ich über eine einsame Dattelpalme, die zum Abernten mit einer stationären
Leiter versehen war. In einem Torgang staunte ich über die vorsintflutliche Elektrik an
manchen Häusern. Die Markthalle von Nikosia Nord ist modern und voller Leben. Von Obst
über Gemüse, verpackte Lebensmittel, Fleisch bis hin zu Süßigkeiten findet man hier alles.
Auch Schmuck, Kleider, Schuhe und Unterhaltungselektronik werden angeboten.
Wir schlendern durch die Hauptgasse, von
neugierigen Blicken verfolgt. Die Einheimischen
wissen, dass wieder einmal Touristen, an denen sie
nichts verdienen, sie nur an ihrem Tagwerk hindern.
Vereinzelte werbende Gesten, die mich näher an den
Stand locken wollen oder Versuche, mit Anrufen
mich zu ködern, Käufer zu werden, muss ich
bedauernd ablehnen. Ich brauche nichts. So bleiben
wir durchziehende Statisten in diesem lebendigen
Bühnenwerk oder um es anders zu vergleichen© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 34
in diesem zeitgenössischen türkischen Tempel des Konsums. Der Rundgang führt uns zurück.
Ich erkenne den Kleinen Han wieder. Dann schwenkt Antonio von der Arasta Sokağı in den
Torbogen des Büyük Han und verkündet eine halbe Stunde Pause.
Einer türkisch- englischen Informationstafel entnahm ich folgende Beschreibung:
Diese „Große Herberge“, eine alte Karawanserei, wurde 1571/72 von Mustafa Pascha errichtet,
kurz nach der türkischen Eroberung, um reisenden Händlern aus Anatolien und anderen Teilen
Zyperns Unterkunft zu bieten. Ursprünglich hieß diese Karawanserei „Alanyaliar Han“. Später
dann, nachdem der Kumarcılar Han gebaut war, bezeichnete man ihn als Büyük Han. Er ist in
seiner Anlage vergleichbar mit anderen Hans, die man in Anatolien findet. Esd ist das älteste
türkische Bauwerk der Insel. Zum Beispiel gibt es eine bemerkenswerte Übereinstimmung mit
dem Koza Han in Bursa (Türkei).
Das zweistöckige Bauwerk besteht aus 68
Räumen, welche sich zu der großen
umlaufenden Galerie öffnen, die sich um
einen großflächigen Innenhof rahmt. Zehn
Pacht- Läden öffnen sich nach außerhalb.
In der Mitte des Hofes befindet sich das
Ottoman Mesjid, das auf acht marmornen
Säulen ruhende, mit einer Kuppel
überdachte, zweistöckige Brunnenhaus,
von
außen
mit
einer
steinernen
Wendeltreppe versehen. Im Han gibt es
zwei Eingänge (West und Ost), wobei das
Osttor an der Asmaalti- Straße der
Haupteingang ist. Ein Steinpaneel ohne
Inschrift prangt über dem Torbogen.
Zylindrische Säulen tragen die Spitzbögen beider
Stockwerke und umgeben den Innenhof. Im
Erdgeschoss geben sie damit schattige Arkaden
frei.
Die Räume im Erdgeschoss haben eine niedrige
Bogentür, ein Bogenfenster und einen Kamin. An
der Ostseite des Han, wo die Shops zur AsmaaltiStraße sind, links vom Eingang, findet man
Kreuzrippengewölbe,
rechts
davon
Tonnengewölbe.
Zwei symmetrisch angeordnete Treppen in der
NW- und SO- Ecke des Hofes führen vom Hof in
das obere Stockwerk.
Schichten von behauenen Steinen formen die
äußeren und inneren Mauern des Hans. Auf den
Mauern gibt es Wasserspeier aus Stein. Das
Bauwerk wird unterstützt durch 2 Strebepfeiler in
jeder der vier Ecken. An der Spitze des
Tonnendaches
gibt
es
zwei
hexagonale
Schornsteine mit konischer Bedeckung. Sie
weisen auf die Kochherde hin.
Wir setzten uns in den Schatten eines der breiten Schirmständer
und warteten auf einen Kaffee- türkisch oder zyprisch war hier
die Frage, die uns wieder auf die besonderen politischen
Umstände stieß. Wir konnten zwar in zyprischen Pfund bezahlen.
Ich stellte aber fest, dass die Währung hier im Norden die
türkische Lira ist. Ich streifte noch ein wenig in den oberen
Arkaden umher, entdeckte manchen Kunsthandwerker mit
interessanten Schnitzereien, Malereien oder Verkäufer von
Antiquitäten. Viel wird es den Händlern nicht einbringen. Es
strömen täglich Hunderte von Touristen vorbei, doch diese
werden immer ärmer und halten ihr Geld zusammen. Meine
vorsichtige Einschätzung. Ich entdeckte an der Wand eine
vorsintflutliche fahrbare Nähmaschine, die sicher noch nicht
lange ausrangiert wurde. Sie gehört ins Technik- Museum.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 35
Aus einem Raum höre ich einen Mann Flöte spielen, mehr für sich als für andere.
Wir brechen auf und laufen zurück zum Grenzposten.
An zerfallenden, ungepflegten Häusern lese ich ab,
dass die Menschen hier auf ungewisse Zeit leben, von
der Politik verunsichert sind. Ich spüre: Sie sind aber
Menschen, wollen in Frieden leben, eine Heimat
haben. Auch die Türken auf Zypern besitzen
angestammte Rechte! Dieser Konflikt kann nur
international von außen gelöst werden. Keiner gibt
freiwillig nach. Jeder Teil hat seine Argumente. Mag
sein, dass der Schwerpunkt jetzt und seit dreißig
Jahren sich auf den griechischen Teil verlagert hat.
Wir passieren wieder den Atatürk Meydanı mit der
dominierenden Venezianischen Säule. Als 1489 die
letzte Königin der Lusignans, Caterina Cornaro, den
Venezianern Zypern überlässt, betrachten diese die
Insel als letzte Bastion gegen die Osmanen und
befestigten sie. Ich habe es schon weiter vorn bei der
Stadtmauer beschrieben. Hier auf dem zentralen Platz
errichteten sie als Herrschaftszeichen diese 6m hohe
Venezianische Säule auf dem Atatürk
Triumphsäule mit dem Markuslöwen, an deren Basis
Meydanı, Lefkoşa (Nikosia Nord)
unter anderem venezianische Wappen zu sehen sind.
Anstelle des später verloren gegangenen Löwen krönt seit der britischen Kolonialzeit eine
Weltkugel das Monument. Spätestens hier muss man sich wieder einmal an die wechselvolle
Geschichte der osmanischen Zeit auf dieser strategisch so wertvollen Mittelmeerinsel
erinnern:
1570 greifen türkische Truppen
Zypern an, nehmen Lefkosia ein,
richten dort ein Blutbad an, bei
dem 20 000 Menschen starben und
belagern Ammochostos (heute
Famagusta) fast ein Jahr lang. Der
venezianische Befehlshaber Marc
Antonio Bragadino, ergibt sich
nach tapferer Gegenwehr dem
osmanischen Befehlshaber Lala
Mustafa, der den Belagerten
zunächst freien Abzug gewährt.
Später
jedoch
befiehlt
er,
Bragadino zu peitschen und
Atatürk Meydanı, Lefkoşa (Nikosia Nord)
verurteilt die anderen zum Tode.
Nach der türkischen Eroberung der Insel 1571 wurden auf Zypern etwa 30 000 Türken vom
Festland hier zwangsweise angesiedelt. Im Gefolge der Einverleibung in das osmanische Reich
wird die westliche Geistlichkeit vertrieben oder zum Islam zwangsbekehrt und die griechischorthodoxe Kirche wieder in ihre Rechte eingesetzt.
Während der 300jährigen osmanischen Herrschaft gab es immer wieder Aufstände, die blutig
niedergeschlagen wurden. Unter dieser Herrschaft stärkte sich die Macht der orthodoxen
Kirche. Mit der Zeit wird der Erzbischof, Führer der Griechisch- Orthodoxen, deren
Repräsentant beim Sultan. Der Erzbischof vertrat als Ethnarch die Belange der griechischen
Volksgruppe, die vier Fünftel der Bevölkerung ausmachte.
Als 1821 der griechische Unabhängigkeitskampf ausbricht, der Erzbischof und andere
kirchliche Persönlichkeiten hingerichtet werden, spätestens dann entwickelt sich aus einer
muslimischen Minderheit eine zypriotische Identität, die sich immer wieder gegen die
Osmanen auflehnt.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 36
Von Antonio erfahren wir bei diesem Rundgang wenig bis nichts über die türkische Geschichte
der Insel. Er ist unmittelbar von der Okkupation betroffen und mental nicht frei in der
Beurteilung der Vergangenheit. Man kann es ihm, der mit Wehmut und Hass an die Invasoren
und sein verlorenes Haus in Famagusta denken muss, nicht verübeln. Still geht er vor uns her.
Wir trotten in der Mittagshitze hinterher, am Schluss der Aufpasser im gelben Hemd. Am
Grenzposten heißt es wieder warten. Jeder muss sein Visum vorzeigen. Hundert Meter weiter
nimmt uns der Bus auf und fährt uns das kleine Stück bis zur Bastion D’Avila, wo er parkt und
in deren Nähe sich das beliebteste Altstadt- Viertel Laiki Gaitonia befindet, wo wir nun die
heiße Mittagsstunde von eins bis zwei verbringen. Hier führt uns Antonio in ein bekanntes
Lokal. Wir sitzen in einem byzantinisch verbrämten Restaurant „Byzantino Palati“ in der Solon
Nr.6 bei ΕΙΔΙКΕΣ ΤΙКΙΕΣ ΛΙΑ ΔΕΙΞΙΣΕΙΣ; ich entschlüssele es mit Idikes Tikies Lia Dixisis,
was immer das für Personen oder Dinge sind, die mit diesen griechischen Buchstaben lesbar
gemacht werden. Wir sitzen unter einem herbstlich verdorrten aber noch Schatten spendenden
Blätterdach im kleinen Hof des Restaurants. Martina bestellt einen Bauernsalat und ich
schließe mich einer Sammelbestellung für ein Gericht an, die Antonio durch Umfrage ermittelt
hat, nachdem er in der Küche war –was in Griechenland durchaus üblich ist – und geschnökert
hat, was essbar ist und was nicht.
Beim Gang auf die Toilette, die im ersten Stock zu finden
ist, muss man über eine Holztreppe, an deren Wand einige
schlecht und geschmacklos Bilder gehängt sind, an einem
offenen Raum vorbei, in dem der Besitzer ein winziges
Museum gestaltet hat. In dieser Kammer stehen ein
eisernes Doppelbett mit linnenüberdachtem Himmel, eine
Kommode, ein niedriges Sofa, ein raumhoher Schrank, ein
Tisch mit Decke und Bügeleisen, unter einem Spiegel ein
Polstersessel. An der Wand hängen unter Glas weitere
Aquarelle. Vielleicht hat mal ein Künstler hier gewohnt.
Ich kann es nicht ergründen.
Unten in der Gaststube fotografiere ich einige Bilder, die
ein wenig folkloristischen Charakter tragen und am ehesten
etwas über frühere Zeiten berichten. Ein Bild, die
Rückenansicht einer schönen Griechin, fesselt mich ganz
besonders. Es ist ein seitliches Porträt von beinahe
klassischer Schönheit.
Danach bummeln wir ein halbes Stündchen in den engen
schattigen Gassen, sehen uns die Auslagen und Geschäfte an.
Martina zieht mich in einen Laden mit unzähligen Köpfen
aus Gips und prüft ausgiebig einige silberne Halsketten im
Vorblick auf Weihnachten oder Geburtstag Denises. Ich kann
im Verkaufsgespräch mein Englisch anwenden. Martina
entschließt sich nach langem gewohntem Zaudern. Kleine
Bildergalerien haben es mir angetan. Die Motive sind meist
auf die Spitzenattraktionen der Insel abgestimmt, auch einige
Akte hängen darunter, darauf abzielend, dass Kunden aus
dem Westen nicht so prüde wie es vielleicht noch die
muslimischen Landsleute sind. Überall am Ende winziger
Sackgassen finde ich einladende Sitzgruppen, die jetzt unter
Mittag nur mäßig besetzt sind.
Wie schön muss es sein, ohne Zeitdruck hier ein Gläschen Wein zu trinken, zu versuchen mit
dem Wirt ein paar Worte zu radebrechen oder einfach dazusitzen und zu spüren, dass die Zeit
für Augenblicke stehen bleibt. Mit begehrlichen Blicken werde ich von den umherstehenden
Bedienkräften gemustert, manchmal angesprochen und mit devot einladender Geste
aufgefordert Platz zu nehmen. Leider muss ich mich fast entschuldigen. Ich hebe die Schultern
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 37
und hebe die nach vorn gekehrten Handflächen hängenden Armes leicht an: Keine Zeit!
Krima! Schade!
Martina treffe ich jetzt, sie animiert mich unsicher, die Auslagen eines Händlers mit Nüssen,
Mandeln, Nougat und anderen Süßigkeiten zu betrachten, dort wieder gibt es herrlich duftende
Gewürze. Mit ihnen lebt die Erinnerung an all die orientalischen Basare wieder auf, die wir
gesehen haben. Das hier ist nur ein müder, schwacher Abglanz.
Ich erinnere mich an Hand eines Bildes, einem Schuster
in seine armselige Werkstatt hineingeschaut zu haben.
Solche Einblicke zeigen die wahren Verhältnisse derer,
die nicht am Honigseim des Tourismus schlürfen,
solcher armen Handwerker, die mit einfachsten
Handwerkzeugen eine alte Tradition hoch halten, ihr
Leben damit fristen, Schuhe reparieren, kleben, flicken,
wo für ein paar lumpige Pfund der Markt nagelneue
Importe anbietet. Es ist wie bei uns auch: Wer lässt
noch Schuhe reparieren? Eine verschwindende
aussterbende .Minderheit. Handwerk stirbt.
Wir sammeln uns vor der Tachodromío, der Post. Der
parkähnliche Platz am Rathaus, den die Bastion
D’Avila freigibt, wird von uralten Bäumen bestanden,
die mit ihren weit ausladenden Ästen tiefen erholsamen
Schatten spenden. Beete mit Tausenden quittegelben
Schuhmacher- Werkstatt
Studentenblumen säumen die Wiesen, die sicher jeden
Altstadt Nikosia (Laiki Gaitonia)
Tag fleißig von Stadtgärtnern gesprengt werden.
Ein mannshohes Spalier rot blühender Bougainvillea begrenzt einen Parkplatz. Es ist schön
hier. Doch Antonio sammelt uns wieder, winkt uns zum Bus auf die vom müden Körper
willkommenen Sitzplätze zum Nachmittagsprogramm. Kultur pur ist nun angesagt.
Die Fahrt ist wieder nicht lang. Wir halten links in der
Leoforos Mouseiou, einer breiten Straße vor dem
Stadttheater. Der moderne Bau mit einem
klassizistischen Portikus auf der Schauseite wird für
Konzerte, Theatervorstellungen und verschiedene
festliche Anlässe benutzt. Über den ionischen Säulen
prangen die griechischen Buchstaben ΔΗΜΟΤΙКΟ
ΘΕΑΤΡΟ ΛΕΥКΩΣΕΙΑ“. Was etwa heißt DimotiusTheater Nikosia. Ich fand heraus, dass es gleichfalls die
Hauptbühne für die „Theaterorganisation Zyperns“ ist.
Schräg gegenüber befindet sich das Zypern- Museum,
geringer die Zahl der Säulen am Eingang, doch
bedeutender was den Inhalt und den Wert der darin
enthaltenen Schätze angeht. Es birgt eine faszinierende
Sammlung zyprischer Altertümer und Kunstschätze von
der Jungsteinzeit bis zur frühen byzantinischen Periode.
Dieses Archäologie- Museum, 1882 begründet, vermittelt ein geschlossenes Bild der
Kulturgeschichte der Insel. Erst 1909 bezog das Museum diesen klassizistischen Bau, den der
britische Gouverneur zum Gedenken an Königin Viktoria errichten ließ.
Hier in einem ersten Raum, Saal 1, mit den frühesten Funden auf der Insel, wird Antonio
sehr gesprächig und brilliert auch bei der weiteren Führung mit gutem Wissen.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 38
Er zeigt uns Symbolfiguren eines steinzeitlichen Fruchtbarkeitskultes,
von dem ich eine Nachbildung mitbrachte. Am Original kann man
Phallus- und Vagina- Symbol erkennen, die Verbindung von Mann
und Frau. Ihre Entstehungszeit datiert bis 3000 Jahre vor Christus.
Weibliche Tonidole mit Geburtsloch zeugen von einem der frühest
bekannten Kulte.
Im Ecksaal 2 fanden wir ganz außergewöhnliche Terrakottamodelle
aus der frühen Bronzezeit, etwa um 2000 v. Chr. Das berühmteste
stellt eine Schale dar, in der Menschen und Tiere versammelt sind, das
berühmte Vounous- Modell. Von draußen, neben einer torähnlichen
Öffnung, lugt ein Mann über die Mauer, ein Ausgestoßener, ein
Neugieriger? Ein Rundheiligtum ist es, mutmaßt man. Tiere spielen Chalkolithisches kreuzförmiges
Idol aus Speckstein
eine große Rolle. Heilige Haustiere oder Opfer?
Voll Interesse, ob es wissenschaftlich fundiertere Deutungen gibt als Antonios Erzählungen,
holte ich mir im Internet dazu folgende Informationen:
Das Vounous Modell (Zeichnung, Bild von Juergen E. Walkowitz ):
Zu den bronzezeitlichen Attraktionen Zyperns gehört das
Vounous- Modell. Es wurde als szenische Komposition
von Ritualen in einem runden Temenos 19 verstanden. Als
einziger Beleg für eine runde Sakralarchitektur in dieser
Zeit, wurde es zum Ausgangspunkt extensiver
religionshistorischer Spekulationen.
Fundgeschichte
Vounous ist zugleich der Name eines niedrigen Hügels an
der Nordküste Zyperns, 1 km östlich der Abtei von
Bellapais, die eine der Touristenattraktionen der Insel ist.
Die im nördlichen Vorgebirge von Kyrenia liegende Stelle
ist ein großer Friedhof aus der Bronzezeit. Viele seine
Grüfte wurden in den frühen 1930ern geplündert. 1931
und 1932 unternahm man Rettungsausgrabungen bei
Vounous. Im Juni 1933 grub Claude F. A. Schaeffer die
Grüfte 49-79 aus. Eine Expedition der britischen Schule
von Athen setzte die Ausgrabungen 1937-1938 fort.
Deutung
P. Dikaios legte 1940 eine detaillierte Interpretation vor:
Danach handelt es sich um einen Temenos, das von einer
niedrigen Mauer umgeben ist. Die Figuren verkörpern die
Teilnehmer einer religiösen Zeremonie. Die drei vertikalen
Balken der Bukranienwand 20 sind die Idole chthonischer
Gottheiten, die Schlangen sind deren Attribute.
Gleichzeitig repräsentieren die Balken wegen der (abgebrochenen) Tierschädel auch Bukranien und
damit Aspekte einer Stiergottheit und deren Fruchtbarkeitsriten. Neuere Interpretationen stellen den
Realismus des Modells in Frage. Eine schlüssige Erklärung wäre eine fremde Herkunft.
Im Zentrum des Interesses befinden sich die - größer dargestellten (dunkelgrünen) - beiden Personen
(bei 10.30 Uhr) und die rechts der Bukranienwand (bei 13 Uhr) separierte Sitzfigur. Die drei etwas
abseits (bei 2 Uhr) platziert Sitzenden komplettieren ein sechsköpfiges Pantheon 21 . Diese Zahl
entspricht den in Gruppen zu sechs aufteilbaren 12 Titanen und den sechs Kroniden der Theogonie
des Hesiod 22 , die vermutlich um 700 v. Chr. entstand. Hesiod gilt als der Autor der „Zeusbibel“, dessen
Glaube sich nach schweren Kämpfen, vermutlich in den „dunklen Jahrhunderten“, jedenfalls noch vor
dem Jahre 800 v. Chr. (ggf. auch nur lokal) durchsetzt.
Die Gruppe der ebenfalls sechs (im Kreis stehenden - hellgrünen) Personen stellt keine aktuellen
Götter dar, könnte aber die (in der Tradition dieser Religion liegenden) „Altgötter“ meinen. Die vor der
Bukranienwand sitzende Figur, (im Bild unten) erkennbar an der Kopfbedeckung, muss entweder der
19
Temenos, [das; griechisch], umgrenzter heiliger Bezirk; Heiligtum, meist mit Asylrecht.
Bukranion [das; griechisch], Stierschädel, mit Girlanden ein beliebtes Schmuckmotiv der Antike.
21
Pantheon [das; griechisch, „Tempel aller Götter“]
22
Theogonie [griechisch], Mythos und Lehre über Ursprung und Herkunft der Götter. Besonders bekannt ist die
Theogonie des Hesiod.
20
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Herrscher oder der Oberpriester sein. Im letzteren Fall fiele dem Herrscher – nicht etwa einem
beliebigen Gläubigen – die Position des vor der Bukranienwand Knienden zu.
Unklar bleibt die Funktion der Personen (bei 9 Uhr) nur, wenn man von einer helladischen 23 Position
ausgeht. Begreift man die Schale aber als eine anatolisch-orientalische Schöpfung so ergibt sich: Der
Mann ist El, die Frau ist Aschera und das Kleinkind auf ihrem Arm ist Baal. Sie stellen die "BethlehemVersion" des levantinischen Kultes, die Geburt Baals dar, die auch als zentrale Feier dieses Kultes und
als das Ergebnis der Hierogamie 24 gilt. Auf die Levante bzw. Anatolien als Ursprungsgegend verweist
die Tatsache, dass es sich nicht um ein mediterranes Pantheon handelt, das stets aus drei Männern
und drei Frauen besteht.
Der Zuschauer (bei 5 Uhr) repräsentiert den ausgesperrten Gläubigen oder den interessierten
Fremden, den der Wächter (bei 6 Uhr) am Betreten des Kultplatzes hindert. Alles spricht also für eine
von orientalischen Emigranten eingeführte Darstellung, die auch die runde Form der Schale erklärt, die
der zyprischen Kultplatzform in der beginnenden Bronzezeit nicht entspricht. Zu dieser Zeit kam jedoch
eindeutig anatolische Bronzetechnik auf die Insel, die vermutlich Migranten mitbrachten, die auch ihren
anderen Glauben pflegten.
Es ist rotpolierte Keramik, die noch andere mystische Motive verkörpert. Stierköpfige
Menschen sind zu sehen. Mir ist bewusst, dass ich die Einmaligkeit der Funde als Laie nicht
beurteilen kann.
Im Saal 3 finden sich Vasen, Vasen, Vasen. Aber sie erzählen
Geschichten. Hier sind es hauptsächlich bronzezeitliche Rot-aufSchwarz-Malerei, die auf den Handel in ägäischen Gefilden schließen
lässt, und die schwarz bzw. weiß überzogene helle Keramik, die mit
vielerlei Symbolik versehen ist. Ich erkenne sogar deutlich ein
Hakenkreuz, eines unter vielen runenähnlichen Malen. Antonio
erklärte nur wenige der vielen Hundert Ausstellungsstücke. Eine Vase
liebt er besonders, ein roter Stier auf gelbem Grund mit gesenktem
Kopf in Angriffsstellung, darüber eine Sonne, unter dem Kopf eine
stilisierte Lotus- Blume. Es gibt Motive mit Fischen und Vögeln, dann
wieder abstrakte Symbole…
Im kleinen Ecksaal 4 gibt es eine ganze
„Terrakotta- Armee“ zu bewundern. Es sind
Krieger, die wenn man genau hinsieht, teilweise
verwundet dargestellt sind, so als würde man die
Leiden des Krieges geißeln. Die meisten
Figuren, Krieger, Kentauren, löwenköpfige
Menschengestalten sind bewaffnet. Einige
thronen auf Wagen, die von Stieren gezogen
werden. Die insgesamt über 2000 Stücke
stammen von einer Grabung, die von
schwedischen Archäologen geleitet wurde, aus
einem Fund von Agía Iríni im Nordwesten der
Insel.
23
„Terrakotta- Armee“, Fund von Agía Iríni
helladische Kultur, bronzezeitliche Kultur des griechischen Festlands; gegliedert in eine frühhelladische
(2500—1900 v. Chr.), eine mittelhelladische (1900—1600 v. Chr.) und eine späthelladische (1600—1100
v. Chr.) Periode. In der frühhelladischen Zeit bildete das griechische Festland mit den Kykladen, dem
frühminoischen Kreta, Makedonien und Anatolien eine Kultureinheit (ägäische Kultur), getragen von einer
einheitlichen nichtindogermanischen Bevölkerung. Die Siedlungen hatten städtischen Charakter.
Monumentalbauten in Lerna und Tiryns deuten auf das Bestehen von Herrensitzen. Neben Kupfer und Bronze
verwandte man noch Stein (u. a. Obsidian) und Knochen; in den Töpfereien überwog die glasierte, Metallglanz
imitierende Urfirniskeramik. Am Anfang des 2. Jahrtausends v. Chr. wurden die frühhelladischen Siedlungen
von einwandernden Indogermanen (den als Achäer, Ionier bezeichneten Frühgriechen) zerstört. In der
folgenden mittelhelladischen Periode bildete sich eine Mischkultur aus traditionell ägäischen und
indogermanischen Elementen. Durch Einflüsse von Kreta entstand um 1600 v. Chr. die mykenische Kultur, die
der späthelladischen Periode Griechenlands entspricht.
24
Hierogamie = heilig…, Priester…; Priesterverehrung
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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In der Spätbronzezeit waren diese Figuren zu Kultzwecken vor einem Altar aufgestellt.
Der Saal 5 überraschte mit großen monumentalen Steinplastiken aus Kalkstein. Marmor war
knapp oder auf der Insel nicht vorhanden. Die Aphrodite von Sóloi aus dem 1. Jh. ragt hier
heraus und ist auf allen Prospekten des Museums zu sehen, ein weiblicher Torso. Sie ist zur
Symbolfigur der Insel Zypern aufgestiegen, obwohl es von Aphrodite schönere Plastiken gibt.
Aphrodite von Sóloi
1. Jahrhundert v. Chr.
Von der Größe her, aber auch durch seine heldenhafte Pose beherrscht die überlebensgroße
selbstverherrlichende Bronzegestalt des Kaisers Septimius Severus 25 den kleinen Ecksaal 6.
Über den Bezug dieses römischen Imperators zur Insel Zypern konnte ich nichts erfahren. Nur
der Fundort bei Kythrea am südlichen Hange des Petadaktylos- Gebirges, das etwa 20 km
nördlich von Nikosia und nicht weit von der Küstenstadt Kyrenia/Girne entfernt liegt, lässt
Zusammenhänge vermuten. Natürlich war die Insel Zwischenstation auf den Feldzügen des
Kaisers ins Zweistromland, um dort das mächtige Reich der Parther26 im Schach zu halten, das
im Osten Roms Eroberungen bedrohte.
Es gilt als gesichert, dass die Insel seit dem Jahre 58 v. Chr. bis 330 n. Chr. fest in römischer
Hand war. Zypern fällt in dieser Zeit unter die Herrschaft des Römischen Reiches. Auf den
Missionsreisen des Heiligen Paulus und Barnabas wird der Prokonsul Sergius Paulus zum
Christentum bekehrt: Zypern wird das erste christlich regierte Land. Tektonische
Erschütterungen und mehrere Erdbeben ereignen sich im ersten vorchristlichen und
nachchristlichen Jahrhundert. Ganze Städte werden wieder aufgebaut. 313 n. Chr. gewährt das
Mailänder Edikt den Christen Religionsfreiheit. Zyprische Bischöfe nehmen 325 am Konzil
von Nikäa teil.
25
Septimius Severus, geb. 146 in Leptis Magna, Afrika, entstammte einer Familie aus dem Ritterstand, wuchs
in Afrika auf und wurde dann in Rom von Marc Aurel in den Senat aufgenommen. Er durchlief die
Ämterlaugbahn, wurde 170 Duästor, 178 Prätor, heiratete 185 in zweiter E´he die Iulia Domna aus Syrien, war
186 – 189 Statthalter in Gallia Lugdunensis (Lyon), versah 191 – 193 die Statthalterschaft Oberpannoniens,
wurde 193 in Carnuntum bei Wien zum römischen Kaiser ausgerufen. Er zog 197 gegen die Parther und eroberte
Ktesiphon, Seleukia und Babylon. 202 ließ er den nach ihm benannten Triumphbogen auf dem Forum romanum
bauen. Während eines Feldzuges in Britannien starb er 211 in Eburacum (York). Seine Söhne Caracalla und
Geta übernahmen seine Herrschaft.
26
Parther, iranischer Stamm an der Südostecke des Kaspischen Meeres. Zwischen 250 und rund 238 v. Chr.
eroberten die Parner, ein ostiranischer Stamm, unter ihrem Anführer Arsakes die seleukidische Satrapie
Parthava. Die eingedrungenen Parner erhielten aufgrund ihrer Niederlassung in Parthava den Namen Parther.
Vermutlich um 247 v. Chr. wurde Arsakes zum König gekrönt und begründete die Dynastie der Arsakiden; die
erste Hauptstadt wurde Nisa. Unter Mithradates I. wurde das Partherreich die Großmacht des Ostens, mit der die
Römer in Armenien und Mesopotamien rund 300 Jahre lang zu kämpfen hatten. Vermutlich 141 v. Chr. wurde
die Hauptstadt nach Ktesiphon am Tigris verlegt. Die Parther knüpften an das Vorbild der Achämeniden an,
kulturell stand das Reich unter griechischem Einfluss. Im 1. u. 2. Jahrhundert n. Chr. wurde das Partherreich
durch Bürgerkriege und mehrere römische Feldzüge (siehe oben) erschüttert.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Weiter führte der Rundgang in den Saal 7. Es überwogen
Bronzefiguren und –kunstwerke. Waffen, viele Münzen, Siegel, die
von Verwaltungs- und Hoheitsmacht zeugen, kleine Statuetten
überfordern selbst den aufmerksamen Besucher, wenn er alles das
genau studieren will. Die Bezüge zur Geschichte fehlen dem Laien.
Ich habe oben nur versucht, an einem Beispiel, eine Verbindung
herzustellen. Interessanteste Stücke sind eine Bronzekuh aus Vouní (5.
Jh. v. Chr.) und der Gehörnte Gott aus Énkomi (12. Jh. v. Chr.).Das
ist ein Blick in die Kunst der Bronzezeit, fast 15000 Jahre zurück!
Über eine kleine Treppe gelangen wir in das Untergeschoss, wo
rekonstruierte Gräber in dem Zustand zu sehen waren, wie sie von
Einheimischen gefunden (und ausgebeutet) wurden. Fotografien
belegen das zeitnah und geben Einblicke in die Beziehungen der
Einwohner zu ihrer Historie.
Bald sind wir gesättigt und fußmüde, nehmen die weiteren Säle nur
noch oberflächlich wahr, erfahren im Saal 9 etwas über
Begräbnisrituale, sehen Sarkophage, Grabmäler, Stelen der Antike in
verschiedenen Epochen. Weiter.
Im Saal 10 finden wir Artefakte und Tafeln mit Schriftzeichen aus
ganz unterschiedlichen Epochen. Diese zeugen von ausgezeichneter
Schriftkunde der antiken Völker.
Hervorzuheben ist eine Tafel mit einer bis heute noch nicht entzifferbaren kypro- minoischen
Silbenschrift, die ins 16. Jahrhundert vor Christus datiert wird. Ein Double des kleinen
sensationellen Keilschriftfundes von Ugarit 27 , dem Ursprung unseres Alphabetes, weist auf
Verbindungen zum mächtigen Hethiterreich hin. Später im Bus zeigt uns Antonio eine Tafel,
die die Entwicklung und Ähnlichkeiten verschiedener Schriften deutlich macht:
27
Ugarit, im Altertum Stadt an der nordsyrischen Küste, heute Ruinenhügel Ras Schamra (mit Hafen Minet elBeida). Ausgrabungen seit 1929 brachten älteste Funde aus dem 7. u. 6. Jahrtausend v. Chr. Seit dem 2.
Jahrtausend v. Chr. Stadtstaat unter Königen; lange unter minoischem und ägyptischem Einfluss, später auf
Seiten der Hethiter; um 1200 v. Chr. wurde Ugarit von den Seevölkern zerstört.
Ugaritische Sprache, aus dem 14. bis 13. Jahrhundert v. Chr. überlieferte semitische Sprache; Texte mit
mythologischen Gedichten in Keilschrift wurden seit 1929 in Ugarit gefunden.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Die indoeuropäische Sprache der
Hethiter wurde mit akkadischer
Keilschrift
auf
Tontafeln
geschrieben; daneben gab es eine
von den Hethitern erfundene
Bilderschrift
(hethitische
Hieroglyphen), die vor allem für
monumentale Inschriften auf
Stein verwendet wurde.
Ich gestehe, dass die Exponate
der nachfolgenden Säle, in denen
Funde aus den Königsgräbern
von
Salamis
(Nordzypern)
gezeigt
werden,
meine
Aufmerksamkeit nicht mehr
fesseln konnten.
Es war einfach zu viel, in einer Stunde das alles aufzunehmen.
Ein Saal dokumentierte die Gewinnung von Kupfer und die Herstellung von Bronze in der
Antike bis in die Neuzeit. Interessant ist sie neben anderen Aspekten als Quelle der antiken
Bezeichnung der Insel “Zypern“ (lat. Cuprum, Kypris). Nun bin ich wieder bei der
unverzichtbaren Kenntnis der frühen Geschichte Zyperns gelandet:
In der Bronzezeit, etwa von 2300 – 1050 v. Chr. war Zypern der wichtigste Kupfer- Exporteur
des Altertums. In den Gebieten des Kupferabbaues war die Insel dicht besiedelt. Der Handel
erstreckte sich bis in den Nahen Osten, Ägypten und in den Raum der Ägäis.
In der späten Bronzezeit, etwa um 1450 v.u.Z. errichteten die Mykener 28 Handelsstützpunkte
auf der Insel. Die vom griechischen Peloponnes stammenden Einwanderer, die Achäer 29 ,
übernahmen während des 11. und 12. Jahrhunderts v.u.Z. die Herrschaft auf Zypern und
verbreiteten auf der Insel die griechische Sprache, ihre Religion und Bräuche. Sie gründeten
die ersten Stadtkönigreiche: Paphos, Salamis, Kition (heute Larnaca), Kourion (bei Limassol).
Bald ist Zypern eine Insel mit zehn Stadtkönigreichen.
Es folgt die Zeit von 1050 – 750 v. Chr., die so genannte Geometrische Zeit oder die Eisenzeit.
Um 800 v.u.Z. siedeln sich Phönizier an der Südküste bei Kition und Amathous an. Die Insel
wird wohlhabend, fällt aber in der Folgezeit, die man die Archaische oder klassische Zeit
nennt, mehreren Eroberern zum Opfer. Die zyprischen Königreiche werden aufeinander
folgend Tributpflichtige Assyriens, Ägyptens und Persiens.
Unter persischer Herrschaft genossen die Zyprer lokale Autonomie und konnten eigene
Herrscher ernennen. Salamis war damals das mächtigste unter den Königreichen Zyperns. Mit
dem König Onisilos an der Spitze rebellierte es 499 v. Chr. gegen die persische Herrschaft. Die
Rebellion wurde niedergeschlagen, ebenso die darauf folgenden griechischen Versuche,
Zypern zu befreien.
Vergeblich versuchte der athenische Feldherr Kimon, 449 v.u.Z. die griechische Kolonie
Kition (Larnaca) aus der Gewalt des persischen Bündnisses zu lösen.
Ebenso wenig gelingt es König Evagoras von Salamis (411 – 374 v. Chr.) im Jahre 411 mit
einer Revolte, Zypern von der persischen Macht zu befreien. Dennoch macht er die Insel zu
einem führenden politischen und kulturellen Zentrum der griechischen Welt.
28
Mykenische Kultur, die von den mykenischen Griechen getragene spätbronzezeitliche Kultur des griechischen
Festlands, 1600—1200 v. Chr., Endstufe der helladischen Kultur, Teil der kretisch-mykenischen Kultur.
29
Achäer, Achaier, Achaioi, Achiver, frühgriechischer Volksstamm, bei Homer und im lateinischen
Sprachgebrauch die Gesamtheit der Griechen; wohl aus Achaia Phthiotis (Thessalien) in die nördliche
Küstenlandschaft des Peloponnes eingewandert; Träger der mykenischen Kultur.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Erst 332 befreit Alexander der Große Zypern von den Persern. Die zyprische Flotte half ihm,
Phönizien zu erobern.
Von 333 – 325 v.u.Z. heißen die Stadtkönigreiche den König Alexander von Makedonien
willkommen und lassen sich in dessen Reich eingliedern. Zypern wird Teil des Reiches von
Alexander dem Großen.
Nach dessen Tod streiten sich die Generäle Alexanders in rivalisierenden Kämpfen um dessen
Erbe. Zypern fällt dem hellenistischen Staat der Ptolemäer in Ägypten zu. Die Ptolemäer heben
die Stadtkönigreiche auf und vereinigen Zypern, dessen Hauptstadt Paphos wird.
Diese so genannte Hellenistische Zeit dauert von 325 – 58 v.u.Z. Dann kommen die Römer,
von denen schon die Rede war. Ade erst mal, Historie!
Mit wirrem Kopf bestiegen wir den Bus und traten am Spätnachmittag die Heimfahrt nach
Protaras an. Der Tag war so voller Eindrücke. Jetzt wollten wir uns nur noch entspannen. In
der Hotelhalle lud uns Antonio zu einem kühlen Getränk ein: Brandy sour. Dazu gab es eine
Anekdote, die er zum Besten gab. Ein arabischer oder ägyptischer König, den Namen merkte
ich mir nicht, war zu Besuch auf Zypern. Man wollte ihm einen erfrischenden Drink anbieten.
Alkohol durfte er ja als Moslem nicht trinken. Da mixte man ihm eben diesen Drink mit
Zitrusgeschmack. Er war begeistert und trank fortan nur noch brandy sour.
Es schmeckte nach mehr. Ich trank auf ausdrücklichen Wunsch Martinas Glas noch leer und
fühlte mich danach ausnehmend gut. Wir saßen kurz beisammen und genossen nach dem
Abendessen den Balkon und die Ruhe.
Sonntag, 1. Oktober 2006
VII.
Cap Grekko
H
eute war der erste Tag zur „freien Verfügung“. Ich war wohl ein wenig lässig und
leichtsinnig beim Buchen gewesen und hätte das Reiseprogramm genauer anschauen
müssen. Diese ganze Reise hätten wir zum halben Preis haben können, wenn wir nur
eine Woche Rundreise gebucht hätten. Insgesamt sechs freie Tage sind es nun, an denen wir
uns selbst überlassen sind, ohne Führer, ohne Beratung. Das sollte ich noch unangenehm
spüren. Ich wollte so viel wie möglich von diesem Land sehen- und nun sollen wir in den
Badehotels rumhängen- ein Zwangsvorstellung! Ich hatte eine Kulturreise erwartet. Doch das
Reiseprogramm war unantastbar und korrekt ausgeschrieben. Ich musste mich fügen.
Da ich ein wissbegieriger
Mensch
bin,
und
auch
preiswertere, weniger weite
Badehotels in Europa ansteuern
kann – wenn ich das will – war
ich mit den eingeflochtenen
„Tagen zur freien Verfügung“
total unzufrieden und fühlte
mich auch ein wenig überlistet,
da die Reise im Katalog
durchaus nicht als kombinierte
Kulturund
Badereise
ausgeschrieben war, sondern
als Busrundreise.
Überdies hatte uns Frau Ismini
Karapanou Kyriacou zum
Eberhardt- Reisefest im WTC
Protaras, Beach Hotel „Cavo Maris“, Badelandschaft
Dresden bei Buchung am
8. Oktober 2005 in überschwänglichen Tönen versprochen, uns für die freien Tage
Programmvorschläge zu machen. Sie wollte uns „an die Hand“ nehmen und Vieles zeigen.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 44
Nichts dergleichen passierte. Antonio blieb an diesen Tagen unsichtbar und unsere
Reisebegleiterin Carina Latta ebenfalls.
Ich erkundigte mich an der Rezeption des Hotels nach Fahrrädern. Achselzucken. Leider nein.
Wie weit ist es nach Paralimni? Zu weit. Wir wollten laufen. Natürlich hätten wir für Dollars
ein Mietfahrzeug nehmen können, aber wir wollten die Natur und das Land kennen lernen.
Wir hätten auch baden können. Das Wetter spielte mit. Es war heiß. Doch Martina wollte aus
Gesundheitsgründen nicht. Es gab zwei Alternativen: Einen Stadtgang zur Eliaskirche in
Protaras oder eine Wanderung zum Kap Grekko. Die Entfernung war bei beiden etwa fünf
Kilometer. Schließlich entschieden wir uns für das Kap, die südlichste Spitze –nicht Zyperns,
das ist bei Limassol eine militärisch genutzte Halbinsel mit dem Cap Gáta. Es ist auch nicht
das östlichste, das ist die spitz nach NO auslaufende Halbinsel Karpasia im türkisch besetzten
Teil, aber Kap Grekko ist ein wichtiges vorspringendes Horn, das in früheren Zeiten bei
Stürmen die Schiffe umsegeln mussten, um in die Bucht von Famagusta einzulaufen.
Auf der Karte sieht es wie ein Katzensprung aus, aber es sind zu Fuß doch mehrere Stunden.
Wir liefen bei großer Hitze los, mit Hut und Tuch vor der Sonne geschützt. Sonntagsstille
überall, relativ leere Straßen.
Ein Katzenliebhaber warb um
Spenden für seine sieben Katzen, die
alle an der Betonmauer seines
Hauses wuselten. Bis außerhalb des
Ortes Protaras mussten wir auf der
Straße laufen. Viele Baustellen für
Ferienhäuser
wiesen
auf
die
wachsende Prosperität des Ortes und
Zuwachs an Ferienhäusern hin.
Knatternd dröhnten Touristen auf
geleasten Minicars vorüber, zu dem
Gestank und dem Lärm aus dem
Auspuff noch hupend und schreiend
vor Lust: Schaut her, wir sind die
Größten!
Bald sind wir am letzten Hotel vorbei. In den Anwesen, in denen wir vorbeikommen, blühen
natürlich alle die herrlichen Gewächse, die im Mittelmeerraum die Augen verführen wie
Malven, Oleander, Bougainvillea in allen Farben. Die Straße steigt jetzt an. Dann bietet sich
ein Seitenweg an, der laut griechischer Beschriftung einen Naturpfad ist. Zuerst waren wir
unsicher, ob er uns vom Ziel weg- und an die Küste hinunter hinführt, doch bald merkten wir,
dass er parallel zur Straße durch das trockene Unterholz mit den verkrüppelten Zirbelkiefern
verlief. Der Boden bestand aus karger roter Erde, die oft zutage trat, denn die dürre Macchia 30
zeugte nicht viel Humus, und nur in den wenigen Wintermonaten regnet es ein wenig.
Der Wanderweg war asphaltiert. Die Sonne
brannte. In der Ferne erblickten wir nun den
Felsen, der als militärischer Sperrbezirk nicht
zugänglich ist. Wieder galt es ein Schild in
griechischer Sprache zu entziffern. Gott sei Dank,
es stand auch in englischer Sprache einiges dabei.
Ein „Aphrodite- Weg“, ein so genannter Nature
Trail, führt um den „Mount 100“ herum. Über
brüchige Karstfelsen, teilweise geebnetem Pfad,
an einer Bank vorüber, stiegen wir langsam hinab.
30
Macchie, ['makkie; die; lateinisch] italienisch Macchia, (Fleck, Buschwald), durch Abholzung und
Beweidung aus Hartlaubwäldern (Hartlaubvegetation) hervorgegangenes immergrünes Gebüsch des
Mittelmeerraums; enthält u. a. Erdbeerstrauch, Lorbeer, Wacholder, Zistrose, Myrte, Pistacia- und Ericaarten.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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In einen Überhang hinein hatten Schäfer oder
andere Leute eine ehemals vorn weit offene Höhle
so mit Steinen zugesetzt, dass nun fast eine
regensichere Unterkunft daraus geworden ist. Von
der Militärstation wurden wir mit dem Fernglas
beobachtet. Ich zog mein Fernglas aus der Hülle
und blickte hinauf. Wir taten nichts Verbotenes. Die
Höhlen ergaben nichts Besonderes. Alte Lumpen
lagen da, es gab keinen Hinweis auf
Geschichtliches.
Der weitere Weg nahm unsere ganze Aufmerksamkeit in
Anspruch. Am Ufer angekommen, belohnte uns der Blick
aufs blaue Meer und die Felsklippen, an denen schon so viele
Schiffe zerschellt sind. Taucher hatten die einzige Bank mit
ihren Sachen belegt, die wir für eine kleine Rast brauchten.
Ich fing ein Gespräch an, als ich merkte, dass es Russen
waren. Auf meine naive Frage, was es da unten zu sehen
gäbe, bekam ich die lakonische Antwort, ich solle selber
nachsehen. Ich überlegte mir neben der Möglichkeit, dass sie
Sporttaucher seien auch die Deutung, dass sie nach alten
Wracks suchten. Dann waren mir ihre schroffen Antworten
verständlich. Dabei kann man keine Gaffer gebrauchen.
An die eigentliche Spitze des Kaps, eine flache Halbinsel und
Südostspitze Zyperns, auf der einige Sendemasten stehen,
Am Kap Grekko, Südostspitze
darf man als Zivilist nicht gehen. Hier standen wir nun an
Zyperns. Im Hintergrund die
dem Kreuz, das vielleicht an untergegangene Seeleute
Sendemasten des eigentlichen Kaps
erinnern sollte. Ein frischer Wind fächelte uns Kühlung.
Wir aßen einen Apfel, tranken einen Schluck Wasser und stapften auf den durchlöcherten
Kalkfelsen weiter, links um den als Mount 100 bezeichneten Felsen herum. Sein Name hat er
von seiner Höhe, die genau 100 m über dem Meer liegt. Ein paar Wanderer begegneten uns, sie
führten ihre Mountainbikes an der Hand, Leute aus Chemnitz. Sachsen trifft man in der ganzen
Welt! Die nächsten Leute, die wir trafen, sind aus Agia Napa hierher gekommen. Sie
berichteten, dass ein Weg hinauf auf den Berg führen würde. So kletterten wir denn, nachdem
der Berg umrundet war, steil hinauf, genossen dabei eine beinahe unwirkliche Fernsicht auf das
weite blaue Meer- irgendwo da draußen in der Weite liegt Afrika! – und landwärts am
Horizont, in etwa 8 km Entfernung, das Touristen- Eldorado Agia Napa, einer der beliebtesten
Badeorte Zyperns, wie der Baedeker vermutet. Ich halte mich solchen Orten, vor allem den so
angepriesenen Nachtleben fern. Ein wenig orientierungslos stiegen wir aufwärts, der Schweiß
rann schon, das Hemd war nass. Ein italienisches Ehepaar versicherte uns, dass bald ein Weg
käme und siehe da, wir erreichten ein Plateau, wo Autos parkten: Noch 300 m zum
Aussichtspunkt, dem View Point. Das war auch noch zu schaffen.
Dann genossen wir die beglückende Sicht unter
dem wohltuenden Schatten eines kleinen
Pavillons, schälten eine Apfelsine, schluckten
etwas Wasser und konnten nun, nach einer
Ruhepause, den Gipfel auskosten und nach allen
Seiten Ausschau halten. Von hier oben sah man
deutlich das eigentliche Kap, eine flache
Landzunge, mit den Sendemasten, es ist
strategischer Militärstützpunkt. Auf dem Plateau
tummelten sich eine Menge Italiener,
Ausflügler, die mit Leih- Autos hierher kamen.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Sie waren nicht so erschöpft wie wir, aber auch nicht so
stolz auf ihre Wanderleistung. An einem Denkmal, das
den Platz beherrschte und acht auffliegende Kraniche in
Bronze festhielt, lichteten wir uns beide wie richtige
Ausflügler gegenseitig ab. Hier sind wir gewesen- guckt
alle her! Den Rückweg mussten wir suchen. Er führte
jetzt links am Militärcamp vorbei. Wir teilten den
staubigen und welligen Pfad mit den heimkehrenden
Autofahrern. Dann sahen wir die Landstraße nach Agia
Napa, schlugen die Gegenrichtung ein und konnten bald
wieder unseren Naturpfad erkennen. Unterwegs kehrten
wir ein, tranken Schweppes und Kaffee. Der Weg durch
Protaras zog sich in die Länge. Baustellen von neuen
Hotels und schmucken Ferienhäusern säumten die Straße.
Außer einigen Minicars war es sonntäglich still und
drückend heiß. Eine gelbe zyprische Postsäule reizte
mich zu näherer Untersuchung und einer Aufnahme.
Dieses runde Ding heißt auf Griechisch ΓΡΑΜΜΑΤΟКΙΒΩΤΙΟ,
Betonung auf dem Omega, auf Englisch Letter Box, zu Deutsch
Briefkasten.
Bald sahen wir die Bebauung
unserer Hotelanlage, die am
Anfang der Feigenbucht, der
Fige Tree Bay, wie sie hier heißt,
eine Menge Küste in Beschlag
nimmt. Jetzt spendete die
Blütenpracht an den Häusern und
Zaunanlagen
die
letzten
erquickenden Augenblicke, ehe
die klimatisierte Kühle der
Hotelhalle uns das Glück des
gelungenen Ausfluges empfinden ließ und wir erschöpft nach
einer Dusche zu einem traumlosen Schlummer auf die Betten
fielen. Etwa 15 Marschkilometer lagen hinter uns.
Am späten Nachmittag bin ich ans Meer, tappte vorsichtig hinein, schluckte etwas Salzwasser,
schwamm zwischen den zahlreichen Klippen und Felsbrocken umher, die strandnah aus dem
Wasser ragen. Ich genoss das Bad wie eine zusätzliche Beigabe zum Reiseprogramm,
betrachtete die hier lagernden Menschen aus der Position des Außenseiters, traf Tante und
Nichte aus unserer Reisegruppe, schwatzte mit ihnen ein Weilchen. Dann, halb auf dem
Rückweg, sprang ich auch noch in das Schwimmbecken innerhalb der Hotelanlage, schwamm
ein paar Bahnen, um überhaupt einmal diese wässrigen Angebote zu nutzen. Nach dem
reichhaltigen Abendessen, das von mir immer mit einem kühlen prickelnden Bier eröffnet und
mit einem Becher Eis abgeschlossen wurde – köstlich! – packte ich meinen Koffer, während
Martina bereits ihre „Schularbeiten“ gemacht hatte. Letzter Blick vom Balkon übers Meer und
das abendliche Protaras. Lärmende Klimaanlage ausschalten. Traumloser Schlaf.
Montag, 2. Oktober 2006
VIII. Chirokitia
P
ünktlich 9.00 Uhr saßen wir im Bus, die Koffer waren verstaut. Abschied vom Cavo
Maris, von Protaras und der Ostküste Zyperns. Heute sollte es über Larnaca, Limassol
zum abendlichen Quartier in den Bergen nach Agros gehen.
Auf halbem Wege zwischen den großen Städten Larnaca und Limassol hielten wir in
Choirokoitía (griech. Χοιροκοιτία, sprich: Chirokitía, ich werde es weiter so benennen) an.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Diese steinzeitliche Fundstätte wurde 1998 von der UNESCO in die Liste des Weltkulturerbes
aufgenommen. Chirokitia liegt 48 km südlich von Nikosia an der Autobahn A1 NikosiaLimassol oder wie die Einheimischen sagen Lefkosia – Lemesos. Von Larnaca liegt es 32 km
entfernt, zur Südküste sind es etwa 7 km. Dieser Platz ist eine Siedlung aus dem Neolithikum,
der Neusteinzeit, ist also schätzungsweise siebentausend Jahre vor der Zeitenwende bewohnt
gewesen. Dieser Ort gehört zu den ältesten gefundenen Siedlungen des Mittelmeerraumes, ja
der ganzen Welt. Nach der Periode als Jäger und Sammler wurden die Menschen allmählich
sesshaft und ernährten sich von Schafen, Ziegen und Tauben, wie hiesige Knochenfunde
beweisen. Die ersten Siedler kamen aus Syrien und Kilikien 31 . Sehr wichtig ist, dass sich mit
den in aufeinanderfolgenden Zeiträumen entstandenen Bauten die Ausbreitung der
Jungsteinzeit- Kultur verfolgen lässt.
Wir wurden zuerst an ein wieder aufgebautes Modell dieser neolithischen Steinhütten geführt,
das im Tal nahe einem jetzt versiegten Bachbett errichtet wurde. Sehr eindrucksvoll führte uns
Antonio vor, mit welchen baulichen Mitteln sich diese Siedler mit Schutzmauern vor Feinden
zu verteidigen wussten. In den niedrigen runden Hütten werden die Kopien einiger
Gegenstände, zum Beispiel Werkzeuge gezeigt. Diese Steinhäuser wurden an Hand von
Ausgrabungen mit demselben Material und mit den gleichen Methoden nachgebaut, so dass der
heutige Mensch eine Ahnung davon bekommt, wie hier die Menschen im Altertum lebten.
Chirokitia war von 7000 v.u.Z. und nach einer Pause von 1500 Jahren ab 4000 v.u.Z.bewohnt.
Wir stiegen über Treppen den Berg hinauf und bekamen erst einmal eine Vorstellung, wie
groß diese Siedlung gewesen war. Am ganzen Hang ziehen sich die kreisförmigen
Fundamente solcher Häuser hinauf, eng aneinander gebaut, miteinander verbunden, fast
festungsmäßig angeordnet. Zusätzlich pflanzten die Bewohner um die Hütten Büsche, Bäume
und Pflanzen, die man damals kultivierte, sowie einheimische Gewächse, die seit der
Jungsteinzeit auf Zypern wachsen, um Schatten und Nahrung für Mensch und Tier zu haben.
31
Kilikien, lateinisch Cilicia; heute türkisch Çukurova, Landschaft im östlichen Kleinasien um das heutige
Adana. Im Altertum als Zentrum der Seeräuber berüchtigt, seit 84 v. Chr. römische Provinz. Die Kilikische
Pforte war Einfallstor nach Syrien. Wichtige Städte: Tarsos (Heimatstadt des Apostels Paulus), Mallos, Soloi.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 48
Viele geologische Epochen gingen also
im Paläolithikum der jüngeren Steinzeit
voraus. Die Siedler auf dieser Insel
hatten wohl auch gar nicht viel
Spielraum, um sich als jagende und
sammelnde Nomaden zu bewegen. Von
daher kann auch der Drang nach
Sesshaftigkeit gekommen sein. Die
Steinhäuser hatten einen niedrigen
Eingang und ein Fenster. Das Dach ruhte
auf dünnen Balken und war mit flachen
Steinen eingedeckt. Am Hang fanden
wir dann nur noch die freigelegten
Mauerreste. Weiter oben erkennen wir
die immense Arbeit der Ausgräber, die Chirokitίa, neolithische Siedlungsreste, 7. Jahrtausend v.u.Z.
noch längst nicht abgeschlossen ist.
Um noch einmal auf die rekonstruierten Häuser am Bach
zurückzukommen: Die Schutz- Mauer zum Fluss war im
Gebrauch, bis die Siedlung jenseits über den Hang gewachsen,
eine Grenzbefestigung ins Land nach Westen geschaffen und
uneinnehmbar geworden war. Ein 2m breites und 3 m hohes
Mauerband schlängelt sich vom Fluss den Hügel hinauf und auf
der anderen Seite wieder zum Fluss hinab. Der Eingang zur
Siedlung war ein komplexes architektonisches System, dafür
entwickelt, die Höhendifferenz von 2 Metern zu überwinden,
zwischen dem Niveau, auf dem die Siedlung begann und dem
tiefer liegenden Außenbereich.
Diese Struktur, zu finden in Zypern und im Nahen Osten, besteht aus einer Reihe von
Einrichtungen, die der Eingangskontrolle von Personen in die Siedlung dienten.
Sie umschloss eine in die Außenmauer integrierte Treppe in rechtwinklig abgeknickter
Bauweise von Steinen mit sorgfältig gepflasterten Stufen. Die Treppe besteht aus drei
rechtwinklig zueinander angelegten Fluchten. Der Zugang ist versperrt durch eine zweite
Einrichtung, die noch in der Erforschung ist.
Passierte jemand den ersten Kontrollpunkt, ein Besucher, der Zugang zur Siedlung suchte,
hatte die erste Stufenflucht zu erklimmen, sich dann nach links zu wenden, um die zweite zu
nehmen und sich noch einmal zu wenden, um die dritte Stufenreihe zu ersteigen. Dann oben
angelangt, musste er sich wieder nach rechts drehen und zwei Meter gehen, bevor er
schließlich den Eingang, das Tor der Siedlung erreichen konnte. Möglicherweise musste er
sogar im Inneren noch einige Stufen herabsteigen, die aber nicht erhalten sind.
Antonio erläuterte an Hand dieser für uns Heutigen unscheinbare Treppe als wirksame
Schutzmaßnahme. Er zeigte uns die Handhabung von Schild und Schwert oder Lanze im
Zusammenwirken mit dem Eingangskonstrukt.
Auf etwa 1,5 ha lebten hier zirka 300 Menschen.
Wir turnten bis an die Absperrung zum tätigen
Ausgrabungsfeld, sahen erst oben, wie weit sich
diese Siedlung über den ganzen Hang erstreckt
und dass noch längst nicht alles erschlossen und
bestimmt ist. Es gibt hier sicher noch viel zu
entdecken und vor allem zu rekonstruieren.
Mit einem weiten Blick nach Westen nahm ich
Abschied von diesem interessanten Platz. Im Tal,
jenseits des Bachbettes, an der Straße warteten
schon andere Busse und eine Erfrischung, dann
ging die Fahrt weiter in Richtung Westen.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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IX. Limassol
– Lemesos und Johannisbrot
Es ging auf die Mittagszeit zu, las wir nach kurzer Fahrt auf der Küstenautobahn die Vororte
und wenig später die ersten Hochhäuser von Limassol erreichen. Die Zyprioten nennen diese
Stadt Lemesos (Λεμεσοσ). Sie ist Nachfolgerin zweier Stadtkönigreiche und Schauplatz einer
königlichen Hochzeit im Mittelalter. Sie erstreckt sich entlang der Südküste Zyperns und liegt
am westlichen Saum der durch eine hervorspringende Halbinsel gebildeten Bucht von Akrotiri.
Die Halbinsel ist militärisches Sperrgebiet der Briten. Seit Zerfall der sozialistischen
Sowjetunion 1989 haben die Russen diese Stadt für sich entdeckt. Antonio, der hier zu Hause
ist, bemerkte spöttisch, Limassol sei die zweite und heimliche Hauptstadt Russlands. Limassol
ist mit knapp 160 000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Zyperns nach Nikosia und besitzt
nach der türkischen Besetzung von Famagusta heute den größten Hafen Zyperns.
Wir fahren in die Stadt ein und bemerken
nach den ersten kleineren Vorortbauten auf
der Seeseite bald eine Kette von
bemerkenswert luxuriösen Hotels, die sich
in Strandnähe kilometerweit hinziehen. Ein
Hotel am anderen, alles deutet auf den stetig
wachsenden
Touristenstrom.
An
Ampelkreuzungen zieht mich der immer
noch ungewohnte Linksverkehr in seinen
Bann, bis links hinter einem nüchternen
Hotel- Betonklotz eine Baulücke zum
Halten einladet. Antonio gewährte uns eine
Rast im Restaurant „Armonia“, Limassol
Stunde Mittagsrast.
Wir scharten uns um einfache Tische im Grünen und im Schatten hoher Palmen. Zwei Katzen
spielten zwischen den Stuhlbeinen. Wir aßen einen Bauernsalat, einen choriatkí ssaláta, um es
mit lateinischen Buchstaben zu umschreiben, tranken eisgekühlte Cola und Schweppes.
Das Restaurant „Armonia“ ist in die hintere Fassade eines
schlecht
gearbeiteten
und
schon
abgewohnten
Sechsgeschossers eingearbeitet. Eine mit Rostfarbe
gestrichene Treppe führt in einem kleinen Vorbau zur
Gaststube und den versifften Toiletten hinauf. Das
schattige, ruhige Rasenstück am Meeresufer, die frische
Brise vom Wasser aber sind wohltuend und laden uns ein.
Die Katzen balgen sich immer noch unter dem freien
Plastikstuhl.
Ich will sie fotografieren, aber sie sind schneller, auch scheu,
und wenn ich nahe herzu gehe, erstarren sie, blicken mich
ängstlich an und hören mit ihrer kindlichen Balgerei sofort
auf. Als alle ihren Imbiss verzehrt und bezahlt hatten, fuhren
wir die lange Uferstraße weiter. Draußen lagen große Schiffe
auf Reede. Parkanlagen und Promenaden mit schönen
Strandabschnitten, viel Grün. Wir befuhren die in ganz
Zypern berühmte Strandstraße Spyrou Araouzou fast bis zum
Alten Hafen. Dort verließen wir den Bus. Antonio führte uns
zuerst in ein Geschäft für allerlei Meereserzeugnisse und
Naturprodukte, das Exhibition Center Sea Sponges 32
Antonio schwang sich in einen Haufen Schwämme und hielt
einen Vortrag, wie die vor den Küsten Zyperns und
Griechenlands geernteten Schwämme chemisch gereinigt und
32
Ausstellungszentrum für See- Schwämme
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 50
konserviert werden. Riesenexemplare und verschiedene selten Abarten befanden sich
darunter. Am Eingang warben Großbuchstaben für Sea Shells, Corals und Sharks 33
An der Decke hingen Teufelsfische, aufgeblasen, ausgestopft
und für die Ewigkeit präpariert. Seesterne, Muscheln aller Art
und jeder Form waren zu haben, warteten auf Andenkenjäger,
die wir ja nicht waren und aus Zollgründen auch nicht sein
dürfen. Weiter bot dieses Geschäft Olivenseife in allen Farben
an. Die Luft roch auch angenehm danach. Am Eingang zu
einem Nebenraum, in dem die üblichen Souvenirs der Insel
feilgeboten wurden, stand ein lebensecht modellierter Seemann
und machte auf seemännische Produkte aufmerksam. Riesige
Schalen von Mördermuscheln lagen zu seinen Füßen,
Taucherhelme, Ketten…In Aquarien schwammen Fische. Im
Nebenraum tummelten sich auf den Regalen ungezählte Götter
und Aphroditen in Gips und imitierter Bronze, ganze
Heerscharen von griechischen Philosophen, streitbaren
Amazonen Und anderen mythologischen Gestalten in allen denkbaren Posen und Größen. Im
hintersten Raum dann konnte man Konfitüren, Feigen, Mandel- und Nusserzeugnisse kaufen
usw.
Bald standen wir wieder auf der Straße und strebten nun in die Altstadt. Am Kastell, dem
einzigen erhaltenen historisch bedeutsamen Bauwerk von Limassol, zog Antonio vorbei und
tauchte mit uns in den Schatten einer alten Mühle für Johannisbrot. Alte Maschinen standen
in einer dunklen Halle. Mir fehlte jede Vorstellung, was uns da nahe gebracht wurde. Ich
konnte mir nur helfen, indem ich die Tafeln abfotografierte, um sie zu Hause in aller Ruhe zu
übersetzen. Es muss ein zypernweit bedeutsames Unternehmen gewesen sein, noch bis in die
Kriegsjahre des zweiten Weltkrieges hinein, die Johannisbrotmühle von Laniti (engl.
Lanitis Carob Mill, griech. Χαροιπομ λος Λανίτη). Was ist Johannisbrot?
Johannisbrot hat viele Namen: Karoben, Bockshorn,
Soodbrot. Es ist eine getrocknete, süß schmeckende Frucht
des Johannisbrotbaums. Die braunen, 10-25 cm langen,
flachen Schoten werden unreif geerntet und an der Sonne
getrocknet. Sie enthalten ca. 65% Traubenzucker, 6%
Eiweiß und 1% Fett. Johannisbrot dient in den
Produktionsländern als Nahrungsmittel, außerdem wird es
geröstet als Kaffee-Ersatz, zur Herstellung von Brusttee
und gemahlen als Geliermittel verwendet; es ist auch
wichtiges Viehfutter. Die Samen wurden früher zum
Wiegen von Edelsteinen benutzt (daher der Name „Karat“).
Der Johannisbrotbaum ist der einzige Hülsenfrüchtler, der
Johannisbrotbaum; zypr. Teratsia,
aus der Kreidezeit (144- 65 Millionen Jahre) stammt und arab.
Kharrub, wissenschaftlicher Name:
die Eiszeit überdauert hat.
Ceratonia Siliqua Leguminosae
In der mediterranen Region wächst er oft in Gemeinschaft mit Olivenbäumen. Systematisch
kultiviert, findet man ihn heutzutage in Amerika und Australien. Beides, der Baum und seine
Früchte waren schon in antiker Zeit bekannt. Theophrastus 34 bezieht sich darauf als „keronia“
darauf, Dioskurides 35 als keratea mit der Frucht keration. Seit den Lateinern ist das
Johannisbrot unter seinem botanischen Namen Ceratonia Siliqua Leguminosae bekannt.
33
Seemuscheln, Korallen und Haie
Theophrast von Eresos, griechischer Philosoph, * 372 v. Chr., † 287 v. Chr.; Peripatetiker (Schulhaupt seit
322), Schüler und Nachfolger des Aristoteles; schrieb über Botanik und Mineralogie, verfasste eine Sammlung
von Charakterstudien und eine für die antike Philosophiegeschichtsschreibung einflussreiche Geschichte der
Naturphilosophie.
35
Dioskurides, Pedanios, griechischer Arzt im 1. Jahrhundert n. Chr.; verfasste eine fünfbändige
Arzneimittellehre „De materia medica“, die für mehr als anderthalb Jahrtausende das grundlegende Arzneibuch
blieb
34
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 51
Die alten Römer bezeichneten ihn als Siliqua Graeca, damit
andeutend, dass er vielleicht aus Griechenland stamme. Der
Johannisbrotbaum war auch weithin bekannt im syropalästinensischen Raum. Zu urteilen nach der „Parabel vom
verlorenen Sohn“: Es tauchte darin als Schweinefutter auf.
An die europäischen Küsten des Mittelmeerraumes ist es
möglicherweise von den Arabern eingeführt worden, worauf
die vorherrschend arabische Wurzel des Wortes hinweist. Der
deutsche Name nach dem Propheten Johannes lässt auch die
Herkunft Palästina anklingen.
Der Johannisbrotbaum ist ein hoher, langlebiger, immergrüner Baum, der bis zu 5 – 10 m
hoch werden kann. In seinem natürlichen Habitat begegnet man ihm an niedrigen Hängen ab
Meereshöhe bis etwa 800 m Höhe. Oft findet man ihn inmitten kultivierter Felder als typisch
zyprisches Wahrzeichen.
Während des Mittelalters waren „Kharrubs“ bekannt als Johannisbrot. Seither glaubte man,
dass dieses und nicht Heuschrecken die Hauptnahrung von Johannes dem Täufer in der
Wüste gewesen ist. Der Kharrub war auch bekannt als keration oder teratsi, weil seine Form
einem Ziegenhorn (keraton) ähnelte.
Die Frucht wird hart, wenn sie reif ist, hat etwa 8 – 10 Samenkörner und einen süßen
Geschmack. Wir haben das ausprobiert.
Beides, während der Antike und heute wird es dem Tierfutter beigemischt. Johannisbrot wird
heute verwendet bei der Vorbereitung von Süßigkeiten und Sirups genauso wie in der
pharmazeutischen und chemischen Industrie. Die Borke des Baumes, seine Blätter und
unreifen Früchte werden zur Produktion von Tannin verwendet, das sowohl in der
industriellen Behandlung von Tierfellen als auch zum Färben von Schiffssegeln gebraucht
wird.
Wir standen um die Maschinen herum, die 25 Leute der Reisegruppe umstanden ihn. Seine
Worte, mit denen er das alles erläuterte verhallten. Ich bekam da nichts mit.
Dann machte er sich auf den Weg, uns ein
wenig „seine“ Stadt zu zeigen. An dem
Kastell lief er einfach vorbei. Ich
protestierte heftig. Er ließ sich darauf ein,
in den Garten einzubiegen und dort mit der
Gruppe zu warten, während ich als einzig
Interessierter schnell hinein sollte, um zu
fotografieren. Es war ein Irrwitz. Dieses
alte Kastell atmet so viel Geschichte, dass
es wirklich wert wäre, es in das
Besichtigungsprogramm einzubeziehen.
Ich spurtete also mit gezückter Kamera
hinein, blind an der Kasse vorbei, denn es
Limassol. Blick vom Kastell in Richtung Meer
war ein richtiges Museum (wahrscheinlich
wollte das Reiseunternehmen die Eintrittsgelder sparen), eilte durch einige
Erdgeschossräume, klickte paar Mal und stieg geschwind auf die Dachterrasse, sah auch von
oben unsere Leute, holte mit schnell einen Rundblick, über die Stadt und hinüber aufs Meer.
Im hastigen Rückwärtsgang stürzte ich, der Fotoapparat knallte mit ausgefahrener Optik auf
den Boden und der Tubus verkantete- nichts ging mehr. Ich hatte mir auch wehgetan und
eine Stinkwut auf Antonio und die Reiseleitung. Ich ließ mir nichts anmerken, nur Martina
fauchte mich an, als ich ihr beichtete, dass der Apparat kaputt sei. Ich hatte ja noch die
andere Kamera mit, doch dieser war ja ihr Apparat!
Dabei ist es einfach zwingend, sich genau in diesem Kastell an Richard Löwenherz zu
erinnern. Er hat auf Zypern Spuren hinterlassen. Dabei ist es vielleicht interessant, etwas
weiter auszuholen. Wer nicht will, mag das Folgende überlesen:
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 52
X. Richard
E
Löwenherz – Kreuzfahrer des 3. Kreuzzuges
s soll ja von der Hochzeit Richard Löwenherz’ mit Berengaria in Limassol die Rede
sein. Ich habe also ein Buch 36 über die Kreuzzüge hergenommen und hier seine
abenteuerliche Geschichte zusammengetragen:
Richard wird in England geboren, ist aber eher Franzose.
Zur Welt kam Richard in England, vermutlich im Schloss Beaumont in Oxford, am 8. September
1157. Das Schloss ist verschwunden, aber an Richards ersten Auftritt erinnert eine Tafel am
Straßenrand. In Richards Ahnentafel stammt nur Großmutter Matilde, die Tochter König Heinrichs I.,
aus England. Großvater Gottfried Plantagenet, der Ehemann Matildes, war ein Graf von Anjou. Aus
dieser Ehe stammt Richards Vater, Heinrich von Anjou. Richards Mutter, Eleonore von Aquitanien,
heiratete Heinrich von Anjou im Mai 1152. Ihre Ehe mit König Ludwig VII. war erst einige Wochen
vorher von vier französischen Bischöfen annulliert worden. Eleonore heiratet keinen armen Mann.
Heinrich Plantagenet ist mit zweiundzwanzig Jahren schon Graf von Anjou und Herzog der
Normandie. Eleonore bringt das reiche Herzogtum Aquitanien mit in die Ehe. Doch dabei bleibt es
nicht. Als König Stephan von England stirbt, erkennt er Heinrich als Erben an. Im Dezember 1154 wird
der junge Plantagenet als Heinrich II. zum König von England gekrönt. König Ludwig muss sich von
dieser Machtzusammenballung bedroht fühlen. Um den Konflikt zu entschärfen, erkennt Heinrich den
französischen König als Oberherren über die Normandie, Anjou und Aquitanien an. Aber diese
Unterwerfung bleibt ein formaler Akt. Der Streit um den kontinentalen Besitz der Plantagenets wird
sich über Jahrzehnte hinziehen und das Leben Richards überschatten.
Im Jahr 1168 herrschte Krieg zwischen Heinrich und Ludwig. Die Söldnertrupps standen sich bei
diesen Kriegen selten in Schlachtformation gegenüber. Adlige kamen gelegentlich auf Turnieren um,
aber im realen Gefecht hielten sie meist den gebotenen Abstand. Die häufigste Kriegshandlung war
die Belagerung von Burgen. Gefangene waren viel zu wertvoll, um sie zu töten. Adlige wurden gegen
Lösegeld freigelassen, und die Söldner schonten sich gegenseitig, weil sie dem gleichen Stand
angehörten und oft miteinander befreundet waren. Eroberte Burgen wurden geschleift oder von
Gefolgsleuten des Siegers übernommen. Wenn eine Burg den Belagerungsmaschinen standhielt,
wurden die Bauern und Handwerker des Gegners ausgeplündert. Wer finanziell soweit geschwächt
war, dass er keine Söldner mehr anmieten konnte, hatte den Krieg verloren. Da Heinrich reicher war
als Ludwig, behielt er in der Regel die Oberhand. Im Friedensvertrag des Jahres 1169 wird Richards
Verlobung mit Alice, einer Tochter Ludwigs, bestätigt. Das Mädchen wird der Obhut der englischen
Krone übergeben.
Richard wird 1172 in Poitiers der Titel eines Herzogs von Aquitanien verliehen, er tritt also das Erbe
seiner Mutter an. Wenn Eleonore in Poitiers Hof hielt, herrschte sicher Weltoffenheit. In Aquitanien
blühte die Kunst der Troubadoure, und Eleonore soll den Minnesang geschätzt haben. Über ihren
realen Liebesaffären liegen die Nebel des Tratsches und der Legende. Der Chronist Wilhelm von
Newburgh merkt an, Eleonore habe in ihrer ersten Ehe unter der Keuschheit ihres Gatten gelitten:
„Eleonore nahm am meisten an der Lebensweise Ludwigs Anstoß und klagte, sie habe einen Mönch
und keinen König geheiratet. Man sagt auch, dass sie noch während der Ehe... einer Heirat mit dem
normannischen Herzog (Heinrich) zuneigte.”
Heinrich war alles andere als ein Mönch: Eleonore hat acht Kinder zur Welt gebracht. Richard muss
allein mit drei männlichen Erben als Mitbewerbern rechnen: Mit dem jungen Heinrich, der vor ihm
geboren wurde, mit Gottfried und Johann. Heinrich sollte England und Anjou erben, Richard
Aquitanien, die anderen den Rest. Der Plan enthält Zündstoff. Als König Heinrich dem erst
fünfjährigen Johann drei bedeutende Festungen übereignet, ist alles klar: Der alte Heinrich will die
Burgen selbst verwalten und so dem Zugriff des jungen Heinrich entziehen. Als Richard in Poitiers die
Insignien der Herzöge von Aquitanien empfängt, wird er nur dem Namen nach Herzog. König Heinrich
setzt seine Söhne nämlich nur symbolisch ein. Die reale Macht und das Steueraufkommen behält er
für sich. Der junge Heinrich besteht darauf, einen Teil seines Erbes sofort zu übernehmen, aber Vater
Heinrich winkt ab. Die Beziehungen zwischen König Heinrich und Eleonore waren nach der Geburt
des achten Kindes (Johann) merklich abgekühlt. Ob die beiden sich je im heutigen Sinn »geliebt«
haben, ist zweifelhaft. Was der König bei Frauen suchte, fand er offensichtlich bei seiner Konkubine
Rosamunde...
Da Heinrich die Übergabe ihres Erbes an Richard verweigert, rebelliert Eleonore gegen ihren Gatten.
Sie wirbt Söldner in ihrer Heimat an und schickt im Frühjahr 1173 Richard und Gottfried nach Paris.
Auch den jungen Heinrich hält es nicht länger beim Vater. Der Chronist Robert von Torignei:
36
Peter Milger „Die Kreuzzüge- Krieg im Namen Gottes“, Orbis Verlag, Sonderausgabe 2000
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 53
„Erzürnt zog sich Heinrich von seinem Vater zurück und gelangte nach Argenton. Von dort floh er zum
König von Frankreich, ohne dass seine Diener, die der König für ihn abgestellt hatte, davon wussten.”
Der Chronist zählt die Adligen auf, die die Partei des jungen Heinrich ergriffen hatten und fährt fort:
„Der König zerstörte bei all diesen die Häuser, Setzlinge und Wälder. Ebenso entfremdeten sich
Königin Eleonore und ihre Söhne, Graf Richard von Aquitanien und Gottfried von der Bretagne.”
Der französische König Ludwig ist über die Anwesenheit von drei Königssöhnen entzückt und hält
erfreut einen Hoftag ab. Der Streit im englischen Königshaus stärkt seine Position. Feierlich schlägt er
Richard zum Ritter.
Vater Heinrich lässt sich durch das Bündnis seiner Söhne mit König Ludwig nicht beeindrucken. Im
November 1173 stößt er mit einem Söldnerheer bis Chinon vor und bedroht Aquitanien. Heinrich ist
wesentlich reicher als seine Gegner, er kann mehr Söldner einstellen. Solche Fehden, auch unter
Verwandten, waren nicht unüblich. Als Heinrich in Aquitanien eindringt, gelingt es ihm, Eleonore
gefangen zu nehmen. Richard, kaum sechzehn, versucht einen Gegenangriff auf La Rochelle. Die
Verhaftung seiner Mutter Eleonore kann für Richard den Verlust Aquitaniens bedeuten. Die Bürger
von La Rochelle zeigen indessen wenig Neigung zum Risiko: Sie schlagen sich auf die Seite des
mächtigen Heinrich. Die Stadt lebt vom Weinexport nach England. Richard muss abziehen, der Krieg
geht weiter.
Auf einigen Miniaturen tragen Heinrich und Richard Kirchen in der Hand: Sie zeigen die Könige als
Schutzherren der Kirche. Als besonders fromm galten sie den Zeitgenossen nicht. Richard hat die
Messe gerne besucht, weil er den Gesang liebte.
Im Frühjahr 1174 demonstrieren Vater und Sohn in Saintes eine sachliche Beziehung zur Kirche.
Heinrichs Söldner kämpfen gegen die Gefolgsleute Richards, die in der Kirche Zuflucht gesucht
hatten. Richard kann fliehen, hat aber keine Truppen mehr. Da König Ludwig und seine Brüder die
Fronten gewechselt haben, muss Richard aufgeben. Im September 1174 unterwirft sich der Sohn
dem Vater und bittet tränenreich um Vergebung. Heinrich verzeiht ihm, weil es die Staatsraison
erfordert. Der Staat braucht Erben, und keine Gefangenen im Verlies. Heinrich beauftragt seinen
Sohn, gegen rebellierende Barone vorzugehen.
Im Jahr 1177 befindet sich Alice, die Tochter Ludwigs, fast acht Jahre lang im Gewahrsam des
englischen Königs. Die Ehe zwischen Alice und Richard kommt nicht zustande, weil Heinrich große
Gebiete um die Stadt Bourges als Mitgift fordert. Schließlich erreicht Ludwig, dass Papst Alexander III.
König Heinrich mit dem Bann droht, falls die Heirat weiter verzögert würde. Im September 1177 halten
die beiden Könige eine Friedenskonferenz in Nonancourt ab. Sie verhandeln erneut über strittige
Besitzrechte, bekräftigen den Heiratsplan und schließen einen Waffenstillstand.
In Paris stirbt im Herbst 1180 Ludwig VII. Als Nachfolger wird Ludwigs Sohn als Philipp II. zum König
von Frankreich gekrönt. Richards Geschick wird von nun an mit diesem Mann verbunden sein gelegentlich als Freund, meistens aber als Feind.
Bei einer Konferenz im Jahr 1182 in Grandmont beklagen sich aquitanische Adlige bei Heinrich über
die Grausamkeit, mit der Richard bei der Niederwerfung von Rebellionen vorgeht. Einige Chronisten
werfen ihm vor, er habe seine Untertanen unterdrückt und ungerechte Forderungen an sie gestellt.
Der englische Chronist Roger von Hoveden zeichnet das düsterste Bild:
„Er entführte die Frauen, Töchter und Mägde seiner Untertanen mit Gewalt und machte sie zu seinen
Konkubinen. Wenn er seine Lust mit ihnen gehabt hatte, gab er sie an seine Soldaten zur Erfreuung
weiter.
Vater Heinrich scheint die Beschwerden über seinen Sohn nicht ernst genommen zu haben.
Gemeinsam bekämpfen der König, Richard und der junge Heinrich eine Rebellion im Limousin. Aber
die Einigkeit hält nicht an. Der junge Heinrich ist zwar formal der Haupterbe, verfügt aber immer noch
nicht über eigene Territorien und Steuereinnahmen. Er erwägt eine Wallfahrt nach Jerusalem,
versucht aber dann, seine irdischen Ziele durch ein Bündnis mit den Rebellen im Limousin zu
erreichen. Bei Aix an der Vienne führt Richard seine Truppen 1183 gegen die Verbündeten seines
Bruders Heinrich und behält die Oberhand. Die gefangenen Söldner lässt er in der Vienne ertränken.
Das grausame Vorgehen sollte wohl als Warnung verstanden werden. Richards Sinn für symbolische
Akte entwickelt sich. Das Gefecht an der Vienne ist Richards einzige Begegnung in Frankreich, die
einer Schlacht nahe kommt.
König Heinrich eilt mit Verstärkungen herbei, um die Rebellion seines Sohnes Heinrich zu beenden.
Auf der anderen Seite entsendet König Philipp Truppen zur Unterstützung der Rebellen. Damit ist der
Waffenstillstand gebrochen und von der Kreuzfahrt gegen Saladin ist keine Rede mehr. Der junge
Heinrich, der sich durch Kirchenplünderungen mit Geld versorgt hatte, beginnt gerade die Oberhand
über Vater und Bruder zu gewinnen, als er im Juni 1184 plötzlich stirbt. Die Rebellion bricht
zusammen und die Erbfolge hat sich für Richard scheinbar vereinfacht. König Heinrich ist bereit,
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Richard zum Haupterben zu erklären, verlangt aber dafür Aquitanien für Bruder Johann. Empört
begibt sich Richard nach Aquitanien, das ihm wichtiger ist als die Anwartschaft auf die englische
Krone. Johann und Gottfried hausen daraufhin mit ihren Söldnern im Süden, und Richard fällt im
Gegenzug in die Bretagne ein. König Heinrich ruft erschrocken seine Söhne nach England, um den
Streit zu beenden. Er entlässt Eleonore aus der Haft und zwingt Richard, Aquitanien an Eleonore
zurückzugeben. Heinrich erneuert im Frühjahr 1186 bei einem Treffen mit König Philipp die
Abmachungen, die er mit König Ludwig im Jahr 1183 getroffen hatte. Richards Position als Erbe ist
gestärkt, der Verlierer Gottfried begibt sich nach Paris. Bei einem Turnier im August 1186 gerät er
unter die Hufe eines Streitrosses und stirbt an den Folgen.
Im Frühjahr 1187 fordert König Philipp die Herausgabe nordfranzösischer Territorien und die
Erfüllung des Heiratsversprechens. Philipps Schwester Alice befindet sich seit fast zwanzig Jahren in
Heinrichs Obhut. Gerüchte besagen, der König hätte sie entjungfert. Im Juni 1187 stehen sich vor
Châteauroux zwei große Armeen gegenüber. Heinrich und Richard auf der einen Seite, König Philipp
auf der anderen. Es geht nicht um Alice, sondern wie immer um Burgen und Äcker. Auch die Schlacht
von Châteauroux findet nicht statt. Das Risiko ist beiden Seiten zu hoch, man verhandelt und schließt,
wie schon so oft, einen Waffenstillstand.
Ein päpstlicher Legat ist auch dabei und erinnert Heinrich an sein altes Versprechen, einen Kreuzzug
zu unternehmen. Saladin bedränge die Christen in Palästina, lässt der Papst ausrichten, und die
Feudalherren sollten lieber Heiden bekämpfen, statt in Europa Ländereien zu verwüsten.
Nach der Konferenz begibt sich Richard mit Philipp nach Paris. Warum, bleibt ein Rätsel.
Richard benutzt das Geld, um seine Burgen in Aquitanien zu befestigen. Aber plötzlich unterwirft sich
Richard aus ebenfalls nicht erkennbaren Gründen wieder seinem Vater.
Etwa zur gleichen Zeit wird das Heer des Königreichs Jerusalem bei Hattin vernichtet. Als die
Nachrichten im Herbst 1187 eintreffen, gelobt Richard in der Kathedrale von Tours die Kreuzfahrt.
Sein Sinn für Symbolik zeigt sich erneut: Er ist von den großen Fürsten der erste, der das Kreuz
nimmt. Ende 1188 bricht Philipp den Waffenstillstand und belagert die Festung Gisors, die als Mitgift
für Alice gedacht war. Philipp sieht nach Richards Kreuznahme keine Chance mehr für die Ehe und
fordert Gisors zurück. Wieder kommt es nicht zum Kampf.
Bei den Verhandlungen zwischen Heinrich und Philipp steht plötzlich Jerusalem im Vordergrund. Der
Bischof von Tyrus war angereist und hält eine bewegende Predigt. Beide Könige nehmen das Kreuz.
Sie handeln unter dem Druck der öffentlichen Meinung. Der Fall Jerusalems hatte die
Kreuzzugspropaganda wiederbelebt.
Die Könige denken noch nicht an den Aufbruch. Im Herbst 1188 marschieren Heinrich und Richard in
Richtung Paris gegen Philipp. Wieder herrscht Krieg wegen strittiger Besitzrechte. Bei Pacy-sur-Eure
kreuzt Richard mit dem besten Ritter Philipps die Waffen. Niemand kommt zu Schaden und beide
bezichtigen sich hinterher gegenseitig, beim Kampf gemogelt zu haben. Rittergeschichten dieser Art
liebten die Leute. Der Krieg wird aber nicht nach ritterlichen Regeln geführt. Heinrichs Söldner
plündern auf dem Gebiet des französischen Königs.
Im Oktober 1188 verhandeln Heinrich, Richard und Philipp in Châtillon-sur-Indre erneut über einen
Frieden. Es kommt zum Streit zwischen Vater und Sohn. Heinrich weigert sich, Richard als Erben
einzusetzen. Im Gegenzug huldigt Richard dem französischen König und erkennt dessen
Oberherrschaft über den kontinentalen Besitz der Familie an. Der Krieg geht weiter. Richard kämpft
nun an der Seite Philipps gegen seinen Vater. Mehrfach treffen sich die Kontrahenten zu
Verhandlungen, aber selbst ein eigens angereister Legat des Papstes vermag keinen Frieden zu
stiften.
Im Juni 1189 befindet sich Heinrich auf der Flucht vor Richards Söldnern und gerät beinahe in
Gefangenschaft. Im Juli ist es dann soweit. Bei den Verhandlungen Anfang Juli 1189 in Ballon muss
Heinrich nachgeben. Richard soll die englische Krone erben und nach dem Kreuzzug doch noch Alice,
die Schwester Philipps, heiraten. Der Beginn des Kreuzzuges von Richard und Philipp wird auf das
Frühjahr 1190 festgelegt.
Heinrich II. ist krank und stirbt im Juli 1189, ohne sich mit Richard versöhnt zu haben. Seine Leiche
wird in der Abteikirche von Fontevrault beigesetzt. Richard besucht kurz darauf die Grabstätte ohne
Anzeichen einer Bewegung. England verdankt Heinrich die Ursprünge der modernen
Finanzverwaltung. Aber das ist kein Stoff für Legenden.
Am 13. September 1189 wird Richard in Westminster Abbey zum englischen König gekrönt und
gesalbt.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 55
Die Londoner sind freudig erregt, die Kreuzzugsstimmung tut das Übrige. Während der Feier entsteht
ein Tumult vor dem Palast, der in heftige Angriffe auf das jüdische Viertel mündet. Der Chronist
Richard von Devizes:
Die Besatzung des Towers, für Ruhe und Ordnung verantwortlich, greift nicht ein. Die Juden standen
eigentlich unter dem Schutz des Königs. Richard ist empört, weil die Juden treue Steuerzahler sind.
Warum er das Pogrom nicht verhindern konnte, ist nicht bekannt.
Zur Finanzierung des Kreuzzuges verkauft Richard alles, was sich zu Geld machen lässt. Richard von
Devizes:
Richard braucht das Geld vor allem für Schiffe, die er in allen Häfen requirieren lässt. Er zahlt einen
Teil der Kaufsumme, den Rest muss ein reicher Beamter, Bürger oder Feudalherr aufbringen. Richard
von Devizes schildert die Flotte:
Die Verwaltung des Landes übergibt Richard dem Kanzler William Longchamp. Viele Engländer
dürften aufgeatmet haben, als er schließlich abreiste. Immerhin hatte Richard in kurzer Zeit das
Steueraufkommen mehrerer Jahre eingezogen. Philipp und Richard treffen sich im März 1190 in
Nonancourt. Es ist klar, dass keiner ohne den anderen reisen würde. Man weiß, was man
voneinander zu erwarten hat. Philipp und Richard beeiden mit ihren Baronen ausdrücklich, das Gebiet
des anderen während der Kreuzfahrt nicht anzutasten sondern zu schützen. In den nächsten Monaten
regelt Richard die Verwaltung des kontinentalen Familienbesitzes Um die Südflanke zu sichern, wird
eine Ehe mit Berengaria, der Tochter des Königs von Navarra ins Auge gefasst. Richards Bruder
Johann muss schwören, drei Jahre lang nicht nach England zu reisen. Im Sommer 1190 sind
Richards Vorbereitungen für die Kreuzfahrt abgeschlossen. Am 2 Juli versammeln sich beide Heere
vor Vézelay. Der Augenzeuge und Chronist Ambroise reimt:
Vor Vézelay, zwischen Bergen zwar,
Beherbergt Gott die eigene Schar.
Im Weinberg und im Felde offen,
Schläft mancher Mutter Sohn und Hoffen.
Und jeder legt in Gottes Hand,
Frau und Kinder und sein Land.
Versetzten auch die ganze Habe
Und kauften dafür Gottes Gnade.”
Von Vézelay war ein halbes Jahrhundert früher Philipps Vater, Ludwig VII., zum zweiten Kreuzzug
aufgebrochen. Diesmal haben sich wenig Kreuzfahrer eingefunden, dafür ist der Anteil der
Bewaffneten größer. Wie Friedrich Barbarossa planen auch Richard und Philipp eine Militärexpedition.
Bernhard von Clairvaux hatte rund vierzig Jahre vorher ideelle Ziele gepredigt und himmlischen Lohn
versprochen. Diesmal wirken viele Söldner mit, weil sie von den Königen bezahlt werden und Richard
und Philipp bewegt nicht die Vorstellung, die „Welt“ von Heiden zu befreien. Sie sind in Vézelay damit
beschäftigt, alle Eroberungen und die erwartete Beute zu teilen.
Beide Heere brechen getrennt nach Süden auf.
Richards Aufgebot kommt Ende Juli 1190 in Marseille an. Seine Flotte, nach Robert von Devizes
mehr als hundert Schiffe, ist noch nicht eingetroffen. Die Kreuzfahrer waren in Lissabon aufgehalten
worden. Mehrere hundert Mann hatten in der Stadt geplündert und Frauen geschändet, so dass sich
der König von Portugal gezwungen sah, sie zu verhaften. Richard hat keine Lust, in Marseille zu
warten und bricht in gemieteten Schiffen nach Messina auf. Er geht mehrfach an Land, da er
Seereisen nicht mag.
Im September 1190 erreicht Richard Messina auf Sizilien. Philipp, der sich in Genua einige Schiffe
gemietet hatte, ist schon da und wohnt in einem Stadtpalast. Auch Richards Flotte ist inzwischen
eingetroffen.
Richard herrscht über Sizilien, kümmert sich um seine Verwandtschaft und um die Aufbesserung
seiner Kasse. Im November 1189 war König Wilhelm II. von Sizilien gestorben. Die Witwe, die er
hinterlassen hatte, ist Richards Schwester Johanna. Die Ehe zwischen Wilhelm und Johanna war
kinderlos geblieben. Daher steht Konstanze, die Tante Willhelms, in der Erbfolge vorn. Dieser
Umstand ist von einiger Tragweite, da Konstanze mit Heinrich, dem ältesten Sohn Kaiser Friedrichs,
verehelicht ist. Die Sizilianer waren von der Idee einer Staufischen Fremdherrschaft wenig begeistert
und hatten gemeinsam mit Papst Clemens III. einen entfernten Verwandten namens Tankred zum
König erhoben.
Richard verlangt von Tankred die Herausgabe von Wertsachen, die Wilhelm Heinrich II. vermacht
hatte. Es handelte sich um einen vier Meter langen goldenen Tisch, ein großes Zelt aus Seide,
goldene Becher und Platten und mehrere Schiffsladungen Getreide und Wein.
Richard bleibt nicht untätig. Er erobert ein Kloster auf einer Insel vor Messina.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 56
Nach weiteren Zwischenfällen führt Richard einen Angriff auf Messina an. Nach heftigen Kämpfen fällt
die Stadt. Richard lässt seine Fahnen über Messina aufziehen und nimmt Geiseln. Nachdem Tankred
sie mit Gold ausgelöst hat, wird ein Waffenstillstand geschlossen. Das Wesentliche ist geregelt, aber
Winterstürme verhindern die Weiterreise. Das Glücksspiel nimmt solche Ausmaße an, dass einfachen
Soldaten und Matrosen das Würfeln verboten wird. Kleriker und Ritter dürfen zwanzig Schillinge am
Tag verspielen. Die Kreuzfahrer verbringen ein halbes Jahr in Messina.
Im Frühjahr wird bekannt, dass Eleonore eine neue Braut für Richard nach Messina bringen wird:
Berengaria, die Tochter des Königs von Navarra. Philipp ist empört, denn seine Schwester Alice
wartet ja noch immer auf Richard.
Richard bringt vor, sein Vater Heinrich habe mit seiner Verlobten geschlafen und eine Ehe mit der
entehrten Alice käme nicht in Frage. Philipp kann sich gegen diese Beleidigung nicht zu Wehr setzen.
Er löst gegen Bargeld den Ehevertrag und segelt nach Palästina ab. Im April treffen Eleonore und
Berengaria in Messina ein. Weil die Zeit drängt, wird die Hochzeit verschoben. Eleonore kehrt nach
England zurück und Richards Flotte bricht nun ebenfalls nach Palästina auf. Berengaria reist mit.
Ein Sturm treibt die Flotte auseinander. Richard bleibt ein paar Tage auf Rhodos, um sich von der
Seekrankheit zu erholen. Drei Schiffe werden nach Zypern abgetrieben. Zwei von ihnen stranden
Ende April 1191 an der Südküste, das dritte, mit Johanna und Berengaria an Bord, ankert vor
Limassol. Die einheimischen Griechen eignen sich die Wertsachen der gestrandeten Kreuzfahrer an
und nehmen die Überlebenden gefangen. Eine Sitte, die übrigens auch in England herrschte. Es
kommt zum Kampf, beide Seiten beklagen Verluste. Zypern gehörte zum byzantinischen Reich. Der
Statthalter Isaak hatte aber die Macht illegal an sich gerissen. Dieser Umstand und die
Gefangennahme der gestrandeten Kreuzfahrer kommen Richards Absicht entgegen, die Insel zu
erobern.
Am 8. Mai 1191 nähert sich die englische Flotte der Küste bei Limassol. Zypern hat sich von dem
Raubzug Rainalds von Châtillon wieder erholt und ist von großer strategischer Bedeutung für die
Belagerer von Akkon. Richard verfügt über eine selten große und teure Streitmacht. Ein klarer Fall für
das Recht des Stärkeren. Der Angriff erfolgte wahrscheinlich in Amathous, östlich des heutigen
Limassol. Da die Stadt an der Seeseite nicht befestigt ist, haben die Bewohner beim Nahen der Flotte
am Strand Barrikaden errichtet. Richard von Devizes:
„Der König, in seiner Rüstung, sprang als erster vom Schiff und schlug den ersten Schwertstreich,
aber bevor er den zweiten schlagen konnte, waren Dreitausend auf seiner Seite und schlugen sich mit
ihm. Schnell hatten sie das Holz im Hafen weggeräumt. Die kräftigen Männer eilten nach oben in die
Stadt und waren nicht sanfter als die Löwinnen, denen man das Junge weggenommen hat. Die
Verteidiger kämpften tapfer gegen sie. Die Verwundeten fielen auf dieser Seite und auf jener. Die
Schwerter auf beiden Seiten waren trunken vom Blut. Die Zyprioten wurden bezwungen, die Stadt und
Burg wurden genommen. Die Sieger nahmen sich, was ihnen gefiel. Der Herr der Insel wurde
gefangen und vor den König gebracht. Er bat um Verzeihung, die im gewährt wurde. Er huldigte dem
König...”
Der Statthalter Isaak Kommenos denkt nicht daran, Richard als Oberherrn der Insel zu akzeptieren.
Kaum ist er frei, fordert er Richard auf, die Insel zu verlassen. Inzwischen treffen König Guido von
Lusignan, der Fürst von Antiochia, Gesandte der Templer und einige mit Guido verbündete Barone in
Zypern ein. König Philipp ist inzwischen vor Akkon eingetroffen und hat die Partei Konrads von
Montferrant ergriffen. Die Delegation unter Guido hofft auf die Unterstützung des englischen Königs.
Unter den Baronen befanden sich Verwandte von Richards Vasallen. Richard setzt also auf die Karte
Guidos und befindet sich damit im Lager der Gegner König Philipps und Konrads. Die Verhältnisse
pendeln sich nach heimatlichen Mustern ein.
Richard nutzt die Verstärkung durch die Ankömmlinge, um einen Feldzug gegen Isaak zu
unternehmen. In mehreren Gefechten werden die Streitkräfte Isaaks niedergeworfen. Isaak ergibt
sich, nachdem Richard ihm versprochen hat, ihn nicht in Eisen zu legen. Richard hält sein Wort: Isaak
wird in silberne Ketten gelegt. In den Küstenstädten erhebt Richard sogleich eine Besitzsteuer von
fünfzig Prozent. Auch der Ertrag für Richards Legende ist nicht schlecht: Seine Attacke am Strand und
die List mit den silbernen Ketten machen bald die Runde. Richard heiratet auf Zypern. Nach der
Überlieferung soll er in der Georgskapelle der Burg getraut worden sein. Die Ehe mit Berengaria war
dynastisch gesehen nicht ertragreich: Sie blieb kinderlos. Richard verliert bald das Interesse an seiner
Gattin…
Richard wird Zypern bald für hunderttausend Goldstücke an den Templerorden verkaufen.
Vierzigtausend Goldstücke können die Templer anzahlen. Aber auch für den reichen Orden ist die
Restsumme nicht leicht aufzubringen. Die Templer errichten Burgen und versuchen, das Geld aus der
Bevölkerung zu pressen. Sie ersticken in Nikosia einen Aufstand in einem Blutbad. Die geldgierigen
Barone mit dem lateinischen Ritus bleiben für die meisten griechisch-orthodoxen Einheimischen
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 57
fremde Herren. Als es zu weiteren Aufständen kommt, wollen die Templer die Insel wieder loswerden.
Nach einer schwierigen Finanztransaktion vergibt Richard Zypern dann an König Guido von Lusignan.
Zypern bleibt rund dreihundert Jahre im Besitz europäischer Feudalherren.
Der Chronist Neophytus von Zypern schreibt über Richard:
„Der Engländer plünderte das Land aus und segelte nach Jerusalem, dabei hinterließ er Vasallen, die
weiter raubten und ihm die Beute nachsandten. Er erreichte nichts, der Sünder, der er war, gegen den
Mitsünder Saladin, er erreichte nichts als den Verkauf von Zypern an die Lateiner... Groß war die
Klage und unerträglich die Düsternis, die von Norden kam, wie es prophezeit war.”
Wie es mit Richard weiterging, ist noch eine lange Geschichte. Sein Name wird im Zusammenhang
mit Zypern nicht mehr erwähnt, höchstens noch einmal, als er im April 1192 dem Guido von Lusignan
es ermöglicht, den Templern die Insel Zypern abzukaufen.
Er zieht mit seinen 25 Schiffen in die Schlacht nach Akkon, das nach blutigen Kämpfen am 12. Juli
1191 erobert wird. Als sein Gegner Saladin nicht rechtzeitig Lösegeld herbeischafft, lässt Richard am
20. August 1191 ein entsetzliches Blutbad anrichten, bei dem 2700 muslimische Männer, Frauen und
Kinder hingemeuchelt werden.
Zwei Tage nach dem Massaker bricht Richard mit seinem Heer nach Jerusalem auf. Von einer
Belagerung dieser Stadt sieht er wegen hereinbrechenden Winters ab und bläst im Oktober 1192
zum Rückzug übers Meer. Sein weiterer Weg ist genauso abenteuerlich wie der vorige, aber im
Zusammenhang mit Zypern nicht mehr interessant.
Dennoch will ich der Vollständigkeit halber seinen Weg bis an sein Ende nachzeichnen:
Richard unternimmt noch einen vergeblichen Vorstoß auf Jerusalem und Saladin scheitert bei dem
Versuch, Jaffa zu erobern. Ende August 1192 wird deutlich, dass keine Seite in der Lage ist, eine
Entscheidung zu erzwingen. Richard schließt mit Saladin einen Waffenstillstand über fünf Jahre. Die
eroberten Küstenstädte bleiben im Besitz der Christen, nur Askalon muss niedergerissen werden.
Pilgern wird der freie Zugang zu den heiligen Stätten in Jerusalem garantiert. Vor Saladins Gesandten
müssen die Barone des Königreichs die Einhaltung des Vertrags beschwören.
Anfang Oktober 1192 tritt Richard von Akkon aus die Heimreise an. Sein Ziel, die Eroberung
Jerusalems, hat er nicht erreicht. Dass ein Küstenstreifen Palästinas wieder in christlicher Hand ist,
kann er sich als Verdienst anrechnen. Seine Heimreise verläuft abenteuerlich, aber wenig glücklich.
Eine Landung in Südfrankreich oder Italien will Richard offenbar vermeiden. Die Winterstürme lassen
eine möglichst kurze Seereise ratsam erscheinen. Richard verlässt auf Korfu sein Schiff, segelt mit
gemieteten Booten an der dalmatinischen Küste entlang und landet schließlich mit wenigen Begleitern
nahe bei Venedig. Von dort aus nimmt er den Landweg in Richtung Wien.
Er befindet sich nun auf dem Gebiet Leopolds von Osterreich, den er sich in Akkon zum Feind
gemacht hat. Richard reist in der Verkleidung eines einfachen Pilgers. Die Berichte sind legendär
gefärbt. Sein Talent als Mime reicht offenbar nicht aus, um einen Mann aus dem Volk zu spielen. In
der Chronik »Itinerarium Regis Ricardi« wird beschrieben, wie Richard als König auftrat.
Richard wird Ende Dezember 1192 gefangen genommen, wahrscheinlich in einem Gasthaus bei
Wien. Die Chronisten vermuten, Richard habe zuviel Geld ausgegeben. Die Schergen, die ihn dingfest
machen, ahnen die Folgen nicht. Die Verhaftung verändert die Machtverhältnisse in Europa.
Leopold von Osterreich lässt Richard auf die Burg Dürnstein bringen. Es steht schlecht um ihn.
Richards Gegner hatten üble Nachrede in Europa verbreiten lassen: Richard habe Philipp verraten,
mit Saladin paktiert und Konrad von Montferrat ermorden lassen. Leopold meldet dem Staufer
Heinrich, inzwischen Kaiser Heinrich VI., den wertvollen Fang.
Ein gewaltiges politisches Geschäft läuft an, während Richard in sein Gefängnis auf Dürnstein
gebracht wird. Dass der treue Sänger Blondel Richard hier nach langer Suche gefunden habe, wird
von den zeitgenössischen Chronisten nicht vermerkt. Diese Legende ist später entstanden.
Im Februar 1193 nimmt Leopold Richard mit nach Regensburg, um mit Kaiser Heinrich VI. den Preis
für die Übergabe zu verhandeln. Da Leopold befürchtet, die Kaiserlichen könnten sich Richards
unentgeltlich bemächtigen, schickt er ihn zurück nach Dürnstein. Der Preis für den kostbaren
Gefangenen wird auf hunderttausend Mark festgesetzt. Außerdem soll Richard mit fünfzig Schiffen
und zweihundert Rittern Kaiser Heinrich bei der Eroberung Siziliens beistehen. Das war auch für einen
König ziemlich viel.
Im März 1193 hält Kaiser Heinrich in Speyer Gericht über Richard. Er wird angeklagt, durch den
Vertrag mit Saladin das Königreich Jerusalem verraten zu haben. Weiterhin wird ihm unterstellt, er
habe den Mord an Konrad von Montferrat angestiftet. Richard weist die Anschuldigungen zurück. Die
Art und Weise, wie er das tut, beeindruckt den Kaiser.
Heinrich VI. lässt die Anschuldigungen fallen, lobt Richards Taten und gibt ihm den Friedenskuss. Der
Freispruch hat keineswegs Richards Entlassung zur Folge. Der Kaiser setzt das Lösegeld auf
einhundertfünfzigtausend Mark fest. In England wird eine Einkommensteuer von fünfundzwanzig
Prozent erhoben, um Richard loszukaufen.
Richard, als Kreuzfahrer eigentlich unantastbar, bleibt weiter in Haft.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 58
Der Papst hat inzwischen Leopold von Osterreich exkommuniziert, aber das macht auf Richards
Feinde wenig Eindruck. Sein mächtigster Feind, König Philipp von Frankreich, bietet Kaiser Heinrich
die gleiche Summe für Richard oder hunderttausend Mark für die Verschiebung der Freilassung.
Philipp hat sich mit Richards Bruder Johann verbündet. Sie sind dabei, sich die Besitzungen Richards
anzueignen und wollen Zeit gewinnen. Richard wird im März auf die staufische Burg Trifels gebracht.
Es ist noch kein Geld aus England eingetroffen. Richard soll im Gefängnis ein Gedicht geschrieben
haben:
„Schwach sind die Worte, und die Zunge stockt dem Häftling, seinen Schmerz zu klagen. Doch mag
dies Lied ihm Linderung verschaffen. Der Freunde hab' ich viel, doch schmal sind ihre Gaben. Die
Schande soll sie treffen, wenn nicht ausgelöst ich hier zwei Winter bleibe.“
Doch die englischen Steuerzahler sind schon dabei, das Geld für seine Auslösung aufzubringen. Aus
dem Gefängnis heraus wird Richard diplomatisch aktiv und vermittelt zwischen Heinrich VI. und
dessen Erzfeind Heinrich dem Löwen. Schließlich lehnt Heinrich es ab, Richard an Philipp
auszuliefern. Richards Schicksal hängt nur noch von den Fähigkeiten des englischen Fiskus ab. Mit
seinen Bewachern soll Richard auf Burg Trifels eifrig gescherzt und getrunken haben, bis sie unter
dem Tisch lagen. Nichts von dem, was einen Mann zum Manne macht, fehlt in seiner Legende.
Nach einem Fürstentag in Mainz im Februar 1994 ist es soweit. Zwei Drittel des Lösegeldes sind
eingegangen und für den Rest stellt Richard Geiseln. Die Transaktion in Mainz sollte weltpolitische
Folgen haben. Kaiser Heinrich VI. finanzierte mit dem Geld der englischen Steuerzahler die
Eroberung Siziliens. Und so kam es, dass Heinrichs Sohn, Kaiser Friedrich II., später im Süden
Italiens regieren konnte. Richard erkennt den Kaiser als seinen obersten Lehnsherren an und
empfängt dafür England als Lehen. Diese Huldigung bleibt allerdings eine Formsache. Nach rund
vierzehn Monaten Haft wird Richard entlassen und landet im März 1994 in Sandwich. Die Rebellion
seines Bruders Johann war schon mit der Nachricht von Richards Freilassung zusammengebrochen.
Kirche, Adel und Beamte hatten in der Mehrzahl Richard die Treue gehalten und gezahlt. In der
Kathedrale von Canterbury dankt er Gott für seine Rückkehr. Das Osterfest nutzt Richard für eine
politische Demonstration: Vor allen Fürsten zeigt er sich mit seiner Mutter in Westminster Abbey. Er
trägt alle Insignien der Macht. Er ist wieder da, bleibt aber nicht lange.
Richard landet im Mai 1994 in Barfleur in Frankreich. Er wird von Söldnern begleitet und mustert
weitere an. Englands Steuerzahler hatten noch einmal bluten müssen. Richard fängt an, wo er vor der
Kreuzfahrt aufgehört hat: Er verteidigt den Familienbesitz gegen den König von Frankreich. Philipp
hatte die Abwesenheit vertragswidrig genutzt, um in der Normandie vorzurücken und belagert
Verneuil. Nachdem Richards Truppen die Belagerer vertrieben haben, erscheint Johann vor Richard,
wirft sich auf den Boden und bittet um Verzeihung. Richard soll sie mit den Worten gewährt haben:
„Du warst ein Kind und bist in schlechte Gesellschaft geraten.”
Der Krieg geht mit gelegentlichen Unterbrechungen weiter. Richard entlässt Alice bei einer
Friedenskonferenz im August 1195 aus dem Gewahrsam der englischen Krone. Sechsundzwanzig
Jahre nach ihrer Verlobung mit Richard kann Alice nun einen französischen Grafen heiraten. König
Philipp unterstützt immer wieder Rebellionen gegen Richard im Süden Frankreichs. Bei einem
Aufstand des Vizegrafen von Limoges belagern Richards Söldner im März 1199 die Burg Chalus. In
der Burg sind nur vierzig Männer und Frauen. Am Abend will sich Richard noch einmal umsehen.
Dabei trifft ihn ein Armbrustschütze namens Bertram in die Schulter. Kurz darauf erobern Richards
Söldner die Burg und bringen die Besatzung um.
Nur der Schütze bleibt am Leben. Richards Verletzung ist tödlich.
Der Chronist Wilhelm von Newburgh berichtet:
„Als der König die Hoffnung auf sein Überleben aufgab, übertrug er seinem Bruder Johann die
Herrschaft über England und seine ganzen anderen Gebiete. Er veranlasste, dass dem genannten
Johann von den Anwesenden Treueide geleistet würden und befahl, dass ihm seine Burgen
übertragen würden. Seinem Neffen Otto vermachte er drei Viertel seines Schatzes und sein
Geschmeide und ordnete an, dass das vierte Viertel an seine Diener und die Armen übergeben
würde. Als darauf der genannte Bertram vor den Königgerufen wurde, sprach dieser zu ihm: »Was
habe ich dir Übles getan, warum hast du mich getötet? Jener antwortete: »Du hast mit eigener Hand
meinen Vater und meine zwei Brüder getötet und wolltest mich selbst umbringen. Nimm also an mir
die Rache, die du dir ausgedacht hast. Es bereitet mir keine Sorge, sofern du nur stirbst, weil du der
Welt soviel angetan hast. « Da befahl der König, ihn als freien Mann gehen zu lassen und ihm
einhundert Schillinge in Silber zu geben. Aber der Vasall Mercadeus ergriff ihn ohne Wissen des
Königs und hängte ihn nach dem Tod des Königs auf. Vorher hatte er ihm die Haut abziehen lassen...
Über den Tod des Königs wurde gesagt: »In diesem Tod vernichtet die Ameise den Löwen. Oh
Schmerz, bei einem solchen Leichenbegängnis verdunkelt sich die Welt.”
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 59
Richard starb, weil er sich wieder einmal zu weit nach vorn
begeben hatte. Sein ständiger Aufenthalt im Kampfgetümmel
war staatsmännisch unklug, hat aber seine Legende dauerhaft
gefördert. Seine Kreuzfahrt wurde in den Heldenepen
besungen, politisch hat sie ihm nichts genützt. Richards
Eingeweide wurden in Chalus bestattet, sein Herz in der
Kathedrale von Rouen. Was sonst noch blieb, wurde neben
seinem Vater in der Klosterkirche von Fontevrault bestattet,
also in Frankreich.
Keinen seiner großen Feinde hat Richard Löwenherz besiegt.
Und doch ist der englische König, der fast nie in England war,
einer der ganz Großen der Legende. Die symbolischen
Gesten, sein mutiger Einsatz in der vordersten Linie waren
nach dem Geschmack seiner Zeit. Einige Zeitgenossen haben
Richard Grausamkeit und Geldgier vorgeworfen. Andere
betonen seinen Sinn für Humor und Poesie. Seine Feldzüge
und seine Freiheit haben seine Steuerzahler ermöglichen
müssen. Den Beinamen Coeur de Lion, Löwenherz, verdankt
Richard sich selbst und der Begegnung mit Saladin, die mit
einem Unentschieden endete.
Richard Löwenherz
Sarkophag in Fontevrault
Alles das ging mir auch durch den Kopf, als ich wie der Blitz im Kastell von Limassol raste,
schon um die anderen nicht solange warten zu lassen. Antonio erwähnte von Löwenherz
nichts.
Wir trotteten nun noch ein Weilchen durch die recht unattraktive Altstadt. Alte
Handwerksläden und moderne Einkaufshallen lagen beieinander. Auf dem Stadtplan ist zu
erkennen, dass die östlichen Ausläufer der Stadt beinahe die Ruinen von Amathous
erreichen. Auf dem Ruinengelände sollen noch Reste der Stadtmauer dieses alten
Stadtstaates, ein Nymphäum 37 und die rekonstruierte Agora 38 und Reste einer
Brunnenanlage. Es gibt auch etliche Kirchen in der Stadt; vor einer blieben wir kurz stehen.
Ich hatte aber noch solche Wut auf mich selbst wegen des kaputten Fotoapparates, dass ich
Antonios Ausführungen nicht zuhörte. Durch eine belebte Nebenstraße liefen wir noch, und
schon standen wir als Häufle am Rande des Strand- Boulevards und warteten auf den Bus.
XI. Lefkara
G
und Wachsfiguren
ut 50 km sind es ostwärts, größtenteils wieder
zurück, auf der Autobahn A1 und noch ein
Stück nach Norden in die Berge, als wir in
Pano- Lefkara anlangen. Es gibt auch noch ein KatoLefakra, das liegt unterhalb davon. Pano heißt oben.
Dieses verträumte Städtchen ist das zyprische
Zentrum für textile Spitzenerzeugnisse und
Silberschmiedearbeiten. Ich hatte während der Fahrt
im
Baedeker
nachgelesen,
dass
es
ein
Wachsfigurenmuseum gibt. Das wollte ich mir
ansehen, statt in der Hitze im Ort umherzulaufen,
zumal ich keine Absicht hatte, Spitze zu kaufen. Der
Bus hielt direkt vor dem Museum und entließ mich
der Sorge, es lange suchen zu müssen.
37
Nymphäum, [das, Mehrzahl Nymphäen; griechisch] Nymphaion, in der griechischen Antike ein Heiligtum
der Nymphen, meist eine Grotte; auch römische und besonders moderne Bezeichnung für die in der römischen
Kaiserzeit in den Städten üblichen Brunnenanlagen mit prunkvollen Fassaden und großen Wasserbecken.
38
Agora, [die; griechisch], ursprünglich „Versammlung“ des Heeres oder Volkes, sehr früh auch schon
„Versammlungsort“; der Marktplatz altgriechischer Städte.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 60
Die Leute der Reisegruppe einschließlich Martina, die bei
dem Wort Museum scheut, verkrümelten sich. Ich enterte die
kleine Treppe, durchquerte eine stille menschenleere
Kaffeestube und kam durch eine hintere Tür an den Eingang
des Museums, der völlig verwaist schien. Aus einer gläsernen
Vitrine schauten mich Männerköpfe an, abgetrennte Häupter,
erste Muster aus Wachs, ein Mann bei der Arbeit, vor sich
einen bärtigen Kopf, sicher der Meister im Selbstbild.
Niemand war da, dem ich Tribut zollen musste. Also trat ich
ein und musste die Augen erst einmal an das Halbdunkel
gewöhnen. Dann wurden meine Augen immer größer, vor
Staunen über meine Entdeckungen und dem Glück,
unbehelligt Fotos machen zu dürfen, bin ich ganz aufgelöst.
Ich lese Schilder, vergesse gleich wieder den Inhalt, oft fehlt
mir der faktische Bezug.
Ich sehe nur eins: Dieses Museum birgt eine meisterhafte Erinnerung in einzelnen Szenen
und Bildern an verschiedene Epochen der Inselbevölkerung. Mehr als 150 menschliche
Figuren sind ausgestellt. Sie sind in acht Themenbereichen angesiedelt. Jedes Thema
behandelt, in chronologischer Reihenfolge, eine Grundsicht auf die historische und Kulturelle
Vergangenheit der Insel. Ich „erlebe“ im gewissen Sinne die Geschichte Zyperns im
Kurzdurchlauf. Natürlich sind manche Szenen auch durch die Brille dieses Ortes gesehen.
Das Wachs eröffnet dem Künstler die Möglichkeit, auch äußerliche Feinheiten zu formen, so
dass sich die dargestellten Erscheinungen kaum von ihren imaginären oder leibhaftigen
Vorbildern unterscheiden.
Da sind zuerst Menschen in festlichen Trachten, als Begrüßung, dahinter die Landkarte
Zyperns mit der Lage des Ortes Lefkara am östlichen Rand des Troodos- Gebirges.
Thema 1: Traditionelles Handwerk:
Ich konnte nicht alles mit der Kamera aufnehmen. Das Halbdunkel erschwerte die Fotoarbeit.
Ich hätte ein Stativ haben müssen.
Ein Bild ist der bodenständigen Landwirtschaft in alten Zeiten gewidmet.
Ein Bauer mit Holzpflug. Ein Joch für zwei
Ochsen lehnt an der Wand, ein Bild zeigt seine
Anwendung. Es ist die Zeit vor der Motorisierung.
Lange liegt sie noch nicht zurück. Der hier im
Städtchen hoch entwickelten Stickerei ist eine
Szene gewidmet. Zwei Frauen sitzen in
landesüblicher Kleidung mit Kopftuch und häkeln
und sticken an den dünnfädigen Kunstwerken.
Ein Konditor zeigt stolz auf seine gefertigten
Süßigkeiten aus Mandeln, Nüssen und Zucker,
eine zyprische Spezialität. Eine Dorfschule.
Fischer sind bei der Arbeit im nächsten Bild. Man
sieht sie beim Netze flicken und Fischkörbe
flechten. Auch dem Alltag mit einer Szene im
Kaffeehaus, dem Kafenίo, ist gedacht. Auf dem
Tisch liegt das beliebte Back Gammon. Sie
rauchen und trinken Kaffee, den der Wirt im
Hintergrund aus einer Eigenbau- Konstruktion
entnimmt. Das Radio im Hintergrund lässt auf die
Zeit nach dem 2. Weltkrieg schließen. Ein
Brautpaar in festlicher weißer Tracht steht vor
dem Popen. An ihre Kleidung sind, einem alten
Brauche gemäß, Geldscheine angehängt,
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 61
Hochzeitsgeld, das ihnen die ersten Anschaffungen erleichtert. Ein alter Backofen.
Thema 2: Die prähistorische Zeit:
Die Gewinnung von Kupfer vor allem in der Antike, aber auch bis in die jüngere Neuzeit, ist
ein wichtiges Element des Inselreichtums, obwohl die kleinen Leute nichts davon hatten als
Fronarbeit. Ein bärtiger Mann in weißem Kittel hockt auf einem Stein und schlägt Kupfererz
in kleine Stücke. Hinter ihm brennt ein Schmelzofen.
Thema 3: Königtum /Religion:
Richard Löwenherz mit Frau Berengaria ist ein Bild gewidmet. Die Staffage ist grob. Über
die historische Echtheit der Kostümierung lässt sich streiten. Ein daneben stehender Ritter
weist in die kurze Zeit, da 1191/92 Löwenherz sich die Macht auf Zypern angeeignet hat.
Stellvertretend für die westlichen Mächte England und Frankreich, siedelt er den katholischen
Glauben auf Zypern an und verhilft dem Geschlecht der Lusignans 39 zu 300 Jahren Herrschaft
auf der Insel.
Zwei Mönche in weißen Kutten weisen auf die Begebenheit mit den 13 Mönchen in
Kantara 40 um das Jahr 1231. Zypern wurde regiert durch das feudale System der Lusignans,
welches das Volk und auch die griechisch orthodoxe Religion massiv unterdrückte. Die
Lusignans glaubten, ihre Sprache, ihre Rechtsformen und ihre Kultur der Bevölkerung
leichter aufzuzwingen, wenn sie die katholische Religion durchsetzen. Der orthodoxe Klerus
der Insel wehrte sich inständig, und viele Kirchenleute wurden ins Exil verbannt. Der Gipfel
der Unterdrückung wurde erreicht, als man im Jahre 1231 13 Mönche auf Kantara festsetzte,
weil sie sich dem Dogma der katholischen Bischöfe widersetzten und ihre Bekehrung
verweigerten. Drei Jahre lang wurden sie gefoltert, und als sie sich fortgesetzt weigerten, die
Konfession zu wechseln, ordnete der Vatikan an, dass sie hingerichtet und als Strafe für ihre
Ketzerei bei lebendigem Leibe verbrannt würden.
Thema 4: Kampf um die Unabhängigkeit:
Wie schon weiter vorn beschrieben, ist auch die Hinrichtung des Erzbischofs Kyprianos
und seiner Getreuen nachgeformt. Mit ergebenem, ins Jenseits gerichtetem Blick erwartet er
seine Strangulation durch die türkischen Henker. Es war die Zeit der Enosis.
Auch die britischen Kolonialherren hängen
zypriotische Unabhängigkeitskämpfer.
Die näheren Umstände auf allen Schildern
nachzulesen, nahm ich mir nicht die Zeit.
1878 besetzte Großbritannien (bei formeller
Anerkennung der türkischen Oberhoheit) die
Insel, 1914 annektierte es sie; 1925 wurde
Zypern britische Kronkolonie.
Thema 5: Türkische und englische Herrschaft:
Eindrucksvolle
Studien
der
von
den
Lebensgewohnheiten
der
konservativen
englischen Oberschicht, die sie aus England
mitbrachten, eisern daran festhielten und bis heute pflegen, werden in Wachsmodellen gezeigt,
Bilder eines britischen Gouverneurs, aber auch eines inhaftierten Widerstandskämpfers in der
Todeszelle, es ist alle so nah, so echt….Die Figuren blicken dich an, fordern dich auf…
Ein Gang führt an den einzelnen Boxen vorbei. Er ist spärlich erleuchtet. Schon starke Lampen
39
Lusignan, [lyzi'njã], französisches Adelsgeschlecht aus dem Poitou, stellte Könige von Jerusalem (11791291), von Zypern (1192—1489) und von Kleinarmenien (1342—1375).
40
Kantara, (arab. Brücke, Bogen) Festungsruine aus dem 10. Jh. am Eingang zur Halbinsel Karpaz im Osten
Zyperns (türkisch besetzt), östlichste der drei Festungen des Pentáktylosgebirges, die im Mittelalter zum Schutz
der Insel errichtet wurden.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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würden viel Wärme erzeugen, schädlich für das konservierte Wachs. Wieder bin ich vom
Zeitlimit bedrängt.
Thema 6: Die zyprischen Kämpfer und ihr Opfermut:
Eine Schießerei wurde gezeigt. Ein Camp wird gestürmt. Tote hängen im Stacheldraht. Ich
kenne die Einzelheiten nicht.
Seit 1955 führte die Untergrundorganisation EOKA unter G. Grivas einen Guerillakampf
gegen die britische Kolonialmacht, die mit harten Repressalien antwortete. Gleichzeitig kam es
zum Konflikt zwischen den interessierten Mächten: Großbritannien wünschte den Fortbestand
des Kolonialstatus, Griechenland den Anschluss, die Türkei eine Teilung der Insel. 1959 wurde
der Konflikt durch das Londoner Abkommen zunächst beigelegt: Zypern erhielt die
Unabhängigkeit, die von den drei Mächten garantiert wurde. Für das Verhältnis der
Nationalitäten wurde eine vorläufige Rechtsgrundlage geschaffen; Großbritannien wurden
Militärstützpunkte zugestanden. Makarios wurde zum Staatspräsidenten gewählt. Am 16. 8.
1960 erfolgte die Unabhängigkeitserklärung.
Kennzeichnend für die Verfassung von 1960 blieb der institutionalisierte Dualismus von
griechischer Mehrheit und türkischer Minderheit. Alle Staatsorgane wurden im Verhältnis
70: 30 besetzt. Das aus 35 griechischen und 15 türkischen Abgeordneten bestehende
Repräsentantenhaus wurde nach allgemeinem, gleichem, geheimem und direktem Wahlrecht
bestellt, jedoch wählten beide Nationalitäten ihre Abgeordneten in gesonderten Wahlkreisen.
Auch der griechische Präsident und der türkische Vizepräsident (F. Küçük) wurden getrennt
gewählt. Als Makarios 1963 dieses System zugunsten der griechischen Mehrheit beseitigen
wollte (Aufhebung des Proporzes bei Wahlen und Stellenbesetzungen), kam es zu blutigen
Kämpfen zwischen den Volksgruppen. Die UN entsandten 1964 eine Sicherheitstruppe, die
noch heute auf Zypern stationiert ist.
In der 2. Hälfte der 1960er Jahre beruhigte sich die Lage, doch kam eine Verständigung trotz
jahrelanger Verhandlungen nicht zustande. Inzwischen entstand bei Teilen der griechischen
Zyprioten Missstimmung gegen Makarios, der die Enosis- Bewegung nur noch formell zu
unterstützen schien. Seit 1972 trat die von Grivas († 1974) geführte EOKA wieder mit
Terroranschlägen, jetzt gegen Regierungsmitglieder und Regierungseinrichtungen gerichtet, in
Erscheinung. Gegen Makarios wandte sich auch ein Teil des Klerus.
Am 15. 7. 1974 putschte dann die von griechischen Offizieren befehligte und von der
Regierung Griechenlands gesteuerte Nationalgarde gegen Makarios. Makarios verließ
vorübergehend das Land.
Alles das haftet dieser Generation und auch ihren Kindern noch frisch im Gedächtnis.
Themen 7 und 8: Türkische Invasion und gegenwärtige Geschichte der Teilung:
Unter dem Eindruck eines drohenden Anschlusses der Insel an Griechenland landeten am 20.
7. 1974 türkische Truppen und besetzten den Nordosten der Insel, rund 40% der Gesamtfläche.
Es kam zu großen Bevölkerungsverschiebungen (Flucht, Vertreibung, Umsiedlung).
1975 erklärte sich der türkische Teil zum „Föderativen türkisch-zypriotischen Staat“, dessen
Präsident R. Denktasch wurde. Verhandlungen zwischen den Volksgruppen blieben
ergebnislos, da die Griechen auf einem Einheitsstaat mit begrenzt autonomen Kantonen
bestanden, während die Türken eine lose Föderation zweier weitgehend selbständiger Staaten
forderten.
Dieser Ausstellung muss man einfach mehr Zeit gönnen. Hier ist ansatzweise Geschichte,
punktuell, optisch aus ihrem Dunkel herausgehoben worden. Die dargestellten Begebnisse
hatten vor Ort für mich noch viele Fragezeichen. Kaum, dass ich einzelne Schlüsselereignisse
erfahren habe- ich war noch fremd im Land. Ich begann gerade mich hinein zu denken. Heute
weiß ich mehr. Lexika, mitgebrachte Prospekte, Internet- Recherchen und Bücher verrieten mir
ihr Wissen, das ich jetzt versuche zusammenzufassen.
Sehr drastisch, besonders bedrückend fand ich die Darstellungen von Märtyrern, Volkshelden,
Kämpfern, Kirchenführern, Aufständischen und Rebellen in Kerker, Haft und vor der
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Hinrichtung, die bis in die Einzelheiten nachgestellt waren. Kurz vor dem Ausgang glänzten im
tadellosen Anzug zwei Präsidenten der Republik.
Seit 1974 gaben oder nahmen sich das Zepter in die oder aus der Hand:
• Präsident Glafkos Klerides (18. Juli 1974 bis 7. Dezember 1974 Interimspräsident)
• Präsident Erzbischof Makarios III. (7.Dezember 1974 bis 3. August 1977 †)
• Präsident Spyros Kyprianou (31. August 1977 bis 28. Februar 1988)
• Präsident Georges Vassiliou (28. Februar 1988 bis 28. Februar 1993)
• Präsident Glafkos Klerides (28. Februar 1993 bis 1. März 2003)
• Präsident Tassos Papadopoulos (seit 1. März 2003)
Am Ausgang kam ich mir wie ein kleiner Entdecker vor.
Zyperns wechselvolle Geschichte war mir wieder ein wenig
näher gerückt.
Dann hatte ich noch 20 Minuten bis zum verabredeten
Zeitpunkt, suchte Martina, fand sie in den wie ausgestorben
scheinenden Straßen dieser Stickerei- Hochburg nicht und
machte nun einen kleinen Rundgang. Zahllose Geschäfte mit
textilen Angeboten lockten den Besucher zum Kauf von
gehäkelten und bestickten Decken, Tüchern, Laken,
Vorhängen, Gardinen, Stolen, Servietten, ja sogar
Sonnenschirme habe ich gesehen.
Die andere Sparte an speziellem Handwerk dieses Ortes sind
die Silberwaren. Da findet man Schmuck für jeden
Körperteil, gediegen und filigran, Ringe, Ketten, Diademe,
Armbänder, wertvoll eingefasste Uhren, ich habe mich nicht sonderlich darauf eingelassen, bin
auch
in
kein
Geschäft
hinein
gegangen;
ich
wollte
nichts
erwerben.
Mit einer Stickerin, die an der Straßenecke vor ihrem Laden saß und mit einer Lochstickerei
beschäftigt war, knüpfte ich ein kleines Gespräch an, lobte ihr Tun, weil ich weiß, wie viel
Arbeit und Mühe darin steckt. Irgendwann wird diese unterbezahlte Handarbeit wie auch schon
das Klöppeln nur noch als bewahrte Volkskunst in Museum konserviert werden. Hier dient sie
noch dem Broterwerb. Bereitwillig zeigte sie mir, wie sie kleine Löcher aus dem
Leinengewebe herausschnitt, deren Ränder sie dann mit winzigen Stichen und unendlicher
Geduld umnähte- Lochsaumstickerei ist Kunst. Die Ruhe im Ort, das Klima jetzt im Herbst
sind natürlich eine heilsame und helfende Umgebung. Aber was hilft das alles, wenn die
Kunden - so wie ich - nur Interesse zeigen und nichts kaufen?
Lefkara hat noch seinen Ruf durch ein anderes Image. Berühmt
auf ganz Zypern ist dieser Ort wegen seiner schönen
Holzbalkone, die die Häuser schmücken. Das fiel mir beim
weiteren Rundgang auf. Ich untersuchte mit meinem Fotoapparat
einen Tordurchgang, und als einer Frau meine Neugier auffiel,
lud sie mich ein näher zu kommen und winkte mich in den
Hinterhof, der noch schöner war als die Straßenseite. Von hier
hinten konnte ich einen Blick hinunter in die Ebene genießen.
Der Einsatz von Holz
muss auffallen, da das
Land ja sehr holzarm
ist. Natürlich gehört
Lefkara schon in das
Gebiet des TroodosGebirges, was ein Blick nach Norden bestätigt,
wenn man von der Hauptstraße in den engen
Nebengassen nach oben schaut. Ich musste
Abschied nehmen, traf die Truppe am Bus wieder,
schwatzend und ihre Beute betrachtend.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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XII. Ins
östliche Troodos- Gebirge – Ankunft in Agros
Genau 14.15 Uhr setzten wir unsere Reise fort. Nun sollte es weiter hinauf ins TroodosGebirge gehen. Am Abend würden wir im Hotel Rodon in Agros sein und vier Tage und
Nächte dort oben verweilen.
Antonio, hinter dem wir saßen, klebte sich das Handy ans Ohr, neigte lauschend den Kopf und
meldete danach, es würde da oben mächtig regnen. Diese Meldung erhielt dadurch Gewicht,
dass das so ziemlich die ersten Regenfälle dieses Herbstes sind und auch uns ein wenig
beeinträchtigen würden. Abwarten. Schwere, finstere Wolken trieben am Horizont. Bald
knallten die ersten Tropfen an die Scheiben des Busses. Der Regen erreichte uns mit kurzen
heftigen Schauern also schon während der Fahrt. Das kann ja heiter werden! So willkommen
das Nass bei den Einwohnern ist: Wir Touristen lernen das Land lieber im Trockenen kennen.
Die E110 windet sich, dem Diktat der Höhenlinien in der Topografie folgend, langsam immer
höher hinauf. Wundervolle Wolkenbilder sind in der Ferne zu beobachten.
In Agio Ioannis ergriff Antonio das Mikrofon und erzählte uns schmunzelnd die ganz
außergewöhnliche Mär, dass wir hier in „Klein- Moskau“ sind. „Hier wohnen eine ganze Reihe
Leute, die alle Lenin oder Stalin heißen“, meinte er. Den Dorfplatz, den wir gerade
überquerten, nannte er den Roten Platz.
Kartenausschnitt EASTERN TROODOS AREA um Agros, M. 1 : 60 000 – Nr. 40: Hotel Rodon
Nach einer reichlichen Stunde Fahrt erreichen wir unser Ziel. Das „Rodon- Mount Hotel and
Resort“ ist ein stattlicher Hotelkomplex in etwa 1100 m Höhe. Um gleich diese Beschreibung
zu erledigen: Es hat 123 Doppelzimmer, 24 Familiensuiten, 2 Einzelzimmer, je eine
Präsidenten und eine Hochzeitssuite, also Platz für rund 300 Personen. Unser Zimmer lag nach
hinten hinaus. Vom Balkon sah ich direkt links vor uns einen grünen, blühenden Felsen und
rechts den Hotelgarten mit hellgrünen Olivenbäumen und dahinter in der Ferne die dunstigen
Hügel des bergigen Umlandes. Agros liegt im Herzen des Pitsilia- Gebirges.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Das Abendessen sollte es erst 19.30 Uhr geben, wir nutzten die verbleibende Zeit zu einem
ersten Erkundungsspaziergang in der Umgebung des Hotels. Alles war noch frisch, feucht und
nass vom Regen, der hier kurz und heftig niedergegangen war. Ich stieg, Martina hinter mir her
lockend, auf eine kleine Anhöhe, von der wir gut sahen, dass das Dorf Agros weit unten im Tal
sich hinzog, etwa 200 m tiefer, terrassenförmig in der leichten Hanglage sich hinziehend.
Wir
entschlossen
uns,
der
steigenden Straße folgend, noch
weiter höher zu steigen. Bald
standen wir an einer Baustelle.
Von ihnen sahen wir in den
nächsten Tagen noch mehrere, so
dass man annehmen kann, dass
diese Gegend prosperiert. Die
Urlauber tragen sicher sehr viel
Geld hierher. Wir hatten bald das
bewohnte Areal hinter uns
gelassen. Neugier trieb uns immer
weiter, zumal der Weg nun flach
den Windungen der Terrassen
folgte, in die die Hügel abgetreppt
sind und sämtlich dem Obst- oder
Weinanbau dienen.
Das Dorf Agros, etwa vom Hotel Rodon gesehen
Es ist Oktober und die Zeit der Weinlese. Rechts von uns hingen die blauen und gelben
Trauben schwer an den teilweise uralten Reben und luden zum Naschen regelrecht ein.
Wir kosteten, naschten die köstlichen Beeren, suchten die
größten aus. Jeder entdeckte noch größere. Wir waren wie im
Rausch. Solch eine Gelegenheit hatten wir noch nie gehabt.
Einsam und allein in der Abenddämmerung im fremden Land,
umschlossen von göttlicher Stille und den herbstlichen Farben.
Das Laub troff noch von der Nässe und blinkte in der
Abendsonne. Die Stimmung verzauberte uns. An der
Wegbiegung, hangabwärts, werkelte ein alter Mann mit seinem
Esel. Uns überkamen nun doch einige Skrupel wegen des
kleinen Mundraubes, dessen wir uns für schuldig hielten,
zumal Martina in eine Plastiktüte einigen Vorrat abgezupft
hatte. Wir hielten uns etwas verborgen. Er war auch noch ein
Stück entfernt. Doch dieser alte Bauer hatte mit seinem
schweren Tagewerk zu tun und achtete unser nicht.
Wir machten uns auf den Rückweg, nicht ohne über die Weitsicht in die Bergwelt des Troodos
ins Schwärmen zu geraten, die Braun- und Goldtöne, die die untergehende Sonne zum
Leuchten brachte, die frische, vom Regen gereinigte und gefilterte Bergluft des Pitsilia.
Ich atmete tief durch. Welch ein Gegensatz zu
der Glutluft gestern am Kap Grekko!
Das Abendessen war gegenüber dem
Schlemmer- Angebot des Cavo Maris mäßig.
In dem großen Saal wirkte unsere Gruppe mit
etwa 30 Leuten verloren. Das Saisonende war
deutlich zu spüren. Ich genoss diese Ruhe.
Für die nächsten Tage nahm ich mir vor, den
Swimming- Pool zu nutzen. Draußen ist es
jetzt schon herbstlich frisch. Ich stöbere noch
ein wenig in einer Informationsmappe von
Hellas- Reisen, um für morgen ein Ziel zu
Hotel Rodon in Agros, Troodos- Gebirge
finden- mit wenig Erfolg.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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XIII. Wanderungen
um und in Agros und Mezé- Essen in der Taverna
Dienstag, 3. Oktober 2006
ir erleben den sechsten Tag unserer Reise. Erst 16 Uhr treffen wir uns alle wieder zu
gemeinsamem Tun. Heute Vormittag müssen wir unser Programm selbst gestalten.
Im Baedeker las ich von dem ehemaligen Kloster Palaichóri, einem kleinen
malerischen Ort, der etwa 10 km Luftlinie von hier entfernt liegt. Hier soll es eine Kirche aus
dem frühen 16. Jahrhundert geben, die voll mit schönen Fresken ausgekleidet ist.
Weltkulturerbe der UNESCO. Ich interveniere bei der Reiseleitung- keine Möglichkeit.
Außerdem lese ich, das nur montags und mittwochs geöffnet ist. Zum Laufen ist es zu weit.
25 km Wanderung würde uns beide überfordern. Also laufen wir beide, Martina und ich,
einfach los, aufs Geratewohl.
W
Anfangs gehen wir einige Zeit mit dem Ehepaar Schelter aus Erfurt, doch Martina will immer
wieder ausscheren. Sie ist heute nicht sehr kommunikationsfreudig. Außerdem wandert sie
nicht gern in Gesellschaft. Ich will zudem etwas höher hinaus- man nehme das nicht allzu
wörtlich. Wir wählen einen Pfad, der in die Höhe führt, Schelters folgen den Windungen der
Straße weiter. Tschüs.
Wir sind hier in der Gegend von Agros mitten in den Pitsilia- Bergen, die ein östlicher Teil
des Troodos- Massivs sind. Ihre Hügel und Täler pendeln zwischen Höhen von 1100 und
1400 Metern. Die Strahlen der Sonne wärmen kräftig, doch die frische Bergluft mildert das
Klima. Wir treffen ein uraltes Bauernpaar, das auf einem ebenso uralten Toyota- Pickup aus
seinem Weinberge kommt. Auf der Ladefläche Plastikkisten mit Trauben. Wir grüßen. Sie
winken zurück. Sie haben Wein gelesen, ohne fremde Hilfe, ohne jugendlichen Nachwuchs.
Es ist die Situation wie bei uns: Landflucht. Die Alten sterben aus. Ich denke an die steinalten
Rebstöcke von gestern Abend und den alten Mann mit seinem Esel. Es gibt hier Weinberge,
langsam verfallende Terrassen, die nicht mehr bearbeitet werden, weil die Besitzer zu alt und
ohne Nachwuchs sind. Wie doch die Folgen der Weltwirtschaft bis in die kleinsten und
fernsten Winkel dringen! Uralte, jahrhundertelange Traditionen sterben in weniger als einer
Generation.
Wir steigen stetig. Bald können wir das Rodon- Hotel ganz weit unten sehen, fast wie bei
einer Luftaufnahme. Da weitet sich mein Herz. Das ist der Lohn des Steigens, der Mühe. Der
Brustkorb dehnt sich- tief durchatmen: Wie schön ist das Leben! Wie schön ist die Natur!
Weit hinten am Horizont strecken sich
die blauen Berge des TroodosGebirges mit der weißen Kugel des
knapp 2000 m hohen OlymposBerges, der höchsten Erhebung von
Zypern. Um uns ist nun vertrocknetes
Gesträuch und dorniges Gestrüpp. Wir
sind jetzt in der Höhe, auf fast nicht
mehr erkennbaren Wegen der Winzer,
die zu ihren Besitzungen führen.
Nichts ist abgegrenzt. Ich will hoch.
Wir stapfen einen steinigen Pfad, der
am immer steiler und abschüssiger
werdenden Hang entlang führt und
irgendwann aufhört ein Weg zu sein.
Blick auf das Troodos- Gebirge mit dem Olympos
Ich schaue nach oben und sehe einen Strommast. Der wird sicher an einem Weg stehen und
zugänglich sein. Nun klimmen wir die Falllinie empor, müssen manchmal die Hände beim
Klettern zu Hilfe nehmen. Martina beklagt sich schon, ich hätte sie in die Irre geführt. Ich
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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tröste, rede ihr gut zu. Ab und zu bleibe ich besinnend stehen, bin entzückt über die herrlichen
gelben Blütenstände der Disteln, fotografiere sie. Martina wettert vor sich hin.
Dann stehen wir oben. Es ist ein Weg, wenngleich es noch kein
Gipfelpunkt ist. Erst von hier sieht man, dass es noch höher
geht. Der Platys drüben auf der Kette jenseits des Tales ist
1420 m hoch. Wir stehen jetzt vielleicht auf etwa 1300 m,
entschließen uns wieder nach unten zu gehen. Der Weg führt in
das Tal hinunter, in dem der nördlichste Teil des Dorfes Agros
liegt. Wir kreuzen den Europäischen Fernwanderweg E4,
markiert mit dem blauen E. Wir suchen eine Sitzgelegenheit
für eine kleine Pause, finden nichts Passendes, bleiben stehen
und Verschnaufen. Überall verstreut liegen hier Papphülsen
von Geschossen aus Jagdgewehren. Ich glaubte auch einmal
einen Knall gehört zu haben. Die Bauern der Gegend gehen auf
die Jagd. Worauf schießen sie? Ich habe hier keine wilden
Tiere beobachten können. Den Prospekten zufolge soll es
Mufflons geben. Kein Schatten. Es wird heiß. Aus dem Tal
Distelblüten wie kleine Sonnen
klingt helles Kinderlachen, Schulhoflärm herauf.
Eine Abzweigung verlockt zum Erobern des nächsten Dorfes, es sind nur wenige Kilometer.
Doch wir wenden uns nach rechts, der Weg fällt angenehm. Sogar Pfützen vom gestrigen
Regen stehen noch an schattigen Stellen. Vögel zwitschern. Wir naschen wieder ein paar
Weintrauben. Verlockend reifen die samtblauen Beerendolden und scheinen zu rufen: Pflücke
mich, pflücke mich! Bald sehen wir weiter unten Leute winken, die zu uns heraufsehen. Hallo!
Sie haben das Tal von der anderen Seite her erkundet und kommen uns nun entgegen. Bald
treffen wir sie. Wir tauschen unsere Erfahrungen aus. Der Vormittag ist noch nicht vorbei.
Tschüs! Bis bald. Nun nimmt uns die aus Agros heraufführende Straße auf. Sie gabelt sich
bald. Ein Zweig führt nach Pelendri und am Ende an die Küste nach Limassol, der andere nach
Chandria und westwärts hinauf in das Troodosgebirge. Beide Richtungen werden wir in den
nächsten Tagen kennen lernen. Jetzt aber wandern wir wieder nach Agros hinein. Die
Asphaltstraße holt weit aus. Auf ihren Serpentinen haben wir immer Agros im Bild.
Diese ziehen sich in die Länge. An einem
Neubau, der mit viel Beton und massiven
Stützwänden an den Hang gebaut wird, ruhen
wir aus, trinken einen Schluck Kaffee und
essen einen Pfirsich. Nun geht es immer
bergab, hinein ins Dorf. Es wird viel gebaut.
An einem Haus denke ich, ich sehe nicht
recht: Da steht auf einem hohen Betonsockel
eine Freiheitsstatue mit Strahlenkrone, die
Fackel in die Luft gereckt, die keine ist,
sondern eine stinknormale Glühbirne. Im Arm
trägt sie ein Buch und ein seltsames Zepter.
Soll das ein Wahrzeichen von Agros werden? Ich bin verstört.
Langsam beginnen die Füße zu schmerzen. Die schiefe Ebene des
harten Asphalts staucht. Ich suche das weiche Bett der von den
Pinien abgeworfenen Nadeln, die am Straßenrand das Gehen
erleichtern. Dann sind wir unten im Ort. Eine Gärtnerei mit
Tausenden Rosen in langen Beetreihen lässt einen Erwerbszweig
erahnen, den wir heute Nachmittag noch besser kennen lernen
werden. An einem Pfirsichhain versucht Martina, ein paar Früchte
zu ernten. Sie sind trotz ihres reifen Aussehens noch sehr hart und
fast nicht genießbar. Schade. Es ist wie im Paradies hier, wo die
Früchte in den Mund wachsen. Bald steigt die Straße wieder. Zum
Hotel hinauf wird es noch einmal richtig beschwerlich.
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Wir ruhen uns ein Weilchen im Hotelzimmer aus, trinken, essen ein wenig, sitzen auf dem
Balkon, genießen die Ruhe. Dann ist die Zeit heran, 16 Uhr, wo wir uns alle treffen, um
gemeinsam wieder zu Tale zu ziehen und das Nachmittags- und Abendprogramm zu erleben.
Wir gehen den gleichen Weg zurück, biegen dann aber am Sportzentrum rechts ab. Wir
werden aufgeklärt über den besonderen genossenschaftlichen Charakter des Dorfes. Alle
Einwohner haben eine Kooperative gebildet, ihr Vermögen zusammengetan und mit ihrem
Geld das Rodon- Hotel gebaut. Sie sind nun alle daran beteiligt, und etliche arbeiten dort,
etwa 30 Leute. Andere wieder versorgen das Hotel mit Obst und Gemüse, mit Fleisch und
Brot, mit Blumen, Andenken und Wein. So versorgt das Hotel den Bewohnern Arbeit. Diese
haben sogar eine eigene Bank gegründet, ein einmaliges Beispiel in Zypern, das jedoch jetzt
Schule macht und auch anderswo nachgeahmt wird.
Für den Winter, wenn die Touristen ausbleiben,
haben die findigen Agros- Leute einen Dreh
gefunden, Menschen hierher zu bringen. Sie
organisieren
sportliche
Wettkämpfe,
Trainingslager und Schulungen in einem
großzügig ausgestatteten Komplex, der sogar
einer größeren Stadt würdig wäre. So ist auch im
Winter das Hotel ausgelastet. Erstaunlich.
Nun haben wir eine Begegnung mit der
Vergangenheit- könnte man sagen.
An einer Straßenkrümmung kommt uns ein alter Mann mit seinem Esel entgegen, ein Bild wie
es sich die Reisejournalisten wünschen, wie es auf den Reiseprospekten zu sehen ist, auf
Umschlägen auf Büchern über Zypern, kurz gesagt ein Klischee, das heute nicht mehr der
Wirklichkeit entspricht, ein Esel auf Zypern als Transportmittel. Gut, man sagt, Agros sei noch
ein Dorf. Immerhin braucht das Tier ganzjährig Futter. Dennoch kann ein Esel kaum noch den
benzingetriebenen Tieren Konkurrenz bieten. Nur vielleicht noch in den schwer zugänglichen
Wein- Terrassen leistet es vereinzelt Hilfe, das unendlich geduldige, manchmal etwas
eigensinnige, genügsame Grautier, das in unserem Falle ein hübsches Kaffeebraun aufweist.
Alle rissen natürlich die Fotoapparate an die Wange,
hielten voll drauf, bedrängten sich gegenseitig- man
will ja diese Szene möglichst ohne die störenden
Touristen einfangen. Es gab heillose Aufregung. Der
arme Mann tat sein Bestes, machte gute Miene zum
bösen Spiel, denn er hatte nichts davon, dass er so
plötzlich im Mittelpunkt stand. Er zog das Eseltier
stumm hinter sich her, dies trabte Schritt für Schritt
gemächlich den Berg hoch. Der Bauer verhielt einen
kurzen Moment, lachte verlegen und trollte sich von
dannen.
In dieser Zeit musste ich auch versuchen, ihn möglichst günstig einzufangen und fluchte
innerlich auf den Menschenjäger, der immer in vorderster Linie im Wege stand. Noch
schlimmer sind in neuer Zeit die Videofilmer, die unbeweglich zu deinem gewählten Objekt
die Sicht verderben und erst dann weggehen, wenn alles vorbei ist. Sie sind den Rauchern
gleiche taktlose Egoisten.
Wir stehen vor dem Anwesen der Familie Tsolakis, dem „House of Roses“, Rosenhaus und
treten neugierig in die kleine Werkstatt.
Grundidee war, aus den hier gezüchteten und geernteten Rosen die Blätter auszupressen und
allerlei Produkte daraus herzustellen: Duftendes Rosenwasser, Rosenöl, Rosenlikör, Rosengeist
(hochprozentiger Schnaps), Rosensüßigkeiten und sogar Wein mit Rosengeschmack. Dazu
gesellt sich eine kleine keramische Werkstatt, in der gleich die entsprechenden und
ansprechenden Gefäße getöpfert werden. Hier standen wir nun und staunten.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Beeindruckend vor allem
die mühsame Handarbeit
und die Menge von
Blättern, ehe man einen
Tropfen Rosenöl daraus
gewonnen
hat.
Wir
umstanden zunächst dem
Töpfer, der eine Serie
kleiner Krüge auf das
Brennen vorbereitete. Es
Traditionelle Rosenwasser- Destillation
stand auch ein kleiner
Brennofen in der Ecke. Wir schauten einem jungen Mann über
die Schulter, der den frisch in Schablonen geformten Tonkörpern
mit einem Messer die Grate entfernte. Bald rief Antonio zur
Verkostung an eine kleine Theke.
Jeder durfte entweder einen Rosenschnaps oder ein Glas
Rosenwein kosten. Ein Novum für meinen Gaumen, aber
es haute mich nicht um, da ich Alkohol gegenüber
äußerst skeptisch bin. Martina prüfte ein Angebot an
rosenblättrigen Duftkerzen und Rosenseifen. Alles sehr
verlockend, aber für uns nicht praktikabel. Ein winziger
Verkaufsraum nebenan füllte sich langsam mit
Neugierigen. Es sind sehr originelle Vasen und
Porzellankompositionen darunter, alle in irgendeinem
Bezug zur Rose. Beinahe hätten wir gekauft, dachten aber
im letzten Moment an das Fluggepäck.
Wir liefen zurück und sollten nun die Bekanntschaft von
Nikis machen, einer energischen, selbstbewussten Frau, die
sich mit ihren häuslichen Ideen und Rezepten zur
Marmeladen- und Konfitürenherstellung ein kleines, gut
gehendes Geschäft aufgebaut hat. Hier bietet sie aus
heimischen Früchten erzeugte Konfitüren, Honig,
Süßigkeiten an. Wir stiegen eine Treppe hinunter- ihr Haus
war an den Hang gebaut und nutzte die Schräge. Da im
Untergeschoss befindet sich die Küche. Frau Nikis
beschäftigt zwanzig Frauen, die das Obst putzen,
zerkleinern, kochen, rühren, formen, abfüllen. An fahrbaren
Gerüsten hängen in langen Schnüren die Soudzsoúkos, das
sind
aufgereihte
Mandeln
oder
Walnüsse,
in
karamellisiertem und geliertem Traubenmost getränkt,
getrocknet und dann in Schnuren aufgefädelt. Wir durften
ein Stück naschen- köstlich!
Soudzsoúkos
Im Laden fiel die Wahl schwer. Honig gab es von
Thymian, Wald- und Sommerblumen, Glykó, in
Gelee eingelegte süße Früchte, Tomatenpüree,
Konfitüren aus Beeren, Kiwis, Quitten, Kirschen und
Pfirsich. Wir nahmen ein Glas Feigenkonfitüre mit.
Nun spazierten wir in langer Kette in Richtung
Kirche, die wir von Nikis schon übers Tal hinweg gut
gesehen haben. Als Zwischenziel wählte Antonio eine
Terrasse, sie gehörte zu einem Kafenío, das auf der
anderen Straßenseite lag.
Agros: Nikis- Cyprus home made Sweets
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Die Kirche des Ortes konnte man gut von hier oben sehen. Kaffeepause. Die Glocken läuteten
zur Abendandacht.
Antonio schlug vor, hineinzugehen, um den Ablauf eines griechisch- orthodoxen
Gottesdienstes einmal lebendig zu erleben. Später belese ich mich:
Orthodoxe Kirchen (von altgriechisch ορθός – richtig oder geradlinig, und δόξα – glauben)
nennen sich die christlichen Kirchen des byzantinischen Ritus, die im griechischen Kulturraum
entstanden oder von dorther gegründet worden sind.
Die kirchlichen Traditionen und Lehren der orthodoxen Kirchen nahmen ihren Anfang im
byzantinischen Reich mit seinem Zentrum Byzanz bzw. Konstantinopel. Deshalb spricht man
auch von der griechischen Kirche im Gegensatz zur lateinischen Kirche bzw. römischen Kirche.
Der Begriff Ostkirchen ist ebenfalls gebräuchlich,
Das Sakrament der Weihe ist in drei Stufen aufgeteilt.
Die erste Stufe ist das Diakonat, die zweite das Priestertum und die dritte die des Bischofs.
Die Weihe können nur Männer empfangen. Nur die Bischöfe, die meist (fast immer) zugleich
auch Mönche sind, sind zum Zölibat verpflichtet. Allerdings sind auch die Bischöfe oft nicht
ursprünglich aus dem unverheirateten Klerus, denn es werden häufig verwitwete Priester zum
Bischof geweiht. Priester und Diakone dürfen verheiratet sein, allerdings nicht nach der
Subdiakonweihe heiraten. Wenn sie verwitwen oder sich von ihrer Frau trennen, müssen sie
unverheiratet bleiben. Neben dem Weihesakrament kennen die orthodoxen Kirchen auch die
so genannten Niederen Weihen zum Lektorat und Subdiakonat (Hypodiakon).
Die Ämter sind in eine kirchliche Hierarchie eingebunden: An der Spitze steht der Patriarch,
Erzbischof oder Metropolit als primus inter pares unter den Bischöfen, dann kommen Bischof
(griech. επίσκοπος episkopos, eigentlich Aufseher oder Vorarbeiter), Priester (griech.
πρεσβύτερος presbyteros, eigentlich Ältester), und Diakon (griech. διάκονος diakonos,
eigentlich Helfer oder Tischdiener).
Subdiakon, Vorleser, Sänger und Türhüter sind weitere Ämter ohne sakramentale Weihe und
ohne Altardienst, die ihren Ursprung in der frühchristlichen Liturgie haben, heute aber zum Teil
andere Funktionen haben als die Namen nahe legen.
Bekenntnisgrundlagen sind Bibel und Tradition. Die Tradition ist fixiert durch die Beschlüsse der
ersten 7 ökumenischen Konzilien (1. Nicäa 325 bis 7. Nicäa 787); sie ist ferner durch die
Lehren der Kirchenväter, die Aussagen im reichen liturgischen Gut und durch spätere wichtige
Synoden bestimmt (1642 Jassy [Rumänien], 1670 Jerusalem). Die Feier der „göttlichen
Liturgie“, die 7 Sakramente, der Vollzug von Sakramentalien (Weihehandlungen), die
Verehrung der Ikonen, Gebete und Hymnen nehmen im Leben der orthodoxen Kirchen einen
breiten Raum ein.
Im Mittelpunkt der orthodoxen Spiritualität steht die reiche, hauptsächlich gesungene Liturgie
voller Symbolik, deren heutige Form großteils bis ins vierte Jahrhundert zurückgeht, in ihrer
Grundstruktur wohl sogar bis ins erste und zweite Jahrhundert. Die Form des ersten Teils der
Liturgie, die so genannte Liturgie der Katechumenen mit Gebeten und Bibellesungen, geht auf
den jüdischen Synagogengottesdienst zurück, wie er zur Zeit Jesu üblich war, während der
zweite Teil, die Liturgie der Gläubigen mit der Eucharistiefeier, im wesentlichen christlichen
Ursprungs ist.
Da schon Musik aus verborgenen Lautsprechern ertönte und einzelne alte Menschen in den
hohen Stühlen andächtig und in sich gekehrt nach vorn schauten, schlichen wir uns auf leisen
Sohlen dazu und nahmen Platz. Die Armlehnen waren schulterhoch, so als wollten sie den
Gläubigen beim Gebet stützen.
Griechisch- orthodoxer Gottesdienst in der Kirche von Agros
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Direkt vor mir saß der weißbärtige Diakon, der in dem heiligen Buche mit monotoner
Singstimme eine Epistel sang. Ihm gegenüber antwortete der Vorleser, Sänger oder Subdiakon.
Sie verschwanden beinahe hinter ihren Lesepulten. Das dauerte eine ganze Weile. Man ist
recht unsicher, wenn man das Ritual nicht kennt.
In der orthodoxen Liturgie bekreuzigt man sich jedes Mal, wenn die Trinität erwähnt wird, wenn
das Kreuz oder eine Ikone verehrt wird, beim Segen, und bei unzähligen weiteren
Gelegenheiten, die aber nicht genau geregelt sind und von verschieden Gläubigen recht
unterschiedlich gehandhabt werden. Man bekreuzigt sich mit recht ausladender Bewegung und
von rechts nach links (Stirn, Brust, rechte Schulter, linke Schulter), umgekehrt wie in der
katholischen Kirche. Beim Bekreuzigen werden Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger
zusammengehalten (drei Finger – Trinität), während Ringfinger und kleiner Finger an der
Handfläche sind (zwei Finger – die zwei Naturen Christi, in die Handfläche – kommen herab zur
Erde). In manchen orthodoxen Kirchen folgt der Bekreuzigung grundsätzlich noch eine
Verbeugung.
Das wusste ich aber nicht so genau. Alles theatralisch nachzuahmen empfand ich als unwürdig.
Dann trat aus der Klapptür der Ikonostase der Priester hervor, schwenkte den Weihrauchkessel
zu den sitzenden Gläubigen in alle Richtungen und sprach segnende Gebete.
Alle orthodoxen Liturgien benötigen zur vollen Feier neben dem Priester (oder Bischof) noch
einen Diakon. Dieser assistiert dem Priester, und die Struktur des abwechselnden
gegenseitigen Ansprechens dient beiden als Gedächtnisstütze. Notfalls können die Liturgien
aber auch in einer vereinfachten Form ohne Diakon gefeiert werden.
Mit Orthros und weiteren Gebeten ist der Gottesdienst auch an normalen Sonntagen reichlich
drei Stunden lang – wobei nicht alle von Anfang bis Ende dabei sind, späteres Erscheinen und
früheres Verlassen des Gottesdienstes sind relativ normal. Typisch ist der häufige Anruf Kyrie
eleison (Κύριε ελέησον, Herr, erbarme dich)
Bald verständigten wir uns, standen auf und schlichen uns wieder aus der Kirche. Auf einem
Tisch lagen die runden Brotlaibe, die bei der Eucharistiefeier verteilt werden.
Auch die orthodoxen Kirchen sind der Auffassung, dass Brot und Wein wirklich Leib und Blut
Christi sind. Die Liturgie hat Parallelen zum jüdischen Tempelgottesdienst. Im Gegensatz zur
römisch-katholischen Eucharistielehre gibt es für die orthodoxe Theologie jedoch keine
konkrete Formel, durch die der Priester die Wandlung vollzieht -- das Mysterium des
Abendmahls geschieht durch die Liturgie als Ganzes.
Die Eucharistie, die bei den byzantinischen Kirchen auch als „Göttliche Liturgie“ bezeichnet
wird, gilt auch hier als Opfer, genauer als Vergegenwärtigung des einen Opfers Christi (siehe
Byzantinischer Ritus). Der Empfang der Eucharistie durch nicht-orthodoxe Christen gilt als
unmöglich, da nach orthodoxem Glauben der Teilnehmerkreis der Eucharistie (und nichts
anderes) per definitionem die Kirche ist, und nicht-orthodoxe somit quasi automatisch zur
Orthodoxen Kirche überträten wenn sie teilnähmen. Wenn ein Gläubiger die Eucharistie
empfangen möchte, meldet er sich üblicherweise am Vortag beim Priester an; dies gilt vor
allem für Auswärtige, die der Priester nicht persönlich kennt. Voraussetzung für den Empfang
der Eucharistie ist zudem die Beichte.
Die Anwesenheit von Gläubigen ist für die Feier der Eucharistie unabdingbar — eine
eucharistische Liturgie ohne Gläubigen ist so wenig möglich wie ohne Priester. Ein Priester darf
die Eucharistie höchstens einmal am Tag feiern, sie darf auch in jedem Kirchengebäude nur
einmal am Tag stattfinden und ein Gläubiger ebenfalls höchstens einmal am Tag daran
teilnehmen. Tägliche Eucharistiefeier ist jedoch in der Orthodoxie auch für Priester ziemlich
unüblich, gewöhnlich ist eher der wöchentliche Rhythmus, vor allem die Feier am Sonntag. Alle
getauften orthodoxen Christen dürfen die Eucharistie empfangen, auch Kleinkinder, da die
orthodoxe Kirche „Glauben“ vor allem im Sinne eines Vertrauens versteht, zu dem auch kleine
Kinder schon fähig sind, weniger im Sinne eines „Für-wahr-Haltens“, das einen entwickelten
Verstand erfordern würde. Allerdings verlangen einige Kirchen von erwachsenen Teilnehmern
eine vollständige Beichte am Vorabend, was dazu geführt hat, dass in manchen orthodoxen
Kirchen die Erwachsenen gewöhnlich nur einige Male im Jahr selbst die Eucharistie
empfangen, während sie sonst nur als Mitbetende oder Sänger teilnehmen. Es gibt zurzeit
jedoch Bestrebungen, den wöchentlichen Empfang wieder zur Norm zu machen.
In den Orthodoxen Kirchen des byzantinischen Ritus wird der Mittelteil eines runden,
gesäuerten, beim Backen mit christlichen Symbolen gestempelten Brotlaibs (Prosphore) —
Sauerteig gilt als Gleichnis des Reiches Gottes — verwendet, sowie durch Beigabe von ein
wenig kochendem Wasser (Zeon) ungefähr auf Blutwärme erwärmter Rotwein. Der Mittelteil
wird auch als Lamm bezeichnet. Allein dieses Lamm und der Wein werden konsekriert. Leib
und Blut Christi werden vor der Ausgabe an die Gläubigen im Kelch vermischt und diese
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Mischung wird dann mit Hilfe eines goldenen Löffels an die Gläubigen ausgegeben. Die im
Westen mittlerweile wieder übliche Handkommunion ist hier nicht bekannt, die Gläubigen
empfangen die Kommunion in den Mund. Bleibt ein Rest, wird dieser nach der
Kommunionspendung vom Diakon oder vom Priester verzehrt.
Diese runden Brote lagen auf dem Tisch, und wir wollten nicht in Verlegenheit geraten, die
Eucharistiefeier als Ungläubige zustören. Wir kehrten an den Tisch zur Terrasse zurück. Über
uns wob sich ein Dach aus Weinlaub mit einer Fülle reifer blauer Trauben.
Es wurde dämmrig. Neben uns saßen ein paar
neugierige Dörfler. Sie ließen sich fotografieren. Der
„Menschenjäger“ machte den Anfang. Zwei ältere
Herren. Der eine stützte sich in Pose auf seinen
Knotenstock. Es ist eine willkommene Abwechslung,
mit den Touristen ein wenig Tuchfühlung zu haben.
Ein kleines Wort und ein Lächeln genügt und diese
Männer, die in jedem Dorf meistens vor dem
Kafenion sitzen und das Geschehen auf der Straße
beobachten, oft in einer Spielrund drinnen, sind
dankbare Gesprächspartner, wenn man die wenigen
Worte Gespräch nennen darf, die man ihnen zuruft.
Wir winken uns zu, trennen uns. Nun beginnt die
Dunkelheit, wir laufen einige hundert Meter. Dann
ist das Ziel für diesen Abend erreicht. Ich lese ab:
ΚΑΦΕΣΤΙΑΤΟΡΙΟ Η ΚΟΙΛΑΔΑ
Bar, Restaurant
Was etwa zu lesen wäre wie „Kafestiatório i
Kilada“, übersetzen kann ich es nicht. Drinnen
fanden wir in einem abgeteilten schmalen,
schlauchförmigen Raum eine gedeckte Tafel für 30
Personen vor.
Uns erwartete ein festliches Mezé- Essen, eine griechische Spezialität, die auch auf Zypern
gepflegt und angeboten wird. Es wurden in den vier Stunden mindestens 11 Gänge serviert, auf
dem Tisch standen Karaffen mit rotem und weißem Wein, wer den griechischen Ouzo mochte,
konnte sich nachschenken, was einige gewissenhaft taten. Die Verlockung war für viele groß
zuzulangen. Alles war inklusive! Und immer wieder wurden die Karaffen gefüllt. Aber vorher
kämpften wir uns durch die Speisen durch, die Antonio laut angekündigte, doch in dem
anschwellenden Lärm von dreißig zur Lust entschlossenen Menschen ging das meiste unter. Es
gab an Speisen – was sich mein Gaumen gemerkt hat - Choriátiki (Bauernsalat), Dolmádes
(mit Hackfleisch gefüllte Weinblätter), Keftédes (gebratene Hackfleischbällchen), Souvlákia
(gegrillte Fleischspießchen), Moussakás (Auflauf aus Auberginen, Hackfleisch,
Kartoffelscheiben und irgendwelche Soße), auf jeden Fall standen Hoúmous (Püree aus
Kichererbsen, Sesam, Olivenöl und Zitrone), Halloúmi (typisch zyprischer fester Schafs- oder
Ziegenkäse) auf dem Tisch. Die Strategie bei solchem Festmahl muss sein: Von jeder Speise
sehr wenig zu nehmen, auch wenn es schmeckt! Die meisten hatten sich schon bei den Salaten
gesättigt, bei Tsaisíki (Joghurt mit Knoblauch und gehackten Gurken) und Weißbrot, und als
die „Knaller“ kamen, die Paidákia (gegrillte Lammkoteletts), gaben die meisten schon die
Platten weiter.
Es wurde eine beispiellose Schlemmerei. Der Wein floss, die leeren Karaffen wurden immer
öfter gegen volle getauscht. Dann begann der Tanz. Nikos, der Kellner, hatte sich schon lange
an den Runden, die ausgeschenkt wurden beteiligt. Er war nun schon so berauscht, dass er die
Tabletts mit Essen abenteuerlich über seinem Kopf schwenkte und beim Aufsetzen auf den
Tisch mehrmals das Ziel verfehlte. Antonio wachte, nahm ihm vieles ab und schließlich wurde
Niki vom Dienst „suspendiert“. Er werkelte an der Stirnseite an einem Radio, brachte es mit
griechischen oder zyprischen Nationaltänzen zum Klingen, breitete die Arme aus und fing an,
mit kunstvollen Schrittfolgen und eleganten Drehungen, sich in Trance zu wiegen.
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Erst langsam, dann steigernd und immer schneller, hämmerte der Takt. Jeder
kennt ja diese griechischen Tänze, vor allem den Surtaki. Diese kennt und
pflegt man auch in Zypern, bei Festen und Feiern allemal. Die eigentlichen
zyprischen Volkstänze sieht man seltener. Nun animierte uns Nikos
während seiner schwierigen Drehungen, lachte uns mächtig beschwipst zu
und versuchte gleichzeitig sich selbst Vergnügen zu bereiten und uns etwas
vorzuführen. Er sprang auf einem Fuß blitzschnell unter sich selber durch
und vollzog eine ganze Drehung um die eigene Achse. Ich wollte ihn aufs
Bild bannen, doch er war schneller als meine Kamera. Ich fing ihn immer
nur von hinten ein oder er war unscharf. Das war er aber ganz und gar nicht.
Er balzte sich an Carina, die junge Reisebegleiterin, heran, forderte sie auf.
Nun hielt Antonio den Zeitpunkt für gekommen, auch andere aus dem
Publikum nach vorn zu holen. Den Motor aber bildete Nikos, den der
Alkohol euphorisierte…Wie aufgezogen drehte er seine Runden.
Bald nahmen sich einige Herrschaften den Mut, nach vorn zu kommen,
und jetzt geriet das Fest in die lauteste und wilde Phase. Einige sprachen
ungezügelt dem Weine zu. Währenddessen brachte der Wirt immer noch
Gänge der Mezé auf den Tisch. Antonio ging jetzt auch aufs Parkett, hob
die Hände und zelebrierte die Musik nach seiner Auffassung. Schrittfolge,
Drehung, Hopser, Wendung, Drehung- Klatsch, Stampfen, in die HändeKlatsch…Die Tänzer fassten sich an der Schulter und versuchten den
Rhythmus zu synchronisieren, was natürlich vom einen zum anderen mit
erheblichen Verzögerungen gelang oder aber bei Richtungswechsel zu
kleinen Zusammenprallern führte. Alle freuten sich. Die Feier war richtig
im Gange, drohte gelegentlich auszuufern.
Ein Dorfbewohner mit weißem Hemd
und Blazermütze mischte sich wortlos
ein, tanzte mit. Die Frauen kreischten.
Den Männern stieg der Wein zu Kopf.
Am Tisch wurden Erinnerungen und
Witze erzählt. Jeder wollte den
anderen übertönen. Die Lacher
dröhnten im Chor wie kleine
Detonationen. Kurzum es war lustig
und gleichzeitig sehr anstrengend, weil
Magen und Verdauungsorgane maßlos strapaziert waren und neben den fünf
Sinnen extra Kraft kosteten.
Nikos tanzt…
Pünktlich 22 Uhr blies Antonio zum Zapfenstreich. Zum Hotel ins „Rodon“ hinauf hätten wir
eine gute Stunde im Dunkeln laufen müssen. Aber Antonio hatte vorsorglich einen Bus
gechartert, der die ganze lustige Bande im Nu ins Hotel und zur verdienten Ruhe brachte.
XIV. Pelendri
– Timios Stavros (Heilig Kreuz – Kirche)
Mittwoch, 4. Oktober 2006
eute war ein fakultativer Ausflug vorgesehen, ein Trick des Veranstalters, den
Reisepreis um 28 CYP = 50 € zu schönen. Natürlich zahlte jeder brav diesen zusätzlich
(vorher einkalkulierten) Salär, und jeder nahm selbstverständlich auch an dieser schon
zu Hause angesagten Rundfahrt durch das Troodos- Gebirge teil.
Bei bestem Wetter bestiegen wir früh einen Oldtimer- REDFORD- Bus. Groß prangte ein
Schild: „ISMINI Travel“ auf dem Deck und verkündete den Besitz des zyprischen Reisebüros,
dem Antonio angehörte. Dieser Bus war es wieder, der uns schon gestern Abend nach Hause
brachte. Wenn man das Fahrzeug sieht, glaubt man nicht, dass da 30 Personen hineinpassen.
Wir saßen wie die Heringe, Martina und ich ganz hinten.
H
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Die Fahrt währte noch gar nicht lange, da hielt der Bus kurz, Antonio zeigte nach links an den
Straßenrand, kurbelte das Fenster herunter und rief einigen Arbeitern etwas zu. Dann winkte
einer von den Arbeitern herauf. Wir hätten ihn in dieser Uniform nicht erkannt: Es war unser
Niko von gestern Abend. Er befand sich unter einer Gruppe von sechs Straßenarbeitern. „Einer
arbeitet, und die andern fünf sind die Chefs“, sagte Antonio. „Und Nikos ist einer von den
Chefs!“ Und lachte. Wir dachten an seine Kellner- Kapriolen und seine Tanzeinlagen und
lachten auch. Man kennt ihn in Agros und seinen Hang zum Alkohol und gibt ihm lieber ein
wenig Arbeit, als ihn als Stadtstreicher auszuhalten.
Wir passierten auf der E806 Potamitissa und hielten
bald darauf in Pelendri, das uns auf der Fahrt von
Limassol nach Agros als „Klein- Moskau“ vorgestellt
wurde. Ausstieg zur ersten Besichtigung. Die HeiligKreuz- Kirche Timios Stravos ist von der UNESCO
eingetragenes Kulturerbe. Ein kleiner Seitenweg von
der Hauptstraße führt zu einem Vorhügel, auf dem ein
kleines äußerlich unscheinbares Feldstein- Kirchlein
thront.
Wir dürfen drinnen nicht fotografieren. Zuerst nimmt
Antonio die Gruppe zusammen und doziert: Ursprünglich
hatte diese Kirche eine einschiffige gewölbte Struktur mit
eingezogenen Bögen, wurde im 12. Jahrhundert gebaut
und 1178 erstmals ausgemalt, wie durch eine Inschrift im
Sanktum (1), dem Allerheiligsten nachweisbar ist. Aus
unbekannten Gründen wurde die Kirche zerstört. Nur die
Apsis verblieb und wurde während eines Wiederaufbaues
im 14. Jahrhundert mit einbezogen. Das war die erste von
mehreren Rekonstruktionsbemühungen, welche immer
unternommen wurden, wenn ein Teil der Kirche verfiel.
Dieser wurde jedes Mal in ähnlicher Art wieder
hergestellt oder auch durch verbesserte Strukturen ersetzt.
Das nördliche Seitenschiff (2) wurde im 15. Jahrhundert
angebaut, während das südliche (3) im 16. Jahrhundert
hinzugefügt wurde. Das Ergebnis ist die heutige
dreischiffige Form, deren ansprechenden Proportionen
die unterschiedliche Architekturgeschichte Lügen straft.
Die Original- Malereien des 12. Jahrhunderts, besonders
die Deesis 37 (4), wie sie in der Halbkuppel in einem in
zyprischen Kirchen selten erhaltenem Stil ausgeführt ist,
aber zu dieser Zeit in Kappadokien, Griechenland und
Kreta durchaus üblich war.
Der Hauptteil der Kirche wurde von mindest drei Künstlern in der ersten Hälfte des 14.
Jahrhunderts ausgemalt. Der erste folgte dem paleologischen Stil von Konstantinopel, wie es
der Pantokrator in der Kuppel der Vierung zeigt (5). Der zweite, welcher mehr linear und
weniger sophistisch arbeitete, malte die Engel, das heilige Tuch und die Heilige Steintafel in
den Flächen unterhalb oder bei der Kuppel. Der Dritte folgte dem „Kreuzigungsstil“, der nach
der Eroberung der verschiedenen christlichen Ministaaten durch die Araber aus Palästina kam.
Ein gutes Beispiel dafür sind die Szenen aus dem Leben der Jungfrau Maria am westlichen
Gewölbe (6). Einige Fresken in der Nordkapelle, komplettiert mit dem Portrait des Heiligen
Paares (7), stammen aus einer noch späteren Periode, wahrscheinlich aus dem 16. Jahrhundert.
37
Deesis, ['de:ezis; die; griechisch, „Bitte“], die in der byzantinischen Kunst anzutreffende Darstellung des
thronenden Christus zwischen Maria und Johannes dem Täufer; auf Bildern des Jüngsten Gerichts.
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Treffen der Jungfrau Maria mit
Elisabeth
Szenen aus dem Leben der Jungfrau Maria (oben)
Pelendri, Heiligkreuzkirche, erste Hälfte 14. Jh.
Es war ein seltsames Freiheitsgefühl, das sich mir hier in dieser Kirche beschlich, als wir
hineingehen durften. Leitern, Gerüststangen, Plastikplanen, Mörtelkübel verstellten Weg und
Sicht. Es wurde gerade rekonstruiert. Ein Mann und eine Frau waren am Werke, und wie uns
Antonio wichtig mitteilte, ein Professor aus Nikosia. Ich entfernte mich von der Gruppe, die
Antonio um sich geschart hatte, verpasste natürlich einiges Wichtige, aber schaute mich mit
meinen Augen um. Ich stieg über Bretter, Malereimer, Plastfolien und machte heimlich ein
paar wenige Aufnahmen, während Antonio an Hand der einzelnen Heiligen-Gesichter den
byzantinischen Malstil zeigte: Mandelaugen, gerade Nase mit feinem roten Längsstrich, starrer
Blick in ungewisse Ferne und als Weiterentwicklung den Renaissance- Stil, bei dem die
Gesichter menschlichen Ausdruck wie Trauer, Andacht, Huldigung etc. aufweisen. Ich ging
auf kurzen Entdeckungsgang.
An einem Pfeiler am Übergang zum Tonnengewölbe entdeckte ich ein schönes Bildnis des
Heiligen Simeon. Mir fiel seine Geschichte wieder ein, weil ich sie in der Klosterruine
nördlich von Aleppo in Syrien erfahren habe.
Hier ist sie:
Simeon wurde im Jahre 386 in einem kilikischen Bauerndorf
geboren. Mit 16 Jahren trat er in das Kloster "Burdsch as- Saba
(„Löwenburg") ein, das am südlichen Hang des Berges „Scheich
Barakat" liegt. Nach 10 Jahren verließ er das Kloster wieder und
siedelte nach Telanissos über (das heutige Dorf Deir Sim'an). Dort
führte er drei Jahre lang ein gewöhnliches, bescheidenes Leben.
Eines Tages suchte er sich einen Ort auf dem nahe gelegenen Berg
aus, errichtete dort eine Säule und lebte fortan darauf. Mehrere
Male wurde die Säule durch eine neue, höhere Säule ausgetauscht.
Die höchste Säule war schließlich zwischen 17 und 20 Meter hoch.
Auf dieser Säule verbrachte Simeon 42 Jahre seines Lebens.
Als Simeon im Jahre 459 starb, wurde um die letzte Säule herum
ein Memorialbau zu Ehren des Heiligen errichtet, der schon wenig
später zu einer Wallfahrtsstätte wurde, die Gläubige aus aller Welt
anzog. Einer der Gründe für die weite Verbreitung des Ruhmes des
Heiligen - bis nach Frankreich, England, Spanien und Italien - mag
in der wirtschaftlich wichtigen Stellung der damaligen syrischen
Haupt- und Hafenstadt Antiochia (das heutige Antaki'ya) gelegen
haben. Der Bischof Cyrus berichtet uns, dass das Bild des
Säulenheiligen schon 15 Jahre vor dessen Tod in allen wichtigen.
Salons von Rom aushing. So kam der Heilige schon vor seinem
Tod zu weltweiter Berühmtheit.
Der Heilige Simeon auf der Säule
Auch den griechischen Malern war natürlich die byzantinische Geschichte bekannt und auch
die Eremitenzeit des Säulenheiligen Simeon.
Bildmaterial von der Kirche gab es nur in Form einiger Postkarten. Meine Fotos wurden
mehrfach unscharf. Wenn das Zoom ausgefahren ist, verwackelt man leicht. An der Westseite
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des Südschiffes fand ich ein imposantes Fresko mit vielen Heiligen, die die Auferstehung
darstellen sollen. Manche haben Schriften in der Hand.
In der Nordkapelle steht ein uraltes Holzkreuz, das aus der
Gründerzeit der Kirche stammen könnte. Für einen Moment
blitzt der Gedanke auf, wie lange Zeit 800 Jahre sind, in der
dieses religiöse Mal hier überdauert hat, und was draußen auf
Zypern und in der Welt sich ereignete.
Ich trete am Südende aus der kleinen Kirche aus, die Sonne
blendet, wärmt, zwingt bald in den Schatten. Ein kleines
verwildertes Areal umgibt hier den Bau. Blaue Trichterwinde
bedeckt den Boden Ein Sanddornbaum mit seinen orangenen
Beeren steht da und ein Granatapfelbaum. Ein verwunschenes
Idyll. Ich geselle mich zu den Leuten, die auf einer schmalen
Mauer im Schatten sitzen. Ein Mann weckt aller Interesse.
Antonio hat ihn gerufen. Es ist Stalin. Er heißt richtig Stalin.
Er freut sich offensichtlich, so im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen und hat auch
etwas mitgebracht, eben auch ein Zeichen zyprischer Gastfreundschaft. Er hat ja nichts davon,
verteilt freigebig Mandeln, noch in ihrer Hülle, so wie sie vom Baume fallen oder geschüttelt
werden. Wir wandeln langsam zum Bus zurück und fahren zum nächsten Etappenziel.
XV. Pano
S
Platres und die Kalidonia- Wasserfälle
chätzungsweise 12 km ist der Weg nach Pano Platres. Wir erinnern uns: Pano bedeutet
Ober-…und Kato…Unter-.
Er führt über eine Kreuzungsspinne
von Straßen, die längs des Troodos und quer
hinüber führen. In der Nähe gibt es einen
Staudamm, der die Frühjahrswässer
auffängt. Das Dorf Moniatis wird passiert.
Es liegt mitten im Wald, der uns nicht mehr
verlässt. Der Bus stöhnt den Berg hinauf.
Beim Umschalten in den nächst niedrigeren
Gang knackt es trocken und laut, er ruckt
dann mit neu übersetzter Kraft an und
beschleunigt wieder. Durch die offenen
Fenster weht stickiger Dieselqualm, Zugluft
und ein Hauch früheren Reisens herein. Bald
Der REDFORD- Bus in Kato Platres
sind wir erlöst.
Wir halten vor einer blitzsauberen Taverne in Kato Platres, wo es viele Ferienhäuser, ein
Forsthaus, ein Hotel und eine Polizeistation gibt. Hier erfrischen wir uns, ruhen ein wenig aus.
Herr Vassos verteilt freigebig und stolz, wenn er gelobt wird, Äpfel aus eigener Ernte. Sie
schmecken prächtig. Wir sitzen an der Theke zu einer Tasse Kaffee, den Frau Vassos bereitet.
Anton schält einen Apfel und schiebt uns wie ein Vater klein geschnittene Stücke rüber.
Dann stehen wir am Beginn eines Wanderpfades. Einige Ältere, die sich den schwierigeren
Weg nicht mehr zutrauen, erhalten Instruktion über einen leichteren, wieder einige bleiben am
Bus und wollen sich den Mühen nicht unterziehen. Wir laufen los. Martina hat sich selbstlos
den kleinen Rucksack aufgeschnallt, mit Wasser drin und etwas Verpflegung und strebt stetig
voran, immer bei Antonio und immer vorn als Erste. Ich bin, weil ich oft stehen bleibe, Motive
suche, knipse, stets hinten, in Hast und um Anschluss bemüht, eile dann am Pulk vorbei und
lasse mich wieder zurückfallen.
Der Wald hier oben in vielleicht 1600 m Höhe riecht frisch, filtert die Sonne, speichert
Feuchtigkeit, selbst jetzt noch nach einem heißen Sommer. Wir laufen auf breitem Weg etwa
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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1,5 Stunden. Ich erlebe die Natur! Wie vermisst man die frische Luft im Autobus, auch wenn
sie draußen heiß ist. Aber ich spüre, dass ich lebe. Wandern ist wohl doch die beste Art der
Fortbewegung im Freien. Der Blick hat genügend Zeit, sich mit kleinen Dingen zu befassen,
dem eigenartigen Wuchs eines Baumes vielleicht oder einer unbekannten Pflanze oder dem
Piepsen eines Vogels, dem Flug eines Adlers in der Luft.
Phrygana
Antonio hielt uns auf und
zeigte
uns
eine
unscheinbare Pflanze am
Boden, benannte sie mit
Phrygana. Sie findet sich
auf felsigem und wenig
tiefgründigem Boden und
wird selten bis 1 oder 2 m
hoch.
Sie
soll
sehr
aromatisch
nach
allen
möglichen
Gewürzen
duften. Sie sei sehr selten
und wüchse nur auf Zypern,
meinte
er.
Ein
ausgewachsenes Exemplar
haben wir nicht gesehen.
Der steinige, teilweise von
den heftigen Regenfällen
im Winter ausgewaschene
Pfad stieg stetig an. Das
Wasser entwickelt dann
gewaltige Kraft. Im Winter
gehen an durchschnittlich
19 bis 27 Tagen fast zwei
Drittel der Jahresmenge
nieder, oft in schweren
Gewittern mit Starkregen
(bis 150 Liter/Tag). Häufig
kommt es dabei zu
Überschwemmungen.
Typisch hier oben ist die
Schwarzkiefer
(Pinus
nigra), vereinzelt sieht man
Western Troodos Area, M.: 1 : 60 000 (verkleinert)
Eukalyptusbäume, Zypressen und Pinien und im ganzen Troodosgebirge auch Laubbäume wie
Ahorn, Platanen und Eichen. Es gibt die endemische Goldeiche (Quercus alnifolia) als
Strauchgewächs, den Erdbeerbaum (Arbutus andrachne) und den phönizischen Wacholder
(Juniperus phoenicea) und am Boden wuchert die vielgestaltige Macchia, die den ganzen
Mittelmeerraum dominiert.
Der Weg wurde enger, die Vegetation immer wilder. Dann hörten wir das Rauschen von
Wasser- die bekannten Kalidoniafälle. Was da an Wasser über eine vielleicht 15 bis 20 m
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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hohe Felskante herabströmte, sich im Fallen in kleine Tropfen- Kaskaden auflöste und in
einem Tosbecken wieder zusammenfloss, waren keine gewaltigen Massen. Aber der Fakt an
sich, dass nach einem Sommer von vielleicht sechs Monaten absoluter Trockenheit, in denen
kein Tropfen Regen auf der Insel fiel, wenn man das relativ bescheidene Areal des Troodos in
Betracht zog, dann war das hier schon erstaunlich und für mich ein kleines Wunder. Es ist der
Kryos Potamus, der Kalte Fluss, der aus größerer Höhe herabkommt, und dessen Wasser im
Sommer unterhalb fast völlig aufgefangen und genutzt wird.
Kameras wurden gezückt, die Bank von müden Frauen
belagert, und Antonio warf seinen schweren Rucksack ab,
den er den Weg heraufgeschleppt hat und teilte saftige
Apfelsinen aus. Die Pause im Schatten der hohen Bäume
und der labenden und kühlenden Feuchtigkeit der Luft
nutzte jeder auf seine Weise.
Die meisten kletterten und stiegen auf den großen Steinen
umher, um ein günstiges Kameramotiv oder einen
bequemen Sitzplatz mit ungestörtem Blick auf den
Wasserfall zu suchen.
Wendepunkt. Ein Teil, die Fußlahmen, sollten den Weg
zurück nehmen wie gekommen. Der andere Teil unter
Antonios Führung folgte dem Kryos Potamus, der das
Wasser des Kataraktes zu Tale trägt.
Fluss ist jetzt
geschmeichelt,
aber im Winter
kann das ganz
Kalidonia Wasserfall: Carina streckt die anders aussehen.
Hand nach Bedürftigen aus
Nun beginnt der schönste Teil der Wanderung. Entlang
des wild schäumend sich über Felsbrocken, rankende
Baumwurzeln hinweg ergießenden und leise murmelnd
strömenden Bachs, folgten wir einem Trittpfad, der von
Zeit zu Zeit die Bachseite wechselte. Unbeschreiblich
ist die Umgebung, urwaldartig, märchenhaft. Ich
versuche vorn und ungestört zu gehen, dem Schwatzen
der Mitreisenden zu entfliehen- das große Glück in der
Natur kann man nur ohne Menschen genießen, diese
großen Zerstörer. Manchmal zwängt sich das Wasser
durch einen kleinen Felsen – Canyon, dann wieder
weicht es einem mächtigen Fels aus, der ihm den Weg
versperrt und fließt elegant um ihn herum.
Talwärts am Kryos Potamus
Es ist so schön hier. Dann ist es plötzlich mit der Ruhe vorbei. Stimmengewirr, laute Rufe,
Singen dringt uns entgegen. Ohne Respekt vor diesem Refugium der Natur, rufen und brüllen
sie sich zu, wie wenn sie in der Disco wären. Ein Haufe israelischer und französischer
Jugendlicher, darunter junge Frauen mit gewagten, für diesen Weg völlig ungeeigneten
Schuhen, kommt uns lärmend entgegen, fragt Antonio nach dem Weg. Sie wollen zum
Wasserfall hinauf.
Der hat sie wohl verprellt mit seiner Antwort, denn sie kehrten nach einiger Diskussion um,
vermischten sich auf dem engen Pfad mit unseren Leuten, nahmen uns jetzt die Ruhe und den
Frieden dieser Zauberwelt. Wir mussten nun schneller gehen, dass wir ihnen ein Stück enteilen
und vor ihrem lauten Geschrei fliehen konnten. Wilhelm Busch geht mir durch den Sinn:
„…So wird manche schöne Stunde/ in der Liebe Seelenbunde/ durch Herbeikunft eines Dritten/
mittendurch und abgeschnitten…“
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Stundenlang hätten wir so gehen können, auch Martina gefiel es ausnehmend. Doch bald
lichtete sich der Weg. Wir gelangten an ein Informationsschild und auf den Ausgangsweg
zurück. Am Ende lugte zwischen dichtem Grün die Forellenfarm von Psilo Dendro hervor.
Er ist mehr Gastronom als Fischer, der in mehreren Teichen die Fließgeschwindigkeit und
Sauberkeit des Wassers nutzt, um der Fischarmut auf der Insel aufzuhelfen.
Das war das Ende einer Fußwanderung zu den
KalidoniaWasserfällen
oder
Kalidonia
Waterfalls oder Caledonian Falls oder richtig
Mονοπατι Καληδονιων. Wörtlich gelesen:
Monopati Kalidónion. Verwirrung stiftet dabei
der Buchstabe η, den wir in der Mathematik mit
eta aussprechen. Es ist aber das griechische i für
ita.
Wer das hier liest, muss sich nicht wundern, wenn
die Schreibweise der griechischen Namen von
der einen oder der anderen Quelle etwas abweicht.
Korrekt wäre natürlich die Wiedergabe aller
Namen in griechischer Schrift. Das könnten Viele
nicht entziffern. Die Reiseführer bedienen sich
häufig der englischen Übersetzung. Schlimmer
wird es im Norden Zyperns. Dort haben viele Orte
türkische Namen, sind aber griechischen
Ursprungs. Auf den Karten finden sich, weil alles
ehemals englisch besetzt war, die englischen
Bezeichnungen. Wenn nun der deutsche Tourist
kommt, möchte er möglichst noch das Ganze
verdeutscht schreiben, weil er weder Türkisch
noch Griechisch und vielleicht auch kein Englisch
beherrscht. Es ist ein heilloses Durcheinander.
XVI. Phini
H
ier bin ich nämlich selbst Opfer dieser
Namensschreibung geworden. Vergeblich
habe ich diesen Ort so geschrieben auf der
Karte gefunden.
Vom Klang her ist „Phini“ erst einmal richtig gesprochen. Geschrieben wird es aber im
Griechischen Φοινι. Nun nehmen es die Kartografen buchstäblich und transformieren jeden
Buchstaben in die lateinische Umschrift. Es wird daraus Foini. So liest es die Karte. Man muss
aber wissen, dass die griechischen Doppellaute οι und ει wie i ausgesprochen werden. Also
muss es richtig heißen: Fíni (vorn betont). Nun kann man sich noch über die Rolle des Ph und
seiner langsamen Überalterung im Deutschen auseinandersetzen und dessen Ersetzung durch
das F. Schon ist das Rätsel gelöst! Jetzt sind wir perfekt im Griechischen! Die
Buchstabenverbindungen sind der Knalleffekt. Wer die richtig lesen und aussprechen kann, ist
der Schrift und der Aussprache dicht auf den Versen. Die Vokabeln lernen sich dann schnell.
Ha ha ha.
Wir fahren nach Phini - dabei bleibe ich jetzt – zum Mittagessen. Wir haben schon
Kohldampf. Unser Oldtimer- Bus hält vor einem Ausflugslokal an einem schattigen Winkel
des kleinen Dorfes. Ein Bachbett direkt neben dem flachen Gebäude deutet auf Wasser im
Frühjahr hin, das von den höheren Lagen des Troodos herabfließt. Jetzt ist es ausgetrocknet.
An seinen Ufern wächst in dichten Hecken Feigenkaktus. Davor breitet sich ein kleiner
Parkplatz, auf dem schon einige Fahrzeuge stehen.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 80
Der unauffällige Bau des Hauses sowie der Flachbau
schmiegt sich eng, ja verwächst mit dem Hang, der sich
über dem Ufer des Baches erhebt. Drinnen in dem
Flachbau sitzen schon Reisegruppen an langen Tischen.
Wir werden an einen langen, freien Tisch gelotst, der
schön eingedeckt ist, sitzen recht eng, auf jeder Seite 15
Leute. In Karaffen stehen Wasser und Wein zur
Selbstbedienung. Ein etwas schmuddeliger Mann trägt
die Speisen auf. Es wiederholt sich in Abwandlung die
Zeremonie einer Mezé. Das Essen soll 17 Gänge gehabt
haben, ich habe nicht gezählt. Je mehr also angeboten
werden, desto stolzer ist jeweils der Gastgeber auf seine
Leistung. Das Essen dauerte lange und war ähnlich
umfangreich und vielgestaltig wie das Abendessen in
Agros.
Nach dem Essen sah ich auf dem Busparkplatz zu, wie
unser Kraftfahrer eine Kaktusfeige aufschnitt, uns ihr
Inneres zeigte und demonstrierte, wie man sie roh isst.
Phini- Ausflugslokal am Bach
Er packte die stachlige Frucht, nahm dazu sein Taschentuch, um sich nicht die feinen Nadeln in
die Haut zu stechen, entfernte vorsichtig mit dem Taschenmesser die Haut und legte das gelbe,
reife, süße Fruchtfleisch frei, das er dann vor unseren Augen genüsslich aß.
Wir stiegen wieder ein und bald wieder aus. Es war
nicht weit bis zum Museum von Theophanis K.
Pilavakis, ein inselweit bekanntes Töpferzentrum.
Durch ein niedriges Tor traten wir in einen Hof, der
wie aus dem vorigen Jahrhundert konserviert
schien. Riesige Tongefäße lagerten unter einem
niedrigen, offenen mit Weinlaub überwucherten
Dach. Alte Balken stützen es. Eine Weinpresse mit
hölzerner Spindel schlief ihren musealen Schlaf.
Töpferei- Werkzeug lehnte an einer Lehmwand, Spatel und Holzzinken, um den Tonbrei zu
bearbeiten. Uns erklärte keiner etwas, ich musste also raten. Beachtlich große Tongefäße, mehr
als ein Meter im Durchmesser, standen in Reih’ und Glied. Eine steinerne Ölmühle fristete ihr
Dasein im Halbdunkel. Schnell trat ich hinzu, wo Herr Pilavakis jetzt die Leute unterhielt. Er
ist ein 82jähriger lustiger alter Herr, der jetzt das alte Haus und das Erbe seiner Familie pflegt
und ein privates Museum daraus gemacht hat. Er hatte über 40 Jahre in England gelebt und war
zurückgekommen, als seine Frau gestorben war. Nun verbringt er seinen Lebensabend in Phili
und zeigt uns einige seiner einzigartigen Produkte, mit denen seine Töpferfamilie zypernweit
bekannt geworden ist. Ein Plakat preist den größten Tontopf der Welt an. Er reicht Pilavakis
bis an die Schulter. Dazu brauchte man eine besondere Technik des Formens und Brennens,
mindestens aber große Brennöfen.
Ansonsten machte er viel Spaß. Er erzählte kurze Schnurren auf
Deutsch, griff sich die eine oder den anderen aus unseren Leuten
heraus und demonstrierte kurz, was er meinte. Die Spitze der
Belustigung erreichte Herr Pilavakis, als er uns die Sauna für
Schwangere demonstrierte. Dazu musste Martina als Medium in
ein großes Tongefäß steigen, in dem ein kleiner Korbstuhl zum
Sitzen und – Schwitzen einlud. Schwangere Frauen sollten das
Schlechte aus dem Blut schwitzen. Unter dem Gefäß wurde ein
Feuer angebrannt, über die Öffnung ein Tuch gehängt. Fertig war
die Sauna. Danach wurden die Wöchnerinnen auf eine Liegestatt
bugsiert, ihr Leib mit Binden umwickelt, um die gute Figur wieder
herzustellen.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 81
Das wurde gleich auch noch an Martina demonstriert, weil sie die einigermaßen hübscheste
von uns war und auch so ziemlich die zierlichste Figur hatte. Während Martinas Mitte
umwickelt wurde, schaute ich mich in den kleinen niedrigen und halbdunkeln Räumen um. Ein
alter Webstuhl mit einigen Proben an der aus groben Felssteinen gemauerten Wand
demonstrierte einen Nebenerwerb der Töpferfamilie. An der anderen Wand hingen Bilder.
Eines zeigte die Familie beim Töpfern vor etwa hundert Jahren, ein anderes zwei berühmte
Mitglieder der Familie, von denen einer ein Priester und einer sogar ein Bischof war!
Berühmte historische Persönlichkeiten
der Familie Pilavakis
Die Familie beim Töpfern in alten Zeiten
In einem anderen Raum führte Herr Pilavakis einen Tontopf vor, bat dazu eine beherzte Dame
aus unserer Mitte, sich in der Weise niederzulassen, als wenn sie ihre Notdurft darauf
verrichten wollte, und fragte, was es für ein Topf sei. Natürlich lachten alle- ein Nachttopf! Da
lachte aber Herr Pilavakis, nahm den Topf demonstrativ, setzte ihn an den Mund und ahmte
nach, daraus zu trinken. Seine wahre Funktion sei ein Melktopf gewesen. Darin wurde früher
die Milch beim Melken der Ziegen und Schafe gesammelt.
Dann zeigte er uns einen
Ofen aus Ton, Krüge,
Vasen und regelrechte
Kunstwerke, von denen er
eines in der Linken
hochhielt und in der rechten
Hand ein 10- Cent- Stück.
„Dieser
Tonkrug
war Pilavakis Schöpfung auf der
Zyprischen 10- Cent- Münze
Vorbild und Muster für die
Münzprägung des zyprischen Geldes“, sagte er stolz. Es
ist eine Art naive Kunst, die sehr dieser antiken braunen
Keramik ähnelt, die ich im Zypernmuseum gesehen habe.
War sie Vorbild oder sind hier Wurzeln echter
Volkskunst verankert, die sich auf Zypern bis heute
erhalten haben? Erzbischof Makarios III. war in Ton
gebrannt, eine symbolische Weltkugel mit amphibischen
Menschenwesen darauf, viele Vasen mit Rosetten,
Eines der Tonkunstwerke der Töpferei Verzierungen; Schalen, Backmulden, Krüge mit einem
Pilavakis in Phini
oder zwei Henkeln, oben oder unten angebracht, für die
verschiedensten Zwecke im Haushalt und allgemeinen
bäuerlichen Gebrauch. Martina durfte sich für ihre „Dienste“
zwei Ansichtskarten auswählen, die der alte Herr mit seinem
Autogramm versah. Ich gebe es hier wieder, weil ich in dieser
kurzen Zeit ein Fan von ihm geworden bin. So wie er das Leben
meistert, allein auf sich gestellt und wie er das Erbe der
Vergangenheit an die heutige Generation weiter vermittelt- alle
Hochachtung vor diesem Mann!
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 82
Theophanis K. Pilavakis
So lustig und gleichzeitig lehrreich ist mir die Keramikkunst noch nicht nahe gebracht worden.
Beim Einsteigen auf dem Dorfplatz beobachtete ich im Kafeníon unter dem schattigen und
Früchte tragendem Weinlaub eines uralten Rebstocks sieben alte Herren des Dorfes. Sie sitzen,
verbringen ihre Zeit auf der Bank, rauchend, schwatzend, schweigend, je nach Temperament.
Manch einer hat sich auf seinen Stock gestützt. Sie haben Zeit. Nichts bleibt ihnen verborgen,
was im Dorfe vor sich geht. Antonio nennt sie die „Philosophen“ des Ortes. Ich habe mein
Foto „Die sieben Söhne des Sophokles“ benannt. Wenn dieser griechische Vorfahr auch kein
Philosoph war, dann doch ein Dichter und Stratege. Und was machen diese alten Männer denn
anders als Strategie? Sie meistern den schalen Rest ihres Lebens, nehmen es wie es ist,
verbringen es gemeinsam. In Ruhe, Beschaulichkeit und Abgeklärtheit. Uns zum Vorbild.
Neugierig beäugen sie die Fremden. Ein kleinster Wink, und man kann sich mit ihnen
unterhalten. Wie schlimm empfinde ich es immer, wenn ich feststellen muss, dass ich weiter
muss und vor allem, dass ich ihre Sprache nicht spreche. Das meine ich damit, wenn ich häufig
das Gefühl habe, dass ich durch ein fremdes Land fahre, als wenn ich in ein buntes Aquarium
schaue, die schönen Pflanzen und bunten Fische sehe, aber immer durch dickes Glas von den
eigentlichen Bewohnern getrennt bin. Busreisen sind oft nichts als Fassade, schöner Schein. Ab
und zu tauche ich die Hand ins Aquarium, streichle einen Fisch. Mein Kopf bleibt immer
draußen.
XVII. Weinverkostung
E
bei Lambouri
igentlich sollte das Reiseprogramm an diesem Nachmittage mit einer Weinverkostung
in Kilani ausklingen. Doch Antonio druckste herum, es würde etwas nicht klappen. Er
müsse kurzerhand umplanen. Wir würden nach Platres fahren. Hier säße in einem alten
Herrenhaus etwas außerhalb des Ortes eine der größten Winzereien der Insel auf 1128 m Höhe.
Dieses schien wie neu gebaut, auf jeden Fall
restauriert. Man sah auch das Geld, das hier
geflossen war. Wir erfuhren beim Vorstellen des
Winzers, dass er sich aus Deutschland einen
jungen Mann vom Fach hergeholt hatte, durch
Heirat nun eng verbunden, der die
Weinerzeugung nach den neuesten und
effektivsten deutschen Methoden betrieb. Wir
stiegen in den kühlen Keller hinab. Uns wurden
die blitzenden Edelstahl- Tanks gezeigt, das
Flaschenlager, die Etikettiermaschine. Alles
erschien steril, neu und atmete keinen Hauch
Winzer- Romantik. Ein Industriebetrieb eben.
Weingut Lambouri in Platres
Oben an der Theke konnten wir von den Weinen kosten. Natürlich wird hier roter, weißer und
Rosé- Wein erzeugt, hauptsächlich von den bewährten Sorten Cabernet Sauvignon und
Chardonnay, aber auch von einer neuen Mataro- Traube, die hier in 1000 m Höhe vortrefflich
gedeiht. Der Winzer verwies stolz darauf, dass der deutsche Konsul regelmäßig hier seinen
Weinvorrat aufstockt, dass er an der Küste in den großen Städten viele seiner Abnehmer hat
und auch Wein nach Europa exportiert, obwohl er keine großen Mengen herstellt.
Es gibt von Lambouri die Sorten: Chardonnay Fumé, Cabernet Sauvignon, Dry White, Dry
Red, Dry Rosé und Dry Red Special Reservé.
Uns bot man von dreien an. Die Jahrgänge waren nicht älter als drei Jahre. Wir standen, und
ich hatte das Gefühl- da niemand etwas kaufte – dass der Winzer bei aller Freundlichkeit froh
war, als wir dann, nach vielleicht einer halben Stunde, sein modernes Haus wieder verließen.
Ein Pflichtprogramm ohne Verve. Enttäuschend.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 83
XVIII. Chandria
D
und wieder Agros
ie Heimfahrt nach Agros enthielt noch einen kleinen Blickpunkt. Nach dem Wein
bekamen die meisten von uns Kaffeedurst. So ließ Antonio in Chandria den Bus für
eine kleine halbe Stunde anhalten. Die Nachmittagssonne war schon erträglich.
Chandria ist ein kleines Dorf, schon wieder im Pitsilia- Gebirge, das den östlichen Teil des
Troodos- Massivs einnimmt. Die Hauptstraße folgt mit ihren Windungen den Höhenlinien, die
die Topografie des Geländes vorgeben. Die Häuser sind schlicht und zweckmäßig gebaut,
kaum Fenster zur Straße. Hohe Mauern stützen sie gegen den Hang oder das Tal. Auf den
Dächern stehen die Hochbehälter für warmes Wasser. Stromkabel, Leitungsmasten und
teilweise Solarzellenplatten auf den Dächern verunzieren das Bild. Eine Telefonzelle, ein
Kaffeehaus. Weiter kann ich zunächst nichts Kommunales mehr ausmachen. Wovon leben
diese Leute? Ich erfahre es in der kurzen Zeit nicht. Wir halten ein Stück unterhalb und laufen
einige Meter. Ich versuchte auf der kleinen Terrasse im Kafeníon, von der man den Blick ins
Tal frei hatte, zwei frei Stühle zu belegen, aber zwei Damen von uns wollten unbedingt mit
zwei anderen zusammensitzen. „Hier ist besetzt!!“, wiesen sie mich ab. Ich erwähne diese
belanglose Begebenheit, weil sie für viele Reisegruppen symptomatisch ist, wenn auch
psychologisch und menschlich verständlich. Im Laufe jeder Reise bilden sich Grüppchen und
Gruppierungen, die sich dann einigeln und innerhalb der etwas unüberschaubaren großen
Gruppe zu kleinen Clans zusammenschließen. Da bilden zum Beispiel die immer mehr
befeindeten Raucher eine Allianz, die schon dadurch zueinander hält, dass sie ihr Laster
gemeinsam haben. Manche kennen sich von früheren Reisen und wollen sich unbedingt von
den anderen abschotten. Mit gefällt diese egoistische Verhaltensweise nicht, obwohl bei
solchen Rentnerreisen keine anderen Leute im Bus sitzen als sie einem zu Hause auf der Straße
begegnen. Ihre Motive zu reisen weichen von den meinen erheblich ab.
Da erklärte mir später einmal eine Frau, sie führe
mit ihrer Nichte, für die sie zugezahlt hat, weil diese
arbeitslos ist, eine pekuniäre Gemeinschaft. Ein
anderes Paar gestand mir auf mein Fragen, dass der
Mann des Partnerpaares etwas schwerhörig sei,
daher immer etwas hilflos, und sich auch im
Ausland schwer zurechtfindet. Die Sprache! Nun
gut, ich habe Verständnis, aber solch Verhalten
schweißt eine Reisegruppe nicht zusammen. Ich
habe die Erfahrung gemacht: Was über 12 Personen
zählt, ist für Erlebnisreisen zu viel. Leider fangen
organisierte Busreisen sich bei dieser Anzahl erst an
Spielkartenrunde in Chandria
zu rentieren. Andere Reisen sind einfach teurer.
Wir fanden in dem kleinen verräucherten Kafenion Platz am
runden Tisch. Nebenan klitschten die Männer des Ortes Karten.
Antonio erkannte den Bürgermeister und begrüßte ihn lauthals.
Der grüßte zurück und winkte uns zu, wandte sich aber wieder
den Karten zu. Über die Köpfe hielt ich den Fotoapparat hoch
und knipste die Kartentischszene. Das habe ich in vielen
Kaffeehäusern auf Zypern gesehen. Bescheiden steht ihr
Teeglas oder die längst geleerte Kaffeetasse daneben. Man ist
vertieft im Spiel und das sehr leidenschaftlich, oder man
mustert die Fremden, um dann sein Scherflein an Beobachtung
beizusteuern, wenn später darüber philosophiert wird.
Irgendwie muss die Zeit umgebracht werden, beschaulich,
ohne Hektik, ruhend in der Gemeinschaft. Wehe, wer von ihr
ausgestoßen ist! Auch hier störten wir nur ihre Sitzungen, in
der Taverne oder draußen vor der Tür die Männer, die uns
dennoch noch lange freundlich zuwinkten, als wir losfuhren.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 84
Gegen 18 Uhr lud uns der Busfahrer vor dem Rodon- Hotel in Agros wieder aus. Die Fahrt im
Oldtimer- Bus war nicht so komfortabel wie die anderen, aber sie gaben dem Ausflug ein
besonderes Flair. Als es noch keine klimatisierten Fahrzeuge gab, reiste man auch nicht anders.
Und ganz früher hat sich niemand über die schlecht gefederten Reisekutschen aufgeregt.
Martina gab sich der Ruhe hin. Ich ging auf Entdeckungsgang im Hotel und schwamm einige
Runden im Schwimmbecken. Die Temperatur war um die 20 Grad, der frischen Höhenlage
hier oben angepasst. Deshalb war ich auch der Einzige, der das herrlich klare und saubere
Wasser nutzte. Die Wenigsten gehen über ihre Bequemlichkeitsgrenzen hinaus. Und erleben
natürlich nicht den Reiz des Besonderen.
Später machte ich mich über einen Informationshefter eines
anderen Reisebüros her und fotografierte einige Infoseiten über
Zypern einfach ab. Man verzeihe mir ihre Verwendung in diesem
Aufsatz!
Immer abends schreibe ich einige Zeilen in mein ReiseTagebuch, um später die Fakten nachzulesen. Sie helfen mir
noch nach Jahren, zusammen mit meinen Fotos, mich minutiös
an selbst kleine Begebenheiten zu erinnern. Ich gehe auf den
Balkon und schaue an den Abendhimmel. Ein wunderbarer
Vollmond steigt über den Felsen empor und seine Bahn, wenn
man länger hinschaut, ist sogar zu beobachten, so dass man ein
Gefühl dafür bekommt, dass wir uns auf der Erde drehen. Ich
fühle eine eigenartige Nähe zu den Gestirnen.
XIX. Scheunendachkirche
und Kykko- Kloster
Donnerstag, 5. Oktober 2006
eute stand pünktlich 9 Uhr wieder der bequeme Mercedes- Bus vor der Tür.
Landschaftlich wie kulturell erwarteten uns heute Höhepunkte: Die Spitzen des Troodos
und das Kykko- Kloster. Die Fahrt ist länger als gestern. Antonio greift zum Mikrofon
und plaudert über zyprische Verhältnisse. Da ist zunächst die Grundschule. Sechs Jahre plus
drei Jahre Gymnasium sind Pflicht. Es gibt eine Kleiderordnung. Fehlt der Schüler mehr als
20mal, wird er oder sie sitzen bleiben. Sind die Zensuren schlechter als Vier, müssen die Eltern
die Zeugnisse abholen. Es gibt auch Ganztagsschulen.
Junge Männer müssen nach dem Gymnasium erst eine 26monatige Militärzeit absolvieren, ehe
sie eventuell weiter studieren können.
Wir durchfahren wieder Chandria. Auf einer Höhe bei Kyperunta erhebt sich eine große
unfertige Kirchenbaustelle. Es ist keine Ruine, wie es beinahe aussieht, sondern entpuppt sich,
als wir näher kommen, als ein großer Neubau. Die Baufirma ist Pleite gegangen und jetzt ruht
die Geschichte. Hier in der Gegend breiten sich große Apfelplantagen aus, wo nach der Ernte
gleich gemostet und der fertige Apfelsaft als Produkt weiter gehandelt wird.
Neben den Plantagen zieht sich an den Hängen reicher Baumbestand hin: Zedern, Erlen,
Sequoias (Mammutbäume), Goldeichen, Pinien, Platanen, Akazien, Schwarzkiefern.
H
Wir belustigen uns an den Schnurren, die uns Antonio von dem Typen Christagis erzählt. Den
soll es wirklich gegeben haben.
Christagis hatte eine Phobie. Seine reiche Phantasie gaukelte ihm vor, er hätte seine
Geschichten, die er erzählte, tatsächlich erlebt. Er glaubte fest daran und setzte voraus, dass
seine Zuhörer ihm das abnahmen. So gab er einige Proben zum Besten:
• Unter anderem glaubt er fest daran, dass er im Kriege Pilot war. Christagis fliegt von
Griechenland nach Zypern. Bei der Landung stellt er einen Fahrwerksfehler fest. Es
fährt nicht aus. Da hat er kühn das Flugzeug während der Landung ausbalanciert, bis
das Flughafenpersonal ein Stützholz unter die Tragfläche gebracht hat. Wirklich!
• Ein andermal war er Pilot eines F16- Jägers, unter Beschuss des Feindes. Ein Treffer
riss ein Loch in den Tank. Christagis wirft die Maschine auf den Rücken, damit der
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 85
Tank nicht leer läuft und fliegt kopfüber noch 300 km auf dem Rücken- und landet
sicher.
• Christagis war auch Busfahrer. Einmal traf er unterwegs einen gefürchteten TUIManager, der ihn für die Werbung prüfen wollte. Dieser hatte seinen Hund mit, einen
Pudel. Sie hielten an, weil der Hund mal musste, dieser büxte aus und badete in einem
Wassergraben. Wütend auf Christagis, wies der Manager auf den tropfnassen Hund. Da
nahm Christagis den Pudel geistesgegenwärtig beim Schopf, lässt den Motor an und
hält ihn unter den heißen Auspuff. Das Haar versengte. Job und Hund und Manager
entfernten sich.
• Christagis war auch Kämpfer im Krieg. Einmal hat er eine Kugel in die Wange
bekommen. Da er rechtzeitig den Mund aufgemacht hat, sieht man heute nur noch das
Einschussloch. Er zeigt auf die eine Narbe.
• Einmal hatte Christagis Motorradpanne. Das Vorderrad war platt. Da riss er es beim
Fahren hoch und ist die 75 km bis nach Hause in dieser Position gefahren:
Irgendwie mochte ich diesen optimistischen Typen und hätte noch mehr Geschichten aus
Antonio herauskitzeln mögen.
Makelloser Himmel und große Wärme strahlte die Sonne aus. Die Straße windet sich im
breiten Marathasa- Tal nach oben. Oberhalb von Pedoulas stiegen wir zum Fotostopp aus,
um einen Blick auf ein Bergdorf zu genießen, auf seine wunderbare Kirche. Der Narthex ist auf
beiden Seiten Kuppeln bekrönt, die auf schlanken Säulen ruhen. Die Mittelkuppel ragt aus
rotem Ziegeldach heraus. Alle Fenster sind zugemauert und mit schwarzen Kreuzöffnungen
durchbrochen. Weit schweift das Auge bis über die bebauten Terrassen in ferne Höhen des
Gebirges. Ein Judasbaum und ein Essigbaum geben uns Schatten. Wir sind im Troodosgebirge.
Erste Station ist eine uralte Scheunendachkirche. Inmitten herrlicher Natur , am rechten Ufer
des Flusses Klarios (Karkotis) in einer dicht bewachsenen Schlucht errichtet, liegt sie an den
Ausläufern des Troodosgebirges, fünf Kilometer südlich von Kakopetria, das historische
Kloster des Heiligen Nikolaos vom Dach oder auf Griechisch Ο Αγιοσ Νικολαοσ Τησ
Στεγισ (Sprich O Agios Nikolaos tis stegis). Diese kleine Kirche liegt abseits der Straße.
Antonio zeigt sie uns als Zugabe zum Programm. Sie gehört zum Weltkulturerbe der
UNESCO. Es gibt so viele Kirchen hier im Gebirge. Diese aber ist sehr alt und stammt
mindestens aus dem 11. Jahrhundert, ist aus Feldsteinen gemauert und grob verputzt. Ihr
architektonisches Charakteristikum ist ein über die Längsmauern gelegtes Satteldach, 13 m
lang und 8 m breit, das die eigentliche Holz- Kirche überdeckt und gleichzeitig vor den
heftigen Schneefällen hier im Gebirge schützt.
Das geschah schon Ende des 12. bis Anfang 13. Jahrhunderts.
Dieses zweite Dach mit den flachen Ziegeln verlieh bereits im
13. Jh. dem Heiligen Nikolaos den Namen „vom Dach“ (tis
Stegis)
Wir dürfen eintreten, werden aber wieder von einem alten
Mann bewacht, der uns ermahnt, nicht zu fotografieren. So
kaufe ich ihm ein Heftchen ab und lese so gleich etwas über die
Geschichte des Klosters nach:
Der Heilige Nikolaos.
Hauptschiff. Fresco aus dem
1. Jahrzehnt des 12. Jh.
Seine Gründung erfolgte in der mittelbyzantinischen Epoche im 11.
Jahrhundert, es erlebte während der Frankenherrschaft großen
Aufschwung, wie zahlreiche Fresken in der Kirche bezeugen. Es ist
bekannt, dass der Erzbischof von Zypern während der
Frankenherrschaft- wir erinnern uns: 1192 – 1489 waren die
Lusignans die Herren – nach 1260, dazu gezwungen wurde, dieses
Kloster zu seinem Sitz zu wählen.
Dieses geschah, weil die fränkischen Eroberer auf Erlass des
Papstes von Rom, Alexander IV. (1260), in ihrer Bemühung um die
Latinisierung der Insel die orthodoxen Bistümer von 14 auf 4
reduzierten und sowohl den Erzbischof wie auch die anderen
Bischöfe vertrieben.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 86
1633 wurde das Kloster renoviert. Ein Mönch Philotheos stiftete neben diesen Kosten ein Fresko, das
den Aposteln Peter und Paul gewidmet ist.
1735 besuchte ein russischer Mönch und Pilger, Basilios Bersky, das
Kloster. Er brachte eine Inschrift an, die heute noch erkennbar ist:
„Von Trikoutsia nach Troodos gewandert und über den Schnee dort
berichtet,
den
Schweiß
der
Adler,
das
wunderbare
Asbestgestein…ich der Mönch Wassilis Moskoworotsos aus `Kiew
im Juli.“
Verbrieft ist eine Nachricht: „Es (das Kloster) ist klein, aber verfügt
über zwei Mühlen und zahlreiche Felder und Wälder, von denen es
seinen Lebensunterhalt bestreitet und die türkischen Steuern
bezahlt.“
1808 ist der letzte Mönch des Klosters, der Verwalter Jerasimos,
gestorben.
So schnell wie wir hinein gelangten, waren wir in dem kleinen
Hauptschiff herumgegangen, schauten uns die Fresken an,
einige fast 900 Jahre alt- man muss sich das einmal klar
machen! Es sind die ältesten, die auf der Insel erhalten
„Der Barmherzige“. Fresco aus dem 3.
geblieben sind.
Jahrzehnt des 14. Jh., das sich im
Narthex der Kirche befindet
Berühmt ist ein Fresco, das die Bekehrung der „40 Heiligen
von Sebaste“ aus der Zeit der Christenverfolgung
veranschaulicht. Die Männer sollten gezwungen werden, dem
Christentum abzuschwören. Sie wurden, nur mit einem
Lendentuch bekleidet, aufs Eis ausgesetzt. Man sieht sie
zittern vor Kälte, wie sie aneinanderrücken oder sinnbildlich
gesprochen zueinander stehen. Ihre offenen Augen sprechen
Trotz und Durchhaltewillen aus. Für die Abtrünnigen hielt
man Feuer und warmes Badewasser bereit. Auf dem Bild
bemühen sich die Standhaften um einen Mann, der
zusammenbricht. Vom Himmel schweben Märtyrerkronen
herab.
Dieses Kirchlein ist eine Schatztruhe. Von außen ist sie ein
eher unscheinbares Bauwerk, aber es hat fast 1000 Jahre
Geschichte erlebt. Sie birgt Fresken aus sechs Jahrhunderten,
eine seltene Versammlung byzantinischer Kunst.
Weiter trug uns der Bus durch die Berglandschaft des Troodos. Ich könnte den genauen Weg
nicht mehr beschreiben. Ich weiß nur noch, dass wir durchs Fenster ziemlich nahe den
höchsten Berg Zyperns, den Olympos sehen konnten. Eine weiße Kugel macht ihn
unverwechselbar. Leider gehört das Plateau des Berges nicht den Zyprern. Die Engländer
haben es okkupiert, besser ausgedrückt, aus der Kolonialzeit gesichert. Was es strategisch
bedeutet, von hier den Weitblick zu haben, mache man sich mit einem Blick auf die Karte
deutlich.
Zunächst fuhren wir am Kykko- Kloster vorbei, immer höher,
vorbei an einem frei stehenden Glockenturm, in dem sechs
Glocken frei aufgehängt sind. Ihr Schall schwingt weit ins Tal
hinaus. Er wurde erst 1882 gebaut, weil bis dahin die
osmanischen Eroberer Glockenverbot verhängt hatten. Die
größte wiegt 1280 kg und wurde in Russland gegossen.
Unser Ziel war das Grabmal von Erzbischof Makarios III. Auf
der Höhe steht sein Mausoleum. Zwei Soldaten bewachen es.
Einer steht immer für zwei Stunden unbeweglich Wache, der
andere löst ihn ab.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 87
Ein schlichter Steinsarkophag ist mit einer dicken Metallplatte abgedeckt. Ein Bild wird von
zwei Blumenschalen flankiert. Im Hintergrund, in der Tiefe der Gruft, zu der einige Stufen
hinab führen - ich hätte ihn beinahe nicht bemerkt - steht breitbeinig ein Wachsoldat auf
Ehrenwache, die Maschinenpistole vor der Brust, vor einer von einem hellen gleißenden
Lichtband durchbrochenen Mauer. Die Fotografen drängeln sich um ein Bild „ohne“. Wir
stehen einige Gedenkminuten lang vor dem Andenken dieses kämpferischen Präsidenten und
Erzbischofs von Zypern.
Makarios liegt nicht von ungefähr hier begraben. Er ist unweit von hier in einem Dorfe
geboren und hütete als Junge in diesen Bergen Schafe und Ziegen. Schon als Novize
verbrachte er mehrere Jahre in der Klosterbruderschaft des Kykko- Klosters. Später, während
der Freiheitskämpfe in den 1950er Jahren unterstützte das Kloster die Untergrundbewegung
EOKA 38 . Etwa 2 km entfernt befand sich der Unterschlupf des EOKA- Führers General
Grivas.
Auf dem Berggipfel hier steht eine kleine Kapelle zu
Ehren von Makarios III. Zu ihr führt ein aus Bruchsteinen
gemauerter, mit breiten Brüstungen begrenzter Weg. In
der Kapelle steht der „Throni“, der kleine Thron, das
heißt der Thron der Heiligen Jungfrau“. In älteren Zeiten
stand hier ein hölzerner Thron, auf den die heilige Ikone
bei Bittgebeten gesetzt wurde. Zuletzt geschah dies im
Jahre 1990 bei einer großen Dürre. 1935 wurde der Thron
durch ein Zementgewölbe ersetzt, das jüngst diesem
größeren, imposanteren Bau seinen Platz überlassen
musste.
Auf einem Thronsessel lehnen Ikonen. Eine davon ist die
Nachbildung der „Heiligen Ikone des Klosters“. Um den
Sitz flattern weiße Bändchen, geknüpft von Pilgern. Sie sollen
Wünsche und Bitten an sie erfüllen helfen. Ein so genannter
Wunschbaum steht auch am Rande des Plateaus, fast wie unser
heimatlicher Weihnachtsbaum geschmückt, aber nur mit im
Winde wehenden weißen Bändern.
Um diese „Heilige Ikone“ dreht sich die Entstehungsgeschichte
des Kykko- Klosters, die ich hier nacherzählen will:
Der Überlieferung nach ist der byzantinische Statthalter Zyperns
Manuel Voutomitis, um das Jahr 1100 n. Chr. auf Jagd gegangen. Er
verlief sich jedoch im Troodos- Gebirge, in dem es zu jener Zeit
dichte Wälder mit wilden Tieren und seltenen Vögeln gab. Nachdem
er lange hin und her irrte, traf er auf einen greisen Einsiedler namens
Isaias. Der Byzantiner behandelte ihn sehr schlecht, weil sich der
Ikone der Gottesmutter auf dem
Asket, der alles Weltliche mied, nicht bereit zeigte, ihm behilflich zu
„Throni“
sein und den Weg zu weisen, oder auf seine Fragen zu antworten.
Voutomitis fand den Weg dann allein und kehrte nach Nicosia zurück. Dort erkrankte er und erkannte,
dass seine Krankheit die Strafe für sein schlechtes Verhalten zu Isaias war. Unverzüglich schickte er
seine Diener aus, den Einsiedler aufzufinden. Als dieser dann vor ihm stand, bat der Statthalter den
Greis innig um Verzeihung. Der Mönch erwiderte nichts, sondern betete einfach um dessen Genesung.
Bald darauf erholte sich Voutomitis und versprach dem Mönch, ihm jeden Wunsch zu erfüllen. Der
heilige Mann verlangte jedoch weder Geld noch Ehren. Einem heiligen Gebot folgend, bat er
Voutomitis, die heilige Ikone der Gottesmutter nach Zypern zu holen, eine der drei eigenhändig vom
Evangelisten Lukas gemalten Ikonen. Da zögerte der byzantinische Statthalter, er zweifelte, ob er den
Kaiser Alexios Komninos davon überzeugen könnte, die im Palast aufbewahrte Ikone abzugeben.
Trotzdem nahm er Isaias mit und beide reisten in die kaiserliche Stadt Konstantinopel. Dort fanden sie
den Kaiser sehr bekümmert, da seine Tochter schwer krank war, es war dieselbe Krankheit, von der
Voutomitis geheilt worden war. Beide erschienen gerade zu dieser Zeit vor dem Kaiser. Isaias betete
innbrünstig um die Genesung des Mädchens. Daraufhin genas sie.
38
EOKA =Epanastatiki Organosis Kypriakou Agonos, Revolutionäre Organisation für den Kampf auf Zypern
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Da erzählten Voutomitis und Isaias dem Kaiser, dass es Gottesgebot sei, die heilige Ikone ins TroodosGebirge zu bringen. Es war nicht leicht für den Kaiser, diese wertvolle Reliquie abzugeben. Erst als er
von derselben Krankheit heimgesucht wurde, wie vordem Voutomitis und seine eigene Tochter, begriff
er, dass es Gebot Gottes war, die Ikone abzugeben. Später schenkte er auch das Geld zur Errichtung
des Klosters, wo die Ikone aufbewahrt werden sollte.
Voll Freude nahm Isaias die Ikone mit nach Zypern. Das Volk empfing ihn tief gerührt und ehrerbietig
und begleitete ihn von der Meeresküste bis ins Troodos- Gebirge. Unterwegs neigten sich die Bäume,
teilhabend an dem feierlichen Empfang, sogar die Muscheln kamen aus dem Wasser heraus und
begleiteten die Prozession.
Tatsächlich kann man bis heute auf den bewaldeten Hängen in Tillyria gebeugte Kiefern und
Meeresmuscheln vorfinden, Spuren der Anteilnahme der Naturkräfte am Empfangszug für die heilige
Ikone auf Zypern. So sagt man.
Wir betraten von der Straße her die Klosteranlage und versammelten uns zunächst im 1.
Innenhof (9). Dem Eingang gegenüber erhebt sich das Zellengebäude.
Drei Seiten des Hofes schmücken ihn mit prächtigen
Arkaden. An den Wänden glitzern und gleißen jetzt in
der Mittagssonne Mosaiken von eindrucksvoller
Vielfalt, alle behandeln sie Szenen und Geschehnisse
aus der Bibel oder sie stellen einige der zahllosen
Heiligen dar, die die Ostkirche verehrt. Ich verfalle ins
Fotofieber und lichte so viel wie möglich davon ab.
Manche dieser Geschichten aus der Bibel kenne ich:
-
Von Moses und dem brennenden Dornbusch
Das Heilige Abendmahl
Jesus und der Zöllner Zacharias auf dem Baum
Jesus und seine Jünger im Garten Getsemane
Die Taufe Jesu
Grablegung und Beweinung Christi
Das Jüngste Gericht
Die Steinigung der Hure u. a.
Das Wunder der Brotvermehrung am See Genzareth u.a.
Die Heilige Ikone
Im Mittelpunkt aller Kykko- Beschreibungen steht die Ikone der
Heiligen Gottesmutter, die der Überlieferung zufolge ein Werk des
Apostels Lukas ist. Dieser Überlieferung nach handelt es sich um
eines der authentischen, zeitgenössischen Porträts der Heiligen
Jungfrau. Die heilige Ikone ist auch unter dem Namen „Panagia
Eleoussa“, d.h. die Barmherzige, bekannt. Abgebildet ist die Heilige
Jungfrau, die das Christus-Kind im Arm hält. Die „Maria von Kykko“
ist in der orthodoxen Welt sehr bekannt und beliebt. Zahlreiche
Ikonen in Griechenland, Georgien, Bulgarien, Ägypten und Äthiopien
sind der Gottesmutter von Kykko gewidmet, ein Zeichen großen
Respekts unter den orthodoxen Völkern.
Seit 1576 hat die Ikone einen vergoldeten Silberbeschlag, ein
weiterer folgte im Jahre 1795. Das Gesicht der Gottesmutter ist
verdeckt und wird nie enthüllt, wahrscheinlich weil es der Kaiser
Alexios so wünschte oder um dadurch größeren Respekt
einzuflößen.
Man erzählt, dass im Jahre 1669 der Patriarch Alexandriens,
Gerasimos, es wagte, den Überhang hochzuheben, um auf das
Gesicht Mariens zu sehen. Er soll jedoch für diese schändliche Tat
bestraft worden sein und Gott tränenvoll gebeten haben, ihm dies zu
Die Heilige Ikone, die vom
verzeihen. Der russische Mönch Vassilios Barsky, der 1735 das
Evangelisten Lukas gemalte
Kloster besucht hat, schreibt, dass die Mönche nur in Zeiten der Gottesmutter Panagia Eleoussa
Dürre das Gesicht der Heiligen Jungfrau enthüllten.
Sie brachten die Ikone zuerst auf die nahe liegende Bergspitze „Throni“, wo sie dann einen Bittgang
machten. Sie schauten jedoch nicht auf das Gesicht Mariens, das gegen den Himmel gerichtet war.
Die Ikone der Gottesmutter von Kykko ist auf Zypern sehr beliebt. Unzählig sind die Volkslieder, in
denen sie gepriesen wird, zahlreich auch die historischen Zeugnisse über Ehrenbezeigungen bei
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Litaneien auf der gesamten Insel. Die Ikone war ebenfalls unter den Gläubigen anderer Gebiete beliebt,
welche in früheren Zeiten ihre Pilgerschaft zum Heiligen Grab mit einem Besuch im berühmten KykkoKloster verbanden.
Heutzutage ist die Besucherzahl natürlich um vieles größer, weil die modernen Transportmittel den
Zugang bedeutend erleichtern. Hier im Kloster treffen Menschen aus aller Welt zusammen, sie beten
die wundertätige Ikone der Gottesmutter an, bitten um Genesung und Kraft, damit sie den schweren
Prüfungen ihres Lebens standhalten können.
In der Kirche findet man Weihgeschenke, die an die Wunder der Heiligen Jungfrau erinnern, z.B. ein
Stück der Zunge eines Schwertfisches, eine Gabe, die an die Rettung einer Matrosenschar vor dem
Ertrinken erinnert. Ihr Schiff wurde 1718 von einem großen Schwertfisch durchlöchert. Ein anderes Mal
hat ein Maure versucht, die Ikone zu entweihen, sein Arm erstarrte. So befindet sich heute ein
Bronzearm in der Nähe der heiligen Ikone, um daran zu erinnern. Alle Opfergaben zeugen von
Wundertaten der Gottesmutter, welche auch in vielen Gedichten aus verschiedenen Zeiten besungen
werden. Auch die in den 1990er Jahren neu gestalteten Mosaiken zeigen solche wundervolle
Begebenheiten.
Dank der Wunderkraft der heiligen Ikone habe es in Zeiten großer
Dürre geregnet, Frauen, die kinderlos waren, seien fruchtbar
geworden, Kranke wurden geheilt. Früher baten die Inselbewohner die
Mönche von Kykko, sie bei Prozessionen in ihren Dörfern mit der Ikone
der Gottesmutter zu begleiten, um die Weihen zu erteilen. Die Zyprer
glaubten, dass schon die Präsenz der Ikone ausreichte, eine Seuche,
Epidemie, die Pest oder jedes andere von Gott gesandte Unheil zu
beenden. Die heilige Ikone wurde jedoch insbesondere als Regen
bringend geachtet. Aus historischen Quellen geht hervor, dass sehr oft
Bittgänge und Litaneien stattgefunden haben mit der Bitte, dass „sich
der Himmel öffne“.
Während der türkischen Herrschaft haben die unterjochten Zyprer des
Öfteren die heilige Ikone um Hilfe ersucht. Um die Ikone im Zuge einer
Prozession außerhalb des Klosters tragen zu dürfen und um Regen zu
bitten, war eine besondere Erlaubnis nötig. Diese Bitte der Christen
wurde von den osmanischen Herrschern oft abgeschlagen, so dass
sich die Christen an den Sultan selbst wandten, um die erforderliche
Ferman über das Recht, die
Erlaubnis durch einen Ferman 39 zu bekommen und so dem Druck der
Heilige
Ikone im Zuge einer
Herrscher auszuweichen. Davon zeugt beispielsweise ein Ferman aus
Prozession
aus dem Kloster
dem Jahre 1634.
heraus zu tragen
So könnte ich noch manches geschichtliche Ereignis hier wiedergeben. Ich entnehme es einem
Begleitheft des Klosters. Alle diese Fakten kann man nicht behalten, auch wenn man sie
erzählt bekommt. Von Antonio bekamen wir wenig zu hören. Ich stand allerdings nicht immer
bei ihm und hätte nur Zeit verloren. Ich trage mir gern meine Informationen selbst zusammen.
Die Wandmalereien und Mosaiken wiesen viel Gold auf, echtes Gold, was auf den relativen
Reichtum des Klosters schließen lässt. Ich habe nur gestaunt und- fotografiert.
Im Zellenhaus der Mönche, in das wir über Treppen und Gänge gelangten waren vor allem
Geschichten aus dem Alten Testament abgebildet, modern ausgemalt, aber in eben typisch
byzantinischer Malweise. Ich sah Bilder, die den Brudermord von Kain an Abel zeigten, die
Schaffung der Frau aus Adams Rippe oder die Legende vom Bau der Arche Noah. Ich musste
eilen, um mich an die Gruppe anzuschließen.
Über einen zweiten Hof betraten wir dann die relativ kleine Kirche. Sie war voll von
Menschen, vornehmlich Touristen. Es standen draußen Reihen von Autobussen, die Reisende
von ganz Zypern hierher gebracht haben. Die Pracht in diesem orthodoxen Gotteshaus ist kaum
noch zu steigern. Ich habe nichts Prächtigeres gesehen.
Die Kirche
Die Klosterkirche wurde mit dem Ziel gebaut, die heilige Ikone zu beherbergen. Ursprünglich war sie
ein Holzbau, ähnlich wie das ganze Kloster. Die Holzkonstruktionen waren feueranfällig, und so
richteten die großen Feuerbrände von 1365 und 1541 bedeutende Schäden an. Dadurch gingen die
wertvollen Wandmalereien verloren. Nach der Feuersbrunst von 1541 wurde das Kloster
wiederaufgebaut. Diesmal wurde statt des Holzes Steinmaterial benutzt. Trotzdem brachen zwei
weitere große Brände in den Jahren 1751 und 1813 aus, die sogar Menschenopfer gefordert haben.
Das Innere der Kirche, die Mönchszellen und der Gasthof brannten ab, Kunstwerke und geistiges Gut
39
Ferman (türk., pers. Befehl): in islamischen Ländern Erlass bzw. Erlaubnis des Herrschers
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ganzer Jahrhunderte gingen verloren, bedeutende Handschriften und historische Dokumente wurden
zu Asche.
Die ursprüngliche Kirche war einschiffig, später wurde sie zu einem dreischiffigen Gebäude umgebaut.
Ihre gegenwärtige Architektur könnte als Kuppelbasilika bezeichnet werden. Das mittlere Schiff ist der
Gottesmutter gewidmet, das rechte Schiff den Allerheiligen und das linke den Erzengeln Gabriel und
Michael.
Einer Inschrift zufolge stammt die Ikonenwand aus dem Jahre 1755, d.h. sie entstand unmittelbar nach
dem Brand von 1751. Sie blieb später zusammen mit den in der Kirche befindlichen Ikonen wie durch
ein Wunder vom Brand von 1813 verschont. Die berühmte Ikone der Heiligen Jungfrau befindet sich in
der Mitte der Altarwand, sie ist die dritte, links des Zentraleingangs.
Die meisten Ikonen sind im byzantinischen Stil gehalten, während es auch andere gibt, welche von
westeuropäischem Einfluss zeugen. Unter den letzteren sind ebenfalls die Ikonen des kretischen
Malers Joannis Kornaros (1745 - 1812) aus dem späten 18. Jh. zu nennen. Den Schmuck vollenden
Kerzenleuchter, Kronleuchter und Lüster aus dem 18. und 19. Jh. prächtigen russischen Stils und
Herkunft sowie kirchliches Zubehör und Weihgaben.
Die Klosterbruderschaft, deren Geschichte
900 Jahre alt ist, zählt heute 20 Mönche
und 2 Novizen. Seit Januar 1984 bekleidet
Nikiphoros das Amt des Abtes.
Man ließ uns bis zur Abfahrt noch etwas
Zeit, so dass ich mit einem Ehepaar noch
die Gelegenheit wahrnahm, das im
Baedeker mit zwei Sternen versehene
Museum im Kykko- Kloster
aufzusuchen. Gemessen am Eintrittspreis
und der kleinen halben Stunde, die zur
Verfügung stand, war es beinahe eine
Kulturschande.
In einem Seitenflügel ist das Museum untergebracht, eine Schau von einmaligen und seltenen
religiösen Antiquitäten der Ostkirche, Byzantinische und Post- Byzantinische Kunst wie auch
Objekte der frühen christlichen Ära, Ikonen Wandgemälde, Gefäße, prunkvolle Gewänder,
reich mit Edelsteinen verzierte Bibeln, Gravuren, Juwelen auf Pokalen, Hirtenstäben,
Bischofsmützen, Keramik, Kirchenmöbel und Holzschnitzereien, bemalt und unbemalt. Das
alles war in einer hochmodernen Darstellung präsentiert, dass mir Schauer über den Rücken
liefen. Im Hintergrund ertönte unaufdringlich ritueller Gesang aus Mönchskehlen.
Ikone im Museum des Kykko- Klosters, 19. Jahrhundert:
Das Sakrament der Heiligen Taufe
Das Licht war abgedunkelt, die Beschriftung der Vitrinen und Ausstellungsstücke dennoch gut
lesbar, wenn auch nur in Griechisch und Englisch. Logisch. Es war eine einzigartige
Ausstellung. Mich hat es gewundert, warum der Reiseveranstalter mit keinem Wort auf diese
Sehenswürdigkeit eingegangen ist.
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Die Uhr lief grausam schnell. Bald musste ich abbrechen, wäre gerne noch verweilt oder vor
manchem Kunstwerk länger stehen geblieben. Unten löste ich meinen Fotoapparat wieder ein,
den ich abgeben musste. Ich hätte zwar schummeln können, da ich in der Tasche noch den
kleinen mitführte, aber ich möchte im fremden Land ungern negativ auffallen.
Wir verlassen den Klosterbereich wieder durch das Haupttor, mit mir das Ehepaar Schelter,
dem mein Lob für das gesteigerte Kunstinteresse gilt, und ohne die ich diese kleine
Zeiteskapade im Alleingang nicht gewagt hätte.
Ein Mönch steht zur Begrüßung und für Fragen im
Eingangstunnel. Abschied für uns. Ich werfe einen letzten
Blick auf die herrlichen Mosaike. Dann ist das vorbei. Die
staubige Straße, die stinkenden Busse, die eilenden
Menschen, Buden für Andenken, Essen stehen am Rand. Es
ist Mittagszeit. Auch ich habe jetzt Hunger. Hinter einem
Auto sitzt ein Mönch und ruht selbstvergessen. Der Kopf ist
ihm schwer geworden und auf die Brust gesunken.
Vom Getümmel dieser Welt ist
er weit entfernt. Das Alter sehnt
sich nach Ruhe. Dieses friedliche
Bild nehme ich mit und noch
eine idyllische grüne Ansicht von
der Ostseite der Klosteranlage.
Dann finden wir den Bus.
Wir fahren nicht lange, da hält Antonio an einem Rastplatz, wie
wir ihn im Vorbeifahren schon mehrmals gesehen haben. Bänke
und Tische laden den müden Wanderer oder Fahrradfahrer oder
auch Motorisierten ein, das Mitgebrachte zu verzehren. Wir
griffen in unsere Verpflegungsbeutel und machten Picknick im
Freien von 13.30 bis 14.30 Uhr im Halbschatten von riesigen
Aleppokiefern in göttlicher Ruhe des lockeren Gebirgswaldes.
XX. Kakopetria
D
und weitere Scheunendachkirchen in Galáta
as nächste Etappenziel an diesem Tage war nun mit einer längeren Anfahrt über die
Berge des Troodosgebirges verbunden. Weit reicht der Blick ins Land von hier oben,
manchmal konnte ich im Hintergrund, im blauen Dunst das Meer ahnen.
Nach einstündiger Fahrt hielten wir in Kakopetria und besichtigten zunächst den Ort. Es liegt
an den Nordhängen des Troodos, im fruchtbaren Tale eines Flüsschens, dem Kargótis. Enge
Gassen und alte hohe Walnussbäume bieten den Bewohnern Schatten. Das Dorf ist alt, aber es
hat die Chance, seinen Charakter zu bewahren. Die Regierung gibt den Bewohnern einen
Kredit mit günstigen Zinsen, Rabatt und Rückzahlungsbedingungen, wenn sie ihr Haus wieder
sanieren, restaurieren oder wenigstens außen in einen ordentlichen Zustand versetzen. Das
Programm hat in dem Musterort Kakopetria gezogen.
Viele Touristen besuchen Kakopetria. Bewohner bieten ihre Waren auf
der Straße an, direkt vor ihrer Haustür. Da handelt ein alter Mann, der
über dem Geländer seines Eckhauses lehnt und nach uns schaut, mit
Keramik, Strohkörben und Ansichtskarten. Auch Spielzeug bietet er feil.
Ich muss einen niedlichen Esel aufs Bild bannen. Er zieht eine kleine aus
Stroh geflochtene Karre.
Am Wegrand hat eine Hausfrau ihren Stand aufgebaut. Sie hat alles, was ihr Garten
hergegeben hat, in Gläser eingeweckt. In vielen Farben stehen sie in einer Reihe. Daneben
liegen frische Weintrauben, Äpfel, Zwiebeln, Bohnen. Wir spazieren weiter, kommen an
schönen Häusern vorbei, Holzbalkone, Vorbauten, von Weinlaub überdachte Terrassen
glänzen im goldgelben und herbstlichen Sonnenlicht.
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Vor einer verfallenen Scheune steht die Gruppe und
blickt hinüber, wo neben dem Bach Kargótis früher
eine Mühle stand, die sich heute zu einem großen
Hotel gemausert hat. Wir gehen durch den Ort, an
dessen befahrener Hauptstraße sich einige
Restaurants und Cafés befinden. Wir kehren im
ΕΣΤΙΑΤΟΡΙΟ ΖΟΥΜΟΣ (Restaurant Sumos) ein,
trinken einen kafedáki glikó, einen kleinen, süßen
griechischen Kaffee und essen ein Eis. Dabei
schauen wir von einer schattigen Terrasse auf das
Blick von der Terrasse des ΖΟΥΜΟΣ in
grüne Uferdickicht des Flusses. Kein Straßenlärm
Kakopetria
dringt hierher. Vögel zwitschern.
Nur das gedämpfte Murmeln der Gäste aus der Tiefe des Cafés ist zu hören, ein Geräusch, das
man unterdrücken kann. Es ist schön hier, und ich denke mir aus, wie es wäre in einen
Individualurlaub…
Wir müssen die Hauptstraße hinunter und suchen
den Bus. Antonio winkt einen falschen herbei – er
sieht unserem ähnlich. Dessen Fahrer ist ganz
verwundert, von einem Fremden Befehle zu
erhalten. Kurzes Palaver. Wir laufen wieder zurück.
Antonio greift zum Handy. Was wäre, wenn es
dieses Hilfsmittel nicht gäbe? In einen anderen Bus
steigen gerade eine Gruppe schwarz gekleideter
Frauen ein, Nonnen auf Pilgerfahrt? Ich forsche
nicht nach.
Wir fahren nicht weit, nur noch ein wenig nordwärts, durch den Ort Galata hindurch. Wir
halten auf staubigem Felde und laufen einen Feldweg hinunter. Tatsächlich sah es aus, als
würden wir der Scheune eines Bauern einen Besuch abstatten. Ein nüchterner Bau aus
Feldsteinen gemauert, wird von einem etwa 70 Grad spitzen Satteldach überdeckt. Darunter
verbirgt sich die Panagía tis Podíthou.
Die
zu
einem
ursprünglichen
Klosterkomplex gehörige Kirche der
Eleoúsa (die Barmherzige) wurde gemäß
einer gefundenen Inschrift im Jahre 1502
gegründet. Es ist sogar noch der Name des
Gründers bekannt: Dimitrios de Coron, ein
griechischer Militäroffizier im Dienste von
James II., König von Zypern, der mit Eleni
Paleologina verheiratet war. Die Kirche war
der Theotokos Eleousa (Wohltätigen
Jungfrau) gewidmet. Noch vor vierzig
Jahren gab es hier noch ein kleines
zweistöckiges Gebäude aus osmanischer
Zeit, das die Mönche beherbergte.
Das Satteldach liegt auf einer umlaufenden Mauer auf, die einen überdachten Umgang um die
innere Kirche ermöglicht. Der Grundriss ist rechteckig. Er mündet im Osten in einer
halbkreisförmigen Apsis, die leicht aus der Mauer hervortritt. Der Flur ist bedeckt mit
ausgetretenen, gebrannten Terrakotta- Ziegeln.
Die Ausmalung der Kirche ist nie vollendet worden. Fresken bedecken die Ziergiebel der
westlichen und östlichen Mauer, die Apsis, die ganze Ostwand so gut wie Teile der Nord- und
Südwand. Alle Gemälde wurden zu gleicher Zeit des Kirchenbaues geschaffen mit Ausnahme
von zwei Fresken aus dem 17. Jahrhundert, die Petrus und Paulus darstellen. Der Maler war
beeinflusst von der Renaissancezeit wie viele Maler seiner Zeit, diese Epoche ist bekannt unter
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dem Namen Italo- Byzantinischer Stil. Sein Hauptmerkmal sind die Wahl frischer Farben und
die dreidimensionale Behandlung des Sujets.
Antonio leuchtete mit der Taschenlampe in der dunklen
kleinen Halle die einzelnen Objekte an und erklärte dies an
einzelnen Beispielen. Die Schilderung der Kreuzigung am
ganzen Inhalt der Westwand ist ein gutes Beispiel für diesen
Malstil. Man kann ihn auch beobachten an den Fresken in der
Apsis von Maria mit dem Kinde und der Kommunion der
Apostel darunter.
Die Ikonostase wurde 1780 neu vergoldet. Ich konnte leider
keine Fotos machen. Neben der kleinen Kirche steht ein
hölzernes Gerüst, in das eine kleine Glocke gehängt ist. Das
Geläut wird, wenn es bimmelt, wohl nur die Gläubigen
erreichen, die hierher zur Andacht kommen.
Von hier gibt es über eine einzeln stehende Pinie einen
wunderbaren Blick in die Ferne auf die sanften Höhen des
Glockenturm der Kirche
Troodosgebirges. Reste von Mauern zeugen von einer
Panagia tis Podithou
Vergangenheit, die sich vor den heutigen verschlossen hat.
Nur 100 m weiter, etwas seitab vom Wege, durch eine
Baumgruppe versteckt, liegt eine zweite von ehemals
sieben Scheunendachkirchen in diesem Sprengel. Es ist
die winzige Kirche Panágia Theotókos. Sie hat auch
den Namen Panágia Theotókos Archángelos
(Erzengelkirche). Sie ist 1514 als Familienkapelle
entstanden, in der Zeit, als die Venezianer herrschten.
Diese kleine Kirche, die man eher Kapelle nennen
sollte, ist voll ausgemalt mit dem ganzen
ikonografischen Programm von Mariä Verkündigung
bis zur Kreuzigung und Auferstehung. Der Wächter
nahm das Fotografieren etwas lockerer, schaute hinweg,
verbat nur Blitzlicht. Trotzdem gelang nichts wirklich
Gutes. Wände und Decke sind voll ausgemalt, jeder
Quadratzentimeter. Mehrfach musste ich aufpassen,
dass ich mich nicht an den Querbalken stieß, die den
Panágia Theotókos Archángelos
Raum von Wand zu Wand überspannen.
Apsis Ostseite
Jeglicher Architekturkenntnis spottend, hielten sie
die Wände in Kopfhöhe zusammen, wobei sicher
die Absicht verfolgt wurde, den nach außen
wirkenden seitlichen Auflagerdruck des steilen
Satteldaches aufzunehmen. Ich schätze, der Bau
wurde von örtlichen Handwerkern hochgezogen,
die es nicht besser wussten. Diese Zugbänder
gehören in die Ebene der Dach-Traufe. So wird
die religiöse Wirkung der Malerei nachhaltig
gestört. Dennoch sind diese Fresken rustikaler als
in der vorigen Kirche. Sie tragen eine andere
Handschrift. Die Spender dieser Malereien sind
namentlich bekannt, ebenso kennt man den
Namen des Malers, Symeon Axéndi, der uns aber
Zugbänder stören die Wirkung der Fresken in der
Kirche Panágia Theotókos Archángelos, Galáta
nichts sagt. Alle wichtigen Szenen aus dem Leben
und von Tode Jesu sind abgebildet, wie gesagt das ganze Programm. Es hätte eines gelehrten
Vortrages bedurft, alle Darstellungen zu erläutern und zu interpretieren.
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Die Heimfahrt verlief ohne besondere Höhepunkte. Im Hotel Rodon in Agros versammelten
wir uns im Vestibül und erhielten eine Eislimonade kredenzt, wohl als Abschiedstrunk
gedacht, denn morgen früh würden wir das Hotel verlassen.
Ein letztes Mal benutzte ich als Einziger das Schwimmbad, genoss das reine Wasser in der
herben frischen Bergluft und schwamm, bis ich keine Luft mehr bekam.
Abendessen, Koffer packen, die letzte Nacht im Gebirge.
XXI. Der
Weg der Persephone
Freitag, 6. Oktober 2006
Frühmorgens Abschied vom „Dorf- Hotel“ Rodon in Agros. 8.30 Uhr setzt sich unser Bus in
Bewegung. Wir fahren westwärts, zunächst noch einmal ins Troodosgebirge, auf den höchsten
zugänglichen Punkt, um dann, mit einigen Höhepunkten, abends das Cynthiana- Hotel in
Paphos anzusteuern, wo wir die letzten sechs Tage verbringen werden.
Wir passieren Chandria, wo im Kafeníon schon die
Männer sitzen, die Ortsphilosophen. Der erste
Blickpunkt an diesem Tage: die „Kirchenruine“ in
Kyperounta, der im Aufbau begriffene, unter Nöten
leidende Neubau, von dem es heißt, dass das Geld aus
ist. Oberhalb einer langen Stützmauer aus hässlichem
Beton erhebt sie sich stolz und ist weithin sichtbar.
Es dauert nicht lange, bis wir bei Fahrt durch
verschiedene Landschaftsformen das Troodos- Plateau
erreichen.
Kirchenneubau in Kyperounta
Antonio erklärt uns die kahlen, unwirklich grauen Hänge, die unterwegs ein riesiges Areal
einnehmen. Wir sehen es im Süden unserer Hangstraße, die jetzt durch kahles Bergland führt.
Westlich des Gebirgsortes Amíandos (= auf Griechisch: Asbest) wurde bis vor wenigen
Jahrzehnten, genauer bis 1986 Asbest im Tagebau abgebaut. Das hat der Natur großflächige
Wunden geschlagen. Die jetzige Regierung ist bemüht, diese toten Berghänge wieder mit
Muttererde aufzufüllen und später aufzuforsten. Das ist mühsam und teuer und wird lange Zeit
dauern. Dafür hat man Terrassen angelegt, diese mit Bäumen bepflanzt, die man 5 Jahre lang
künstlich bewässert. Die Muttererde wird extra mit Transportern oft von weit her angefahren.
Das Projekt ist bis 2017 geplant und kostet Unsummen. Noch 1940 waren in der
Asbestindustrie 10 000 Leute beschäftigt. Nach dem Krieg wurde das Asbest über Limassol
per Schiff verladen und in die UdSSR und auch in die damalige DDR exportiert.
Die Bodenschätze Zyperns sind längst verbraucht. Die Kupfererz- Gewinnung ist unrentabel
geworden, wenngleich man es in geringsten Mengen wieder versucht. Von den reichen
Kupfervorkommen der Antike erinnert heute nur noch der Namen der Insel- Kypros. In der
Nähe des Olympos fördert man noch geringe Mengen Chromerze.
Wir tauchen wieder in den Wald ein und erreichen bald mit 1900 Metern das höchste Plateau
des Troodos. Dieses Bergmassiv ist der Rumpf einer vulkanischen Erhebung aus dem Meer.
Die Sedimentgesteinsschichten sind lange schon abgetragen. Zurück blieben die harten
vulkanischen Tiefengesteine, das grau-grüne Gabbro und andere Magmatite, aber auch noch
Lavagesteine. Der Gipfel ist 1951 m hoch, militärisch besetzt von den Engländern. In den
Wintermonaten Januar, Februar liegt dort Schnee, der sich in den Lagen bis 1500 m bis April
hält und dann Wasser in die Ebene liefert, das in vielen Staubecken gesammelt wird. Es gibt
auch viele Quellen hier oben. An den Bächen leben der Wiedehopf, Drosseln, Geier, der
zyprische Steinmätzer, das ist ein Singvogel, den es nur hier auf dieser Insel gibt. Das Gestein,
wo es frei liegt, ist jetzt rotbraun, gefärbt von Eisen.
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Wir kommen an und steigen aus. Ein großer freier Platz ist
jetzt, 9.10 Uhr, noch ganz leer. Dieser Ort liegt am
Kreuzungspunkt wichtiger Verkehrsstraßen. Er besteht
eigentlich nur aus ein paar Restaurants, zwei Hotels, einer
Tankstelle und vielen Verkaufsbuden, die im Sommer dicht
von Touristen und Ausflüglern umlagert sind. Viele
Verkaufs- Stände sind jetzt am Vormittag noch
geschlossen. Viele öffnen gar nicht mehr. Wir nähern uns
dem zyprischen Winter. Drei Telefonzellen stehen verwaist
im Halbschatten einer oben verkrüppelten und verdorrten
Schwarzkiefer, die hier oben recht häufig anzutreffen ist.
Wir sammeln uns und werden nun von Antonio zu einer
Wanderung eingeladen, die etwa 2 Stunden dauern wird.
Der Weg heißt Persephoni und sein Name zwingt mich, die
etwas längere Geschichte aus dem griechischen Schatz der
Mythologie zu heben, die Antonio dazu nur in Stichworten
und andeutungsweise erzählt.
Wer war Persephone?
Göttervater Zeus erwuchs aus der Liebesverbindung mit einer seiner göttlichen Schwestern,
nämlich der Korn- und Ackergöttin Demeter, die gemeinsame Tochter Persephone, die
künftige Göttin der Unterwelt und Gefährtin des Hades.
Persephone wuchs sorgenfrei im Kreise ihrer Schwestern Athena und Artemis auf. Eines Tages
erblickte sie ihr Onkel Hades, der Herrscher der dunklen Unterwelt, der sogleich von ihr
entzückt war. Aber ihre Mutter Demeter wollte ihm nicht die Hand des Mädchens geben, denn
ein Leben im Reich des Schattens sollte ihr erspart bleiben.
Daher entführte der Unterweltsgott die liebliche Jungfrau, als sie mit ihren Gefährtinnen in der
Nähe des Einganges zum Orkus 40 auf einer Wiese Blumen pflückte.
Manche meinen, dass diese Pforte zum Totenreich in
der Ebene von Eleusis in Attika lag, andere berichten,
sie läge in der sizilianischen Ebene am Fuße des
Ätna.
Demeter war verzweifelt über das plötzliche und
geheimnisvolle Verschwinden ihrer Tochter.. den
Entführer konnte ihr niemand nennen, denn er hatte
sein Haupt in nächtliches Dunkel gehüllt. Die Mutter
wollte nun nicht mehr in den Olymp zurückkehren
und irrte auf der Suche nach ihrem Kind neun Tage
und Nächte lang über die ganze bewohnte Erde. In
der Dunkelheit erleuchtete sie ihren Weg mit zwei
Fackeln. Sie aß keinen Bissen, trank keinen Schluck,
sie wusch sich nicht und machte sich nicht mehr
schön.
Auf dieser langen Wanderung kam die Göttin in
Gestalt einer alten Frau nach Eleusis. Dort ruhte sie
sich auf einem großen Stein aus, der in Erinnerung
ihres Schmerzes von den folgenden Geschlechtern
aghélastro petra, der „freudlose Felsen“ genannt
Unter dem wohlwollenden Blick der Persephone (r.),
wurde. Demeter begab sich zum König von Eleusis, die dieser Szene beiwohnt, übergibt Demeter (l.), in
Kelos, an dessen Hofe sie ein wenig ausruhte. Eine der Hand das Zepter, dem Knaben Triptolemos,
Sohn des Königs von Eleusis, die Weizenähre, die er
alte Dienerin namens Iambe konnte ihr sogar mit wiederum den Menschen bringen soll.
Relief um 430-420 v. Chr., Athen, Archäologisches
Späßen ein Lachen entlocken.
Nationalmuseum
40
Orkus, lateinisch Orcus, römischer Gott der Unterwelt und des Todes, auch Totenreich und Unterwelt selbst,
entsprechend dem griechischen Hades.
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Als Dank für die freundliche und gastliche Aufnahme wurde Triptolemos, der jüngste Sohn des
Königs, in die Geheimnisse des Getreideanbaus eingeweiht. Er bekam von Demeter den
Auftrag, die Kenntnisse der Feldbestellung in aller Welt zu verbreiten. In Eleusis entstand
später um den „freudlosen Felsen“ ein bedeutendes Heiligtum zu Ehren von Demeter und
Persephone, Berühmt waren die Fruchtbarkeitsmysterien, die nur den Eingeweihten enthüllt
werden durften.
Demeters freiwillige Verbannung hatte die Erde unfruchtbar gemacht. Die ganze Weltordnung
drohte durcheinander zu geraten. Endlich erhörte Zeus das Bitten der verzweifelten Mutter.
Er befahl seinem Bruder Hades, die Braut freizugeben und zur Mutter zurückzubringen. Aber
das war nicht mehr möglich. Persephone hatte in der Unterwelt versehentlich von einem
Granatapfel gegessen, und wer im Reich der Schatten irgendetwas zu sich nahm, durfte nicht
mehr ans Sonnenlicht zurück. Auch die Götter unterstanden diesem Gesetz. Zeus musste sich
daher mit seinem Bruder auf halbem Wege einigen und fällte die Entscheidung, dass
Persephone einen Teil des Jahres bei Hades in der Tiefe verbringen sollte und einen anderen
Teil bei ihrer Mutter auf Erden. Demeter konnte nun wieder ihren Platz im Olymp einnehmen,
und die natürliche Ordnung der Dinge war wieder hergestellt.
So floh Persephone jedes Frühjahr aus dem unterirdischen Schattenreich, und zugleich kamen
auch die Pflanzen und Blüten aus der Erde hervor. Zur Zeit der Aussaat aber musste sie wieder
in die Unterwelt zurück. Während ihres winterlichen Aufenthaltes bei den Unterirdischen aber
ließ Mutter Demeter die Erde unfruchtbar bleiben. Mit dieser Erzählung erklärten die Alten
den Wechsel der Jahreszeiten.
Nun wandern wir auf einem nach Harz und Nadeln duftenden, schattigen Weg der
Persephone. Die griechischen Zyprer sind natürlich auch der griechischen Mythologie
verhaftet, was aus vielen Namen, die sie Orten und Dingen gaben, hervorgeht.
Wir laufen in Gänsereihe auf dem schmalen Waldweg,
achten auf Wurzeln und Steine. Mir ist das Tempo, das
Antonio vorgibt, zu hoch, weil es nicht Zeit lässt, schöne
Fotomotive auszukosten. Bleibe ich stehen, walzt alles an
mir vorüber. Ich falle hoffnungslos zurück und verliere den
Anschluss. In fremdem Gelände ist das peinlich. Also
verzichte ich auf Bilder und genieße die herbe Luft und
schärfe den Blick auf die Natur um mich herum. Rechts
den Hang hinauf sehe ich Drahtzäune- englisches
Sperrgebiet rings um den Olympos, einige Bauten, Schilder
mit Verbotshinweisen. Rechts zieht sich der schüttere
Bergwald, vorwiegend Schwarzkiefern, den Hang hinauf.
Links öffnet sich der Blick ins Land. Lange begleitet uns
die Aussicht auf die Halden des Asbestbergbaus. Ihre
grauen Halden stören gewaltig das idyllische Bild der Natur
und erinnern nachhaltig an den Lebensanspruch der
Menschen. Antonio bleibt stehen und zeigt auf den Boden.
Halden des Asbest- Bergbaus stören Ich bin überrascht. Wie dekoriert oder eingepflanzt,
wie riesige Narben die Natur
sprießen da und dort ein paar lila Herbstzeitlose.
Das Unterholz ist dornig und vertrocknet, aber sprüht von bunten Farben, dennoch blühen
Salbei und Berberitze und viele Kräuter, die mir nicht bekannt sind. Ähnlich unseren
Heidelbeeren locken blaue Beeren zum Naschen. Natürlich tue ich das nicht. Ich beschäftige
mich zu wenig damit. Dann ein nüchternes Schild auf Englisch: Ende Persephone Trail. Ein
anderer Weg führt weiter hinein in das Troodos- Wandergebiet, längere Wege. Wir biegen ab
und folgen einem breiten Weg, der mit dem Bulldozer gebaggert wurde und nicht mehr so
lieblich ist wie der eben verlassene Waldpfad. Wir sind auf dem Europäischen Fernwanderweg
E4. Bald rasten wir im Schatten. Einige Frauen besetzen eine Bank. Andere müssen mal und
verkrümeln sich außer Sichtweite. Nach dem Aufbruch ist diese Wanderung, die eher einem
Spaziergang glich, auch schon wieder vorbei. Was sind schon 3 km!
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Wieder auf dem Troodos- Platz zurück, besetzen wir eine mit Bänken überdachte schattige
Picknick- Station. Es ist jetzt 11.30 Uhr und Zeit für eine Mittagsrast. Antonio und Carina,
unterstützt vom Kraftfahrer packen Vorräte aus und bereiten uns ein wunderbares Picknick. Sie
schneiden Zwiebeln, Paprika, Tomaten, Gurken, Zucchini, Salami, Schinken, zwei Sorten
Schafskäse, Brot und reichen Wein und Oliven, die Antonio von seiner Mutter mitgebracht hat.
Es schmeckt, so im Freien. Jeder wird satt, und es bleibt eine Menge übrig.
12.40 Uhr steigen wir wieder ein und verlassen nun das Troodos- Gebirge. Auf der B8 fahren
wir die 40 km hinunter in die Ebene bis Limassol, kreuzen dort die Küstenautobahn und
brausen dann direkt in die heiße Nachmittagsonne nach Westen bis Kolossi.
XXII. Kolossi
D
ieser Ort beherrschte in antiker Vorzeit die Halbinsel Akrotiri, heute ist sie noch
teilweise „SBA“, Sovereign Base Area, im Besitz der Engländer, Relikt der
Kolonialmacht. Kolossi liegt nur 14 km von Limassol (Lemesos) entfernt.
Ich rätsle über die Herkunft des Namens. Kolossä oder auch Kolossai, was sehr ähnlich klingt
oder verwandt sein kann, ist eine antike kleinasiatische Stadt im südlichen Phrygien, etwa in
der Mitte Kleinasiens. Sie war Sitz einer der ältesten Christengemeinden und Adressat des
Kolosserbriefs, dem Apostel Paulus zugeschriebener, wahrscheinlich aber von einem Schüler
desselben verfasster Brief des Neuen Testaments an die Gemeinde von Kolossä.
Hier also Kolossi. Unzweifelhaft in den Mittelpunkt des
Geschichtsinteresses rückte der Ort mit dem Bau einer
Burg durch den Johanniterorden 41 .
Um 1210 schenkte der fränkische König Hugo I. den
Johannitern fruchtbares Land um Kolossi. Nach dem Fall
von Akkon 1291, wir erinnern uns an Richard Löwenherz,
diente die Feste als Hauptsitz des Johanniterordens. Sie und
sicher auch die Lusignans erbauten während des 13.
Jahrhunderts hier eine Burg und begannen das Land zu
kultivieren. Sie erzeugten Olivenöl, Weizen, Baumwolle,
Wein und bauten auch Zuckerrohr an.
1373 griffen die Genueser die Burg an, konnten sie aber
nicht erobern. Mitte des 15. Jahrhunderts baute man unter
dem Großkomtur Louis de Magnac die Burganlage aus und
erhielt ihren heutigen Grundriss. Viele Bauten davon sind
geschliffen. Mächtig und beeindruckend erhebt sich der
zentrale Donjon, der Burgfried, Hauptturm und Rest der
ehemaligen Wehranlage. Er ist 21 m hoch und 16 x 16 m
im Geviert.
An einem Kassenhäuschen vorbei dürfen wir in das
Museumsareal hinein. Große Hitze lastet jetzt, 13.10 Uhr,
auf den hellen Mauern, den Steinplatten, die die Wärme an
die Umgebung zurückgeben. Zunächst versammelt uns unser Herdenführer und spricht.
41
Johanniterorden, Johanniter, Malteser-, Hospitaliter-, Rhodiser-Orden, geistlicher Ritterorden, entstanden
aus einem um die Mitte des 11. Jahrhunderts von Kaufleuten aus Amalfi gestifteten Spital in Jerusalem zur
Pilgerbetreuung und Krankenpflege. Gerard, vermutlich ein Provençale, rief einen 1113 von Papst Paschalis II.
bestätigten Orden ins Leben.
Unter Gerards Nachfolger Raimond de Puy (1118—1160) wandelte sich die Gemeinschaft in einen Ritterorden
um, der von einem Großmeister geleitet wurde.
Die Ritter trugen schwarze Mäntel mit weißem Kreuz. Ordenssitze waren nach dem Fall Jerusalems (1187) u. a.
Akko, Zypern (19 Jahre) und Rhodos; seit 1522 bis 1798 lag der Hauptsitz auf Malta . Nach dem Verlust Maltas
lebte der Orden, manchmal in geänderter Form, in einigen Ländern weiter und wurde im 19. Jahrhundert
reorganisiert (neuer Sitz des Großmeisters: Rom). In Deutschland bestehen ein evangelischer Zweig des
Johanniterordens (Preußischer Johanniterorden) und ein katholischer, Malteserorden genannt, der sich wie jener
vornehmlich karitativen Zwecken widmet.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Im Schatten eines alten Baumes setzen wir uns
wie die Hühner auf der Stange auf eine
Steinkante. Dieser Baum ist riesig und etwas
Besonderes. Er ist ein Schmetterlingsblütler, ein
so genannter Machärionbaum. Er soll 160 Jahre
alt sein und stammt aus Nordamerika. Er ist 27
m hoch und trägt als Früchte scharfe Schoten
(griech. Macherie = Messer). Antonio hält
seinen Vortrag. Wir erfahren eine Menge über
die Besonderheit dieses Mönchsordens, der die
sehr weltliche Erzeugung von Zucker hier zu
seinem Haupterwerb erkoren hat. Die Johanniter
Kolossi, Mühlenhaus der einstigen
bauten in ihrer Großkommende 42 hier eine
Zuckerrohrfabrik
Zuckerrohrfabrik, deren Reste heute noch
eindrucksvoll belegen, wie professionell und umfänglich produziert wurde.
Neben einem Aquädukt, der das Wasser einer Mühle zuführte, die die notwendige Energie
umwandelte bis zu den Hallenkomplex, der noch schöne Bögen aufweist, lässt sich das gut
nachvollziehen.
Ich habe nachgelesen und über die zyprische Zuckerrohrproduktion folgendes gefunden:
Zucker auf Zypern
„Der Überfluß an Zuckerrohr und dessen Herrlichkeit in Zypern ist gar nicht zu
beschreiben. Der Patrizier Frederico Cornaro aus Venedig hat bei Limassol ein
großartiges Besitztum, Episkopi, wo man so viel Zucker macht, daß ich glaube, die
ganze Welt müßte daran genug haben. Der beste geht nach Venedig und man verkauft
davon alle Jahre mehr. In dieser Gegend, sollte man glauben, könne niemand sterben,
so reizend ist es zu sehen. wie man den feinen und den weniger feinen Zucker
macht, und wie die Leute, fast 400.sind es, an der Arbeit sind. Geräte haben sie so
vielerlei, daß ich in einer anderen Welt zu sein glaubte, und Kochkessel von einer
Größe, daß es niemand für wahr halten wird, wenn ich sie beschreibe."
Aus der Feder des italienischen JerusalemPilgers Pietro Casola stammt diese
überschwängliche Schilderung eines Besuches
im Zentrum der zyprischen Zuckerindustrie
Ende des 15. Jahrhunderts. Nahezu jeder
Reisende, der sich zwischen dem ausgehenden
13. und der zweiten Hälfte des 16.
Jahrhunderts auf der Insel umsah, äußerte sich
ähnlich bewundernd über Ausmaß und
Qualität der dortigen Zuckerproduktion.
Arabische Kolonisten machten das Zuckerrohr
schon um 700 auf Zypern heimisch, nachdem
die kostbare Pflanze aus ihrer Heimat im
Melanesischen Archipel über das untere
Indus-Tal, den Persischen Golf und das
Zweistromland
bis
an
die
syrische
Mittelmeerküste
vorgedrungen
war.
Jahrhundertelang nur von lokaler Bedeutung,
nahm die zyprische Zuckerproduktion einen
stürmischen Aufschwung, als in der Kunst der
Zuckerherstellung bewanderte "fränkische"
Flüchtlinge nach dem Verlust ihrer Güter im
Kolossi, Wohnturm der alten Johanniterburg
42
Kommende, [die; lateinisch], Verwaltungseinheit beim Johanniterorden und beim Deutschen Orden.
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Heiligen Land 1291 nach Zypern hineinströmten und hier erfolgreich ihr altes Gewerbe
fortsetzten.
Blick auf Kolossi
Auch der kämpferische Johanniter-Orden war vor der Wucht der muslimischen Offensive auf
die Insel ausgewichen und baute sich in seiner Großkommende Kolossi nahe Limassol ein
Zuckerimperium auf, das zur technologisch führenden und ertragreichsten
Zuckerproduktionsstätte Zyperns wurde. In ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, im Gebiet von
Episkopi, besaßen die venezianischen Cornaros, eine einflussreiche Familie international
tätiger Bankiers und Kaufleute, ausgedehnte Zuckerrohrplantagen. Eine weitere bedeutende
Anbauzone für das süße Rohr war die Küstenebene nördlich und südöstlich von Paphos, wo
sich die Plantagen und Raffinerien der königlichen Lusignan- Familie konzentrierten - so in
Lemba, Achelia und Kouklia. Andere Anbaugebiete der Lusignans lagen bei Lefke, Morphou
(türk. Güzelyurt)) und Akanthou (türk. Tatlisu) nahe der Nordküste. Auch die Johanniter
besaßen im Norden Plantagen, so in Lapithos (türk. Lapta) wie auch in Morphou.
Das Zuckerrohr konnte als Sommerfrucht gezogen
werden, da sein hoher Wasserbedarf zu Füßen des
Troodos-Gebirges
und
der
Pentadaktylos/Resparmak- Bergkette gesichert war
- beste Voraussetzungen also, um eine blühende,
exportorientierte Zuckerindustrie entstehen zu
lassen. Das von den Plantagen herbeigeschaffte
Zuckerrohr wurde zunächst in Stücke geschnitten
und dann einem zweistufigen Mahlprozess
zugeführt: ein gewaltiger Mühlstein, der - so in
Kouklia - einen Durchmesser von 2,60 m und eine
Dicke von 0,53 m erreichen konnte, wurde von
Tieren bewegt und zermalmte das Rohr. Dann
presste man in einem zweiten Arbeitsgang unter
Einsatz einer feiner regulierbaren Wassermühle den
im Rohr verbliebenen Saft aus. Ein großvolumiger
Bottich fing den Saft auf, der darauf durch Stoff
gefiltert und in großen Kupferkesseln gekocht
wurde, was bis zu drei Mal zu wiederholen war, uni
Zucker bester Qualität zu erhalten.
Kolossi, Gotische Bogenarchitektur des
Mühlenhauses der Rohrzuckerfabrik
Der nach jedem Umkochen heller werdende und eindickende Sirup wurde schließlich in
konisch zulaufende Keramikformen mit einem Loch im Boden abgefüllt. Sie saßen auf
Auffangbehältern, in die Reste des Sirups tropften, während sich im oberen Gefäß die
Zuckerkristalle absetzten, durchtrockneten und härteten und durch die konische Form ihres
Gefäßes in die typische Zuckerhutform gebracht wurden. 1445 übernahm das venezianische
Handelshaus Martini die Vermarktung des Zuckers der königlichen Domänen Kouklia und
Achelia, und im gleichen Jahr kaufte es auch erstmals die Produktion der JohanniterKommende zu Kolossi auf. Das strenge Preisdiktat und festgelegte Abnahmequoten seitens des
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Aufkäufers bereiteten den Produzenten zwar gelegentlich Ungemach, auf der anderen Seite
waren sie das Problem der Vermarktung in Europa los.
Der Historiker Etienne de Lusignan berichtete 1573 in seinem in Bologna erschienenen Werk
„Chorograffia et breve historia universale dell'isola di Cipro…“ von alarmierenden
Entwicklungen: „Die Insel erzeugt ziemlich viel Zucker auf den Gütern zu Lapithos, Achelia,
Ktima, Chrysochou, Episkopi und Kolossi; an anderen Orten war dies auch der Fall, aber
weil man mehr Gewinn mit weniger Auslagen bei der Baumwolle findet, wird jetzt nur mehr
weniger Zucker erzeugt (…) Die Baumwolle gibt den besten Ertrag auf Zypern, weshalb sie
viel die Goldpflanze nennen.“
Was der Historiker Lusignan hier nüchtern konstatiert, waren die unübersehbaren Vorboten
des dramatischen Niedergangs der zyprischen Zuckerrohrkultur. In den wenigen Jahrzehnten
zwischen 1570 und 1600 kollabierte dieser einst blühende Wirtschaftszweig. Entscheidend für
den Zusammenbruch war die wachsende Konkurrenz der klimatisch begünstigten und
effizienter bewirtschafteten Plantagen der neuen europäischen Kolonien auf den
westafrikanischen Inseln und in Lateinamerika. Um 1540 importierte Venedig nur noch einen
kleinen 'Teil seines Bedarfs aus den ostmediterranen Erzeugergebieten. Eine weitaus größere
Menge bezog es aus
Madeira via Lissabon als Zucchero di Medera. 1420 hatten die Portugiesen erstmals aus
Sizilien eingeführte Zuckerrohrschösslinge (auch Weinstöcke aus Zypern!) auf Madeira
angepflanzt und, durch den Erfolg ermutigt, auch auf den Kapverdischcn Inseln, den Azoren
und Sao Tomé. Billigzucker aus Madeira war schon um 1500 in Westeuropa ein fester
Begriff. Sebastian Münster notierte nach älteren Quellen in seiner
"Cosmographey oder Beschreibung aller Länder Herrschaften…“"(hier in der Ausgabe Basel,
1592):„ Es hat auch der König von Portugal lassen Zuckerrohr pflantzen in diese Insel / und
das wechßt mit Hauffen / und bringt järlichen groß Gut. Solcher Zucker ist auch so
geschmackt /dass er obertrifft den so in Sicilia und Cypro wechßt.“
Als schließlich brasilianischer Zucker weit
unter dem Preis der Erzeuger am
Mittelmeer
ab
1530/40
auf
den
europäischen Markt drängte beschleunigte
dies den Niedergang der Zuckerindustrien
von Zypern über Sizilien bis Andalusien.
Wir stiegen auf den Turm hinauf. Man
gelangt über eine Zugbrücke gleich ins
erste Obergeschoss. Unten sind die
Lagerräume und Zisternen. Es gibt zwei
Säle mit Kamin. Auch im zweiten Stock
finden sich Kamine mit dem Wappen des
Stifters Louis de Magnac. Von der
Kolossi, Wohnturm, 2. Stock,
Dachterrasse aus konnten wir weit ins Land
Aufenthaltsraum mit Kamin
sehen, in der dunstigen Ferne das Meer.
Es gibt eine süße Weinsorte, den Commendaria, der noch an die Kommende der Johanniter
erinnert. Leider habe ich ihn verpasst.
XXIII. Kourion
A
uf ging es in Eile, nach nur 40 Minuten, zur nächsten Station, den Ausgrabungsstätten
von Kourion. Nach nur wenigen Kilometern erreichten wir das Dorf Episkopi. Ein
großes Schild wies uns von der Hauptstraße weg nach links. Dann versperrte eine
Schildwache den Weg. Ein Wärterhäuschen auch hier. Kurze Verständigung, dann fahren wir
ein. Rechts erheben sich Mauern, antike Mauern. Kourion ist ein Riesenkomplex, für den man
mehr als einen Tag braucht, um alles zu studieren. Wir machten unseren Rundgang auf
Japanisch. Klick und weiter. Wir halten vor dem Haus des Eustólius, eines reichen Römers.
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Hölzerne Laufgänge, erhöht über den ausgegrabenen Mauernabschnitten angebracht, zwingen
den Besucher zur Disziplin, nicht zwischen den Steinen, den herrlichen Mosaiken
herumzulaufen und die Zeugnisse der Vergangenheit zu vernichten. Ich kenne Zustände in der
Türkei, wo jährlich Hunderttausende über die Gräberfelder walzen, rücksichtslos über die
Artifakte turnen, ihre dummen Sprüche und Initialen in die Steine ritzen und anderen Unfug
treiben. Die Achtung vor der Vergangenheit beginnt mit der Achtung vor dem Alter. Wenn
ich unsere Gesellschaft betrachte:
Wo ist diese Achtung geblieben?
Ein erstes sehr gut erhaltenes
Mosaik zeigt die Göttin Ktisis, eine
weibliche Personifizierung des
schöpferischen Geistes, mit dem
Messstab in der Hand, die genau
einem römischen Fuß entspricht,
einem Grundmaß des Bauwesens.
Nach Berichten des römischen
Ausgrabungen in Kourion: Theater und Haus des Eustólios
Historikers Ammanius Marcellinus
erlitt die Stadt Kourion in den frühen Morgenstunden des
21. Juli 365 n. Chr. ein Erdbeben, das die Stadt
vollständig zerstörte und die meisten Menschen im Schlaf
überraschte. Bei Ausgrabungen 1934 und 1984 – 1987
entdeckte man die Reste eines Wohnhauses und Skelette
seiner einstigen Bewohner.
Nimmt man das Datum und blickt in die Geschichte, so
sind also schon nicht mehr die Römer die Herrscher über
Zypern. Nach dem Konzil von Nikäa im Jahre 325 gehört
Zypern zum Oströmischen Reich, als Byzanz bekannt.
Das Christentum wird Staatsreligion. Kaiserin Helena
besucht Zypern. Doch in diesem 4. Jahrhundert zerstören
Erdbeben die großen Städte Zyperns völlig.
Haus des Eustólios, Ktisis, Mosaik
Das ausgegrabene Haus des Eustólios ist zum großen Teil überdacht. Man hat bei den
Grabungen die Skelette einer Familie gefunden, die sicher vom Erdbeben beim Einsturz des
Hauses überrascht wurde. Der Mann hat sich in rührender Weise
über die Körper seiner Frau und seines Kleinkindes geworfen,
um sie vor den herabfallenden Steinen zu schützen. Der Mann
war um die 25, die Frau 19 und das Kind höchstens eineinhalb
Jahre alt. Eine Tragödie vor 1640 Jahren. Man nennt sie „Romeo
und Julia von Kourion“. Wenn ich das noch weitergeben darf,
was ich im Baedeker las: „Im benachbarten Stall lagen die
Skelette eines 13jährigen Mädchens und eines Esels. Die
Untersuchungen ergaben, dass das Mädchen schon vor dem
Erdbeben tot war. Vermutlich war der Esel vor Ausbruch des
Bebens unruhig geworden. Das Mädchen wollte nach ihm
schauen und wurde von Hufschlägen des sich aufbäumenden
Tieres getroffen, bevor dann der Stall über ihnen
zusammenstürzte. Der Esel war noch mit einer Eisenkette an
einem 360 kg schweren Futtertrog aus Kalkstein angekettet. Die
beiden Halfterringe, einer aus Eisen, einer aus Bronze, waren an
seinem Maul.“
Die Geschichte der Menschheit ist immer eine Geschichte von
Katastrophen gewesen. Die haften im Gedächtnis an die
Skelette einer Kleinfamilie
Altvorderen. In ihr spielen auch die Religionen eine große Rolle.
Museum Episkopi
Foto Baedeker
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So fanden wir christliche Symbole wie den Fisch als Mosaik. Er erinnert an die
neutestamentliche „Speisung der 5000“ am See Genezareth.
Die Mauern des Eustólios- Hauses stoßen direkt an die Außenwand des Amphitheaters, das im
grellen Sonnenlicht liegt. Trotz Hitze steigt uns Antonio voran, einen der fünf Gänge hinab.
Das Amphitheater
Wir nehmen auf den harten Steinstufen Platz und
empfinden es nach, wie es wohl gewesen sein
musste: Mehrere Tausend Menschen versammeln
sich, vielleicht in der Dämmerung eines warmen
Tages. Erwartungsvolles Gemurmel. Dann zeigen
sich vorn auf der Skene, das ist ein hoher Aufbau,
der heutigen Bühne ähnlich, der bis in die Höhe der
letzten Sitzreihen reichte, die ersten Protagonisten.
Beifall rauscht auf. Über der Skene versinkt das
noch blaue Meer langsam im Schatten des Abends.
Fackeln sind angezündet. Ein Chor tritt auf. Man
spielt die jahrhundertealte Tragödie „König
Amphitheater von Kourion
Ödipus“ von Sophokles. Es wird still im Rund.
Der Wind ist nur noch eine schwache Brise und weht vom Meer, trägt den Gesang hinauf bis in
die letzten Ränge. Danach treten die ersten Mimen auf. Alle Schauspieler sind Männer. Frauen
dürfen nicht auf die Bühne. Die Schauspieler tragen Masken. Mit ihnen lassen sich Gute und
Böse trennen. Männer tragen dunkle Masken, „Frauen“ weiße, so kann man auch die
Geschlechter erkennen. Wieder marschiert ein Chor von links, die Feinde. Ein weiterer Chor,
von rechts kommend, signalisiert den Zuschauern freunde. Sie singen gegeneinander.
Einzelauftritte: Huldigung, Verrat, Brudermord. Der König der Feinde wird Sieger.
Schlusschor. Pfiffe ertönen, Geschrei von den Rängen. Das Stück fiel durch. Da wurde kein
Unterschied gemacht, ob die Handlung schlecht geknüpft war, ob die Mimen versagten, die
Verse unverständlich waren. Das Publikum entschied. Das Stück wird nie mehr gespielt
werden.
Nun sitze ich hier und träume in der gleißenden Sonne.
Im Nahen Osten habe ich schon manche Theater gesehen, in Bosra und Palmyra (Syrien),
Byblos (Libanon), Amman, Petra und Jerasa (Jordanien), Pergamon und Ephesus (Türkei).
Alle haben mich fasziniert, haben meine Phantasie auf den Plan gerufen. Die Schauspielkunst
ist wie gespielte Musik. Worte und Gesang klingen auf, verwehen, erreichen die Sinne der
Menschen, aber versinken mit deren Erinnerung im Staub der Vergangenheit. Erst heute fand
man mit Film und Elektronik Mittel, Theater zu konservieren. Aber was weiß man noch von
den Anfängen? Nichts. Wenig. Viel zu wenig. Natürlich ist einiges überliefert.
Die großen Zeiten der klassischen hellenischen Theaterkunst haben sich gewandelt. Vielleicht
haben religiöse Themen auf der Bühne die mythologischen abgelöst. Nur wenig an Schriftgut
ist auf uns gekommen. Erhalten haben sich bis heute einige griechische Stücke des Aischylos 43
(Sieben gegen Theben, Die Perser) und eben von Sophokles 44 (Elektra, Ödipus auf Kolonos).
Ich träume weiter.
Die alten Griechen haben die Theaterkunst entwickelt. Wann sie genau ihren Anfang nahm
oder mit welchem Ereignis, das kann heute niemand schlüssig sagen. Aus der hellenischen
43
Aischylos, der älteste der großen griechischen Tragödiendichter, * 525/524 v. Chr. Eleusis, † 456/455 v. Chr.
Gela, Sizilien; kämpfte in den Perserkriegen mit, Liebling der Athener (oftmaliger Sieger im Wettkampf der
Tragiker). Von den über 70 dem Titel nach bekannten Stücken sind 7 ganz, von dreien größere Bruchstücke
erhalten; sie zeigen in kühner, bilderreicher Sprache die Gerechtigkeit der göttlichen Weltordnung: „Orestie“
(Trilogie), „Der gefesselte Prometheus“, „Die Perser“, „Sieben gegen Theben“, „Die Schutzflehenden“.
44
Sophokles, griechischer Tragödiendichter in Athen, * um 496 v. Chr., † um 406 v. Chr.; Schauspieler,
wiederholt in hohen Staatsämtern (Schatzmeister, Stratege). Die attische Tragödie entwickelte Sophokles durch
Einführung des 3. Schauspielers, Vergrößerung des Chors und Lösung des Einzelstücks aus dem Zusammenhang
der Trilogie über seinen Vorgänger Aischylos hinaus. Von über 100 Stücken sind 7 vollständig erhalten, deren
Größe in der Charaktergestaltung liegt: „Aias“; „Antigone“; „Elektra“; „Ödipus Tyrannos“; „Trachinierinnen“;
„Philoktet“; „Ödipus auf Kolonos“; dazu kamen durch Papyrusfunde rund 400 Verse des Satyrspiels „Ichneutai“.
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Kultur des Ackerbaues war es zunächst dieser Kult an die Fruchtbarkeit der Erde, dem man
huldigte. Bekannt ist der Dionysos- Kult, der nach dem Mythos den Griechen den Weinbau
brachte. Das war etwa in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts vor Christus. Umzüge, auf
denen der Gott Dionysos mitgeführt wurde, sind erste theatralische Vorstellungen, Dionysien
wurden gefeiert, Feste zu seinen Ehren. Auch der Demeterkult wurde zum Grund für
Aufführungen. Die Demeter als Urmutter der Natur war verantwortlich für den Wechsel der
Jahreszeiten, siehe das Schicksal der Persephone! Gesänge und Totenrituale mögen eine
Vorstufe für die späteren Tragödien gewesen sein. Die von Mund zu Mund weitergegebenen
Geschichten der olympischen Götterfamilie, die immer mehr im Volksmund zu einem
schlüssigen Komplex von Symbolfiguren für alle konkreten und abstrakten Lebensformen
wurden, speisten die Phantasie der frühen Dichter, die diese Geschichten in künstlerische
Verse gossen. Das athenische Dionysostheater am Südhang der Akropolis, das schon im 5.
Jahrhundert v.u.Z. bestanden hatte, nahm zum Beispiel 17 000 Zuschauer auf. Das im
arkadischen Megalopolis aus dem 4. Jh. v.u.Z. hatte sogar Platz für 44 000 Zuschauer.
Brot und Spiele, war die Devise der Römer. Zu den Spielen zählte auch das Theater.
Also Theater gab es schon vielleicht vier-,
fünfhundert Jahre, als in Kourion diese Stätte gebaut
wurde. Auf eine kleine hellenische Spielstätte aus
dem 2. Jh. vor bauten die Stadtkönige von Episkopi
und Kourion im 2. Jh. nach der Zeitenwende ein
größeres Theater, das die heutigen Abmessungen hat.
Meine Gedanken gingen mit mir durch, als ich so auf
den harten Stufen saß und die Sonne auf mich
hernieder brannte. Was hat sich hier nicht alles
abgespielt, im wahrsten Sinne des Wortes! Ich setze
bewusst ein Ausrufezeichen. Zweitausend Jahre
Antikes Theater von Kourion.
Freilichtbühne.
Wir gehen weiter. Jetzt erst erlebe ich die Ausdehnung des archäologischen Grabungsgeländes.
Bis zum antiken Stadion zieht es sich auf etwa 1,5 km hin. Der erste Eindruck für mich war ein
unübersichtliches Feld von Mauern, Säulen, Bögen, Straßen und Plätzen, das sich bestimmt
nicht in einer halben Stunde dem Besucher erschließt. Die Besichtigung einer solchen Anlage
geht immer einher mit der Voraussetzung, dass man zumindest etwas Bescheid weiß über die
Zeit, in der in diesen Mauern Leben herrschte. Was also war hier los?
Lassen wir alles beiseite, was vor den großen Erdbeben im 4. Jahrhundert geschah. Viele
Städte und auch Basiliken werden danach neu gebaut. Beginnen wir in der byzantinischen Zeit.
Die Kirche auf Zypern erhält im 5. Jahrhundert n. Chr. volle Autonomie. Der Erzbischof darf
einen Purpurmantel und anstelle des Hirtenstabes ein Zepter tragen. Das geschah mit Erlass des
Kaisers Zeno nach der Auffindung des Grabes des Heiligen Barnabas 45 .
647 wird Zypern von den Arabern unter Muawiya überfallen.
Und noch drei Jahrhunderte danach ist Zypern immer wieder
den Einfällen von Arabern und Piraten ausgesetzt, bis
Nikophoros Phokas sie endlich 965 aus Kleinasien und
Zypern vertreibt. Dann ist für zweihundert Jahre relative
Ruhe. Stadtkönige regieren die Menschen auf der Insel, die
Bischöfe deren Seelen. Bis die Kreuzritter um 1190 kommen.
Doch diese Geschichten habe ich bereits erzählt.
Ein bedeutender Komplex ist die Episkopal- Basilika aus
dem 5. Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Sie ist eines der
wichtigsten frühchristlichen Zeugnisse auf Zypern.
45
Barnabas, zeitweise Mitarbeiter des Apostels Paulus, vertrat mit ihm
die Belange der nichtjüdischen Christengemeinden auf dem sog.
Apostelkonzil (Apostelgeschichte des Lukas 4,36 f., 15,1 ff.; Brief des
Paulus an die Galather 2,1 ff.); Heiliger; Fest: 11. 6.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Kourion, Frühchristliche Basilika
Sie war 55 m lang und, dreischiffig, 37 m breit, mit einer halbrunden Apsis. Im Osten befand
sich ein Portikus oder Narthex, durch den man in die Kirche gelangte.
Ein Baldachin, getragen von vier Säulen, deren
Fundamente man noch sieht, überspannte den
Altar. Im Westen der Basilika schließt sich ein
Atrium an, daneben eine weitere Kapelle, das
Haus des Diakons, der Bischofspalast und die
Taufanlage (Baptisterium) mit Kapelle und
Kruzifixwand.
Während des zweiten arabischen Einfalles im
Jahre 654 wurde die Anlage zerstört. Sie wurde
wieder in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts
noch für eine Zeitlang genutzt und begann
danach im späten 7. und frühen 8. Jh. zu
Kourion, Reste der frühchristlichen Basilika
verfallen.
Auf dem großen Gelände finden sich die Reste einer
griechischen Agora wie die auch eines römischen
Forums, entstanden vor 365 v.u.Z. Säulen
dokumentieren die Grenzen wie auch Händlerhäuser
und Ladenstraßen. Eine Patrizierfamilie hat ein
Atriumhaus gebaut, in dem ein sehr schön erhaltenes
Mosaik den Kampf eines Gladiatoren (ΛΥΤΡΑΣ,
Lytras = Kämpfer) gegen einen Gegner darstellt, von
dem nur noch wenig zu sehen ist. Aber die Gestalt des
Schiedsrichters (ΔΑΡΕΙΟΣ, Darios = Schiedsrichter) ist
wunderbar zu sehen. Er hebt die Hand, versucht den
Kourion, Haus des Gladiators, Mosaik
Kämpfer zu beruhigen, entscheidet – oder zählt?
Die Ruinen sind wegen des Mosaiks mit Zeltkonstruktion und Holz überdacht. Es ist das Haus
des Gladiators. Leider blendet die Sonne stark und lässt dem Fotografen keine Chance.
Antonio führt uns noch bis zum Achilles- Mosaik. Ein
Schutzdach, ein Laufsteg als Umgang. Die Leute der
Gruppe drängen sich um die besten Fotopositionen.
Antonios Erklärungen verwehen im Wind. Ich muss mich
selbst orientieren. Es ist ein Gebäude auch aus dem 4.
Jahrhundert nach Christus. Der Hof wird an zwei Seiten
von zimmern und dem Portikus mit dem stark
beschädigten Achilles- Mosaik begrenzt. Diese liegt voll
in der Sonne. Keine Möglichkeit für ein gutes Bild. Kein
Kontrast.
Der Gladiator Margaritis kämpft gegen
Aber es erzählt eine schöne Geschichte aus der
den „Griechen“ (Ellinikos)
Mythologie:
Achilles wird von seiner Mutter Thetis in das Haus des Königs Lykomedes von Skyros
geschickt, um dort als Mädchen verkleidet mit den Töchtern des Königs aufzuwachsen. Thetis
wollte verhindern, dass er nicht im Kampf um Troja teilnimmt und dort stirbt, wie es ihm
bestimmt war. Doch Odysseus braucht Achilles, da ohne ihn Troja nicht zu besiegen war und
wählt eine List. Er kommt mit Geschenken beladen, unter denen sich auch Waffen befinden, an
den Hof des Königs von Skyros, nimmt ein Kriegshorn und bläst wie von ungefähr zum
Kampf. Da greift Achilles zu den Waffen und verrät sich damit. Diese Szene ist auf dem
Mosaik dargestellt. Der Kampf um Troja ist schon im 5. Jahrhundert eine berühmte und allseits
bekannte Legende.
Langsam begeben wir uns auf den Rückweg durch das Ruinengelände, das mit einigem
Aufwand noch besser restauriert und seine ursprünglichen Lebensfunktionen noch mehr
sichtbar gemacht werden könnte. Wir gehen über das römische Forum, die Agora, den Markt.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Ein wunderbarer Blick öffnet sich noch einmal, er geht hinaus aufs blaue Meer, auf die Bucht
von Episkopis. Die tief stehende Oktobersonne lässt die Säulenstümpfe und hier und da einsam
aufragende Palmen lange Schatten werfen.
Bestellte Felder und grüne Haine,
Felshänge, die in der Ferne immer steiler
ins Meer fallen und das blaue Wasser,
wo sich am dunstigen Horizont Himmel
und Flut vereinen, gestalten zusammen
mit der Ruhe, die dieser jetzt einsame
Ort aussendet, einen eigenartigen Reiz.
Dann werde ich angetrieben. Die
anderen von der Gruppe sind schon weit
vorn. Die Herde folgt unaufhaltsam
ihrem Führer. Sie kommt mit kargem
Futter aus, nippt nur hier und da vom
Hingereichten und ist damit zufrieden.
Blick von der Ruinenstätte Kourion zur Bucht von Episkopis
Warum nicht.
XXIV. Aphrodite
W
eiter ging die Fahrt nach Westen auf der Küstenautobahn. Britische Siedlungen
tauchen auf. Wir erfahren, dass sich die Engländer hier durch Verträge auf alle Zeit
eingenistet haben. Das Gebiet gehört noch zu dem Akrotiri- SBA, dem Sovereign
Base Area der Halbinsel Akrotiri. Die Engländer haben sich völlig autarke Siedlungen
gebaut, mit Kirchen, Einkaufseinrichtungen, Sportstätten, Krankenstationen und allen urbanen
Möglichkeiten. Sie leben wie auf einer Insel auf der Insel eine eigenständige Stadt im Staate,
eine Diaspora, sie schwärmen natürlich aus und nehmen sich alle Rechte, die die Insel- Zyprer
auch haben, für den freien Zugang im Land und leben wie die Drohnen im Bienestock, ohne
den Zyprern zu nutzen.
Doch ehe wir auf die Autobahn auffahren, sehen wir noch die Umrisse des großen antiken
Stadions, das 1 km westlich der Ausgrabungen liegt. Es wurde vom 2. bis zum 5. Jahrhundert
von Kourion genutzt, um militärische Siege oder religiöse Feste zu feiern. Es ist bald 200 m
lang. Auch auf die Reste eines Apollon- Tempels verweist Antonio und zeigt in die Richtung,
wo sie liegen. Es ist ein weiteres Halb- Tagesprogramm, wollte man dort alles besichtigen. Ein
Rundheiligtum aus der Zeit 6. Jahrhundert vor Chr. und ein archaischer Steinaltar aus dem 7.
Jh. v.u.Z. sind die ältesten Relikte.
Wir halten an einem touristischen Rummelplatz rechts der großen Hauptstraße. Hunderte
parkende Autos, Verkaufsbuden, lärmende Menschen. Wir steigen aus. Ein Tunnel unter der
Straße führt zum Strand zum Felsen der Aphrodite, wo der Sage nach diese Göttin der Liebe,
Erotik und Fruchtbarkeit geboren und in Schaum gebadet dem Meere entstiegen sein soll.
Dieser Felsen ist Pilgerstätte für alle Zypernbesucher. Vor allem mit den wechselnden
Lichtverhältnissen ist er immer wieder lockendes und lohnendes Foto- Objekt.
Wir stapfen und waten über grobkiesigen Strand, an dem sich wabernde Tangschwaden im
Takt der kleinen Wellen reiben, die das bewegte warme Wasser hin und zurück treibt. Ich eile
schnell ans Wasser hin, stolpere über das bisweilen faustgroße Geröll und suche nun den
Aphrodite- Felsen, aufgeregt, nun auch hier zu sein, kann ihn aber nicht so recht ausmachen, da
vor dem Strand noch andere, mehr oder weniger große Felsengruppen oder einzelne Felsen
stehen, an denen sich die Wellen brechen. Jeder kann es sein. Da sehe ich ihn, den Felsen der
Aphrodite. Manchmal spricht die Literatur auch in der Mehrzahl von den Felsen der Aphrodite.
Keiner weiß es genau, wo es nun passiert ist. An diesem Gestade soll sie sich vollzogen haben,
die sagenumwobene Geburt der Aphrodite, wie sie in der griechischen Mythologie heißt oder
der Venus, wie die Römer sie nannten, die Göttin der Liebe, der Schaumgeborenen.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 106
APHRODITE, die Göttin der Schönheit und der Liebe
Griechische Mythen scheinen oft ungeheuer grausam und spiegeln unbeschönigt die Abgründe
und Turbulenzen des menschlichen Daseins in Gestalt der olympischen Götter und Heroen.
Und so liest sich auch der Geburtsmythos der schaumgeborenen Liebesgöttin Aphrodite, Teil
einer urzeitlichen Schöpfungsgeschichte, wie eine atemberaubend grausige Familientragödie.
Schuld war, so scheint es, der Himmelsgott und Unhold-Vater Uranos, der mit Gaia, der Erde,
allnächtlich Kinder zeugte. Doch weil er seine Nachkommen hasste, verbarg er sie in einer
dunklen Höhle und ließ sie nie ans Licht. Gaia zürnte dem Gatten, verschaffte sich eine riesige
Sichel und wandte sich an ihre Söhne, den Vater zu bestrafen. Kronos war es dann, der die Tat
ausführte: Er entmannte Uranos, als dieser sich gerade wieder einmal mit Gaia vereinen wollte,
und warf die abgeschnittene Männlichkeit ins Meer, wo sie lange hin und her getrieben wurde.
Weißer Schaum, Aphros, bildete sich um sie aus der unsterblichen Haut. Ein Mädchen
entsprang und wuchs groß darin.
Und wie so oft- das Schreckliche war des Schönen Anfang: Auf Zypern, wo die nackte
Aphrodite dem Meer entstieg, wurde sie dann von den Horen bekleidet und bekränzt und
geschmückt und bei den Göttern eingeführt. Alle küssten sie und wünschten sie zur Frau in
ständiger Ehe.
Der Glückliche aber sollte erstaunlicherweise Hephaistos sein, Gott der Schmiede und der
Hässlichste im Olymp. Kein Wunder, dass die schöne Aphrodite diesem Mann, der seine
Werkstatt in einem Vulkan selten verließ, bald den schmucken Kriegsgott Ares als ihren
Liebhaber vorzog ...
Aphrodite, die Tochter des Zeus und der Dione, war die Göttin der Liebe und der Schönheit.
Der hinkende und hässliche Schmiedegott Hephaistos war ihr Gemahl, doch gehörte ihre Liebe
dem Kriegsgott Ares. Diese Aufsehen erregende Affäre trieb den Gatten zu rasender
Eifersucht. Daher wob er ein Zaubernetz, mit dem nur Hephaistos umzugehen verstand. So
fing er die Gattin und ihren Liebhaber, als sie gemeinsam das Ehebett entehrten. Anschließend
gab er sie dem Gelächter der Götter preis, die Hephaistos eigens zusammengerufen hatte. Aus
dem Verhältnis zwischen Aphrodite und Ares gingen mehrere Kinder hervor, so Eros und
Anteros (die griechischen Begriffe für ,Lieben’ und ,Geliebt werden’), Phobos und Deimos
(„Furcht“ und „Schrecken“), Harmonia, die spätere Gemahlin des Königs von Theben,
Kadmos, sowie zuletzt Priapos, der Gott der Gärten. Unter ihren irdischen Liebhabern nahm
der edle trojanische Held Anchises einen wichtigen Platz ein. Aus dieser Verbindung wurde
Aineas geboren, dessen Geschlecht der spätere Gründer von Rom angehören sollte. Die Rolle,
die Aphrodite im Trojanischen Krieg spielte, war keineswegs nebensächlich und beschränkte
sich mit Sicherheit nicht auf ihre folgenschwere Liebesgeschichte mit Anchises. In gewisser
Hinsicht war es gerade die Schönheit der Göttin, die den Krieg auslöste. Und das kam so:
Am Tag der Hochzeit zwischen Peleos und Thetis, den künftigen Eltern des großen Helden
Achilles, warf Eris (die Zwietracht) den Göttinnen Hera, Athena und Aphrodite einen Apfel zu,
welcher der Schönsten unter ihnen zugedacht war. Zeus wünschte, dass der junge Prinz Paris
aus Troja die Siegerin bestimmen sollte. So erschienen alle drei Göttinnen bei ihm in Troas.
Eine jede rühmte ihre eigene Schönheit und bot Paris verlockende Gaben an. Hera versprach
dem jungen Prinzen die Herrschaft über ganz Asia, Athena Unbesiegbarkeit im Krieg, doch
Aphrodite übertraf ihre Rivalinnen, denn sie versprach ihm die Hand Helenas, der schönsten
Frau der Welt. So gewann die Göttin den Preis der Schönheit, und wegen Helena entbrannte
dann der berühmte Trojanische Krieg. Im Verlauf der Kriegsereignisse nahm Aphrodite stets
für Troja Partei, und obwohl sie den Untergang der Stadt nicht verhindern konnte, gelang es ihr
doch, das trojanische Geschlecht überleben zu lassen.
Aphrodite (Αφρoδιτη) steht in der griechischen Mythologie neben der Liebe und der
Schönheit auch für die sinnliche Begierde. Ursprünglich zuständig für das Wachsen und
Entstehen, wurde sie erst später zur Liebesgöttin, die sich in allen polytheistischen Religionen
findet: In der römischen Mythologie entspricht ihr Venus, in der ägyptischen Hathor, und in
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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der germanischen Mythologie Freya. Auch die anderen frühen Völker haben sie benannt und
verehrt:
• nordisch – Frigg
• persisch – Mitra
• babylonisch – Ishtar
• arabisch – Alilat
• sumerisch – Inanna
• armenisch – Anaitis
• phönizisch, syrisch, westsemitisch – Astarte
• skytisch – Argimpasa
• assyrisch – Mylitta
• etruskisch – Turan
Nach Hesiod 46 ist sie die Tochter des Uranos, dem sein Sohn Kronos die Geschlechtsteile
abschnitt und ins Meer warf. Der Samen vermischte sich mit dem Meer, schäumte auf und
daraus entstand Aphrodite, die dann in Zypern an Land ging. Dieser Mythos, dem sie auch den
Beinamen "die Schaumgeborene" verdankt, wurde aus dem Wortstamm αφρος (aphros)
(Schaum) konstruiert. Man geht heute aber davon aus, dass diese Verbindung etymologisch
unhaltbar und der Name Aphrodite möglicherweise gar nicht griechischen, sondern
orientalischen Ursprungs ist.
Allerdings gibt es auch andere Mythen über die Abstammung der Göttin: Nach Homer ist sie
eine Tochter von Zeus und Dione, andere berichten wieder, sie sei in einer Muschel geboren,
wie sie auch Botticelli darstellt. Eine weitere Quelle nennt sie gemeinsam mit den Erinnyen
und den Moiren als Tochter des Kronos.
Verheiratet war Aphrodite mit Hephaistos, dem
Gott der Schmiede und des Feuers, den sie
allerdings
ständig
mit
Sterblichen
und
Unsterblichen betrog. So pflegte sie eine lange
Beziehung zum Kriegsgott Ares, aus der Eros,
Harmonia, Phobos, Deimos und Anteros
entstanden. Einmal aber wurden die beiden
Liebenden von Hephaistos in flagranti in einem
Netz gefangen. Als er sie so den anderen Göttern Aphrodite wird aus einer Muschel geboren, die aus
präsentierte, erhoben diese das sprichwörtliche dem weißen Schaum der Meereswellen auftaucht.
Terrakotta, 4. Jh. v. Chr., Athen,
„homerische Gelächter“.
Archäologisches Nationalmuseum
Aus ihrer Affäre mit dem Trojaner Anchises ging Aineas hervor, Held im Trojanischen Krieg,
der dann zu den Stammvätern der Römer gehören sollte. Außerdem zeugte sie mit Dionysos
den Priapos und mit Hermes den Hermaphroditos. Außerdem hatte sie eine Affäre mit dem
schönen Adonis, der jedoch vom eifersüchtigen Ares in Form eines Keilers bei der Jagd getötet
wurde.
Mythen
Der Sage nach soll Aphrodite den Trojanischen Krieg ausgelöst haben, indem sie dem Trojaner
Paris dazu brachte, die schöne Helena zu rauben. Als der Krieg ausgebrochen war, unterstützte
sie, gemeinsam mit Ares, Troja nach Kräften.
Die Göttin wird oft in Verbindung zu Tauben und Sperlingen gebracht, aber auch die
Schildkröte kann ihr Symbol sein. Besonders ist sie die Göttin der Blumen, Bäume und
Früchte, besonders Myrte, Rose, Anemone, Zypresse, Linde und Apfel. Ihren
unwiderstehlichen Liebreiz verdankte sie ihrem magischen Gürtel der Aphrodite, den sie auf
Bitten sogar gelegentlich auslieh.
Eines der Hauptzentren der Verehrung der Aphrodite war die Stadt Paphos auf Zypern.
Deshalb ist ein weiterer Beiname der Göttin „die Paphische“ (Paphia) und Kupfer (griechisch
kypros) ist das ihr heilige Metall. Später wurde der Aphroditetempel von Paphos in ein
Heiligtum der Jungfrau Maria umgewandelt, wo die Muttergottes bis heute als Panhagia
Aphroditessa verehrt wird.
46
Hesiod, griechisch Hesiodos, griechischer Epiker, um 700 v. Chr.; aus böotischem Bauerngeschlecht;
verfasste als Anleitung für bäuerliches Arbeiten das Lehrgedicht „Werke und Tage“, in dem er zu Arbeit und
Gerechtigkeit aufruft, und die „Theogonie“, die den Ursprung der Götter und die Weltentstehung darstellt.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 108
Ein anderes Heiligtum der Aphrodite gab es in Kleinasien in
der Stadt Aphrodisias.
Aspekte & Mehrgestaltigkeit
Es scheint, dass der Ursprung ihrer Verehrung bereits in die
Epoche zurückfällt, in welcher die Griechen noch mit den
übrigen indogermanischen Völkern eine Einheit bildeten; denn
wir finden bei der Mehrzahl dieser Völker eine ihr
wesensverwandte Göttin. Aber diese ursprüngliche Gestalt ist
auf den Inseln und dem Festland von Griechenland durch
orientalische, besonders vorderasiatische und phönizische,
Einflüsse stark verwischt worden.
Vielfache Züge der semitischen Astarte (Aschera, griech.
Aschtaroth) wurden in die Aphrodite hineingetragen. Wie diese
wurde sie bewaffnet dargestellt. Als solche hieß sie Areia und
wurde zur Geliebten des Ares, zu welchem sie auch schon
insofern in Beziehung stand, als er Gott des Gewitters und
somit auch der Befruchtung der Erde ist.
Aphrodite, Manuskript des
Später haben sich hauptsächlich drei Formen der Aphrodite
Gregor Nazianzus , 12. Jh.
herausgebildet, man kann auch sagen eine panhellenische
Kloster Agios Panteleimon,
Athos
dreifache „Große Mutter“.
In Homers Hymnos erscheint die Göttin als „Herrin der wilden Tiere“, die sich auf ihren Wink
paaren. Besonders wurde jedoch die Göttin der Liebe nach zwei Aspekten unterschieden der
„heiligen, himmlischen“ Aphrodite Urania und der „dem ganzen Volk gehörenden“ Göttin
Pandemos. Man spricht auch in diesem Zusammenhang von einem Dualismus der Aphrodite.
Platon interpretierte diese als eine homosexuelle und eine heterosexuelle.
„Die heilige Liebe“ („sakral“):
1. Urania (Venus caelestis), „Die Himmlische“, „Die Himmelsgöttin“ steht für „die reine,
himmlische, edle Liebe“. Als Urania wurde sie zur Adoptivtochter des Zeus als des
lichten Himmels und der Dione (Erdgöttin „Mutter des Universums“), der weiblichen
Ergänzung desselben Aphrodite Dione gemacht und gern auf den lichten Höhen (akroi)
der Berge verehrt, daher auch Akraia genannt. Als solcher dient ihr der Polos (oder
Modius), ein runder, hoher, scheffelartiger Aufsatz, das Abbild des Himmelsgewölbes,
und in gleicher Anschauung, die Schildkröte als Symbol.
2. „Die irdische Liebe“ („profan“):Pandemos „die bei jeglichem Volk“, also auf Erden
waltende, repräsentiert „die sinnliche, käufliche Liebe“. Platon beschreibt sie als die
Göttin der „gemeinen Sittlichkeit“, andere Quellen sprechen davon, dass sie die
Schutzherrin der Tempelprostitution gewesen sei. Aber auch der menschlichen
Zeugung steht sie vor. Sie wurde auch die Göttin (Porne „die Kitzlerin“) der Hetären
und Lustknaben, ähnlich wie im Mittelalter die büßende Magdalena die Schutzheilige
der Dirnen war.
3. Peitho „die Überredung“ steht sie für die „Überredungskünste eines erotisches
Abenteuer“. Sie verkörperte somit die süßen Worte, die ein Liebender finden musste,
um die Geliebte zum Sex zu überreden.
4. „Beschützerin der Seefahrt“: Pontia, Thalassia (Venus marina), Anadyomene „Die aus
dem Meer Auftauchende“, Limenia „Göttin des Meers und des Hafens“ (póntos bzw.
thálassa). Als Pontia stand sie ursprünglich nur der Fruchtbarkeit der Tierwelt des
Meers vor, wurde aber allmählich zur Meergöttin überhaupt, besonders zur Göttin der
Meeresstille und glücklichen Meerfahrt Euploia (bei den Gnidiern) sowie der Häfen.
So wurde Thalassa („die See“) ihre Mutter genannt und sie selbst oft mit Poseidon
zusammen verehrt. Als einen der bemerkenswerten Tempel der Aphrodite Pontia wird
der in der Stadt Hermione auf dem Peloponnes erwähnt.
Eine ältere, prähellenische Manifestation der Aphrodite, welche nicht unbedingt im Einklang
mit ihrer späteren Rolle als griechische Liebesgöttin steht, gehört neben einer erschaffenden zu
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 103
einer zerstörenden „Großen Göttin“. Sie wird auch als
eine Form der Anpassung der dreifachen Göttin
Moira(e) (Trinität) gedeutet.
• „Die
Bewaffnete,
Zerstörende“:
Androphonos
„Die
Männermordende“,
repräsentiert einen Titel ihrer älteren
Manifestation, der ihr als „Zerstörerin“ oder
„Totengöttin“ verliehen wurde.
• Skotia „Die Dunkle“
• Epitymbidia die „Göttin der Gräber“ und
Meiboea die „Bienenkönigin“, die ihre
Liebhaber kastrierte und durch Aussaugen
tötete.
Weitere Beinamen, diesem Aspekt zugeordnet, sind:
Hoplismene („die Bewaffnete“), Areia (von Ares „die
Kriegerische“), Enoplios (Waffen Haltende), Anosia
(Unheilige), Basilis (Königin), Eleemon (Gnädige),
Xenia, Summakhia (Verbündete im Krieg).
Die Stadt Paphos auf Zypern (Kypros), war eines der
Hauptzentren der Verehrung der Aphrodite. Daher der
weitere Beiname der Göttin Paphia „die Paphische“.
Kupfer und Zypresse sind ihr heilig (griechisch
kypros wird auch als Henna- Pflanze gedeutet).
Pan lauert der tugendhaften Aphrodite
Später wurde der Aphroditetempel von Paphos in ein
auf, die ihn mit einer Sandale zurückweist.
Heiligtum der Jungfrau Maria umgewandelt, wo die
Marmorne Skulpturengruppe,
etwa 100 v. Chr. aus Delos
Muttergottes bis heute als Panhagia Aphroditessa
Athen, Archäologisches Nationalmuseum
verehrt wird…
Genug
des
mythologischen
Geschwafels. Wir wissen nun fast
alles über meistgeliebte Göttin des
Altertums. Ich rannte also an den
Strand, weil ich bemerkte, dass die
Mehrheit
der
Gruppe
wahrscheinlich wegen der Schuhe
und des Kieses – nicht weiter
heranging. Einer dieser Felsen
musste es sein! Bald machte ich mir
klar, dass man einen festen Ort
überhaupt nicht festgelegt hat und
wenn, dann kann man jeden anderen Felsen hier dagegen halten und behaupten, er wäre es
gewesen, bei dem die Dame dem Wasser entstiegen ist. An dieser Küste soll es aber gewesen
sein. Badegäste und Strandläufer streiften trotz des steinigen Ufers vorbei. Es war ein Wetter,
wie es schöner zum Baden nicht sein kann. Das Wasser noch warm, die Luft nicht mehr so
heiß. Ideal. Ich tauchte die Hand ins Wasser. Glasklar und sauber, mit leichtem Geruch nach
Tang, schwappten die kleinen Wellen des Mittelmeeres mir um die Füße. Trennung und
zurück. Am Kiosk, wo einige ein Eis verzehrten, rang ich mich zum Kauf einer AphroditeFigur durch, bezahlte 12 € und freute mich mit Martina über das Andenken.
Die Pause wurde beendet. Wir fuhren weiter. Unterwegs streiften wir erneut, leider nur in der
Vorbeifahrt, ein Heiligtum, das mit Aphrodite zu tun hat. Das unscheinbare Dorf Koúklia war
in der Antike Schauplatz der großen Aphrodisien, Feierlichkeiten zu Ehren der Göttin der
Liebe, Erotik und Fruchtbarkeit. Dieses wichtige Heiligtum existierte schon in der Bronzezeit.
Historisch belegt ist eine Siedlung seit dem 15, Jahrhundert v. Chr. Auch aus der Römerzeit ist
wenig bis nichts erhalten geblieben.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Der Ort mit dem Aphrodite- Heiligtum hieß Paläa Paphos.
Bis ins 4. Jh. n. Chr. blühte Paläa Paphos als Pilgerstätte. Aus
aller Welt kamen sie, um in großer Prozession durch die
heiligen Gärten zu den Feierlichkeiten zu ziehen. Die
Mysterienfeiern dauerten mehrere Tage. Man badete zuerst im
Meer nach vorgeschriebenem Ritus. In die Aphrodisien bezog
man auch Adonis ein, den schönen Liebhaber der Aphrodite.
Höhepunkt der Feiern war die Heilige Hochzeit. Da vereinigte
sich der Priesterkönig mit der Göttin in Gestalt einer Priesterin.
Den heiligen Stein salbte man mit Öl und brachte Aphrodite
Opfer aus Weihrauch, Parfüms, Balsam und Honigplätzchen
dar.
Ein wichtiger Bestandteil der Aphrodisien war die so genannte
Tempelprostitution, die Herodot 47 im 5. Jh. v. Chr.
beschreibt. Jede Frau hatte sich vor ihrer Ehe in der Nähe des
Tempelbezirks einem Fremden hinzugeben.
„Hat sich eine Frau hier niedergelassen, dann darf sie nicht
eher nach Hause zurückkehren, als bis ein Fremder ihr Geld in
den Schoß geworfen und ihr außerhalb des Heiligtums
beigewohnt hat.“ (Herodot 1,119)
„Meine Aphrodite“
Diese Sitte war wohl ein Initiationsritus für die Männer, während die Jungfräulichkeit der Frau
eine Weihgabe für Aphrodite darstellte. Außerdem brachte sie dem Heiligtum wichtige
Einnahmen. In römischer Zeit soll sich im heiligen Bezirk ein Orakel befunden haben.
Verfolgten wurde hier Asyl gewährt.
Im Mittelalter bauten die Lusignans und wahrscheinlich mit dem vorhandenen Steinmaterial
über das Heiligtum eine Zuckerrohrfabrik.
Unter augenzwinkerndem Schmunzeln- ein Schalk, wer Arges dabei denkt, schilderte Antonio
diese heilige Prostitution, die allerdings mit Einführung des christlichen Glaubens langsam
verschwand. Heute lebt sie wieder, aber ist nicht mehr heilig, sondern mit schmutzigem Geld
verbunden.
Wir sind gespannt auf Paphos, dann fahren wir auf breiter Straße durch die Stadt Paphos ins
Hotel, das 7 km weiter draußen liegt. Plötzlich biegen wir nach links ab, fahren durch einen
Bananenhain, wo die reifenden Fruchtstauden in blaue Plastiktüten eingepackt waren. Dann
liegt es vor uns, das blaue Meer und wunderschön gelegen, erhebt sich das moderne
Dreisterne- Hotel „Cynthiana“.
Wir erhalten die Suite Nr. 405 mit Blick aufs Meer. Wir haben noch nie so komfortabel und
schön gewohnt. Zwei Zimmer stehen zur Verfügung. Neben dem Schlafzimmer stehen im
Wohnzimmer zwei Sofas und eine Couch, ein runder Tisch mit Rohrsesseln.
Ein Balkon im Schlafzimmer erlaubt das Sitzen
im Abendsonnenschein.
Gegen 18.25 sinkt die Sonne hinter den Horizont
und versinkt teils im Meer, teils hinter Palmen.
Ich eile nach draußen und fotografiere die
gepflegte Hotellandschaft und natürlich dann den
Sonnenuntergang.
Wir haben nun 5 volle Tage Zeit in oder besser in
der Gegend von Paphos- im Traumhotel.
47
Herodot, griechisch Herodotos, griechischer Geschichtsschreiber, * um 485 v. Chr. Halikarnassos, Karien,
† um 425 v. Chr. Thurioi, Unteritalien; unternahm ausgedehnte Reisen nach Persien, Ägypten, Babylonien, der
Cyrenaica und an das Schwarze Meer. Das reiche historische und ethnographische Material verwendete er mit
großer Erzählkunst in seinen 9 Büchern der Geschichte, darunter eine Beschreibung der Perserkriege bis 479.
Das Streben nach historischer Wahrheit, nach Ordnung und Verarbeitung der Nachrichten macht ihn zum
Begründer der kritischen Geschichtsschreibung.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 105
XXV. Pano
Paphos
Sonnabend, 7. Oktober 2006
Wir haben heute wieder einen „Tag zur freien Verfügung“, meines Erachtens eine Neuerung
bei Kultur- und Rundreisen. Auf Nachfrage beim Reiseveranstalter hieß es, die Reisenden
wollten es so. Ich nicht. Wir hatten heute die Aufgabe, den Tag sinnvoll zu nutzen. Während
Martina aus Gesundheitsgründen das Baden meidet, erscheint es mir eine reine
Zeitverschwendung, faul zwischen faulen Menschen auf einer Liege in der Sonne zu
schmoren. Ich gehe gerne abends oder auch morgens schwimmen, bis die Luft knapp wird,
erlebe das Wasser, tauche, pruste, wühle alle Schwimmarten durch. Dann wird es langweilig.
Ich fühlte mich von der Reiseleitung allein gelassen. Carina, die uninteressierte
Reisebegleiterin, verkrümelte sich. Nicht einmal ihre Zimmernummer wollte sie uns sagen.
Ich hatte keine Lust auf Badeurlaub, obwohl ich gerne im Meer schwimme. Ich wollte ganz
einfach nicht den Tag am Strand verbummeln. Ich wollte das Land kennen lernen. Deshalb
bin ich hierher gekommen. Ich wollte die alte Kultur dieser Insel verstehen lernen, nicht mit
genusssüchtigen Menschen im Wettbewerb um die modischen Freuden der Spaßgesellschaft
treten.
Von Antonio wussten wir, dass zwei Buslinien
in die Stadt fahren, die 10 und die 15. Er hat uns
auch auf den Markt in Pano Paphos, der
Oberstadt von Paphos hingewiesen und dort
eine Adresse genannt – ein Freund von ihm –
wo wir preiswert essen gehen können.
Wir laufen die etwa 1000 m zur Bushaltestelle,
am Bananenhain vorbei, wo die reifenden
Stauden hingen. Ähnlich wie in Ägypten
wachsen hier die so genannten Kochbananen,
die zwar süß aber kleiner sind als die uns
geläufigen Sorten aus Südamerika.
Ich denke, hier auf Zypern, wo das Wasser so knapp ist und die Luftfeuchte relativ gering, ist
kein guter Platz für solcherart Obst. Es wird wohl vorwiegend zum Eigenverbrauch bestimmt
sein.
An der Hauptstraße hieß es aufpassen. Zur Haltestelle nach rechts in die Stadt mussten wir
über die Straße hinweg- es ist Linksverkehr! Der Bus Nr. 10 rollte ein. 80 Cent zyprischen
Geldes, also 1 Pfund 60 für beide, hatte ich bereits abgezählt und reichte es dem nervösen
Fahrer. Die Fahrgäste waren vorwiegend Engländer, die sich ausnahmslos laut und vorlaut so
aufführten, als wären sie noch die Herren im Lande. Viele Hotels am Meer beherbergen
wahrscheinlich einheimische Engländer oder die auf Zypern angesiedelte. Ich hatte auch
keine Lust zu fragen. Die 7 km bis in die Stadt kamen wir an vielen Hotels vorbei.
Die Busfahrt währte etwa eine Dreiviertelstunde, mehr als 12 km, vorbei am Hafen und dann
in einer großen Schleife bergwärts in die Oberstadt. Endstelle Agora. Marktplatz.
Gegen 9.30 Uhr betraten wir das Gelände in der
Oberstadt von Paphos, das einmal eine große
Markthalle, zum anderen viele kleine Stände und
Läden ihrer näheren Umgebung aufweist, so dass
hier die Einheimischen, aber auch viele Touristen
einkaufen. Entsprechend ist das Profil des
Angebotes, Touristenkitsch und Waren des
täglichen Bedarfes in herrlich bunter Mischung.
Eine kleine verglaste Gemüsehalle steht separat. In
ihr sitzen die Frauen und bieten ihre eigenen
Erzeugnisse an, neben Obst und Gemüse auch
Honig, Marmeladen, Nüsse und Näschereien, die
Pano Paphos, Gemüsemarkthalle
sie daraus gezaubert haben.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 112
Länger als eine Stunde schob und zwängte ich mich mit Martina durch die Massen, mehr ihr
zuliebe. Heute ist Sonnabend, Wochenendeinkäufe sind vor allem für Frauen so etwas wie
Panikkäufe, so als würde ab morgen Schluss sein mit dem Angebot.
Ich muss nicht schildern, welch furchtbaren Kitsch manche Händler anboten und dem
Besucher zumuteten. Aber ich konnte auch Kollektionen von allerfeinsten Gewürzen
bewundern. Manches fein geformte Schachspiel hätte mir zugesagt- mir fehlt ein kompetenter
Partner zu Hause und Platz, die Spiele aufzubewahren, sonst hätte ich eine Sammlung
angelegt. Überhaupt Schachspielen. Wer pflegt es noch? Die Figuren sind den Göttersagen
nachgestaltet, in Gussmetall, Holz oder Plastikmasse, aufregend schön. Bücherangebote fand
ich nicht, außer einigen Prospektheften über die Insel. Dagegen Ansichtskarten en masse.
Alles schien den Bedürfnissen der Frauen angepasst. Textilien jeder Art, vom Kunstpelz bis
zum sparsamsten Bikini, Bademoden, Tücher, Spielzeug der Billigklasse, alles made in
China. Ich fand kaum einheimische Erzeugnisse außer Stickereien aus Lefkara, und die waren
entsprechend teuer. Ikonendrucke schienen als Andenken gut verkäuflich.
Der Fischverkauf fand in einem besonders abgetrennten Gang statt. Es stank hier fürchterlich.
Das Angebot war nicht üppig. Ich machte schnell, dass ich weiter kam.
Nach der zweiten Runde durch das Labyrinth überzeugte ich Martina, dass es genug sei,
wobei sie auch nach nichts Besonderem fahndete, sondern sich dem den meisten Frauen
eigenen Genusse des Schauens und Probierens, des Vergleichens und Verwerfens, dem
Aufgehen im Suchen und Aufspüren mit Eifer hingab. Vergrabene Wünsche brechen dann an
die Oberfläche, bekommen Ableger. Ein Gedanke gebiert einen neuen. Farben locken, neue
Moden. Die Augen wandern, die Finger hinterdrein, tasten, fühlen, probieren.
Zum Beispiel bei der Oberbekleidung. Da muss ein Bügel gezogen werden, während die
Augen schon das nächste Stück im Auge haben. „Darf ich mal anprobieren?“ Die Verkäuferin
nickt, obwohl sie kein Deutsch versteht. Zu mir die Ansage: „Wartest du mal?“ Und
verschwindet in einer Kabine. Kitzel des Unbekannten. Der Stoff duftet nach Parfüm, er greift
sich weich, der Schnitt… „Ich mache schnell! Und der verblüffende, leise mir zugeflüsterte
Zusatz: „Ich kaufe sowieso nichts!“ Wie beruhigend!
Nun habe ich mindestens eine Viertelstunde Zeit, will mich gerade nach meinen Vorlieben
umsehen, doch ich werde zurückgepfiffen: „Hältst du das mal!“ Der Vorhang schließt sich
hinter Martina. Ich stehe, behangen mit Tasche und Rucksack etwas überflüssig davor und bin
angenagelt. Hinter den Falten raschelt es. Die Garderobe wird hörbar abgeschält, die neue
übergezogen. Minuten werden mir zu Ewigkeiten. Dann endlich fliegt der Vorhang zurück.
Ich darf urteilen. Sie schaut mich an, erst fragend, dann verächtlich: „Du hast ja keine
Ahnung!“, als sie mein mitleidiges Lächeln sieht. Trotzig dreht sie sich rum und wendet sich
ihrem neuem Spiegelbild zu, dreht sich, spitzt den Mund, kämmt sich mit den gespreizten
Fingern den Pony, dreht sich erneut, wechselt Stand- und Spielbein, betrachtet jetzt in
Halbpirouette die Rückpartie, hört sich nun doch meinen Kommentar an. Ich bemäkele das
Material. Wieder wird das am Spiegel überprüft, was ich Laie zu bedenken gebe. Sie würde es
selbst bei Strafe nicht zugeben, falls ich Recht hätte, aber sie möchte mir ja auch gefallen! Ein
Konflikt bricht aus.
Ein Mann würde nun seine Entscheidung treffen. Entweder benötigt er das Teil und nimmt es,
falls es passt, oder er lässt es. Ganz anders meine Martina. Jetzt geht es erst richtig los. Da
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 113
Farbe und Form nicht gleich einschlagen, aber irgendetwas an dem Teil seinen Reiz noch
ausübt, muss ich nun die nächstkleinere oder nächstgrößere Größe aus dem Regal fischen,
gewissenhaft zuarbeiten. Dabei bin ich immer noch Taschenträger. „Das kannst du wieder
hinschaffen!“ Gibt mir zwei von den fünf Bügeln in die Hand. Ich bringe es wieder hin, hänge
es ordentlich an seine Stelle, eile zur Kabine. „Das kannst du auch hinhängen. Bring mir noch
einmal das erste!“ Das Prozedere beginnt von neuem. Und so weiter.
Wir kauften schließlich etwas Honig aus heimischer Produktion. Martina ersteht für sich
einen Halsring mit Simili- Gemme. Es ist heiß und staubig, viel Verkehr auf den Straßen
Gott sei Dank verlassen wir den
Markt. Ich weiß hier in Paphos
nicht Bescheid. Ein Minarett ragt
in den blauen Mittagshimmel.
Ich steuere darauf zu. Die
zugehörige
Moschee
steht
unbenutzt. Außer Betrieb. Durch
ein Fenster schaue ich hinein.
Putz, Dreck, keine Teppiche,
ausgeräumt. Leer. Gibt es keine
Moslems in Paphos? Andere
Minarette habe ich nicht gesehen.
Hat man die Retourkarte gegen
die türkischen Muslime gespielt?
Was die Türken uns Griechen können, können wir ihnen auch? Ich bekam keine Antwort auf
diese Fragen. Ein moslemischer Friedhof dicht bei der Moschee lag verwahrlost in der
grellen Sonne. Dicht dabei träumte eine Autowerkstatt ihren Mittagsschlaf. Wir gingen
zurück. Ich versuchte nun auf der anderen Straßenseite eine christliche Kirche zu finden, die
als „Agios Kendeas Church“ auf meinem Stadtplan eingezeichnet war. Über mehrere
Nebenstraßen erreichten wir sie. Spielende Kinder, paar Halbwüchsige, einige Frauen
standen in den Hauseingängen. Die Kirche war geschlossen. Ein Zaun ringsum verhinderte
erfolgreich ein Nähertreten.
Wir beschlossen, zur Hauptstraße zurück zu
gehen. Wir stiegen über Treppen hinunter. Das
Tachydromeo, die Hauptpost, ist ein schönes
Gebäude, im englischen Stil gebaut. Wir
bummelten ein wenig durch die steil
ansteigende Straße. Teure ausländische Marken
haben sich hier angesiedelt und die
einheimischen Kaufleute verdrängt. Autohäuser,
Telefonanbieter, eigentlich alles kein Ambiente,
das mein Interesse verdient. Ich folge Martina in
ein exklusives Geschäft von ESPRIT, nur ihr zu
Gefallen. Dabei spielt sich die oben
beschriebene Zeremonie ab.
Wir gehen zum Busplatz am Markt zurück. Jetzt sehe ich auch den empfohlenen „Freund“
von Antonio, das „SOVOS -Restaurant- Café- Snackbar“. Viel Betrieb. Viele suchen jetzt ein
preiswertes Mittagessen. Wir haben abends reichlich. Der Bus kommt. Wir fahren zurück
und freuen uns über unsere Selbständigkeit.
Am Nachmittag, als wir wieder in unserem „Beach- Hotel“ sind, nutze ich die Gelegenheit zu
einem Bad im Meer. Das Hotel ist wunderbar angelegt. Es blockiert den Zugang zu einer
Landspitze. Zu beiden Seiten der Bettenhäuser ist Wasser. Geschickt hat man die natürlichen
Felsen genutzt und eine fast wellenfreie Nichtschwimmerzone, eine „Badewanne“
geschaffen, in der sich die älteren und vorsichtigeren Leute schwimmen lassen. Wer ins Meer
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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richtig hinein will, muss über einen Felsensteg gehen, der durch ein Seil gesichert ist und
sich am Ende über eine Edelstahlleiter ins Wasser gleiten lassen.
Das Schwimmen hinaus ins freie Wasser ist nicht ganz ungefährlich. Es gibt Untiefen
beziehungsweise Felsbrocken unter der Oberfläche und entlang der Landzunge eine
schäumende Brandung. Die Steine sind rissig und haben scharfe Kanten. In den Höhlungen
lauern Seeigel. Ich bleibe im tiefen Wasser und schwimme rechts um die Klippe herum, auf
deren ebenem Plateau Liegestühle und Sonnenschirme stehen und versuche, mich von außen
in die „Badewanne“ zu lavieren. Ein im Wasser gespanntes Tau hilft mir dabei, Kollisionen
mit den Felsen zu vermeiden, die die Brandung in Schüben versucht.
Erste Bekanntschaft mit
dem Meer. Das Wasser ist
relativ warm, doch der
Wind ist frisch. Ich lerne
den Hotelbetrieb besser
kennen. Wir genießen
unsere Suite, trinken selbst
gekochten Kaffe und essen
Obst. Da es schon Oktober
ist, sinkt die Sonne zeitig.
Das nebenstehende Bild
entstand 17.14 Uhr. Der
Himmel färbte sich in allen
Farben von hellem Rosa bis
ins tiefe Purpur, die Palmen
rauschten im aufbrisenden
Abendwind. Es ist schön
hier.
Die Bucht, an der das Hotel gelegen ist, heißt auf Englisch Coral Bay, die Korallenbucht. Als
Paphos 1962 für den Fremdenverkehr „entdeckt“ worden ist, als man beim Graben im Sand
in der Nähe des alten Hafens römische Mosaiken fand, mag es vielleicht hier Korallen
gegeben haben. Doch in den letzten fünfzig Jahren ist ein Touristenstrom wie ein eiserner
Hobel über die damals nur von Fischern benutzte Küste hinweggefegt. Da ist von der
ursprünglichen Natur nicht viel geblieben. Alles muss sich den Bedingungen des modernen
Fremdenverkehrs unterordnen. Hotels werden aus dem Boden gestemmt. Beiderseits der
Küstenstraße ziehen sich riesige Hotelkomplexe, sind neue Baustellen angelegt. Ob das die
Natur verträgt, fragt keiner. Investruinen zeugen von Unternehmern, die sich übernommen
haben. Ich möchte nicht im Hochsommer hier sein, um nichts in der Welt!
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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XXV. Sonntag
Vormittag in Kato Paphos
Sonntag, 8. Oktober 2006
Heute ist der nächste freie Tag. Martina und ich
haben entschieden, wieder nach Paphos hinein zu
fahren, dieses Mal an den Hafen, nach Kato Paphos,
die Unterstadt.
Wenn ich nach dem Frühstück auf die Liegewiesen
schaue, da haben sich Viele schon in MallorcaManier die schönsten Plätze reserviert, Handtücher
auf die Liegen gelegt, kleine Festungen
zusammengerückt, Schattenplätze erobert. Ich bin
froh, da nicht mithalten zu müssen. Diesen Stress
möchte ich mir nicht antun.
Martina und ich nahmen also nach dem Frühstück
Paphos, Coral Bay, Cynthiana Beach Hotel
auf der Terrasse des Hotels.
Während die meisten von unserer Gruppe sich auf den zahlreichen Liegen im Hotelbereich für
einen langen langweiligen Tag einrichteten, rüsteten wir zum Alleingang zu den
Sehenswürdigkeiten von Kato Paphos.
Wir warteten wieder auf den Stadtbus, der im Pendelverkehr die ganze Korallenbucht entlang
fährt und in der Hauptsache die Badegäste hin und her befördert, und fuhren mit ihm in die
Stadt, bemüht, den Ausstieg am Hafen von Paphos nicht zu verpassen. Das Wetter machte dem
Sonntag alle Ehre.
Am Hafen bummelten wir den Kai entlang. Meine
Blicke glitten über die zahlreichen Schiffe, Segler,
Ausflugsboote,
kleine
Yachtkreuzer,
Glasbodenboote. Martina wandte sich mehr den
Keramiken und Auslagen der Händler auf der
Landseite zu, die jetzt um diese Stunde gerade ihr
Zeug auspackten. Die Gastronomen rückten
Sonnenschirme und Stühle auf den Freisitzen
zurecht. Mein Ziel war zunächst das alte
Hafenkastell. Leider war es für Besucher noch nicht
geöffnet.
Ein buntes Gewimmel von freudigen Menschen zog uns an. Das müssen alles Engländer
gewesen sein. Was ich mir zusammenreimte war, dass zu dieser frühen Vormittagsstunde ein
kleines Bürgerfest veranstaltet wurde mit zwei Inhalten: Eine Tombola für das bevorstehende
Weihnachtsfest und ein Wettbewerb um den schönsten Hund in verschiedenen Größenklassen.
Wir liefen durch all die Hundeliebhaber mit ihren bellenden, an den Leinen ziehenden und sehr
aufgeregten Vierbeinern hindurch bis zum Ende der Mole, hinter der sich die Reste der alten
fränkischen Festung türmten, die nach der Eroberung der Insel durch die Venezianer um 1570
geschleift. Ursprünglich wurde sie zum Schutz des Hafens von den Byzantinern errichtet. Das
kann 1000 Jahre früher gewesen sein. So genau weiß das heute niemand mehr.
Wir schauten ein Weilchen den Hunde- Vorführungen zu.
Mit großem Ernst zogen magere Tiere an der Leine ihre
fetten Frauchen oder winzige Hündchen ihre massiven
Herrchen hinter sich her, machten auf Kommando artig
halt, einer strengen Beobachtung einer aus bunt
gekleideten Damen und Herren bestehenden Jury
ausgesetzt. Eine Stuhlreihe begrenzte das Aktionsfeld.
Als wir eintrafen, defilierten gerade die Möpse, Pekineser
und andere Schleifchen- Hündchen.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 116
Die mittleren Größen warteten geduldig und teils
gelangweilt schienen mir einige Superhunde,
Neufundländer oder ähnliche. Mit dem Kroppzeug, das
da gerade über die Steinplatten trippelte, konnten sie
nichts anfangen, obwohl sie sicher alle aufregend
rochen.
Frauchen
und
Herrchen
schwatzten
miteinander. Man kannte sich. Ich vermute, die
englische Kolonie von Paphos und Umgebung war
ziemlich komplett versammelt. Ich hätte noch lange
Stoff zum Sehen gehabt, doch wir hatten noch viel vor.
Hafen Paphos, Reste der fränkischen Festung
Es war mittlerweile nach 10 Uhr geworden. Das Kastell öffnete sein Burgtor für Besucher.
Martina wollte nicht mit. Ich ließ es mir nicht nehmen, zumal von der Dachterrasse ein Blick
auf Stadt und Hafen nicht zu verachten war. 1 Pfund Eintritt schmälerte wieder das
Taschengeld. Das alles spart sich der Reiseveranstalter. Ich bat Martina zu warten, was sie
auch geduldig tat. Ich sprintete die engen Treppen hinauf, die mehrfach den Lauf wechselten
und konnte nun auch von oben winken und sah den Hafen und das Meer von oben und die
weite Fläche des archäologischen Grabungsfeldes und weit nach Norden in Richtung unseres
Hotels. Dann hastete ich wieder herunter, versuchte noch einige touristenfreie Fotos zu
schießen und erreichte über die Wehrgrabenbrücke wieder den Treffpunkt.
Einige Geschichtsdaten brachte mir dieser Abstecher:
Die Lusignans bauten die alte byzantinische Festung
im 13. Jahrhundert aus, und nachdem die Venezianer
sie 1570 zerstörten, wurde sie gleich nach der
Eroberung durch die Osmanen 1589 – 1592 wieder
aufgebaut mit dem Ziel, das Armeekommando
aufzunehmen. Dies ist einer Inschrift über dem
einzigen Zugang zu entnehmen. Das kleine Fort auf
der antiken Mole im westlichen Teil des Hafens von
Paphos war einst ein wichtiger Teil des
Verteidigungssystems von Zypern.
Paphos, Hafenkastell
Die Türme waren zentrale Punkte im Venezianischen
Verteidigungswall.
Die Reste des Turmes, einverleibt in das Osmanische Bollwerk, gehörten damals zu zwei
Türmen, die zu Zeiten der fränkischen Herrschaft nach dem zerstörerischen Erdbeben von
1222 erbaut wurden. Die beiden Türme waren durch einen Zwischenwall miteinander
verbunden.
Als die Genueser 1373 das Fort eroberten, erhöhten sie die
Mauern und gestalteten einen Wassergraben einfach durch
Abschneiden eines Teiles der Mole, welche Zugang vom
seeseitigen Turm zum Ufer bildete. Einer der beiden Türme
verblieb als Ruine seit Ende des 15. Jahrhunderts, als es
durch ein Erdbeben zerstört wurde.
Kurz bevor die Osmanen 1570 einbrachen, zerstörten die
Venezianer, was von den Türmen übrig war, mittels
Pulverexplosion in Übereinstimmung mit ihrer
Entscheidung, die Verteidigung der Insel nur von drei
Städten aus zu führen: Famagusta, Lefkosia und Kyrenia.
Was heute noch überlebt hat, ist die osmanische
Restauration des westlichen fränkischen Turmes, seiner
venezianischen Ergänzungen und die Steinreste des zweiten
Turmes in der Entfernung von 50 m im Osten.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Das Erdgeschoss besteht aus einer
zentralen Halle mit kleinen Räumen an
jeder der zwei langen Seiten, welche als
Gefängniszellen
während
der
osmanischen
Okkupation
genutzt
wurden. Zwei kleine unterirdische
Zellen waren für Langzeit- Gefangene
bestimmt. Die kleine türkische Garnison
lebte in den Räumen des oberen
Geschosses und nutzte den zentralen
Raum als Moschee. Auf dem Dach des
Kastells gab es zwölf Zinnen oder
Brustwehren, welche mit der gleichen
Anzahl von Kanonen bestückt waren.
Diese wurden 1878 von den Osmanen
Blick nach Osten vom Dach des Hafenkastells entlang der
entfernt, als sie die Verwaltung der Insel
Mole auf die Reste des zweiten Turmes
an die Briten abgaben.
Ab 1878 wurde dann das Kastell von den Briten als Gefängnis verwendet und noch später als
Salzlager. 1935 wurde es als geschichtliches Monument deklariert. Es wurde restauriert und ab
1940 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Ich eilte wieder zu meiner Martina, die ergeben und geduldig gewartet hatte, um nun endlich
das eigentliche Ziel, den Archäologie- Park mit den weltberühmten Mosaiken anzusteuern.
Wir empfanden es als großzügige Geste der Regierung, an Sonntagen den Eintritt frei zu
halten. Das ist ein guter Beitrag zur Förderung der Kultur. Leider ist man in unserem
geldgierigen Land weit davon entfernt, dem nicht so gut betuchten Volk wertvolle Kultur an
bestimmten Tagen ohne Eintrittsgeld nahe zu bringen. Wir hatten also heute Glück: Eintritt
frei. Jetzt am Vormittag waren noch wenige Leute im Areal. So konnten wir uns bequem und
beinahe ungestört erst die Ruinen, dann die herrlichen Mosaike besichtigen.
Der Park, in dem sich die Grabungen zu etwa einem Drittel der antiken Stadt Nea- Paphos
befinden, ist archäologisch noch längst nicht völlig erschlossen. Vieles harrt noch auf
Entdeckung und Hebung an das Licht der Sonne. Die Reste der Häuser weisen auf eine
Nutzung der ausgegrabenen Siedlung in der Zeit zwischen dem 4. Jahrhundert vor bis zu den
zerstörerischen Erdbeben im 4. Jahrhundert nach Christus.
Die Grundrisse und mancherlei andere Funde lassen weitgehend genau auf die Nutzung und
Aufteilung der Räume vieler Häuser und Anlagen schließen. Die Bodenmosaiken aber geben
uns Aufschluss über den Zeitgeist und den kulturellen Hintergrund der damaligen Bewohner.
Ich muss mich, wenn ich darauf eingehe, auch wieder mit der griechisch- römischen
Mythologie beschäftigen.
Erstes Ziel war das Haus des Theseus.
Eigentlich steht kein Haus mehr. Es sind die
Ruinenreste eines wahrscheinlichen Palastes
des Statthalters, der die größte Abmessung
aller hier gefundenen Häuser besitzt. Er
beinhaltet mehr als 100 Räume mit insgesamt
9500 m2 Fläche. Die Villa des Theseus wurde
von einer polnischen Archäologischen Gruppe
ausgegraben. Ihr Bau begann im 2.
Jahrhundert
und
unterlag
mancherlei
Veränderungen. Sie war bewohnt bis ins 7.
Jahrhundert. Sie war der offizielle Sitz des
Prokonsuls, des römischen Gouverneurs von Kato Paphos, Archäologie- Park, Haus des Theseus
„Theseus im Kampf mit dem Minotaurus“
Zypern.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Die Sonne brannte grell und hell. Es war ungeheuer schwierig, unter diesen Umständen
vernünftige Fotoaufnahmen von den Mosaiken im Freien zu bekommen.
Wir wandten uns dem Haus des Aion (3. -5. Jh. u. Z.) zu, wobei der Bau nur eine schützende
Umhausung, nicht die Rekonstruktion des ehemaligen Römerhauses sein soll. Auch dieses
kleine Areal wurde von den polnischen Spezialisten freigelegt. Die unüberdeckten Räume
schließen die Empfangshalle des Hauses ein, die auch noch außergewöhnliche geometrische
und figürliche Mosaiken enthalten. Im überdachten Teil fanden wir gut erhaltene Mosaiken,
allerdings auch mit großen Fehlflächen. Das zentrale Paneel des Hauptraumes ist in fünf
kleinere Paneele aufgeteilt und stellt verschiedene mythologische Szenen dar.
Oben links: Leda mit dem Schwan
Oben rechts: Dreikönigsfest des
Dionysos
Mitte: Der Schönheitswettbewerb
zwischen Kassiopeia und den Nereïden
Unten rechts+links: die Bestrafung des
Marsyas
Im Zentrum der Komposition ist
die Darstellung des Gottes Aion,
leider
fast
ausgemerzt,
die
Personifikation der Zeit, dessen
Namen man für das Haus gewählt
hat.
Die Mosaiken erzählen so schöne,
interessante
Geschichten
und
geben damit auch Einblick in den
Glauben und die religiösen
Ansichten der ersten Jahrhunderte
unserer Zeit.
Da ist zum Beispiel der
Wettbewerb der Kassiopeia mit
den Nereiden im Mittel- Mosaik.
Nereiden (Nereïden, lat. Nerines) sind in der griechischen Mythologie eine Gruppe von
Meeresnymphen. Sie sind Töchter des Nereus, dem Sohn der Gaia und des Pontos und der
Doris, der Tochter des Okeanos. Nach der Mutter werden sie auch Doriden genannt.
Die Nereiden sind Beschützerinnen der in Seenot Geratenen. In Begleitung des Poseidons
erheitern sie oft die Seeleute mit ihrem Spiel. Oder sie begleiten die Amphitrite, selbst eine
Nereide, wenn die in ihrem Muschelboot über die Wellen reist.
Zu den Nereiden gehören beispielsweise Amphitrite, Deianira, Doris, Eione, Galatea oder
Thetis. Es gibt verschiedene Quellen, die ihre Namen aufzählen. Alle fünfzig sind bei Hesiod
genannt, Homer nennt ihrer 33, andere Darstellungen erwähnen 45 oder 49 Nereiden. Die
Autoren weichen in den Namen voneinander ab, so dass die Gesamtzahl der Nereiden auf bis
zu 100 veranschlagt wird.
Das Bild erzählt den Kampf um einen Schönheitspreis. Hier ist der sagenhafte Hintergrund:
Kassiopeia und Cepheus, der Herrscher über Äthiopien hatten zusammen eine Tochter namens
Andromeda. Andromeda wuchs zu einem bildhübschen Mädchen heran und Kassiopeia fing an,
mit ihr zu prahlen. Ihre Tochter sei die schönste überhaupt, auch schöner als die des
Meeresgottes Nereus. Zutiefst gekränkt, beklagten sich die Nereiden bei Poseidon, welcher
sich gebührend rächen sollte. Er schickte Cetus, dass Meeresungeheuer, heute bekannt als
Walfisch. Der Walfisch überschwemmte alle Landpartien, an denen Völker des Cepheus lebten.
Um aber sein Land zu retten, schickte Cepheus in allergrößter Not einen Abgesandten nach
Delphi zum Orakel. Die Antwort jedoch war erschreckend. Cepheus sollte seine einzige
Tochter, die Andromeda, dem Walfisch als Opfer darbringen. Dies sei die einzige Möglichkeit,
Äthiopien von dieser Plage zu befreien.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Vom Volke gedrängt, entschloss sich Cepheus schweren Herzens, seine Tochter zu opfern, um
sein Land zu retten. Andromeda wurde alsbald an die Klippen des Meeres gekettet, um Cetus
als Fraß zu dienen. Es dauerte nicht lange, bis der Walfisch mit all seiner Kraft auf die
Klippen zugeschossen kam. Doch in allerletzter Sekunde erschien Perseus. Vom Anblick der
wunderschönen Andromeda beglückt, schoss er vom Himmel herab und bohrte ein Schwert tief
in des Ungeheuers Rücken. Erst nach einem langen schrecklichen Kampf, konnte Perseus
durch das Gorgonenhaupt, welches Cetus vor Schrecken zu Stein erstarren ließ, als Sieger aus
dem Kampf hervorgehen.
Schauen wir aufs mittlere Mosaik, rechter Teil: Da liegt die schöne Nymphe Thetis, eingebettet
zwischen Doris (mit dem dunklen Schleier) und ihrem Mann Poseidon, der sie aus dem Meere
hebt. Poseidon ist umgeben von Meeresungeheuern. Doris hat Thetis ins Rennen geschickt und
eine zweite Tochter, deren Namen ich nicht so recht entziffern kann. Vater Pontos (rechts
unten) hebt abwehrend und entsetzt die Hand. Der Preis ist wahrscheinlich gerade vergeben. Er
und seine jüngeren (geflügelten) Töchter (eine davon ist Galatea) fliehen verärgert auf ihren
Kentauren. Von oben, dem Olymp, schauen Zeus und Athena zu. Sie haben entschieden und
zeigen beide einmütig nach links, wo im linken Teil des Mosaiks Kassiopeia schon bekränzt
und als Schönste geehrt wird.
Was für Geschichten!
Das untere Mosaik ist die Bestrafung des Flötenspielers Marsyas, der den Gott Apollon –
welche Ungeheuerlichkeit! – zum musikalischen Wettstreit herausgefordert hat. Natürlich
verliert er gegen den Lyra spielenden Gott und erfährt eine unmenschliche Strafe. Moral: Man
soll die Götter nicht herausfordern. Wie zeitlos!
Haus des Aion, Mosaik oben rechts: Dreikönigsfest des Dionysos
Der kleine Dionysos sitzt auf dem Schoß des Götterboten Hermes, dieser erkennbar an seinen
Flügelchen an Kopf und Fußgelenken. Dionysos wird an seinen künftigen Beschützer, den
sich behutsam nähernden Silenen 47 Tropheus und einige Nymphen übergeben, die gerade ein
Bad für den Knaben einlassen. Den Segen scheinen die Götter Nektarios und Theogonia zu
erteilen.
Die Geschichte von Leda mit dem Schwan hat sich bis in die Gemälde der Neuzeit erhalten.
Leda, die schöne Königin von Sparta. Zeus nähert sich ihr in Gestalt eines Schwanes, verführt
sie und hat mit ihr die Kinder Kastor und Pollux sowie die schöne Helena.
47
Silenen sind zweibeinige Pferdemenschen
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 120
Wir wenden uns nun dem Haus des Dionysos zu, einem lang gestreckten, architektonisch gut
gelösten Schutzpavillon, der weitere Mosaiken von unschätzbarem Wert schützt und im Stil
einer römischen Villa, wie sie im 2./3. Jahrhundert n. Chr. üblich war, 1997 errichtet worden
ist. Das Haus gehörte einem namentlich unbekannten, sicher aber reichen Mann und
überdeckte einst 2000 m2, wovon über 550 m2 mit Mosaiken bedeckt sind.
Gleich am Eingang werden wir rechts und links von Mosaiken begrüßt. Das linke SkyllaMosaik ist das älteste überhaupt. Es besteht nur aus schwarz-weißen Steinchen und stammt
vielleicht noch von dem griechischen Vorbesitzer, von dem man in einem Kellerraum rund
2500 Tetradrachmen aus der Zeit von 204 bis 88 vor unserer Zeitrechnung gefunden hat. Die
genauen Zahlen sind das Geheimnis der Numismatiker.
Das rechte Mosaik behandelt in neun
Feldern das Thema der Vier Jahreszeiten.
Allegorische Tierfiguren schmücken die
zwischen den Eckfeldern mit den Köpfen
der jeweiligen Götter. Im Zentrum schaut
wahrscheinlich Gott Apollon zu uns
herauf.
Eine Begrüßungsformel „Sei gegrüßt –
Auch du“ ist in zwei schmalen Feldern
eingearbeitet und deutet auf einen Raum
Haus des Dionysos, Mosaik „Vier Jahreszeiten“
hin, der als Eingang zu dem Hause diente.
Das Haus war bis auf eine Gruppe französischer Touristen, die von einer dicken Frau in
elegantem langem Kleid angeführt wurde, leer. So konnten wir in Ruhe alles betrachten, ohne
allerdings Erklärungen zu hören. Ich verschaffte mit im Nachhinein den Ein- und Überblick
und erfuhr auch noch einiges von Antonio, der mit uns am nächsten Tage dieselbe Tour, wenn
auch sehr gekürzt unternahm. Ich war froh, dass ich heute in aller Gelassenheit meine
Ruhepunkte setzen konnte.
Rund um das Atrium verläuft eine
Säulenhalle, deren Fußboden mit
Mosaik- Geschichten gepflastert war.
Die erste ist die von Thisbe und
Pyramos. Die Eltern des jungen
Liebespaares waren gegen eine
Verbindung der beiden. Daher trafen
sie sich heimlich im Walde. Als
Thisbe eines Tages als erste am
Treffpunkt erschien, floh sie vor
einem Panther, der gesättigt, mit
Thisbe und Pyramos
blutverschmiertem Maul dort lag.
Als Pyramos darauf erschien und den Panther mit Thisbes Tuch im Maul da liegen sah, stürzte
er sich vor Kummer in sein Schwert, in dem Glauben, Thisbe sei von dem wilden Tier
zerrissen worden. Thisbe folgte ihm in den Tod.
Es ist eine klassische Variante des Schicksals
von Romeo und Julia, allerdings viel
prosaischer nachzulesen bei Gustav Schwab.
Ein weiteres Bild schöner Liebe zeigt ein
Mosaik, das die ebenfalls tragische Geschichte
von Phaidra erzählt, die sich in ihren Stiefsohn
Hippolytos verliebt.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 121
Poseidon rettet Amymone
Liest man die Sage von Phaidra und
Hippolytos in aller Ausführlichkeit,
wird erst dann klar, welche Tragödie
sich zwischen den beiden und vor
allem auch für den Vater Theseus
abgespielt hat.
Sie sei hier nur kurz angedeutet:
Theseus, König von Athen, verlor in
der Schlacht gegen die Amazonen
seine geliebte Antiope, die ihm einen
Phaidra verliebt sich in ihren Stiefsohn Hippolytos
Sohn Hippolytos geboren hatte.
Theseus nahm sich als zweite Frau Phaidra, eine jüngere Schwester der Ariadne, die Geliebte
seiner Jugend, bedachte aber nicht, dass er selbst schon im vorgerückten Alter war.
Hippolytos wuchs nun, vom Vater zur Erziehung aufs Land gegeben, zu einem schönen
Jüngling heran, blieb aber kalt für Schönheit und Liebe und schweifte stattdessen an der Seite
der schönen Göttin Artemis durch Feld und Wald um zu jagen. Das erzürnte die verliebte und
abgewiesene Aphrodite, die Göttin der Liebe, und sie beschloss, ihn mit einer unreinen Liebe
zu verderben.
Anlässlich der eleusinischen Mysterienspiele sah Phaidra das erste Mal ihren schönen
Stiefsohn, der ihr wie ein verjüngtes Ebenbild ihrer Jugendliebe erschien und verliebte sich
unsterblich in ihn. Sie behielt ihre Neigung in ihrem Busen, schämte sich ihrer Aufwallung. Die
Flammen ihres Herzens gingen in der Nähe des schönen Hippolytos zu unlöschbarem Brande
an. Sie quälte und verzehrte sich, blass und krank und wollte, mit verwirrtem Sinn, endlich
sterben. Einer alten, treu ergebenen Amme gelang es, ihr Geheimnis zu entlocken. Ohne dass
Phaidra es wusste, verriet jene Hippolytos deren unkeusche Liebe und bat ihn, dass er den
Wünschen und der Leidenschaft seiner Stiefmutter Erhörung schenke.
Mit Abscheu und Entsetzen hörte Hippolytos von dem Antrag, er fluchte dem Frevel dieses
pflichtvergessenen Weibes. Sobald Phaidra von seiner Reaktion hörte, schämte sie sich,
verzweifelte und beschloss zu sterben. Sie will durch den Tod ihre Schmach am Ehemann und
bittere Liebesschuld an Hippolytos abbüßen. Dieser sollte aber mit ihr sterben. Er sollte ihr
Los teilen und nicht hochmütig auf sie herabschauen. Sie erhängte sich in ihrem Gemache.
Vorher aber hatte sie noch auf ein Tontäfelchen, das sie sorgsam versiegelte, aufgeschrieben,
dass ihr Hippolytos mit Gewalt nach der Ehre getrachtet und sie nur durch den Tod der
Schmach habe entgehen können.
Theseus kam von Delphi zurück, fand die
Tote, das Täfelchen und glaubte die
verdrehte Darstellung seiner abtrünnigen
Frau. Er tobte vor Zorn, fluchte und
verfluchte seinen Sohn, indem er seinen
Vater Poseidon bat, ihn zu vernichten.
Hippolytos kam vor Theseus, erklärte bei
Zeus und Artemis heiliger Zeugenschaft
seine Unschuld, doch nichts half, er wurde
Phaidra liebt Hippolytos
verstoßen.
Bald auch ereilte ihn das göttliche Schicksal. Er kam beim Lenken seines Wagengespannes
unter die Räder und starb, dem Vater Theseus vorher nochmals seine Unschuld beteuernd. Erst
als Artemis ihm die Wahrheit offenbarte, wie sich Phaidra mit diesem lügnerischen Brief der
Beschuldigung arger Tat entziehen wollte, erkannte dieser sein voreiliges Tun, und der Reiz
seines Lebens war dahin.
Theseus begrub in tiefem Schmerz die Leiche des Sohnes unter dem Myrtenbaum, unter dem
Phaidra, die Gequälte, immer gesessen hatte, auch sie fand darunter ihren Platz im Tode, der
ihr im Leben nie vergönnt war.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 122
Für Hippolytos aber wurde jährlich ein Fest veranstaltet. Er wurde fortan als Halbgott
verehrt. Die Bräute weihen dem keuschen Jüngling, dem Liebling der Artemis, den die
verschmähte Aphrodite in den Tod gestürzt, unter kummervollen Tränen ihr Lockenhaar und
beklagen ihn in holden Gesängen. (gekürzt nach H.W.Stoll, „Sagen des klassischen Altertums“)
Im so genannten Tablinum, als Empfangshalle oder Speisesaal genutzt, befinden sich die
Mosaiken, die dem Weingott Dionysos gewidmet sind.
Ein Mosaik stellt die ersten Weintrinker dar. Dionysos genießt die Gastfreundschaft des
attischen Königs Ikarios und bringt ihm als Gegengeschenk die Kunst des Weinbaus und der
Weinherstellung bei. Doch diese Geschichte geht auch tragisch aus.
Dionysos und Akme beim Weintrinken. Ikarios führt Weintrauben heran. Hirten betrinken sich.
Ikarios ist glücklich über die neu erlernte Kunst, gibt zwei Hirten von dem Getränk zum
Kosten. Sie trinken von dem Wein und denken, von ihm berauscht, sie würden vergiftet.
Daraufhin erschlagen sie den Ikarios.
Man vergisst, dass diese herrlichen Kunstwerke beinahe 1800 Jahre alt sind.
Da ist eine große Fläche mit wirklich kunstvollen Geometriemustern, da sind ganze Friese mit
Tieren und Jagdszenen, ein Pfauenmosaik. Eine letzte Geschichte noch:
Wieder wird eine tragische weil
unerfüllte Liebe dargestellt. Apollon ist
in Liebe zur Nymphe Daphne entflammt.
Sie flieht vor dem sie verfolgenden
Apollon zu ihrem Vater, dem Flussgott
Peneios. Zeus erbarmt sich ihrer und
verwandelt sie in einen Lorbeerstrauch,
der bis heute
auf Griechisch ihren
Namen trägt. Auf dem Mosaik
verwandeln sich ihre Beine schon in
einen Strauch.
Eine sehr schöne Darstellung ist dann
noch zu bewundern, die Entführung des
Daphne und Apollon
Ganymed. Zeus hat hier die Gestalt eines
Adlers angenommen, der den schönen Jüngling in den Olymp entführt und ihn zum
Mundschenk der olympischen Götter macht.
Ich wollte so viel wie möglich an Bildmaterial mit nach
Hause nehmen. Jedes Bild eine Geschichte, eine Allegorie,
ein Symbol. Unter den geometrischen Mustern befindet
sich sogar ein Hakenkreuz. Welche Brücke besteht
zwischen den Römern, den germanischen Runen und
Hitlers Unheilzeichen? Und so beschäftigt mich Vieles.
Die Tierkampfszenen zeigen den Heutigen, dass in
Griechenland, aber auch hier auf der Insel Zypern Bären,
Berglöwen, Panther, Mufflons, Wildschweine gelebt haben
Entführung des Ganymed
und von den Menschen nahezu ausgerottet wurden.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 123
Wald hat es sicher auch noch
ausreichend gegeben, obwohl
er früher bestimmt auch
schon
für
Häuserbau,
Feuerungszwecke, Schiffsbau
und neuen Siedlungsplatz
missbraucht und gerodet
wurde. Alles das erzählen mir
diese Bilder. Sinneslust,
Kampfesmut, List und Tücke,
Leidenschaft, Liebe und
Hass, was gab es damals
nicht, was auch heute noch
die Menschen umtreibt? Die
größten
und
stärksten
Motivationen, Habgier und
Macht, lenken auch heute
noch die Geschicke der
Menschen.
Wir verlassen das an antiken
Schätzen so reiche Haus des
Dionysos, machen noch
davor eine kleine Ruhepause.
Ein Abstecher reizt mich noch, das Haus des Orpheus. Enttäuscht stelle ich fest, dass die drei
Mosaiken, die man schon ausgrub, eines schon 1942, durch eine Sandschicht abgedeckt sind.
Ein schützendes Dach soll darüber gebaut werden, eine löbliche Maßnahme, die ich einsehe.
Also bleibt mit nur eine Informationstafel, die mir die herrlichen Kunstwerke aus bunten
Kieselsteinen als Plakat zeigt. Ich lichte es ab und hier sind wenigstens die Abbildungen, wenn
sie auch niemals die wahre Schönheit der Steinmosaiken wiedergeben können:
Orpheus sitzt auf einem Felsen und lockt auf seiner
Lyra die Tiere des Waldes an, die er mit seinem Spiel
bezaubert.
Auf einem zweiten Bild kämpft Herakles mit bloßen
Händen gegen einen Löwen.
Ein drittes Bild zeigt eine Amazone, die vor ihrem
Pferd stehend eine Doppelaxt in der Hand hält.
Nun haben wir genug von
Mosaiken, richten unsere
Blicke in die Ferne. Zum Leuchtturm hin lenken wir über das
weitflächige Grabungsfeld unsere Schritte, wo sicher noch viel
Unentdecktes unter der Erde verborgen liegt. Immerhin war Nea
Paphos eine Metropole des Statthalters der Insel gewesen.
Wir ergründen das Forum mit einem Amphitheater davor, eine
große leere Fläche, bewachsen mit dornigem, dürrem Stechginster.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 124
Steinbrocken, scheinbar zusammenhangslose Mauerreste in unterschiedlichen Höhen
verunsichern mein Vorstellungsvermögen.
Ich lese noch einmal im Baedeker nach: Gegenüber der Agora befand sich hier einst die antike
Akropolis mit dem Asklepieion 48 und dem Odeon 49 . Die Agora, der Markt- und
Versammlungsplatz, bestand aus einem 95 x 95 m2 großen Hof mit Säulenumgang. Im Osten
ist noch das Stylobat 50 des Umganges erhalten, zu dem Treppenstufen hinaufführten. Hier fand
man Granitsäulen mit korinthischen Marmorkapitellen.
Das teilweise rekonstruierte Odeon, wo wir
uns zu einer kleinen Rast niederließen, wurde
im 4. Jh. von Erdbeben fast völlig zerstört, es
besaß 25 Sitzreihen und bot 3000 Zuschauern
Platz. Ein Odeon hat die Funktion eines Konzerthauses. Es bestand wie ein Theater aus einer
halbrunden Orchestra 51 , Cavea 52 und Skene, war jedoch im Gegensatz zu einem Amphitheater
in der Regel überdacht. Schaut man vom Odeon zum Leuchtturm hinauf, dann gehörte das
Mauerwerk links davon zum ehemaligen Asklepieion. Dieses war ein dem Gott der Heilkunst
gewidmeter Tempel mit Räumen für Heilschlaf und Therapien, kurz ein antikes Kurhaus.
Es gäbe ja noch die Ruinen der alten Festung
Saranta Kolones aufzusuchen, aber Martina ist
müde und sucht ein Plätzchen zum Ausruhen. In
dem Wort steckt die Bedeutung „vierzig
Säulen“, die genau zum Bau dieses römischen
Kastells verwendet wurden. Um 1100 stand hier
eine Burg, mit der die Byzantiner die Küste
sicherten. Später wurde sie von den Franken
genutzt. Saranta Kolones wird auch mit den
Kreuzfahrern zusammen genannt, jedoch schon
1222 völlig zerstört. Seitdem diente das Kastell
als Steinbruch. Heute ist kaum noch etwas aus
dieser Zeit erhalten, vielleicht einige
Nea Paphos, vorn Reste des Asklepieions
Säulenreste. Es lohnt nicht hinzugehen.
Wir verließen das Areal durch einen Nebeneingang, überquerten die belebte Hauptstraße
Leoforos Apostolou Pavlou, die Apostel-Paulus- Allee, die zum Hafen führt.
Nach kurzer Orientierung fanden wir den Komplex der Kreuzkuppelkirche. Wir hörten Musik
und sahen Leute zum Eingang strömen. Als wir auch in die kleine Kirche eintreten wollten,
fand gerade ein Gottesdienst statt, und der kleine Raum war gerappelt voll. Gesang schwoll an.
Ich blieb einen Moment stehen und spürte ein sonntägliches Gefühl.
48
Asklepieion, [griechisch], Heiligtum des Heilgotts Asklepios (Äskulap); ausgegraben sind u. a. das
Asklepieion von Athen (um 400 v. Chr.), von Epidauros, Kos und Pergamon. Ein Asklepieion entsprach im
Altertum dem heutigen Kurbad.
49
Odeon, [das, Mehrzahl Odeen; griechisch] Odeion, Odeum, antikes überdachtes Gebäude für musikalische
Aufführungen, mit halbrundem Zuschauerraum. Heute ist Odeon Bezeichnung für Theater, Musikhallen oder
auch Tanzhallen und Kinosäle.
50
Stylobat, oberste Stufe eines antiken Tempelunterbaues, auf der die Säulen stehen
51
Orchestra, Spielfläche
52
Cavea, Zuschauerraum eines römischen Theaters
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 125
Wir umrundeten das recht große Grabungsgelände und stellten fest, dass ehemals eine sehr
große Kirche hier gestanden haben muss. Wieder konnte ich mich nur an einer griechischenglisch beschrifteten Informationstafel kundig machen und ich erfahre:
Dieses ausgegrabene Monument ist eine der größten frühchristlichen Basiliken auf Zypern
gewesen. Die erste Kirche wurde im 4. Jahrhundert n. Chr. gebaut. Sie war als Trapez angelegt,
mit sieben Kuppeln und zwei Apsen in der zentralen Kuppel. Nach Westen hatte sie einen
Narthex und ein Peristyl 53 - Atrium. Die innere Dekoration der ersten Basilika war sehr reich an
Mosaik- Kompositionen, die weite Teile des Fußbodens überzogen. Sie waren geometrisch
gemustert und zeigten symbolische christliche Szenen.
Diese Basilika wurde im 6. Jh. zu einer Fünf- Kuppel- Kirche umgebaut und seine inneren
Apsen weggenommen, der Mosaik- Fußboden des zentralen Schiffs wurde überbaut und die
zwei nördlichen Kuppeln wurden mit neuen Mosaiks gepflastert.
Während der arabischen Einfälle im 7. Jahrhundert wurde auch dieses Bauwerk zerstört.
Eine neue byzantinische Kirche wurde in die Ruinen der Basilika hineingebaut. Nach deren
Zerstörung im Jahre 1159 wurde auch diese im 16. Jahrhundert überbaut, von der jetzt
sichtbaren kleinen Agía Kyriakí in Kreuzform.
Es gibt im Norden der Chrysopolítissa noch eine kleine Kirche des Franziskaner- Klosters aus
dem 13. oder 14. Jahrhundert. Sie wurde aber auch während eines Erdbebens im 16.
Jahrhundert zerstört.
Die jüngste Kirche steht also förmlich auf dem Mosaikfussboden der größeren älteren. Eine der
beiden links zu sehenden weißen Säulen wird „Paulus-Säule“ genannt. Der Legende nach soll
der Apostel Paulus auf seiner Missionsreise nach Zypern an sie gefesselt und gegeißelt worden
sein. Die Apostelgeschichte berichtet weiter, dass Paulus (oder vorher Saulus) und Barnabas
während dieser Reise gegen den Widerstand des Zauberers Bar- Jesus, den Paulus mit
Blindheit geschlagen hatte, den römischen Statthalter Sergius Paulus zum Christentum
bekehrten:
Ich rufe den Geist aus der Apostelgeschichte 13, 6 - 12:
…Als sie die ganze Insel bis nach Paphos durchzogen hatten, trafen sie einen Zauberer und
falschen Propheten, einen Juden, der hieß Barjesus; der war bei dem Statthalter Sergius
Paulus, einem verständigen Mann. Dieser rief Barnabas und Saulus zu sich und begehrte,
das Wort Gottes zu hören. Da widerstand ihnen der Zauberer Elymas - denn so wird sein
Name übersetzt - und versuchte, den Statthalter vom Glauben abzuhalten. Saulus aber, der
auch Paulus heißt, voll heiligen Geistes, sah ihn an und sprach: Du Sohn des Teufels, voll
aller List und aller Bosheit, du Feind aller Gerechtigkeit, hörst du nicht auf, krumm zu
machen die geraden Wege des Herrn? Und nun siehe, die Hand des Herrn kommt über
dich, und du sollst blind sein und die Sonne eine Zeitlang nicht sehen! Auf der Stelle fiel
53
Peristyl, [das; griechisch], von einem Säulenumgang umgebener Hof, Teil der griechisch-römischen Profanund Palastarchitektur.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 126
Dunkelheit und Finsternis auf ihn, und er ging umher und suchte jemanden, der ihn an der
Hand führte. Als der Statthalter sah, was geschehen war, wurde er gläubig und verwunderte
sich über die Lehre des Herrn…
Immer wieder mischen sich Legende, religiöser Eifer und geschichtliche Tatsachen.
Während Martina an der Paulus- Säule ausruhte, ging ich noch einmal um das Ruinenareal
herum und staunte über die Abmessungen des ehemaligen Bauwerkes, die allein der Grundriss
verriet. Ein englisches Ehepaar staunte ebenfalls, und so kamen wir schnell ins Gespräch über
Woher und Wohin und den Gegenstand, den wir gerade bestaunten. In tausendsechshundert
Jahren sind hier vier Kirchen übereinander errichtet worden. Die erste war die gewaltigste. Mit
welchen Mitteln wir heute bauen und welchen Stellenwert die Religion heute noch hat, sieht
man an der erhaltenen Kirche. Ein skizzenhafter Vergleich mag das verdeutlichen:
Das rot eingezeichnete Bild ist der heutige Kirchenbau der
Agía Kyriakí Chrysopolítissa, er passt gerade mal in ein
Schiff der alten Basilika; das schwarze sind die Risse der
ehemaligen Anlagen. Ein sehenswertes Relikt der Natur fand
ich beim Stöbern. Die Reste einer alten knorrigen
Baumwurzel waren erhalten, wie sie sich an die Eckmauer
und die Kuppel des alten Kirchleins anschmiegt.
Wie schade, dass
ich nicht mehr
Zeit
aufwenden
kann, das alles zu
erkunden!
Das Leben holte uns schnell ein. In einem kleinen
Park neben dem Ruinenareal war ein sonntäglicher
Basar eingerichtet, der sicher für die englischen
Gottesdienstbesucher gedacht war, die im
Anschluss an die Messe noch ein Schwätzchen,
etwas für den Magen und zum Mitnehmen haben
wollten. Dort kaufte Martina ein grünes Seidentuch
bei einem englischen Ehepaar und hatte so ihr Erfolgserlebnis.
Wir machten uns auf den Rückweg, bummelten hinunter zum Hafen und nahmen die Linie 15,
um zurück ins Hotel zu fahren. Gegen 14 Uhr langten wir nach einer Dreiviertel Stunde Fahrt
an, ruhten uns aus. Am Nachmittag nutzte ich dann auch die Annehmlichkeiten des
Strandlebens, las in Prospekten und ging schwimmen.
XXVII. Die
Königsgräber im antiken Paphos
Montag, 9. Oktober 2006
ndlich wieder ein Tag, an dem wir geführt werden, der letzte überhaupt, dann werden
wir uns wieder uns selbst überlassen. Ein Mammutprogramm steht auf dem Zettel:
Königsgräber, Archäologiepark, Neophytoskloster, Akámas- Halbinsel.
Auf sich allein gestellt, selbst mit Mietauto, ist das nicht an einem Tag zu schaffen, nicht wenn
man sich die gebührende Zeit an jedem Ort nehmen will. Dann wären das für mich vier
Tagesausflüge. Das wird eben heutzutage zeitsparend an einem Tag von der Reiseorganisation
zusammengequetscht. Gott sei Dank kannten wir schon den Archäologiepark und hatten ihn
auf eigene Faust erkundet.
Aber zuerst hielt der Bus nach kurzer Fahrt vor den Toren von Paphos. Das Gräberfeld ist eine
Nekropole von riesigen Ausmaßen, etwa dem Archäologiepark in der Ausdehnung ebenbürtig.
Früher mag das alles in Alt- Paphos zusammen gehört, eine Einheit gebildet haben.
Im Schatten eines Johannisbrotbaumes erläuterte uns Antonio einiges zur Geschichte. Zuerst
ist der Name „Königsgräber“ falsch. Hier wurden zwar hohe Würdenträger der Stadtstaaten
beerdigt, auch solche, die sich König nannten, aber im Wesentlichen war das der Friedhof der
E
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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alten Stadt Paphos. Diesen antiken Friedhof, zusammen mit den Gebieten von Alt- und NeuPaphos, nahm 1980 die UNESCO in ihre „World Cultural Heritage List“ auf.
Wer könnte die Fakten der Historie besser zusammenfassen als eine zyprische
Wissenschaftlerin? Ich darf Frau Maria Hadjisavva wörtlich zitieren, allerdings ins Deutsche
übersetzt:
„EINE EINFÜHRUNG IN DAS ANTIKE PAPHOS
Gegen das Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. verlegte der König von Paphos, Nikakles, seine
Hauptstadt von Alt- Paphos (Kouklia) nach Neu- Paphos (Katopaphos). Die Absicht, aktiver in
die dramatischen politischen Ereignisse seiner Zeit einzugreifen, war ein Grund dafür, dass
Nikokles Alt- Paphos verließ, das ein religiöses Zentrum war. Er behielt jedoch seinen Titel als
Priester-König des Aphrodite-Kultes bei und verfügte weiterhin über die reichen Einkünfte des
Heiligtums.
Nach der Beseitigung der zyprischen Königreiche um 311 v. Chr. wurde die Insel zum
Zankapfel zwischen Ptolemaios und Antigonos bzw. später dessen Sohn Demetrios Poliorketes.
Obwohl Demetrios im Jahre 306 Ptolemaios besiegte, gewann Ptolemaios im Jahre 294 v.
Chr. die Herrschaft über die Insel, indem er Demetrios' Abwesenheit in Griechenland
ausnutzte.
Hauptstadt von Zypern und Sitz eines Gouverneurs mit dem Titel Strategos (General) wurde
Salamis. Nach kurzer Zeit jedoch wurde die Hauptstadt nach Neu- Paphos verlegt, das den
Ptolemäern wegen seiner größeren Nähe zu Alexandria und wegen seiner Schiffsbauholz
liefernden Wälder besonders wichtig schien. Mitbestimmend für diese Entscheidung war das
Heiligtum der Aphrodite, das im politischen und wirtschaftlichen Leben der Insel eine wichtige
Rolle spielte.
Mit der Festigung der ptolemäischen Herrschaft begann eine Epoche wirtschaftlicher Blüte für
Zypern. Neue Städte mit dem Namen Arsinoe wurden gegründet, neue, ägyptischen Göttern
gewidmete Tempel erbaut. Die Ausbreitung der klassischen griechischen Kultur, die in Zypern
unter der Herrschaft Evagoras' von Salamis (411 - 394 v. Ch.) begonnen hatte, setzte sich fort
unter der Wirkung der stärker internationalen hellenistischen Zivilisation.
Während die Macht der kleinen Königreiche im östlichen Mittelmeer durch interne Konflikte
unterhöhlt wurde, eroberten im Westen die römischen Legionen Karthago und überschritten
199 v. Chr. die Grenze Makedoniens. Dieses Ereignis markierte das Ende einer Epoche, die
Alexander mit der Ausbreitung griechischer Herrschaft und Kultur nach Osten eingeleitet
hatte. Auseinandersetzungen um Zypern zwischen den Ptolemäern selbst führten zur
Intervention Roms. Im Jahre 58 v. Chr. beging der letzte ptolemäische Herrscher Zyperns,
"Ptolemaios König von Zypern", Selbstmord; die Insel wurde von den Römern besetzt.
Der ptolemäische Strategos wurde von einem römischen Prokonsul abgelöst, dessen Residenz
während der gesamten römischen Herrschaft Paphos blieb. Im Jahre 77 n. Chr. wurden die
hellenistischen Städte Zyperns durch schwere Erdbeben zerstört. Die römischen Kaiser Trajan
und Hadrian trugen wesentlich zum Neuaufbau der Städte und des Aphrodite - Heiligtums bei.
Paphos war als Hauptstadt eine der volkreichsten Städte der Insel und besaß ausgedehnte
öffentliche Bauten und Befestigungsanlagen. Die Ausgrabungen der letzten Jahre im Bereich
der antiken Stadt geben eindrücklich Zeugnis vom Reichtum ihrer Bewohner in römischer Zeit.
DIE GRÄBER DER KÖNIGE
Die Gräberfelder von Paphos liegen direkt außerhalb der Mauern im Norden und Osten der
Stadt. Den nördlichsten Teil dieser erstaunlich weitflächigen Nekropole bilden die so
genannten Königsgräber.
Das eindrucksvolle Gesamtbild der Gräber und der schwere dorische Stil ihrer Gebälke tragen
viel zur Anziehungskraft dieser Monumente bei. Das Gräberfeld wurde in der hellenistischen
und römischen Zeit (3 Jh. v. Chr. bis 3 Jh. n. Chr.) ohne Unterbrechung für Bestattungen
genutzt und diente auch den frühen Christen als Zuflucht während der Verfolgung. Im
Mittelalter wurden einige der größeren Gräber zeitweilig bewohnt, wobei die ursprüngliche
Architektur verändert wurde.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 128
Luftaufnahme eines Teiles des Gräberfeldes, abfotografiert von einer Infotafel
Im letzten Viertel des 19. Jh. wurden die "Königsgräber" von Cesnola und seinen Nachfolgern
systematisch geplündert. Die deutschen Archäologen Ross und Dörpfeld sowie der britische
Architekt Jeffery besuchten den Platz und beschrieben einige der zugänglichen Gräber. In den
Jahren 1915-16 grub der Kurator des Zypern- Museums, Markiden, einige Schachtgräber aus.
Im Jahre 1937 begann der Hon. Kurator des Paphos Museums, Loizos Philippou, die damals
bekannten großen Gräber mit Peristyl- Hof freizulegen; er führte diese Arbeiten mit einigen
Unterbrechungen bis 1951 fort. Zwar wurden auf diese Weise einige Grabkomplexe
zugänglich, aber keine neuen Aufschlüsse für die Geschichte von Paphos gewonnen. Da eine
wissenschaftliche Überwachung der Arbeit fehlte, gingen die durch eine systematische
Grabung zu gewinnenden Befunde für immer verloren.
40 Jahre später, im Jahre 1977, begann das Zyprische Department of Antiquities in Anbetracht
der Bedeutung dieser Gräber als einziger unzerstörter architektonischer Denkmäler einer
ganzen Epoche mit der systematischen Ausgrabung der Nekropole. Bisher wurden 13
Grabungskampagnen durchgeführt; in dieser Zeit wurden drei große Grabkomplexe und
zahlreiche kleinere Gräber untersucht.“
Wieder kommt ein geschichtlicher Puzzle- Stein über die Stadtkönigreiche hinzu, und wir
wissen wieder etwas mehr.
Dann läuft Antonio vor uns her, ohne innezuhalten. Er hat
vor, uns nur einige der bedeutendsten Grabanlagen zu zeigen.
Um umfassend hier zu studieren, die Bestattungsriten, die
verschiedenen Bauweisen der Gräber über die Jahrhunderte,
kennen zu lernen, ginge ein Tag drauf. Allein schon der
Nachnutzung im Mittelalter nachzuspüren, wo in den
Gräberschächten Menschen wohnten oder sie als
Zufluchtsorte nutzten, ist äußerst interessant.
Überall sind in dem weichen Kalkstein Löcher und Höhlen
gestemmt. Treppenstufen in schmalen Schächten führen in
die dunkle Tiefe von fünf bis sechs Metern hinab. Bei dem
grellen Sonnenlicht muten sie wie schwarze unheimliche
Löcher an.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Peristyl- Atrium- Grab
Nachdem wir das Büro des Kustoden, ein kleines Wärterhäuschen, passiert haben, sehen wir
auf der linken Seite der asphaltierten Straße das erste zugängliche Grab. Ein Teil der Anlage
ist oberirdisch und kann durch einen rechteckigen, türähnlichen Eingang betreten werden.
Wir steigen in einen engen, so genannten Dromos 54 , den Zugang zu den Grabkammern. Es
handelt sich um ein Felskammergrab mit zwei kleinen, für Kinderbegräbnisse reservierten
Loculi 55 und fünf Loculi für Erwachsene. Die Innenwand der Grabkammer war
ursprünglich verputzt und bemalt. Reste des Wandstucks sind am Rande der meisten Loculi
sichtbar. Das Grab wurde vor langer Zeit ausgeraubt. Es stammt wahrscheinlich aus der
hellenistischen Periode (325 – 58 v. u. Z.).
Die 12 Säulen gehorchen der dorischen Ordnung, die in den
dorischen und westlichen Gebieten Griechenlands seit dem
7. Jh. v. Chr. entwickelt wurde. Kennzeichnend sind die
gedrungene Säule ohne Basis und das schlichte Kapitell aus
Polster und Platte.
Die Schäfte sind leicht kanneliert
und ebenso leicht konisch nach
oben verjüngt. Die Säulen bilden
ein Atrium, einen Hof. Nach
zwei Seiten führen Kammern tief
in den Fels hinein, mit weiteren
Verzweigungen, den Lokuli, den Einzelgräbern.
Von der Felsfläche blicken wir hinab in die Peristyl-Höfe
zweier großer Gräber. Der Zugang zum ersten, im Südteil
dieses Bereichs liegenden Grab führt über eine gedeckte
Treppe mit 12 Stufen.
In die rechte Seitenwand der Treppe ist eine Grabnische eingetieft. Die Treppe führt zur NordwestEcke eines quadratischen Peristyl-Hofes. Beim Eintritt sehen wir links das wohlerhaltene dorische
Gebälk mit seinen Triglyphen56 und Metopen57 . Auf der Westseite des Peristyls liegt der Zugang zur
in den Felsen gehauenen Grabkammer, die über eine Vielzahl von Loculi verfügt. Alle gähnen leer.
Gegenüber dieser Grabkammer liegt eine andere
rechteckige Kammer mit einem dekorierten
Eingang; sie diente höchstwahrscheinlich zu
rituellen Zwecken. Der östliche und südliche
Portikus58 sind zerstört; Trümmer bedecken immer
noch den Südteil des Hofes.
Die freigelegte Fläche zwischen den beiden
großen Grabanlagen mit Peristyl-Hof ist ein
reines Schachtgräber- Feld. Ganze Gruppen von
Gräbern sind durch Mauern getrennt, die jeweils
eine Familienbegräbnisstätte einfassten. Fünf
der insgesamt 20 Gräber dienten als
Zweites Grab mit Peristyl- Atrium
Kindergräber.
54
Dromos, [der; griechisch, „Lauf“], Bezeichnung für einen sportlichen Laufwettbewerb im antiken
Griechenland; unterschieden wurden: Kurzstreckenlauf (Stadionlauf), Doppelstadionlauf (Diaulos) und
Landstreckenlauf (Dolichos). Hier in der Nekropole bezeichnet man damit eine ebene, schräg abfallende oder
mit Stufen versehene Passage, die den Eingang zu einer unterirdischen Kammer bildet.
55
Loculus: rechteckige Vertiefung im Felsen, die für ein Einzelbegräbnis bestimmt ist. Mehrzahl: Loculi
56
Triglyphen, Elemente, die die Metopen eines dorischen Frieses voneinander trennt, durch drei Lisenen
gegliedert
57
Metope, [die; griechisch], rechteckige Platte zwischen den Triglyphen am Fries des dorischen Tempels; oft
bemalt oder mit Reliefs verziert.
58
Portikus, [der; lateinisch], nach einer Seite offene Säulenhalle, oft zur Begrenzung von Märkten und Plätzen,
aber auch als selbständiger Bau errichtet, in unserem Falle offen zum Atrium- Hof.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 130
Nach dem Grabungsbefund gehören die meisten dieser Gräber in die hellenistische Periode (3.
bis 1. Jh. v. Chr.) Der Gesamtbereich ist von einem Drainagesystem durchzogen, das
wahrscheinlich in einer späteren Epoche angelegt wurde, als dieser Platz zum Wohnbereich
gehörte.
Der Weg zurück führt über eine etwas höher gelegene, nicht asphaltierte Straße zu dem
asphaltierten Platz. Etwa 50 Meter vor diesem Platz treffen wir auf ein anderes großes, kürzlich
ausgegrabenes Grab. Die Architektur dieses Grabes ist bislang einzigartig und zeigt keine
Beziehungen zu den normalen Gräbern mit Peristyl-Atrien. An Stelle eines Atriums im Zentrum des
Grabes findet sich hier ein offener rechteckiger Hof, in dessen Mitte ein rechteckiger Block steht.
Der eindrucksvolle Dromos, auf der Westseite
des Grabes gelegen, besteht aus 13 Stufen und
verläuft parallel zum Westflügel des Hofes. Er
endet in einem bogenähnlichen Torweg, der im
rechten Winkel umbiegt und die Verbindung
mit dem Westflügel de Hofes herstellt. Der
östliche und südliche Flügel des Hofes wurde
vollständig ausgegraben, während die beiden
anderen Flügel nur teilweise untersucht sind.
Hinter dem Ostflügel des Atriums liegt eine
große Grabkammer, die fünf Loculi, ein
Schachtgrab und eine Nische für Gebeine
aufweist.
Von den achtzehn bisher ausgegrabenen Bestattungen waren nur drei aus der frühhellenistischen
Zeit ungestört. Sie waren in den Boden des Atriums eingelassen und mit einem Haufen verstürzter
Architekturtrümmer überdeckt, der eine Plünderung dieser Gräber verhinderte. Die Beigaben in
zweien dieser Gräber waren identisch: je zwei rhodische Amphoren, ein Unguentarium59 und ein
goldener Myrtenkranz.
Ein weiteres Grab mit Peristyl-Hof ist die
besterhaltene Anlage dieses Typus. Die
Triglyphen und Metopen seines dorischen
Gebälks sind klar modelliert und alle vier Portiken
sind erhalten. Im Gegensatz zu den sonst überall
verwendeten Säulen ist hier der West- Portikus
von quadratischen Pfeilern getragen. Den Zugang
bildet eine 13-stufige Treppe, die ursprünglich
zum Teil mit Steinplatten überdeckt war und in
einem Winkel von 90° verläuft. Sie führt in den
West- Portikus. Gegenüber dem Eingang liegt
hinter dem Ost- Portikus die Grabkammer mit
Peristyl- Hof mit quadratischen Pfeilern
einer Anzahl Loculi für Einzelbegräbnisse. Einige Schachtgräber wurden unter den Portiken
eingetieft. Der übliche Brunnen wurde unter dem Süd- Portikus, nahe dem Eingang zum PeristylHof angelegt…
Puh, das war ein Lehrgang in griechischer Architektur. Die Fakten entnahm, ich dem lehrreichen
Führer, den ich mir für 1 zyprisches Pfund kaufte. Bald saßen wir alle wieder im Bus. Das
Ganze dauerte nicht einmal eine Stunde.
Das nächste Ziel, den Archäologie-Park in Kato Paphos, im Zusammenhang mit der
Führung durch Antonio zu beschreiben, spare ich mir, da Martina und ich am Tage zuvor auf
eigene Faust das Mehrfache und intensiver gesehen haben, als wir nun im Schnelldurchlauf
auf japanische Art gezeigt bekamen. Einziger Vorteil heute war, dass ich in Ruhe ergänzende
Fotos machen konnte. Die Häuser Aios, Dionysos und die offenen Mauern des Theseus, das
war alles, was die Reiseleitung zum Sehen anbot. Im Vergleich zu dem, was man alles an
archäologischen Stätten in Kato Paphos anschauen kann, eine Führung für Kulturbanausen.
59
Unguentum, [das; lateinisch], die Salbe; z. B. Unguentum leniens, Kühlsalbe,
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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XXVIII. Neophytos-
W
Kloster
ir hatten nun eine Weile Muße, um während der Busfahrt aus dem Fenster die
westzyprische Landschaft anzuschauen. Mit fiel die ungeheure Bautätigkeit auf.
Neue Häuser schießen förmlich wie Pilze aus dem Boden. Seit einigen Jahren
boomt der Tourismus. Auch scheint sich hier immer mehr ausländisches Kapital anzusiedeln.
Die Häuser wachsen stetig und überwiegend die Hänge hinauf. Ich frage mich, wo die
Besitzer das Wasser hernehmen. Neben der kargen Flora im nahen Bereich der Küste gibt es
auch nur niederes Getier, unter anderem Schlangen. Antonio erzählte von seinem klugen
Großvater, der sich auf seinem Hof eine schwarze, ungiftige Schlange zähmte, die ihrerseits
die giftigen aus ihrem Revier hielt und wie ein Haushund Mäuse und Ratten fraß.
Eidechsen habe ich selbst viele gesehen, wie
sie sich in der Sonne wohl fühlten. Andere
Wildtiere bekam ich während meines
Aufenthaltes aber nicht zu Gesicht, von
einigen Greifvögeln abgesehen, die hoch in
den Lüften segelten.
Die Fahrt nach Neophytos ist nicht weit. Es
liegt gerade mal 12 km nordöstlich von Kato
Paphos entfernt. Dennoch liegt es schon etwa
412 Meter hoch in einem tiefen Tal. Das
idyllisch gelegene Kloster ist von hohen
Bergen umgeben. Die Luft ist frisch und rein.
Auf dem Wege zum Kloster Neophytus
Nach dem Aussteigen zog ein Trinkwasserhahn unsere Leute an, einen Schluck zu nehmen.
Der erste Eindruck vom Kloster: Saubere wie neu anmutende Gebäude, Kontrast von Licht und
Schatten, göttliche Ruhe im schattigen Klosterhof. Wir versammelten uns vor der Felswand, in
die vor vielen hundert Jahren der anfängliche Kern des Klosters, die Engkleistra 61 des Heiligen
Neophytos eingehauen wurde. Die Mittagssonne hüllte die Bergwand in gleißendes Licht.
Vor die natürliche Felsenhöhle, die frühere Mönche erst
zu einer Einsiedelei, später zu einer Höhlenkirche
ausgebaut hatten, wurde in neuerer Zeit eine Wand
geblendet. Sie schützt diesen alten Teil des Klosters vor
dem Abrutschen des Felsmassivs, das sich schon durch
unangenehme Risse bemerkbar gemacht hat. Das
Bauwerk ruht auf einer Tonschicht und ist extrem
absturzgefährdet. Stützwände und Betonschlitzwände
sichern die Grottenkirche. Die Vorwand ermöglicht den
bequemen Aufstieg und sie bildet mit aufgesetzten fünf
Bögen eine schattige und bei schlechtem Wetter
schützende Arkade, von deren Ebene aus man in die
Höhlenkirche gelangt. Eine kleine Brücke führt über
einen Bach, der jetzt nur ein Rinnsal darstellt, aber nach
einem regenreichen Winter oder der Schneeschmelze
alle Beachtung verdient. Wir dürfen aufsteigen. Oben
sitzt ein alter Wärter an einem kleinen Tisch. Auf einem
anderen kleinen Tisch liegt Marianna, eine Hauskatze
Neophytus- Kloster, Engkleistra
und schläft. Einige von uns stürzen sich gleich auf sie: „Wie
süüüß!“ Einige Naturfreunde halten sie zurück, die empfindsamen
Gefühllosen, die nur ihr eigenes Gefühl befriedigen.
Mit der strengen Auflage, nicht zu fotografieren, dringen wir in die
niedrige und enge Höhle ein. Wir stehen plötzlich in einer Kirche.
61
Engkleistra heißt so viel wie Einsiedelei, Höhle eines Eremiten
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Oder ist es eher eine bemalte Höhle? Wand und Decke gehen ineinander über. Die Wände
haben keine Ecken, ein seltsames Raumerlebnis. Die Fresken sind so alt, dass sich sofort
Respekt einstellt. Das christliche Bildprogramm entstammt der byzantinischen Ostkirche. Die
Heiligen sind zahllos. Jesus ist die Zentralfigur, seine Apostel sind dargestellt, Szenen aus dem
Leben Jesu. Bemerkenswert ist eine Ikone mit dem Abbild des Heiligen Neophytos, des
Mönches, der diese Einsiedelei begründet hat.
Wieder muss ich, um nicht dumm zu sterben und einige Fakten zu nennen, ein wenig aus dem
Prospekt wiedergeben. Die Geschichte des Neophytos ist eng verbunden mit der Zyperns. Wir
werden Parallelen wiederfinden. Lesen wir in dem Heftchen, verfasst vom ehemaligen Direktor
des Archäologischen Dienstes:
DER HEILIGE NEOPHYTOS UND SEINE ZELLE
Der Gründer des Klosters, der Heilige Neophytos, wurde im Jahre 1134 als Sohn einer
armen, kinderreichen Familie in Lefkara geboren, wie er selbst in seinem Typikon schreibt.
Schon im frühen Kindesalter zeichnete er sich durch seinen Glauben an Gott und seine
Vorliebe für die Zurückgezogenheit aus. Der Heilige Neophytos verließ deshalb, als seine
Eltern ihn im Alter von 18 Jahren verlobten (in dieser Zeit war die Hochzeit Sache der Eltern,
die die künftigen Eheleute nicht nach ihrer Meinung fragten) seinen Geburtsort und begab
sich heimlich zum Kloster Ayios Ioannis Chrysostomos, Koutsoventi, um Mönch zu werden.
Da er ungebildet war, wurde ihm vom Igoumen 62 des Klosters, Maximos, die Pflege der
Weinberge des Klosters anvertraut, die sich nordöstlich des Klosters im Gebiet "Stoupais"
befanden.
Fünf Jahre lang beschäftigte sich der junge Mann mit
dem Weinanbau. Von Natur aus wissbegierig und
willensstark, lernte er in diesem Zeitraum die ersten
Buchstaben und lernte das Psalmbuch auswendig. Da
holte ihn der Igoumen zurück ins Kloster und ernannte
ihn zum stellvertretenden Kirchenleiter. Damit
beschäftigte er sich zwei Jahre lang. Die fünf Jahre
jedoch, die er im Gebiet Stoupais verbracht hatte,
bestärkten ihn in seinem natürlichen Wunsch nach
einem asketischen Leben. Deshalb bat er den damaligen
Igoumen des Klosters um die Erlaubnis, Eremit zu
werden. Da er jedoch noch sehr jung war, erlaubte ihm
der Igoumen nicht, das Kloster zu verlassen und in einer
der oberhalb des Klosters gelegenen Höhle zu leben.
Da erbat sich der Heilige die Erlaubnis, nach Jerusalem zu gehen, um dort im Heiligen Land
zu beten, den Christus mit seinem Leben, der Kreuzigung und seiner Auferstehung gesegnet
hat. Er hoffte, auf seiner Reise ins Heilige Land einen alten Eremiten zu treffen, der ihn mit
dem asketischen Leben vertraut machen würde. Er wanderte sechs Monate lang im ganzen
Heiligen Land, das zu dieser Zeit von den Arabern und Kreuzrittern besetzt war, und
versuchte sein Ziel zu erreichen, jedoch erfolglos.
So kehrte er nach Zypern zurück und begab sich wieder zum Kloster Ayios Ioannis
Chrysostomos, Koutsoventi. Er versuchte erneut erfolglos, den Igoumen davon zu
überzeugen, ihm zu erlauben, ein asketisches Leben zu führen. Die Weigerung des Igoumen,
seinem starken Wunsch nach einem asketischen Leben nachzukommen, veranlasste den
Heiligen Neophytos, das Kloster Ayios Ioannis Chrysostomou zu verlassen, um sich zum
heiligen Berg Latros in Kleinasien zu begeben, wo es ein großes Klosterzentrum gab, in dem
auch später, im Jahre 1289 ein anderer Zypriot, der Patriarch von Konstantinopel, Gregorios
II., der Zypriot (1283-1289), Zuflucht fand. Deshalb begab er sich in der Hoffnung, ein Schiff
zu finden, das ihn dorthin bringen würde, nach Pafos.
62
Igoumen, Hegumenos, [griechisch] neugriechisch Igumenos, Kloster-Oberer in den orthodoxen Kirchen.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Am Hafen von Pafos jedoch wurde er als
Flüchtling festgenommen und eingesperrt, und
die Wächter stahlen ihm die beiden Münzen, mit
denen er die Überfahrt bezahlen wollte. Als er
auf die Initiative frommer Leute hin am nächsten
Tag freigelassen wurde, wie er selbst schreibt,
hatte er kein Geld mehr für die Fahrt und war
gezwungen, im Inland einen Ort für Eremiten zu
finden. So kam er zu dem Hang und seiner
kleinen Naturhöhle, die er in seine Engkleistra
umwandelte.
Das geschah im Jahre 1159. Drei Monate lang (vom 24. Juni, Feiertag der Geburt des
Heiligen Johannes der Täufer, bis September) untersuchte er den Ort, um festzustellen, ob er
ruhig und abgelegen sei. Dann begann er die kleine Naturhöhle zu bearbeiten, indem er die
lockeren Felsen abtrug und sie ein ganzes Jahr lang, bis zum Feiertag des Heiligen Kreuzes
14. September, vergrößerte. So schuf er die Kirche seiner Engkleistra und eine Zelle, in die er
auch sein Grab meißelte.
Die Kirche der Engkleistra widmete er
dem Heiligen Kreuz. Nach fünf Jahren
Suchens fand er ein Stück des Heiligen
Kreuzes, das er in einer kreuzförmigen
Nische eines Holzkreuzes befestigte, das
bis heute erhalten ist. Das Stück vom
Heiligen Kreuz jedoch ist verschwunden.
Anfänglich wurde das Holzkreuz in einer
kreuzförmigen Nische an der Ostwand der
Engkleistra befestigt. Die Wand hatte
Ayios Neophytos gebaut, um die Höhle zu
schließen. Zu dieser Zeit wurde, den
Berichten des Heiligen zufolge, der
Bischofsthron in Pafos frei.
Im siebten Jahr des Aufenthaltes des Heiligen in der Höhle wurde Basilios Kinnamos zum
Bischof von Pafos geweiht. Der Bischof von Pafos begegnete dem Heiligen Neophytos mit
Wohlwollen und vier Jahre lang bedrängte er ihn, sich zum Priester weihen zu lassen. Im
Jahre 1170 erhielt der Heilige vom Bischof von Pafos, Basilios Kinnamos, die Priesterweihe
und nahm auf dessen Drängen hin, einen Schüler auf, dem er auch die notwendige Kost gab.
Seitdem wurde die Engkleistra ausgebaut und verschönert. In den
gesamten Berghang wurden Zellen eingehauen. Obwohl der
Heilige anfänglich eine begrenzte Anzahl von Mönchen
aufnehmen wollte, legte er später, in seinem zweiten Typikon, das
er im Jahre 1214 schrieb, deren Zahl auf 15 bis 18 fest. Der
Ruhm des Heiligen begann sich überall auszubreiten und die
Zahl der Besucher der Engkleistra stieg bedeutsam an. Die
Besucher störten, wie zu erwarten war, den Heiligen. Um der
Störung der Besucher zu entgehen, war der Heilige im Jahre
1197 gezwungen, hoch über der Engkleistra eine andere Zelle
auszusparen, "Neu Zion", wie er sie nannte, in der er vor der
Störung der Besucher Zuflucht suchte.
Um jedoch die Gottesdienste zu verfolgen und an der Eucharistie teilnehmen zu können, hub
er über der Engkleistra eine kleine Zelle, "das Heiligtum", aus, die er durch eine rechteckige
Öffnung mit der Engkleistra verband .Nördlich von "Neu Zion" und weiter oben schuf er eine
weitere Zelle, die des Heiligen Johannes der Täufer.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 134
Inzwischen hatten sich in Zypern dramatische Ereignisse abgespielt, die Zypern von Byzanz
trennten und der Kirche und dem Volk Zyperns Unglück brachten. Im Jahre 1184 erklärte
sich Isaak Komninos zum Herrscher über Zypern und in den sieben Jahren Unterdrückung
brachte er Zypern viel Unheil. Im Jahre 1191 wurde Zypern von Richard Löwenherz, dem
König von England, eingenommen, der es ausraubte und dann an die Templer verkaufte und
ein Jahr darauf, nach Volksaufständen, die blutig niedergeschlagen wurden, an den
entthronten König von Jerusalem, Guy de Lusignan, welcher das Fränkische Königreich in
Zypern begründete. Das Land wurde den rechtmäßigen Besitzern weggenommen und die
Zyprioten verrichteten Sklavenarbeit. Die traurige Lage Zyperns beschreibt der Heilige
eindrucksvoll in einem Brief, bekannt unter dem Titel „Über die Unmenschlichkeit im Lande
Zypern", den er 1196 verfasste.
Die Armut und das Unglück des Volkes
veranlassten viele, in den Klöstern, darunter
auch der Engkleistra, Herberge zu suchen. Nur
zögernd ließ sich der Heilige von den Mönchen
überzeugen, Land, Weingebiete und ein paar
Tiere zu erwerben, um all denjenigen, die im
Kloster Zuflucht gefunden hatten, Nahrung
bieten zu können.
Es ist nicht bekannt, wann der Heilige Neophytos
verstarb. Im Jahre 1214 diktierte er sein Typikon
dem Sekretär des Bistums Pafos, Basilios. Das
handschriftliche Dokument, das sich heute in der
Universitätsbibliothek von Edinburg befindet, ist
eigenhändig vom Heiligen korrigiert worden. Er
ist demzufolge nach 1214 verstorben, nachdem
er seinen Neffen, Jesaja, der Verwalter der
Engkleistra war, zu seinem Nachfolger bestimmt
hatte. Es ist allgemein bekannt, dass der Heilige
seinem Wunsch gemäß in einem Holzsarg aus
Fichten-, Zedern- und Zypressenholz, den er
selbst zu Lebzeiten gefertigt hatte, bestattet
wurde. Sein Nachfolger, Jesaja, schloss, seinen
Anweisungen gemäß, das Loch, das zur
Aufnahme des Sarges in das Grab geschaffen
wurde, mit einer Wand, die er mit
Deisis. Fürbitte und der Heilige Neophytos.
Wandmalereien versah, damit sie nicht auffiel.
Wandmalerei in der Zelle des Heiligen, 1183
Das führte dazu, dass der genaue Bestattungsort des Heiligen im Laufe der Jahre in
Vergessenheit geriet, und der russische Mönch Vasili Barsky im Jahre 1735 schreibt, dass die
Eucharistie auf dem Grab des Heiligen stattfand.
Der Heilige Neophytos hinterließ zahlreiche Schriftstücke. Obwohl er erst nach seinem 18.
Lebensjahr schreiben lernte, ist er möglicherweise der Schriftsteller der mittelbyzantinischen
Epoche mit den meisten Schriften. Außer Predigten verfasste er auch Interpretationen der
Heiligen Schrift und andere, die wichtige Informationen über die Heiligen und die Geschichte
Zyperns enthalten. Diese Schriften des Heiligen begann sein Kloster zu veröffentlichen. Es
sind bereits drei umfangreiche Bände erschienen.
Die Engkleistra im Jahre 1214
Der Heilige Neophytos liefert uns im zweiten Typikon, das er 55 nach seiner Niederlassung
in der Engkleistra, d.h. im Jahre 1214 (1159+55), schrieb, eine detaillierte Beschreibung der
Engkleistra.
Die Beschreibung ist im 20.Kapitel seines Typikon festgehalten. "Über hinaus der
Höhlenkirche haben wir ein Tor geschaffen,.... danach eine Küche, ein Lager mit seinem
Obergeschoß für die Lagerung von Waren, verschiedene Zellen und zwei weitere im Garten.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 135
Auf gleiche Weise werden die unteren Zellen am Brunnen als Ställe und Scheunen genutzt,
während die unteren Zellen als Wohnräume genutzt wurden.
Danach der Verwaltungsraum und darüber der fünfbögige Sonnenraum. Und in diesen
Räumen befindet sich der Refektorium, der in den Hang gehauen wurde.
Danach kommt der Narthex mit dem Geräteraum, und über diesem das Heiligtum, wo ich und
die heiligen Zuhörer mit Hymnen und Gesang an den heiligen Sakramenten teilnehmen .Und
wiederum über dem Heiligtum ist die jüngere Engkleistra „Nea Zion“, das vollständige Werk
der heiligen Vorsehung, und eine weitere Zelle, die nach dem Prodromos benannt wurde, in
den Hang gehauen. Danach wiederum der größte Bau am Bach, der mit vielen Bögen gebaut
wurde."
Nur einige der Bauten, die der Heilige erwähnt, sind
erhalten geblieben. Heute gibt es die Kirche und die
Altarstätte und die Zelle des Heiligen mit seinem Grab, den
Narthex mit der Sakristei und das Heiligtum und das
Refektorium des Klosters. Der fünfbögige Sonnenraum, der
wahrscheinlich bis 1735 erhalten blieb, als Vasili Barsky
das Kloster besuchte und sorgfältig zeichnete, ist später
verschwunden und durch eine hölzernen Konstruktion, die
auch bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts zerstört war,
ersetzt worden.
Im Jahre 1963 wurde zur Abstützung des Felsens, in den
die Engkleistra eingehauen ist, ein neuer fünfräumiger Ort
geschaffen, zu dem die Höhlenkirche und der Narthex mit
der Sakristei, die sich darüber befindet, und das
Refektorium zählten. Das "Heiligtum" und ein großer Teil
von "Neu Zion" und der Zelle des Prodromos sind bis heute
erhalten.
Die Engkleistra, d.h. die Heilige- Kreuz- Kirche und die Zelle
des Heiligen Neophytos wurden im Jahre 1183 mit Fresken
versehen, wie der Heilige Neophytos in seiner Typikon
ausdrücklich bemerkt. Diese Ausschmückung wird auch
durch die teilweise zerstörte Inschrift in der Zelle des
Heiligen nachgewiesen. Die Hauptkirche jedoch, nicht die
Altarstätte, wurde aus unbekannten Gründen erneut mit
Der heilige Neophytos
Fresken versehen, die bis heute erhalten sind.
Ikone, um 1500
Diese zweite Ausschmückung erfolgte nach 1214, denn der Heilige erwähnt in seinem Typikon
nur eine Ausschmückung - die von 1183.
Wir durften drei Räume begehen. Der niedrigste Raum in
der Mitte wurde als Altar genutzt. An die Decke ist ein
ikonisches Bild von Christus gemalt. Ich versuchte es von
unten abzubilden, leider nur als Ausschnitt. Alles musste
schnell und heimlich geschehen. Die Zelle des EinsiedlerMönches ist spartanisch. Überall Fresken, wertvoll, weil
gut erhalten und für andere künstlerische Vergleiche 800
Jahre, sehr alt.
Wir gingen durch einen Torbogen hinüber ins das neue Kloster und zuerst in die Hauptkirche.
Diese existiert etwa vom Anfang des 16. Jahrhunderts. Es ist eine Basilika mit Kuppeln, die
voll mit Fresken ausgeschmückt war, von denen heute nur ein kleiner Teil erhalten ist. Diese
stammen aus dem Jahre 1544. Wir durften uns umschauen. Das Programm der Ausmalung
dient der Anbetung der Gottesmutter und vieler Heiligen. Eine von Gold strotzende
Ikonostase ist hervorzuheben, eine fabelhafte Schnitzarbeit aus Holz. Sie ist zum kleinen Teil
erneuert, der andere mit wunderbaren Ikonen stammt aus 1544.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 136
Ich betrachtete die schönen korinthischen Kapitelle,
Messgerät, einen Ambo mit Gold, Rot und Blau
bedeckt, oben ein in Silber gefasster Kopf des
Heiligen Neophytos. Eine schöne Kirche.
Wir durften noch in das kleine Museum, in dem
neben den wertvollsten Ikonen auch Krüge, Vasen
und kirchlicher Zierrat gezeigt wurde.
Ich hatte über dem Fotografieren die Gruppe
verloren. Der Klosterhof, seine Ruhe, sein Grün
zogen mich magisch an. Ich konnte mich nicht
trennen. Doch bald gab es einen Gefühlswechsel.
Unsere Truppe drängte sich im Klosterladen, der
weit in Zypern für seine süßen Erzeugnisse bekannt
ist. Thymian- Honig, Gelees, Konfitüren gab es,
aber auch allerlei Produkte aus eigen gezogenen
Nüssen, Mandeln, Feigen und natürlich Zucker,
aber auch aus Erdnüssen, Kokosraspeln, Datteln
und anderen Früchten. Wir verließen den Laden mit
Honig und einigen Süßigkeiten.
XXIX. Akámas-
S
Kloster Neophytos, Hauptkirche
Halbinsel
tart zur Weiterfahrt 13.10 Uhr. Wir waren schon etwas hungrig. Offen ist nun noch der
Abstecher zur Akámas- Halbinsel, zum Bad der Aphrodite. Der Bus begab sich auf
den Weg nach Norden, etwa 35 km nur war die Fahrt – Zypern ist verhältnismäßig
klein. Unterwegs Landschaft mit Obstplantagen, aber auch Eichen, Zypressen,
Mandelbäumen zogen vorüber. Von Antonio lernten wir, dass die weiß blühenden
Mandelbäume süße Mandeln abwerfen, die rosa blühenden aber die bitteren.
Unverhofft und überrascht hielt der Meister, ließ
uns aussteigen und führte uns neben dem grünen
Dickicht einer Apfelsinenplantage an einen
primitiven Stand, auf dem ein intelligent
aussehender
Kaufmann,
vielleicht
der
Plantagenbesitzer (sicher auf Vorbestellung) für
jeden einen Plastiksack mit saftigen Orangen
bereithielt, die kostenlos an uns ausgegeben
wurden. Wir verschmausten gleich einige dieser
Früchte, ungespritzt, außen todsicher ökologisch
einwandfrei.
Allerdings waren die Gifte bereits den Pflanzen während des Wachsens zugesetzt worden.
Darauf möchte ich ebenfalls mein Leben verwetten. Vor Pestiziden und Herbiziden ist man
bei Obst und Gemüse nicht mehr sicher. Entweder der Körper freundet sich mit diesen
Insekten- und Pilzwaffen an oder man isst kein Obst und Gemüse mehr. Hoch leben die
Vegetarier! Aber wovon?
Wir durften die Plantage betreten. Ich gestehe, dass ich erstmals
meinen Fuß in einen Orangenhain setzte. Der Boden war übersät mit
verdorrten Schalen. Sie verrotten schlecht, wenn sechs Monate das
Wasser fehlt. Kindskopfgroße Früchte dieser Mischsorte zwischen
Pampelmusen und Orangen wuchsen hier neben den Orangen, aber
alle noch grün. Unsere abgepackten Früchte kamen vielleicht doch
vom nächsten Supermarkt und waren schon gespritzt?
An einem Wasserhahn mit einem dünnen Faden als Ausfluss wuschen
wir die klebrigen Hände und stiegen wieder ein.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Einigermaßen gestärkt, aber dennoch hungrig, setzten wir die Fahrt fort und kamen nach
kurzer Zeit in dem Städtchen Polis an, dem einzigen größeren Ort am Golf von Chrysochous.
Polis ist heute Badeort und war in der Vergangenheit Sitz des antiken Stadtkönigtums
Marion, dessen Ruinen noch zu sehen sind. Wir allerdings bogen vorher ab und fuhren noch
bis zu dem Fischerdorf Latsi.
Hier erlaubte uns Antonio Freizeit, Zeit für
einen individuellen Mittagsimbiss und eine
Stunde Ausspannen. Ich kaufte in einem Laden,
der jetzt in der Mittagsstunde leergefegt war,
eine Packung Kekse und machte mich dann mit
Martina auf einen Rundgang durch den kleinen
Ort. Dieser lebt von zwei sich bedingenden
Einnahmequellen, dem Hafen und dem
Fremdenverkehr. Wir besuchten ein Klubhotel,
das von der Landschaft ein großes Areal
ausgespart und zu einem Park umgewandelt hat,
mit künstlichen Wasserfällen, verschiedenen
Vegetationsinseln, vom Bungalowdorf und
Abenteuerspielplätzen bis hin zu einem kleinen
Museum und einem Einkaufsladen. Dann liefen
wir den Strand entlang, ehemals die Domäne der
Fischer, heute mehr der Tummelplatz von
Halbinsel Akámas mit Polis und Latsi
Freizeit- Kapitänen auf ihren Luxusjachten.
Ein ausgemustertes Schiff liegt auf dem Trockenen, von Pfählen gestützt, ein elegant
geschwungener Rumpf. Die ehemals blauen Farben des Außenanstriches machen deutlich
dem Verfall und hässlichen Rostflecken Platz. Es muss ein schönes Schiff gewesen sein, die
„Spiridon“.
Tiefes Blau und grelles Weiß kontrastierten
an der Mole des Hafens. Gerade tuckerten
einige Boote in dem klaren blauen Wasser
auf die Anlegestellen zu. Sehnsucht kommt
auf, auch dabei zu sein, die Freiheit des
Meeres zu genießen. So aber schlenderten
wir nur vorbei an den vielen Motorbooten,
Seglern aller Größenordnungen und blickten
neugierig aus der Nähe in die Privatsphäre
der Bootsleute. Freiheit hin oder her. Sie
müssen sich auch allerhand Zwängen
unterwerfen und müssen eine Menge
materieller Dinge um sich versammeln, um
in den Genuss einer solchen Bootsfahrt zu kommen. Mein Neid wurde geringer, als ich mir das
überlegte.
Latsi ist klein und überschaubar. Bald hatten wir alles gesehen, und es wurde zum Aufbruch
geblasen. Ich ließ mich noch von einer Händlerin, vielleicht einer Bäuerin, sie sah recht
schmutzig aus, beschwatzen, für zwei Pfund zwei Granatäpfel und einige überreife Feigen zu
kaufen, wofür ich mir Schelte von Martina einhandelte. Am Ende behielt sie Recht, und ich
warf alles weg, weil die Feigen matschig und die Granatäpfel nicht mehr gut waren, als ich sie
für den Genuss prüfte.
Auf einer gut asphaltierten Küstenstraße fuhren wir noch ein paar Kilometer.
Unterwegs wies unser Führer auf einen Hotelkomplex hin, der 1998 mitten ins Naturreservat
gebaut worden ist. Der ehemalige Außenminister Aleco Michaelides setzte den Bau des
Luxushotels „Anassa“ durch, westlich von Latsí, in der Nähe der Bäder der Aphrodite.
Die Akamas- Halbinsel soll zur Schutzzone erklär werden. Ihre Strände gehören zu den letzten
Brutgebieten der vom Aussterben bedrohten Meeresschildkröten im Mittelmeerraum. Doch der
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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unheilvolle naturzerstörende, auf Sensationen bedachte Tourismus rückt immer näher heran.
Das Hotel Anassa ist das teuerste und vornehmste Hotel Zypern und gilt als Treffpunkt der
Reichen und des Jet- Sets, was immer sich unter diesem Begriff an blasierten Menschen
verbergen mag. Prachtvolle Bauten, vereinzelte Wohnanlagen mit künstlich grünen Gärten,
edlen Werkstoffen und Schmuckelemente zieren diesen hermetisch fürs Volk abgeriegelten
Bereich. Die Straße liegt etwas oberhalb. Wir können in dieses teure Paradies hineinschauen.
Nicht lange, dann endet die Asphaltstraße an einem Parkplatz, der mit allen Zeichen des
Umfeldes einer touristischen Sehenswürdigkeit ausgestattet schien. Andenkenbuden, ImbissStände, Menschen. Wir sollten jetzt wandern, hieß es, zum Bad der Aphrodite. Ein Rundweg
begann mit der Plünderung eines Johannisbrotbaumes, dessen schwarze Früchte Antonio mit
einem Stecken abschlug und verteilte. Wir kosteten die harte, bohnenähnliche Hülse. Sie
schmeckte süß. Eukalyptus, Feigenbäume.
Es dauerte nicht lange, da erreichten wir
das
so
geheimnisvoll
vermarktete
Wasserloch. Aus einer Felsspalte sickert
Wasser, sammelt sich in einem natürlichen
Becken und fließt dann in der üppigen
Vegetation in Richtung Meeresufer, das
vielleicht ein Kilometer Luftlinie entfernt
lag. Allerdings lässt sich ein regulärer
Wasserlauf nicht erkennen. Jetzt im
herbstlichen
Nachsommer
bei
halbjährlicher Trockenheit ist es schon
verwunderlich, eine solche Oase der
Feuchtigkeit zu finden.
Hier in diesem Tümpel, der im tiefen Schatten eines Feigenbaumes liegt, soll der Legende nach
einst Aphrodite ihren schneeweißen Leib gebadet haben. Dabei wurde sie von Akámas, dem
Sohn des Theseus überrascht. Sie verliebten sich ineinander, wie es so kommt. Ihr
Liebesabenteuer wurde aber durch den Verrat einer alten Frau, der personifizierten
Verleumdung, jäh beendet. Aphrodite musste auf den Olymp zurückkehren.
5 km von dem Bad der Aphrodite entfernt; entspringt in einer Sandbucht ihre Liebesquelle, die
Fontana Amorosa. Sie ist mit geländegängigen Fahrzeugen zu erreichen oder auch zu Fuß.
Als wir weitergingen, dachte ich, dass wir eine längere Wanderung unternehmen werden, war
aber sehr enttäuscht, als Antonio an einem Aussichtspunkt uns auch den Schlusspunkt, der
kleinen Fußwanderung setzte.
Nichts zu sehen von den Schildkröten. Keine Rundwanderung, auch wenn sie weh täte oder ein
wenig abenteuerlich wird. Kein Risiko. Alte Leute eben. Einige klagen schon, wenn sie ein
paar Schritte gehen sollen.
Von hier oben hat man einen weiten Blick über
den Norden der Insel, nach Osten die Bucht über
Latsi bis Polis. Nach Westen wird die Sicht
verwehrt durch steile Klippen, die nahezu
unberührt scheinen. Wenn man aber nach unten
sieht, rücken Karawan- Besitzer und Zelturlauber
in dieses Paradies ein, und nicht alle sind reine
Naturfreunde.
Wir genießen eine Weile diese schöne Aussicht.
Dann machen wir uns auf den Rückweg.
Die Fahrt nach dem Hotel ist ohne Spannung. Der
Tag war lang.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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XXX. Pano
Paphos = Ktima
Martinas Geburtstag - Dienstag, 10. Oktober
eute und morgen sind wieder Tage der freien Verfügung, Badetage, die wir nicht wollen.
Wir haben uns abgefunden und nehmen uns heute in der Oberstadt von Paphos einige
Ziele vor. Der Baedeker ist mir dabei ein aufschlussreicher Gehilfe; in jedem Falle
schlauer als die Reiseleitung und erst recht klüger als die Reisebegleiterin, die kein Interesse
zeigt, im fremden Lande etwas hinzuzulernen.
Was sagt die Historie?
Dem antiken Mythos zufolge gründete der arkadische König Agapenor von Tegea die Stadt
Paphos und das 15 km entfernte Aphrodite- Heiligtum Paläa Paphos. Auf dem Rückweg
vom Trojanischen Krieg 62 wurde er durch einen Sturm in Zypern an Land geworfen.
Allerdings wissen wir von Chirokitía, dass Zypern schon im 7. Jahrtausend v. Chr. besiedelt
war. Und noch früher! Wo sind die Ursprünge?
Gehen wir also nicht gar zu weit in den Nebel der Vergangenheit und halten uns an die
schriftlich überlieferten Fakten. Historisch belegt ist die Gründung von Néa Paphos im 4.
Jahrhundert v. u. Z., als der letzte Priesterkönig von Paläa Paphos, Nikokles, seinen Sitz
hierher verlegte.
Die Ptolemäer verliehen Néa Paphos, der heutigen Unterstadt (Kato Paphos), einige
Bedeutung. Die Stadt übernahm von Salamis die Führungsrolle wegen der günstigen Lage am
Meer und den waldreichen Gebieten im Hinterland, und Néa Paphos wurde Hauptstadt der
ganzen Insel. Auch das frische Bergwasser des Troodosgebirges mag eine Rolle gespielt
haben.
Dann kamen die schrecklichen Erdbeben um 365 n. Chr. Néa Paphos wurde nicht wieder
aufgebaut. Stattdessen nahm Salamis wieder den Platz als Inselhauptstadt ein.
Erst unter den Lusignans gewann Paphos wieder Bedeutung und wurde römisch- katholischer
Bischofssitz. Weitere Erdbeben und Überfälle führten dazu, dass Paphos verlassen wurde.
Oberhalb der Küste wurde eine neue Siedlung namens Ktima angelegt.
Während der Osmanenzeit war Paphos unbedeutend, da Famagusta und Nikosia näher zur
Türkei liegen.
H
Wir benutzten wieder den Stadtbus und fuhren
bis zur Oberstadt. Diesmal besuchten wir nicht
den Markt, sondern wandten uns dem nahen
Stadtpark zu, der alte Mauern, alte Tore und
viele schattige Eukalyptusbäume aufwies.
Erholsam ist es hier, doch ich wollte zunächst
zum Byzantinischen Museum. Wir fragten uns
durch. Ein Mann half freundlich. So richtig
verstand er uns nicht, hatte ich den Eindruck.
Plötzlich wich die Straße zurück, und die
Flanke eines kirchenähnlichen Bauwerkes
wurde sichtbar. Eine Bank lud zum Sitzen ein.
Martina strebte hin und ruht erst einmal.
Bischofssitz in Ktima (Pano Paphos)
Es ist der Bischofssitz und ist für uns Sterbliche nicht zugänglich. Wir schauen uns um. In
ganz kurzer Entfernung sehe ich die weiße Büste des Erzbischofs Makarios III. in einem
Garten. Ich steure dahin und finde so nebenbei das Byzantinische Museum der Stadt.
Martina will nicht mit hinein. Das macht mir den Stress, immer zu wissen, dass sie jetzt
wartet. Also muss ich mich beeilen, obwohl diese Schau von Ikonen, Kirchengeräten wieder
in ganz frühe Zeiten führen. Byzanz und seine Religion beeinflusste Zypern vom vierten
62
Trojanischer Krieg, historisch umstrittener Krieg, vermutlich im 12. Jahrhundert v. Chr. zwischen Griechen
und Trojanern in Troja, sagenumwoben und viel besungen (Homer, Vergil).
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 140
Jahrhundert u. Z. bis zum Sieg der Franken, die ab 1192 die römisch- katholische Religion zur
Staatsreligion erhoben.
Ich lerne Einiges über Ikonen. Hier im Museum finde ich hervorragende Stellvertreter vom
12. bis zum 16. Jahrhundert. Ein kleines Büchlein klärte mich über diese Heiligenbilder auf:
„Die Ikone ist der höchste Ausdruck der Geistigkeit der byzantinischen Malerei. Der Hl.
Johannes von Damaskus definierte die Ikone wie folgt: „Eine Ikone ist ein Bild, das dem
Original ähnelt, sich aber gleichzeitig auch von ihm unterscheidet.
Eine Ikone enthält also gleichzeitig sowohl ein Element der Ähnlichkeit wie auch der
Unterschiedlichkeit.
Die Ähnlichkeit ist ein notwendiges Element, weil die
Barmherzigkeit von Christus, der Jungfrau oder eines
Heiligen im Porträt durch die Ähnlichkeit übermittelt wird.
Diese Ähnlichkeit interpretiert auch einen ästhetischen
Gesichtspunkt in der byzantinischen Malerei allgemein und
in der Ikonenmalerei im Besonderen. Die Übermittlung der
heiligen Barmherzigkeit erfordert eine exakte Kopierung
des Originals. Es ist deshalb einfach, den Heiligen, der auf
der jeweiligen Ikone dargestellt wird, zu erkennen,
unabhängig von der Zeit, in der die Ikone gemalt wurde.
Diese Tatsache hat der byzantinischen Kunst einige Kritik
eingebracht. Trotz der Ähnlichkeiten, die eine Ikone des
Apostels Paul z.B. des 6. Jahrhunderts mit einer Ikone
desselben Heiligen, die im 12. oder 16. Jahrhundert gemalt
wurde, aufweist — und das ist natürlich für ein Porträt —
trägt jede Ikone den ganz spezifischen Ausdruck der
jeweiligen Epoche, obwohl die Grundzüge unverändert
Heilige Jungfrau Eleoussa, Ende 12. Jh.
sind. Auf diese Weise bleibt die Ähnlichkeit, wie sie vom Hl.
Klosterkirche des Hl. Savvas, Karonos
Johannes von Damaskus erwähnt wird, erhalten.
Andererseits muss sich die Ikone von der Wirklichkeit
unterscheiden. Diese Unterschiedlichkeit wird durch
bestimmte technische Prinzipien ausgedrückt. Solche
Prinzipien sind: der Rhythmus in der Linienführung, das
Fehlen der dritten Dimension und der Körperlichkeit, die
Missachtung der Anatomie, die Betonung gewisser
Körperteile wie Augen, Nase, Hände, die Benutzung von
Gold und Rot als Hintergrund und schließlich die
unnatürliche Anwendung des Lichtes, das diffus und nicht
von einer bestimmten Quelle herkommend benutzt wird.
Diese Prinzipien zeigen, dass die im Porträt dargestellten
Personen zu einer übernatürlichen Welt gehören und
betonen die Geistigkeit der Ikone.
Die Ikone als solche ist kein Objekt der Anbetung, noch
hat sie magische Kräfte. Die Ikone ist das Medium, über
das der Gläubige mit dem abgebildeten Heiligen in
Verbindung tritt.
Johannes der Täufer
Epiphaniaskirche Paphos
Wie der Hl. Basil von Caesarea betonte (Migne 32, 149)
und der 7. Ökumenische Rat im Jahre 787 n. Chr. in
seinen Dogmen festhielt, "geht die Ikone über das
Original hinaus".
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 141
Wenn der Gläubige die Ikone verehrt, dann meint er nicht das Material, aus dem die Ikone
hergestellt wurde, sondern den dargestellten Heiligen.
Die religiöse Bedeutung und die Geistigkeit einer Ikone ist
keine Minderung des Kunstwerkes. Der Maler zeigt in der
Ikone nicht nur seinen Glauben, sondern auch seine
malerischen Fähigkeiten und seine Sensibilität. Sowohl sein
Können wie auch seine künstlerische Qualität kommen durch
das Material zum Ausdruck, das er für die Schaffung der
heiligen Darstellung verwendet.
Seine gestalterischen Fähigkeiten, seine Verwendung von
Hell und Dunkel, und allgemein die von ihm benutzte Technik
werden zum Mittel, um sein inneres Selbst und seine
ästhetischen Empfindungen zum Ausdruck zu bringen. Es ist
deshalb einfach, einen guten Maler von einem mittelmäßigen
oder schlechten zu unterscheiden, wie auch Glanzepochen
von Zeiten des Zerfalls der Ikonenmalerei.
Erzengel Michael, etwa 1500
Diese materielle Seite der Ikonenmalerei hat eine besondere Bedeutung, Der Maler, der in
einer bestimmten historischen Epoche lebt, bringt nicht nur die Ideale seiner Zeit, sondern
auch diese Zeit selbst zum Ausdruck. Wenn er die Auftraggeber, die für das Werk bezahlt
haben, im unteren Teil der Ikone darstellt, dann übermittelt er Informationen über seine Zeit.
Die Bekleidung und der Schmuck der Auftraggeber informieren uns über ihren
gesellschaftlichen Stand, ihre ökonomische Position, die Mode jener Zeit, ja selbst über die
Handelsbeziehungen Zyperns mit anderen Ländern. Die Einflüsse, die man in der Ikone
aufspüren kann, interpretieren die politischen Abenteuer des Landes, die engen Bande
zwischen dem byzantinischen Reich und den französischen, venezianischen und türkischen
Besatzern.
So wird die Ikone zu einem Buch, das einem viel erzählen kann, wenn man es zu lesen
versteht.“
Ich musste das Buch leider zuschlagen und Martina erlösen. Sie hatte es sich auf einer Bank
in der Sonne bequem gemacht und zeigte mir den Umgang mit einer steinernen Ölpresse, die
im Vorgarten aufgestellt war. Wir blickten uns um und suchten nun das Ethnographische
Museum und siehe da.
Es befindet sich auf der anderen Straßenseite.
Die Breitseite des Hauses zeigt drei elegant
geschwungene, über zwei Geschosse gehende
Bögen, die eine überdachte Terrasse bilden und
unten mit verschnörkeltem Gitterwerk vor
Eindringlingen geschlossen sind. Wir traten ein,
und sofort kam eine untersetzte dicke Frau, von
Parfüm duftend wie eine Aktrice, mit Schmuck
behängt, reichte uns servil ihre fettige Hand,
fragte nach unserer Sprache und konnte uns dann
in Deutsch die notwendigen Einweisungen geben.
Langsam bemerkte ich, und sie, die sich als Frau Eliades vorstellte, erwähnte es auch
nachdrücklich, dass dieses Haus eine private Sammlung ihres Mannes, Professor G. S. Eliades
ist. Eliades ist (oder war, das konnte ich nicht herausfinden) ein Gymnasiallehrer, der sich ein
Leben lang mit der zyprischen Volkskunst befasst hat. Er hat 1957 dieses Haus erworben und
seither eine einzigartige Sammlung ganz unterschiedlicher Art in allen seinen Räumen
zusammengestellt, die insgesamt ein bürgerliches Haus städtischer Architektur des
ausgehenden 19. Jahrhunderts in Paphos repräsentieren.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Als erstes sahen wir das Studierzimmer, was ich gleich selbst annektiert hätte, so gefiel es mir.
Studierzimmer des Herrn
G.S.Eliades
Dann schlug uns die Frau vor, erst einmal die Sammlungen des Untergeschosses anzusehen.
Gesagt.
Getan.
Wir
gelangten
über
eine
Außentreppe
ins
Untergeschoss und standen
in einem mit glänzenden
Kieselsteinen gepflasterten
kreuzförmigen Gang, von
dem vier Räume abgingen.
Gleich vorn rechts war eine
Bauernstube, eher eine
traditionelle
Küche
eingerichtet. In der Mitte
der
Tisch
mit
den
Grundutensilien, die den
meisten
Dorfbewohnern
Zyperns
früher
zur
Verfügung standen: die
polierte Tonschale, aus der die ganze Familie in alten Tagen aß, der unentbehrliche tönerne
Weinkürbis, einige Gläser, ein Salzfässchen, einige Zwiebeln und Knoblauch. Flaschen,
Mörser aus Messing. Holz oder Ton, Kupfergerät. Ein transportabler Blechofen mit einer
Wärmepfanne darunter wurde zum Kochen aller Arten von Mahlzeiten und Süßspeisen…Alle
Gegenstände stammen aus Dörfern Zyperns und stellen einen Einblick in das Leben der
einfachen Menschen dar.
Im Gange stand ein Karren, wie ihn die Esel zogen. In
einem in die Wand eingelassenen Blindfenster, eine
Art Schaukasten mit Fensterflügeln, häuften sich auf
vier Borden Topfscherben, Handgriffe von
Weinamphoren, Fossilien und Beiköpfe, Fundstücke
aus Paläologischer Vorzeit. Die Amphorengriffe
stammen aus dem 3. bis 1. Jahrhundert v.u.Z.
Zwei Schädel und Schädelplatten sind in einem
Glaskasten links im Gang zu sehen, etwa 250 Jahre
alt. Je mehr man sich vertieft, desto interessanter und
vielseitiger spreizt sich das Spektrum der
Vergangenheit.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Auf einem kleinen Tisch im Gang stehen zwei Wassertöpfe, aus denen
je ein Büschel Thymian ragte. Neben dem Hausgebrauch dienten sie
auch als dekoratives Element und waren in jedem zypriotischen Haus
der Vergangenheit zu sehen, Die Thymianbüschel sollten verhindern,
dass Schlangen hineinschlüpfen. Wie schon Aristoteles erwähnte, gab es
früher viele Schlangen und giftige Vipern auf der Insel. Die Legende
sagt, dass die Heilige Helena, Mutter Konstantins des Großen, Kaisers
von Byzanz, anlässlich ihres Besuches von Zypern im 4. Jahrhundert
nach Chr. eine große Anzahl Katzen aus Jerusalem mitbrachte. Die
Katzen wurden im Gebiet des Kaps von Limassol ausgesetzt, wo sich
das Kloster des Heiligen Nikolas befand, in der Hoffnung, dass die
Katzen die Schlangen ausrotten würden. Seither wird die Kirche des Hl.
Nikolas auch Katzenkirche genannt.
Wir treten in den Hof. Die Sonne blendet. Wohltuend sorgt
viel Grün für Schatten. Wir sehen eine Olivenölmühle, ein
riesiger runder Stein mit einem Loch in der Mitte.
Steingemauerte Backöfen sind in eine Ecke des Hofes
gebaut, mit den Gerätschaften zum Backen von Brot, einem
Trog zum Teigkneten und Brotbrettern ausgestattet.
Sogar ein Grab finden wir, ähnlich den in Felsen gehauenen
Gräbern der Könige aus der Zeit 3. bis 2. Jh. v. Chr.
einschließlich Grabgefäße und Grabsteine zum Verschließen
des Grabeinganges.
Auch eine Kapelle ist in einer Höhle nachgestellt. Einige
Ikonen zieren die moosbedeckte Wand. Vielerorts wurden
solche Höhlen auch als Eremitagen verwendet wie in
Neophytos.
Mitten im Garten, der voller exotischer Pflanzen stand, war
ein Dorfbrunnen nachgestaltet. Brunnen sind schon immer
im Dorfe zentraler Treff von Jung und Alt gewesen, überall
auf der Welt, auch hier auf Zypern. Schwatz und Klatsch,
Neuigkeiten, ernsthafte Unterhaltung, Kontakt mit dem
Nachbarn. Das waren die Zeitungen von früher! Ein
Drehkreuz für das Seil, an dem die Zieheimer hingen,
steckte auf einem Achsholz, das sich wiederum auf zwei
Steinlagern drehte. Ich sah solchen Brunnen bereits in Kiti
bei Larnaca.
Als wir wieder die Treppe ins Obergeschoss hinaufstiegen,
um die restlichen Räume zu sehen, bemerkte ich über der
Tür ein seltsames Wappen.
Es zeigt ein dekoratives
Relief aus dem Jahre 1878,
einen doppelköpfigen Adler
mit Kronen und unten drei Spieler beim Billardspiel. Die
Inschrift ist teilweise ausgemerzt. So ein seltsames Symbol
über einer Tür habe ich noch nicht gesehen. Oben beinahe
königliche Insignien. Adler breiten ihre Schwingen über
gebändigte Panther aus und unten Lust und Leidenschaft zum
Spiel? Ich schließe auf Vorbesitzer, die das Spiel aus
Frankreich mitbrachten. Immerhin bevorzugten auch schon im
17. und 18. Jahrhundert so berühmte Personen wie Ludwig
XIV. und Napoléon Bonaparte das außergewöhnliche Ballspiel.
Wieder öffnet sich eine Gedankenbrücke ins Gestern.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Wir sind wieder im Obergeschoss. Frau Eliades steht stolz neben uns, möchte uns alles zeigen.
Martina wird ungeduldig. Ich möchte der Zypriotin mein Interesse zeigen. Ich staune über die
Vielfalt der angelegten Sammlungen. Da findet sich eine Münzensammlung, in die ich mich
nicht vertiefen will. Sie führt wieder in die Zeit der Römer und alten Griechen. Da ist in einer
Ecke des Flures eine Reihe von Ikonen an die Wand gelehnt. In einer Vitrine stehen
Silbergefäße und Silberbestecke von großem Wert.
Mit Edelsteinen besetzte Muschelschalen,
Pokale, Sammeltassen, Becher. Es ließe sich
Vieles zusammentragen über die Verwendung
und den ehemaligen Zweck dieser Dinge. Es
wird Zeit, sich von Frau Eliades zu
verabschieden.
Bald stehen wir auf der sonnenüberfluteten
Straße und suchen ein neues Ziel für diesen
Vormittag. Da Martina Geburtstag hat, wollen
wir hinunter nach Kato Paphos und irgendwo
einkehren.
Zunächst streben wir auf einen Aussichtspunkt zu, von dem man einen großartigen Ausblick
auf die Unterstadt genießen kann. Ein Lokal muss hier gewesen sein. Jetzt ist es eine Ruine,
nur eine alte Frau sitzt selbstvergessen auf einem Stuhl. Wir gehen auf die Terrasse und
schauen.
Wir wollen noch einmal ans Meer und zum Hafen hinunter und machen uns auf den Weg. Es
sind zwei oder drei Kilometer, für die wir etwas länger als eine Stunde laufen. Da es bergab
geht, ist die einzige Anstrengung, der direkten Sonneneinstrahlung auszuweichen. So nutzen
wir jeden Schatten, der sich bietet und wechseln mehrmals die Straßenseite.
Wir laufen immer die Agapinoros entlang und
stoßen auf die Daidalou. Ampelkreuzung.
Eine mächtige Kirche beherrscht den großen
freien Platz, die Agioi Anargyroi . Es ist sicher
ein
Bau
aus
moderner
Zeit,
als
Kreuzkuppelkirche ausgeführt. Mir hat sie
imponiert, kompakt wie eine Festung, stolz
wie eine Burg, schlicht die aufstrebenden
Wände, klar die Formensprache ihrer Apsen,
der mit Lüftungslöchern nur angedeuteten
Fenstern, am schönsten die Dachlandschaft,
die Kuppeln klassisch gedeckt mit Mönch und
Nonne, die schlanken Glockentürme, eine in
die Neuzeit herübergeholte Tradition.
Wir wollen ans Wasser, verfehlen den Weg, finden
nur unbekanntes Terrain, suchen jetzt einen
entspannenden Sitzplatz.
Ehe wir etwas Passendes gefunden haben, suchen wir
die Richtung Hafen, laufen ein weites Stück. Eine
Schule mit lärmenden Schulklassen bietet am Rande
für uns eine Bank. Ich verfolge das von Lehrern
geordnete Getriebe der uniform gekleideten Mädchen
und Jungen und bestaune die wohltuende Ordnung
gegenüber dem Chaos au deutschen Schulhöfen.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 145
Eine Klasse wechselt gerade das Zimmer. Ich empfinde Freude über dieses Land, das seine
Kinder gut behandelt.
Wir haben uns entschieden, einen großen Eisbecher zu schlemmen. Das tun wir auch, als wir
die Strandstraße erreichen, suchen uns einen Freisitz in einer Trattoria, genießen die
Ruhepause, das Zuzweitsein im fremden Lande, den Schatten, das kühle süße Eis. Die
Rechnung wage ich auf Griechisch anzufordern: „Kyrios, to logariasmó parakaló!“ Da ich auch
noch die Zahlen verstand, heimste ich einige Pluspunkte beim Kellner ein.
Nun
wird
Martinas
Wunsch erfüllt, über die
bunte Shopping- Meile
bummeln zu gehen. Ich
bin heute sehr großzügig,
hefte mich an ihre Fersen,
gönne ihr generös die
Entscheidung, in welches
Geschäft sie hinein will,
um zu entdecken.
Ich staune nur über die Unmengen von wertlosem und
sinnlosem Kitsch, den man uns Touristen anbietet. Es ist
unbeschreiblich. Doch es würde nicht hergestellt und
angeboten, wenn es nicht auch gekauft würde. Also gibt es eine
Menge Menschen, die für solchen Kram ihr Geld ausgeben.
Ich gönne den Einheimischen den Verdienst und verüble es denen nicht. Ich begeistere mich
wieder an Schachfiguren, die die alte Römerzeit verherrlichen
Ich bin wieder versöhnt mit dem „Tag zur freien Verfügung“. Am Hafen bietet sich noch
einmal der herrliche Blick über die Schiffe, die Mole mit dem Hafenkastell, die blühenden
Oleanderbäume, die Palmenfächer und die vielfarbigen Bougainvillea- Blüten.
Doch ein Bus rauschte heran, und wir mussten uns mit einer großen Zahl von schwitzenden,
dicken und laut palavernden Engländer hineinzwängen, die alle in ihre Hotels zurückwollten,
die längs des langen Strandes der Korallenbucht von Paphos verteilt liegen. Nach einer
reichlich halbstündigen Fahrt erreichten wir wieder unsere Bananenplantage und dann unser
reizendes Hotel Cynthiana.
Am Nachmittag genossen wir jeder auf seine
Art die Freuden des Nichtstuns. Martina ruhte
und schlief, neue Kraft sammelnd. Ich badete
und las die gekauften Hefte, vertiefte meine
Erkenntnisse, schmeckte meine gesehenen
Bilder im Geiste nach und beobachtete meine
Mitmenschen und deren Nichts- Tun und
langweilte mich dabei kräftig. Wie hält man so
etwas über längere Zeit aus?
Über die Abende berichte ich nichts. Natürlich
freuten wir uns auf das Menü, das wir am Buffet
uns selbst wählen können. Ein obligatorisches
Gläschen Bier oder Wein gab den i- Punkt dazu.
Die Abendprogramme nutzten wir nicht. In den verräucherten Lokalen fühlen wir uns nicht
wohl. Wir sind wohl auch schon ein wenig menschenscheu und kontaktarm geworden.
Natürlich versäumte ich nicht, den abendlichen Sonnenuntergang aufs Korn zu nehmen. Ich
habe nun bereits so viele Bilder davon, dass ich die Wiedergabe hier lieber sein lasse.
Goldgelb, Orange, Blutrot, Purpur und Lila. Es ist ein Lichtspiel ohnegleichen. Dazu die
wehenden Palmenwipfel, die im aufbrisenden Abendwind sich biegen und neigen. Es ist schön
hier. Wenn es ganz dunkel ist, bin ich allein am Wasser. Die Menschen haben sich in ihre
Betonhöhlen zurückgezogen und sind fernab der Natur. Ich träume noch eine kleine Weile.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Die Wellen schwappen über die Felsen, schäumen auf, wirbeln zwischen den Klippen, strömen
zurück und kommen wieder. Leise rauscht die Brandung, dunkel am Horizont dehnt sich die
Silhouette des Troodosgebirges. Über dem Meer liegt jetzt nur noch ein lila Streifen, der
Wasser und Luft verbindet, er wird immer dunkler. Ich gehe auch nach oben, kleide mich um
fürs Dinner.
Mittwoch, 11. Oktober 2006
XXXI. Agia
Solomoni
Letzter freier Tag. Morgen geht es zurück in die Heimat. Wieder nehmen wir uns am
Vormittag Kato Paphos als Ziel, wissen immer besser Bescheid mit dem Stadtbus, kennen die
Haltestellen und fahren allerdings erst einmal bis zum Markt hoch nach Ktima bzw. Pano
Paphos. Martina will dann noch die moderne Geschäftsstraße durchkämmen, ihr bekannte
Marken- Unternehmen besuchen, den Trend verfolgen, vielleicht etwas anprobieren oder gar
kaufen. Als der Bus uns an der Endstelle auslädt, ist es heiß und ein bisschen schwül. Wolken
bedecken den Himmel. Kühler Wind deutet auf schlechtes Wetter, vielleicht bringt er sogar
Regen her. Wir nähern uns dem für die Jahreszeit normalem Herbstwetter, wo es auch regnen
kann.
Am Restaurant ZOVOS vorbei begehen wir noch einmal kurz den Markt mit dem konkreten
Ziel, eine gute Kopie des steinzeitlichen Fruchtbarkeitsgottes zu finden, Erinnerung an das
Zypernmuseum. Nach langem Suchen, wobei Martina mit anderthalb Augen ihren Interessen
folgte, fanden wir ein kleines Exemplar, von dem im VI. Kapitel schon die Rede war. Dann
lösten wir uns ganz schnell und sehr einig von dem Trubel und entflohen dieser Budenstadt.
Von der Endhaltestelle führt ein Lift in einen
unteren Stadtteil. In einer Senke lädt ein
Türkisches Bad zur Reinigung ein. Es hat eine
halbrunde weiße Kuppel und sieht sehr türkisch
aus. Da es im Schatten, teils in greller Sonne
liegt, ist das Gebäude nicht sehr fotogen.
In einer kleinen Anlage setzten wir und auf
einen Randstein und stärken uns mit einer
Banane und mitgebrachtem Kaffee, denn der
Vormittag ist weit fortgeschritten, dann machen
wir uns auf den Weg. Martina geht tapfer an den
Luxusgeschäften vorbei, wohl auch mir zuliebe.
Wir wollen nun nach Kato Paphos hinunter.
Wieder suchen wir Schatten. Wind fegt Schmutz und Staub durch die Luft. Der Himmel wird
milchig. Heute ist kein Badewetter, für Einheimische sowieso nicht. Heute biegen wir an der
Abzweigung ab, folgen der Leoforos Apostolou Pavlou, der Apostel-Paulus-Straße, geraten
also nicht links von der Agioi Anargyroi auf die Daidalou, sondern weit rechts von dieser
markanten
Kirche.
Kato Paphos- Romana- Hotel
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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Ein markanter Gebäudekomplex beherrschte diese Kreuzung, das „Romana Hotel“, ein mit
vielen Klischees aus der Römerzeit dekorierter und darum blickfangender, interessanter Bau.
Gegenüber diesem attraktiven Hotel stiegen wir auf den so genannten Fabrica- Hügel und
begannen unsere eigentliche archäologische Entdeckungsreise an diesem Tag.
Blanke Felsen und verdorrtes Macchia- Gestrüpp
bedecken diese von Bebauung frei gehaltene
Erhebung, von der wir einen guten Blick auf die
gerade bewunderte Hotelanlage und das Meer und
nach der anderen Seite auf die neue Kirche Agioi
Anargyroi werfen konnten. Unter uns befinden sich
unterirdische Grabanlagen aus hellenistischer Zeit.
Der Name Fabrica erinnert an eine Bauhütte und
Steinmetze, die hier einst arbeiteten. Spuren von
Keillöchern zeigen, dass dieser Hügel in römischer
Zeit als Steinbruch genutzt wurde.
Australische Archäologen graben zur Zeit ein antikes Theater aus, das wir dann sehen
können. Vorerst sehen wir ein Gitter um ein halb gesichertes Boden-Mosaik noch aus der
hellenistischen Zeit. Die schwarz-weißen Steinchen deuten auf Entstehen vor der
Zeitenwende hin, lange vor den herrlichen Mosaiken drüben im Archäologiepark.
Wir müssen aufpassen, dass wir nicht in ein Loch rutschen, aber es macht Spaß, auf eigene
Faust auf Entdeckung zu gehen. Die regellos herumliegenden Felsen machen den Eindruck,
als hätten Riesen sich hier mit Steinen beworfen. Sie heißen Digenis- Felsen. Es gibt auch
eine Legende: Vor langer Zeit liebte ein byzantinischer Held die Königin Regaena. Diese
hatte Digenis versprochen, ihn zu erhören, wenn er ihr Wasser aus dem Pentadáktylos bringe.
Als sie ihr Versprechen nicht hielt, warf Digenis voller Wut einen Felsblock, den heutigen
Fabrica- Hügel, auf ihren Palast. Regaena bewarf ihn daraufhin mit einer Spindel, die ihn in
eine Granitsäule verwandelte.
Dieser Fabrica- Hügel ist durchlöchert wie ein
Schweizer Käse. An mehreren Stellen führten
oft nur notdürftig freigelegte Treppenstufen in
ein unterirdisches Höhlensystem, das sicher in
der Vergangenheit viele Nutzungen erfahren
hat. Wir stromerten durch die unübersichtlichen
Höhlen, und meine Phantasie begann zu
arbeiten. Höhlen schützen. Vor Unwetter. Vor
Wetter überhaupt. Vor Menschen. Sie spart
bauen. Über eine Nutzung ist nichts mehr zu
erfahren.
Einzelne natürliche Pfeiler stützen die verrußten Decken. Es
gibt oft mehrere Ein- oder Ausgänge. Kurze Treppen
verbinden manchmal unterschiedlich hohe Räume.
Die Höhlen sind hoch, zum Wohnen fast ungemütlich. Man
denkt an sakrale Nutzung, an Gemeinschaftseinrichtungen.
Vielleicht waren es auch die Steine, die man ausbrechen
wollte und nur das Nötigste stehen ließ, um das Gebirge nicht
einstürzen zu lassen. Dann wäre aber der Tagebau einfacher
gewesen. Einsiedeleien sind es bestimmt nicht gewesen.
Dazu war der Ort zu bewohnt. Möglicherweise standen auch
einmal Häuser darüber, und die Höhlen waren die
unterirdischen Lagerräume. Lüftungslöcher führten oft
senkrecht ans Tageslicht. Andernorts denke ich wieder an
eine Kirche, Kultstätten. Der Massentourismus wird daran
vorbeigelenkt. Gott sei Dank.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 148
Ein Hohlraum hat einen ganz offiziellen Ausgang, durch den wir auf die Straße treten.
Eigentlich ist es der Eingang zum Höhlensystem. Wir haben die Besichtigung von Hinten
begonnen, abenteuerlicher, mit einem Anflug von Entdeckerfreude.
Nicht weit davon in Richtung Hafen
wehen linker Hand von einem Baum
viele bunte Tücher. Hier findet sich
unter der Erde eine unterirdische Kirche,
die Höhlenkirche Agia Solomoni, zu
der wir nun hinuntersteigen. Von einem
oben offenen Vorraum führen mehrere
Eingänge zu unterschiedlichen Stellen.
Die eine ist der Zugang zur Kirche
selbst, in die man wieder mit einigen
Stufen
hineinsteigen
muss.
Die
Finsternis wird nur durch ein paar
Wachskerzen aufgehellt. Ansonsten
muss das Tageslicht, das aus dem
kleinen Vorhof hineinfällt ausreichen.
Der Kirchenraum ist auch nicht tief, vielleicht 6 – 8 Meter bis zum Altarbereich. Decke und
Wände sind arg verrußt von Fackeln und Kerzen. Die Wände sind nackter Fels mit Narben,
Rissen, Löchern und Vertiefungen. Links lehnen Papptafeln gegen die Wand, an denen Ikonen
befestigt sind. Kunstblumen und Deckchen schmücken Altar und einen Steintisch an der Seite.
Rechts lehnen ebenfalls Ikonen. Der Fußboden ist festgetreten, nicht gepflastert, erdig und
wirkt wie aufgeschüttet. Blickfang und Andachtsmitte ist eine Christus- Ikone vor einem
weißen Tuch mit zwei roten Kreuzen. Ich vermute, die heutigen Gläubigen haben ohne
Aufwand von Geld diese Höhle mit primitiven Mitteln wiederbelebt und in religiösen
Gebrauch genommen.
Man sagt, dass frühe Christen vor 2000 Jahren hier
Zuflucht suchten. Diese auf antike Grabanlagen
zurückgehenden Katakomben wurden nach der Märtyrerin
Solomoni benannt, einer Jüdin, die zusammen mit ihren
sieben Söhnen während des Makabäer- Aufstandes 166 n.
Chr. hier lebendig eingemauert worden sein soll.
Vom Vorhof führen Stufen in die Tiefe zu einem Brunnen,
der diese Stelle wertvoll machte, weil seinem Wasser eine
heilende Wirkung bei Augenleiden nachgesagt wird. Ich
steige hinunter bis zur „Quelle“, einem kleinen
Wasserbecken, leider mit Gegenständen verschmutzt, wie
es üblich ist bei öffentlichem unkontrolliertem Zugang.
Wenn der Mensch allein ist und anonym handeln kann,
ohne sich für sein Tun verantworten zu müssen, wird er
zum Urtier, zur Sau. Der Brunnenraum ist aus dem Stein
Eingang zur Höhlenkirche Agia
gearbeitet, so dass mehrere Leute sich bewegen können,
Solomonis (Mitte) und Treppe zum
ohne weitere Ausstattung.
unterirdischen Brunnen (rechts)
Wieder ans Tageslicht gestiegen, bleibt ein Blick durch das verschlossene Gitter der dritten
Tür, die vom Vorhof in einen Andachtsraum führt, die eigentliche Grottenkirche vielleicht,
vielleicht eine Totenkapelle, auch noch unter der Erde gelegen. Es ist finster darin. Die Augen
gewöhnen sich langsam um. Ich sehe verblichene Fresken in der Apsis und zu beiden Seiten.
Die Fresken, mit denen die Wände ehemals bemalt waren, sind vermutlich verschimmelt, auch
abgehackt, nie saniert, mindestens eineinhalb Tausend Jahre alt. Die Denkmalspfleger haben
noch keine schützenden Hände darüber gelegt, scheint mir. Der Boden ist mit groben Steinen
unordentlich gepflastert ohne erkennbares Programm. Die gewölbte Decke ist nahezu schwarz.
Nur mühsam erkennt man, dass sie voll ausgemalt war. Welche Herausforderung, sie wieder
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 149
sichtbar zu machen! Das Podest für einen Taufstein kann man ausmachen. Eine Nische führt
möglicherweise in die Sakristei, einen winzigen Nebenraum für den Priester.
Wir klettern nach oben, machen Platz für eine Familie, die neugierig nach unten drängt.
Martina rafft es. Sie will auch ein Tüchlein an den
Wunschbaum knüpfen, raubt mir ein Taschentuch und
befestigt es mit verschmitztem Lächeln an dieser 300 Jahre
alten Terpentin- Pistazie. Wir wünschten uns etwas,
verrieten es nicht, als das Tuch wie die anderen im Winde
zappelte, hin und her schwang und nun wer weiß wie lange
dort hängen bleibt. Wie willig lässt sich der so moderne
Mensch auf solche Schamanen- Mätzchen ein. Er tut es mit
einem Lächeln, versteht es als Scherz, doch im Innern?
Der Glauben wird durch das geschmückte Portal
hinausgetrieben. Durch kleine Hintertüren schleicht er sich
wieder ein. Da werden Münzen in Brunnen geworfen,
Bronzestatuetten an bestimmten Stellen berührt, bis das
Metall goldgelb glänzt, heilige Steine angefasst, Ikonen
geküsst, die Liste ließe sich endlos lang ausdehnen.
Hier wird eben ein Tuch am Wunschbaum befestigt. Wer erfüllt diese Wünsche? In allen
monotheistischen Religionen haben die Gläubigen ihre Riten, ihre Heiligen, ihre Reliquien,
ihre Herren und Mütter, die über sie wachen, in anderen Religionen gibt es sie sowieso. Ich
frage mich, warum macht das aber der „moderne“, aufgeklärte Atheist? Und glaubt auch noch
daran! Heidnischer Aberglaube ist eben in jedem von uns infiltriert!
Unser Besichtigungsprogramm war zu Ende. Wir
fanden schnell den Weg zum Hafen. Kühler Wind war
aufgekommen. Vor die Sonne hatten schwammige
Wolken ihre Schleier gezogen. Böen fegten durch die
Straßen und wirbelten den Staub des trockenen
Sommers auf. Schlechtes Wetter zog heran. Wir hatten
Glück, standen gut an der Haltestelle, als der Bus
einlief und bekamen einen Sitzplatz, denn mit uns
wollten jetzt eine Menge Engländer wieder in ihre
Hotels entlang der Küste. Und wir hatten fast die
Schweres Wetter über dem Troodosgebirge weiteste Strecke.
Am Nachmittag dann erlebten wir ein Gewitter mit Blitz und Donner von großer Heftigkeit.
Seltsam, es regnete bei uns nicht. Das Unwetter tobte vielleicht zwei Stunden über die Insel
und verzog sich dann in Richtung Troodos. Die Luft roch frisch und war sehr abgekühlt. Der
Badestrand lag verwaist, selbst die begehrtesten Plätze waren jetzt zu haben.
Ich überredete Martina, mit mir noch ein letztes Mal
den Badestrand zu genießen. Wir suchten eine
Liege direkt auf der Felsenbrücke zwischen
Badewanne und Meer. Der Unterschied zwischen
Luft- und Wassertemperatur war gering und machte
das Zuwassergehen leicht. Ich bereute, dass ich
keine Schwimmflossen oder Taucherbrille mithatte.
Sie hätten das Gepäck belastet. So schwamm ich ein
letztes Mal in dem herrlich sauberen Wasser. Später
beobachtete ich eine Gruppe Taucher, eine
Tauchschule, die ihre umfangreichen Gerätschaften
Badezugang zum Meer
im Wasser ausprobierten.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
Seite 150
Viel wird man unter Wasser nicht sehen. Hier ist felsiger Grund an der Küste, kaum Sand. Es
gibt Tangwiesen, Kleinfische sicher auch, Anemonen. Der Name der Bucht lässt auch auf
Korallenriffe schließen. Ich sammelte darüber keine Informationen. Wie beschrieben war ich
auf Kulturreise und nicht im Badeurlaub.
Am Abend fotografierte ich mit innerlichem Glücksgefühl und gleichzeitigem Abschiedsweh
noch einmal den Sonnenuntergang, der heute klarer war als gestern.
Zunächst leuchtet sie noch eine Weile durch die
Palmen. Dann umgibt sie sich mit einem
Schleier aus lila Watte und rutscht in wenigen
Minuten in diese Schicht über dem
Wasserhorizont, bis sie sich rot färbt uns
versinkt, weil ihr Licht mit untergeht. So sehen
wir es. Doch in Wirklichkeit drehen wir uns von
ihr weg. Wer es sich bewusst macht, bemerkt
wie schnell unser Planet sich dreht!
Was blieb uns noch: Ein vorzügliches
Abendmenü, dann Kofferpacken. Zeitig
schlafen gehen.
Es wäre müßig, von dem nun folgenden Geschehen viel
Aufhebens zu machen, der Rest der Reise ist schnell erzählt:
Donnerstag, 12. Oktober 2006
ir mussten sehr zeitig aufstehen. 5.30 Uhr gab es
ein nicht sehr üppiges Frühstück. Koffer zum Bus.
Wir trafen auf Antonio, der uns nun bis zum
Flugzeug begleitete. Die Fahrt zum Flughafen Paphos war
recht kurz. Die Wartezeit auf den Abflug dagegen dehnte
sich über fast zwei Stunden.
Eine zypriotische Maschine brachte uns in etwas mehr als
vier Stunden sicher nach Dresden zurück.
Gepäck- Karussell. Rolltreppe. S-Bahn. Hauptbahnhof.
Straßenbahn Nr. 10. Striesen. Bergmannstraße. Wir rollern
mit dem Gepäck übers heimische Pflaster. Keglerstraße. Wir
waren wieder zu Hause.
W
XXXII. Epilog
Z
ypern ist eine Reise wert, das ist mein Fazit. Wir haben so viel es uns in diesen zwei
Wochen möglich war gesehen. Ich war beeindruckt von dieser Insel und seinen
Bewohnern, und ich habe vom Gefühl her diese verschiedenen Ebenen erlebt:
• Da waren zuvorderst die politischen Spannungen, unter denen die Zyprioten und zwar
griechische und türkische heute noch leiden. Wer genau hinhört und hinsieht, wird sie
spüren.
• Da ist die Lage der Insel in ihrer Nähe zu drei Kontinenten, ein Katzensprung nach
Antalya, nach Haifa oder Alexandria. Am meisten bemerkt man im Süden, der
Republik Zypern aber die Nähe zu Griechenland und Europa.
• Da sind die Religionen, der Islam im türkisch besetzten Norden mit seiner Intoleranz,
Gleichgültigkeit bis zur Verfolgung christlicher Werte und das Christentum mit seinen
Ausformungen und Widersprüchen der griechisch- orthodoxen Ostkirche und der
römisch- katholischen Kirche des Vatikans.
• Da sind die unterschiedlichen Landschaften, das grüne Gebirge, die im Sommer
ausgetrockneten Felder und Wadis der Küstenebenen mit Wasser- und
Energieproblemen.
• Und da sind die unvergleichlichen Erlebnisse mit den Zeugnissen der Vergangenheit,
die mich, wie man diesem Bericht leicht entnehmen kann, am meisten beeindruckten.
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006
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