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AUGE IN AUGE MIT BUCKELWALEN IN MOOREA Text: Bettina Kelm Fotos: Axel und Bettina Kelm Der Titel für die schönste Insel der Welt ist schwer umkämpft. Auf den Gesellschaftsinseln Französisch Polynesiens besuchen Bettina und Axel Kelm eine stille Hauptverdächtige: nicht das Luxusziel Bora-Bora, auch nicht Tahiti, sondern ihre Nachbarinsel Moorea. Unter Weltenbummlern gilt sie wegen ihrer mystisch anmutenden Vulkangipfel und ihrer Ursprünglichkeit als heimliche Königin der Südsee. Doch Mooreas grösster Schatz schwimmt um die Insel herum: Buckelwale, die sich hier jedes Jahr zur Paarung und zur Aufzucht ihrer Kälber einfinden. 42 GLOBETROTTER-MAGAZIN WINTER 2015 FRANZÖSISCH POLYNESIEN M it den ersten Sonnenstrahlen verlässt unsere Fähre die Insel Tahiti. Die aufragenden Vulkangipfel ihrer kleinen Schwester sind im Morgenlicht schon zu erkennen: Moorea. Spitze, zerklüftete, sattgrüne Bergreihen, die teilweise an Haifischzähne erinnern, formen ihre fantastische Kulisse. Kein Wunder, dass dieser herrliche Archipel die wohl berühmteste Meuterei der Seefahrt ausgelöst hat. Eigentlich sind Tahiti und Bora Bora das Aushängeschild der Südsee, doch Moorea stielt ihnen die Show. Darüber sind sich jedenfalls diejenigen einig, die Natur und Ursprünglichkeit suchen. Umrahmt wird die tropische Insel vom kristallklaren, tiefblauen Südpazifik. Die Lagune im Innenriff leuchtet unverschämt türkis. So unecht, dass wir später immer wieder gefragt werden, ob wir die Bilder farblich verändert hätten. Fragiler Schatz. Doch wegen der Südseeidylle sind wir eigentlich gar nicht hier. Mein Mann Axel und ich interessieren uns für die Buckelwale, die diese warmen Gewässer von Mitte August bis Ende Oktober als Paarungs- und Aufzuchtgebiet nutzen. Im kristallklaren Wasser des Südpazifiks kann man den Giganten schnorchelnd begegnen – ein grosses Privileg. Wir möchten die schönen Bartenwale unter Wasser fotografieren. Die Bedingungen sollen mit bis zu 60 Metern Sicht ideal sein. Dank der Bemühungen von Wissenschaftlern gehört das Meeresareal um ganz Französisch Polynesien – mit rund vier Millionen Quadratkilometern so gross wie Westeuropa – zu einem der grössten Wal- und Delfinschutzgebiete der Welt. Beispielsweise sind die Bejagung, der Wildfang für Delfinarien und der oft für die Meeressäuger tödliche Einsatz von Sonar bei Militärmanövern verboten. Natürlich gelten auch strenge Whale-Watching-Vorschriften für Boote hinsichtlich Abstände, Geschwindigkeit oder Annährung an die Säuger. Französisch Polynesien ist neben den Silverbanks vor der Dominikanischen Republik oder dem Königreich Tonga einer der wenigen Plätze weltweit, an denen es noch erlaubt ist, zu den Giganten ins Wasser zu steigen. Aber auch Schnorchler müssen sich an Vorschriften halten. Faustregel: Der Wal entscheidet, wie nah er dem Menschen kommen will. Man soll sich passiv und respektvoll gegenüber den Giganten verhalten – auch zur eigenen Sicherheit. Gerätetauchen ist verboten, da die Tiere die aufsteigenden Luftblasen scheuen. Wir sind mehr als gespannt, den mächtigen, bis zu 40 Tonnen schweren und 16 Meter langen Geschöpfen in ihrem natürlichen Lebensraum zu begegnen. Wissenschaftler schätzen den weltweiten Bestand auf nur noch 40 000 bis 60 000 Exemplare. Seit dem Walfangmoratorium von 1986 erholen sich die Buckelwalpopulationen zwar langsam, doch diejenigen im Arabischen Meer und im Südpazifik sind auch weiterhin von der IUCN (International Union for Conservation of Nature and Natural Resources) als gefährdet eingestuft. Ihre grösste Bedrohung sind Netze, Überfischung, Umweltverschmutzung, Kollisionen mit Schnellfähren, Lärm im Meer oder direkte Bejagung durch Walfangnationen. Wir sind gespannt, wie zuverlässig die Wale hier anzutreffen sind – und ob wir Moorea auch als Insel für respektvolle Begegnungen mit Walen weiter empfehlen können. Vor allem dieser Punkt ist uns mit Blick auf die globale Entwicklung des Whale Watching besonders wichtig. In der Bucht von Samana vor der Dominikanischen Republik mussten wir erleben, wie zehn Whale-Watching-Boote eine Mutter mit Kalb umzingelten und bedrängten. Bestehende Regeln wurden nicht beachtet, geschweige denn kontrolliert. Es herrschte zumindest 2010 «Wilder Westen auf dem Wasser». Moorea hingegen soll als vorbildliche Whale-Watching-Destination gelten – nicht zuletzt auch deshalb, weil sich hier namhafte Walwissenschaftler wie Dr. Michael Poole seit über 30 Jahren für den Schutz der Meeressäuger einsetzen. £ Vulkaninsel Moorea. Die heimliche Königin der Südsee. 43 Haie gegen Jetlag. Nach der halbstündigen Fährenüberfahrt quetschen wir uns in den gelben «Moorea Explorer», die Buslinie der Insel. Auf der circa 60 Kilometer langen Küstenstrasse umrundet man die 11 Kilometer breite und 19 Kilometer lange Insel in zwei Stunden. Während der Fahrt von Temae Richtung Haapiti an der Westküste wird schnell klar: Moorea ist keine Diva, eher ein lässiger Kumpel, bei dem man sich auf Anhieb wohlfühlt. Entlang der palmenumsäumten Küstenstrasse ziehen gemütliche Strandhäuser und kleine Supermärkte am Busfenster vorbei. Schulkinder bummeln der Strasse entlang, ein Pick-up mit Surfbrett überholt uns, ein Polynesier mit knallig-leuchtendem Hibiskushemd tritt in seinen quietschenden Drahtesel. Moorea versprüht entspanntes Inselfeeling. Wer Luxus sucht, findet ihn natürlich auch auf Moorea und bucht einen Wasserbungalow für 500 Dollar die Nacht. Die Südsee kann teuer sein, muss aber nicht. Uns erwartet familiärer Charme im kleinen Resort Linareva bei den Elsässern Roland und Edmé. Die Unterkünfte direkt am Wasser laden uns richtiggehend dazu ein, nach der langen Reise ans andere Ende der Welt endlich die Beine auszustrecken. Aber eigentlich ist ab jetzt jede ungenutzte Minute 44 GLOBETROTTER-MAGAZIN WINTER 2015 Zeitverschwendung. Am Steg «begrüssen» uns schon Ammen- und Schwarzspitzenhaie für erste Unterwasserfotos. Haie waren den Polynesiern zum Glück seit jeher heilig. Die bedrohten Räuber kommen um Französisch Polynesien in grosser Zahl vor. «Besonders Schwarzspitzen-Riffhaie gibts hier wie in Deutschland Spatzen», meint Roland grinsend, als er uns zum Steg führt. Aber auch Zitronen-, Grau- oder Tigerhaie leben in diesen Gewässern – eine Attraktion für Taucher. Wem das einen Schauer über den Rücken jagt, der sei beruhigt: Es gibt keine gefährlichen Haie, nur gefährliche Situationen, predigt Haiforscher Erich Ritter zu Recht. Solange man nicht an Haifütterungen teilnimmt, die inzwischen ohnehin verboten sind, gibts keinen Grund zur Sorge. Spätestens wenn man einmal mit den faszinierenden Jägern getaucht ist, wird sich Angst in Faszination wandeln. Meist sind die Tiere scheu wie Rehe. Respekt und Achtsamkeit sind allerdings bei all unseren Wildtierbegegnungen stets ein guter Begleiter. Ich lasse mich leise über die Stegleiter ins Blau der Lagune gleiten. Und schon umkreisen mich drei Meter grosse Ammenhaie und rund 20 kleinere Schwarzspitzen-Riffhaie. Traumhaft! Ich versuche mich möglichst still zu ver- halten, um sie nicht zu verschrecken. Eine abrupte Bewegung reicht aus, und sie zischen ängstlich davon. Da ich ganz ruhig auf der Wasseroberfläche liege, kommen die Tiere so nah, dass ich das Pupillenspiel ihrer Augen verfolgen kann oder Details wie einen Angelhaken erkenne, der einem der Haie in einer Kieme feststeckt. Selbst die kleineren bunten Fische um uns herum haben für den Moment nichts zu befürchten – erst nachts werden sie zu Gejagten. Ein genialer Einstieg ins Südseeparadies! Doch es wird noch schöner: Weiter draussen, wo das Aussen- auf das Innenriff trifft, surfen Spinnerdelfine mit den Wellenreitern in den Brandungswellen um die Wette. Alles, was wir tun müssen, um ihnen zu begegnen, ist, uns ein Kajak zu schnappen. – Jetlag? Was ist das? Wale, wo seid ihr? Endlich. Am nächsten Morgen stehen wir startklar mit vier weiteren Walbegeisterten für die erste Ausfahrt am Jetty – «bewaffnet» mit unterwassertauglicher Fotound Filmausrüstung. Guide Michael ist der respektvolle Umgang mit den Walen eine Herzensangelegenheit – entsprechend ausführlich fällt sein Briefing aus. «Egal, was ich jetzt sage, beim ersten Anblick der Tiere, vor allem bei einem Walbaby, werden euch erfahrungsgemäss FRANZÖSISCH POLYNESIEN £ Bewegender Moment. Was für ein Geschenk, einem Wal aus der Nähe in die Augen zu schauen! die Emotionen durchgehen. Aber bitte denkt daran: Schwimmt nicht auf den Wal zu, schon gar nicht auf das Kalb! Wir sind passive Beobachter und zu Gast in ihrem Lebensraum.» Vor allem das Verhalten neugieriger Jungtiere sei schwer einzuschätzen, sie können plötzlich zum Sprung ansetzen oder drehen sich abrupt. Sollte der Wal neugierig werden, gilt: ruhig bleiben, damit sich das Tier nicht erschreckt. Puh, jetzt sind wir noch aufgeregter als ohnehin schon. Wie wird es sich anfühlen, das Wasser mit einem Lkw-grossen Lebewesen zu teilen? Seit Stunden patrouilliert unser kleines Boot «Deep Blue» nun schon entlang des Aussenriffs. Etwa 60 Buckelwale halten sich jede Saison rund um Moorea auf, rund 1200 Tiere um ganz Französisch Polynesien. Sie sind also da, nur finden können wir sie nicht. Wir blinzeln gegen die Sonne und suchen nach Anzeichen: ein Blas, ein schwarzer Rücken oder gar eine abtauchende Fluke, die Schwanzflosse des Wals. Der erlösende Ruf kommt von Skipper Arno: «Ein Blas, ungefähr 500 Meter vor uns!» Hektisch greifen alle nach ihren Flossen. Doch Ungeduld wäre jetzt fehl am Platz. Zuerst heisst es, die Situation in Ruhe zu beobachten. Was tut der Wal gerade? Wandert er? Ruht er? Ist er allein? Arno wird keine Begegnung erzwingen. «Einen Wal, der den Kontakt nicht will, lassen wir in Ruhe», so der Franzose. Der Wal hier zeigt uns seine Fluke. Das bedeutet, dass er gerade tief abtaucht. Jetzt müssen wir einen Atemzyklus abwarten – rund 20 bis 30 Minuten – und beobachten, an welcher Stelle er wieder auftaucht. Für alle Fälle machen wir uns startklar. Die Neopren-Reissverschlüsse zippen, Maske, Schnorchel sowie Taucherflossen sitzen. Wir wären bereit, ins Wasser zu gleiten. Es herrscht aufgeregte Stille an Bord, alle starren auf die Stelle, an der der Wal abgetaucht ist. Da! Er kommt an fast derselben Stelle wieder hoch, atmet und taucht schon wieder ab. Michael hat eine Vermutung und geht erst einmal alleine ins Wasser. Nach rund 100 Metern hält er inne. Ohne den Kopf aus dem Wasser zu nehmen, deutet er erst auf seine Ohren und dann unter sich. Arno übersetzt: «Ein Sänger!» Leise dürfen wir Michael ins Wasser folgen. Wir sind völlig fasziniert. Etwa 20 Meter direkt unter uns «steht» reglos ein Buckelwal, senkrecht mit dem Kopf nach unten. Sein lautstarkes Konzert vibriert durch meinen Körper. Ein seltsames Quietschen, gefolgt von einem tiefen Brummen, dann folgt ein traurig klingender lang anhaltender Ruf. Seine Melodie geht durch und durch. Gegen die Tränen kann 45 ich mich gar nicht wehren. Da unten singt ein Buckelwalbulle, vermutlich auf der Suche nach einem Weibchen. Wissenschaftler wissen nur wenig über ihre Gesänge. Sie scheinen über sie zu kommunizieren. Wobei nur die männlichen Buckelwale singen, meist während der Paarungszeit. Ist es nun der «Minnesang», um die Damen anzulocken, oder Drohgebrüll, um andere Männchen zu vertreiben? Fest steht, jede Population hat ihre eigene Melodie, die sich aus wiederkehrenden Strophen zusammensetzt. Wir hören hier quasi den «Hit» der südpazifischen Population. Dieser kann von Jahr zu Jahr variieren. Nanu! Die Silhouette des Wals wird plötzlich grösser. Er steigt auf! Wow, das ist tatsächlich ein Lebewesen und kein U-Boot, das da gerade auf uns zusteuert. Ruhig gleitet er in einigen Metern Entfernung an uns vorbei. Längst hat er uns wahrgenommen und sich so auf die Seite gedreht, damit er uns im Blick hat. Er holt einen tiefen Atemzug an der Wasseroberfläche und verschwindet wieder in der Tiefe. Das mächtige «Puh» und die meterhohe Atemgischt unterstreichen seine immense Grösse. Viel mehr braucht es eigentlich nicht, um für immer verzaubert zu werden. Auf Kokosnusspfaden. Es fällt uns schwer, ei- nen Tag nicht bei den Walen draussen zu sein. Doch wer Moorea nur vom Meer oder vom Strand aus geniesst, verpasst eindeutig ein weiteres Highlight: Mooreas Herzschlag. Im unbewohnten und teilweise unzugänglichen Inselinnern haben sich noch ursprüngliche Pflanzenarten erhalten, die wir mit dem polynesischen Naturführer Jordan erkunden. Ein 46 GLOBETROTTER-MAGAZIN WINTER 2015 ë ç í V-förmiger, durchschnittlich 800 bis 1200 Meter hoher Gebirgszug – der südliche Rand eines einstigen Vulkankraters – teilt die Insel in eine Nord- und Südhälfte und wirkt gleichzeitig als Wasserscheide. Zahlreiche Fliessgewässer haben steile, von felsigen Graten getrennte Täler geschaffen. Und von oben sieht die Insel tatsächlich aus wie ein Herz. Ausgestattet mit einem federleichten Hibiskusstock krabbeln wir teilweise auf allen vieren auf einen Bergsattel. Jordan schwört auf seine Trekkingschuhe: 70er-Badeschuhe in Kombination mit knallgelben Socken. «Luftig und rutschfest», meint der knuffig bärtige, über und Erfrischende Stärkung. Wanderführer Jordan hat eine Kokosnuss geöffnet. Trauminsel. Traumstrände, üppige Natur und Wale – gibts sonst noch Wünsche? Ruheoase. Zimmer im Resort der Elsässer. Auf Wandertour. Auch über Wasser überzeugt Moorea die Reisenden. über tätowierte Polynesier und zieht mit seinem geschnitzten Wanderstock ein bambusartiges Gewächs zu sich. Es entpuppt sich als Wasserspeicher und löscht unseren Durst. In den nächsten Stunden geht es durch üppige Vegetation die Berge rauf und runter. Dazwischen erhalten wir immer wieder eine Dosis Pflanzenkunde: Von potenzsteigernden Nüssen über die pflanzliche Notfallapotheke bis zu gurkenartigen Kühlaggregaten – Jordan weiss, wie man sich die Natur zunutze macht. Unsere Tour führt uns quer durch den westlichen «Herzflügel» Mooreas, bis wir nach acht Stunden endlich am Ziel sind: Belvédère, ein Lookout, der den Blick auf die beiden berühmten benachbarten Buchten Opunohu und Cook freigibt. Imposant geteilt sind die beiden vom 900 Meter hohen Berg Rotui. James Cook ankerte hier 1777 auf seiner dritten Reise mit seinen Schiffen Resolution und Discovery, diesmal jedoch nicht in der nach ihm benannten Cook’s Bay, sondern in der Opunohu Bay. Mit Cook reiste übrigens der Botaniker Joseph Banks, der während des dreimonatigen Aufenthaltes umfangreiche botanische Studien durchführte. Sein dabei gewonnenes Wissen über den Brotfruchtbaum führte zur verhängnisvollen Fahrt der Bounty von 1787 nach Tahiti, mit der die britische Admiralität William Bligh beauftragte. Wir sehen übrigens auch aus, als hätte uns Captain Bligh persönlich gequält. Sind so durchgeschwitzt, als hätte uns jemand samt Klamotten in einen Pool geworfen. Aber jeder Tropfen Schweiss hat sich gelohnt. Wie müssen sich wohl die ersten Entdecker gefühlt FRANZÖSISCH POLYNESIEN ì Wasserballett. Delfine schweben durchs Blau des Pazifiks. Gute Gesellschaft. Auch Rochen nähern sich Bettina Kelm neugierig. haben? Dieser Ort hat wirklich etwas vom Paradies. Zum Südseeklischee passend, umweht einen auch noch überall auf der Insel der exotische Duft der Baumblüte Tiare. Als wir zu unserem Resort zurückkehren, gönnen wir uns eine besondere Abkühlung: Surfer und Künstler Bruno produziert in direkter Nachbarschaft in seiner Hippieküche das Eis für die gesamte Insel: Rum Rosine, Joghurt, sogar Tiare gibt es als Geschmacksrichtung. Wir lassen die Beine vom Steg baumeln und verschlingen einen halben Liter feinste Eiscreme. Wir haben unsere Trauminsel gefunden! INFOS&TIPPS Magic Mum. Zehn Tage verbringen wir insge- samt auf dem Wasser. Wale und Wetter sind uns nicht immer wohlgesinnt. Mal ist es so stürmisch, dass wir die Tiere nur schwer sichten können und mit Seekrankheit kämpfen, mal haben wir nur ziehende Wale. Doch bei einer der letzten Bootstouren lässt Moorea seine ganze Magie spielen. In knapp 30 Metern Tiefe ruht eine Walmutter mit ihrem Kalb über dem Riffboden. Die ideale Situation für eine ruhige Beobachtung. Im glasklaren Wasser sind ihre Umrisse deutlich zu erkennen. Ihr Kleines «parkt» unter ihrer Brustflosse und gönnt sich immer wieder einen Schluck Milch. Das Walkalb war schon bei seiner Geburt vier Meter lang und wog fast eine Tonne. Über ein Jahr wird es nun bei seiner Mutter bleiben. Zwischen sechs und zehn Monate lang wird es ge- säugt, bis es doppelt so gross geworden ist. Damit das klappt, spendiert ihm die mütterliche Bar täglich 200 bis 300 Liter Milch. Hier im tropischen Pazifik ist das Wasser mit 25 Grad Celsius schön warm. Die Tiere wandern aber drei Monate nach der Geburt der Kälber mehrere Tausend Kilometer weit in die kalten Nahrungsgründe der Antarktis, und diesen Kraftakt kann das Jungtier nur mit einer dicken Fettschicht meistern. Von August bis Ende Oktober hat es in den geschützten Inselgewässern Zeit, ordentlich Speck anzusetzen – während seine Mutter bis zu zehn Tonnen Gewicht verliert. Die Buckelwalkuh frisst nichts, sie zehrt hier allein von ihren Fettreserven. Erst in den polaren Meeren wird sie wieder Nahrung finden: tonnenweise Krill und kleine Schwarmfische. Jetzt löst sich das Riesenbaby plötzlich von der GE S E LLS C H A F TS I N S E LN ( Französisch Polynesien) Fläche | 132 km². Über die 60 Kilometer lange Küstenstrasse ist Moorea in zwei Stunden mit dem Auto zu umrunden. BORA BORA Einwohner | Ca. 17 000 TAHAA Sprachen | Französisch, Tahitianisch e Einreise | Schweizer und EU-Bürger benötigen für die Einreise nach Polynez RAIATEA HUAHINE TETIAROA O sien (französisches Überseeterritorium und der EU angegliedert) bei einem r e Aufenthalt von bis zu drei Monaten kein Visum. Reisepass muss 6 Monate c h s über das Rückflugdatum hinaus gültig sein. i f P a z i Klima | Ganzjährig tropisches Klima, durchschnittlich 24 bis 28 °C. ÜberwieMOOREA Papeete gend trockene Jahreszeit von Mai bis Oktober. Von November bis März können Zyklone auftreten. Schwimmen mit Walen ist nur von Ende August bis MAIAO Ende Oktober möglich. TAHITI Übernachtung | Von Hotels über Pensionen bis zu Camping alles möglich. Lizenzierte Veranstalter für Schwimmen mit Walen | Dr. Michael Pooles Dolphin & Whale Watching Expeditions: 3-stündige Ausfahrten ab 70 Euro p. P., Tel: ++689/56 23 22 oder à [email protected] Sonstige Aktivitäten | Kitesurfen, Kajakfahren, Wanderungen ins Inselinnere, Tauchgänge zu Zitronen- und Grauhaien Infos | Fremdenverkehrsamt Tahiti, www.tahiti-tourisme.de Schutz für Meerestiere und Ozeane | è Oceancare setzt sich weltweit für die Meeressäuger und Ozeane ein, seit 2011 als UN-Sonderberaterin für den Meeresschutz à www.oceancare.org è Axel und Bettina Kelm setzen sich für Meeresschutz ein. Mit ihrem aufrüttelnden Schulvortrag «Ein Meer ertrinkt in Plastik» informieren sie Schüler zum Thema Vermüllung der Ozeane und zeigen Lösungen und Initiativen auf. Wer sich für den Vortrag interessiert, erkundigt sich bitte per E-Mail bei der Autorin. n a 47 und lässt sich langsam über sie hinabgleiten, um dann an ihrem Bauch entlang wieder hochzutauchen. Oben angekommen, umklammert er mit seinen Brustflossen sanft ihren riesigen Kopf. Was nun geschieht, können wir erst nicht glauben: Die Walmutter schiebt uns ihr Kalb langsam entgegen. Respektvoll weichen wir zurück, doch sie schiebt es langsam hinterher. Will sie uns ihr Baby zeigen? Schliesslich steht sie uns senkrecht gegenüber – regungslos. Überwältigt vom Vertrauen der Walmutter schweben wir im Glück. Den beiden so nahe sein zu dürfen – was für ein Geschenk! Zu den Glücksgefühlen mischt sich aber auch Nach000 denklichkeit. Rund 300 è î Magisch. Hautnahe Begegnung mit einer Walkuh und ihrem Baby. Ungefährlich. Ammenhaie vor dem Steg. Tatookünstler. Axel zeigt stolz seinen Wal auf der Brust. Bettina hat ihren auf der Wade. Mutter und taucht langsam auf: Alle fünf Minuten braucht es Luft, während das erwachsene Tier 30 Minuten lang mit einem einzigen Atemzug auskommt. Der kleine Wal wird grösser und grösser. Verspielt dreht er Pirouetten, lässt Luftblasen steigen, scheint ganz mit sich selbst beschäftigt. Dann hält er inne – er hat uns entdeckt und kommt neugierig auf uns zu. Erst freue ich mich – als er sich aber weiter nähert, muss ich schlucken. Der kleine Wal macht es spannend. Erst im letzten Moment dreht er seitlich ab, und wir blicken direkt in sein weit geöffnetes Auge, das von einem weissen Ring umrahmt ist. Er mustert uns genau. Das Kalb ist nun so nahe, dass wir eine Verletzung an seinem pockigen Maul erkennen können. Wir sehen Walläuse in den markanten Kehlfurchen sowie kleine Kerben und Flecken auf der jungen Haut. Schon das Baby ist für uns Menschen ein Gigant! Das rund sechs Meter lange Tier rauscht an uns vorbei, deutlich spüren wir den Sog der Fluke – dann taucht es wieder ab und lässt uns aufgewühlt zurück. Noch mit dem Schnorchel im Mund sprudelt es aus Axel heraus: «Wow, so etwas Schönes habe ich noch nie erlebt!» Auch ich bin völlig high davon, einem Wal gerade ins Auge geblickt zu haben. Während wir an der Wasseroberfläche unsere Begeisterung über das aufgetauchte Kalb austauschen, tippt mir Michael auf die Schulter und zeigt nach unten: Jetzt bemerken wir, dass wir die Mutter völlig vergessen haben. Sie steigt unter uns auf. Ob sie uns womöglich als eine Gefahr für ihr Baby sieht? Die Walkuh antwortet auf ihre Weise: 48 GLOBETROTTER-MAGAZIN WINTER 2015 Meeressäuger kommen jährlich durch Beifang in Netzen qualvoll um, Hunderte Wale werden immer noch durch Sondergenehmigungen der Internationalen Walfangkommission zum Abschuss freigegeben. Seit 2010 sogar wieder Buckelwale. Kaum aufgetaucht, bleibt sie an der Wasseroberfläche liegen und verwandelt sich in einen schwimmenden Spielplatz. Ein sanfter, zärtlicher Körperkontakt beginnt: Der kleine Wal nutzt ihre dargebotene Schnauze als Wippe Unter die Haut. Diese intensiven Walbegegnungen werden uns wohl noch ein Leuchten in die Augen zaubern, wenn wir grauhaarig im Schaukelstuhl sitzen. Ein weiterer Effekt: Diese Erlebnisse verpflichten einen geradezu, sich für den Schutz der Ozeane einzusetzen. Auch von Europa aus kann viel gemacht werden. Der Einsatz gegen die Verschmutzung der Meere durch Plastikmüll wird nach dieser Reise besonderes Gewicht in unserem Leben bekommen. Die letzte Woche auf der Insel ist angebrochen, und wir haben noch grosse Pläne. Schon lange beschäftigen wir uns damit, uns einen Buckelwal tätowieren zu lassen. Welcher Ort könnte sich dafür besser eignen als Polynesien, ein Land, das die Tattookunst fest in seiner Kultur verankert hat. Jede Inselgruppe im polynesischen Dreieck zwischen Hawaii, Neuseeland und den Osterinseln hat ihre ganz eigenen Motive. Die Tattoos (polynesisch für Zeichnung) der Tuamotu-Inseln sind geprägt von geometrischen Formen, die der Maoris in Neuseeland fallen durch spiralförmige Muster auf, während auf Französisch Polynesien Symbole aus der Natur die Haut dekorieren. Die Muster codieren die ethnische Herkunft und haben unterschiedliche Bedeutungen. Männer sind schwerpunktmässig auf Oberkörper, Rücken, Armen und Beinen tätowiert – quasi als Schutzschild. Frauen tragen ihre Kunstwerke aus Tinte dezent hinter dem Ohr, über Bauch und Brust, an den Händen, auf den Füssen und Fussgelenken sowie den Beinen. Als Hüterin des Lebens stärkt das Tattoo die Stabilität und Beziehung innerhalb der Familie. Für unser Vorhaben wird uns der Polynesier Taniera in Varari empfohlen. Wir stehen vor seiner bunt bemalten Holzhütte, aus der Mit einem Strahlen im Gesicht. Autorin Bettina Kelm auf einem Schnorchelausflug. Trommelsound wummert. Eigentlich wollen wir erst mal nur wissen, ob er überhaupt Walmotive sticht und was das so kosten würde. Hinter einem Perlenvorhang tritt ein zierlicher Mann mit grossen braunen Augen, zum Knoten hochgestecken Haaren und langem Wickelrock hervor und begrüsst uns mit einer herzlichen Umarmung. Erst Stunden später werden wir sein Studio verlassen – ohne Tattoo und ohne nach dem Preis zu fragen. Die Bedeutung von Tattoos und unsere Familiengeschichten lassen uns die Zeit völlig vergessen. Vom ers- ten Moment an haben wir das Gefühl, schon lange Zeit befreundet zu sein. Wir lernen, dass man ein Tattoo eigentlich gar nicht kaufen kann, denn es sei ein «Nehmen und Geben unter Polynesiern», meint Taniera, und dass man erst bereit sein muss. «Wenn es so weit ist, kommt das Tatttoo auf dich zu», erklärt der Künstler, der nicht jeden tätowiert. Taniera ist von der alten Schule, er sticht kein Tattoo als rein modisches Accessoire. Er will erst die Beweggründe kennen. Wir scheinen jedenfalls bestanden zu haben. Beim nächsten Besuch malt uns Taniera je ein Walmotiv mit einem Kugelschreiber auf die Haut. Wir sollen die Zeichnung ein paar Tage mit uns herumtragen und beobachten, wie wir uns fühlen. Erst am letzten Tag unserer Reise macht er sich dann ans Werk. Zum Glück nicht mit der traditionellen Methode des Ritzens, sondern mit einer modernen Tätowiermaschine. Trotzdem sind es zermürbende zwei Stunden. Ich kralle mich in die Polster der Liege, während auf meiner Wade ein Kunstwerk entsteht. Axel harrt tapfer zwei Stunden auf dem Rücken liegend aus, bis ein wunderschöner Wal mit Sonnensymbolen auf dem Flipper seine Brust verziert. Der krönende Abschluss einer unvergesslichen Reise! [email protected] © Globetrotter Club, Bern FRANZÖSISCH POLYNESIEN «Ich war dort.» Ihre Traumreise-Erfüllerin Helene Aerni war 112 Tage in der Südsee unterwegs. Mehr zu Helenes Reiseerfahrung unter www.globetrotter.ch/haerni An 22 Standorten in WINTER der Schweiz H globetrotter.ch 2015 GLOBETROTTER-MAGAZIN 49 ZUHAUSE UNTERWEGS BLEIBEN Das Globetrotter-Magazin als Geschenküberraschung zu Weihnachten oder zum Geburtstag! Für 35 Franken pro Jahr liegt die Reisezeitschrift für Weltentdecker alle drei Monate im Briefkasten des Beschenkten. Authentische Reisereportagen, Interviews, Essays, News und Tipps sorgen für Inspiration und viel Lesevergnügen. Ein Geschenk, das vier Mal pro Jahr Freude bereitet. mein Reisemagazin Für 35 Franken pro Kalenderjahr liegt das Magazin mit exklusiven Reisereportagen, Interviews, Essays, News und Tipps alle 3 Monate im Briefkasten. 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