SZ-Archiv: A52308784
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Süddeutsche Zeitung DIE SEITE+DREI 27.06.2012 Reportage München Seite 3 Die Atacama-Wüste auf 5100 Metern Höhe. Die Gegend ist so trocken, dass keine Insekten hier leben. Ideale Voraussetzungen also, um ins All zu horchen. Foto: Martin Bernett/AFP Hallo? In der chilenischen Atacama-Wüste steht das größte Observatorium der Welt. Mit 66 Teleskopen horchen Wissenschaftler ins All – und das erzählt vom Urknall. Von Peter Burghardt Llano de Chajnantor – Wenn Rainer Mauersberger das Universum belauscht, staunt er auch über die Erde. Vor ihm spannt sich die Atacama-Wüste wie braunes Packpapier über Chiles Norden, verschneite Vulkane leuchten, weiter drüben liegen Lagunen, Geysire, Salzsee. „Aus dem Flugzeug sieht das aus wie der Mars“, sagt der deutsche Astronom. Er sitzt im Kontrollraum der Sternwarte Alma, durchs Fenster knallt die Höhensonne. In 2900 Metern Höhe klebt der Bürokomplex im Geröll, als sei da ein Raumschiff gelandet. „Wir Wissenschaftler sind nüchterne Leute“, sagt Mauersberger, „aber hier kann man demütig werden. Grandiose Landschaften, noch grandiosere Sternenhimmel.“ Es ist Nachmittag, der Himmel stahlblau. Mauersberger klickt ein Farbdiagramm auf sein Notebook. Rötliche, blaue und grüne Ellipsen. Nummer NGC 253, ein älterer Test von Alma, Neuigkeiten sind geheim. „Das sind Galaxien, circa zehn Lichtjahre entfernt“, sagt er. „Kalter Staub und Kohlendioxid, das strahlt.“ Ein Lichtjahr sind ungefähr 9,5 Billionen Kilometer, für die Wissenschaftler hier sind das fast Kurzstrecken. Mauersberger lehnt im Drehstuhl, er ist Rheinländer, 57 Jahre alt, grau meliert, trägt ein rot-weißes Polohemd und Trekkingschuhe. Um ihn herum sitzt internationale Forscherelite. Gegenüber tippt eine Koryphäe aus den USA mit HolzfällerHemd in die Tasten oder starrt gedankenverloren auf seine Finger. Bildschirme an der Wand zeigen mächtige Antennen, zu bedienen per Mausklick. Die Antennen stehen noch 40 Fahrminuten höher, sie sind der momentane Höhepunkt der Astronomie. Menschen halten es dort droben ohne künstlichen Sauerstoff nicht lange aus, selbst die Lamas und Vicuñas bleiben irgendwann am Wegesrand zurück. Mauersberger fährt, wie die meisten Leute aus dem Alma-Basislager, nur manchmal die Schotterpiste hinauf. Man schmiert sich ein mit AlmaSonnencreme der Stärke +50 und setzt Alma-Sombreros auf, ein Arzt prüft Blutdruck und Puls. Die Luft wird mit jeder Kurve dünner, die Köpfe brummen. Das Plateau auf 5100 Metern wäre sicher auch ein guter Landeplatz für Marsmenschen, aber diesen Llano de Chajnantor besetzen weiße Teleskope. 66 Stück, wie stumme Krieger aus „Star Wars“. Ihre schwenkbaren Schüsseln haben zwölf Meter Durchmesser, wie große Ohren. Damit, falls man das so sagen darf, hören Europäer, Amerikaner und Japaner aus den Anden ins All. Alma ist die Abkürzung von Atacama Large Millimeter Array und das spanische Wort für Seele. „Auf der Suche nach unseren kosmischen Ursprüngen“, heißt das Motto der Mission. In Chile hatten sich zwar schon einige Observatorien angesiedelt: Europas Prestigeobjekt war bis vor Kurzem die Station am Cerro Paranal, Kulisse in einem James-Bond-Film. Dort richten sich gewaltige Fernrohre auf Sterne, 2010 fanden sie die größte Planetenfamilie außerhalb unseres Sonnensystems. Doch Alma geht noch weiter. Die Chilenen interessiert nur eines: Haben die Forscher schon Außerirdische gesehen? Alma sucht ohne Optik nach dunkler Masse und schwarzen Löchern, tiefer wurde noch nie ins Firmament gebohrt. „Wir dringen wie mit Röntgenstrahlen hinter Galaxien vor“, sagt Daniel Herrera. Er leistet gerade Gipfeldienst bei den Antennen und wacht im Computerzentrum über blinkende Superrechner. Neben ihm steht ein Kollege mit Sauerstoffschläuchen in der Nase. Der Chilene Herrera sagt: „Wir kommen dem Big Bang nahe.“ Der Urknall liegt 13,7 Milliarden Jahre zurück und gilt als die Entstehung von Raum, Zeit und Materie. Im PC-Zimmer funktioniert der Druckausgleich noch nicht. Hier geht es um interstellare Gaswolken und kollidierende Galaxien, um die geheimnisvollsten Phänomene der Existenz. Fachleute wie Mauersberger arbeiten abwechselnd in diesem Hightech-Ghetto und im Alma-Quartier in Santiago. Betrieb ist 24 Stunden lang, geschlafen wird in Schichten. Der Privatdozent gehört zur Europäischen Südsternwarte ESO mit Sitz in Garching bei München, die an Alma beteiligt ist, der Weltraum beschäftigte ihn zuvor in Bonn, Granada und Arizona. Er kann wie alle Alma-Experten so darüber sprechen, dass man kaum ein Wort kapiert, auf Deutsch, Englisch und Spanisch. Rainer Mauersberger spricht über Milchstraße, zusammenstoßende Galaxien und die Geburt von Sternen auch genauso entspannt und verständlich wie über Erdbeben in der Eifel oder den Kölner Dom. Gerne zitiert er Philosophen, Sternenkunde als Lebenskunde. „Kant sagt ja, der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“ Und: „Wir Wissenschaftler sind einfach gestrickt, wir suchen die einfachsten möglichen Erklärungen.“ Wenn Objektive Augen sind, dann wirken diese Alma-Antennen wie Ohren. Sie brauchen kein Licht und erkennen, was niemand sehen kann. Sie empfangen keine akustischen Signale, aber in bisher unbekannter Klarheit Wellen und Strahlung, Millionen Lichtjahre entfernt. Die Radiostrahlen werden von den Schüsseln auf Präzisionsempfänger reflektiert – Alma schaltet die Antennen zu einem Riesenteleskop zusammen und schickt die Daten über Glasfaserkabel hinab. „Alma kann ein Durchbruch sein“, sagt Mauersberger. „Wir können hier weit in die Vergangenheit gucken.“ Knochentrocken musste die Bühne dieser Zeitmaschine sein, weitläufig, gerade, staubfrei, hoch. Und frei von künstlichem Licht. Einzig der Südpol wäre noch besser gewesen, aber auch ungemütlicher und teurer. Also Chile, 50 Kilometer westlich von San Pedro de Atacama, nahe der Grenzen zu Bolivien und Argentinien. Diese Wüste ist so trocken, dass hier keine Insekten leben, aber der Boden Tote konserviert. Archäologen fanden in dieser Gegend Mumien aus Urzeiten, Gerichtsmediziner graben nach Leichen verscharrter Opfer der Pinochet-Diktatur. Die Atacama eignet sich so sehr für die All-Erforschung, dass die ESO jetzt auch beschlossen hat, das größte optische Teleskop der Welt hier zu bauen. In zehn Jahren sollen die Forscher dann Einblicke SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung Gmbh, München Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de ins Universum bekommen, wie sie bislang nicht möglich waren. Fast alle Details von Alma wurden nur für Alma entwickelt. Jedes der 66 Teleskope ist sechs Millionen Dollar wert, die Modelle aus den USA, Europa und Asien werden hier montiert. Ralph Ruthner und Frank Hölig von der Firma Mechatronics aus Mainz führen durch klimatisierte Hallen und begehbare Antennen, hoch wie Häuser. Die Baustelle sieht aus wie eine Mischung aus Weltraumbahnhof und Containerhafen. „Bei vielen Chilenen ist die erste Frage, ob wir Außerirdische gesehen haben“, sagt der Raumfahrttechniker Hölig, ein Schlaks mit langen Haaren, Käppi und schnittiger Sonnenbrille. Er hat vorher für die Bundeswehr an Aufklärungssatelliten gearbeitet. Ruthner war früher auch mal in Bagdad auf Montage und erzählt vom irakischen Giftgas im Krieg gegen Iran. Beide betrachten Alma als Abenteuer und erläutern die Mechanik der Antennen mit Vergnügen. Die Reflektoren werden zusammengeklebt und mit Lasern von Leica kontrolliert, weil bei Submillimeterstrahlung und Milliarden Kilometern winzige Abweichungen auf die falsche Fährte führen. Die Schüsseln bewegen sich auf Magneten wie ein Transrapid und ertragen extreme Temperaturen, Schneestürme und Eiseskälte. Eine Milliarde Dollar hat das alles gekostet. „Das Geld hätte man unsinniger verbraten können“, sagt Rainer Mauersberger, „das sind drei oder vier Airbusse.“ Die Auflösung dieser Radioteleskope ist zehnmal so hoch wie die des Weltraumteleskops Hubble, das in 575 Kilometern Höhe um die Erdkugel kreist. Computerprogramme produzieren bereits bunte Bilder, die sich in Zeitungen und im Fernsehen zeigen lassen. Dabei sind erst 39 Alma-Antennen im Einsatz. Kürzlich lieferte Alma eine außergewöhnlich scharfe Aufnahme des Sterns Formalhaut, umringt von Staubkörnern. 25 Lichtjahre sind es bis dorthin, 237 500 000 000 000 Kilometer. Eine andere Pionierarbeit zeigt die Kollision von Galaxien in 70 Millionen Lichtjahren Entfernung. Krieg der Sterne. Relikte einer unvorstellbaren Vergangenheit treffen auf die empfindlichsten Geräte der Moderne. Bilder der Gegenwart gibt es sowieso nicht, Rainer Mauersberger kann lange darüber philosophieren. Ein Spiegelbild ist schon Bruchteile von Sekunden alt, ehe es die Netzhaut erreicht. Ein Lichtstrahl vom Mond dauert gut eine Sekunde bis zur Erde, von der Sonne sind es rund acht Minuten. Und Alma kümmert sich um ferne Energie, die auf unserem Planeten unsichtbar ist. Wozu das alles? „Wir würden sonst eine Menge Universum verpassen“, antwortet David Rabanus, Physiker aus Köln und bei Alma für die Instrumente zuständig. Auch durch sein Büro fliegen mit größter Selbstverständlichkeit Begriffe wie Gaswolke, Marswinde und Jupiter, auch er lebt die Begeisterung für die Erkundung eines Schattenreichs und führt die Vakuumempfänger gerne selbst vor. 90 Prozent der strahlenden Atmosphäre mache das kalte Universum aus. Mauersberger sagt: „Wir wollen im Grundsatz verstehen, wie es funktioniert.“ Im Weltraum gibt es Alkohol. Und in Sternen Kalzium – wie in menschlichen Knochen. Alma könnte zum Beispiel dazu beitragen, irdische Gefahren aus dem Kosmos abzuschätzen. Supernovae und Meteoriten, solche Sachen. „Das Weltall ist nicht so ein harmonischer Ort, mit dem wir nichts zu tun haben“, sagt Rainer Mauersberger, draußen senkt sich die Sonne. Die Launen der Erde kennen sie bei Alma schon. Der Vulkan Lascar nebenan schickt Rauchfahnen. Im südamerikanischen Sommer ging eine Jahrhundertsintflut auf die Atacama-Berge nieder, und 2010 wurde Chile von einem der heftigsten Erdbeben der Neuzeit erschüttert. Alma-Fahrzeuge müssen immer rückwärts geparkt werden. Zur schnellen Flucht. Vielleicht wirbelt die Betrachtung Schwarzer Löcher sogar Einsteins Relativitätstheorie durcheinander. Vielleicht kommen Erkenntnisse heraus, mit denen niemand rechnet. „Man wird etwas kom- plett Neues entdecken können“, sagt Mauersberger. „Die zentrale Frage ist doch die nach unserer Herkunft.“ Moleküle im All verweisen auf Anzeichen von Leben. Es gibt Alkohol im Weltraum – bei Alma ist Alkohol verboten. Auch fand sich in Sternen Kalzium wie in menschlichen Knochen. „Wir sind nicht allein“, vermutet Mauersberger, „es gibt viele Planeten, auf denen Leben entsteht. Ob das intelligentes Leben auf diesen Sternen ist, ist ungewiss.“ Fast alles ist neu bei Alma und wird schnell alt sein. Schon bemühen sich Konkurrenten in Australien, China und Südafrika um noch mehr Tiefe und Schärfe. Eines Tages sollen Teleskope wie die von Alma mit denen in Hawaii und anderswo zur Weltantenne verbunden werden. Rainer Mauersberger kommt es vor wie ein Computerspiel. „Man kann eigentlich nicht in die Vergangenheit schauen, höchstens auf Fotos und in Filmen. Aber wir hören live in die Vergangenheit, weil sich Strahlen nicht in unendlicher Geschwindigkeit fortbewegen.“ Was hier ankommt, ist dort Millionen Jahre lang vorbei. Bloß in den erweiterten Ausläufern des Big Bang ist fürs Erste Schluss. „Wie eine schwarze Wand“, sagt David Rabanus, der Physiker. Was vor dem Urknall war? Rabanus lacht. „Man muss wohl religiös sein.“ Und in ein paar Milliarden Jahren wird sich die Sonne aufblähen und die Erde verbrennen, erwähnt Mauersberger beiläufig, bis dahin sollte sich die Menschheit nach einem alternativen Wohnort umgeschaut haben. „Dann hilft auch die Alma-Sonnencreme nichts mehr.“ Die Sonne sinkt jetzt feuerrot hinter kantige Berge, Alma-Seelen werden romantisch. Manchmal treffen sie sich vor der Tür und schauen durch ein Fernrohr, nur zum Spaß. „Wenn man sieht, was das Weltall mit uns vereint und was es aus uns Menschen gemacht hat, dann wird man von Ehrfurcht ergriffen, obwohl man das als Wissenschaftler natürlich nicht darf“, sagt Mauersberger. Über dem Marsfeld von Alma und Atacama geht der Mond auf, so hell und nah. Bloß eine gute Lichtminute und 380 000 Kilometer entfernt. A52307994 sueddeutsche.de