Aktienkultur in Deutschland lässt auf sich warten

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Aktienkultur in Deutschland lässt auf sich warten
Aktueller Kommentar
Aktienkultur in Deutschland lässt auf sich warten
19. März 2008
Die Bedeutung der Aktie in Deutschland als Anlage- und Finanzierungsinstrument ist im internationalen Vergleich
unterentwickelt. Sichtbarster Ausdruck dieses Mangels einer Aktienkultur in Deutschland ist der geringe Anteil
deutscher Haushalte, die Aktien besitzen. So nahm seit 2000 trotz der guten Börsenverfassung in den Jahren
2003 bis 2007 die Zahl der privaten Aktienanleger in Deutschland kontinuierlich um jährlich durchschnittlich 5,9%
von noch 6,2 Mio. in 2000 auf weniger als 4,1 Mio. Anleger in 2007 ab . Auch im internationalen Vergleich
scheinen die deutschen Privatanleger überdurchschnittlich risikoscheu zu sein. Während die Aktionärsquote in
Frankreich mit 14,5% mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland mit 6,6% ist, beträgt sie in der Schweiz 20,4%,
den USA 25,5% und Japan sogar 27,7%.
Diese Situation spiegelt sich auch in der
Marktkapitalisierung des deutschen Aktienmarktes in
Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) wider. So
schneidet Deutschland mit einer
Marktkapitalisierung von 57% des BIPs im
internationalen Vergleich unterdurchschnittlich ab. In
anderen Industrieländern ist die
Marktkapitalisierung deutlich ausgeprägter, so auch
in der Schweiz (323%), Großbritannien (160%), den
USA (148%) oder Japan (106%). Auch die
durchschnittliche Börsenkapitalisierung im Euroraum
liegt mit durchschnittlich 79% deutlich über der
deutschen Aktienmarktkapitalisierung.
Rolle der indirekten Aktienanlage
In Deutschland ist die indirekte Aktienanlage in
Aktienfonds, Zertifikaten und zunehmend auch
Exchange Traded Funds stärker ausgeprägt als die
Direktanlage. Diese Anlageformen sollten ebenfalls
als wichtiges Element der Aktienkultur verstanden
werden. Berücksichtigt man auch die
Aktienfondsbesitzer, investieren in Deutschland
immerhin 10,3 Mio. Anleger direkt oder indirekt in
Aktien. (15,7% der Bevölkerung). In Anbetracht der Tatsache, dass ca. 85% der Anlagezertifikate aktienbasiert
sind und der gesamte Zertifikatemarkt zum Jahresende 2007 über ein Anlagevolumen von EUR 135,1 Mrd.
verfügt , dürfte die Quote des indirekten Aktienbesitzes faktisch sogar noch deutlich höher liegen. So kam z.B.
eine Umfrage im Auftrage des Deutschen Derivate Instituts 2005 zu dem Ergebnis, dass bereits 6% der
Privatanleger in Anlagezertifikate investiert haben.
Sicherheitsstreben dominiert
Trotz der guten Börsenentwicklung der Jahre 2003 bis 2007 war das Anlageverhalten vieler Privatanleger zum
einen weiterhin vom Wunsch nach Sicherheit und einer kurzfristigen Verfügbarkeit der investierten Mittel geprägt.
Diese Situation führte dazu, dass viele Anleger nicht von den Kurssteigerungen in diesem Zeitraum profitieren
konnten. Zum anderen schichtete eine Großzahl von Anlegern, die in 2007 noch in Aktien investiert war,
angesichts der Unsicherheiten durch die US-Immobilienkrise im 2. Halbjahr ihr Vermögen in weniger
risikobehaftete Anlageklassen um. So nahm die Zahl der Direktaktionäre in 2007 um 193.000 ab und Aktienfonds
verzeichneten einen Nettomittelabfluss von EUR 14,2 Mrd. Dennoch bleibt die Anlage in Aktien auf lange Sicht
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immer noch viel versprechend. Eine Anlage
in den DAX zu relativ tiefen Kursen Anfang
1981 hätte bspw. im Durchschnitt eine
jährliche Rendite von nominal über 11% bis
Ende 2007 gebracht. Sogar der Einstieg zu
den vergleichsweise hohen Kursen Anfang
1986 hätte noch durchschnittlich rund 9% pro
Jahr erreicht.
Mittelfristiger Ausblick: Aktien als
Verlierer der Abgeltungssteuer
Die zum 1. Januar 2009 in Kraft tretende
Abgeltungssteuer wird die Aktienkultur in
Deutschland nicht stärken. Vielmehr wird die
Anlage in Aktien aufgrund der steuerlichen
Benachteiligung durch den Wegfall des
Halbeinkünfteverfahrens und der
Besteuerung von Kursgewinnen weiter an
Attraktivität verlieren. Vom heutigen
Zeitpunkt erwarten wir, dass Privatanleger
ihre Asset Allocation in 2008 überprüfen
werden und Vermögenswerte in steuerlich
attraktivere Anlageformen wie z.B. Dachfonds zu Lasten der direkten Aktienanlage umschichten werden.
Fazit
Die Vermögensstruktur der privaten Haushalte ist immer noch von einer Präferenz für kurzfristige Anlageformen
geprägt und entspricht nur teilweise dem Ziel einer langfristigen Geldvermögensbildung, insbesondere werden die
Chancen einer aktienbasierten Kapitalanlage für die eigenständige Altersvorsorge nur unzureichend genutzt. Das
Zusammenspiel des ausgeprägten Sicherheitsdenkens der privaten Haushalte und der steuerlichen
Benachteilung der direkten Aktienanlage ab 2009 stellen schwere Hürden für eine Verbesserung der Aktienkultur
in Deutschland dar. Dieser Herausforderung sollte sich der Gesetzgeber zumindest steuerpolitisch annehmen.
Schließlich darf nicht vergessen werden, dass eine ausgeprägte Aktienkultur und eine hohe
Aktienmarktkapitalisierung kein Selbstzweck sind, sondern die Finanzierungskosten für Unternehmen senken und
somit neue Chancen für Investitionen und Innovationen eröffnen. Dies wiederum begünstigt Beschäftigung,
gesamtwirtschaftliches Wachstum und Wohlstand – ein Zustand von dem letztendlich die Bürger, die Wirtschaft
und der Staat gemeinsam profitieren würden.
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Raimar Dieckmann (+49) 69 910-31830
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