Die mongolische Eroberung

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Die mongolische Eroberung
Einführung in die Geschichte der islamischen Länder
Die mongolische Eroberung
1
Bedrohungen der islamischen Welt vor der mongolischen Eroberung
1.1
Vordringen christlicher Mächte im Mittelmeerraum, besonders der Normannen
1.2
Die Kreuzfahrerstaaten
2
Die mongolischen Eroberungen
2.1
Die Mongolen
2.2
Der Westfeldzug Dschingis Khans (1219-1223)
2.3
Die zweite Welle: Kampagnen Hülägüs (1255-1260)
2.4
Die (islamisierten) Teilreiche
3
Bedeutung und Konsequenzen der mongolischen Eroberung für die Weltgeschichte
(besonders die Geschichte der islamischen Länder)
1
Bedrohungen der islamischen Welt vor der mongolischen Eroberung
1.1
Vordeingen christlicher Mächte im Mittelmeerraum, besonders der Normannen
Die Periode der islamischen Eroberungen war im Westen, also auf der Iberischen
Halbinsel, bereits sehr früh (noch im 8. Jahrhundert) zu Ende gegangen. Im Mittelmeerraum
kann als letzte größere Eroberung auf diejenige Siziliens verwiesen werden (9. Jahrhundert,
beg. 827). In den Auseinandersetzungen gegen die Byzantiner hatten die Muslime mit der
letzten Belagerung von Konstantinopel am Anfang des 8. Jahrhunderts (715-718) ihren
Höhepunkt erreicht, die letzten großen vom Kalifen selbst geleiteten Feldzüge gab es unter
Hārūn al-Rašīd (Anfang 9. Jahrhundert; Feldzüge z.B. 803 und 806). In der Folgezeit machte
weder die eine noch die andere Seite bedeutende Fortschritte, bis die Byzantiner unter
Nikephoros II. Phokas und Johannes I. Tzimiskes (963-969; 969-976) die Oberhand
gewannen und bis weit nach Syrien vordringen konnten, wo sie bis ans Ende des 10.
Jahrhunderts ihre Herrschaft wieder errichten konnten. Die Erfolge der Byzantiner waren
zwar nicht von Dauer (die vorherige Grenze im Osten Anatoliens wurde wieder erreicht), es
hatte sich jedoch auch an dieser Stelle gezeigt, dass die Muslime nicht immer und überall
siegreich waren. Im Osten, also in den Kämpfen in Mittelasien gegen turksprachige Gruppen
und im Südosten gegen Indien, waren die Muslime im allgemeinen in der gesamten
vormongolischen Periode überlegen, mit einer Ausnahme: Die regionalen Mächte (dies
betrifft die Selǧūqen unter Sanǧar und die Nachfolgedynastie der Ḫwārazmšāhs) waren den
nicht-muslimischen Qara-Ḫiṭāy unterlegen (Schlacht bei Qaṭwān 1141, s. vorige Stunde).
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Der Historiker Ibn al-Atīr (st. 1233) behandelt in seiner Universalgeschichte al-Kāmil („Das
vollkommene Buch über Geschichte“), verfasst in den 1220-er Jahren in der Gegend von
Mossul, die Ereignisse seiner Zeit, also die Nachrichten, die er vom Mongolensturm erhielt,
auf dem Hintergrund ausführlicher Schilderungen der Niederlagen der Muslime gegen die
katholische Reconquista in Spanien und die Normannen auf Sizilien und in anderen
Gegenden des Mittelmeerraums. Die entsprechenden Ereignisse fallen überwiegend in die
zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts:
Von 1061-1072 erobern die Normannen unter Roger I. Sizilien; 1060 fällt Coimbra und 1085
die alte wisigotische Hauptstadt Toledo an die Christen; Pisaner und Genuesen greifen 1087
Mahdīya in Tunesien an, das sie vorübergehend nehmen können. Auch die Normannen
greifen nach Nordafrika aus.
1.2
Die Kreuzfahrerstaaten
Lateinisch-christlich dominierte Staaten bestanden als Folge der Kreuzzüge auf dem
syrisch-palästinischen Festland von 1099 bis 1291, also fast zwei Jahrhunderte. Für eine
bloße Episode ist das zu lange, für einen Hauptstrang in der Geschichte der Region zu
wenig. Festhalten sollte man, dass den Kreuzzügen in der zeitgenössischen und späteren
Geschichtsschreibung der Muslime bis in das 20. Jahrhundert keineswegs die Bedeutung
zugemessen wurde, die sie gelegentlich heute haben; auf der anderen Seite ist die Betonung
der Kreuzzüge als einer wichtigen Station des europäisch-orientalischen Kulturkontakts, wie
sie manchmal versucht wird, ebenfalls darauf zu befragen, auf welchen Teilbereichen
welcher Kontakt (und in welcher Richtung) stattgefunden hat. Die Kreuzzüge sind gewiss
keine frühe Entscheidungsschlacht zwischen Christen und Muslimen gewesen, sie sind
wahrscheinlich für die europäische Seite und insbesondere ihre Sicht der Muslime prägender
als andersherum. Daher wird ihnen in dieser Vorlesung auch keine eigene Stunde gewidmet,
sondern sie erscheinen als eine von mehreren Bedrohungen, denen die Muslime sich in der
damaligen Zeit ausgesetzt sahen, wie es auch der Sicht etwa Ibn al-Aṯīrs zu entsprechen
scheint.
Wodurch die Kreuzzüge auf europäischer Seite ausgelöst wurden, ist nicht so einfach zu
bestimmen. Die Sorge um den Zugang zum Heiligen Grab war es nicht – das war sowohl vor
als auch nach der selǧūqischen Eroberung des nördlichen Syrien und auch während der
zunehmenden Schwäche der Fāṭimiden von Ägypten gegeben, die im 11. Jahrhundert die
Kontrolle über Jerusalem hatten. Die Niederlage der Byzantiner bei Malazgirt (1071) kommt
schon eher als auslösendes Moment in Frage, aber einen direkten Zusammenhang
herzustellen fällt schwer, weil der Kreuzzugsaufruf von Papst Urban II. erst 1095 im
französischen Clermont stattfand.
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Die Ritter, die darauf das Kreuz nahmen, kamen überwiegend aus verschiedenen Regionen
Frankreichs (die Bezeichnung „Franken“ al-afranǧ für die Kreuzfahrer in den arabischen
Quellen ist also nicht ganz willkürlich). Sie gelangten über Konstantinopel in die Region, im
Jahr 1097, und hatten ihren ersten größeren Erfolg bei der Belagerung von Antiochia
(Oktober 1097-Mai 1098), das sie wider Erwarten erst einnehmen und dann gegen eine
türkische Armee halten konnten. Gewiss kam ihnen zugute, wie Carole Hillenbrand schreibt
(s. Literaturverzeichnis), dass zu dieser Zeit in der gesamten relevanten islamischen Welt ein
Machtvakuum herrschte; das betrifft besonders die Selǧūqen, deren Staat nach dem
gleichzeitigen Tod des Sultans Malikšāh und des Großwesirs Niẓām al-Mulk (1092) von
einem lang andauernden Nachfolgekrieg zerrissen wurde. Die ägyptischen Fāṭimiden hatten
sich bereits vorher als unfähig erwiesen, die Selǧūqen zurückzuweisen.
Der Reihe nach wurden von den Teilnehmer-Kontingenten des Ersten Kreuzzugs vier
Fürstentümer im Nahen Osten gegründet. Der Reihe nach waren dies die Grafschaft Edessa
(1098), gegründet von den Lothringern unter Baudouin (Balduin) de Boulogne; das
Fürstentum Antiochia (1098) von den süditalischen Normannen unter Bohemund
(Bohémond); das Königreich Jerusalem von den Provenzalen, der erste König war Gottfried
(Godefroy) de Bouillon, die Stadt wurde am 15. Juli 1099 eingenommen, die Krönung des
Königs fand dann zu Weihnachten des Jahres statt. Erst später gründete Raymond de
Toulouse das Fürstentum Tripolis (1109).
Die Kreuzfahrerstaaten waren mit Ausnahme der Grafschaft Edessa (die vielleicht eben
deswegen bereits 1144 wieder unterging) auf die syrisch-palästinische Küste orientiert. Vor
allem die beiden bedeutendsten Zentren Syriens, nämlich Damaskus und Aleppo, haben die
Kreuzfahrer wohl mehrfach bedroht, aber nie erobern können. Ebenfalls misslang es ihnen,
trotz ebenfalls wiederholter Versuche, in Ägypten dauerhaft Fuß zu fassen.
Zusammen mit den aus der selǧūqischen Eroberung hervorgegangenen Kleinstaaten in
Syrien bildeten die neu entstandenen Kreuzfahrerstaaten bald ein ganz eigenartiges
Machtgeflecht, in dem der entscheidende Faktor nicht etwa die jeweilige Zugehörigkeit zu
einem „christlichen“ oder einem „muslimischen“ Block war. Solche Blöcke gab es vielmehr
gar nicht, der Gedanke eines Gegenkreuzzugs auf muslimischer Seite entstand erst relativ
spät und erst, als sich eine regional dominierende neue Macht herausgebildet hatte.
Entscheidend war außer den jeweiligen individuellen Interessen der Machthaber und ihrer
Herrschaften wohl eher der Gedanke, in der Region keiner der in Frage kommenden
benachbarten Großmächte zu viel Einfluss zu geben, also weder Byzanz noch Ägypten noch
den Selǧūqen. Es war offenbar Konsens unter den entscheidenden Männern der
Kleinstaaten, die eigene Existenz nicht dadurch zu gefährden, dass die Balance der Macht
und der Einflüsse durcheinander geriet. (Das hat Michael Köhler gezeigt, s.
Literaturverzeichnis.)
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Die neue regional bestimmende Macht sind die Zengiden von Mosul. Sie konnten
nacheinander wichtige syrische Städte an sich bringen (1128 Aleppo, 1154 Damaskus; wie
gesagt bereits 1144 das bis dahin fränkisch-armenisch dominierte Edessa). Aber endgültig
ging das genannte Gleichgewicht erst verloren, als sie die Kontrolle über Ägypten gewannen
(1169). Dazu kam es als Antwort auf eine neuerdings expansive Politik des Königreichs
Jerusalem nach Süden: Die Kreuzfahrer hatten verstanden, dass ihre Herrschaften in der
Region besser gesichert wären, wenn sie zumindest einen der Eckpfeiler im regionalen
Kräftespiel an sich bringen könnten, nämlich Ägypten. Sie hatten daher ihren Einfluss unter
den letzten fāṭimidischen Kalifen so weit ausgedehnt, dass man von Ägypten in dieser Zeit
als von einem fränkischen Protektorat gesprochen hat (Halm in Haarmann, Geschichte der
arabischen Welt).
Der Heerführer, der Ägypten für die Zengiden eroberte, hieß Šīrkūh, er ist der Stammvater
einer weiteren Dynastie in Ägypten und Syrien, der Aiyūbiden. Es war sein Neffe Ṣalāḥ alDīn, der in Europa Saladin heißt (reg. 1171/1174-1193), dem die ersten entscheidenden
Siege gegen die Kreuzfahrer gelingen sollten. Er war allerdings die größere Zeit seiner
Herrschaft damit beschäftigt, neben Ägypten auch die syrisch-mesopotamische Seite seiner
Macht zu konsolidieren. Das gelang, und die folgende politisch-militärische Entwicklung
führte zur Niederlage der Franken bei Ḥaṭṭīn (1187) und somit zum Ende des ersten
Königreichs Jerusalem.
Das zweite Jahrhundert der Kreuzfahrerstaaten war eher auf die Hafenstadt Akkon
konzentriert, welche die Kreuzfahrer im Dritten Kreuzzug wieder gewinnen konnten. Sie war
auch die letzte Stadt, die sie hielten, sie wurde erst 1291 unter dem Mamlūken-Sultan
Baibars erobert. Die zahlreichen Verhandlungen zwischen europäischen und nahöstlichen
Fürsten zeigen, dass es keine unüberwindliche Barriere zwischen beiden Seiten gab.
Besonders wird hervorgehoben, dass es Friedrich II. (Deutscher Kaiser, König von Sizilien
und von Jerusalem) durch Verhandlungen mit dem aiyūbidischen Sultan von Ägypten und
Syrien, al-Kāmil, noch einmal gelang, 1229 Jerusalem in christliche Hand zu bringen und das
Königreich wieder zu beleben, aber das dauerte nur bis 1244 – die Eroberer waren allerdings
keine ägyptischen oder syrischen Truppen, sondern eine Koalition von aiyūbidischen Prinzen
und ḫwārazmischen Haufen, die in Folge der mongolischen Eroberung nach Westen
gekommen waren und nach dem Untergang ihres Führers (dem letzten Ḫwārazmšāh, Ǧalāl
al-Dīn Mingbirni) nicht viel mehr waren als marodierende Banden.
Die Schlussphase der lateinischen Herrschaften im Nahen Osten ist wieder nicht von den
Entwicklungen in Ägypten zu trennen, und für diese stehen die Erfolge gegen die Mongolen,
welche die seit 1259 dort regierenden Mamlūken im Kampf gegen die Mongolen um die
Herrschaft über Syrien erzielen konnten, im Vordergrund.
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2
Die mongolischen Eroberungen
2.1
Die Mongolen
Das Urspungsland der Mongolen liegt in der heutigen Mongolei, nördlich der Großen
Mauer, auf beiden Seiten der Gobi. Diese Region war schon lange der nomadische
Gegenpol zu China gewesen (zur Vorgeschichte und zur Geschichte des Verhältnisses von
China und den nördlichen Nomaden s. Literaturverzeichnis, Peter Golden und Thomas
Barfield). Dabei sind die Mongolen nach neueren Erkenntnissen das einzige nomadische
Volk aus dem Norden überhaupt, das China wirklich erobert hat; die übrigen chinesischen
Dynastien mit nomadischem Hintergrund kamen eher aus dem Nordosten, der halbnomadischen Regionen der heutigen Mandschurei; andere Nomaden haben China nicht
erobert, sondern haben das Land aus der Steppe zu kontrollieren versucht).
Die Mongolen waren nie ein besonders zahlreiches Volk (s. vorige Stunde). Immer waren die
chinesischen Armeen zahlenmäßig und in der Ausrüstung deutlich überlegen. Dennoch
haben die Mongolen immer wieder gesiegt; hier bestätigt sich im Osten die in der vorigen
Stunde beschriebene systematische Überlegenheit nomadischer Armeen gegen sesshafte.
Hinzu kommt, dass die Mongolen – oder andere nomadische Angreifer – im Fall Chinas
immer bestimmen konnten, wo der Kampf stattfinden sollte; dieser strategische Vorteil hängt
wieder mit der Mobilität zusammen. In den einzelnen Gefechten konnte dann die Masse der
nomadischen Kämpfer derjenigen der chinesischen Verteidiger durchaus überlegen sein,
auch zahlenmäßig. Vor allem aber ist eine Vorwärtsstrategie auf chinesischer Seite kaum
denkbar, gemeint ist eine Verfolgung der Nomaden tief in die Steppe hinein. So etwas ist von
chinesischen Kaisern oder Heerführern nur selten versucht worden, und fast nie hat es den
gewünschten Erfolg gehabt – die Nomaden wichen aus, es kam nicht zur Schlacht, und die
chinesische Armee konnte am Ende froh sein, wenn sie wieder das Gebiet südlich der
Großen Mauer erreichte.
Steppenpolitik ist auch die Frage, wie man zum Herrscher in der Steppe wird. Für die
Mongolen galten die gleichen Verhältnisse wie für die Türken, was die Nachfolge von
Herrschern und das Verständnis von Herrschaft angeht. Aber wie wird man Herrscher, wenn
man nicht zur herrschenden Familie gehört? Dies ist der Fall Dschingis Khans, der einer
wohl angesehenen, aber nicht der herrschenden Familie entstammte. Er hat seinen Aufstieg
ebenso wie manch andere vor ihm und nach ihm dadurch bewerkstelligt, dass er von
vornherein eine supra-tribale Struktur etablierte, zu Anfang war dies die persönliche
Gefolgschaft. Dies ist kaum mehr als eine Bande, die ihrem Chef unbedingte Treue
geschworen hat (das ist durchaus wörtlich zu verstehen). Diese Gruppe schickte sich dann
an, die Kontrolle über das gesamte Geschehen zu erkämpfen. Die Verbindung zwischen
dem Chef und den Gefolgsleuten wird dabei durch Versprechungen gekennzeichnet: Der
Chef verspricht den Gefolgsleuten große Beuteanteile bzw. herausgehobene Positionen für
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den Fall des Erfolgs. Daran muss der Chef sich dann allerdings auch halten, sobald es etwas
zu verteilen gibt. Dschingis Khan war hier vorbildlich.
Zur Steppenreligion: Die Mongolen kannten einen Himmelsgott, Tengri (tü. tanrı), und sie
legten Wert auf die himmlische Legitimation aller weitreichenden Entscheidungen. Der
Himmelsgott wurde allerdings nicht als ein persönlicher Gott vorgestellt, eher als eine Macht.
Zur Kommunikation mit übersinnlichen Mächten gab es Spezialisten, die in Europa
Schamanen genannt werden (der Ausdruck kommt aus dem Tungusischen, das mo. Wort ist
bek, tü. kam). Aber auch die Herrscher verfügten kraft ihrer Eigenschaft als Herrscher über
Kontakte in die übersinnliche Welt, sie konnten daher z.B. selbst Orakel veranstalten, um die
Zukunft zu erkennen. Berühmt ist die Methode der Wahrsagerei aus den Linien, die sich
beim Erhitzen bzw. Verbrennen auf den Schulterblatt-Knochen von Schafen ergeben.
Dschingis Khan gelang es nach langen Jahren des Kampfes und nach vielen Niederlagen,
seine Position unter den entsprechenden Stämmen soweit zu stärken, dass er in einer
Versammlung der Stämme (mo. und tü. qurıltay) zum Chef der neu gegründeten
Konföderation der Mongghol gewählt wurde (1206). Bei dieser Gelegenheit wurde ihm vom
Ober-Schamanen Teb-Tenggeri der Herrschername „Dschingis Khan“ verliehen, das heißt
ungefähr soviel wie „Herrscher über die ganze Steppe“ („ozeanischer Herrscher“), und das
implizierte den Auftrag zur Welteroberung, den der Schamane überbrachte. (Der Name, den
seine Eltern Dschings Khan gegeben hatten, war Temüǰin.)
2.1
Der Westfeldzug Dschingis Khans (1216-1222)
Die Eroberungsbewegungen der Mongolen richteten sich zunächst gegen China. Das
fällt nicht in das Stoffgebiet der Vorlesung. Es muss aber klar sein, dass die für die
islamische Welt so bedeutenden mongolischen Eroberungen aus der Sicht Dschingis Khans
und seiner mongolischen Zeitgenossen unbedingt nachrangig waren. Nach der
Niederwerfung der anderen Steppenvölker und der Eroberung Chinas kam vielleicht noch
der Sieg über die nördlichen Waldvölker in Bedeutung vor den Siegen über die islamischen
Staaten.
Der Hauptgegner der Mongolen im Westen war der Ḫwārazmšāh Muḥammad b. Tekeš
(1200-1220). Dieser hatte seine Herrschaft über fast den gesamten Osten der islamischen
Welt ausgedehnt, und zwar innerhalb sehr kurzer Zeit. Er hatte sogar den Kalifen
herausgefordert, diesen für abgesetzt erklärt und durch einen Mann aus einer
mittelasiatischen Saiyid-Familie ersetzt. Aber seine Herrschaft war instabil, auch weil er alle
regionalen Dynastien beseitigt hatte; deren Vertreter hatte er teils als Geiseln in seiner
Hauptstadt Urganč festsetzen, teils ermorden lassen.
Die Mongolen kamen vermutlich nach Westen, um Personen, Gruppen und Verbände
einzufangen, die sich ihnen widersetzt und dann durch Flucht entzogen hatten. Im Jahr 1219
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begann dann der Feldzug gegen den Ḫwārazmšāh. Der Ḫwārazmšāh lieferte den Mongolen
keine große Schlacht, sondern beauftragte seine Leute, die einzelnen Städte und Regionen
gegen die Mongolen zu verteidigen, und setzte sich selbst nach Südwesten nach Iran ab.
Die Mongolen verfuhren dann zweigleisig: Eine besonders schnelle Truppe wurde
ausgeschickt, den Ḫwārazmšāh einzufangen. Diese Truppe durchzog ganz Iran, fand den
Ḫwārazmšāh aber nicht. Diese Mongolen ritten dann westlich des Kaspischen Meeres in die
Steppenregion zurück, schlugen ein sich ihnen entgegenstellendes Heer der Kiever Rus’ und
traten dann den Rückweg nach Osten an. Die Hauptverbände der Mongolen, teils unter
Befehl von Dschingis selbst, teils unter demjenigen von einem seiner Söhne oder übrigen
Verwandten, machten sich systematisch an die Eroberung der vom Ḫwārazmšāh
verlassenen Regionen. Sie eroberten in den Jahren 1220-23 die islamischen Regionen
Mittelasiens sowie auf der iranischen Seite des Amu Darja die Region Ḫurāsān. Bis zum Tod
Dschingis Khans 1227 änderte sich an der Lage in Iran nicht mehr viel: Es gab ein
mongolisch beherrschtes Stück im Osten und Nordosten, den Einflussbereich des wieder
(als Regionalstaat) erstarkten Kalifats im Westen und dazwischen eine umkämpfte Zone, in
der sich auch der bereits erwähnte letzte Ḫwārazmšāh Ǧalāl al-Dīn Mingbirni ein Reich zu
erobern versuchte. Dieses labile Gleichgewicht dauerte bis in die 1250er Jahre, als eine
neue mongolische Offensive begann (dazu gleich).
Die mongolische Armee bestand keineswegs nur aus Mongolen. Die Mehrheit dürfte
turkstämmig gewesen sein, es gab aber auch andere Völker aus dem Osten der
Steppenzone, die mit nach Westen kamen, und gewiss gab es auch örtliche Unterstützer.
Die Armee war nicht tribal, obwohl nomadisch. Sie war statt in Stämme in Tausendschaften
und Zehntausendschaften organisiert, nach dem Dezimalsystem. Dabei wurden Stämme
ziemlich bewusst auseinander gerissen. Aus den Tausendschaften der mongolischen
Eroberungsarmee formierten sich im Laufe der Zeit neue tribale Gruppierungen, die daher
keinen biologischen Ahnherrn hatten, sondern z.B. den Namen des damaligen
Tausendschafts-Befehlshabers führten. Entfernte Nachfahren einer solchen Tausendschaft
sind auch die Hazāra in Afghanistan, eine persisch sprechende schiitische Minderheit, deren
Mitglieder vom Körpertyp her mongolisch wirken; es gibt aber auch Quellenhinweise darauf,
aus welcher mongolischen Tausendschaft sie herkommen. „Hazāra“ ist das persische Wort
für Tausendschaft.
Die mongolischen Eroberungen dieser Zeit werden mit unvorstellbaren Grausamkeiten in
Verbindung gebracht. In der Tat sind einige Städte vor allem in Ḫurāsān überaus stark
zerstört und entvölkert worden. Einige davon sind nie wieder zu ihrer früheren Bedeutung
gewachsen (etwa Marw und Nīšāpūr), andere sind an anderer Stelle wieder aufgebaut
worden (Samarqand). Buchara wurde dezimiert, kam aber relativ rasch wieder nach vorn.
Herat wurde sehr stark in Mitleidenschaft gezogen, war aber bereits gegen Ende des 13.
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Jahrhunderts eine bedeutende Stadt. Balḫ wurde erst später durch die heute wichtige Stadt
Mazār-i Šarīf ersetzt. Bei alledem waren die Verwüstungen und Massaker der Mongolen
nicht planlos. Sie boten jeweils die Unterwerfung an, das formulierten sie als Aufruf, ihrem
„Friedensverband“ (mo. īl) beizutreten. Wenn eine Stadt oder ein Herrscher dies nicht tat,
folgte der Kampf. Auch wenn eine Stadt Widerstand leistete, musste sie mit einem Massaker
rechnen. Ein übliches Verfahren war auch, die Bewohner einer Stadt vor die Mauern zu
treiben, damit die mongolischen Kämpfer in den Häusern ungestört nach Beute suchen
konnten. Am Ende wurden dann aus der Stadtbevölkerung diejenigen ausgewählt, von
denen die Mongolen dachten, dass sie nützlich sein könnten: Handwerker, besonders
Kunsthandwerker, die man dann in die Mongolei verbrachte. Regelmäßig Schutz genossen
religiöse Spezialisten und Nachkommen des Propheten, vor deren spirituellen Möglichkeiten
man offenbar Respekt hatte. Dieser Schutz wurde außer für islamische Gelehrte auch für
Kult-Personal anderer Religionen gewährt, also für Rabbiner und christliche Priester, in
anderen Kontexten auch buddhistische Mönche.
Man hat gemutmaßt, ob die Mongolen die sesshaften Zonen, welche sie eroberten, in
Weideland umwandeln wollten. Sie haben zumindest in der ersten Zeit sehr wenig Rücksicht
darauf genommen, dass für die Fortführung des Ackerbaus gewisse Bedingungen gegeben
sein müssen, und ihre Abgabenpolitik war oft vernichtend. Manchmal klingt eine Politik der
Verwandlung von Ackerland in Weide auch in der einzigen Quelle an, welche die Mongolen
selbst über diese heroische Zeit ihrer Geschichte verfasst haben: der „Geheimen Geschichte
der Mongolen“, in der allerdings der Westfeldzug ausgesprochen kurz behandelt wird, und
dann so, dass aus der Verwirrung der Ortsnamen der Eindruck entsteht, die Mongolen
hätten gar nicht immer ganz genau gewusst, wo sie sich eigentlich befanden, auch wenn sie
natürlich über den Aufenthaltsort und die militärische Stärke ihrer Gegner hervorragend
unterrichtet waren. Diese Politik, wenn sie denn als solche überhaupt bestand, ging aber
nach der ersten oder zweiten Generation zu Ende und wich Reformen, die sowohl von den
Großkhanen (nunmehr in Karakorum, der künstlich gebildeten mongolischen Hauptstadt in
der Steppe) als auch von den Herrschern der Teilreiche unternommen wurden.
Nach dem Tod Dschingis Khans wurde das entstandene Reich unter die vier Söhne des
Eroberers von seiner Hauptfrau (Börte) aufgeteilt. Diese Teilreiche heißen Ulus (das ist ein
Territorium, ein Personenverband und eine Anzahl von nicht-territorialen Besitzrechten). Es
gab bald nach Dschingis Khans Tod bereits vier derartige Teilreiche: Den Ulus Jöchi im
Westen, den Ulus Čaġatai in Mittelasien (mit Zentrum im heutigen Kyrgyzstan), den Ulus
Ögedei etwas weiter östlich und den Ulus Tolui in der Mongolei und Nordchina (soweit dies
bereits erobert war). Die Herrscher der Teilreiche blieben aber zunächst in einem durchaus
realen Sinn dem Familienchef untergeben, zu diesem wurde auf einem Qurıltai der dritte
Sohn Dschingis Khans, Ögedei, gewählt.
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Aus diesen Teilreichen entwickeln sich im Lauf der Zeit die mongolischen Staaten des 13.
und 14. (regional noch des 15.) Jahrhunderts: Die mongolische Dynastie Yüan in China, die
Goldene Horde in grob gerechnet Kasachstan, Russland und der Ukraine, der Ulus Čaġatai
in Mittelasien, und, seit 1255, der Staat der Mongolen in Iran, die Dynastie der Īlḫāne. Sie
alle bieten jeweils charakteristische Macht- und Austauschbeziehungen zwischen den
sesshaften-urbanen Wirtschaften einerseits und der Nomadenwirtschaft andererseits.
2.3
Die zweite Welle: Kampagnen Hülägüs (1255-1260)
Die Eroberungen im Westen wurden noch unter Ögedei wieder aufgenommen, das
erste Ziel war Osteuropa, wo die Söhne Jöchis, Batu Khan und Berke, ihren
Herrschaftsbereich bis nach Ungarn erweiterten; die Mongolen erreichten auch Mitteleuropa
(Schlacht bei Liegnitz – in Schlesien – 1241; die Mongolen bauten aus internen Gründen
diesen Erfolg nicht wirklich aus). Die zweite große Kampagne im Westen ist der Feldzug
Hülägüs nach Iran, ab 1255. Hülägü war ein Enkel Dschingis Khans über dessen jüngsten
Sohn Tolui. Das spektakulärste Ergebnis dieses Feldzugs ist die Eroberung Baġdāds 1258,
der Kalif wurde getötet, die Stadt geplündert und zerstört. Damit endet das ʿabbāsidische
Kalifat; eine Fortsetzung im mamlūkischen Ägypten ist nur eine Schatten-Veranstaltung,
ebenso die Translation des Kalifats an die osmanischen Sultane 1517. Die einschlägige
Theorie und der Titel wurden erst sehr viel später von den Osmanen wirklich als
Legitimationsfigur eingesetzt. Endgültig endete das Kalifat dann mit seiner Abschaffung
durch Mustafa Kemal Atatürk, 1924.
Die mongolische Herrschaft in Vorderasien dehnte sich am Ende bis weit nach Anatolien
hinein aus. Syrien wurde mehrfach bedroht und auch erobert, aber nie auf Dauer gehalten.
Die Mongolen scheiterten bei dem Versuch, sich westlich der syrischen Wüste und südlich
des Taurusgebirges dauerhaft zu etablieren. Als emblematisch dafür steht die gegen die
Mamlūken verlorene Schlacht von ʿAin Ǧālūṭ, 1260.
2.4
Die (islamisierten) Teilreiche
Die Mongolen bzw. die unter diesem Begriff zusammengefassten Gruppen von
Mongolen, Türken und anderen Völkern der östlichen Steppenregionen haben sich in den
von ihnen eroberten Regionen an die dort vorgefundene Kultur angepasst, diesen Kulturen
aber auch nachhaltig ihren Stempel aufgeprägt. Die Akkulturation ist also keine
Einbahnstraße gewesen.
Die Anpassung der Mongolen an die Kultur der eroberten Länder betrifft nicht zuletzt die
Religionen und sonstigen Überzeugungssysteme, die sie dort vorfanden. In China sind die
mongolischen Herrscher den dortigen Systemen gefolgt, während sie in den westlichen
Regionen, also in den Teilreichen Ulus Jöchi/Goldene Horde, Ulus Čaġatai und dem Reich
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der Īlḫāne in Iran, Muslime wurden. (Die Mongolen in der heutigen Mongolei folgen dem
lamaistischen Buddhismus, dessen Hauptfigur der Dalai Lama ist.) Uns sollen hier nur die
islamisierten mongolischen Teilreiche interessieren.
In den unter Einbeziehung islamischer sesshafter Regionen gebildeten Teilreichen begann
die Islamisierung der mongolischen Herrscher auf der einen Seite und der eingewanderten
Krieger (ob Mongolen oder nicht) ziemlich rasch, in der zweiten oder dritten Generation, und
kam, je nachdem, wie stark das muslimische Bevölkerungssubstrat war, langsamer oder
schneller zum Abschluss: zwischen ca. 1300 im Reich der Īlḫāne, dem zweiten Viertel des
14. Jahrhunderts in der Goldenen Horde und im Südwest-Teil des Ulus Čaġatai und dem
letzten Viertel des 14. Jahrhunderts im Nordost-Teil eben dieses Ulus. Die in
vormongolischer Zeit mehr oder weniger islamisiert gewesenen Gebiete im heutigen
Kyrgyzstan gingen für den Islam auf mehrere Jahrhunderte verloren. Die Rolle von nicht
unbedingt orthodoxen Predigern und Sufis, die neben abweichender Lehre auch eine
abweichende Praxis vertreten konnten, in diesem Prozess ist oft hervorgehoben worden und
war wahrscheinlich auch bedeutend. Eine wichtige Folge der mongolischen Herrschaft in den
entsprechenden Gebieten ist also, dass der Islam über eine unterschiedlich lange Zeit, aber
doch meistens ziemlich lange, zwischen mehr als 50 Jahren und fast 200 Jahren, nicht die
dominierende Religion war, und dass daher die Gelehrtenkultur, die ja auch von der
politischen Stellung des Islam abhängt, nicht mehr in der gleichen Form fortbestehen konnte,
anders als weiter westlich, wo es eine solche Zäsur nicht gegeben hat.
Die mongolische Herrschaft als solche, das heißt die Herrschaft von Nachkommen Dschingis
Khans, ging in den verschiedenen Teilreichen zu unterschiedlichen Zeiten zu Ende. Die
Herrschaft der Īlḫāne endete 1336 mit dem physischen Aussterben der Dynastie – es gab
keine männlichen Nachkommen Hülägüs mehr. Das Zentrum der Īlḫāne war zweigeteilt. Sie
hatten ein Sommerzentrum im Raum Tabrīz im heutigen iranischen Aserbaidschan, und ein
Winterzentrum in Baġdād. In gewisser Weise setzte sich also unter ihnen der Zyklus von
Sommer- und Winterweiden fort, und von einer Hauptstadt im engeren Sinn kann nicht
gesprochen werden: Die Staatsverwaltung befand sich im Heerlager des Khans (mo. und tü.
ordu). Man kann auch annehmen, dass das Ordu von großen Herden begleitet wurde.
Im Ulus Čaġatai gab es ebenfalls deutliche Verweise auf Fortbestand nomadischer
Traditionen. Zunächst kamen die Khane kaum in die Oasenlandschaft im Südwesten ihres
Herrschaftsgebiets, sondern blieben in den für nomadische Weidewirtschaft weit besser
geeigneten Regionen Kyrgyzstans, man darf wiederum ein System von Winterweiden in der
Ebene und Hochweiden im Sommer vermuten. Durch die unterschiedliche
Bevölkerungsstruktur teilte sich der Ulus de facto ab der Mitte des 14. Jahrhunderts in zwei
Teile. Im nordöstlichen Teil, dem „nomadischeren“, blieb zunächst alles beim alten. Im
südwestlichen Teil, der im wesentlichen aus der schon lange islamisierten Oasenlandschaft
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Mittelasiens besteht, kam die Islamisierung schneller voran. Dort begannen ab der Mitte des
14. Jahrhunderts Emire zu regieren, zunächst noch unter formeller Oberhoheit von
Dschingisiden, die aber nur noch Schattenherrscher war (das Modell wird später von Timur
weitergeführt).
Die Goldene Horde hatte ihre Zentren an der unteren Wolga, die beiden Städte, die in den
Quellen genannt werden, hat man noch nicht identifizieren können. Auch hier wird sich ein
nomadisches System mobiler Herrschaft fortgesetzt haben. Die Herrscher der Goldenen
Horde haben in ihrer Politik Russland gegenüber auf Kontrolle aus der Distanz gesetzt, eine
auch sonst von nomadischen Eroberern bekannten Taktik. In den sumpfigen Wäldern
Russlands konnten die Mongolen nur dann Krieg führen, wenn sie über das Eis der Flüsse
schnell vorankommen konnten. Sie zogen es daher vor, einen Ansprechpartner unter den
russischen Fürsten zu haben, das war bekanntlich der Fürst von Moskau; die Zaren haben
also als Statthalter für die Mongolen angefangen. In der Goldenen Horde setzteder Prozess
der Machtübernahme durch Emire gleichfalls ein, aber später, erst gegen Ende des 14.
Jahrhunderts, wurde aber dann noch einmal umgedreht, so dass noch im 16. Jahrhundert
die Russen, die dann die Khanate von Kazan’, Astrachan und Sibir’ (Nachfolgestaaten,
„Zerfallsprodukte“ der Goldenen Horde) eroberten, es mit dschingisidischen Herrschern zu
tun hatten.
In China endete die Herrschaft der Yüan-Dynastie mit dem Machtantritt der (Hanchinesischen) Ming-Dynastie 1364. In der Mongolei selbst haben Nachkommen Dschingis
Khans noch lange die politisch dominante Rolle gespielt, und es gibt Regionen in Mittelasien
und auch anderswo, in denen man bis ins 18. Jahrhundert der Überzeugung war, auf den
Thron gehörten eigentlich nur Nachkommen des großen Eroberers. Erst danach wurde das
Prinzip aufgeweicht, auch wenn die genealogische Verbindung zu Dschingis immer noch
bedeutend war und auch heute noch ist, zumindest in der Mongolei. In den Steppenregionen
des zaristischen Russland hat für das Verhalten der Kasachen im Bürgerkrieg zwischen den
Weißen und den Roten die Positionierung des damaligen Anführers der kasachischen
Dschingisiden eine große Rolle gespielt.
Man kann sagen, dass die Auffassung, nur Nachkommen Dschingis Khans sollten
herrschen, ein Element ist, welches muslimisch-sesshafte Völker von den Mongolen
übernommen haben. Die mongolischen Elemente gehen aber über dies hinaus. Lange Zeit
war die Heeresorganisation in den von den mongolischen Eroberungen betroffenen Gebieten
durch das Dezimalsystem geprägt. Man hielt sich an die Dschingis Khan zugeschriebenen
Regeln der Staatsführung, die sog. Yasa Dschingis Khans. Vor allem politische Straftaten
wurden lange Zeit nach einem besonderen mongolischen Verfahren verhandelt und
verurteilt. Man kann auch sagen, dass die Verwaltung aller nachmongolischer Staaten eine
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Synthese vormongolischer (meistens iranischer) und mongolischer Elemente ist (von denen
manche auch aus China kommen).
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Bedeutung und Konsequenzen der mongolischen Eroberung für die Weltgeschichte
(besonders die Geschichte der islamischen Länder)
Die mongolische Herrschaft, mit wie grausamen Mitteln sie auch immer errichtet
wurde, eröffnete eine bedeutende Periode friedlichen Austauschs. Das gilt auch für
Westeuropa. Der Transkontinentalhandel bis hin nach China, die entsprechenden Handelsund Forschungsreisen und diplomatischen Missionen, die Reisen von Missionaren (vor allem
von Franziskanern) zu den Mongolen und nach China eröffneten den Europäern neue
Horizonte. Einige Reiseberichte sind erhalten, sie sind nicht alle so voller Phantasie wie
derjenige Marco Polos. Für die Europäer diversifizierte sich in dieser Zeit auch der
Austausch mit dem islamischen Orient, dem Nahen und Mittleren Osten. Zuvor hatten
europäische Kaufleute kaum über die Küstenländer (Ägypten, Syrien) hinaus Tätigkeiten
entfaltet, das änderte sich nun: Tabrīz wurde ein wichtiger Stützpunkt für Genuesen und
Venezianer. Für die Periode, in der das mongolische Weltreich die Handelsstraßen quer
durch Asien kontrollierte und sicherte, hat man den Begriff „Pax Mongolica“ geprägt. Damit
ist auch gemeint, dass man das mongolische Weltreich nicht auf die Massaker der
Eroberung reduzieren darf.
Einen eindrucksvollen Beweis von den neu entstehenden / entstandenen
Handelsverbindungen liefert die Große Pest, die, aus dem chinesisch-mongolischen
Grenzgebiet kommend, über die Landrouten bis auf die Krim und von dort auf dem Seeweg
nach Italien gelangte. Auch die östlichen Mittelmeerländer wurden in der Mitte des 14.
Jahrhunderts von verheerenden Pestzügen heimgesucht. Medizinisch wird das damit erklärt,
dass der „asiatische“ Pesterreger weiter westlich vorher nicht vorkam und Menschen und
Tiere ihm daher nichts entgegenzusetzen hatten.
Für die islamische Welt war die mongolische Herrschaft in mehrfacher Hinsicht eine
Wasserscheide.
Erstens. Durch die Eroberung Baġdāds und das Ende des ʿabbāsidischen Kalifats geht wenn
nicht die einzige, so doch eine wichtige Instanz zur Legitimierung von Herrschaft verloren.
Die reale Herrschaft der Kalifen erstreckte sich während des 12. und der ersten Hälfte des
13. Jahrhunderts zwar nur auf Baġdād und den zentralen sowie südlichen Irak und Teile des
westlichen Iran (ein Regionalstaat, wenn auch ein wichtiger). Dennoch bedeutete sein Ende
eine gewaltige Erschütterung im politischen Denken der Muslime. Die Regionalherrscher
hatten zu einem großen Teil bislang darauf geachtet, dass sie ein Einsetzungsdiplom des
Kalifen bekamen. Das war hernach nur noch im mamlūkischen Ägypten und in einigen
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indischen Regionalstaaten der Fall. Außer der dschingisidischen Legitimation werden nun
noch andere (teilweise auch religiöse) Legitimationsfiguren verwendet.
Zweitens. Seit der mongolischen Eroberung gibt es in der islamischen Welt eine mehr oder
weniger deutlich wahrnehmbare Grenze. Diese verläuft an der Westgrenze der
mongolischen Reiche, also an der relevanten Grenze zwischen dem Reich der Īlḫāne und
dem mamlūkischen Ägypten/Syrien. Das ist grob gesprochen die Euphrat-Taurus-Grenze.
Der östliche Teil geriet unter mongolische Kontrolle. Der Islam, wie gesagt, war für relativ
lange Zeit nicht mehr die dominierende Religion. Die Gelehrtenkultur in diesem Teil der
islamischen Welt hat sich von diesem Schlag nur mühsam erholt, in manchen Teilen gar
nicht oder unter anderen Voraussetzungen. Das Arabische als allgemeine Sprache der
Gelehrten und Literaten überall in der islamischen Welt geht im Osten auf längere Zeit (in
manchen Regionen auf Dauer) sehr stark zurück. Die kulturelle Einheit der islamischen Welt,
die sich auch in der allgemeinen Verbreitung und Nutzung dieses Mediums zeigte und darauf
fußte, erlitt insofern einen Rückschlag. Im mongolisch beherrschten Osten tritt das Persische
als allgemeines Medium und lingua franca an die Stelle des Arabischen (schon vorher hatte
es über iranophone Regionen hinaus eine starke Stellung inne gehabt). Dem persophonen
Raum, der nun von Anatolien bis Mittelasien reicht, muss auch Indien zugerechnet werden,
obwohl es nie unter mongolischer Herrschaft war. Die Persophonie geht also, wie man
gesagt hat, von Konya bis Kalkutta.
Die arabisch-sprachige Gelehrtenkultur fand ein neues Zentrum in Ägypten, das bis dahin
nicht so hoch profiliert war, und in Syrien, also im mamlūkischen Herrschaftsbereich. Im
späteren 13. und vor allem im 14. Jahrhundert entstanden dort viele derjenigen Werke, die
bis heute für die islamische Gelehrsamkeit maßgeblich sind (etwa in solchen Wissenschaften
wie dem islamischen Recht, dem Korankommentar und der prophetischen Überlieferung
sowie verwandten Disziplinen).
Die genannte Grenze wird in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts auch durch die
militärischen Auseinandersetzungen zwischen dem īlḫānidischen Iran (mit Anatolien) und
dem mamlūkischen Ägypten und Syrien festgestellt. Im Ergebnis kommt der Irak als
wichtiger Teil der arabischen Welt unter mongolische Herrschaft (und ist durch die genannte
Grenze von den mamlūkischen Zentren getrennt).
Die Grenze ist auch für die Mongolen etwas Neues, weil sie bisher von ihrem Anspruch auf
ungeteilte und daher unbegrenzte Weltherrschaft ausgegangen waren, was sich u.a. auch in
ihrer Korrespondenz mit dem Vatikan zeigt.
Drittens. Die religiösen Konsequenzen gehen auf die gleiche Grundtatsache zurück, nämlich
dass bedeutende Teile der islamischen Welt nunmehr für längere Zeit unter nichtmuslimische Herrschaft kamen, die Bewohner dabei aber Muslime bleiben konnten. In den
betroffenen Regionen selbst wurde durch den weitgehenden Wegfall der Gelehrtenkultur der
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Weg frei für Strömungen, die auch abweichende Praktiken und Lehren vertraten. Diese
Strömungen sind entstanden aus der islamischen Mystik, dem Sufismus, der sich nunmehr
schneller als zuvor in zwei Hauptrichtungen ausdifferenziert: nämlich solche, die den
Vorschriften der Scharia folgen, und solche, die das nicht für nötig halten. Beide Gruppen
beginnen sich nun auch (obwohl das möglicherweise mit der mongolischen Präsenz nichts
zu tun hat) in großen Organisationen, Bruderschaften, zusammenzuschließen, deren älteste
nachweisbar bis in die mongolische Zeit zurückgehen. Noch ältere Gruppen sind selten und
manchmal sind entsprechende Ansprüche nicht begründet. Diejenigen Gruppen, die der
Scharia nicht folgen, entwickeln sich relativ deutlich in den mongolisch beherrschten
Gegenden am besten und breiten sich dann weiter aus. Ein zentrales Gebiet ihrer
Verbreitung ist der westliche Iran und angrenzende Gegenden.
Viertens. In den Regionen, die unter mongolische Herrschaft kamen, fanden neue Formen
der politischen Verwaltung, der Staats- und Heeresorganisation, des Münzwesens usw.
große Verbreitung, die zu einem gewissen Teil ihre Wirkung bis zum Beginn der
europäischen Einflussnahme (also bis zum 19., teilweise bis ins 20. Jahrhundert) entfalten.
Dazu gehört die Heeresverwaltung nach dem Dezimalsystem, die Aufteilung der Provinzen
in Anlehnung an dieses System, die Aufteilung der Verwaltung in eine „Palast“- und eine
„allgemeine“ Abteilung usw. Die Folgen der mongolischen Eroberung bzw. der durch sie
entstandenen Verbindungen und Kontakte betreffen auch die Kunst: Das Schönheitsideal
ändert sich in Richtung Ostasien, die Darstellung von Natur und Landschaft wird von
chinesischen Vorbildern beeinflusst usw.
Fünftens. In den von den mongolischen Eroberungen betroffenen Regionen ändert sich die
demographische Situation. Zunächst einmal sinkt die Bevölkerungszahl, regional sogar
dramatisch. Wo vorher Städte waren, sind nachher Dörfer; wo Dörfer waren, nur noch
einzelne Höfe oder gar keine Siedlungen mehr. Diese Entwicklung kann aber nicht allein den
Zerstörungen durch die mongolischen Eroberungen und die nachfolgenden Kriege erklärt
werden, sondern die Große Pest (Mitte des 14. Jahrhunderts) hat sie noch verschärft. Einige
große Städte haben sich von den Massakern der Eroberung und mehr noch den
kriegerischen Auseinandersetzungen des 13. und 14. Jahrhunderts nicht mehr erholt (davon
war schon die Rede). Ferner ändert sich die Zusammensetzung der Bevölkerung in
ethnischer Hinsicht. In die eroberten Gebiete wandern viele Menschen aus dem Nordosten
ein, diese sind überwiegend turksprachig. Ethnisch-linguistische Mongolen sind eine
Minderheit, sie gehen auch relativ rasch zu türkischen Sprachen und Dialekten über, manche
aber auch zum Persischen. Mongolisch wird in den fraglichen Regionen heute gar nicht mehr
gesprochen, die Präsenz von mongolophonen Gruppen etwa in der Russischen Föderation
ist das Ergebnis späterer Entwicklungen. Für den Nahen Osten gilt, dass das Mongolische
als Sprache etwa ab 1500 überhaupt keine Rolle mehr spielt. Auch zuvor waren zwar schon
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turksprachige Gruppen in den iranischen Raum eingewandert, aber es waren keinesfalls so
bedeutende Zahlen wie im Anschluss an die mongolische Eroberung. Die linguistische
Turkisierung gewisser Regionen macht nun schnelle Fortschritte: in Mittelasien, in Anatolien,
in Aserbaidschan, auf der Krim und in anderen Regionen.
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