"Anwendung von Bitter- und/oder Scharfstoffdrogen bei Dyspepsie"

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"Anwendung von Bitter- und/oder Scharfstoffdrogen bei Dyspepsie"
"Anwendung von Bitter- und/oder Scharfstoffdrogen bei
Dyspepsie"
Prof. Dr. Reinhard Saller,
Institut für Naturheilkunde, UniversitätsSpital
Rämistrasse 100 CH-8091 Zürich
[email protected]
http://www.naturheilkunde.unispital.ch
1
„bitter und scharf“
Alle, die fest behaupten, der Bauch sei der König des Körpers,
scheinen mir wirklich darauf mit vernünftigem Grund zu
bestehen.
Denn dessen ununterbrochene Arbeit stärkt all' unsre Glieder,
oder, anders herum, im Schmerz zermürbt er sie alle.
Ja, man befindet sogar, wenn ihm nichts helfe, verderbe
er das Gehirn u. vertreibe daraus das gesunde Empfinden (….)
oder es hilft auch, 2 Teile Wermut u. 3 Teile Rauten zu trinken.
[Bauchmittel, Allgemeinmittel, Nerven- und Seelenmittel]
Frühes Mittelalter:
innerlich bei Fieber, äusserlich bei Kopfweh, schmerzlindernd,
als Salbe gegen Mückenstiche
Späteres Mittelalter: „Wermuth soll ein Hauswirth allezeit in seinem Hause haben“
„Was bitter dem Mund, ist dem Magen gesund“
2
Dyspepsie - Reizdarmsyndrom - Symptomatik
Intestinale Beschwerden
Extraintestinale Beschwerden
Bauchschmerzen, Stuhlunregelmässigkeiten, Blähungen, Völlegefühl
Kopfschmerzen,
Schmerzen unterschiedlicher Art an
verschiedenen, oft mehreren Stellen
Wechsel von Obstipation/Diarrhö
bei der Defäkation Gefühl der unvollständigen Entleerung
Konsistenzwechsel des Stuhls
Herzschmerzen,
Pulsunregelmässigkeiten,
rheumatische Schmerzen,
Menstruationsbeschwerden,
Miktionsstörungen,
Schlafstörungen
Blähungen mit krampfartigen Schmerzen und/oder Gefühl des aufgetriebenen Leibes
Häufig relativ uncharakteristisches und bunt wechselnde Symptomatik
Meist nächtliche Beschwerdefreiheit
3
Magendyspepsie als asthenisch-atonische bzw. nervöse Verdauungsbeschwerden
Auswahl von Störungen, die in konstitutionstherapeutischer Betrachtung
häufig mit „Magenstörungen“ vergesellschaftet sind
Hautkrankheiten (Akne, Furunkulose,
Seborrhöe, Urticaria, Pruritus, Herpes,
Verschied. Augen- u. Ohrenerkrankungen
Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Störungen der Schweisssekretion)
Verschiedene Erkrankungen des VerKopfschmerzen, Migräne
dauungstraktes (Magen, Dünndarm,
Schwindel
Dickdarm, Gallenwege)
Verschiedenartige Erkrankungen von
Frauenkrankheiten
Mundhöhle und oberen Luftwegen (z.B.
Nervenkrankheiten
Zungenbrennen, Zahnfleischerkrankungen, Katarrhe)
psychische Erkrankungen
4
Phytotherapeutika-Gruppen in der Behandlung dyspeptischer
Beschwerden
•
Adstringentien
(z.T. Amara und Acria)
•
Antidiarrhoika
(z.T. Amara und Acria)
•
Aromatika
(z.T. Amara und Acria)
•
Bittermittel (Amara)
•
Cholagoga, Choleretika, Cholekinetika
(z.T. Amara und Acria)
•
(ausgewählte) Gewürze
(z.T. Amara und Acria)
•
Karminativa
(z.T. Amara und Acria)
•
Laxativa
(z.T. Amara)
•
Muzilaginosa
(z.T. Amara)
•
Spasmolytika
•
Scharfstoffe
•
Tonika
(zumeist Amara und Acria)
5
Bitter
Bittermittel
Stark bitter schmeckende Arzneistoffe mit Anwendung bei darniederliegender Verdauung, Nachlass der Verdauungstätigkeit, Atonie des Magens, mangelnder Esslust,
Übelkeit, Flatulenz, Koliken, unregelmässigem Stuhlgang, Cardialgien, hypochondrischer Stimmung, nervösen Störungen. allgemeiner Schwäche.
Bedeutungen:
Geschmack:
eine teilweise unangenehm empfundene Geschmacksrichtung
übertragen:
im Sinn von unangenehm
Präfix bitter
zur Steigerung von unangenehm: bitterkalt, bitterböse, bitterernst
Herkunft:
bitter (althochdeutsch: bittar, mittelhochdeutsch bitter, leitet sich ursprünglich von
beissen ab u. bedeutet ursprünglich: vom Geschmack her u. allgemein beissend,
scharf; im übertragenen Sinn vom Charakter her quälend, schmerzhaft, hart, verletzend.
6
Bitterwahrnehmung und Bitterstoffe
•
An der Wahrnehmung von „bitter“ sind wahrscheinlich > 50 unterschiedliche
Rezeptoren beteiligt (für „süss“: 2 – 3 Rezeptoren) u. mehr als 20 Gene scheinen
involviert zu sein (Rezeptoren- u. Genvielfalt).
•
Die zahlreichen Rezeptortypen (T2-Rezeptoren) ermöglichen es, eine Vielzahl
chemisch unterschiedlicher Bitterstoffe zu erkennen.
•
Bitterrezeptoren sind mind. im gesamten MDT sowie im oberen Respirationstrakt.
•
Bitterstoffe besitzen keine einheitlichen Strukturmerkmale. Zahlreiche Verbindungen können eine Bitterwahrnehmung hervorrufen, z.B. Mono-, Sesqui-, Di-, TriTerpene, Phenole, Polyphenole, Alkaloide, Aminosäuren, Peptide, Saponine,
Lignane (grosse Variabilität).
•
“Bitter” ist entwicklungsgeschichtlich mit “Gefahr” verbunden. Zahlreiche Bitterstoffe besitzen eine niedrige Entdeckungsschwelle (mol/l, z.B. Chininsulfat
0.000008 [0.005 g/l], Nikotin 0.000016).
7
Sternini C (2007) Taste Receptors in the Gastrointestinal Tract. IV. Functional implications of
bitter taste receptors in gastrointestinal chemosensing. Am J Physiol Gastrointest Liver Physiol
292: G457–G461
Der Gastrointestinaltrakt scheint offensichtlich
eine „chemosensory machinery” zu besitzen
(mit endokrinen Zellen und neuronalen Verbindungen).
Durch dieses Rezeptionssystem scheinen vielfältige intra- u. extraintestinale Einflüsse ausgelöst zu werden:
Beeinflussung von Sekretion, Motilität, Resorption, Aversion, Intoxikationen u. Entzündungen.
Die empirisch beobachteten extraintestinalen
Auswirkungen lassen sich dadurch experimentell
Wissenschaftlich erklären.
8
Wermutkraut
Tee: 1 TL Droge (≈ 1,5 g) mit 1 Tasse Wasser
heiss übergiessen, nach 10 Min abseihen.
Appetitanregung: 1 Tasse frisch bereiteten
Tees eine 1/2 Std. vor dem Essen, zur Förderung des Galleflusses nach dem Essen.
Volkstümliche Anwendungsgebiete:
u.a. Magen- u. Darmatonie, Gastritis, Magenkrämpfe, Leberbeschwerden, Blähungen,
Blutarmut (?), unregelmässige/zu schwache
Menstruation, Appetitlosigkeit, Wurmbefall.
Geruch und Geschmack:
Geruch charakteristisch aromatisch,
Geschmack aromatisch und stark bitter.
9
EMA (HMPC, 2009) ARTEMISIA ABSINTHIUM, HERBA: Traditional use
a) Traditional herbal medicinal product used in temporary loss of appetite.
b) Traditional herbal medicinal product used in mild dyspeptic/gastrointestinal disorders.
The product is a traditional herbal medicinal product for use in specified indications
exclusively based upon long-standing use.
Adults, elderly
Indication a) Daily dose
Herbal tea: 2-3 g of the comminuted herbal substance, divided in 2 - 3 single doses.
Expressed juice: 10 ml, divided in 2 single doses.
Tincture: equivalent to 2-3 g herbal substance, divided in 2 – 3 single doses. To be taken
30 minutes before meals.
Indication b) Daily dose
Herbal tea: 2-3 g of the comminuted herbal substance, divided in 2 – 3 single doses.
Comminuted herbal substance in tablets: 2.28 g herbal substance, divided in 3 single
doses.
Expressed juice: 10 ml, divided in 2 single doses.
Tincture: equivalent to 2-3 g herbal substance, divided in 2 – 3 single doses. To be taken
after meals.
10
Omer et al (2007) Steroid-sparing effect of wormwood (Artemisia absinthium) in Crohn’s disease: A
double-blind placebo-controlled study. Phytomedicine 14: 87–95
Abnahme der depressiven Verstimmung
Placebo (Woche 10):
Kein Patient erreichte
eine Remission der
Depressiven Symptome
Wermut (Woche 10):
70 % erreichten eine
Remission der
depressiven Symptome
(HAMD  10=
11
Bitterstoffe
ZNS
20 %
1. kephale Phase: „reflektorisch“
80 %
allgemein tonisierende Wirkungen
(Behandlung u.a. über MDT u. Leber)
ENS
2. gastrale/enterale Phase: biochemisch
ENS: enterales Nervensysten, ZNS: zentrales Nervensysten
12
Gezielte phytotherapeutische Beeinflussung des Magen-Darm-Traktes
Bitterstoffdrogen, Cholagoga, Scharfstoffdrogen, stimulierende Laxantien
phytotherapeutische Kombinationen (z.B. Iberogast, ggfs. Padma Digestin)
Motility mode
Motorischen Aktivität 
Galle- u. Pankreassaftsekretion 
Nettoflux von Flüssigkeit
in Richtung Sekretion
(secretory bzw. secretomotoric mode)
Absorptive mode
Langsame motorische Aktivität
langsame Freisetzung von
Galle und Pankreassaft
geringe Resorption
von Flüssigkeit
Karminativa (z.B. „warme“ Gewürzdrogen, Ingwer, Tannin- u. Gerbstoffhaltige Drogen, ätherische Öle, Drogen mit antiinflammatorischen Eigenschaften
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Einteilung von Amara nach weiteren Inhaltsstoffen (zusätzliche Wirkungen)
Amara pura [Amara simplicia]
(nur bzw. vorwiegend Bitterstoffe)
z.B.: Enzianwurzel, Bitterholz, Bitterklee, Fieberklee, Tausendgüldenkraut, Quassiaholz
Amara aromatica
(Bitterstoffe u. ätherisches Öl)
z.B.: Angelikawurzel, Condurangorinde, Hopfenzapfen, Kalmuswurzelstock, Schafgarbenkraut, Kaskarillrinde, Kardobenediktenkraut, Bitterorangenschalen, Zitronenschalen, Pomeranzenschalen, Wermutkraut
Amara adstringentia
(Bitterstoffe u. Gerbstoffe)
z.B: Chinarinde, Condurangorinde, Schafgarbenkraut
Amara mucilagenosa
(Bitterstoffe u. bedeutsame Mengen Schleimstoffe)
z.B: Lichen islandicus, Hohlzahnkraut, Kolombowurzel
Amara acria
(Bitterstoffe u. bedeutsame Mengen Scharfstoffe)
z.B: Ingwerrhizom, Galgantwurzelstock
Amara salina (resolventia)
(salzreiche Bittermittel)
Löwenzahnwurzel u. –kraut, Wegwartenwurzel, (Tausendgüldenkraut)
14
Tinkturen (Bittermittel; Auswahl; Reihung nach „Wärme“ bzw. „Energie“)
Tinktura Absinthii (Wermutkrauttinktur)
Aromat. Bittermittel, Stomachikum, Gallemittel, Magentonikum, allgem. Tonikum
Tinctura Gentianae (Enziantinktur)
Amarum, Stomachikum, Gallemittel, Magentonikum, allgemeines Tonikum
Tinktura Cynarae (Artischockentinktur)
Amarum, Lebermittel, Gallemittel
Tincutura Taraxaci – Löwenzahntinktur
Amarum, Magentonikum, Gallemittel, Aquaretikum, Stoffwechselmittel
Tinctura millefolii (Schafgarbentinktur)
Karminativum, Spasmolytikum, Gallemittel, Stoffwechselmittel, Frauenmittel
„heisse“ – „neutrale“ – „kalte“ Tinkturen, stark „energetisierende“ Tinkturen,
unterschiedliches Wirkungsspektrum der Tinkturen
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„Bittere“ Tinkturen (z.B. Urtinkturen) als „Energiemittel“ (intestinal, Dyspepsie)
bei hitzigem, quirligem, nervösem Typus bzw. Zustand:
Tinctura Taraxaci (Löwenzahn, Drogen: Wurzel, Kraut)
bei eher ausgeglichenem Typus bzw. Zustand :
Tinctura Cynarae (Artischocke, Droge: Blätter)
bei kaltem („energiearmem“), eher behäbigem, wässrigem Typus bzw. Zustand :
Tinctura Gentianae (gelber Enzian, Droge: Wurzel)
bei kaltem („energiearmem“), behäbigem, wässrigem Typus bzw. Zustand :
Tinctura Absinthii (Wermut, Droge: Kraut)
„Bittere“ Tinkturen (z.B. Urtinkturen) als „Energiemittel“ (extraintestinal)
Einsatz von Bittertinkturen (Tincturae amarae), v.a. unter Konstitutionsgesichtspunkten,
auch bei Symptomen bzw. Erkrankungen ausserhalb des Magen-Darm-Traktes z.B. bei
bei Depression, Verstimmungen, Müdigkeit, Erschöpfung
Konstitutionelle Reihung: Tinctura Absinthii, Tinctura Gentianae, Tinctura Cynarae
16
Drogen: Bitterwerte (Abschätzungen)
•
Bitterholz
40.000 - 50.000
•
Extractum Gentianae
≤ 40.000
•
Enzianwurzel
10.000 - 30.000
•
Vinum stomachicum
2.500
•
Wermutkraut
10.000 - 25.000
•
Tinctura amara
2.000
•
Conduragorinde
15.000
•
Tinctura Gentianae
1.000
•
Artischockenblätter
15.000 – 5000
•
Tinctura absinthii comp
1.000
•
Teufelskrallenwurzel
15.000 – 5000
•
Tinctura aurantii
•
Fieberkleeblätter
10.000 - 4000
•
Vinum Chinae
•
Tausendgüldenkraut
10.000 – 2000
•
Andornkraut
3.000
•
Pomeranzenschalen
2500 - 1000
•
Benediktenkraut
2500 - 1500
•
Chinarinde
1000
•
Mariendistelblätter
•
Löwenzahnwurzel
•
Mariendistelfrüchte
≤ 300
300
800 - 1500
≥ 100
100
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Gelber Enzian (Gentiana lutea)
Droge
Wurzel
Inhaltsstoffe
Bitterstoffe (u.a. Amarogentin)
Wirkungen
Magensaftsekretion,
Motilität, Tonus, cholagog
antientzündlich
Indikationen
Appetitlosigkeit, Völlegefühl
und Blähungen
[Tonikum]
Dosierung
Tee: ½ TL/Tasse
Tinktur (1:10): 20-30 Tropfen
30 Min vor Mahlzeit
Kontraind.
Magengeschwür, Hypertonie,
Schwangerschaft
UW
Übelkeit bei zu hoher Dosierung
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Cynara scolymus
(Artischocke)
Cynarae folium
(frische oder getrocknete Laubblätter)
Pharmakologische Wirkungen
hepatobiliär: choleretisch, cholekinetisch
cholagog, hepatoprotektiv
Förderung der Magensaftsekretion
antioxidativ, antiatherogen
Verbesserung der
Endothelfunktion
Senkung: Cholesterin,Triglyceride
(Cholesterinsynthesehemmung)
antimykotisch
Anwendungsmöglichkeiten
dyspeptische Beschwerden
zur unterstützenden
Behandlung bei Reizdarm
hepatobiliäre Störungen
„Bittermittel“
zur unterstützenden
Behandlung von leichten
bis mässigen Hyperlipidämien
Dosierung (Zubereitungen):
entspr. 5 – 10 g Droge/Tag
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Harpagophyti radix (Teufelskrallenwurzel)
Etablierte Anwendungsbereiche:
Teufelskrallenwurzel: Bitterstoffdroge:
Verschiedene Formen chronischer
Entsprechend modifizierte Anwendungs-
Rückenschmerzen
möglichkeiten !
Schmerzen im Zusammenhang mit Osteo-
HMPC (EMA) Monographie (2008)
arthrose
“Traditional herbal medicinal product
used for the relief of mild digestive
Spannungskopfschmerz
disorders such as bloating and flatulence
Etablierte Dosierungen:
and where there is loss of appetite.”
Übliche Extrakte (wässrig, alkoholisch):
900 – 2500 mg/Tag
entsprechend
4.5 g - 9 g Droge/Tag
(50 mg – 100 mg
Harpagosid/Tag
??)
20
Savia officinalis: Salbeiblätter - Sabeiöl
Moderne traditionelle bzw. volksmedizinische
Anwendungen:
Appetitsteigerung, Mundgeruch,
Verdauungsstörungen, kolikartige Schmerzen
im Magen-Darm-Trakt, Übelkeit, Durchfall;
Registrierte Anwendungsmöglichkeiten
(Salbeiblätter bzw Salbeiöl):
Innerlich: Dyspeptische Beschwerden,
vermehrte Schweisssekretion (Schwitzen).
Dosierunghinweise (Salbeiblätter bzw. Salbeiöl):
Tagesdosis: 4,0 - 6,0 g Droge; 0,1 - 0,6 g
ätherisches Öl; 2,5 - 7,5 g Tinktur (EB 6);
Salbeitinktur: Konstitutionstherapie:
Geschmack: würzig, schwach bitter
allgem. Kräftigungsmittel (3 x 20 – 40 Trpf/d
21
Scharfstoffdrogen (Acria, Acria amara)
•
Heterogene Gruppen von Drogen mit heterogenen Inhaltsstoffen
(Komponenten des Wirkstoffes; Scharfstoffe, z.B. methylierte Phenole,
Säureamide, Senföle, Lauchöle, Gingerole, Disulfide, Thioäther). Sie
erregen teils Schmerz- und teils Thermorezeptoren (Wärme- bzw.
Kälterezeptoren) der Haut bzw. der Schleimhäute (freie Nervenenden).
•
Die geschmackliche Schärfe („hot“) wird nicht von den Geschmacksknospen wahrgenommen (bitter, süss, salzig, sauer, umami) sondern über
trigeminal (somatosensorisch) versorgte Rezeptoren.
22
Scharfstoffdrogen (Acria, Acria amara)
•
Auch auf der Zunge gibt es wesentlich mehr trigeminale Verbindungen als
Verbindungen zu den Geschmacksnerven.
•
Über die freien Nervenendigungen werden durch Scharfstoffe Qualitäten
wahrgenommen wie:
BRENNEND, SCHARF, ADSTRINGIEREND, PRICKELND, STECHEND,
KÜHLEND, WÄRMEND.
•
Die jeweilige Empfindung dauert über die Empfindung hinaus an.
23
Scharfstoffdrogen (Acria, Acria amara)
•
Die Wirkungen von Scharfstoffdrogen aber auch von Scharfstoffen
sind sehr unterschiedlich, u.a.
Hyperämisierend-durchblutungsfördernd, proinflammatorisch,
antiinflammatorisch, analgetisch, motilitäts- und skretionsfördernd
(gastrointestinal), immunmodulierend, antimikrobiell.
•
Dementsprechend können Scharfstoffdrogen sein (Auswahl):
Stomachikum, Karminativum, Nervinum, Tonikum, Gallemittel,
Sialagogum, lokalesSchmerzmittel.
•
Der Alkoholgehalt einer Zubereitung kann die Schärfewahrnehmung
beeinflussen.
24
Messung bzw. Abschätzung der Schärfe
•
Scoville-Einheiten:
Verdünnung von Chili (Püree) mit wasser, bis der Schärfeeindruck
eben verschwindet. Wäre z.B. die Verdünnung 1 : 100, so wären das
100 Scoville-Einheiten (Beispiele: süss-scharfe Saucen 100 – 200,
Tabasco bis 2500 Scoville-Einheiten, ein bzgl. Schärfe unerfahrener
Mensch empfindet zumeist mehr als 1000 in reiner Form als eher
ungeniessbar).
•
Analytisch (HPLC): 1 mg Capsaicin/kg Lebensmittel entspricht 15
Scoville-Einheiten.
•
Schärfegrad (derzeit ungebräuchlich): Skala von 0 - 10
25
Scharfstoff-Drogen in der Behandlung dyspeptischer Beschwerden Auswahl)
Kalmuswurzel
Calami rhizoma
Stomachikum, Karminativum, Nervinum
Galgantwurzel
Galangar rhizoma
Appeititanreger, Tonikum
Ingwerwurzel
Zingiberis rhizoma
Stomachikum, Tonikum
Gelbwurz
Curcuma xanthorrhiza
Gallemittel, zahlreiche Anwendungen
Knoblauch
Alli sativi bulbus
Zwiebel
Allii cepae bulbus
Zwiebelarten
Paprika
Capsici fructus
Stomachikum, (Karminativum)
Schwarzer Senf
Sinapis nigri semen
Weisser Senf
Sinapis albi semen
Kapuzinerkresseöl
Trapeoli aetheroleum
Meerrettichwurzel
Armoraciae rusticanae radix
Stomachikum
Schleifenblumen-
Iberis amari herba
Stomachikum
kraut
Schwarzer Pfeffer
Piperis nigri fructus
26
Ausgewählte Frischpflanzensäfte bei dyspeptischen Beschwerden
•
Brennesselsaft (Kraut)
•
Brunnenkressesaft (Kraut)
•
Knoblauchsaft (Bulbus)
•
Melissensaft (Blätter)
•
Sauerkrautsaft
•
Schafgarbensaft (Kraut)
•
Schwarzrettichsaft
•
Zwiebelsaft (Bulbus)
•
Wacholderbeerensaft
•
Löwenzahnsaft (Kraut, Wurzel)
•
Artischockenblättersaft
•
Wermutsaft
27
Capsicum (Paprika)
Capsicum annuum
(Gewürzpaprika)
Capsicum frutescens
(Cayennepfeffer)
Vergleichbare Wirkungen u. Wirksamkeit wie Zubereitungen
mit Capsaicin/Capsaicinoiden bei Schmerzen?
Capsici fructus (Paprika)
Pharmakologische
Wirkungen
hyperämisierend
Capsici fructus acer (Cayennepfeffer)
Inhaltsstoffe
Therapeutische Wirkungen
Wirksamkeit
äusserlich
(v.a. Pflaster)
innerlich
(frisch, Pulver)
Rücken
schmerzen
funktionelle Dyspepsie
analgetisch
antioxidativ
chemopräventiv
antimutagen
antikarzionogen
Steigerung der
Magensaftsekretion
postoperatives
Erbrechen
(Akupunktur,
Hand, P6)
Postoperative
Halsschmerzen
(Hand-Akupunktur)
Gastroprotektion
Beschleunigung GI-Transit
Abnahme der Fettaufnahme
Capsaicinoide
(0.01 – 0.22%
bzw.
0,3 - ≥ 1%;
Scharfstoffe)
Carotinoide
Flavonglykoside
ätherisches
Öl (0,1%)
bittere
Saponine
antibakteriell
β-adrenerge
Stimulation
Pulver: 120 – 450 mg 2 – 3 mal/Tag
28
Zingiber officinale (Ingwer)
Zingiberis rhizoma
(„Wurzelstock“)
antiemetische Wirkungen
Klinische Studien
gastrointestinale Motilität 
Reisekrankheit,
Seekrankheit
hypoglykämisch,
diuretisch
antikonvulsiv,
spasmolytisch,
analeptisch,
antimikrobiell,
antioxidativ,
antinflammatorisch,
kardiale Wirkungen
analgetische, antirheumatische
Wirkungen
expektorierend, mukotrop,
adstringierend,
lokalanästhetisch,
Wirkungen auf Leber u. Galle
(u.a.sekretionsfördern)
antihepatotoxisch,
antiulcerogen (GI-Trakt)
Trypsinaktivität ,
Beeinflussung der
Thrombozytenaggregation
Kapillarpermeabilität 
nephroprotektiv
cholesterinsenkend
(Synthesehemmung)
zentral dämpfende Wirkungen
thermogene Wirkungen
postoperative Übelkeit
Übelkeit u. Erbrechen
(u.a. Chemotherapieinduziert)
Schwangerschaftserbechen
Osteoarthrose
traditionell: Dyspepsie
Tagesdosis:
entspr. 2 – 4 g Droge
29
Pieroni A, Torry B (2007) Does the taste matter? Taste and medicinal perceptions
associated with five selected herbal drugs among three ethnic groups in West
Yorkshire, Northern England. Journal of Ethnobiology and Ethnomedicine 3:21
30
Pieroni A, Torry B (2007) Does the taste matter? Taste and medicinal perceptions
associated with five selected herbal drugs among three ethnic groups in West
Yorkshire, Northern England. Journal of Ethnobiology and Ethnomedicine 3:21
31
Iberogast: Drogenmengen (Kombination – Einzeldrogen) und Sensorik
Auszug / Extrakt
TD Einzeldrogen (Kombination) (3 x 20 Trpf ≊ 3 ml/Tag)
TD Einzeldrogen
(ESCOOP, Kom. E)
% TD (Kombination)
an TD ( Einzeldrogen)
Iberis amara totalis
0.272 g
?
Angelicae radix
0.107 g
4.5 g (4.0 – 10.0 g)
2.7 – 1.1 %
Cardui mariae fructus
0.107 g
12.0 – 15.0 g
0.9 – 0.7 %
Chelidonii herba
0.107 g
1.2 – 1.6 g
8.9 – 6.7 %
Carvi fructus
0.107 g
1.6 – 6.0 g
6.7 – 17.8 %
Liquiritiae radix
0.107 g
5.0 – 15.0 g
1.5 – 5.0 g
2.1 – 0.7 %
Matricariae flos
0.212 g
9.0 – 12.0 g
2.3 – 1.8 %
Melissae folium
0.107 g
4.0 – 9.0 g
2.7 – 1.2 %
Menthae piperitae folium
0.053 g
4.5 – 9.0 g
1.2 – 0.6 %
Anwendungsgebiete: Dyspepsie („Reizmagen“), Colon irritabile („Reizdarm“) und deren
Symptome bzw. Symptomkomplexe (in Analogie z.B. auch in supportiven und palliativen Ansätzen
32
Magentee (I – VI) (Standardzulassung 1993)
Teenummer
Bestandteile
I
(sekretionsfördernd)
Angelikawurzel
Enzianwurzel
II
III
V
VI
10,0 - 30,0
10,0 - 30,0
10,0 - 15,0
10,0 - 25,0
20.0
Löwenzahnkraut, wurzel
10,0 - 35,0
Melissenblätter
Pomeranzenschalen
IV
10,0 - 35,0
20,0
Schafgarbenkraut
15,0 - 25,0
15,0 - .30,0
Tausendgüldenkraut
25,0
10,0 - 25,0
Wermutkraut
25.0
10,0 - 25,0
Zimtrinde
10.9
10,0 - 35,0
10,0 - 35,0
10,0 - 35,0
30,0 - 50,0
10,0 - 25,0
10,0 - 25,0
10,0 - 25,0
10,0 - 20,0
Sonstige Bestandteile (II – VI):
Anisfrüchte
Kornblumenblüten
Basilikumkraut
Pomeranzenblüten
Brombeerblätter
Ringelblumenblüten
Fenchelfrüchte
Rosmarinblätter
Korianderfrüchte
Salbeiblätter
Die wirksamen Bestandteile nach A (siehe Tabelle) müssen insgesamt mindestens 70 Masseprozente der jeweiligen
Teemischung ergeben. Die sonstigen Bestandteile müssen – sofern solche verwendet werden – aus der Gruppe33
B
ausgewählt werden (pro Bestandteil nicht mehr als 5 Masseprozente der jeweiligen Teemischung).
Padma Digestin: ein „tibetisch-schweizerisches“ Arzneimittel
Drogenname (lat.)
Drogenname (d)
Punicae granatae semen
Granatapfelsamen
Einzeldosis
204 mg
Qualitäten
süss, sauer,
adstringierend
Galangae rhizoma
Galgant
102 mg
Amarum acre, süss
Piperis longi fructus
Langer Pfeffer
25.5 mg
Acre, süsslich
Cardamomi semen
Kardamom
12.5 mg
Acre aromaticum, süss
Cinnamomi cassiae cortex
Zimtkassia
12.25 mg
(Amarum) acre et
mucilagenosum, süss
Indikation: nach tibetischer Auffassung stärkt die Rezeptur die Verdauung.
Padma Digestin wird traditionell angewendet bei Neigung zu Verdauungsschwäche
Und Verdauungsstörungen, was sich durch Druck- oder Völlegefühl in der Magengegend und Blähungen zeigen kann.
Padma Digestin wird auch bei Appetitmangel (z.B. in der Rekonvaleszenz) angewendet.
34
Padma Digestin: ein tibetisch-schweizerisches Arzneimittel
Granatapfelsamen
Galgant
Langer Pfeffer
Kardamomensamen
Zimtkassia
Der Wirkstoff dieser Rezeptur ist ein komplexes Vielstoffgemisch mit vielfältigen
und zu einem wesentliches Teil pleiotropen Wirkmechanismen.
Es ist anzunehmen, dass sich dies in einem plastischen Multi-target-Ansatz auswirkt.
Die Rezeptur besitzt zudem eine Art von „sensorischer Signatur“ (Mischempfindungen).
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Funktionelle MDT-Beschwerden, Dyspepsie, Reizdarm : Subjektive Auswahl
 Gesichtspunkte einer traditionellen Phytotherapie, therapeutische Empirie
 Zusammenhang von gastrointestinalen und extraintestinalen Beschwerden

(empirische) phytotherapeutische Kombinationspräparate

Vorgehen entspr. Evidence-basierter Medizin (Evidence-basierte Phytotherapie, EBP)
1 – 2 ätherische Mittel: z.B. Pfefferminzöl (zugelassene Indikation IBS !),
Pfefferminzblätter, Pfefferminzöl, Salbeiblätter, Salbeiöl, Kümmelöl
3 – 5 Tinkturen bzw. Urtinkturen, vorzugsweise Bittermittel, z.B. Wermutkraut,
Enzianwurzel, Artischockenblätter, Löwenzahn (Kraut, Wurzel)
1 - 2 Scharfstoffmittel, z.B. Ingwerrhizom, Paprikafrüchte
2 – 3 Einzelmittel, z.B. Zubereitungen aus Artischockenblätter, Ingwerrhizom,
Ispaghula (Flohsamenschalen)
2 – 3 Kombinationspräparate, z.B. Iberogast (Zulassung Dyspepsie, IBS),
Kombination mit Pestwurzzubereitungen, Padma Digestin, Padma Lax,
weitere symptomorientiert ausgewählte Phytotherapeutika, z.B. Laxantien,
Antidiarrhoika
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