Vortrag - Club Real
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Vortrag - Club Real
GUDRUN 1876-2010, ehem. Tempelhofer Flugfeld, Berlin 23.05.2010 Ein Projekt von Club Real Guten Abend. Ich werde Ihnen heute die Ergebnisse dieser Probegrabung vorstellen. Dazu muss ich etwas weiter ausholen. Ich bitte diejenigen, die den Vortrag hören wollen, hier an den großen Tisch zu kommen, ich werde hier einiges aufschreiben und Skizzen machen. Am 12. Juni 1897, 25 Jahre vor der Eröffnung des Flughafens Tempelhof, demonstrieren hier auf dem Tempelhofer Feld die Luftfahrtpioniere Friedrich Hermann Wölfert und Robert Knabe vor Militärs und Politikern Ihr Luftschiff „Deutschland“ mit dem ersten Benzinmotor als Antrieb. Tragischerweise entzündet der Motor den als Traggas benutzten Wasserstoff und das Luftschiff stürzt ab, wobei die Flieger ums Leben kommen. Dieser Absturz ist jedoch nicht der folgenschwerste Vorfall der sich hier auf dem Gelände ereignet hat. 21 Jahre früher gibt es hier einen Unfall, der ein nationales Projekt zum Scheitern bringt und in seiner Symbolhaftigkeit wie ein Vorbote aller Katastrophen die mit dem Projekt „Deutschland als Nation“ im 20.Jahrhundert verknüpft sind erscheint. Ich möchte sogar soweit gehen zu sagen, dass mit der Aufarbeitung dieser Angelegenheit eine Chance verknüpft ist die -wie man heute sagt- „Erfindung der Deutschen Nation“ noch einmal und unter einem gnädigeren Aspekt der Geschichte zu vollziehen. Damit sie die Bedeutung dessen womit ich Sie bekannt machen möchte abschätzen können werde ich zuerst den historischen Kontext skizzieren. Wenn Sie im Laufe des Vortrags irgendwelche Fragen haben können Sie mich jederzeit unterbrechen. Abschnitt 1. Das Denkmal und seine Rolle in der Nationalistischen Symbolpolitik der Kaiserzeit Im 19. und frühen 20. Jh. gab es in zahlreichen Ländern einen Prozess der Nationalisierung der Massen, der seinen Ausdruck unter anderem in Denkmalsetzungen und der Stiftung nationaler Mythen gefunden hat, die durch ritualisierte Praktiken wie Denkmalsfeste und -feiern in der Bevölkerung verbreitet wurden. Ein häufiges Merkmal des Nationalisierungsprozesses ist die Sakralisierung der Nation, die sich in einer speziellen nationalen Liturgik und Symbolik äußerte. Mit Max Weber lässt sich von vergemeinschaftenden Praktiken sprechen. Unter Vergemeinschaftung im Gegensatz zu Vergesellschaftung verstand Weber Gesellungsformen, die eher auf gefühlten Bindungen, statt auf Verbindung aufgrund von rationalen Interessen beruhten. Nationen können mithin als "Imagined Communities" (vorgestellte Gemeinschaften) verstanden werden. In symbolischen Formen wie Sprache, Denkmälern und nationalen Mythen wurde die Nation vorstellbar. Bis heute sind Denkmale eines der wichtigsten Medien der Vermittlung des kulturellen Gedächtnisses. Aus dem 19. Jh. sind deutschlandweit eine Reihe von Nationaldenkmälern überliefert, die die nationale Vergemeinschaftung der Deutschen vor dem Hintergrund verschiedener herrschaftlicher Verständnisse repräsentieren. SILHOUETTEN AUFZEICHNEN Angefangen hat die Entwicklung mit der Walhalla von 1842 bei Regensburg, die das Verständnis der Deutschen als einige Kulturnation feiert; ihr folgte die Befreiungshalle von 1863 bei Kehlheim, die die Vergemeinschaftung in den Befreiungskriegen gegen das napoleonische Frankreich zelebriert, später das Niederwalddenkmal von 1883 bei Rüdesheim, in dem eine siegesgewisse Germania über Frankreich triumphiert. In eine ähnliche Deutungsvariante der deutsch-französischen Auseinandersetzung ist die Reaktivierung des Hermannsmythos im Hermannsdenkmal in Detmold [1875] einzuordnen, in dem der Schlachtensieg des Cheruskerfürsten über die Römer mit dem Sieg über Napoleon parallelisiert wird. Eine ganze Reihe von Kaiser-Wilhelm-Denkmälern feiert die deutsche Einigung im Medium des deutsch-französischen Krieges, gefolgt war diese Denkmalssetzungswelle von annähernd 300 KaiserWilhelm-Denkmälern, wie dem Kyffhäuser Denkmal [1897] und dem Denkmal am Deutschen Eck in Koblenz [1896] durch eine ebenso große Welle von Bismarcktürmen mit Feuersäulen, von denen einer auf dem der Porta Westfalica gegenüberliegenden Jakobsberg errichtet wurde [1902]. Schließlich kann als monumentaler Abschluss der Serie nationalstaatlicher Denkmäler das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig [1913] gelten. Allen diesen Denkmalen ist gemein, dass sie die deutsche Reichseinigung in einem Deutungsrahmen nationalstaatlicher Vergemeinschaftung feiern und damit von den konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen der Stiftungszeit abstrahieren. Für unseren Fall ist außerdem das in der Mehrzahl der damaligen Nationaldenkmale hervorstechende Merkmal der besonderen Feindschaft zu Frankreich von Bedeutung. 2. Abschnitt Der Deutsch-Französische Denkmalskrieg In diesem Zusammenhang des symbolischen Denkmalkrieges mit Frankreich gibt es eine bislang wenig erforschte und meiner Meinung nach auch zu Unrecht viel zu wenig bekannte Episode in den deutsch/französisch/amerikanischen Beziehungen. 1876 ist das Jubiläumsjahr der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Zu den 100 Jahr Feiern der Befreiung von der kolonialen Abhängigkeit von England soll es eine große nationale Besinnungs- und Festkampagne geben. In Europa hat der Pariser Jurist, Publizist und Politiker der Dritten Republik Édouard René Lefebvre de Laboulaye die Idee dass der französische Staat der amerikanischen Republik eine an die Unabhängigkeit und die Überwindung der Sklaverei erinnernde Kolossalstatue schenken könnte. Die Französische Regierung befürwortet das Projekt, da sie die Amerikaner an Ihre Rolle bei dem Sieg gegen die Engländer erinnern will. Der Bildhauer Frederic Auguste Bartholdi, der auch schon den französischen Nationalhelden Vercingetorix- in Deutschland vor allem aus Asterix bekannt- das Pendant zum Deutschen Hermann-Arminius gestaltet hat steuert einen Entwurf bei. SILHOUETTE AUFZEICHNEN Diese Statue, die die römische Göttin Libertas mit einer Fackel in der Hand zeigt hatBartholdi ursprünglich der türkischen Republik für den Eingang des Suezkanals angeboten, dort konnte sie infolge Geldmangels jedoch nicht verwirklicht werden. 1870 allerdings scheint die Zeit für die LIBERTY gekommen zu sein. Die Französischen Pläne werden Fürst Bismarck persönlich von seinem Pariser Korrespondenten Graf Ferdinand von Pitrockwoczcki mitgeteilt und vom Deutschen Reichskanzler an den Kaiser weitergegeben. Kaiser Wilhelm I. der gerade erfolgreich im sogenannten Schweinkonflikt oder „Pig War“ zugunsten der USA gegen England vermittelt hatte, ist von der Idee einer französisch amerikanischen Annäherung wenig erfreut und überzeugt den Reichskanzler von der Notwendigkeit einer flankierenden Gegenmaßnahme, beide haben allerdings im Herbst 1872 noch keine konkrete Idee. EINSCHUB Deutsch-Amerikanisches Verhältnis Ich muss hier vielleicht noch kurz anfügen , dass Preussen und später auch das deutsche Kaiserreich unter Bismark und Wilhelm mit den USA traditionell ein gutes Verhältnis hatten. Bereits Friedrich der Große hat 1785 einen Freundschafts- und Handelsvertrag zwischen Preußen und den USA - der erste diplomatische Vertrag der jungen Republik- geschlossen. Das führte dazu, daß das Ansehen Preußens in den USA noch mehr anwuchs. Es war schon vorher wegen der Rolle Friedrichs des Großen im Siebenjährigen Krieg recht hoch, wo dieser durch seine Auseinandersetzungen in Europa Amerika den Rücken freihielt und zur gleichen Zeit Frankreich Kanada verlor, so daß Friedrich der Große als wirklicher Held galt. In Pennsylvania gab es damals viele Wirtshäuser, die „Zum Großen Fritz" oder ähnlich hießen. Die unterschiedliche Regierungsform bewertete Bismarck als er gefragt wurde so: „Konservativ ist nur das historisch Gewordene, und deshalb ist die amerikanische Republik eine konservative Form." Bismarcks Außenpolitik läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: Er war bestrebt, die Beziehung zu Amerika so positiv wie nur irgend möglich zu gestalten. In der Spätphase des amerikanischen Bürgerkriegs halfen deutsche Banken der Unionspartei mit Anleihen die so viel Gewinn einbrachten, dass Deutschland damit einen Teil des Deutsch/Französischen Krieges 1869/70 finanzieren konnte. Weihnachten 1874, in Paris hat bereits die Arbeit am Modell der Liberty begonnen, besucht der Kaiser in München die damals weltgrößte Bronzestatue, die 18,52 Meter hohe Allegorie Bayerns, Bavaria. Der Besuch überzeugt ihn davon, dass in Deutschland eine größere und imposantere Statue als die von Paris geplante Liberty, gebaut werden kann. Bismarck bleibt skeptisch gegenüber der Idee eines Wettlaufs im Monumentalstatuenbau aber er lässt sich schließlich vom Kaiser überzeugen. Nur zwei Wochen später wird unter strenger Geheimhaltung ein Ideen-Wettbewerb der größten Skulpturenwerkstätten und auf Denkmäler spezialisierten Architekturbüros in Deutschland durchgeführt. Die besondere Herausforderung besteht darin eine Statue zu entwerfen die 1. Ein besonderes Geschenk zum Jubiläum der amerikanischen Unabhängigkeit darstellt. Das heißt, sie muss einen oder mehrere zentrale Werte aus dem Selbstverständnis der amerikanischen Nation glaubwürdig verkörpern oder zumindest das Potential haben zu einem solchen zentralen Wert zu werden. 2. Sie muss ein spezifisch Deutsches Bild der amerikanischen Nation verkörpern, anders formuliert, es soll Ihr eine Erzählung oder ein Archetyp zugrunde liegen, der auch für den gegenwärtigen deutschen Nationalisierungsprozess eine Rolle spielt. Diese Herausforderung ist groß, da Amerika und Frankreich beides Republiken sind und Deutschland ein von einem autoritären Reichskanzler dominiertes Kaiserreich. 3. Die Statue muss, und das ist vielleicht das Entscheidende bei diesem Entwurfswettbewerb, eindrucksvoller, gefühlvoller, geistvoller und größer als die von den Franzosen gebaute Liberty werden. 4. Sie muss rasch gebaut werden damit sie vor der Liberty fertiggestellt und über den Atlantik gebracht werden kann. Angesichts dieser Schwierigkeiten ist es erstaunlich wie viele Werkstätten und Architekten sich an dem Entwurfswettbewerb beteiligt haben. Leider ist davon insgesamt sehr wenig Material erhalten geblieben. Die meisten Entwürfe wurden aufgrund Ihrer an antike griechische oder römische Motive und Personen anknüpfende Thematik als zu wenig deutsch abgelehnt. Von den zwei Siegerentwürfen wählte der Kaiser persönlich die weibliche Allegorie, nicht nur weil die Liberty auch eine Frau ist, sondern weil er ein gutes Gespür für das Zeitempfinden hatte. Die politische Ikonographie damals brauchte den weiblichen Körper, da er politisch weniger kontaminiert war und andere Tugenden auszudrücken vermochte als der männliche Held. In diesem Sinne galt der weibliche Körper als Projektionsfläche. 3.Abschnitt Projekt GUDRUN Der von einer Jury unter Vorsitz des Kaisers in Absprache mit Bismarck prämierte Entwurf „Gudrun“, in den Akten als „Projekt Gudrun“ bezeichnet, wurde von dem in Wien tätigen deutschen Bildhauer Caspar von Zumbusch eingereicht. Der Entwurf ist ebenso wie fast alle Beschreibungen der Statue nicht mehr erhalten. Nur durch einen Zufall haben wir heute überhaupt ein Dokument zur Hand das Form und Ikonografie der Statue überliefert. Was wissen wir über die Figur der Gudrun und warum wurde ausgrechnet sie ausgewählt: Gudrun ist einerseits eine Figur aus der Liederedda, also der erhaltenen Texte über die nordgermanische Mythologie. Hier repräsentiert sie vor allem die trauernde Gattin des toten Helden Sigurd-ikonographisch der christlichen Piéta nahestehend. Wichtiger noch ist für das Verständnis der Wahl der Figur das Mittelalterliche Gudrunslied, indem die an eine ferne Küste entführte leidende Gudrun als damaliger Inbegriff deutscher weiblicher Tugenden auftaucht: 2 Zitate: „Das Handeln der zentralen Figur der Kudrun wird von der germanistischen Forschung sehr vielfältig interpretiert; es reicht von einer regelrechten Bewunderung für die den höfischen Idealen der Treue, Aufrichtigkeit und Barmherzigkeit verpflichteten Braut über eine Auslegung als moderne, selbstbewusst entscheidende Frau bis hin zur Verurteilung als wankelmütiges, undiszipliniertes und leicht zu beeinflussendes Mädchen. Insbesondere in der älteren Germanistik wurde Kudrun als Symbolfigur für die angeblich natürlichen Tugenden der deutschen Frau schlechthin regelrecht verehrt, später galt sie dann als eine geradezu emanzipierte Frau mit starkem eigenen Willen.“ „Die reichste und größte unter ihnen bleibt aber, wie wir alle wissen, Gudrun. Der Dichter läßt sie nach germanischer Art vor unseren Augen wachsen, nicht im Glück, erst in Not und Elend zeigt sie ihre ganz Größe und Treue. Durch ihre Ruhe, mit der sie gelassen und königlich alle Demütigungen erträgt, erhebt sie immer von neuem sich über die Gerlint und reizt diese dadurch zu heftigerem und doch ohnmächtigem Zorn. Als die Vergeltung naht, ist sie ganz germanische Heldin in ihrer Verschlagenheit, ihrem listigen Trug und ihrem wilden Triumph. Mitten im Kampf enthüllt sich ihre Hochherzigkeit und Milde, sie schont die Ortrun, sie will sogar ihre Peinigerin, die Gerlint, schonen, und das ist vielleicht der schönste Zug in ihrem Wesen. Dabei bleibt Gudrun als Königin und als Wäscherin immer ganz Frau, voll zarten Gefühls für Schicklichkeit und Scham.“ Was für ein Bildprogramm bzw. was für eine mythische Situation hat Caspar von Zumbusch gewählt um die komplexen Anforderungen des nationalen Wettbewerbs zu erfüllen. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang der Augenblick der Darstellung der einen plötzlichen Wechsel von einer schrecklichen, hoffnungslosen Situation zur nahenden Erlösung mit der Aussicht auf eine großartige Zukunft beinhaltete. Dazu bediente sich der Bildhauer der im Gudrunslied überlieferten Geschichte von der als Wäscherin versklavten Königstochter in der Normandie (auch hier ein Verweis auf den Erzfeind Frankreich)der bei Ihrer traurigen Arbeit am Meer ein Schwan mit menschlicher Stimme als Hoffnungsprophet erscheint. Gudrun ist in dieser Inszenierung eine Mischung aus Maria mit dem Verkündigungsengel und Leda mit dem göttlichen Schwan, wobei der Schwan in unserem Fall eindeutig die aufsteigende amerikanische Nation symbolisiert die das von Gudrun verkörperte, über einem Berg von Toten (Indianern, Spaniern, Franzosen, afrikanischen Sklaven, Unionisten und Konföderierten Soldaten) trauernde, amerikanische Volk befreit. Der Wandel ist in der Statue greifbar, denn nur Ihr Körper trauert, der Kopf ist im Begriff gehoben zu werden und der Blick folgt dem Aufstieg des Schwans zu amerikanischer Herrlichkeit und Größe. Der Zentrale Wert ist in diesem Fall nicht, wie im Falle der Liberty die Freiheit, sondern die Treue und Verpflichtung zum selbstgewählten Ideal durch alle Widrigkeiten hindurch und damit verknüpft ein Heilsversprechen das diese Ethik belohnt. Schön und gut werden sie jetzt vielleicht denken, aber wo ist sie, diese kollossale Treuestatue für Amerika? Und damit kommen wir zu Abschnitt 4 Das Doppelte Scheitern des Projektes Gudrun Mit Gustav Johann Heine, einem Neffen des berühmten Dichters Heinrich Heine hatte die deutsche Seite einen begabten und gebildeten Informanten in der Liberty-Werkstatt Bartholdis in Paris. Daher wussten die Deutschen sehr früh, dass es von französischer Seite Finanzierungsprobleme gab und die Liberty nicht bis zum Jubiläumsjahr 1876 fertig werden würde. Dadurch war die Chance den Franzosen zuvorzukommen plötzlich sehr groß und der Reichskanzler ließ sich überzeugen das Projekt Gudrun zu 80 Prozent mit einem Staatskredit zu finanzieren. Die restlichen Gelder wurden von reichen deutschamerikanischen Industriellen zur Verfügung gestellt. Im Frühjahr 1875 wird auf dem militärischen Teil des Tempelhofer Feldes eine 150 Meter lange Halle und eine 55 Meter hohe Gerüstwand aufgebaut. Mit der Eisenbahn werden die Einzelteile der Stahlkonstruktion und der Sandsteinhülle aus dem Ruhrgebiet und aus Bayern angeliefert. Ein halbes Jahr später kann die Statue, die mit 52 Metern um 6 Meter höher ist als die noch nicht einmal finanzierte Liberty bereits probeweise aufgebaut werden. Zu Weihnachten 1875, die Gudrun ist im Schutz der Gerüstwände vollständig aufgebaut worden kommt es zum ersten Wendepunkt im Verlauf des Projektes. Der Kaiser besucht gemeinsam mit dem amerikanischen Botschafter George Bancroft die Baustelle. Dieser Besichtigung verdanken wir die einzige erhaltene schriftliche Quelle über die Monumentalstatue aus der Feder von William Lothrop-Meyer. Lothrop-Meyer war deutschamerikanischer Grundschullehrer und unterrichtete die Kinder des Botschafters in Englisch. Zufällig war er an diesem Tag dabei und verfasste einen enthusiastischen Eintrag in sein Tagebuch, der später, ohne Kenntnis des Verlaufs der Geschichte und als in Deutschland bereits alle mit dem Projekt verbundenen Materialien und Dokumente vernichtet waren, noch in einem amerikanischen Schullexikon unter dem Titel „Gudrun, the german collossus“ publiziert wurde. Aber zurück zum Weihnachtstag 1875. Der amerikanische Botschafter und persönliche Freund Bismarcks ist von der Statue beeindruckt, muss der deutschen Seite aber eine unangenehme Botschaft des amerikanischen Kongresses überbringen. Die Amerikaner wollen die französiche Schwesterrepublik nicht brüskieren und da der Plan der Libertyschenkung zuerst entstanden war, hat der Kongress entschieden, dass nur die Freiheitsstatue in New York aufgestellt werden soll. Man sei hocherfreut über die geplante deutsche Schenkung, könne dafür allerdings nur ein stadtnahes Grundstück in Boston zur Verfügug stellen. Wir wissen nicht wie der Kaiser diese Zurückstellung aufgenommen hat, sicher ist jedenfalls, dass damit der Versuch das Französische Projekt zu überbieten erstmal gescheitert war. Bismarck ließ sich davon jedoch nicht aufhalten und entschied den Transport der Statue durch Deutschland und über den Atlantik zu einem nationalpropagandistischen Höhepunkt zu machen. In der Folge kam es zu der fatalen Entscheidung die die Katastrophe und das vollständige Scheitern des Projektes ermöglichte. Der tonnenschwere Stahl- und Sandsteinkopf der Gudrun sollte nämlich vom Tempelhofer Feld aus mit vier Transportballonen über die Reichshauptstadt nach Hamburg geflogen werden. Vorgesehen dafür war der 6.März 1876, denn Ende April musste die Statue in Boston eintreffen um noch rechtzeitig bis zum 4. Juli auf den von einer deutschen Firma aus Chicago gebauten Sockel aufgestellt werden zu können. Im Januar wurden die Transportballons getestet und am 9. Februar, einem sehr kalten Tag ereignete sich das Unglück. Wahrscheinlich sollte ein Testflug stattfinden, denn der Kopf wurde an den Ballons befestigt und in vierzig Meter Höhe befördert. Was dann genau passierte darüber gibt es unterschiedliche Hypothesen. Am wahrscheinlichsten ist dass sich durch einen unvermutet starken Windstoß einer der Ballons gelöst hat und die restlichen drei mit der schweren Last auf das Dach der Halle gestürzt sind. Drei Ingenieure und 11 Soldaten wurden dabei getötet. Der Gudrunkopf ist in meherere Teile zerbrochen und durch den teilweisen Einsturz der Halle wurde auch der Körper und der 23 Meter lange Schwan schwer beschädigt. Abschnitt 5 Ende und groteskes Nachspiel Um zu begreifen warum diese Katastrophe, die von den Medien aufgrund der noch immer ganz guten Geheimhaltung des Projektes kaum wahrgenommen wurde, das Ende des gesamten Gudrun-Projektes nach sich gezogen hat, wurden verschiedene Erklärungsmuster entwickelt. Ein wesentlicher Faktor war wohl die Befürchtung das die französische Seite die amerikanische Zurücksetzung und dann das peinliche Unglück der Deutschen beim Transport propagandistisch ausschlachten würden und die ganze Aktion dadurch einen negativen Eindruck in der internationalen Öffentlichkeit produzieren würde. Ich persönlich tendiere dazu mich der Meinung anzuschließen dass es der impulsive und manchmal unberechenbare Charakter des Reichskanzlers Bismarck war der plötzlich jegliches Interesse an dem Projekt verloren hatte und es als Fehlentscheidung aus dem Gedächtnis der Deutschen Nation tilgen wollte. Sicher ist jedenfalls, dass die Trümmer der Statue beseitigt wurden und dass alle bereits gedruckten Abbildungen, Entwürfe, Pläne und die mit dem Projekt zusammenhängenden Dokumente vernichtet wurden. Eine groteske Reminiszenz an die untergegangene Gudrun gab es bei der Weltausstellung in Chicago 1893. Der seit drei Jahren entmachtete Reichskanzler Bismarck konnte nicht verhindern, dass der Köllner Schockoladenfabrikant Stollwerck dort eine 7 Meter hohe Schockoladenstatue in einem Tempel als „Gudrun and the mythic swan“ präsentierte. Die Schokoladengrudrun wurde danach eingeschmolzen und die daraus hergestellten Tafeln an amerikanische Schulkinder verschenkt. Abschnitt 6 Persönliche Geschichte An dieser Stelle möchte ich jetzt ein paar Worte über mich sagen. Mein Name ist Wolfgang Meyer. Mein Vater war in der Verwaltung der Airforce tätig und hat während der Berlin Blockade die Luftbrücke mitorganisiert. Ich hab Ende der 80er an der FU Kunstgeschichte studiert und war dann eine Zeitlang als Privatdozent hier tätig. Mit dem Projekt Gudrun beschäftige ich mich schon über 20 Jahre und ich habe mich in dieser Sache ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt. Also ich werde das jetzt nicht hier ausbreiten, aber es gibt auch heute noch Leute die nicht wollen dass dieser Fall aufgearbeitet wird. Aber die aktuelle Situation hier mit dem geschlossenen Flughafen und den Plänen für das Gelände ist äußerst günstig, das heißt, es gibt gerade jetzt eine Chance sich der Vergangenheit zu stellen und mit dem nationalen Erbe oder dem was es hätte sein sollen einen Neuanfang zu wagen. Kommen sie bitte mit, ich werde jetzt die Grabungsergebnisse zeigen. Abschnitt 7 Enthüllung des Ohrs Mir war aufgrund der Recherchen schon klar das in diesem Bereich etwas zu finden sein sollte, aber da das nur eine Probegrabung war ist es schon ein außerordentliches Glück gleich auf ein völlig unbeschädigtes Ohr der Statue zu stoßen. Wir haben die Oberfläche auch schon etwas abgeschliffen und wie sie sehen ist der Sandstein immer noch wunderschön. Wie sie sehen liegt die Vergangenheit hier wirklich greifbar nahe unter der Erde und ich galube man sollte die Besonderheit des Augenblickes ausnutzen. Die Situation hier auf dem Tempelhofer Feld würde ich als historischen Moment bezeichnen den gegenwärtigen Mangel an europäischen Identifikations und Intergrationssymbolen mithilfe dieses schlummernden Erbes zu beheben. Nehmen wir uns Édouard de Laboulaye zum Vorbild und sorgen wir dafür das Gudrun aus der Vergessenheit wiederersteht und an diesem Ort an diese wichtige Episode in der Deutschen und Europäischen Geschichte erinnert. Danke.