Wenn die Entwicklung zur Frau bei der jungen Sportlerin nicht
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Wenn die Entwicklung zur Frau bei der jungen Sportlerin nicht
Wenn die Entwicklung zur Frau bei der jungen Sportlerin nicht stattfindet: Wann besteht Handlungsbedarf? Dr. med. Eliane Pauli Frauenklinik, Kantonsspital Glarus Normale Pubertät ► physischer und psychischer Wandel ► sekundäre Geschlechtsmerkmale ► Menarche (1. Regelblutung resp. Menstruation) ► Geschlechtsreife ► Grössenwachstum EP KSGL Normale Pubertät ► kontinuierlicher Reifungsprozess der Hormonachse HypothalamusHypophyse-Ovar in definierter, geordneter Sequenz ► pulsatile GnRH-Sekretion (Hypothalamus) → FSH-/LH-Freisetzung (Hypophyse) → Östradiol (Ovar) ► Beginn: wahrscheinlich in erster Linie genetisch bestimmt, modifiziert durch endogene und exogene Faktoren EP KSGL 1 Normale Pubertät ► Beginn: 8.-13. Lebensjahr (Mittel 11. Lebensjahr) mit Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale ► Dauer: ca. 5 Jahre ► Geschlechtsreife: 14.-18. Lebensjahr ► Progression der verschiedenen Stadien ist wichtiger als das chronologische Alter, zu welchem sie erscheinen! EP KSGL Normale Pubertät ► Reifungsprozess kann an jeder beliebigen Stelle - vorzeitig aktiviert (Pubertas praecox) - verzögert (Pubertas tarda) - supprimiert (Anorexie, hypothalamische Amenorrhoe, z.B. im Leistungssport) werden ► Pubertas praecox: vorzeitige Geschlechtsreife - sekundäre Geschlechtsmerkmale vor dem 8. Lebensjahr - vorzeitiger Schluss der Epiphysenfugen mit Minderwuchs ► Pubertas tarda: verspätet einsetzende Pubertät - bis zum 13. Lebensjahr keine sekundären Geschlechtsmerkmale EP KSGL Normale Pubertät: sekundäre Geschlechtsmerkmale ► Stadien nach Marshall und Tanner (1969) - Entwicklung der weiblichen Brust (Thelarche) - Schambehaarung (Pubarche) ► Thelarche - erstes Pubertätsmerkmal: Brustknospe (Tanner-Stadium 2) - 11. Lebensjahr - grosse Variabilität (genetische Faktoren, Ernährungszustand, Hormon-abhängig) ► Pubarche (Pubes-/Schambehaarung) - meistens zeitlich nach Thelarche - gleichzeitig mit Achselbehaarung - Androgene der Nebennierenrinde EP KSGL 2 Pubertätsmerkmale nach Marshall und Tanner EP KSGL Normale Pubertät: Menarche ► Definition: 1. Regelblutung/Menstruation ► Zeitpunkt: 12.-13. Lebensjahr ► nach max. Wachstumsschub ► mittleres Intervall zwischen den 1. Zeichen der Pubertät und Menarche: 2 Jahre ► Blutungsstörungen resp. anovulatorische Zyklen häufig, jedoch ohne Krankheitswert EP KSGL Normale Pubertät: Menarche ► Die Pubertät setzt früher ein (sakulärer Trend) ► Ursache: nichtgenetische Faktoren - Gesundheit - Ernährung - Hygiene - Zunahme des Körpergewichts EP KSGL 3 Grössenwachstum ► charakteristisches Muster der Wachstumsgeschwindigkeit ► pubertärer Wachstumsschub nach infantiler Ruhephase (Mittel bei 12 Jahren) ► mit der Brustentwicklung (Tanner-Stadium 2-3) i.d.R. vor Menarche (0.5 Jahre) ► knapp 20 % der adulten Grösse während der Pubertät EP KSGL Grössenwachstum ► geschlechtsabhängig - Mädchen: Wachstumsschub früher - Mädchen: Amplitude niedriger (10.3 vs 9 cm/Jahr) - max. Wachstumszuwachs vergleichbar (25 vs 28 cm) ► Wachstumspotential nach Menarche nur noch begrenzt ► Steuerung hormonell - zentral/Hypophyse (Wachstumshormon) - Sexualsteroide des Ovars (Östrogene) - Androgene der Nebenniere haben eine untergeordnete Bedeutung EP KSGL Zeitlicher Ablauf Thelarche (Pubarche) ► Pubarche ► Wachstumsschub (Thelarche) ► Menarche EP KSGL 4 Knochen-Entwicklung ► Die Reifung des Knochens (Knochenalter) korreliert besser mit dem Beginn der Pubertät und der Menarche als das chronologische Alter! ► Längenwachstum mit Verschluss der Epiphysenfugen (östrogenabhängig) abgeschlossen ► massive Zunahme des Knochenumbaus ► Mineralisation: max. Knochenmasse - genetisch determiniert (Mädchen: 15-16 Jahre) - bei Unterernährung oder schweren Grunderkrankungen nicht erreicht ► erhöhtes Risiko für Osteoporose - ca. 50 % des Körper-Kalziums werden in der Pubertät angelegt EP KSGL Körper-Zusammensetzung ► geschlechtsspezifische Veränderung präpubertär keine Geschlechtsunterschiede hinsichtlich Körperfett-, Knochen- und Muskelmenge ► Muskelmasse: Zunahme bei Mädchen früher, aber weniger ausgeprägt als bei Knaben ► relative Körperfettmasse: ausgeprägtere Zunahme bei Mädchen als bei Knaben. ► relativer Fettanteil und absolute Fettmasse wichtig für Menarche (kritisches Gewicht bei europäischen Mädchen: ca. 48-49 kg) EP KSGL Amenorrhoe ► Definition: Fehlen (primär) bzw. Ausbleiben (sekundär) der Menstruation/Regelblutung ► primäre Amenorrhoe: keine Menarche bis zum vollendeten 16. Lebensjahr ► sekundäre Amenorrhoe: Ausbleiben der Menstruation > 3 Monate bei vorher spontaner Menstruation ► durchschnittliches Alter bei Menarche: 12.-13. Lebensjahr EP KSGL 5 Amenorrhoe: Einteilung EP KSGL Primäre Amenorrhoe: Ursachen meist angeborene Erkrankungen oder schwere Grunderkrankungen ► ► ► ► hypothalamisch-hypophysär: Anorexie, Leistungssport Tumoren und Läsionen von Hypophyse und ZNS Chromosomen-Anomalien (Turner-Syndrom) chronische Erkrankungen: Anorexie, Mukoviszidose, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Diabetes mellitus Typ I ► kongenitale Fehlbildungen der Genitalorgane Schädigung der Gonaden (Chemotherapie, Bestrahlung) ► konstitutionell EP KSGL Sekundäre Amenorrhoe: Ursachen meist gestörte Ovarfunktion ► Schwangerschaft! ► hypothalamisch-hypophysär: Stress, life-events, Reiseamenorrhoe, Essstörungen (Anorexie, Bulimie), Leistungssport ► Hyperandrogenämie ► Hyperprolaktinämie ► Allgemein- oder konsumierende Erkrankungen ► Drogen (Heroin) ► schwere endokrine Erkrankungen: Diabetes mellitus, Schilddrüse, Adrenogenitales Syndrom EP KSGL 6 Sport und Ovarfunktion EP KSGL Sport und Ovarfunktion ► Zyklusstörungen bis hin zur Amenorrhoe ► Pubertas tarda - Verzögerung der Pubertät und Menarche - u.a. bei Anorexie und im Leistungssport - Übergang zu Ess- und Körperbildstörungen fliessend ► Sterilität (unerfüllter Kinderwunsch) EP KSGL Sport und Ovarfunktion ► Das Ausmass der Zyklusstörungen ist sehr variabel. ► Junge Frauen brauchen ab Menarche ca. ein Jahrzehnt, bis sie eine stabile ovulatorische Funktion erreicht haben. Je jünger das gynäkologische Alter (Jahre ab Menarche), desto labiler die hormonelle Regulation der Ovarfunktion, dh. umso häufiger treten Zyklusstörungen auf. ► Die Zyklusstörungen sind reversibel, dh. nach Leistungssport ist die Fertilität nur wenig eingeschränkt. EP KSGL 7 Sport und Ovarfunktion Faktoren ► Sportart: v.a. ausdauerbelastende und ästhetische Disziplinen (Kunstturnen, Ballett, Langstreckenlauf) ► ► ► ► ► ► Trainingsintensität und –dauer Energieverbrauch und –bilanz Fettmasse Art der Ernährung Essverhalten Reifegrad der Hypothalamus-Hypophysen-Ovar-Achse (gynäkologisches Alter) EP KSGL Sport und Ovarfunktion prädisponierende Auslöser ► ► ► ► ► früher Beginn (vor Menarche) mit Verzögerung der Pubertät vorbestehende Zyklusstörungen pathologische Essgewohnheiten Stress begleitende Körperbildstörungen (Anorexie, Bulimie) EP KSGL Sport und Ovarfunktion Assoziation mit Essstörungen ► Essstörungen im Leistungssport sehr häufig ► extreme Körperkontrolle mit niedrigem Körpergewicht ► Amenorrhoe bei relativem Kalorien-Mangel (inadäquate Nahrungszufuhr im Vergleich zur verbrauchten Energie) ► „Athletentriade“: Anorexie, Amenorrhoe und Osteoporose ► Amenorrhoe weder durch Sport noch ein niedriges Gewicht allein EP KSGL 8 Sport und Ovarfunktion Ursache der Zyklusstörungen ► zentral (Hypothalamus) sog. hypothalamische Ovarialinsuffizienz ► Suppression der pulsatilen GnRH-Sekretion → Abfall der FSH und LH-Sekretion → gestörte Ovarfunktion mit konsekutivem Östrogen-Mangel ► funktionelle Anpassung an den durch den Sport ausgelösten körperlichen Stress und an den erhöhten Energieverbrauch ► Zusammenhang in zahlreichen Studien belegt EP KSGL Sport und Knochen ► Östrogenmangel ► negative Kalzium-Bilanz ► geringere max. Knochenmasse (va. bei Hochleistungssport vor der Menarche) ► mögliche Konsequenzen - Osteoporose - Skoliose - Ermüdungs- (Ausdauersport) und Stressfrakturen - erhöhte Verletzungsgefahr des Gelenk- und Skelettsystems EP KSGL Sport und Knochen EP KSGL 9 Abklärung: wann? Die Sport-induzierte Amenorrhoe ist eine AUSSCHLUSS-DIAGNOSE! Primäre Amenorrhoe ► bei gut entwickelten sekundären Geschlechtsmerkmalen: nicht vor dem 16. Lebensjahr ► bei fehlenden Pubertätszeichen: ab abgeschlossenem 14. Lebensjahr Sekundäre Amenorrhoe ► grundsätzlich immer EP KSGL Abklärung der Amenorrhoe ► Schwangerschaftsausschluss (Schwangerschaftstest im Urin) ► Anamnese: Familie, Medikamente, Gewicht, Stress, Operationen ► gynäkologische Untersuchung ► Ultraschall ► hormonelle Abklärung ► Karyotypisierung (Chromosomen-Analyse) [primäre Amenorrhoe] EP KSGL Gynäkologische Untersuchung ► Körpergrösse, -gewicht, BMI ► gynäkologische Untersuchung - sekundäre Geschlechtsmerkmale (Tanner-Stadien) - äusseres Genitale - Spekulum-Untersuchung - ev. rektale Untersuchung (Kinder, Virgo) ► Besonderheiten - Anwesenheit der Eltern (va. bei Mädchen <14 Jahren) - Respektieren der Persönlichkeit, Einbeziehen des Kindes - Untersuchung nie erzwingen - Dokumentation EP KSGL 10 Ultraschall ► transvaginal oder abdominal ► Fehlbildungen ► Uterus: Grösse, Endometrium (Schleimhaut) ► Ovarien: Lage, Grösse, pathologische Veränderungen ► Der Ultraschall ist der Computertomographie (CT) des kleinen Beckens weit überlegen! EP KSGL Abklärung Hormon-Analysen ► ► ► ► FSH Prolaktin TSH Testosteron, DHEA-S weitere Abklärungen ► ► ► ► ► hormonelle Funktionstests Hypophysen-MRI diagnostische Laparoskopie, Hysteroskopie Knochenalter-Bestimmung [primäre Amenorrhoe] Osteodensitometrie (Knochendichte-Bestimmung) EP KSGL Therapie der Amenorrhoe ► first line adäquate Kalorienzufuhr und/oder Reduktion der sportlichen Aktivität in vielen Fällen ausreichend! ► second line Östrogen-Substitution (Östradiol, Ovulationshemmer/Mikropille) Achtung Knochendichte (va. bei Mangelernährung) EP KSGL 11 Therapie der Amenorrhoe ► Steigerung der Kalorienzufuhr ► Knochenbildung↑ PLUS Reduktion der körperlichen Aktivität ► Knochenresorption↓ ► Knochendichte - Gewichtszunahme hat grösseren Einfluss als Ovulationshemmer - Zunahme bei regelmässiger Menstruation um 6-17 %, unter Ovulationshemmer nur 0-2 % - ABER keine Normalisierung der Knochenmasse ► Kalzium 1200-1500 mg/d (Nahrung plus 800-1000 mg/d) ► Vitamin D 400 IU/d EP KSGL Therapie der Amenorrhoe Hormonsubstitution ► nie Therapie der ersten Wahl! ► bei ausgebliebenen sekundären Geschlechtsmerkmalen zur Induktion der Pubertät (psychosoziale Bedeutung) ► Osteoporose-Prävention bei primärer/sekundärer Amenorrhoe ► natürliche Östrogene (Östradiol/-valerat) ► Ethinylestradiol (Mikropille) bei Wunsch nach Kontrazeption EP KSGL Take Home Message ► deutlicher Zusammenhang zwischen Zyklusstörungen und sportlicher Betätigung, va. Leistungssport ► Amenorrhoe ► Östrogen-Mangel ► Osteoporose ► Sport soll Gesundheit fördern und nicht krank machen! d.h. eine Überweisung an die Gynäkologin dürfte gar nicht notwendig werden ► Abklärung / Überweisung an Gynäkologin bei: - primärer Amenorrhoe (14./16. Lebensjahr) - sekundärer Amenorrhoe (jedes Alter) - ausbleibender Pubertät bis vollendetes 13. Lebensjahr EP KSGL 12