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Thema Du bist schön, meine Freundin Frauenbewegung und Sexualität von Sabine Zurmühl Lust haben, stolz sein, keine Verbote akzeptieren, den eigenen Körper lieben. Wir jungen Feministinnen der zweiten Frauenbewegung gingen sexuell unseren eigenen Weg – mit Männern, mit Frauen oder allein. Das Leben griff nach uns und die Mühen und Freuden der Ebene. Der Reichtum des Entdeckens, der produktiven Verwirrung und stolzen Forderungen hat sich so nicht erhalten, bleibt aber Bestandteil unserer Biografie und hat nicht nur uns verändert, sondern auch die Gesellschaft. D as Schlimmste mit 14 war das Engtanzen, wenn auf der Fete »was Langsames« in der Musik begann. Jeder Knabe durfte dich auffordern, und du musstest mitgehen, er durfte dich auf die Tanzfläche ziehen, durfte sich an dich drücken, schwitzig, intim, der Atem, der Geruch, die Pickel und, ja auch, der Schwanz. Erzwungene Nähe, ungefragt, selbstverständlich. Der manches 8 FrauenRat 1/09 Mal über die Schultern der Jungen getauschte, einverständliche Blick zwischen den Mädchen: Es war anstrengend, verwirrend, eine Einübung in den Umgang mit »dem Mann«, auch wenn es nur der Kumpel aus der Jugendgruppe war, eine Einübung in die Erfahrung, dass es in diesen Dingen nach dir und deinen Wünschen nun wirklich nicht ging. Die Mahnung der Mütter: »Werd ja nicht schwanger.« Seit Kinderjahren grauenhafte Erzählungen, Andeutungen, Verstummen über das geflüsterte Wort Abtreibung. Was ist das, wer macht das, Bilder von Messern, Blutungen, Tod und Verachtung. An Abtreibung stirbt man vielleicht, an Kindern stirbt man vielleicht. Aufklärung gleich null, stattdessen blieben wir den eigenen Fantasien überlassen, Thema Unsere Sexualität ist freier geworden Vom Sich-Trauen und wechselseitiger Akzeptanz W ar es der pieksende Bart meines Vaters, wenn er zu Besuch kam und mich umarmte? Das Staunen über meine mondäne Cousine in ihren Stöckelschuhen, alleinlebend, mit einem jüngeren Freund und eigenem VWKäfer? War es das Sich-Schön-Machen, das An- und Ausprobieren modischer Kleidung, das heimliche Benutzen der Puderdose meiner Mutter? Was hat mich als Kind neugierig gemacht auf das Frausein? Ich erinnere mich, dass diese Neugierde auf mich selbst immer auch etwas Verbotenes, Verklemmtes hatte. Den evangelischen Familien- und Erziehungsratgeber, der bei uns im Schrank stand, habe ich heimlich gelesen. Jegliche Beschäftigung mit Sexualität außerhalb der Ehe wurde darin als schuldbis krankhaftes Verhalten beschrieben. Meine Kindheit in den Fünfziger- und frühen Sechzigerjahren war voll von solchen Verklemmtheiten: die Kindergärtnerin, die immer wieder versuchte, mich von meinem kleinen Freund zu trennen, oder der Lehrer, der unsere Eltern in der 5. Klasse in die Schule bestellte, weil mein Schulfreund eine nackte Frau und ich einen nackten Mann als Strichmännchen gemalt hatten. Zum Glück hat das in mir Widerstand wachgerufen, die Neugierde auf den anderen ließ sich nicht bremsen. Sexualaufklärung fand unter Freundinnen statt. Jede wusste etwas, wir haben viel darüber geredet und natürlich auch Dr. Sommers Ratschläge in der Bravo gelesen. Die frühen Siebzigerjahre Mein erstes Mal war kein großes Erlebnis. Meine Mutter war kurz zuvor gestorben, ich war 17, lebte zum ersten Mal alleine und hatte jemanden auf einer Party kennengelernt. Es war das erste Mal, dass ein mir eigentlich unbekannter Mann abends zu mir in meine Wohnung kam. Ich weiß noch, wie unsicher ich mich fühlte, dass ich an die Nachbarn dachte, aber ich wollte es jetzt ausprobieren. So war es denn auch. Wir haben uns nie wieder getroffen. Durch die Antibabypille wurde es leichter, ungebundenen Sex zu haben. Sex war nicht länger gekoppelt an Ehe und Kinderkriegen. Es waren die frühen Siebzigerjahre. Ich hatte einige Typen von Männern erlebt, vom Rocker bis zum Revoluzzer, als ich mit zwanzig Jahren meinen Mann kennenlernte. Es war anders bei ihm. Ich wollte mehr, nicht nur sexuelles Ausprobieren und Spaß haben. Wir landeten also nicht sofort im Bett, sondern machten Spaziergänge und führten lange Gespräche: übers Fotografieren, über sein Studium, meine Lehre, über unsere Familien. Ich genoss seine Höflichkeit, die Akzeptanz und Achtung, die er mir gegenüber zeigte, ich mochte seine Eigenständigkeit und seine Bereitschaft, meine Eigenständigkeit zuzulassen. Wir wollten zusammen mehr erleben und sind zusammengezogen. Mir war wichtig, nicht in alte Rollenmuster zu verfallen, bloß kein Heimchen am Herd zu werden. Doch in dieser Beziehung war das kein Problem: Mein Mann war sieben Jahre älter als ich, er hatte alleine gelebt, konnte selbst kochen, Wäsche waschen und eine Wohnung sauber halten, das war für ihn selbstverständlich. Ich brauchte gar keine Rolle zu übernehmen, sondern nur meins tun. Konfliktreich wurde es eigentlich nur, wenn ich das Gefühl hatte, ich müsste ihm zuliebe irgendwas tun – und dann hinterher schlechte Laune kriegte. Neben Vertrauen und Zuwendung hatte ich mit ihm auch einzigartige sexuelle Erlebnisse, und schließlich wurde ich schwanger. Dies und das gemeinsame Erleben der Geburten sind für mich die nachhaltigsten Erfahrungen in meinem Frausein. In den folgenden Jahren lebten wir als eine Familie, und ich konnte zum Glück lernen, dass der andere bei aller Gemeinsamkeit individuell ist, in jeder Hinsicht bleiben kann und muss. Sinnliche Erfahrung des Frauseins Unsere Beziehung dauert nun schon über dreißig Jahre. Das sexuelle Erleben unterliegt Schwankungen. Erotische und eintönige Erlebnisse wechseln sich ab. Es gab Phasen mit viel Sex, z.B. im Urlaub und später, als die Kinder größer waren. Weil mein Mann schnarcht, haben wir irgendwann getrennte Schlafzimmer eingeführt, wobei jeder von uns ein großes Bett hat. Ich habe das als große Bereicherung empfunden: Man muss sich wieder mehr anstrengen, hat nicht mehr Sex, nur weil man zufällig nebeneinander im Bett liegt. Natürlich gab es auch Krisen. Durch die Familien- und Berufssituation fiel es uns nicht immer leicht, uns gegenseitig genug Aufmerksamkeit und Zuwendung zu geben. Als ich Mitte dreißig, Anfang vierzig war, war ich beruflich sehr eingespannt, ich hatte den Kopf voll und gar nicht mehr den Raum, Interesse für den anderen zu haben. Mein Mann hatte dann eine Affäre. Das war für mich der Punkt zu fragen: Was ist mein Anteil daran? Was kann ich dafür tun, unsere Beziehung zu erhalten, auch in sexueller Hinsicht? Erotik als etwas Bewegliches, Spielerisches und Gestaltendes zu erkennen und zu erleben, was man tun und nicht abverlangen kann, damit habe ich mich damals viel beschäftigt. Geholfen hat mir das orientalische Tanzen mit anderen Frauen, das körperliche, sinnliche Erfahren meines Frauseins. Das war weniger kopflastig als die intellektuellen Auseinandersetzungen in Frauengruppen, die für mich auch wichtig waren. Befreiende Wechseljahre Meine Wechseljahre habe ich dann vor allem als ein Lösen aus der Mutterrolle erlebt. Mein Mann und ich waren damit in gewisser Weise wieder stärker zurückgeworfen auf die Anfänge unserer Beziehung: Eigenständigkeit und wechselseitige Akzeptanz sind wieder bedeutsamer geworden. Unsere Sexualität ist über die Jahre freier geworden: Man traut sich mehr, und man lässt mehr zu. Es ist intensiver geworden, auch weil es länger dauert. Seit einiger Zeit leben wir aus beruflichen Gründen in unterschiedlichen Städten, wir sind auseinander gezogen, aber nicht getrennt. Es beglückt mich, dass wir uns an unseren gemeinsamen Tagen mit Neugierde, Spaß, Erotik und Akzeptanz begegnen können. Und ich sehe den neuen Anforderungen, die die Zeit nach dieser Fernbeziehungs-Phase an mich stellen wird, gelassen entgegen. Die Autorin ist 52, gelernte Krankenschwester, sie arbeitete viele Jahre als Case-Managerin im Gesundheitswesen und lebt heute als Malerin in Berlin. FrauenRat 1/09 9 Thema dem mehr oder weniger mutigen Nachfragen bei den ebenso Ahnungslosen, aber vielleicht deutungsfreudigeren Freundinnen. Schwangerschaft – eine Bürde und Gefahr, kein Glück. Der eigene Körper – unbekanntes Terrain K ein Wunder, dass wir als junge Feministinnen wegwollten von jedem Mutterauftrag. Wir wollten Sexualität – und konnten dies als erste Generation durch die Pille – als Sinnlichkeit ohne Strafe, als Freude, als Angebot des Lebens an uns, als Experimentierfeld und Erfahrungsmöglichkeit unseres eigenen Körpers. Dazu gehörte für uns: Den eigenen Körper für schön erklären, die Konkurrenz zwischen großen und kleinen Brüsten, dicken und dünnen Beinen, Po und Nicht-Po nicht mehr gelten lassen. Sich als Frauen nicht gegen einander hetzen lassen nach einem Schönheitsmaßstab, den wir nicht gemacht hatten. Es war der brennende Wunsch, die Schönheit jeder Frau zu verteidigen, die Schamgrenzen in uns selbst herabzusetzen oder zu verlieren. Die gesellschaftliche Definition, was die Identität von Frauen angeblich sei, schien so eng, so unentrinnbar mit dem Aussehen, mit der sexuellen Ausstrahlung im männlichen Blick verquickt, dass wir uns Befreiung der Frauen ohne Befreiung ihrer sexuellen Praxis nicht vorstellen konnten. Die erste Gruppe, an der ich im Frauenzentrum in Berlin zu Beginn der Siebzigerjahre teilnahm, war die »Sexualitätsgruppe«. Eine legendäre Gruppe, wir waren zehn Frauen und trafen uns alle 14 Tage bei einer von uns zu Hause. Wir versuchten stockend, stotternd, vorlaut, nachdenklich, fast immer nach innen unsicher, nach außen präpotent, über unsere Sexualität zu sprechen. Wir kannten uns vorher nicht, aber wir lernten uns kennen, wunderten uns über die individuellen Geschichten von der ersten Menstruation, von den Erfahrungen mit Verhütung, vom Verhältnis zum eigenen Körper, lernten auch, wo die Tabus waren, und saßen manches 10 FrauenRat 1/09 Mal stumm einfach da, weil den flotten Fragen nicht so flott die Antworten folgen wollten. Im Frauenzentrum wurde das Speculum vorgestellt, das wir mit der Forderung benutzten, nicht der Gynäkologe solle unseren Körper anschauen, sondern zu allererst wir uns selbst. Mit Taschenlampe und einem Spiegel konnten wir den Vaginalgang entdecken, die Form des eigenen Geschlechtes, den Muttermund, bislang verbotenes unaussprechliches Terrain. Wir lasen einen illegal, raubdruckerisch publizierten Text von Anne Koedt, »Der Mythos vom vaginalen Orgasmus«, der uns erklärte, dass jeder Orgasmus von der Klitoris ausgehe. Welch eine Botschaft! Wir fühlten uns im Besitz von konspirativem Wissen, das uns schlauer machte, unabhängiger, das wir aber auch gern in die ungläubigen Gesichter anderer Frauen weiter verkündeten. Die Frauenbewegung ermutigte die Frauen, sich zu verlieben, in sich selbst, in andere Frauen, in die Idee vom vielfältig potenten Weib. Auf den Frauenfeten tanzten Frauen miteinander, keineswegs nur Lesben. Es brauchte für den Aufbruch und Ausbruch von den uns zugedachten Frauenwegen die Energie eines gewissen Narzismus´, die Euphorie einer Unbesiegbarkeit und eben eigener Schönheit. Die Amerikanerinnen verbrannten öffentlich ihre BHs, und wir gingen jahrelang mit ungeschützten, »stolzen« Brüsten. Germaine Greer schrieb: »Stell dir mal vor, dein Menstruationsblut zu kosten – wird dir schlecht, hast du noch ’nen langen Weg vor dir, Baby«, und Helen Reddy sang »I am strong, I am invincible, I am woman«. Kampf gegen Porno E igene befreiende sexuelle Wege schienen uns nur möglich, wenn wir gleichzeitig die fremdbestimmte, die manipulierte Sexualität, den Einsatz des weiblichen Körpers für Werbung, Pornografie, Männerlust, radikal kritisierten. Wir schmierten bei Karstadt am Kudamm die Schaufens- ter mit Farbe zu, weil sich dort – fast – nackte Schaufensterpuppen räkelten, wir diskutierten ernsthaft und sehr lange, ob wir im Kino bei der Premiere des Softpornos Emmanuelle auf die Sitze pinkeln sollten und so das Kino unbrauchbar machen könnten, wir organisierten Wachdienste vor den gerade entstehenden PeepShows, um männliche Kunden zu brandmarken. Was war das Allgemeine an diesen verschiedenen Versuchen und Mutproben? Und was ist davon geblieben? Bestürzt hatten wir zur Kenntnis nehmen müssen, wie häufig Sexualität mit Gewalt zusammenhing. Plötzlich waren da die Themen der Vergewaltigung in der Ehe, des sexuellen Missbrauchs an Mädchen. Intimität, die Täter schützte, Familien»geheim nisse«, die Frauen stumm hielten, empörten uns und wurden von uns nicht mehr respektiert. Wir stellten Öffentlichkeit her über die – weltweite – Verletzung der weiblichen Würde durch sexuelle Demütigung und Ignorierung des weiblichen Willens. Und das immerhin hat die Frauenbewegung geschafft: Der Anspruch der Frauen auf ihre Integrität gehört inzwischen zum akzeptierten gesellschaftlichen Bewusstsein. Frauenhäuser, TraumaforscherInnen, Beratungsstellen, Polizeiseminare verfügen über bessere Information und unterstützen Frauen, die es brauchen. Nicht geschafft haben wir, den faktischen Zusammenhang von Sexualität und Gewalt aufzubrechen. Jeder Krieg hat weiter seine Vergewaltigungen, die Prostitution ist unübersehbar vorhanden. Und die Schönheitsmaximen sind enger und diktatorischer denn je. Es bleibt so viel noch zu tun. Sabine Zurmühl war Mitbegründerin der feministischen Zeitschrift Courage und arbeitet seit vielen Jahren als Journalistin, Buch- und Filmautorin und Mediatorin.