Spätabtreibung
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Spätabtreibung
LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 1 C M Y CM MY CY CMY K Nr. 88 | 4. Quartal 2008 | ISSN 0945-4586 | Einzelpreis 4,– € B 42890 LEBENSFORUM Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA) Interview Eine Hebamme packt aus Titel »Du tötest Babys, Mama?« Ausland Großbritannien: »We can liberal« Spätabtreibung Nur perfekt ist recht! In Kooperation mit Ärzte für das Leben e.V. und Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e.V. (TCLG) Probedruck LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 2 C M Y CM MY CY CMY K I N H A LT EDITORIAL TITEL Post-Abortion-Syndrom: Tabu unserer Zeit 3 Befürworter der Abtreibung behaupten immer wieder, vorgeburtliche Kindstötungen brächten keinerlei nachweisbare Nachteile für die sich einer Abtreibung unterziehenden Frauen mit sich. Mehr noch: Einige behaupten gar, das Post-Abortion-Syndrom sei eine Erfindung von Lebensrechtlern, um Schwangeren Angst vor einer Abtreibung zu machen. Wie der folgende Überblick zeigt, beweist die medizinische Fachliteratur: Richtig ist das Gegenteil. Von Dr. med. Claudia Kaminski TITEL I ch durfte acht Wochen mit Dir teilen, acht Wochen hatte ich Dich in meinem Bauch und letztendlich habe ich mich gegen Dich entschieden. Ich habe mehr zerstört, als ich in Worte fassen kann, Du warst ein vollständiger kleiner Mensch und ich habe Dir Dein Recht genommen, geboren zu werden. Du bist gestorben, bevor Du geboren warst. Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder richtig glücklich sein kann, ob ich jemals wieder heil werde.« Solche Briefe an Kinder, die vor ihrer Geburt getötet wurden, zeugen unter anderem in Internet-Foren wie beispielsweise www.nachabtreibung.de von dem Leid, das Frauen nach einer Abtreibung durchmachen. Sie sind Ausdruck des so genannten »Post Abortion Syndroms« (PAS), das die Gesamtheit der Symptome umfasst, welche bei Frauen, die ihr ungeborenes Kind im Mutterleib töten ließen, auftreten können. Psychische, psychosomatische und körperliche Folgen bleiben bei einem solch drastischen Eingriff selten aus. Das Hin und Her bei der Spätabtreibung 4 Tobias B. Ottmar Eine Hebamme packt aus Interview zur Praxis der Spätabtreibung 8 Beraten und bedacht Der Gesetzentwurf zur Spätabtreibung 10 PSYCHISCHE SYMPTOME Maria Simon, Würzburger Psychologin und Autorin der einzigen je in Deutschland durchgeführten Studie zum PAS, zeigte auf, dass rund 80 Prozent der Frauen unter psychischen Spätfolgen wie Schuldgefühlen, Selbstvorwürfen, Stimmungsschwankungen und Depressionen sowie Verlust des Selbstwertgefühls leiden (Post-abortional-syndrom. In: IMABEQuartalsblätter, 2/1993). Bei 63 Prozent der Frauen treten »Flashbacks« auf, das Geschehen um die Abtreibung läuft filmartig auch tagsüber vor dem inneren Auge der Betroffenen ab. PSYCHOSOMATISCHE SYMPTOME Frauen erleben ihre Schuld nach einer Abtreibung häufig nicht bewusst, sondern zeigen körperliche Symptome, die keine organische, medizinische Ursache haben. Das seelische Leid wird umgewandelt in Unterleibsschmerzen, Menstruationsbeschwerden, Störungen der Verdauungstätigkeit bis hin zu Magersucht oder Bulimie, Kopfschmerzen, Migräne und anderem. KÖRPERLICHE SYMPTOME Frühkomplikationen: Dazu zählen zurückgebliebene Abortreste, die Blutungen und Infektionen der Gebärmutterschleimhaut, der Gebärmuttermuskelwand oder Eileiter bis hin zu einer Bauchfellentzündung. Zu den Spätfolgen der Abtreibungen gehören Menstruationsstörungen, eine mögliche Halteschwäche des Gebärmutterhalses und die damit einhergehende Gefahr späterer Fehl- oder Frühgeburten. Vernarbungen des Muttermundes durch den instrumentellen Eingriff können zudem zu einer verzögerten Öffnung des Muttermundes bei späteren Entbindungen führen. Auch ein erhöhtes Brustkrebsrisiko findet sich bei Frauen nach Abtreibung. All diese Symptome können unter dem Begriff Post Abortion Syndrom zusammengefasst werden, zu dem es jedoch nur wenige Studien gibt. Die Gründe: • Die Frauen sprechen nur sehr schwer über ihr Erleben nach der Abtreibung. Bis zu 60 Prozent der Frauen möchten keine Auskunft geben über ihr Leben »danach«. Ein Grund ist der doppelte 14 »Du tötest Babys, Mama?« Cornelia Kaminski 11 PAS: Tabu unserer Zeit Dr. med. Claudia Kaminski 14 Voller Lücken Matthias Lochner 18 Vorsorge versus Autonomie Rainer Beckmann 21 www.ich-tus-nicht.de Nathanael Liminski 26 Schmetterling und Taucherglocke Dr. phil. José García 27 14 - 15 LebensForum 88 15 11 - 13 BÜCHERFORUM 30 KURZ VOR SCHLUSS 32 LESERFORUM 34 IMPRESSUM 35 DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR Vatikan-Stellungnahme zu künstlicher 23 Ernährung und Wasserversorgung Probedruck Jetzt scheint Bewegung in die Debatte um das Post Abortion Syndrom zu kommen. Mitte August 2008 hatte die »American Psychological Association« (APA) den »Report of the APA Task Force on Mental Health and Abortion« veröffentlicht, wonach es keine wissenschaftlichen Daten gebe, die den Zusammenhang zwischen Abtreibung und psychischen oder auch psychosomatischen Erkrankungen bewiesen. Dem wurde unter anderem im Lancet, einer der führenden internationalen medizinischen Zeitschriften, widersprochen (Women should be offered postabortion psychological care. In: The Lancet, 372, 2008). Im Editorial fordern die Autoren psychologische Beratung und Hilfe nach einer Abtreibung, da unter anderem das »Journal of Youth and Adolescence« eine Studie veröffentlicht habe, die psychische Probleme nach Abtreibung nachweise (Resolution of unwanted pregnancy during adolescence through abortion versus childbirth: Individual and family predictors and psychological consequences. In: Journal of Youth and Adolescence, 35, 6/2006). Angesichts einer Vielzahl von Betroffenen, seien es Frauen, die abgetrieben haben, Männer, die ihre Partnerinnen zur Abtreibung gedrängt haben, Geschwister, Großeltern oder auch direkt an Abtreibung mitwirkende Ärzte, Hebammen und Krankenschwestern, muss die Schweigespirale um das Leid nach Abtreibung endlich durchbrochen werden. Das wahre Ausmaß der Dramatik der Tötung von Kindern, die außerhalb des Mutterleibes überlebensfähig wären, wird von der Politik nach wie vor unterschätzt. Warum, lesen Sie hier. DOKUMENTATION 2 LebensForum 88 AKTUELL 4-7 16 GESELLSCHAFT Wohl eher zufällig zu nennen – deswegen aber von der Aussage her nicht weniger interessant – ist die Studie »Psychosoziale Beratung im Kontext von Pränataldiagnostik. Evaluation der Modellprojekte in Bonn, Düsseldorf und Essen«, die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wurde. In der Untersuchung, die unter der Leitung von Professor Anke Rohde (Universitätsklinik Bonn, Gynäkologische Psychosomatik) und Dr. Christiane Woopen (Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Universität Köln) durchgeführt und 2007 im Deutschen ÄrzteVerlag veröffentlicht wurde, heißt es: »Die Erfahrung, ein krankes oder behindertes Kind zu bekommen, beziehungsweise eine Schwangerschaft abzubrechen, kann psychische Störungen verursachen.« Frauen nach Abtreibung zeigen Symptome, die den Kriterien der Posttraumatischen Belastungsstörung (engl.: PostTraumatic-Stress-Disorder = PTSD) entsprechen. Und es finden sich in der medizinischen Literatur immer wieder Hinweise auf die Folgen von Abtreibung: Gomez Lavin berichtete 2005 von Albträumen, Schuld und dem Gefühl »etwas reparieren zu müssen« (Diagnostic categorization of post-abortion syndrome. In: Actas Españolas de Psiquiatría, 33, 4/2005). Schon 2004 ergab eine amerikanische Studie, dass es PAS gibt (Induced abortion and traumatic stress: A preliminary comparison of American and Russian women. In: Medical Science Monitor, 10, 10/2004). Das »Institute for Pregnancy Loss« in Jacksonville wies nach: 65 Prozent der untersuchten Amerikanerinnen (N = 217) hatten multiple Symptome wie gesteigerte Erregung, Wiedererleben (auch Flashbacks) sowie Verdrängung, die mit Posttraumatischer Belastungsstörung einhergehen (PTSD). Immerhin 14,3 Prozent der Amerikanerinnen wiesen die gesamten diagnostischen Kriterien für PTSD auf. Dass der Verlust eines vermutlich gewollten ungeborenen Kindes Stressreaktionen hervorruft, beweist eine Studie unter der Leitung von Stephen V. Bowles aus dem Jahr 2000 (Acute and posttraumatic stress disorder after spontaneous abortion. In: American Family Physician, 61, 6/2000). Wenn schon Spontanaborte, also der Verlust des Kindes ohne eigenes Zutun in der frühen Schwangerschaft, Stresssymptome hervorrufen, dann sollte es nicht überraschen, wenn eine freiwillig oder auf Drängen des Umfeldes herbeigeführte Beendigung der Schwangerschaft, eine Abtreibung, ähnliche oder sogar gravierendere Symptome mit sich bringt. 2004 gab es Untersuchungen im direkten Vergleich aus der Psychosomatischen Medizin: In einer zweijährigen Studie verglich eine Forschergruppe um Anne N. Broen das Verhalten von Frauen nach Spontanabort und nach Abtreibung (Psychological impact on women of miscarriage versus induced abortion: A 2-year follow-up study. In: Psychosomatic Medicine, 66, 2/2004). Direkt nach dem „Ereignis“ war der IES (Impact of Event Scale) für Frauen der Leitung von Mika Gissler: Eine dreifach erhöhte Suizidrate nach Abtreibung (Suicides after pregnancy in Finland, 198794: register linkage study. In: British Medical Journal, 313, 1997). Dieses Jahr wurde eine Langzeitstudie aus Norwegen von Willy Pedersen veröffentlicht, die zeigt, dass vor allem junge Frauen, die abtreiben ließen, später stärker zu Depression neigen als andere (Abortion and depression: A population-based longitudinal study of young women Scandinavian. In: Scandinavian Journal of Public Health, 36, 4/2008). Die Ergebnisse der Studie, für die der Soziologe Pedersen an der Universität Oslo elf Jahre hindurch 768 Frauen im Alter zwischen 15 und 27 Jahren wissenschaftlich begleitet hat, zeigten außerdem, dass das Suchtverhalten (Alkohol und Drogen) bei jungen Frauen nach einer Abtreibung signifikant höher war als bei jenen, die sich für ihr Kind entschieden (Childbirth, abortion and subsequent substance use in young women: A populationbased longitudinal study. In: Addiction, 102, 12/2007). Abtreibungsbefürworter behaupten, das Post-Abortion-Syndrom sei eine Erfindung von Lebensrechtlern. Richtig ist, wie in diesem Beitrag medizinisch belegt, das Gegenteil. AUSLAND »We can liberaler« Dr. Jutta Graf Verlust: Zum einen das Kind, zum anderen der Person, die sie ohne Abtreibung hätten sein können. • Die Symptome nach einer Abtreibung sind außerordentlich komplex und vielschichtig, was eine Analyse über alle medizinischen Fachgebiete hinweg stark erschwert. • Die Aufarbeitung möglicher Symptome und Probleme nach einer Abtreibung lässt sich kaum mittels Fragebogen erheben. Oft verzweifelt: Frauen nach Abtreibung nach Spontanabort höher (47,5 Prozent versus 30 Prozent); nach zwei Jahren hatte sich das Verhältnis umgekehrt: 2,6 Prozent versus 18,1 Prozent bei den Frauen nach Abtreibung. Nun argumentiert mancher, dass die Gesellschaft Frauen immer noch ein schlechtes Gewissen nach Abtreibung einredet. Dabei zeigte Dennis A. Bagarozzi bereits 1994 auf, dass es gerade die Leugnung des PAS oder PTSD ist, die wesentlich zum Aufbau der Stressreaktion beiträgt (Identification, assessment, and treatment of women suffering from posttraumatic stress after abortion. In: Journal of Family Psychotherapy, 5, 3/1994). Was nicht sein kann, das nicht sein darf: Da es PAS angeblich nicht gibt, darf die Frau auch nach der Abtreibung nicht leiden, so die Befürworter der Abtreibung. Wenn das Post Abortion Syndrom als eine Variante der PTSD anzusehen ist, dann gilt auch für das PAS das, was David D’Souza schon 1995 veröffentlichte: Die Posttraumatische Belastungsstörung ist eine Narbe für das Leben (Post-traumatic stress disorder – a scar for life. In: The British Journal of Clinical Practice, 49, 6/1995). Eine aktuellere Studie von David M. Fergusson weist nach, dass fast jede zweite Frau nach einer Abtreibung psychisch erkrankt (Abortion in young women and subsequent mental health. In: Journal of Child Psychology and Psychiatry, 47, 1/2006). Der enge Konnex zwischen Depressionen, Angstzuständen, Suizidgefährdung, Suchtverhalten und einer Abtreibung war selbst für die Autoren überraschend. Aus einer Gruppe von 1.265 Mädchen der neuseeländischen Stadt Christchurch, die seit ihrer Geburt im Jahre 1977 beobachtet wurden, wurden 41 Prozent der Mädchen bis zum Alter von 25 Jahren schwanger. 14,6 Prozent ließen ihr Kind abtreiben. Von jenen 90 Frauen, die eine Abtreibung vornehmen ließen, entwickelten 42 Prozent innerhalb der nächsten vier Jahre eine schwere Depression. Auch der Drogen- und Alkoholmissbrauch stieg bei dieser Gruppe von Frauen signifikant an. Diese Verhaltensweisen und Erkrankungen könnten auf keine früheren Erlebnisse zurückgeführt werden, betont Studienleiter Fergusson von der Universität von Otago (Department Christchurch Health and Development Study). Er bezeichnete es als Skandal, dass die psychischen Folgen eines Eingriffs, der bei jeder zehnten Frau durchgeführt wird, kaum studiert oder evaluiert werden. Wie dramatisch die Folgen einer Abtreibung für Frauen sein können, zeigt auch eine finnische Studie von 1997 unter DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR Schwimmzüge im Teer Dr. med. Claudia Kaminski DANIEL RENNEN LEBENSFORUM 88 Sie töten Kinder im Mutterleib. Aber worüber unterhalten sich Abtreiber, wenn sie zu einem Kongress zusammenkommen. LebensForum weiß es. LebensForum 88 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 3 C M Y CM MY CY CMY K E D I TO R I A L Schwimmzüge im Teer 8-9 TITEL Spätabtreibung – Eine Hebamme packt aus Weil sie sich nicht an Spätabtreibungen beteiligen wollte, hat Miriam Schmidt (Name geändert) ihre Stelle als Hebamme gekündigt. Was sie bei ihrer Arbeit in einem Stadtkrankenhaus einer deutschen Großstadt miterlebte, bekommt angesichts der neuen Diskussionen um Spätabtreibungen wieder Gewicht. Tobias-Benjamin Ottmar sprach mit der Frau, die seit einiger Zeit nun selbstständig tätig ist. Eine Hebamme kündigt, weil sie sich nicht an Spätabtreibungen beteiligen wollte. Im Interview mit LebensForum berichtet sie über ihre Erlebnisse in einem Stadtkrankenhaus. 20 - 22 AUSL AND »We can liberaler« Großbritannien besitzt die liberalste Abtreibungsgesetzgebung Europas. Dennoch fürchten britische Politiker inzwischen von anderen Staaten überholt worden zu sein. Obwohl auf der Insel offiziell pro Jahr 200.000 Kinder im Mutterleib getötet werden, gibt es ständig neue Forderungen nach einer weiteren Liberalisierung. Von Dr. Jutta Graf B is zur 24. Schwangerschaftswoche kann in Großbritannien jedes Kind de facto ohne besondere Gründe abgetrieben werden. Was gibt es da noch zu liberalisieren? Könnte man fragen – und das nicht zu Unrecht. Offiziell handelt es sich beim britischen Abtreibungsgesetz um eine Indikationenregelung. Abgetrieben darf unter anderem werden, wenn »die Fortsetzung der Schwangerschaft ein größeres Risiko für die körperliche und geistige Gesundheit der Schwangeren einschließen würde als der Abbruch.« 97 Prozent der Abtreibungen werden unter dieser Indikation vorgenommen, die in der Praxis wie eine soziale Indikation gehandhabt und in jeder beliebigen Situation geltend gemacht wird: So wäre es z.B. eine Gefahr für die geistige Gesundheit der Schwangeren, wenn ein Karrieresprung nicht im geplanten Zeitraum vonstatten gehen könnte. In keinem anderen Land Europas kann unter sozialer Indikation bis zur 24. Woche abgetrieben werden. Insofern hat Großbritannien eine sehr liberale Gesetzgebung. Andererseits gibt es – zumindest offiziell – keine Abtreibung auf Verlangen. Darüber hinaus muss, außer in Notfällen, von zwei Ärzten bestätigt werden, dass eine Indikation zutrifft, und – der größte Dorn im Auge von Pro-Choice-Politikern – der Paragraf gilt nicht für Nordirland. Dort ist Abtreibung nur bei Lebensgefahr der Schwangeren oder ernsthafter Bedrohung ihrer Gesundheit erlaubt. Seit 1990 wurde das Abtreibungsgesetz in Großbritannien nicht verändert. Um es dem aktuellen Stand der Wissenschaft anzupassen, sollte es im Rahmen der Debatte um den Human Fertilisation and Embryology Act (HFEA) 2007 bis 2008, welcher unter anderem die Legalisierung von Hybriden zum Thema hatte, neu aufgerollt werden. Im Juni 2007 kündigte das House of Commons Science and Technology Committee eine Untersu- chung zur Abtreibung an, die Ende Oktober desselben Jahres dem Unterhaus präsentiert wurde. Die Untersuchung positionierte sich eindeutig »pro-Abtreibung« und suchte nach Gründen für die Aufrechterhaltung der 24-Wochen-Obergrenze sowie für eine weitere Liberalisierung. Eine ethische Diskussion wollte sie explizit ausschließen. Eine Verkürzung der Obergrenze wäre aus zwei Gründen in Frage gekommen: erstens, weil Babys dank der modernen Medizin auch schon vor der 24. Woche überleben können (die Lebensfähigkeit außerhalb der Gebärmutter ist in Großbritannien ausschlaggebend für den Rechtsschutz), und zweitens, weil eindeutig nachzuweisen ist, dass ein Fötus Schmerz empfindet. Gegen diese Argumente wandte das Komitee ein: Es gebe keine wissenschaftliche Grundlage, die geltende Obergrenze zu verändern. Dass die Überlebensrate frühgeborener Kinder in einzelnen Krankenhäusern beachtenswert sei, wurde in der Untersuchung zwar nicht bestritten. So haben etwa an der Londoner Uniklinik zwischen 1996 und 2000 50 Prozent der in der 22. Woche 16 geborenen Babys überlebt. Da es sich aber nur um einzelne Spitäler und um entsprechend kleine Testgruppen handle, seien diese Daten statistisch nicht relevant, wehrte das Komitee ab. Auch die Frage, ob der Fötus Schmerz empfinde, sei für das Abtreibungsgesetz bedeutungslos. Es gebe zwar Beweise, dass ein Fötus auf schädliche Reize reagiere, dies heiße aber nicht, so das Komitee weiter, »dass Schmerz bewusst wahrgenommen würde, insbesondere nicht unterhalb der 24-Wochen-Obergrenze«. Die Untersuchung lässt zahlreiche Fragen offen. Ist das überlebensfähige ungeborene Kind nur dann von Bedeutung, wenn es in statistisch relevanten Zahlen auftritt? Wird im Zweifelsfall gegen das Kind entschieden? Könnte eine »bewusste« Wahrnehmung von Schmerz nicht auch bei geborenen Babys in Frage gestellt werden? Nichtsdestotrotz waren die Empfehlungen der Untersuchung richtungsweisend, als am 20. Mai 2008 im Unterhaus über die AbtreibungsObergrenze abgestimmt wurde. Von konservativen Abgeordneten wurden verschiedene Anträge auf Verkürzung der Obergrenze – auf 12, 16, 20 und 22 Wochen – eingebracht und heftig diskutiert. Die Abgeordnete und ehemalige Krankenschwester Nadine Dorries, welche die Kampagne für eine Verkürzung auf 20 Wochen initiiert hatte, berichtete bei der Plenarsitzung aus eigener Erfahrung, wie ein abgetriebener Junge lebendig geboren wurde, nach Atem rang und sieben Minuten später starb. Doch die Gegnerseite ließ sich nicht beeindrucken. Mitglieder der Labour Party fühlten sich teilweise ihrer Partei verpflichtet. Andere stimmten deshalb gegen eine Verkürzung, weil sie prinzipiell von LebensForum 88 Großbritannien besitzt bereits die liberalste Abtreibungsgesetzgebung Europas. Dennoch gibt es von politischer Seite die Forderung nach einer weiteren Liberalisierung. LebensForum 88 Probedruck und Embryomodelle an Abtreibungsärzte, Krankenschwestern und Funktionäre der Abtreibungslobby verteilten, hat sie die Vorträge verfolgt. Liebe Leserin, lieber Leser, Jutta Graf, die langjährige Vorsitzende der »Jeder hat ein Recht auf Leben und »Jugend für das Leben körperliche Unversehrtheit« heißt es in Österreich« hat für LeArtikel 2, Satz 2 des Grundgesetzes. Die bensForum einmal eiMehrheit der Politiker in unserem Land nen Blick über den Ärscheint daraus den Schluss zu ziehen, dass melkanal geworfen. Aus gutem Grund: Versehrte deshalb auch kein Recht auf Denn in Großbritannien, das über die liLeben besäßen. beralste Abtreibungsgesetzgebung EuroAnders lässt sich nicht erklären, dass pas verfügt, wäre diese kürzlich um ein sich die im Bundestag vertretenen ParteiHaar erneut liberalisiert worden. Nur en nicht einmal bei den besonders graudem geschlossenen Widerstand nordirisamen Spätabtreibungen auf Maßnahmen scher Abgeordneten ist es zu verdanken, einigen wollen, die das Leben ungeboredass es soweit nicht kam. ner Kindern, bei denen eine Behinderung In Deutschland wäre ein solcher Sepadiagnostiziert wurde, besser zu schützen ratismus unvorstellbar. Wer hier Schlimin der Lage wären. meres verhüten oder gar eine Besserung Schlimmer noch: Jeder noch so kleine der Gesamtlage erreichen will, der muss Schritt in diese Richtung gleicht einem sich vom politischen Lagerdenken verabBrustschwimmzug im schieden. Für LeTeer, wie das peinliche bensrechtler muss daTheater um den vom her bei der Bundes»Schnallen Sie sich familienpolitischen tagswahl 2009 gelten: Sprecher der CDU/ »Wir kennen keine besser schon mal an.« CSU-BundestagsParteien mehr. Wir fraktion Johannes kennen nur noch ProSinghammer (CSU) Life-Abgeordnete.« initiierten Gesetzentwurf zeigt. Tobias Deshalb stellt LebensForum jetzt auch B. Ottmar hat für LebensForum den jene Politiker vor, die die Stimmen von Verlauf der Debatte nachgezeichnet, die Lebensrechtlern verdienen und sich um der Wunsch nach minimalen Kurskorrekein Mandat im nächsten Bundestag beturen entfacht hat. werben. Mögen die Parteien im kommenWer danach noch nicht den Kopf den Jahr einen Lagerwahlkampf führen. schüttelt, wird dies spätestens nach der Wir schauen eher auf die Person. Als Lektüre des aufschlussreichen Interviews überparteiliche und überkonfessionelle tun, das wir mit einer aus Ostdeutschland Lebensrechtsorganisation lassen wir uns stammenden Hebamme geführt haben. weder von der Zugehörigkeit zu einer In LebensForum erzählt sie, was sie in Partei noch zu einer Konfession blenden. einem Stadtkrankenhaus einer deutschen Und da es üblich ist, dass in LebensschutzGroßstadt alles erlebt hat. Schnallen Sie fragen der Fraktionszwang aufhoben wird, sich besser schon mal an! ist dies auch der beste Weg, um Gesetze Sicherheitsgurte empfehlen wir auch zu verhindern oder gar zu kippen, die sofür die Lektüre des Beitrags von Cornelia wohl die Würde des Menschen, als auch Kaminski, die sich in Berlin unter die unsere Verfassung mit Füßen treten. Teilnehmer eines von der »InternationaEine erhellende Lektüre wünscht len Vereinigung von Fachkräften und Ihre Verbänden für Schwangerschaftsabbruch und Kontrazeption« (FIAPAC) veranstalClaudia Kaminski teten Kongresses geschmuggelt hatte. Bundesvorsitzende der ALfA und Während andere ALfA-Mitglieder vor des Bundesverbandes Lebensrecht dem Kongresseingang demonstrierten 3 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 4 C M Y CM MY CY CMY K T I T EL Das Hin und Her bei der Spätabtreibung »Es gibt«, heißt es in den »Minima Moralia« des Philosophen Theodor Ardorno »kein richtiges Leben im falschen«. Wie recht Adorno damit hatte, wird derzeit kaum irgendwo so deutlich, wie bei der seit Jahren andauernden Diskussion um die so genannten Spätabtreibungen. Von Tobias B. Ottmar F ür die Eltern, ist es in der Regel ein Schock: Das Wunschkind ist behindert. Ob offener Rücken, Herzfehler oder Wasserkopf – meist entscheiden die Eltern sich schweren Herzens für eine Abtreibung. Etwa 3.000Mal im Jahr treiben in Deutschland Frauen wegen einer »medizinischen Indikation« ab. Laut Gesetz ist dies nur möglich, wenn andernfalls das Leben der Mutter bedroht wäre oder der körperliche bzw. seelische Gesundheitszustand durch ein Austragen des Kindes schwerwiegend beeinträchtigt würde. De facto ist diese im Paragraf 218a festgelegte Regelung längst zu einem Automatismus geworden: Wer behindert ist, wird meist abgetrieben. Jahrelang wurde dieser Skandal – der im Übrigen gegen Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes verstößt (»Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.«) – von der Politik fast stillschweigend hingenommen. Die Große Koalition versprach zu Beginn der Legislatur in ihrem Koalitionsvertrag, zu prüfen, »ob und gegebenenfalls wie die Situation bei Spätabtreibungen verbessert werden kann.« Doch ein gemeinsames Vorgehen von Union und SPD scheint in weite Ferne gerückt zu sein. Tagen liegen. Doch kurz bevor die beteiligten Unionsabgeordneten – allen voran der familienpolitische Sprecher, Johannes Singhammer (CSU) – auch um die Unterstützung einzelner Abgeordneter in anderen Fraktionen werben wollten, mel- Zur jüngsten Chronologie: Bereits im September schien klar, dass die Union in Eigenregie einen Gruppenantrag in den Bundestag einbringen würde. Dieser sieht eine Beratungspflicht des Arztes vor, wenn bei einer vorgeburtlichen Untersuchung eine Behinderung festgestellt wird. Zudem soll zwischen der Diagnose und der möglichen Abtreibung eine Frist von drei 4 Probedruck DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR SEPTEMBER: RÜCKENWIND FÜR UNION VON DER FDP LebensForum 88 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 5 C Y CM MY OKTOBER: ERNEUTE GESPRÄCHE ZWISCHEN SPD UND CDU/CSU Möglicherweise regte diese unerwartete Schützenhilfe die Sozialdemokraten an, doch noch einmal mitzudiskutieren. Doch auch die erneuten Gespräche scheiterten im Oktober. Stattdessen präsentierte die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Christel Humme ein eigenes Konzept, das allerdings nicht viel Neues zu bieten hatte: Zum einen wurde in dem Papier auf die bestehenden Regelungen, das Standesrecht der Ärzte sowie das geplante Gendiagnostikgesetz verwiesen. Letzteres sieht eine umfassende Beratung bei allen genetisch-vorgeburtlichen Untersuchungen vor. Auch ein »Recht auf Nichtwissen« ist darin festgeschrieben, was der Schwangeren den Freiraum einräumen soll, eine Untersuchung auch abzulehnen. Zum anderen will Humme aber auch die Mutterschaftsrichtlinien ändern. So soll sichergestellt werden, dass die Frau in jedem Fall bereits vor einer Untersuchung über mögliche Konsequenzen beraten wird. Theoretisch besteht diese Beratungspflicht bereits heute. Allerdings kämen nicht alle Ärzte dieser Aufgabe nach, so die SPD-Politikerin. »Die Untersuchungen werden den Frauen nahegelegt, oft ohne über die Chancen und Risiken zu informieren«, heißt es in Hummes Konzept. Dennoch will sie keine gesetzliche Neuregelung. NOVEMBER: SPD VOTIERT GEGEN UNIONSVORSCHLAG Trotz dieses politischen Rückschlags ging Singhammer nicht auf Konfrontationskurs. »Wir halten die Tür offen«, so seine Reaktion nach dem Bekanntwerden von Hummes Konzept. Doch ohne Erfolg. Am 11. November stimmte die SPD geschlossen gegen den Unionsvorschlag und sprach sich stattdessen für das eigene Konzept aus. Eine deutliche Mehrheit der SPD sieht keinen Bedarf, im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens beim Thema Spätabtreibungen tätig zu werden. LebensForum 88 Probedruck CY CMY Anders sieht es jedoch die Vorsitzende des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Bundestag, Kerstin Griese (SPD): Ergänzend zu dem Humme-Konzept fordert sie ähnlich wie die Union ein gesetzlich verankertes, verpflichtendes Angebot einer psychosozialen Beratung. Eine Soll-Vorschrift, wie sie zurzeit in den Mutterschaftsrichtlinien K den eigenen Reihen und darüber hinaus für ihren Vorschlag gewinnen könne. EIN VERBOT WIRD NICHT THEMATISIERT ARCHIV Alle geäußerten Ideen – ob von Singhammer, Humme oder Griese – haben eines gemeinsam: Sie alle wollen die Beratung der Frauen verbessern. Allerdings WWW.KERSTIN-GRIESE.DE dete sich plötzlich ausgerechnet die FDP zu Wort: Deren Ethik-Expertin Ulrike Flach erklärte, man sei bereit, mit der Union über eine Neuregelung bei der Spätabtreibung zu diskutieren. Zur Erinnerung: Die Liberalen sprechen schon seit Längerem von einem »aufsteigenden Lebensschutz«. Je fortgeschrittener der Mensch in seiner Entwicklung sei, desto mehr Schutzwürdigkeit gebühre ihm, lautet die bei der FDP weitverbreitete Ansicht. M Kerstin Griese, SPD Johannes Singhammer, CSU verankert ist, reiche nicht aus, »um eine qualitative hochwertige und umfassende Beratung wirklich für jede Patientin zu gewährleisten.« Wie Griese – die auch der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland angehört – in der »Rheinischen Post« sagte, hänge die Betreuung einer Schwangeren in einer Konfliktsituation bislang »zu sehr von der einzelnen Handhabung durch den einzelnen Arzt oder die Ärztin ab.« Sie will – ebenso wie die Union – das Schwangerschaftskonfliktgesetz ändern. Allerdings solle die Drei-Tage-Bedenkzeit zwischen einer Diagnose und eventueller Abtreibung nicht – wie von der Union gefordert – für Ärzte, sondern für Frauen gelten. Zudem lehnt sie den Vorschlag einer genaueren statistischen Erfassung der Spätabtreibungen ab. Schließlich könne dies Rückschlüsse auf den Einzelfall ermöglichen. Ein gemeinsames Vorgehen mit der Union schloss sie deshalb aus. Bis Mitte November unterstützten etwa 15 SPD-Abgeordnete den Vorschlag von Griese, darunter auch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse und SPDGeneralsekretär Hubertus Heil. Kurz nach der Fraktionssitzung – bei der das Thema rund zwei Stunden behandelt wurde – gab sie sich zuversichtlich, dass sie noch einige weitere Abgeordnete aus unterscheiden sie sich in ihren Formulierungen und der Zielgruppenorientierung: So ist der Unions-Entwurf in erster Linie als ein Appell an die Ärzte zu verstehen. Schließlich wurde das Papier auch in enger Zusammenarbeit mit der Bundesärztekammer entwickelt. Die Sozialdemokraten orientieren sich – nach eigenen Aussagen – mehr an den Belangen der Frau. Und noch einen Unterschied gibt es: Der CSU-Politiker Singhammer hat in seinem Papier auch Strafen angekündigt, sollten die Ärzte ihrer Beratungspflicht nicht nachkommen. Die Möglichkeit, Spätabtreibungen grundsätzlich zu verbieten, klammern allerdings alle bislang diskutierten Vorschläge aus. Die Ärzteschaft ist in diesem Punkt mutiger: Bereits im Juli hatte der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, erklärt: »Wir hätten uns gewünscht, dass die 22. Schwangerschaftswoche, beziehungsweise der Zeitpunkt, an dem das Kind alleine überlebensfähig ist, die zeitliche Grenze für eine Abtreibung darstellt.« Nach neusten Erkenntnissen sind laut dem Statistischen Bundesamt bereits Kinder ab der 20. Schwangerschaftswoche auch außerhalb des Mutterleibs lebensfähig. Dieses Kriterium definiert eine Spätabtreibung. Demzufolge ist die offizielle Gesamtzahl dieser Fälle mit 631 5 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 6 C M Y CM MY CY CMY K T I T EL DRAMATIK WIRD NICHT ERKANNT Politiker, die den Gruppenantrag ablehnen, weil sie eine Verschärfung des Abtreibungsparagrafen 218 fürchteten. Auch die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann unterstützt die Unionspläne. In einem Beitrag für die »Bild am Sonntag« schrieb sie, eine Schwangere DRUCK VON BEHINDERTENVERBÄNDEN UND KIRCHEN Zusätzlicher Druck auf die Politik, doch endlich zu handeln, kommt auch von Behindertenverbänden und den Kirchen. Der langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete und heutige Vorsitzende der »Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung«, Robert Antretter, sprach sich gegenüber der Evangelischen Nachrichtenagentur idea für den Gruppenantrag der Union © PHILIDOR - FOTOLIA.COM Angesichts der Dramatik der vorgeburtlichen Kindstötungen nach der 20. Schwangerschaftswoche ist die ständige Verzögerungstaktik der Politik ein zusätzlicher Skandal: Während zur Rettung der Finanzinstitute binnen kürzester Zeit ein Milliarden-Paket geschnürt werden konnte, war es keiner Regierung seit dem Fall des »Oldenburger Babys« im Jahr 1997 – einem Kind, das seine eigene Spätabtreibung überlebte – möglich, zur Rettung von Menschenleben ein gemeinsames Konzept vorzulegen. Fast scheint es, als Koalitionsvertrag. Die Sozialdemokraten erweisen sich gerade bei dieser sensiblen Thematik als unzuverlässig.« Ginge es nach der JU, sollten Spätabtreibungen nur noch bei Vergewaltigungen oder Lebensgefahr der Mutter zulässig sein. ARCHIV im vergangenen Jahr drei Mal höher als bislang angenommen. Wahrscheinlich ist die tatsächliche Zahl der Spätabtreibungen aber noch viel höher (siehe Interview). Robert Antretter in einem derartigen Entscheidungskonflikt brauche Bedenkzeit und Beratung. »Zum Beispiel durch Eltern behinderter Kinder, die erleben: mein Kind ist liebenswert.« Zudem sollte sich die Gesellschaft über jedes Kind freuen – unabhängig davon, ob es den »Normen« entspreche. Ebenso stellten sich Vertreter der (katholischen) Deutschen Bischofskonferenz – u. a. der Vorsitzende Erzbischof Robert Zollitsch – nach einem Spitzengespräch mit der CDU hinter den Unionsentwurf. Die Evangelischen Frauen in Deutschland sehen dagegen in dem von der SPDPolitikerin Humme erarbeiteten Papier die Belange der Frauen besser berücksichtigt. Eine gesetzliche Regelung halte man nur für notwendig, wenn das Recht auf Beratung und Bedenkzeit nicht grundsätzlich gewährleistet wird, so die Leiterin des Verbandes, Beate Blatz. Kein Grund zur Spätabtreibung: Behinderte Kinder bringen durchaus viel Freude in ihre Familien. wäre den Akteuren der Ernst der Lage nicht bewusst. Ganz anders ist dies bei den Nachwuchspolitikern der Union. Angesichts der andauernden Diskussionen erklärte der stellvertretende Bundesvorsitzende der Jungen Union (JU), Henrik Bröckelmann, Ende Oktober: »Die Union muss auf Einhaltung des Koalitionsvertrages drängen (…). Dass die SPD sich hier erneut einer konstruktiven Lösung verweigert, ist ein Verstoß gegen den 6 Probedruck aus. Man solle »nichts unversucht lassen«, um menschliches Leben zu schützen. Die Praxis der Spätabtreibungen sei »eine Barbarei«. Man solle wieder den Wert eines behinderten Kindes erkennen. Auch wenn es durchaus sehr schwere Behinderungen gebe, sei es wichtig, den Schwangeren in einer Konfliktsituation zu vermitteln, welche positiven Erfahrungen andere Familien mit ihrem behinderten Kind gemacht haben. Antretter kritisierte jene BEHINDERTENVERBAND: MEHR KOOPERATION NÖTIG Der Bundesverband evangelische Behindertenhilfe (BeB) hat unterdessen eine Handreichung zur »Beratung und Begleitung bei pränataler Diagnostik« erarbeitet. Ziel ist es, schwangeren Frauen in Konfliktsituationen eine »kompetente und ganzheitliche Beratung« anzubieten. So soll einem »Klima der Verunsicherung und Angst« entgegen getreten werden. LebensForum 88 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 7 C M Y CM MY CY CMY K ANZEIGE Oft sähen sich sowohl die Schwangere als auch die beteiligten Ärzte einem Entscheidungs-, Zeit- und Gewissensdruck ausgesetzt, wenn es darum geht, über das Leben eines Kindes zu entscheiden. Letztlich stehe man aber auch unter einem gesellschaftlichen Erwartungsdruck. Zwar gibt es nach Ansicht des BeB für die Betroffenen ein breites Angebot diakonischer Dienste und Einrichtungen. Diese seien aber bislang nicht optimal vernetzt. Das Papier nimmt daher Gynäkologen, Hebammen, Kinderärzte oder Schulen in den Blick. Sie sollen mit den SchwanWWW.ZENTRALSTELLE-KDV.DE aufzurollen. Der Gesetzesentwurf sei ein »Einfallstor, um das in der BRD letztmalig 1995 reformierte Gesetz (…) zu verschärfen«, wird die Gynäkologin Blanka Kothé in der linken Wochenzeitung »Jungle World« zitiert. Sie hatte den Kongress der Abtreibungsmediziner in Berlin mitorganisiert. Margot Käßmann, Landesbischöfin von Hannover gerschaftskonflikt-Beratungsstellen, Eltern-Selbsthilfegruppen oder Einrichtungen der Behindertenhilfe kooperieren und sich gegenseitig unterstützen. Der Bundesverband evangelische Behindertenhilfe ist ein Fachverband im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland. Ihm gehören rund 600 Mitgliedseinrichtungen an, die Angebote für mehr als 100.000 Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung aller Altersstufen bereit halten. SCHON FÜRCHTEN SICH DIE ABTREIBUNGSÄRZTE … Doch nicht jeder ist mit dem Kampf gegen die Spätabtreibungen einverstanden. Ende Oktober diskutierten in Berlin rund 600 Vertreter der Abtreibungslobby über die derzeit geplanten Regelungen in mehreren Ländern der Welt, unter anderem auch Deutschland. Nach Ansicht mancher Teilnehmer sind die Unionspläne ein erster Schritt, um die Abtreibungsgesetzgebung grundsätzlich neu LebensForum 88 Probedruck IST MEHR LEBENSSCHUTZ MÖGLICH? Auch auf Seite der Feministinnen fürchtet man inzwischen eine Eingrenzung des vermeintlichen »Rechts auf Abtreibung«. In der aktuellen Ausgabe der Frauenzeitschrift »EMMA« heißt es: »Von Anfang an war klar, dass dieses Konstrukt (der Paragraf 218, d. Red.), je nach Zeitgeist, auf sehr schwankenden Füßen steht, und gewisse Konservative bei der ersten guten Gelegenheit versuchen würden, zur guten alten Entmündigung der Frauen zurückzukehren. Diese Gelegenheit scheint jetzt gekommen zu sein.« Auch wenn es sicher keinem der Politiker um eine Entmündigung der Frauen geht: Wenn die derzeitige Diskussion tatsächlich dazu beitragen würde, um bereits von der Zeugung an einen besseren Lebensschutz zu garantieren, wäre das für die Lebensrechtsbewegung ein großer Erfolg. Doch bis dahin wird es noch ein sehr weiter Weg sein. WIE ES WEITERGEHEN WIRD… Derzeit scheint wohl eine der drei Möglichkeiten politisch durchsetzbar zu sein: a) Die Abgeordnete Humme setzt sich mit ihrem Vorschlag durch, eine Beratungspflicht in den Mutterschaftsrichtlinien zu verankern. Eine Änderung im Schwangerschaftskonfliktgesetz gibt es nicht. b) Humme und Griese einigen sich auf einen Kompromissvorschlag, der – in möglicherweise abgeschwächter Form – ein verpflichtendes Beratungsangebot im Schwangerschaftskonfliktgesetz festschreibt. c) Griese und die Union einigen sich auf einen neuen Gesetzesentwurf, der im Wesentlichen eine bessere Beratung der Frauen regelt. Die Forderung einer besseren statistischen Erfassung – wie von der Union erhoben – wird gestrichen. Die vierte Option ist eher eine Befürchtung: Letztendlich bleibt doch alles so wie es ist. Damit dies nicht passiert, muss sich die Lebensschutzbewegung auch in den kommenden Monaten dafür engagieren, den Politikern ins Gewissen zu reden. Denn einst ist klar: Der Skandal der Spätabtreibungen kann von der Öffentlichkeit nicht länger hingenommen werden. IM PORTRAIT Tobias-Benjamin Ottmar Der Autor, Jahrgang 1985, arbeitet als Redakteur für die Evangelische Nachrichtenagentur idea. Ottmar ist verheiratet und lebt und arbeitet derzeit in Essen. 7 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 8 C M Y CM MY CY CMY K T I T EL DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR Spätabtreibung – Eine Hebamme packt aus Probedruck Weil sie sich nicht an Spätabtreibungen beteiligen wollte, hat Miriam Schmidt (Name geändert) ihre Stelle als Hebamme gekündigt. Was sie bei ihrer Arbeit in einem Stadtkrankenhaus einer deutschen Großstadt miterlebte, bekommt angesichts der neuen Diskussionen um Spätabtreibungen wieder Gewicht. Tobias-Benjamin Ottmar sprach mit der Frau, die seit einiger Zeit nun selbstständig tätig ist. 8 LebensForum 88 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 9 C Schmidt: Ich kann das nicht verstehen, zumal im Kern doch Einigkeit darüber besteht, dass Spätabtreibungen etwas Schlimmes sind. Es geht ja nicht einmal darum, die Rechte der Frauen – sprich die Spätabtreibungen – einzugrenzen, sondern lediglich um die Sicherstellung einer qualifizierten Beratung. Wie sieht denn eine Beratung nach dem heutigen Stand aus? Wenn die Ärzte feststellen, dass ein Kind beispielsweise behindert ist, schildern sie die möglichen Folgen, die das für das Leben der Mutter mit dem Kind haben kann. Dazu sind sie gesetzlich verpflichtet. Gleichzeitig erschwert das die Entscheidung für das Kind. Mitunter werden die Frauen massiv unter Druck gesetzt, die Abtreibung vorzunehmen. Ein Beispiel: Eine Schwangere – die in der 30. Woche war – bekam es so mit der Angst zu tun, dass sie noch am selben Tag der Diagnose abgetrieben hat. Statt Alternativen aufzuzeigen, wurde ihr die Abtreibung regelrecht eingeredet. Hinterher hat sie ihren Schritt bereut, wie sich in Gesprächen mit einer Kollegin von mir herausstellte. Gibt es in diesem Fall ein Nachsorge-Angebot? Selbstverständlich nicht. Denn offiziell haben die Frauen ja keine Probleme nach einer Abtreibung. Wer dennoch darunter leidet, ist auf sich allein gestellt. Wie viele Spätabtreibungen wurden an ihrem früheren Arbeitsplatz vorgenommen? Ein bis zwei pro Woche. Deutschlandweit geht man von etwa 600 Abtreibungen nach der 20. Woche aus. Eine realistische Zahl? Ich denke nicht, schließlich wird die Klinik, in der ich gearbeitet habe, keine Hochburg von Spätabtreibungen sein. Wenn man davon ausgeht, dass es in anderen Großstädten ähnlich viele Spätabtreibungen gibt wie dort, kommt man schnell auf eine Zahl zwischen 1.500 und 5.000. Wie läuft eine Spätabtreibung ab? Die Frauen bekommen ein wehenauslösendes Mittel. Je nach Alter und körLebensForum 88 Probedruck Y CM MY CY CMY K perlicher Verfassung der Babys kommen diese auch lebend zur Welt und werden dann so lange liegen gelassen, bis sie tot sind. Sie werden dann bis zur »Entsorgung« im Kühlschrank aufbewahrt. Eine Kollegin von mir, hatte einmal ein spätabgetriebenes Kind, das noch lebte, auf den Arm genommen. Sie ging in einen anderen Raum, betete für das Baby und wartete dann, bis es gestorben war. Manche Ärzte setzen je nach Alter des Kindes bei der Abtreibung auch Kaliumchlorid ein. Das heißt, dem Baby wird eine Salzlösung ins Herz injiziert, damit es vor der Geburt stirbt. gekündigt habe. Ich denke, dass manche der anderen Hebammen durchaus wussten, dass es falsch ist, was sie tun. Gegenüber mir sahen sie sich aber wohl einem Rechtfertigungszwang ausgesetzt. Wenn das aber nicht der Fall ist, sterben die Kinder mitunter nicht schon im Mutterleib oder während der Geburt, sondern erst einige Stunden danach … War zum Zeitpunkt Ihrer Kündigung schon klar, wie es beruflich weitergeht? Genauso ist es. Immer wieder überleben einige Babys diese Qualen. Dem Personal bleibt dabei kaum eine Wahl: Theoretisch müssten sie Erste Hilfe leisten, wenn das Kind noch lebt. Das könnte aber zur Folge haben, dass beispielsweise der Arzt verklagt wird, weil die Abtreibung nicht erfolgreich war. Es ist schon makaber: Während in dem einen Raum spätabgetriebene Kinder in ihrem Überlebenskampf alleine gelassen werden und deshalb sterben, kann es passieren, dass nebenan bei einer Frühgeburt um das Leben des Kindes – das vielleicht im gleichen Alter ist – gerungen wird. Die Klinik hätte sie gerne als Hebamme behalten … konnte aber kein konkretes Angebot machen, wie mich ich auch künftig von den Spätabtreibungen hätten fernhalten können. Sie wollten im Grunde, dass ich mitmache. Im Grunde wusste ich nicht, wie es weitergehen würde. Das war im Grunde ein Gehorsamsschritt gegenüber Gott, der viel Vertrauen abverlangte. Aber es hat sich bewährt: Heute arbeite ich freiDANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR LebensForum: Seit langem diskutieren die Politiker über eine Neuregelung der Spätabtreibung – zu einer einvernehmlichen Lösung ist man bislang nicht gekommen. Können Sie das nachvollziehen? M Wie bewerten Sie die juristischen Hürden für eine Spätabtreibung? Im Grunde kann jede Frau auch bis kurz vor der Geburt abtreiben, wenn sie einen Arzt glauben lassen kann, dass ihre körperliche oder seelische Gesundheit beim Austragen des Kindes gefährdet wäre. Wenn eine Frau beispielsweise ein Attest dem Gynäkologen vorlegt, das eine Suizidgefahr im Falle einer Geburt suggeriert, ist der Arzt verpflichtet abzutreiben. Ansonsten kann dies als unterlassene Hilfeleistung angesehen werden. Sie haben sich nicht direkt an den Spätabtreibungen beteiligt – das erlaubt das Gesetz. Wie kam das bei den anderen Hebammen an? Ich habe entsprechende negative Rückmeldungen bekommen. Mir wurde vorgeworfen, ich würde die Frauen verurteilen und sei egoistisch. Doch darum ging es mir nicht. Ich lehne aufgrund meiner christlichen Überzeugungen Abtreibungen grundsätzlich ab und wollte mich daher nicht daran beteiligen. Das war auch der Grund, warum ich dann letztlich Todesfalle Mutterleib beruflich in einem Geburtshaus, wo jährlich etwa 20 Kinder zur Welt kommen. Diese Arbeit bereitet mir mehr Freude als in der Klinik. Was würden Sie sich von den Politikern hinsichtlich des Themas wünschen? Wenn es nach mir ginge, sollten Abtreibungen ganz verboten werden. Zumindest aber sollten Frauen besser aufgeklärt werden. Ich bin mir sicher, dass jede zweite Frau eine Spätabtreibung ablehnen würde, wenn sie mehr Unterstützung und eine bessere Beratung erhalten würde. Auch eine Bedenkzeit ist durchaus sinnvoll. Denn oft wird den Frauen eine spontane Entscheidung abverlangt. Später bereuen sie dann ihre Entscheidung. Vielen Dank für das Gespräch! 9 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 10 C M Y CM MY CY CMY K T I T EL Beraten und bedacht LebensForum dokumentiert hier den Gesetzentwurf, mit dem Abgeordnete um den CSU-Bundestagsabgeordneten Johannes Singhammer Verbesserungen bei den Spätabtreibungen erzielen wollen. Deutscher Bundestag Drucksache 16/ 16. Wahlperiode Gesetzentwurf der Abgeordneten Volker Kauder, Johannes Singhammer, ... Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen: Artikel 1 Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes Das Schwangerschaftskonfliktgesetz vom 27. Juli 1992 (BGBl. I S. 1398), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 21. August 1995 (BGBl. I S. 1050), wird wie folgt geändert: 1. § 1 wird wie folgt geändert: a) Nach Absatz 1 wird folgender Absatz 1a eingefügt: »(1a) Die Bundeszentrale erstellt entsprechend Absatz 1 Aufklärungsmaterialien zu 1. Schwangerschaftsabbrüchen und hier insbesondere zu Methoden ihrer Durchführung einschließlich der damit verbundenen Risiken sowie möglicher physischer und psychischer Folgen sowie zu Alternativen zu einem Schwangerschaftsabbruch, wie etwa einer Adoption; 2. dem Leben mit einem geistig oder körperlich behinderten Kind und dem Leben von Menschen mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung. Die Materialien enthalten Hinweise auf Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen sowie Behindertenverbände und Verbände von Eltern behinderter Kinder, jeweils mit Kontaktadressen.« b) In Absatz 3 wird das Wort »Lehrmaterial« durch die Wörter »Lehr- oder Informationsmaterialien« ersetzt und nach dem Wort »Beratungsstellen« werden die Wörter »an Frauenärzte, Ärzte und medizinische Einrichtungen, die pränataldiagnostische Maßnahmen durchführen, Humangenetiker, Hebammen« eingefügt. 2. In § 2 Abs. 2 Nr. 5 Satz 1 werden nach der Angabe »5.« die Wörter »das Leben mit einem 10 Probedruck geistig oder körperlich behinderten Kind und das Leben von Menschen mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung sowie Kontaktadressen von Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen, Behindertenverbänden, Verbänden von Eltern behinderter Kinder und« eingefügt. 3. Nach § 2 wird folgender § 2a eingefügt: »§ 2a Aufklärung und Beratung in besonderen Fällen (1) Sprechen nach den Ergebnissen von pränataldiagnostischen Maßnahmen dringende Gründe für die Annahme, dass die körperliche oder geistige Gesundheit des Kindes geschädigt ist, so hat der Arzt, der die Maßnahmen der Pränataldiagnostik verantwortlich durchgeführt hat, über die medizinischen und psychosozialen Aspekte, die sich aus dem Befund ergeben, zu beraten und auf den Anspruch auf weitere und vertiefende psychosoziale Beratungsmöglichkeiten durch Beratungsstellen nach § 2 hinzuweisen. Insbesondere sind der Schwangeren schriftliche Aufklärungsmaterialien nach § 1 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit Satz 2 auszuhändigen. (2) Sind die Voraussetzungen des § 218a Abs. 2 des Strafgesetzbuches gegeben, so hat der Arzt, der gemäß § 218b Abs. 1 des Strafgesetzbuches die schriftliche Feststellung trifft, ob die Voraussetzungen des § 218a Abs. 2 des Strafgesetzbuches gegeben sind, über die medizinischen und psychischen Aspekte eines Schwangerschaftsabbruchs zu beraten und auf den Anspruch auf weitere und vertiefende psychosoziale Beratungsmöglichkeiten durch Beratungsstellen nach § 2 hinzuweisen. Insbesondere sind der Schwangeren schriftliche Aufklärungsmaterialien nach § 1 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit Satz 2 auszuhändigen. Dies ist nicht erforderlich, wenn die Schwangerschaft abgebrochen werden muss, um eine gegenwärtige erhebliche Gefahr für Leib oder Leben der Schwangeren abzuwenden. (3) Der Arzt hat die Erfüllung seiner Verpflichtungen bezüglich des Inhalts und Umfangs der Beratung nach Absatz 1 oder 2 in erforderlichem Umfang und nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Wissenschaft zu dokumentie- ren. Die Dokumentation ist der zuständigen Behörde auf deren Verlangen zur Einsicht und Auswertung vorzulegen. Die der Behörde vorgelegte Dokumentation darf keine Rückschlüsse auf die Identität der Schwangeren und der zu dem Beratungsgespräch hinzugezogenen weiteren Personen ermöglichen. (4) Die Schwangere hat die Beratung und die Aushändigung der Aufklärungsmaterialien nach Absatz 1 oder 2 schriftlich zu bestätigen. Verzichtet sie auf Beratung oder Aushändigung nach Absatz 1 oder 2, so hat sie diesen Verzicht ebenfalls schriftlich zu bestätigen.« 4. Nach § 13 wird folgender § 13a eingefügt: »§ 13a Bedenkzeit Die schriftliche Feststellung nach § 218b Abs. 1 in Verbindung mit § 218a Abs. 2 des Strafgesetzbuches darf nicht vor Ablauf von drei Tagen nach der Beratung (§ 2a Abs. 2) vorgenommen werden, sofern gegenwärtig keine erhebliche Gefahr für Leib oder Leben der Schwangeren vorliegt.« 5. § 14 wird wie folgt geändert: a) Absatz 1 wird wie folgt gefasst: »(1) Ordnungswidrig handelt, wer 1. entgegen § 2a Abs. 1 oder 2 keine Beratung der Schwangeren vornimmt; 2. seiner Pflicht zur Dokumentation nach § 2a Abs. 3 nicht nachkommt; 3. entgegen § 13 Abs. 1 einen Schwangerschaftsabbruch vornimmt; 4. entgegen § 13a die schriftliche Feststellung ausstellt; 5. seiner Auskunftspflicht nach § 18 Abs. 1 nicht nachkommt.« b) In Absatz 2 werden die Wörter »Deutsche Mark« durch das Wort »Euro« ersetzt. 6. § 16 Abs. 1 Satz 1 wird wie folgt geändert: a) In Nummer 4 werden nach dem Wort »Schwangerschaft« die Wörter »in vollendeten einzelnen Wochen seit der Empfängnis« angefügt. b) Der Punkt am Ende der Nummer 7 wird durch ein Komma ersetzt und nach der Nummer 7 werden folgende Nummern 8 bis 10 angefügt: »8. vorgeburtlich diagnostizierte Fehlbildung des Embryos oder des Fötus oder Auffälligkeiten im Genom, 9. Tötung des Embryos oder Fötus im Mutterleib bei Mehrlingsschwangerschaft, 10. Tötung des Embryos oder Fötus im Mutterleib in sonstigen Fällen.« Artikel 2 Inkrafttreten Dieses Gesetz tritt am … in Kraft. LebensForum 88 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 11 C M Y CM MY CY CMY K T I T EL »Du tötest Babys, Mama?« Einmal jährlich treffen sich Abtreibungsärzte und -lobbyisten zu einem großen internationalen Kongress. In diesem Jahr fand er in Berlin statt. Unter den rund 600 Teilnehmern – Abtreibungsärzte, Krankenschwestern und Funktionäre – war auch unsere Autorin. Die Lebensrechtlerin wollte sich das Stelldichein der Abtreibungslobby nämlich einmal aus nächster Nähe ansehen. Lesen Sie nun ihren überaus aufschlussreichen Bericht. Von Cornelia Kaminski W LebensForum 88 Probedruck trag. Staatlich verordnete Bedenkzeiten seien willkürlich und spiegelten das alte Denken wider, nachdem eine Frau Kanonenfutter für den Kaiser zu liefern habe. Überhaupt seien es Diktaturen und die Kirche gewesen, die stets den freien Zugang zu Abtreibungen verhindert hätten. Dass es gerade die kommunistischen Diktaturen der Nachkriegszeit waren, welche der Abtreibung noch Gegenwehr regt. Allein elf Vorträge befassten sich mit diesem Thema. Hauptgegner der Abtreibungslobby ist nach wie vor die katholische Kirche, die zum großen Bedauern von Silvio Viale aus Italien immer noch keine Ruhe gebe, sowie die »anti-choice people« – womit die Lebensrechtler gemeint waren. Einige Male wurde auch CORNELIA KAMINSKI er vom 24. bis 25. Oktober 2008 als Lebensrechtler am Kongress der FIAPAC (Internationale Vereinigung von Fachkräften und Verbänden für Schwangerschaftsabbruch und Kontrazeption) in Berlin teilnahm, brauchte starke Nerven – egal ob er sich an der Demonstration der ALfA vor dem Eingang zum Kongress beteiligte und mit Abtreibungsärzten diskutierte oder ob er als Zuhörer am Kongress selbst teilnahm. Eine Fortbildung im medizinischen Sinn war dieser Kongress keinesfalls, wie bereits ein Blick in das Programmheft verriet: der überwiegende Teil der Veranstaltungen thematisierte im Grunde die Fragestellung, wie man die Zahl der Abtreibungen weltweit steigern könnte. Die Ansätze sind dabei vielfältig: wie in der Eröffnungssitzung des Kongresses, die unter dem Titel »Die Verantwortung der Gesellschaft für die reproduktive Gesundheit« stand, machten die Redner klar, warum Frauen aus ihrer Sicht abtreiben können müssen und warum eine klare rechtliche Regelung notwendig ist. Frauen könnten heute einfach deshalb nicht mehr so viele Kinder bekommen, weil die Gesellschaft in punkto Kindererziehung so hohe Anforderungen an Frauen stelle – Anforderungen, denen eben nicht jede Frau gewachsen sei. Hier biete sich die Abtreibung als Alternative für Frauen an, die ansonsten Opfer ihrer Fruchtbarkeit seien. Bereits hier wurde deutlich, dass Schwangerschaft als eine massive Bedrohung der weiblichen Existenz angesehen wird. Diese Bedrohung müsse so schnell wie möglich aus dem Weg geräumt werden, betonte der aus Wien stammende FIAPAC-Präsident Christian Fiala – in den eigenen Reihen auf Grund seiner Aussage, AIDS werde nicht durch den HI-Virus ausgelöst, sei nicht ansteckend und schon gar nicht sexuell übertragbar, keineswegs unumstritten – in seinem Vor- Austausch der besonderen Art: Experten debattieren die Perfektionierung vorgeburtlicher Kindstötungen. die Abtreibung in ihren Ländern weitestgehend legalisierten, und nun – befreit – »das Rad zurückdrehen«, wie ein Vortrag hierzu überschrieben ist, hat Fiala offensichtlich nicht mitbekommen. Ein weiterer Schwerpunkt war die Erarbeitung von Strategien zur Legalisierung von Abtreibungen in den Ländern, in denen sie noch verboten ist, und zur verbreiteten Anwendung von Abtreibungen, wo sich gegen die totale Freigabe auf die Mitglieder der ALfA verwiesen, die vor der Tür protestierten, Embryomodelle an die Abtreibungsärzte verteilten und mit ihnen diskutieren. Dabei ist es offensichtlich tatsächlich so, dass die Zahl der Demonstranten für die Kongressteilnehmer keine große Rolle spielt. Aus den Bemerkungen der Redner und aus den Diskussionsbeiträgen wurde deutlich, dass schon vier Demonstranten vor einer Abtreibungsklinik reichen, um die dort ihrem 11 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 12 C M Y CM MY CY CMY K T I T EL der Meinungsänderung. Wie das funktioniert, kann man im Workshop »Die eigene Einstellung zur Abtreibung evaluieren«, den Ipas auf dem Kongress anbietet, erfahren. Die vorgestellte Methode ist subtil und effizient, da sie sich verschiedener Lerntechniken bedient: ausgehend von hoch emotionalen Fallstudien (Frau stirbt qualvoll nach misslungener Abtreibung) werden in gruppendynamischen und handlungsorientierten Prozessen Stellungnahmen von den Teilnehmern erzwungen – wobei dieser Zwang ausdrücklich, wie die ausgeteilten Lehrmaterialen mitteilen, gewollt ist. Wer traut sich schon, nach einer so mitleiderregenCORNELIA KAMINSKI Handwerk nachgehenden Mediziner zu verunsichern, dass allein die Ankündigung von Lebensrechtlern, ein Auto mit Bildern von abgetriebenen Kindern zu bekleben und damit durch England fahren zu wollen, die Medien auf den Plan ruft und Ängste bei den Abtreibern hervorruft. »Wie soll ich diese Bilder meiner vierjährigen Tochter erklären?«, fragt ein Teilnehmer, in dessen Nachbarschaft ein solches Auto parkt. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der Auftritt von Ipas, die in der dem Kongress angeschlossenen Industrieausstellung mit einem eigenen Stand vertreten sind. Stolz erklärt Ipas Mitarbeiter Durfte nicht fehlen: Der Stand der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung auf dem FIAPAC-Kongress. Christian Bross, dass seine Organisation ein Abtreibungsinstrument erfunden habe und davon immerhin um die 100.000 Stück pro Jahr weltweit verkaufe – insbesondere an Regierungen und NGOs wie International Planned Parenthood, dem Dachverband von Pro Familia. Damit ließen sich besonders gewebeschonende Abtreibungen vornehmen. Auf Nachfrage wird erläutert, dass man damit dem Bedarf der Forschung nach möglichst unzerstörtem fetalen Gewebe nachkommen kann. »Das ist eins der wichtigsten Vorteile unseres Instruments«, teilt die den Stand betreuende Dame mit. Das ist Ipas aber nicht genug. Der Markt für dieses Instrument müsse erhalten bleiben. Und darum unterstütze Ipas gleichzeitig Abtreibungsbefürworter in ihrem Kampf gegen restriktive Gesetze und schule deren Mitarbeiter in der Kunst 12 Probedruck den Geschichte die Ecke im Raum aufzusuchen, die für strikte Abtreibungsgegner reserviert worden ist? Ein Schlingel, wer dabei an Gehirnwäsche denkt. »In Mexiko waren wir sehr erfolgreich«, erklärt denn auch Bross. »Da haben wir es geschafft, Abtreibungen zu legalisieren.« Nur leider, so fügt er an, zögen die Kliniken nicht mit: die Hälfte aller Kliniken in Mexico City weigere sich aus Gewissensgründen, Abtreibungen durchzuführen. Jammerschade – aber auch hier wissen die Mitglieder der FIAPAC Abhilfe. In einem Vortrag zur Gewissenshaltung von Gynäkologen beantwortet Mark Bygdeman die Frage, ob Gynäkologen gezwungen werden sollten, Abtreibungen durchzuführen, mit einem glatten »Ja«. Das Recht der Frau auf totale Selbstbestimmung sei höher einzuordnen als die Gewissensentscheidung des Arztes. Ärzte, die keine Abtreibungen vornehmen wollen, solle man doch gar nicht erst einstellen, erklärt Kevin Oppegaard aus Norwegen. So verfahre man in seiner Klinik. Ob sich das mit der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinie vereinbaren lässt, wird in der Sitzung nicht näher diskutiert. Es geht schließlich um die Sache. Ein Interesse an der Verbesserung der medizinischen Versorgung von Frauen bei Abtreibung war eindeutig nicht vorhanden. Von allen Vorträgen beschäftigte sich nur ein Bruchteil überhaupt mit medizinischen Fragestellungen, und das auf erschreckend niedrigem wissenschaftlichem Niveau. Wurde tatsächlich mal eine Studie vorgestellt, entsprach diese in keiner Weise den üblichen Standards. Für eine Studie zur Auswirkung von Abtreibungen auf Männer wurden die Fragebögen den Frauen mit nach Hause gegeben, die diese dann ihren Männern geben sollten. Aber welche Frau, deren Mann gegen die Abtreibung war, nimmt ihm einen Fragebogen mit nach Hause? Und wer hat ihn dann tatsächlich ausgefüllt? Ann Lalos aus Schweden, die die Studie vorstellte, konnte das auf Nachfrage nicht mit Bestimmtheit sagen – medizinische Wissenschaft sieht so sicher nicht aus. In einem ausnahmsweise interessanten Vortrag berichtete Sam Rowlands aus England über das Risikomanagement bei Abtreibungen und forderte größtmögliche Transparenz im Umgang mit ärztlichem Fehlverhalten. Nur so sei ein Lerneffekt im Sinne der zukünftigen Fehlervermeidung möglich. Angesichts der stets betonten Hauptintention der Abtreibungsmediziner, etwas gegen die Frauensterblichkeit tun zu wollen, ein durchaus lobenswerter Ansatz, sollte man meinen. Die Zuhörer sahen das jedoch anders: es sei politisch ungünstig, offen Fehler bei »Mein Sohn soll in einer Welt leben, in der er viel Spaß mit Sex haben kann.« Abtreibungen zuzugeben, dies könne schließlich die öffentliche Meinung zur Abtreibung ändern. Wenn es also gar nicht um medizinische Fortbildung geht, warum dann jährlich ein FIAPAC Kongress – 2008 immerhin bereits zum achten Mal? Die Antworten gaben die nahezu 600 Kongressteilnehmer im Verlauf der Veranstaltung selbst. Marijke Alblas, eine in Südafrika praktizierende Medizinerin, beklagte die unfreundliche Atmosphäre, mit der LebensForum 88 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 13 C sie und ihre Kollegen zu kämpfen hätten: Auch sie bräuchten schließlich für ihr Tun eine angenehme Arbeitsatmosphäre. Gegenseitiges Unterstützen sei notwendig, und dafür brauche man diesen Kongress – ja dafür sei FIAPAC schließlich gegründet worden. Wer das Geschehen während des Kongresses beobachtete und die Diskussionen verfolgte, konnte schnell feststellen, dass es genau darum ging: Der Begriff »Baby« wird vollständig vermieden Gegenseitiges Ermuntern, Schulterklopfen und immer wieder beteuern, dass man ja etwas »für die Frauen« tue. Angesichts der zahlreichen verhärmten Gesichter wirkte das wie kollektiver Selbstbetrug. Zudem scheint zu gelten, dass eine Lüge besonders gut funktioniert, wenn sie immer wieder wiederholt wird. Zwar gab Ann Furedi aus England offen zu, dass »man nicht weiß, wie viele Menschen überhaupt genau in manchen afrikanischen Ländern leben«, aber dennoch auf die Statistiken der WHO zur Sterberate nach Abtreibungen aus diesen Ländern vertraue. Diese Statistiken sind nämlich das in nahezu jedem Vortrag wiederholte Hauptargument. Ein Hinterfragen von Zahlen ist daher unerwünscht. Ähnlich wird bei der Diskussion um die Konfliktberatung verfahren. Haupttenor der vortragenden Referentinnen war, dass eine solche Beratung überflüssig sei, da sie mit dem Selbstbestimmungsrecht der Frau kollidiere. Außerdem, so erklärte Margot Schaschl aus Wien, dränge die Zeit: Wenn die Frauen erstmal den Herzschlag (gemeint ist der des Kindes, was man aber offenbar nicht sagen darf) sehe, werde es schwierig. Wieso das so ist, wurde nicht erklärt und stand auch in krassem Widerspruch zu der mit starkem Applaus bedachten Aussage, die Beratung sei ohnehin nur für die Beraterinnen da, nicht für die Frauen, die hätten nämlich gar keine Gefühle, wollten lediglich die Abtreibung und mehr nicht. An dieser Stelle hebt sich leiser Widerspruch im Plenum. »Wie stellen Sie denn fest, ob eine Frau tatsächlich ohne Zwang zur Abtreibung kommt, wenn Sie auf die Beratung verzichten?«, fragt eine Teilnehmerin. Die Beratung sei auch positiv zu sehen, meint eine andere, schließlich habe die Frau hier die Gelegenheit in Ruhe mit verständnisvollen Gesprächspartnern zu reden. Und eine Dritte wendet schließLebensForum 88 Probedruck M Y CM MY lich ein, die Beratung sei in Deutschland laut Gesetz »ergebnisoffen« zu führen. Da platzt dem Vorsitzenden der FIAPAC, Christian Fiala, der Kragen. Mit den Worten »Das ist kompletter Schwachsinn – jede Beratung ist eine staatlich verordnete Zwangsinstruktion von Frauen und gehört komplett abgeschafft« beendet er – ganz tolerant – die Diskussion. Da erstaunt es auch nicht – wie im weiteren Verlauf des Kongresses auffällt – dass mit größter Konsequenz der Begriff »Baby« vollständig vermieden wird – stattdessen ist wahlweise von »Produkt«, »Gewebe«, »Material« »befruchtetem Ei« die Rede. Als besonders hilfreich wird hier offensichtlich die UN-Konvention über die Rechte von Kindern erachtet, die jedem Kind »ab der Geburt« zustünden. Ganz unverhohlen äußert Catherine Bonnet unter Bezugnahme auf diese Konvention, dass im Fall einer Holländerin, die in Spanien eine Abtreibung in der 29. Woche vornehmen ließ und daraufhin in Holland vorläufig verhaftet wurde, die Anklage fallen gelassen werden müsse. »Die Anklage kann doch gar nicht auf Kindstötung lauten. Das ist kein Kind. Ein Kind ist es erst nach der Geburt!« Worum es der Abtreibungslobby tatsächlich geht, macht vor allem Ann Furedi aus England mit ihren Beiträgen deutlich. »Mein Sohn«, sagt sie, »soll in einer Welt leben, in der er so viel Spaß mit Sex haben kann, wie er will. Und wir wissen doch, dass Verhütung nicht funktioniert. Wir brauchen Abtreibungen als Sicherungssystem. Es wird mehr Abtreibungen geben, wenn mehr Frauen Spaß beim Sex haben – und das ist doch nicht schlecht.« Die Möglichkeit für Irinnen, zur Abtreibung nach England zu fahren, bezeichnet sie als »Lifeline«. Dass von den zwei über diese »Lebenslinie« zur Abtreibung angereisten Menschen aber nur einer lebend zurückkommt (der abgetriebene Fötus wird laut Aussage einer irischen Teilnehmerin den Frauen häufig mit zurückgegeben) spielt keine Rolle. Konsequent ist auch der Titel ihres zweiten Vortrags: »Entwicklung einer Strategie zum Umgang mit der Bedrohung weiblicher Gesundheit«. Jedenfalls dann, wenn Schwangerschaften eine Krankheit und Abtreibungen die einzig richtige Therapie sind. Den Vortrag leitet sie mit den Worten ein: »Ich könnte Christen dafür verfluchen, dass ich einen solchen Vortrag überhaupt halten muss«. Toleranz und Objektivität sehen anders aus. Ins Straucheln war die sehr selbstbewusst auftretende Frau nach eigenen Aussagen nur einmal gekommen. Und zwar als sie mit ihrem Sohn gemeinsam eine Sendung CY CMY K über die Entwicklung von Kindern im Mutterleib und über Abtreibung ansah. »Ist es das, was du machst, Mama? Du tötest Babys?«, fragt daraufhin der Sohn. Auf diese Frage wusste selbst Ann Furedi, die für ihre Vorträge fast mit stehenden Ovationen bedacht wurde, keine Antwort. Auch sonst blieben eine Menge Fragen übrig. Fragen wie diese: Was sagt es eigentlich über die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) aus, dass diese auf dem Kongress mit einem Stand vertreten war? Was bedeutet es, dass deutsche und britische Politiker die Gäste willkommen hießen? Für den Berliner Senat war Katrin Lompscher, Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz (Die Linke) erschienen, die Briten hatten mit Christine McCafferty ein Parlamentsmitglied entsandt. Wir wird wohl das Material aussehen, das nach dem Willen von Unionsabgeordneten, die einen eigenen Gesetzentwurf zur Vermeidung von Spätabtreibungen in den Bundestag einbringen wollen, von der BZgA erarbeitet werden soll, wenn diese einen Kongress unterstützt, auf dem offen die totale Freigabe der Abtreibung gefordert wird? »Wir beschäftigen uns mit dem Gesetz, aber wir machen was wir wollen« Gelegenheit zur Information über Spätabtreibungen hatten die Vertreter der BZgA jedenfalls zur Genüge, da ihr Stand in unmittelbarer Nachbarschaft zu zwei holländischen, auf Spätabtreibungen spezialisierten Kliniken angesiedelt war. Und wie Spätabtreibungen bei Minderjährigen in Holland funktionieren, führte Mariet Lecoultre, Krankenschwester an der ausschließlich Spätabtreibungen anbietenden Bloemhoevekliniek in Heemstede (Niederlande) gerne aus. Demnach benötigten Mädchen unter 16 Jahren zwar die schriftliche Einwilligung eines Elternteils. Ob diese aber tatsächlich von einem Elternteil, einem anderen Erwachsenen oder dem Mädchen selbst unterschrieben worden sei, prüfe die Klinik nicht. Und wenn doch mal eine Unterschrift fehle, sei auch das kein Problem. Dann stelle die Klinik einfach einen Anwalt zur Verfügung, der auch ohne Zustimmung der Eltern für das Mädchen eine Genehmigung zur Abtreibung einholt. »Wir beschäftigen uns mit dem Gesetz, aber wir machen, was wir wollen«, sagt Mariet Lecoultre mit einem Augenzwinkern. 13 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 14 M Y CM MY CY CMY K DANIEL RENNEN C T I T EL Post-Abortion-Syndrom: Tabu unserer Zeit Befürworter der Abtreibung behaupten immer wieder, vorgeburtliche Kindstötungen brächten keinerlei nachweisbare Nachteile für die sich einer Abtreibung unterziehenden Frauen mit sich. Mehr noch: Einige behaupten gar, das Post-Abortion-Syndrom sei eine Erfindung von Lebensrechtlern, um Schwangeren Angst vor einer Abtreibung zu machen. Wie der folgende Überblick zeigt, beweist die medizinische Fachliteratur: Richtig ist das Gegenteil. Von Dr. med. Claudia Kaminski I ch durfte acht Wochen mit Dir teilen, acht Wochen hatte ich Dich in meinem Bauch und letztendlich habe ich mich gegen Dich entschieden. Ich habe mehr zerstört, als ich in Worte fassen kann, Du warst ein vollständiger kleiner Mensch und ich habe Dir Dein Recht genommen, geboren zu werden. Du bist gestorben, bevor Du geboren warst. Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder richtig glücklich sein kann, ob ich jemals wieder heil werde.« Solche Briefe an Kinder, die vor ihrer Geburt getötet wurden, zeugen unter anderem in Internet-Foren wie beispielsweise www.nachabtreibung.de von dem Leid, das Frauen nach einer Abtreibung durchmachen. Sie sind Ausdruck des so genannten »Post Abortion Syndroms« (PAS), das die Gesamtheit der Symptome umfasst, welche bei Frauen, die ihr ungeborenes Kind im Mutterleib töten ließen, auftreten können. Psychische, psychosomatische und körperliche Folgen bleiben bei einem solch drastischen Eingriff selten aus. PSYCHISCHE SYMPTOME Maria Simon, Würzburger Psychologin und Autorin der einzigen je in Deutschland durchgeführten Studie zum PAS, zeigte auf, dass rund 80 Prozent der Frauen unter psychischen Spätfolgen wie Schuldgefühlen, Selbstvorwürfen, Stimmungsschwankungen und Depressionen sowie Verlust des Selbstwertgefühls leiden (Post-abortional-syndrom. In: IMABEQuartalsblätter, 2/1993). Bei 63 Prozent der Frauen treten »Flashbacks« auf, das Geschehen um die Abtreibung läuft filmartig auch tagsüber vor dem inneren Auge der Betroffenen ab. 14 Probedruck PSYCHOSOMATISCHE SYMPTOME Frauen erleben ihre Schuld nach einer Abtreibung häufig nicht bewusst, sondern zeigen körperliche Symptome, die keine organische, medizinische Ursache haben. Das seelische Leid wird umgewandelt in Unterleibsschmerzen, Menstruationsbeschwerden, Störungen der Verdauungstätigkeit bis hin zu Magersucht oder Bulimie, Kopfschmerzen, Migräne und anderem. KÖRPERLICHE SYMPTOME Frühkomplikationen: Dazu zählen zurückgebliebene Abortreste, die Blutungen und Infektionen der Gebärmutterschleimhaut, der Gebärmuttermuskelwand oder Eileiter bis hin zu einer Bauchfellentzündung. Zu den Spätfolgen der Abtreibungen gehören Menstruationsstörungen, eine mögliche Halteschwäche des Gebärmutterhalses und die damit einhergehende Gefahr späterer Fehl- oder Frühgeburten. Vernarbungen des Muttermundes durch den instrumentellen Eingriff können zudem zu einer verzögerten Öffnung des Muttermundes bei späteren Entbindungen führen. Auch ein erhöhtes Brustkrebsrisiko findet sich bei Frauen nach Abtreibung. All diese Symptome können unter dem Begriff Post Abortion Syndrom zusammengefasst werden, zu dem es jedoch nur wenige Studien gibt. Die Gründe: • Die Frauen sprechen nur sehr schwer über ihr Erleben nach der Abtreibung. Bis zu 60 Prozent der Frauen möchten keine Auskunft geben über ihr Leben »danach«. Ein Grund ist der doppelte Verlust: Zum einen das Kind, zum anderen der Person, die sie ohne Abtreibung hätten sein können. • Die Symptome nach einer Abtreibung sind außerordentlich komplex und vielschichtig, was eine Analyse über alle medizinischen Fachgebiete hinweg stark erschwert. • Die Aufarbeitung möglicher Symptome und Probleme nach einer Abtreibung lässt sich kaum mittels Fragebogen erheben. Wohl eher zufällig zu nennen – deswegen aber von der Aussage her nicht weniger interessant – ist die Studie »Psychosoziale Beratung im Kontext von Pränataldiagnostik. Evaluation der Modellprojekte in Bonn, Düsseldorf und Essen«, die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wurde. In der Untersuchung, die unter der Leitung von Professor Anke Rohde (Universitätsklinik Bonn, Gynäkologische Psychosomatik) und Dr. Christiane Woopen (Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Universität Köln) durchgeführt und 2007 im Deutschen ÄrzteVerlag veröffentlicht wurde, heißt es: »Die Erfahrung, ein krankes oder behindertes Kind zu bekommen, beziehungsweise eine Schwangerschaft abzubrechen, kann psychische Störungen verursachen.« Frauen nach Abtreibung zeigen Symptome, die den Kriterien der Posttraumatischen Belastungsstörung (engl.: PostTraumatic-Stress-Disorder = PTSD) entsprechen. Und es finden sich in der medizinischen Literatur immer wieder Hinweise auf die Folgen von Abtreibung: Gomez Lavin berichtete 2005 von Albträumen, LebensForum 88 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 15 M Y CM MY CY CMY K DANIEL RENNEN C Oft verzweifelt: Frauen nach Abtreibung Schuld und dem Gefühl »etwas reparieren zu müssen« (Diagnostic categorization of post-abortion syndrome. In: Actas Españolas de Psiquiatría, 33, 4/2005). Schon 2004 ergab eine amerikanische Studie, dass es PAS gibt (Induced abortion and traumatic stress: A preliminary comparison of American and Russian women. In: Medical Science Monitor, 10, 10/2004). Das »Institute for Pregnancy Loss« in Jacksonville wies nach: 65 Prozent der untersuchten Amerikanerinnen (N = 217) hatten multiple Symptome wie gesteigerte Erregung, Wiedererleben (auch Flashbacks) sowie Verdrängung, die mit Posttraumatischer Belastungsstörung einhergehen (PTSD). Immerhin 14,3 Prozent der Amerikanerinnen wiesen die gesamten diagnostischen Kriterien für PTSD auf. Dass der Verlust eines vermutlich gewollten ungeborenen Kindes Stressreaktionen hervorruft, beweist eine Studie unter der Leitung von Stephen V. Bowles aus dem Jahr 2000 (Acute and posttraumatic stress disorder after spontaneous abortion. In: American Family Physician, 61, 6/2000). Wenn schon Spontanaborte, also der Verlust des Kindes ohne eigenes Zutun in der frühen Schwangerschaft, Stresssymptome hervorrufen, dann sollte es nicht überraschen, wenn eine freiwillig oder auf Drängen des Umfeldes herbeigeführte Beendigung der Schwangerschaft, eine Abtreibung, ähnliche oder sogar gravierendere Symptome mit sich bringt. 2004 gab es Untersuchungen im direkten Vergleich aus der Psychosomatischen Medizin: In einer zweijährigen Studie verglich eine Forschergruppe um Anne N. Broen das Verhalten von Frauen nach Spontanabort und nach Abtreibung (Psychological impact on women of miscarriage versus induced abortion: A 2-year follow-up study. In: Psychosomatic Medicine, 66, 2/2004). Direkt nach dem „Ereignis“ war der IES (Impact of Event Scale) für Frauen LebensForum 88 Probedruck nach Spontanabort höher (47,5 Prozent versus 30 Prozent); nach zwei Jahren hatte sich das Verhältnis umgekehrt: 2,6 Prozent versus 18,1 Prozent bei den Frauen nach Abtreibung. Nun argumentiert mancher, dass die Gesellschaft Frauen immer noch ein schlechtes Gewissen nach Abtreibung einredet. Dabei zeigte Dennis A. Bagarozzi bereits 1994 auf, dass es gerade die Leugnung des PAS oder PTSD ist, die wesentlich zum Aufbau der Stressreaktion beiträgt (Identification, assessment, and treatment of women suffering from posttraumatic stress after abortion. In: Journal of Family Psychotherapy, 5, 3/1994). Was nicht sein kann, das nicht sein darf: Da es PAS angeblich nicht gibt, darf die Frau auch nach der Abtreibung nicht leiden, so die Befürworter der Abtreibung. Wenn das Post Abortion Syndrom als eine Variante der PTSD anzusehen ist, dann gilt auch für das PAS das, was David D’Souza schon 1995 veröffentlichte: Die Posttraumatische Belastungsstörung ist eine Narbe für das Leben (Post-traumatic stress disorder – a scar for life. In: The British Journal of Clinical Practice, 49, 6/1995). Eine aktuellere Studie von David M. Fergusson weist nach, dass fast jede zweite Frau nach einer Abtreibung psychisch erkrankt (Abortion in young women and subsequent mental health. In: Journal of Child Psychology and Psychiatry, 47, 1/2006). Der enge Konnex zwischen Depressionen, Angstzuständen, Suizidgefährdung, Suchtverhalten und einer Abtreibung war selbst für die Autoren überraschend. Aus einer Gruppe von 1.265 Mädchen der neuseeländischen Stadt Christchurch, die seit ihrer Geburt im Jahre 1977 beobachtet wurden, wurden 41 Prozent der Mädchen bis zum Alter von 25 Jahren schwanger. 14,6 Prozent ließen ihr Kind abtreiben. Von jenen 90 Frauen, die eine Abtreibung vornehmen ließen, entwickelten 42 Prozent innerhalb der nächsten vier Jahre eine schwere Depression. Auch der Drogen- und Alkoholmissbrauch stieg bei dieser Gruppe von Frauen signifikant an. Diese Verhaltensweisen und Erkrankungen könnten auf keine früheren Erlebnisse zurückgeführt werden, betont Studienleiter Fergusson von der Universität von Otago (Department Christchurch Health and Development Study). Er bezeichnete es als Skandal, dass die psychischen Folgen eines Eingriffs, der bei jeder zehnten Frau durchgeführt wird, kaum studiert oder evaluiert werden. Wie dramatisch die Folgen einer Abtreibung für Frauen sein können, zeigt auch eine finnische Studie von 1997 unter der Leitung von Mika Gissler: Eine dreifach erhöhte Suizidrate nach Abtreibung (Suicides after pregnancy in Finland, 198794: register linkage study. In: British Medical Journal, 313, 1997). Dieses Jahr wurde eine Langzeitstudie aus Norwegen von Willy Pedersen veröffentlicht, die zeigt, dass vor allem junge Frauen, die abtreiben ließen, später stärker zu Depression neigen als andere (Abortion and depression: A population-based longitudinal study of young women Scandinavian. In: Scandinavian Journal of Public Health, 36, 4/2008). Die Ergebnisse der Studie, für die der Soziologe Pedersen an der Universität Oslo elf Jahre hindurch 768 Frauen im Alter zwischen 15 und 27 Jahren wissenschaftlich begleitet hat, zeigten außerdem, dass das Suchtverhalten (Alkohol und Drogen) bei jungen Frauen nach einer Abtreibung signifikant höher war als bei jenen, die sich für ihr Kind entschieden (Childbirth, abortion and subsequent substance use in young women: A populationbased longitudinal study. In: Addiction, 102, 12/2007). AKTUELL Jetzt scheint Bewegung in die Debatte um das Post Abortion Syndrom zu kommen. Mitte August 2008 hatte die »American Psychological Association« (APA) den »Report of the APA Task Force on Mental Health and Abortion« veröffentlicht, wonach es keine wissenschaftlichen Daten gebe, die den Zusammenhang zwischen Abtreibung und psychischen oder auch psychosomatischen Erkrankungen bewiesen. Dem wurde unter anderem im Lancet, einer der führenden internationalen medizinischen Zeitschriften, widersprochen (Women should be offered postabortion psychological care. In: The Lancet, 372, 2008). Im Editorial fordern die Autoren psychologische Beratung und Hilfe nach einer Abtreibung, da unter anderem das »Journal of Youth and Adolescence« eine Studie veröffentlicht habe, die psychische Probleme nach Abtreibung nachweise (Resolution of unwanted pregnancy during adolescence through abortion versus childbirth: Individual and family predictors and psychological consequences. In: Journal of Youth and Adolescence, 35, 6/2006). Angesichts einer Vielzahl von Betroffenen, seien es Frauen, die abgetrieben haben, Männer, die ihre Partnerinnen zur Abtreibung gedrängt haben, Geschwister, Großeltern oder auch direkt an Abtreibung mitwirkende Ärzte, Hebammen und Krankenschwestern, muss die Schweigespirale um das Leid nach Abtreibung endlich durchbrochen werden. 15 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 16 C M Y CM MY CY CMY K AU S L A N D »We can liberaler« Großbritannien besitzt die liberalste Abtreibungsgesetzgebung Europas. Dennoch fürchten britische Politiker inzwischen von anderen Staaten überholt worden zu sein. Obwohl auf der Insel offiziell pro Jahr 200.000 Kinder im Mutterleib getötet werden, gibt es ständig neue Forderungen nach einer weiteren Liberalisierung. Von Dr. Jutta Graf B is zur 24. Schwangerschaftswoche kann in Großbritannien jedes Kind de facto ohne besondere Gründe abgetrieben werden. Was gibt es da noch zu liberalisieren? Könnte man fragen – und das nicht zu Unrecht. Offiziell handelt es sich beim britischen Abtreibungsgesetz um eine Indikationenregelung. Abgetrieben darf unter anderem werden, wenn »die Fortsetzung der Schwangerschaft ein größeres Risiko für die körperliche und geistige Gesundheit der Schwangeren einschließen würde als der Abbruch.« 97 Prozent der Abtreibungen werden unter dieser Indikation vorgenommen, die in der Praxis wie eine soziale Indikation gehandhabt und in jeder beliebigen Situation geltend gemacht wird: So wäre es z.B. eine Gefahr für die geistige Gesundheit der Schwangeren, wenn ein Karrieresprung nicht im geplanten Zeitraum vonstatten gehen könnte. In keinem anderen Land Europas kann unter sozialer Indikation bis zur 24. Woche abgetrieben werden. Insofern hat Großbritannien eine sehr liberale Gesetzgebung. Andererseits gibt es – zumindest offiziell – keine Abtreibung auf Verlangen. Darüber hinaus muss, außer in Notfällen, von zwei Ärzten bestätigt werden, dass eine Indikation zutrifft, und – der größte Dorn im Auge von Pro-Choice-Politikern – der Paragraf gilt nicht für Nordirland. Dort ist Abtreibung nur bei Lebensgefahr der Schwangeren oder ernsthafter Bedrohung ihrer Gesundheit erlaubt. Seit 1990 wurde das Abtreibungsgesetz in Großbritannien nicht verändert. Um es dem aktuellen Stand der Wissenschaft anzupassen, sollte es im Rahmen der Debatte um den Human Fertilisation and Embryology Act (HFEA) 2007 bis 2008, welcher unter anderem die Legalisierung von Hybriden zum Thema hatte, neu aufgerollt werden. Im Juni 2007 kündigte das House of Commons Science and Technology Committee eine Untersu- 16 Probedruck chung zur Abtreibung an, die Ende Oktober desselben Jahres dem Unterhaus präsentiert wurde. Die Untersuchung positionierte sich eindeutig »pro-Abtreibung« und suchte nach Gründen für die Aufrechterhaltung der 24-Wochen-Obergrenze sowie für eine weitere Liberalisierung. Eine ethische Diskussion wollte sie explizit ausschließen. Eine Verkürzung der Obergrenze wäre aus zwei Gründen in Frage gekommen: erstens, weil Babys dank der modernen Medizin auch schon vor der 24. Woche überleben können (die Lebensfähigkeit außerhalb der Gebärmutter ist in Großbritannien ausschlaggebend für den Rechtsschutz), und zweitens, weil eindeutig nachzuweisen ist, dass ein Fötus Schmerz empfindet. Gegen diese Argumente wandte das Komitee ein: Es gebe keine wissenschaftliche Grundlage, die geltende Obergrenze zu verändern. Dass die Überlebensrate frühgeborener Kinder in einzelnen Krankenhäusern beachtenswert sei, wurde in der Untersuchung zwar nicht bestritten. So haben etwa an der Londoner Uniklinik zwischen 1996 und 2000 50 Prozent der in der 22. Woche geborenen Babys überlebt. Da es sich aber nur um einzelne Spitäler und um entsprechend kleine Testgruppen handle, seien diese Daten statistisch nicht relevant, wehrte das Komitee ab. Auch die Frage, ob der Fötus Schmerz empfinde, sei für das Abtreibungsgesetz bedeutungslos. Es gebe zwar Beweise, dass ein Fötus auf schädliche Reize reagiere, dies heiße aber nicht, so das Komitee weiter, »dass Schmerz bewusst wahrgenommen würde, insbesondere nicht unterhalb der 24-Wochen-Obergrenze«. Die Untersuchung lässt zahlreiche Fragen offen. Ist das überlebensfähige ungeborene Kind nur dann von Bedeutung, wenn es in statistisch relevanten Zahlen auftritt? Wird im Zweifelsfall gegen das Kind entschieden? Könnte eine »bewusste« Wahrnehmung von Schmerz nicht auch bei geborenen Babys in Frage gestellt werden? Nichtsdestotrotz waren die Empfehlungen der Untersuchung richtungsweisend, als am 20. Mai 2008 im Unterhaus über die AbtreibungsObergrenze abgestimmt wurde. Von konservativen Abgeordneten wurden verschiedene Anträge auf Verkürzung der Obergrenze – auf 12, 16, 20 und 22 Wochen – eingebracht und heftig diskutiert. Die Abgeordnete und ehemalige Krankenschwester Nadine Dorries, welche die Kampagne für eine Verkürzung auf 20 Wochen initiiert hatte, berichtete bei der Plenarsitzung aus eigener Erfahrung, wie ein abgetriebener Junge lebendig geboren wurde, nach Atem rang und sieben Minuten später starb. Doch die Gegnerseite ließ sich nicht beeindrucken. Mitglieder der Labour Party fühlten sich teilweise ihrer Partei verpflichtet. Andere stimmten deshalb gegen eine Verkürzung, weil sie prinzipiell von LebensForum 88 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 17 den »mühsam erkämpften Rechten über den eigenen Körper« keinen Schritt zurückweichen wollten, wie die LabourAbgeordnete Julie Morgan erklärte. Aber auch unter den Konservativen gab es nicht nur Zustimmung. So vertrat etwa der Abgeordnete John Bercow die Ansicht, durch eine Verkürzung um zwei Wochen würden einige »sehr, sehr, sehr verängstigte und verletzliche Frauen leiden«. Die Anträge wurden schließlich der Reihe nach abgelehnt, sogar eine Verkürzung auf 22 Wochen erreichte nur eine Minderheit von 233 gegen 304 Stimmen. Die Bevölkerung sieht dies ganz anders: 2005 sprachen sich laut dem »Daily Telegraph« in einer Studie dreiviertel der Befragten für eine niedrigere Abtreibungs-Obergrenze aus. Im Juni 2008 wurden von Pro-ChoiceAbgeordneten Änderungsanträge zur Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes erarbeitet, über die am 22. Oktober in der dritten und letzten Lesung zum HFEA abgestimmt werden sollte. Für eine Abtreibung bräuchten demnach keine Indikationen vorliegen, sondern sie müsse lediglich mit den »Bedingungen und Prinzipien guter medizinischer Praxis« vereinbar sein. Ein so vage formulierter Gesetzestext hieße in der Praxis nichts anderes als Abtreibung auf Verlangen bis zur 24. Woche. Zudem sollte nur noch eine einzige ärztliche Unterschrift erforderlich sein. Ferner: Abtreibungen sollten künftig auch von Hebammen und Krankenschwestern durchgeführt werden. Damit könnte die unter Ärzten unbeliebte »schmutzige Arbeit« auf das untergeordnete Personal abgewälzt werden, befürchtet die Society for the Protection of Unborn Children (SPUC). Zudem würde Abtreibung billiger und damit lukrativer. Weiters sollte ein Schwangerschaftsabbruch örtlich nicht mehr auf Krankenhäuser und Abtreibungskliniken beschränkt sein, sondern auch in gewöhnlichen Arztpraxen, Gesundheitszentren oder Schulkrankenräumen stattfinden. Lebensschutzorganisationen warnen vor einer weiteren Trivialisierung der Abtreibung, sowie vor Gefahren für die Frau bei Komplikationen. Das Recht zur Weigerung aus Gewissensgründen sollte zwar nicht grundsätzlich abgeschafft werden, es sollte jedoch fortan ausdrücklich nicht für die so genannte »Notfallverhütung« gelten. Ärzte, Schwestern und Apotheker wären somit gezwungen worden, gegen ihr Gewissen frühabtreibende Mittel auszuhändigen. So genannte »irreführende Werbung« sollte laut Änderungsantrag mit bis zu zwei Jahren Haft geahndet werden. Um einer StraLebensForum 88 Probedruck M Y CM MY fe zu entgehen, müssten Beratungsstellen, die keine Abtreibungen vermitteln, dies von Vornherein eindeutig erkennbar machen. Mehrere lebensbejahende Beratungszentren wären davon betroffen, wie etwa das Brighton Counselling Centre: Dort wird Abtreibungsberatung beworben, aber keine Abtreibung vermittelt. Sechs Abgeordnete (keiner von ihnen aus einem nordirischen Wahlkreis) stellten den Antrag das Abtreibungsgesetz auf Nordirland auszuweiten. Die Initiatorin Diane Abbott meinte, es gäbe gute Chancen den Antrag durchzubringen. Die irischen Abgeordneten aller Parteien sprachen sich geschlossen und vehement gegen diesen Angriff aus. Der irische Abgeordnete David Simpson sagte: »Jeder Abgeordnete im Unterhaus weiß sehr gut, dass dies nicht stattfinden würde, wenn es die örtlichen Politiker und Einwohner zu entscheiden hätten.« Die Obmänner der vier großen Parteien Nordirlands schrieben an jeden britischen Abgeordneten, um ihre Opposition deutlich zu machen. Am Wochenende vor der Abstimmung demonstrierten in Stormont tausende Iren gegen die Ausweitung des Abtreibungsgesetzes. »Wenn uns Westminster das Abtreibungsgesetz aufzwingt, werde ich als Minister es nicht einführen«, meinte der irische Minister und Abgeordnete Jeffrey Donaldson und kritisierte: »Unsere Gegner sagen, dass es um Gleichheit geht. Wo ist also die Gleichheit für die Menschen von Nordirland, wenn sie nichts mitzureden haben über ein Gesetz, das sie nicht wollen?« Über 100.000 Unterschriften nordirischer Abtreibungsgegner wurden am 20. Oktober Premierminister Gordon Brown übergeben. Aber auch in den übrigen Teilen Großbritanniens gab es heftigen Widerstand gegen die beantragte Liberalisierung des Gesetzes. Viele Lebensschutzgruppen arbeiteten zu diesem Zweck zusammen, sowohl von anglikanischer und evangelikaler als auch von katholischer Seite. Einzelne Bischöfe ergriffen mutig das Wort; die katholische Bischofskonferenz sandte ein zweiseitiges Merkblatt an alle Pfarren, in welchem die Gläubigen dringend aufgefordert wurden an die Abgeordneten ihrer Wahlkreise zu schreiben. »Wenn Menschen, die ihrem Gewissen verpflichtet sind, nicht handeln, besteht die sehr ernste Gefahr, dass das Abtreibungsgesetz noch schlimmer ausfallen wird, als es jetzt schon ist«, so der Appell des bischöflichen Schreibens. Für den Abend des 22. Oktober war die Abtreibungsdebatte im Unterhaus vorgesehen. Wäre es tatsächlich zur Abstimmung gekommen, hätten die befürch- CY CMY K teten Änderungen mit allergrößter Wahrscheinlichkeit eine Mehrheit gefunden. Laut dem Daily Telegraph habe Gordon Brown persönlich interveniert und gewarnt, dass die Zeit für diese Kontroverse nicht reif sei. Da- Gordon Brown raufhin wurden die Tagesordnungspunkte vom zuständigen Minister so umdisponiert, dass für eine Abtreibungsdebatte keine Zeit mehr blieb. Da es zum HFEA keine weitere Lesung mehr gibt, war die Abtreibungsdebatte auf unbestimmte Zeit vertagt. Laut Betty Gibson, der Vorsitzenden von SPUC Nordirland, habe Brown erkannt, dass er es »mit einem rechtsstaatlichen Dilemma zu tun hätte«, sollten die Abgeordneten in Westminster die Nordirland-Versammlung einfach übergehen. Die Initiatorin des Nordirland-Antrags Diane Abbot bezeichnete die Umdisponierung der Tagesordnung als »schäbiges Manöver von Ministern«; auch von einem »schockierenden Akt des Verrates gegen Frauen« war die Rede. Für eine Generation sei die Chance verloren, dass irische Frauen endlich die »gleichen Rechte« genießen würden wie die übrigen Britinnen. Dieser Aufschrei hat wohl eine gewisse Berechtigung, denn wenn – wie geplant – die Justizgewalt bald an die NordirlandVersammlung abgegeben wird, so ist die nötige Mehrheit für Abtreibung bei weitem nicht in Aussicht. Für Nordirland ist die Debatte also vorerst glimpflich ausgegangen. Und die übrigen Provinzen? Abtreibung auf Verlangen hätte im Parlament reale Aussichten auf eine Mehrheit. Selbst für den Fall, dass die konservative Partei wieder die Mehrheit erringen sollte, sei noch nichts gewonnen, warnt SPUC. Denn gut ein Viertel der Konservativen habe in der Embryonen-Debatte gegen die Anliegen des Lebensschutzes gestimmt. Auch in der Abtreibungsfrage sei nichts anderes zu erwarten. Laut dem »Independent« haben einflussreiche konservative Parlamentarier bereits angekündigt, den Abtreibungsparagrafen diskutieren zu wollen. Ihrer Ansicht nach solle die 24Wochen-Obergrenze zwar verkürzt, Abtreibung im Übrigen aber liberalisiert werden. Weiterkämpfen – lautet einstweilen die Devise der britischen Lebensschutzorganisationen – und die Hoffnung auf ein Umdenken nicht verlieren. 17 ARCHIV C LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 18 C M Y CM MY CY CMY K GESELLSCHAFT Voller Lücken Seit Ende August berät der Bundestag einen von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf für ein neues Gendiagnostikgesetz. Laut Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) soll das geplante Gesetz die Chancen des Einsatzes genetischer Untersuchungen wahren und mögliche Gefahren bannen. Das hört sich gut an. Kritik gibt es dennoch. Von Matthias Lochner U nd das gleich von allen Seiten. Zwar wird der Gesetzesentwurf im Ganzen sowohl parteiübergreifend als auch seitens der Länder und der Ärzteschaft begrüßt, doch so richtig zufrieden ist kaum jemand mit ihm. Aber der Reihe nach: Die Grundsätze des Gesetzesentwurfs sind laut Bundesregierung das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Verbot von Diskriminierung aufgrund genetischer Eigenschaften. Um diesen Rechnung zu tragen, sieht der Entwurf vor, dass Gentests künftig nur noch mit Einwilligung der zu untersuchenden Person und ausschließlich von Ärzten durchgeführt werden dürfen. Vorgeburtliche genetische Untersuchungen sollen auf medizinische Zwecke beschränkt werden. Bei der Untersuchung des Embryos dürfen nur Eigenschaften untersucht werden, welche die Gesundheit des Kindes vor oder nach der Geburt beeinträchtigen können. Vaterschaftstests sind nur dann zulässig, wenn auch die zu untersuchende Person in den Test eingewilligt hat. Arbeitgeber dürfen dem Entwurf zufolge keine genetischen Untersuchungen von Mitarbeitern, Versicherungsunternehmen nicht von Kunden fordern. Auch haben Versicherungsunternehmen nicht das Recht, Auskünfte über bereits erfolgte Gentests zu verlangen. Ausnahmen soll es für besonders hohe Versicherungssummen geben: Ab einer Versicherungssumme von 300.000 Euro sollen die Ergebnisse von Gentests vorgelegt werden, um einem möglichen Missbrauch vorzubeugen. Die Oppositionspolitikerin Birgitt Bender (Bündnis 90/Die Grünen) wirft der Regierung deshalb vor, gegenüber der Versicherungswirtschaft eingeknickt zu sein. Und auch die Bundesärztekammer (BÄK) ist mit dem Gesetz nicht rundum zufrieden. Zwar attestiert die Standesvertretung der Ärzte dem Gendiagnostikgesetz »viele gute Ansätze« aber eben auch »einige Schwächen«. Begrüßt 18 Probedruck wird der Arztvorbehalt bei prädikativen genetischen Untersuchungen. Zudem stelle das Gesetz klar, dass niemand wegen genetischer Eigenschaften diskriminiert werden dürfe. Deshalb sei es richtig, genetische Untersuchungen auf Verlangen des Arbeitgebers oder eines Versicherungsunternehmens grundsätzlich zu verbieten. Auch weitere wichtige Forderungen der Ärzteschaft wie die Verankerung eines Rechts auf Nichtwissen und die Freiwilligkeit der Teilnahme an Gentests seien in dem Entwurf berücksichtigt worden. Allerdings kritisiert BÄK-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe die in das ärztliche Berufsrecht hineinreichenden Regelungen zur Qualitätssicherung und zur Prüfung der Qualifikation von Ärzten. Nach den Heilberufsgesetzen der Bundesländer obliege die Festlegung der Anforderungen »Kommt ein Abbruch nicht in Frage, sollte man keinen Test machen.« an die Qualifikation der Ärzte zur genetischen Beratung den Landesärztekammern. Über diese Aufgabenzuweisung setze sich der Entwurf teilweise hinweg. »Damit wird das bewährte Zusammenwirken von Staat und Selbstverwaltung nachhaltig gefährdet«, so Hoppe. Ferner bemängelt die BÄK, Kinder würden bei genetischen Untersuchungen durch das Gesetz nur unzureichend geschützt. Dem Nachrichtenmagazin »Focus« sagte Hoppe, das Gesetz befreie die Eltern nicht von der Pflicht, bei Gentests des Nachwuchses eine besondere Vorsicht walten zu lassen. Weniger ist hier oft mehr: Dies gilt bereits für Untersuchungen des Embryos im Mutterleib. »Oft kann man damit nur ein Krankheitsrisiko bestimmen, das bringt Schwangere in eine schwierige Lage. Kommt ein Ab- bruch nicht in Frage, sollte man keinen solchen Test machen«, rät Hoppe. Lücken weise das Gesetz auch dort auf, wo es darum gehe, Kinder vor dem Wissen über ihre Erbanlagen zu schützen. Im Gesetz sei zwar ein Recht auf Nichtwissen festgelegt, so Hoppe. Der damit verbundene Schutz ist aber offenbar eher spärlich. Hätten Eltern etwa Kinder auf eine Anfälligkeit für bestimmte Krebsarten testen lassen, seien diese später verpflichtet, das so erworbene Wissen – etwa beim Abschluss einer hohen Lebensversicherung – anzugeben. Das stelle hohe Anforderungen auch an die beratenden Ärzte. »Umfangreiche Aufklärung vorher ist die beste Methode. Anders sind genetische Untersuchungen bei Minderjährigen kaum zu regeln. Kinder sind sonst nicht ausreichend geschützt – weder vor der Geburt noch danach«, resümiert der BÄK-Präsident. Auch der Bundesrat bewertet in einer ausführlichen Stellungnahme das geplante Gendiagnostikgesetz zwar grundsätzlich positiv, fordert zugleich aber Änderungen am Entwurf. So sei es etwa unverständlich, dass der Umgang mit genetischen Proben und Daten zu Forschungszwecken von den Regelungen des Gendiagnostikgesetzes ausgenommen werden solle. »Dies erscheint angesichts der immer noch wachsenden Zahl von Biobanken, die Proben sowie umfangreiche medizinischdiagnostische Daten auch aus genetischen Untersuchungen vorhalten, nicht angemessen«, so die Länder. Im Gegensatz zur Ärzteschaft bemängelt der Bundesrat zudem die Absicht der Bundesregierung, die genetischen Untersuchungen nur von Ärzten durchführen zu lassen. Der so genannte Arztvorbehalt sei bei der Untersuchung von Neugeborenen »nicht praxistauglich«. Hebammen und Geburtshelfer müssten dazu weiterhin berechtigt sein. Das Argument: Nur so könne gewährleistet werden, dass nahezu alle Neugeborenen vom Screening LebensForum 88 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 19 C LebensForum 88 Probedruck Y CM MY CY CMY Gerade der gesellschaftliche Druck auf Eltern, die kein gesundes Kind bekommen, könnte ansonsten in Zukunft stark zunehmen, gab Rüttgers zu Bedenken. Das sei keine Theorie und auch keine Utopie. Schon heute würden viele Kinder abgetrieben, nur weil die Wahrscheinlichkeit bestehe, dass sie nicht ganz gesund seien, bekräftigte der promovierte Jurist. »Wollen wir riskieren, dass Kinder nicht zur Welt kommen, nur weil der Verdacht K ARCHIV Karl Lauterbach bezeichnete Rüttgers Behauptung, Abtreibungen könnten aufgrund des Gesetzes künftig vorgenommen werden, wenn eine genetische Veranlagung für einen späteren Ausbruch von Erkrankungen diagnostiziert werde, als »absurd«. »Kein Arzt und kein Krankenhaus würden eine solche Diagnose als Grund für einen Schwangerschaftsabbruch akzeptieren«, äußerte Lauterbach gegenüber dem »Kölner Stadt-Anzeiger«. WWW.JUERGEN-RUETTGERS.DE erfasst würden. Darüber hinaus fordern die Länder die Beseitigung begrifflicher Unschärfen im Gesetzesentwurf. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass das Gesetz auch auf Untersuchungen angewendet werde, die lediglich der Feststellung einer erhöhten Krankheitswahrscheinlichkeit dienten. Der Bundesrat plädiert ferner für eine Stärkung der Rechte der Betroffenen. Diese müssten ihre Einwilligung zu einem Gentest jederzeit widerrufen können – auch mündlich. Ein Hauptstreitpunkt des Gesetzesentwurfs sind die Regelungen zu so genannten prädikativen genetischen Untersuchungen, also Gentests für erst später im Leben ausbrechende Krankheiten. Zu solchen Erkrankungen zählt neben Alzheimer beispielsweise auch Chorea Huntington, eine nur selten auftretende, dominant vererbbare Krankheit. Die Symptome der tödlichen Erkrankung, zu denen Bewegungsstörungen und ein langsamer Verfall des Gehirns und des Körpers zählen, treten in der Regel erst bei Patienten über 30 Jahren auf. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) kritisierte das Gesetzesvorhaben in diesem Punkt scharf. In seiner Rede anlässlich des 50jährigen Bestehens der Kölner Gesellschaft für christlich jüdische Zusammenarbeit warnte Rüttgers davor, dass künftig »Gene über Leben und Tod« entschieden. Laut dem Gesetz dürfe ein Embryo »genetisch auf ein Alzheimer-Risiko getestet und abgetrieben werden. Obwohl niemand sagen kann, ob die Krankheit nach 70, 75 oder 80 Jahren tatsächlich auch ausbricht. Das rüttelt an den Grundfesten unseres Menschenbildes«, beklagte der CDU-Politiker. Wenig später untermauerte Rüttgers seine Kritik an dem Gesetzentwurf des Kabinetts Merkel noch einmal ausführlich in einem Gastbeitrag für die »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. Unter dem Titel »Im Zweifel für den Embryo« bezeichnete der NRW-Ministerpräsident das Gesetz zwar grundsätzlich als positiv, mahnte aber zugleich an, dass der Entwurf weder ein Verbot von Untersuchungen für Krankheiten enthalte, die zu einem späteren Zeitpunkt im Leben eines Menschen auftreten können, noch für solche, die unheilbar sind. Schon beim Embryonenschutzgesetz sei es schwer gewesen, ethische Grenzen zu ziehen. »Deshalb müssen wir uns fragen, ob wir nicht Tür und Tor für den Missbrauch öffnen, wenn wir das Verbot für Untersuchungen spätmanifester Krankheiten nicht gesetzlich regeln.« M Jörg-Dietrich Hoppe, Bundesärztekammer-Präsident NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) auf eine spätmanifeste Krankheit besteht? Also allein aufgrund der Diagnose der Wahrscheinlichkeit, dass irgendwann einmal im Leben eine schwere Krankheit auftreten könnte – als Ursache eines genetischen Defekts?« Dies sei weder mit dem christlichen Menschenbild noch mit dem Menschenbild des Grundgesetzes vereinbar, so Rüttgers. Die Reaktionen auf die Äußerungen des CDU-Politikers ließen nicht lange auf sich warten. Während einige Politiker Rüttgers zustimmten, widersprachen an- Zustimmung erhielt Rüttgers hingegen von der Kölner CDU-Bundestagsabgeordneten Ursula Heinen: »Jürgen Rüttgers hat Recht, wenn er sagt, dass im Gendiagnostikgesetz eine Verbindung zwischen Gentests an spätmanifesten Krankheiten und Spätabtreibungen herstellbar ist.« Das Gesetz müsse daher enger gefasst werden, als es derzeit beabsichtigt sei. Gentests im Mutterleib sollten untersagt werden, wenn es sich dabei um so genannte spätmanifeste Krankheiten handele. Ein Beratungsangebot für schwangere Frauen reiche nicht aus. »Die Frage ist doch, was fängt man mit dem Wissen an«, so Heinen. Die Medizinrechtsexpertin der Grünen, Ulrike Riedel, bemängelt zwar, Rüttgers Aussage, ein Embryo dürfe genetisch auf ein Alzheimer-Risiko getestet und abgetrieben werden, beruhe auf einer falschen Auslegung des Paragrafen 218. »So wie er ihn versteht, ist es eigentlich nicht möglich«, so Riedel. Allerdings begrüßte auch sie grundsätzlich die Kritik des CDU-Ministerpräsidenten: »Es ist genau das, was die Grünen auch gesagt haben.« Ihre Partei stimme mit Rüttgers überein, dass ungeborene Kinder auf spät manifestierende Krankheiten nicht genetisch »Die Frage ist doch, was fängt man mit dem Wissen an?« dere heftig. »Das Gesetz eröffnet in keiner Weise die Möglichkeit zu Schwangerschaftsabbrüchen, die mit einer eventuell zu irgendeinem Zeitpunkt einmal ausbrechenden Erkrankung des Ungeborenen gerechtfertigt würden«, meinte etwa der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU). Der SPD-Gesundheitsexperte 19 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 20 C M Y CM MY CY CMY K GESELLSCHAFT getestet werden dürften. Die Grünen verlangen, dass die Regierung ein entsprechendes Verbot der prädikativen Tests ins Gesetz aufnimmt. Aus ihrer Sicht zeigt sich darin die ganze Problematik der vorgeburtlichen Diagnostik. »Es können nur sehr wenige Krankheiten in der Gebärmutter therapiert werden«, sagte Riedel. Unterstützung erhält Rüttgers auch aus Brüssel. Der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Bioethik der christlich-konserARCHIV Dr. med. Peter Liese (CDU) vativen Fraktion im Europäischen Parlament, Peter Liese, nahm Rüttgers in Schutz. »Im Kern hat Rüttgers Recht. Die Gefahr, dass Kinder wegen des Risikos einer Erkrankung, die erst im Erwachsenenalter auftritt, abgetrieben werden, ist überhaupt nicht weit hergeholt«, so WWW:SPD.DE hauptungen seien absurd und kein Arzt und kein Krankenhaus würde eine solche Diagnose als Grund für einen Schwangerschaftsabbruch akzeptieren, muss man Lauterbach entgegenhalten, dass er die Zwänge, unter denen Ärzte im In- und Ausland stehen, nicht kennt«, bemängelt der CDU-Europapolitiker. An der Freien Universität Brüssel beispielsweise würden Embryonen im Rahmen der Präimplantationsdiagnostik aussortiert, weil sie ein Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) erhöhtes Risiko für Brustkrebs tragen. Wenn so etwas heute in Europa möglich sei, könne man nicht so tun, als gäbe es keinen Diskussionsbedarf. Der Gesetzgeber dürfe sich hier nicht aus der Verantwortung stehlen. »Wie beim Thema Spätabtreibungen muss die Politik eine Entscheidung treffen und darf nicht immer nur an die Verantwortung der Ärzte appellieren«, so Liese. »Wie beim Thema Spätabtreibungen Von erschreckender Unkenntnis zeuge auch die Aussage von Bunmuss die Politik eine Entscheidung treffen.« desgesundheitsministerin Ulla Schmidt, es gäbe derzeit keine Tests, die spätere Krankheiten wie Liese. Schon heute sei Pränataldiagnostik Krebs prognostizieren können. »Selbstauch mit der Möglichkeit einer Abtreiverständlich gibt es schon gut etablierte bung bei sich spät manifestierenden ErTests für dominant-erbliche spät manifeskrankungen, wie erblich bedingten Zystierende Erkrankungen, wie polyzystische tennieren oder Chorea Huntington, mögNierenerkrankungen oder Chorea Hunlich. Sie werde in Deutschland und im tington.« Auch Tests, die ein gewisses Ausland praktiziert. »Die Gefahr, dass Risiko für Brust- oder Darmkrebs vorhersich dieses Problem in Zukunft ausweitet, sagen, seien bereits auf dem Markt. »Zwar ist reell. Es wird eine Vielzahl von geneist ihre Aussagekraft problematisch, aber tischen Tests geben, die auch das Risiko so einfach wie Ulla Schmidt kann man von Volkskrankheiten wie Herzinfarkt es sich bestimmt nicht machen«, beklagte oder Krebs beziffern können«, ist der Liese. promovierte Humangenetiker sicher. Scharf ins Gericht ging der Mediziner »Wenn der SPD-Bundestagsabgeordauch mit der Äußerung Schmidts, Rüttnete Karl Lauterbach sagt, Rüttgers Begers unterstelle zu Unrecht einen Auto20 Probedruck matismus zwischen vorgeburtlicher Untersuchung und Schwangerschaftsabbruch. »Auch hier kennt Ulla Schmidt die Praxis nicht«, so der Mediziner. Leider gebe es nur in ganz wenigen Fällen eine vorgeburtliche Therapie. Deswegen sei der Zweck einer vorgeburtlichen Untersuchung fast immer, dass im Falle eines Hinweises auf die Krankheit eine Abtreibung stattfinde. »Dies zu verschleiern, ist unverantwortlich und führt dazu, dass Frauen Pränataldiagnostik durchführen lassen und sich dem entsprechenden Risiko aussetzen, obwohl für sie eine Abtreibung nicht in Betracht kommt«, kritisierte Liese. Der für medizinische Grundsatzfragen und Gentechnik zuständige Berichterstatter der Unionsfraktion im Gesundheitsausschuss, Hubert Hüppe (CDU), rechnet denn auch mit Korrekturen an dem Gesetzesentwurf. So gebe es in seiner Fraktion Bedenken gegenüber vorgeburtlichen Gentests, die mögliche Risiken für sich erst spät manifestierende Krankheiten aufzeigen könnten, sagte Hüppe in Berlin. Abgeordnete teilten die Überzeugung Jürgen Rüttgers, dass solche Tests verboten werden sollten. Er selbst dränge auf ein Verbot solcher Untersuchungen an Embryonen, zumal der Eingriff selbst zum Teil ein hohes Risiko für das ungeborene Kind mit sich bringe, jedoch ohne therapeutischen Nutzen sei. Unter Verweis auf die aktuelle Debatte um Spätabtreibungen mahnt der CDU-Politiker: »Es darf nicht dazu kommen, dass noch mehr Kinder abgetrieben werden, nur weil eine erhöhte Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie möglicherweise Jahrzehnte später erkranken.« IM PORTRAIT Matthias Lochner Der Autor, Jahrgang 1984, studiert Deutsch, Geschichte und Katholische Theologie für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen an der Universität zu Köln. Er ist seit 2001 Mitglied der ALfA. Im Mai diesen Jahres wurde er zum Vorsitzenden der »Jugend für das Leben« (JfdL), der Jugendorganisation der ALfA, gewählt. Als freier Journalist publiziert Matthias Lochner regelmäßig auch in LebensForum. LebensForum 88 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 21 C M Y CM MY CY CMY K GESELLSCHAFT Fürsorge versus Autonomie Ende Oktober und Mitte November haben Abgeordnete des Deutschen Bundestages zwei neue Gesetzentwürfe zur Patientenverfügung zur parlamentarischen Beratung in den Bundestag eingebracht. Unser Autor hat sie studiert. Von Rainer Beckmann D LebensForum 88 Probedruck den Abbruch oder Verzicht auf lebenserhaltende medizinische Maßnahmen für eine Situation verlangt, in der die Krankheit nicht zwingend einen tödlichen Verlauf nehmen wird. In diesen Fällen muss sich der Patient vor Abfassung der Patientenverfügung einer ärztlichen Beratung unterzogen haben und eine Dokumentation der Beratung der Erklärung beifügen. die dem Patienten nahestehen (»beratendes Konsil«), zwischen Arzt und Betreuer bzw. Bevollmächtigtem Einigkeit besteht, dass dieses Vorgehen dem Willen des Patienten entspricht. In den zahlreichen Fällen, in denen es somit zu einer gerichtlichen Entscheidung kommt, muss zum einen für den Patienten jeweils ein so genannter Verfahrenspfleger BILDERBOX - FOTOLIA.COM em Deutschen Bundestag liegt schon seit März dieses Jahres ein Gesetzentwurf zur Regelung von Patientenverfügungen vor (BTDrs. 16/8442). Unter Federführung des SPD-Abgeordneten Joachim Stünker strebt eine Gruppe von Parlamentariern an, Patientenverfügungen in möglichst vielen Fällen unmittelbare Geltung zu verschaffen. Diesen Gesetzentwurf könnte man mit dem Etikett »autonomie-zentriert« belegen, da die Elemente der Fürsorge und Missbrauchsabwehr nur geringe Ausprägung erfahren. Ganz in Gegensatz dazu steht ein Ende Oktober 2008 von einer weiteren Abgeordnetengruppe vorgelegter Entwurf. Unter Federführung des stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagesfraktion, Wolfgang Bosbach, dem SPD-Abgeordneten Rene Röspel und der grünen Vizepräsidentin des Bundestages Katrin Göhring-Eckhardt, wurde ein Regelungsvorschlag erarbeitet, der unterschiedliche Voraussetzungen für die Wirksamkeit von Patientenverfügungen in verschiedenen Krankheitssituationen verlangt und in erheblichem Umfang auf soziale und gerichtliche Kontrolle setzt. Der neue Gesetzentwurf hat den Nachteil, dass er in seiner Gesetzessystematik für den Laien auf der ersten Blick schwer zu durchschauen ist. Da derartige Regelungen aber für den einfachen Bürger ohnehin durch Broschüren und Formulare erst »anwendbar« gemacht werden, sollte hieraus allein keine negative Einschätzung abgeleitet werden. Der Entwurf differenziert zwischen unterschiedlichen Krankheitssituationen. Soll die Patientenverfügung verbindlich den Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen vorschreiben, dann reicht eine schriftliche Erklärung aus, wenn sie sich auf den Fall einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Krankheit bezieht. Das gleiche gilt für die Situation des irreversiblen Bewusstseinsverlustes. Anders sieht es aus, wenn der Patient in seiner Verfügung Wird zunehmend verrechtlicht: Selbstverständlichkeiten im Umgang mit Patienten. Die Patientenverfügung muss ferner vor einem Notar errichtet worden sein. Sie darf außerdem nicht älter als 5 Jahre sein oder muss innerhalb der letzten 5 Jahre nach erneuter ärztlicher Beratung bestätigt worden sein. Ein weiterer wesentlicher Punkt dieses Gesetzentwurfes liegt darin, dass die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung in eine lebenserhaltende Maßnahme durch den rechtlichen Vertreter des Patienten (Betreuer oder Bevollmächtigter) grundsätzlich vom Vormundschaftsgericht genehmigt werden muss. Dies ist nur dann nicht der Fall, wenn nach ärztlicher Überzeugung eine unheilbare, tödlich verlaufende Krankheit vorliegt und nach Beratung mit Personen, bestellt und zum anderen ein gesondertes medizinisches Gutachten eingeholt werden. Der Gesetzentwurf setzt damit auf teilweise hohe formale Hürden und soziale wie gerichtliche Kontrollmechanismen (beratendes Konsil; Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht). Etwas unklar bleibt bei diesem Gesetzentwurf, welche Konsequenzen der Wunsch eines Patienten haben wird, in einer bestimmten Situation auf künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr zu verzichten. Nach den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung zählt zur so genannten »Basisversorgung« zwar das »Stillen von Hunger und Durst«. Der Arzt muss aber hinsichtlich der künstlichen Nahrungs- und Flüssigkeits21 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 22 C M Y CM MY CY CMY K GESELLSCHAFT ANZEIGE zufuhr »den Willen des Patienten beachten«. Der Gesetzentwurf von Bosbach/Röspel/Göhring-Eckardt sieht dagegen im Gesetzeswortlaut vor, dass Maßnahmen der Basisversorgung »nicht ausgeschlossen« werden können und erläutert dies in der Begründung so, dass »ein völliger Entzug von Nahrung und Flüssigkeit« ebenfalls ausgeschlossen ist, »selbst wenn dies in einer Patientenverfügung so formuliert ist«. Da es beim Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen sprichwörtlich »um Leben und Tod« geht, ist dieser »fürsorge-orientierte« Ansatz grundsätzlich nachvollziehbar, erscheint aber im Ergebnis so kompliziert und bürokratisch, dass seine Chancen, eine parlamentarische Mehrheit zu finden, dadurch Schaden nehmen könnte. Dies hat offenbar eine dritte Gruppe von Bundestagsabgeordneten um den CSU-Politiker Wolfgang Zöller erkannt, die Anfang November 2008 einen weiteren Gesetzentwurf zur Regelung von Patientenverfügungen vorgestellt hat. Dieser ist eine Weiterentwicklung eines schon vor längerer Zeit erarbeiteten Vorschlags. Er verzichtet bewusst auf allzu bürokratische Vorgaben und behandelt alle möglichen Anwendungssituationen gleich. Zu einer Entscheidung des Vormundschaftsgerichts soll es immer dann kommen, wenn Arzt und Patientenvertreter bei der Ermittlung des Patientenwillens keine Einigkeit erzielen. Die Regelungen der beiden Gesetzentwürfe unterscheiden sich auch bei der Frage, wie vorzugehen ist, wenn ein eindeutiger, auf die aktuelle Entscheidungssituation zutreffender Patientenwille nicht vorliegt. Dann muss – schon gemäß bisheriger Gerichtspraxis – nach dem so genannten »mutmaßlichen Willen« entscheiden werden. Während die Abgeordnetengruppe um Bosbach in diesen Fällen immer eine Entscheidung des Vormundschaftsgerichts für notwendig hält, bleibt es für Zöller bei dem Grundsatz, dass nur dann die Genehmigung des Gerichts notwendig ist, wenn sich Arzt und Patientenvertreter nicht über den (mutmaßlichen) Patientenwillen einigen können. 22 Probedruck Ob sich nun der eine oder der andere Entwurf im Parlament durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Nach den gegenwärtigen Planungen soll es noch im Frühjahr 2009 zu einer Bundestagsentscheidung – ohne den sonst üblichen Fraktionszwang – kommen. Die meisten bereits verfassten Patientenverfügungen werden auch danach noch Bestand haben. Und auch die Abneigung vieler Menschen, im Vorhinein Festlegungen für ihre medizinische Behandlung am Lebensende zu treffen, wird fortbestehen. Die Erfahrungen anderer Länder zeigen, dass nur eine Minderheit der Bevölkerung diese Form der »Vorsorge« für ein »selbstbestimmtes« Sterben für sinnvoll hält. Man mag das begrüßen oder bedauern, als Faktum wird man es hinnehmen müssen. Patientenverfügungen sind schließlich keine Patentlösung für den Umgang mit Sterben und Tod. Sie sind lediglich geeignet, Maßnahmen zu begrenzen und damit einer unbarmherzigen Apparatemedizin entgegenzuwirken. Aber wäre das nicht ohnehin Aufgabe unseres Gesundheitssystems? Alle Menschen sollten darauf vertrauen können, in unserem hochentwickelten Gesundheitssystem menschenwürdig sterben zu können, auch dann, wenn sie keine Patientenverfügung verfasst haben. Da man künftige Entwicklungen ohnehin nicht in jedem Detail voraussehen und damit auch nicht »vorausentscheiden« kann, sollte in der gesellschaftlichen Diskussion dem Instrument der »Vorsorgevollmacht« mehr Beachtung geschenkt werden. Wenn der Patient selbst nicht mehr in der Lage ist, die erforderlichen Erklärungen zu seiner medizinischen Behandlung abzugeben, dann sollte er wenigsten rechtzeitig selbst eine Vertrauensperson auswählen und mit Vertretungsmacht ausstatten, damit diese an seiner Stelle dem Arzt als Ansprechpartner zur Verfügung stehen kann. Auf diese Weise kann wohl am ehesten sicher gestellt werden, dass immer die aktuell beste Entscheidung für den Patienten getroffen wird – egal, welche formellen und verfahrensmäßigen Regelungen der Gesetzgeber für Patientenverfügungen beschließen wird. LebensForum 88 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 23 C M Y CM MY CY CMY K D O K U M E N TAT I O N »Natürlich, gewöhnlich, verhältnismäßig« Unter welchen Umständen auf die Versorgung von Patienten mit Wasser und Nahrung verzichtet werden kann oder ob diese unter allen Umständen geboten ist, gilt selbst unter Experten als umstritten. LebensForum dokumentiert die Position der vatikanischen Glaubenskongregation, die sich im vergangenen Jahr ausführlich mit dieser Frage beschäftigt hat. Frage: Ist die Ernährung und Wasserversorgung (ob auf natürlichen oder künstlichen Wegen) eines Patienten im »vegetativen Zustand« moralisch verpflichtend, außer wenn Nahrung und Wasser vom Körper des Patienten nicht mehr aufgenommen oder ihm nicht verabreicht werden können, ohne erhebliches physisches Unbehagen zu verursachen? Antwort: Ja. Die Verabreichung von Nahrung und Wasser, auch auf künstlichen Wegen, ist prinzipiell ein gewöhnliches und verhältnismäßiges Mittel der Lebenserhaltung. Sie ist darum verpflichtend in dem Maß, in dem und solange sie nachweislich ihre eigene Zielsetzung erreicht, die in der Wasser- und Nahrungsversorgung des Patienten besteht. Auf diese Weise werden Leiden und Tod durch Verhungern und Verdursten verhindert. Frage: Falls ein Patient im »anhaltenden vegetativen Zustand« auf künstlichen Wegen mit Nahrung und Wasser versorgt wird, kann deren Verabreichung abgebrochen werden, wenn kompetente Ärzte mit moralischer Gewissheit erklären, dass der Patient das Bewusstsein nie mehr wiedererlangen wird? Antwort: Nein. Ein Patient im »anhaltenden vegetativen Zustand« ist eine Person mit einer grundlegenden menschlichen Würde, der man deshalb die gewöhnliche und verhältnismäßige Pflege schuldet, welche prinzipiell die Verabreichung von Wasser und Nahrung, auch auf künstlichen Wegen, einschließt. LebensForum 88 Probedruck Papst Benedikt XVI. hat in der dem unterzeichneten Kardinalpräfekten gewährten Audienz die vorliegenden Antworten, die in der Ordentlichen Versammlung dieser Kongregation beschlossen worden sind, gutgeheißen und deren Veröffentlichung angeordnet. Rom, am Sitz der Kongregation für die Glaubenslehre, am 1. August 2007. William Kardinal Levada, Präfekt Erzbischof Angelo Amato, S.D.B., Sekretär schwerer Krankheit der Patient und jene, die für ihn sorgen, das Recht und die Pflicht haben, die für die Erhaltung der Gesundheit und des Lebens notwendige Pflege zu leisten. Auf der anderen Seite beinhaltet diese Pflicht gewöhnlich nur ARCHIV A ntworten auf Fragen der Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten bezüglich der künstlichen Ernährung und Wasserversorgung KOMMENTAR Die Kongregation für die Glaubenslehre hat die Antwort auf zwei Fragen formuliert, der von Bischof William S. Skylstad, dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten von Amerika, mit Schreiben vom 11. Juli 2005 vorlegt worden sind. Dabei geht es um die künstliche Ernährung und Wasserversorgung von Patienten, die sich in einem sogenannten »vegetativen Zustand« befinden. Gegenstand der Fragen ist, ob die Ernährung und Wasserzufuhr, vor allem wenn sie auf künstlichen Wegen erfolgen, nicht eine übermäßig schwere Belastung für diese Patienten, für die Angehörigen und für das Gesundheitssystem darstellen, so dass sie, auch im Licht der kirchlichen Morallehre, als außergewöhnliches oder unverhältnismäßiges Mittel und damit als nicht moralisch verpflichtend betrachtet werden könnten. Die Befürworter eines möglichen Verzichts auf die Ernährung und Wasserversorgung dieser Patienten berufen sich häufig auf eine Ansprache, die Papst Pius XII. anlässlich eines Anästhesiologenkongresses am 24. November 1957 gehalten hat. Darin bekräftigte der Papst zwei allgemeine ethische Prinzipien: Auf der einen Seite lehren uns die natürliche Vernunft und die christliche Moral, dass bei William Kardinal Levada im Vatikan die Anwendung der Mittel, die unter Berücksichtigung aller Umstände als gewöhnlich betrachtet werden, die also für den Patienten und für die anderen keine außergewöhnliche Belastung mit sich bringen. Eine strengere Verpflichtung wäre für die Mehrzahl der Menschen zu schwer und würde die Erlangung wichtiger höherer Güter zu sehr erschweren. Das Leben, die Gesundheit und alle irdischen Tätigkeiten sind den geistlichen Zielen untergeordnet. Natürlich ist damit nicht verboten, mehr für die Erhaltung 23 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 24 C M Y CM MY CY CMY K D O K U M E N TAT I O N des Lebens und der Gesundheit zu tun, als streng verpflichtend ist, vorausgesetzt, dass dadurch keine wichtigeren Pflichten versäumt werden. WAS PIUS XII. MIT »AUßERGEWÖHNLICHEN MITTELN« MEINTE* Man muss zunächst anmerken, dass sich die Antworten von Pius XII. auf den Gebrauch und Abbruch der Wiederbelebungstechniken beziehen. Die hier untersuchte Frage hat aber nichts mit solchen Techniken zu tun. Patienten im »vegetativen Zustand« atmen spontan, verdauen Nahrungsmittel auf natürliche Weise, verrichten andere Stoffwechselfunktionen und befinden sich in einem stabilen Zustand. Sie können sich jedoch nicht allein ernähren. Wenn ihnen Nahrung und Flüssigkeit nicht künstlich verabreicht werden, sterben sie. Und die Ursache für ihren Tod ist dann nicht eine Krankheit oder der »vegetative Zustand«, sondern einzig das Verhungern und Verdursten. Die künstliche Wasser- und Nahrungsversorgung bringt zudem gewöhnlich weder für den Patienten noch für die Angehörigen eine schwere Belastung mit sich. Sie ist nicht mit übermäßigen Kosten verbunden, sie steht jedem durchschnittlichen Gesundheitssystem zur Verfügung, sie erfordert an sich keinen Krankenhausaufenthalt, sie steht im Verhältnis zur Erreichung ihres Ziels, nämlich das Sterben des Patienten durch Verhungern und Verdursten zu verhindern. Sie ist keine Therapie, die zur Heilung führt, und will es auch nicht sein, sie ist nur eine gewöhnliche Pflege zur Erhaltung des Lebens. Was hingegen eine erhebliche Belastung darstellen kann, ist die Sorge für einen Angehörigen im »vegetativen Zustand«, wenn dieser Zustand länger andauert. Eine derartige Belastung entspricht etwa der Sorge um einen Menschen, dessen vier Gliedmaßen gelähmt sind, der schwer geisteskrank ist oder der an einer vorangeschrittenen AlzheimerKrankheit leidet. Solche Menschen brauchen eine ständige Betreuung, die Monate oder sogar Jahre lang dauern kann. Der von Pius XII. formulierte Grundsatz kann aus offenkundigen Gründen aber nicht dahingehend interpretiert werden, dass es erlaubt sei, solche Patienten, deren gewöhnliche Pflege für ihre Familie eine erhebliche Belastung mit sich bringt, sich selbst zu überlassen und damit sterben zu lassen. Dies meinte Pius XII. nicht, als er von außergewöhnlichen Mitteln sprach. Alles weist darauf hin, dass bei Patienten im »vegetativen Zustand« der erste 24 Probedruck Teil des von Pius XII. formulierten Grundsatzes zur Anwendung kommt: Bei schwerer Krankheit besteht das Recht und die Pflicht, die für die Erhaltung der Gesundheit und des Lebens notwendige Pflege zu leisten. Die Entwicklung des Lehramts der Kirche, die aus der Nähe die Fortschritte der Medizin und die sich ergebenden Zweifel verfolgt hat, bekräftigt dies voll. DER UNTERSCHIED ZWISCHEN THERAPIE UND PFLEGE* Die Erklärung zur Euthanasie, die von der Kongregation für die Glaubenslehre am 5. Mai 1980 veröffentlicht wurde, legte dar, dass zwischen verhältnismäßigen und unverhältnismäßigen Mitteln sowie zwischen therapeutischen Maßnahmen und normaler dem Kranken geschuldeter Pflege zu unterscheiden ist. »Wenn der Tod trotz der angewandten Mittel unausweichlich näher kommt, ist es erlaubt, im Gewissen die Entscheidung zu treffen, auf Therapien zu verzichten, die nur eine kurze und schmerzvolle Verlängerung des Lebens bewirken würden, ohne jedoch die normale Pflege zu unterlassen, die man in solchen Fällen dem Kranken schuldet« (Teil IV). Noch weniger darf man die gewöhnliche Pflege von Patienten unterlassen, die sich nicht in unmittelbarer Todesgefahr befinden, wie es gewöhnlich bei jenen der Fall ist, die sich im »vegetativen Zustand« befinden und für die der Abbruch der gewöhnlichen Pflege nichts anderes als den Tod bewirken würde. Am 27. Juni 1981 veröffentlichte der Päpstliche Rat Cor Unum ein Dokument mit dem Titel »Ethische Fragen« bezüglich der Schwerkranken und Sterbenden, in dem es unter anderem heißt: »Streng verpflichtend bleibt hingegen auf jeden Fall die Anwendung der sogenannten ›minimalen‹ Mittel, also jener Mittel, die normalerweise und unter gewöhnlichen Umständen der Erhaltung des Lebens dienen (Ernährung, Bluttransfusionen, Injektionen usw.). Der Abbruch dieser Mittel würde praktisch bedeuten, dem Leben des Patienten ein Ende bereiten zu wollen« (Nr. 2.4.4). In einer Ansprache an die Teilnehmer eines internationalen Kurses über neue Erkenntnisse in der Leukämie-Frühdiagnose am 15. November 1985 rief Papst Johannes Paul II. die Erklärung zur Euthanasie in Erinnerung und bekräftigte klar, dass man kraft des Prinzips der Verhältnismäßigkeit der Pflegemaßnahmen weder »von wirksamen therapeutischen Maßnahmen zur Lebenserhaltung noch von der Anwendung der normalen Mittel zur Lebenserhaltung« dispensieren kann, zu denen mit Sicherheit die Verabreichung von Nahrung und Flüssigkeit gehören. Nicht erlaubt sind gemäß den Ausführungen des Papstes jene Unterlassungen, die darauf abzielen, »das Leben zu verkürzen, um dem Patienten oder den Angehörigen Leiden zu ersparen«. DIE ANSPRACHE JOHANNES PAUL II. VOM 20. MÄRZ 2004* 1995 wurde vom Päpstlichen Rat für die Pastoral im Krankendienst die Charta für die im Gesundheitsdienst tätigen Personen veröffentlicht. In der Nr. 120 wird dort ausdrücklich gesagt: »Die Versorgung mit Nahrung und Flüssigkeit gehört, auch wenn sie künstlich erfolgt, zur normalen Pflege, die man dem Kranken immer schuldet, solange sie sich nicht als unerträglich für ihn erweist. Ihre unrechtmäßige Aussetzung kann tatsächlich eine Euthanasie bedeuten«. Ganz deutlich ist die Ansprache von Johannes Paul II. an eine Gruppe von Bischöfen aus den Vereinigten Staaten von Amerika anlässlich ihres Ad-liminaBesuches am 2. Oktober 1998: Ernährung und Flüssigkeitszufuhr werden als normale Pflegemaßnahmen und gewöhnliche Mittel zur Lebenserhaltung betrachtet. Es ist nicht annehmbar, sie abzubrechen oder nicht zu verabreichen, wenn diese Entscheidung den Tod des Patienten zur Folge hat. Wir stünden dann vor einer Euthanasie durch Unterlassung (vgl. Nr. 4). In der Ansprache vom 20. März 2004 an die Teilnehmer des Internationalen Fachkongresses zum Thema »Lebenserhaltende Behandlungen und vegetativer Zustand: Wissenschaftliche Fortschritte und ethische Dilemmas« bekräftigte Johannes Paul II. in sehr klaren Worten die Linie der genannten Dokumente und bot auch eine entsprechende Interpretation. Der Papst unterstrich folgende Punkte: 1. »Für jene, deren ›vegetativer Zustand‹ mehr als ein Jahr andauert, wurde der Ausdruck anhaltender vegetativer Zustand geprägt. In Wirklichkeit entspricht dieser Definition keine andere Diagnose, sondern nur eine konventionelle Prognose in Bezug auf die Tatsache, dass die Besserung des Patienten – statistisch gesehen – immer schwieriger wird, je länger der vegetative Zustand andauert« (Nr. 2). 2. Gegenüber jenen, die das Menschsein der Patienten im »anhaltenden veLebensForum 88 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 25 C 3. »Der Kranke im vegetativen Zustand hat also in Erwartung der Genesung oder des natürlichen Endes das Recht auf eine ärztliche Grundbetreuung (Ernährung, Wasserzufuhr, Hygiene, Erwärmung, usw.) und auf die Vorsorge gegen Komplikationen, die mit der Bettlägerigkeit verbunden sind. Er hat auch das Recht auf eine gezielte Rehabilitationsmaßnahme und auf die Überwachung der klinischen Zeichen einer eventuellen Besserung. Insbesondere möchte ich unterstreichen, dass die Verabreichung von Wasser und Nahrung, auch wenn sie auf künstlichen Wegen erfolgt, immer ein natürliches Mittel der Lebenserhaltung und keine medizinische Behandlung ist. Ihre Anwendung ist deshalb prinzipiell als gewöhnlich und verhältnismäßig und damit als moralisch verpflichtend zu betrachten, und zwar in dem Maß, in dem und solange sie nachweislich ihre eigene Zielsetzung erreicht, die im vorliegenden Fall darin besteht, dem Patienten Nahrung und Schmerzlinderung zu verschaffen« (Nr. 4). 4. Die vorausgehenden Dokumente wurden aufgegriffen und im genannten Sinn interpretiert: »Denn die Pflicht, die normale Pflege, die man in solchen Fällen dem Kranken schuldet, nicht vorzuenthalten (Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung zur Euthanasie, Teil IV), umfasst auch die Versorgung mit Nahrung und Wasser (vgl. Päpstlicher Rat Cor Unum, Ethische Fragen bezüglich der Schwerkranken und Sterbenden, Nr. 2.4.4; Päpstlicher Rat für die Pastoral im Krankendienst, Charta für die im Gesundheitsdienst tätigen Personen, Nr. 120). Eine Wahrscheinlichkeitsrechnung, die auf den geringen Hoffnungen auf Besserung gründet, wenn der vegetative Zustand mehr als ein Jahr andauert, kann ethisch die Aussetzung oder Unterbrechung der minimalen Pflege des Patienten, die Ernährung und Wasserzufuhr einschließt, nicht rechtfertigen. Denn eine solche Unterbrechung würde einzig und allein den Tod durch Verhungern und Verdursten herbeiführen. In diesem Sinn würde sie letztlich, wenn bewusst LebensForum 88 Probedruck Y CM MY und absichtlich herbeigeführt, zu einer wahren und eigentlichen Euthanasie durch Unterlassung« (Nr. 4). Die Antworten, welche die Kongregation für die Glaubenslehre nun vorlegt, liegen auf der Linie der eben angeführten Dokumente des Heiligen Stuhls, besonders der Ansprache von Johannes Paul II. vom 20. März 2004. Sie beinhalten zwei grundlegende Aussagen: Zum einen wird bekräftigt, dass die Verabreichung von Wasser und Nahrung, auch auf künstlichen Wegen, prinzipiell ein gewöhnliches und verhältnismäßiges Mittel der Lebenserhaltung für Patienten im »vegetativen Zustand« ist. »Sie ist darum verpflichtend in dem Maß, in dem sie und solange sie nachweislich ihre eigene Zielsetzung erreicht, die in der Wasserund Nahrungsversorgung des Patienten besteht«. Zum anderen wird klargestellt, dass dieses gewöhnliche Mittel der Lebenserhaltung auch jenen geschuldet ist, die sich im »anhaltenden vegetativen Zustand« befinden, weil es sich um Personen mit einer grundlegenden menschlichen Würde handelt. CY CMY K kann, dann wird ihre Verabreichung vollkommen unnütz. Schließlich wird nicht ganz ausgeschlossen, dass die künstliche Ernährung und Wasserversorgung in gewissen seltenen Fällen für den Patienten eine übermäßige Belastung oder ein erhebliches physisches Unbehagen, etwa aufgrund von Komplikationen beim Gebrauch der Hilfsinstrumente, mit sich bringen kann. Diese außergewöhnlichen Fälle beeinträchtigen jedoch in keiner Weise das allgemeine ethische Prinzip, gemäß dem die Verabreichung von Wasser und Nahrung, auch wenn sie auf künstlichen Wegen erfolgt, immer ein natürliches Mittel der Lebenserhaltung und nicht eine therapeutische Behandlung darstellt. Ihre Anwendung ist deshalb als gewöhnlich und verhältnismäßig zu betrachten, auch wenn der »vegetative Zustand« andauert. * Die so gekennzeichneten Zwischenüberschriften sind – der besseren Lesbarkeit geschuldete – Hinzufügungen der LebensForum-Redaktion. NIEMAND IST ZUM UNMÖGLICHEN VERPFLICHTET* Wenn die Kongregation für die Glaubenslehre bekräftigt, dass die Verabreichung von Nahrung und Wasser prinzipiell moralisch verpflichtend ist, schließt sie nicht aus, dass die künstliche Ernährung und Wasserzufuhr in sehr abgelegenen oder extrem armen Regionen physisch unmöglich sein kann. Dann gilt der Grundsatz: Ad impossibilia nemo tenetur (Niemand ist zum Unmöglichen verpflichtet). In solchen Fällen bleibt jedoch die Verpflichtung, die zur Verfügung stehende minimale Pflege anzubieten und nach Möglichkeit die notwendigen Mittel für eine angemessene Lebenserhaltung zu besorgen. Die Kongregation schließt auch nicht aus, dass es zusätzliche Komplikationen geben kann, die dazu führen, dass der Patient Nahrung und Flüssigkeit nicht mehr aufnehmen CHRISTOPH HURNAUS getativen Zustand« in Zweifel ziehen, ist zu bekräftigen, »dass der jedem Menschen innewohnende Wert und seine personale Würde sich nicht verändern, was immer auch seine konkreten Lebensumstände sein mögen. Ein Mensch ist und bleibt immer ein Mensch und wird nie zur Pflanze oder zum Tier, selbst wenn er schwerkrank oder in der Ausübung seiner höheren Funktionen behindert ist« (Nr. 3). M LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 26 C M Y CM MY CY CMY K GESELLSCHAFT www.ich-tus-nicht.de 1971 behaupteten 374 Frauen in der Zeitschrift „Stern«: „Wir haben abgetrieben« und legten so den Grundstein für die Legalisierung der vorgeburtlichen Kindstötungen in Deutschland. Unter umgekehrten Vorzeichen haben Jugendliche nun im Internet eine ganz ähnliche Kampagne gestartet. Ihr Slogan: „Ich tus nicht!« Von Nathanael Liminski N eues von der »Generation Es sind junge Menschen, die um den Benedikt«: Auf ihrer jüngst der Wert von Kindern wissen und für ihren Öffentlichkeit präsentierten unbedingten Schutz in jeder Lebensphase Aktionsseite www.ich-tus-nicht.de haben eintreten wollen. Sie wollen nicht ankladie Jugendlichen Stimmen und Gesichter gen, wissen um die Not von vielen wervon bisher über 80 jungen Frauen und denden Eltern. Gerade deshalb wollen Männern zusammengetragen, für die im sie ihre Stimme erheben, ihrer Haltung Falle eines Schwangerschaftskonflikts Abtreibung keine Lösung darstellt. Anliegen der »Generation Benedikt« ist es, der von Papst Benedikt XVI. immer wieder eingeforderten »Kultur des Lebens« konkrete Gestalt zu verleihen. Sie greifen dabei das schwierige Kapitel bundesrepublikanischer Geschichte, die Zeit der politischen Auseinandersetzung über die Einführung und Ausgestaltung des Paragraphen 218, bewusst auf. »Wir haben abgetrieben.« So lautete im Juni 1971 das Bekenntnis von 374 Frauen in der Zeitschrift »Stern«. Ihr Ziel war die Legalisierung der Abtreibung, ihr Motto »Mein Bauch gehört mir!«. »Ich tus nicht.« So drücken seit Juni 2008 viele junge Menschen ihr unbedingtes Bekenntnis zum Leben aus. Für sie kommt Screenshot des Internetauftritts »www.ich-tus-nicht.de« eine Abtreibung nicht oder nicht mehr in Frage. Auch wenn die Schwanund der schweigenden Mehrheit ein Gegerschaft kurzfristige oder langfristige sicht geben. Abstriche bedeutet. Diese jungen Menschen denken an die Es sind junge Frauen, die ihre naZukunft. Sie wollen sie in einer menschtürliche Begabung zur Mutterschaft nicht lichen Gesellschaft erleben. Eines ist dabei abstreifen wollen. Es sind junge Männer, für sie klar: Der Mensch entwickelt sich die um ihre Verantwortung für die nicht zum Menschen, sondern als Schwangerschaft wissen und ihre Rolle Mensch. Seine Würde wird ihm nicht in der Partnerschaft wahrnehmen wollen. gegeben, er hat sie. Von Anfang bis Ende. Sie haben begriffen, dass Schwangerschaft Das hat Konsequenzen. keine Angelegenheit alleine der Frau ist, Diese jungen Menschen wollen konsondern in Partnerschaft entsteht, getrasequent sein. Nicht, weil sie sich als Gutgen und ausgelebt werden muss, kann, menschen präsentieren wollen, sondern darf. weil sie davon überzeugt sind, dass dies 26 Probedruck im Letzten allen zu Gute kommt: Den Kindern, den Müttern, den Vätern, unserer Gesellschaft. Neben den Statements finden sich weitere Angebote auf der Internetseite: In der Rubrik Lebensgeschichten werden Zeugnisse von jungen Menschen präsentiert, die sich in schwierigen Situationen für das Leben des Ungeborenen entschieden haben oder sich für genau diejenigen einsetzen, die vor dieser Entscheidung stehen. Die »Generation Benedikt« ist sich dabei bewusst: »Das Leben schreibt unglaubliche Geschichten – manchmal traurige, manchmal schöne. Schwangerschaft kann Glück, Zufriedenheit, Erfüllung bedeuten. Nicht selten aber bringt sie auch Leid, Angst und Sorge. Zu diesem sensiblen Zeitpunkt im Leben kommt es entscheidend darauf an, wie Menschen mit dem Geschenk des Lebens umgehen und wie man mit ihnen umgeht.« Die aufbereiteten Zeugnisse sprechen für sich. In ihrem Einsatz für das Leben verlieren die Initiatoren nicht aus dem Auge, dass es sich bei Abtreibung um ein hochsensibles, persönliches, polarisierendes Thema handelt. Ihrer Meinung nach ist jeder dazu aufgerufen, seinen individuellen Standpunkt zu bilden und zu beziehen. Dazu lohnt sich ein Blick auf die Fakten, wie sie in der gleichnamigen Rubrik auf www.ich-tus-nicht.de dargestellt und erläutert werden. Besucher der Seite sind zum Mitmachen aufgerufen: Denn das Leben braucht Freunde. Das ungeborene Leben braucht Geborene, die ihm eine Stimme leihen, ein Gesicht geben. Die Gründe, für das Leben zu sein, sind so unterschiedlich wie menschliches Leben es selber ist. Mitmachen ist ganz einfach: Eine E-Mail mit digitalem Passfoto und einem Statement in beliebiger Länge an [email protected] reicht aus. Der »Generation Benedikt« ist es ein Herzensanliegen, wieder über das TabuThema Abtreibung ins Gespräch zu kommen. Dabei geht es ihr um Verständigung: »Wir wollen nicht anklagen. Wir wollen unterstützen: All jene, die sich für das Leben einsetzen sowie diejenigen, die sich mit dem Gedanken an eine Abtreibung tragen. Wir sind uns im Klaren darüber, dass diese Positionierung junger Menschen Zustimmung hervorruft, aber auch Fragen aufwirft und Widerspruch erzeugt.« LebensForum 88 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 27 C M Y CM MY CY CMY K GESELLSCHAFT Schmetterling und Taucherglocke Im vergangenen Jahr wurde Julian Schnabels Film »Schmetterling und Taucherglocke«, der das Leben und Sterben eines Patienten mit Locked-in-Syndrom erzählt, mit Preisen geradezu überschüttet. Nun ist der Film, der auf einem wahren Schicksal basiert, auch auf DVD erschienen. Von José García W unregelmäßige Auf- und Abblenden, Bilder in unterschiedlicher Schärfe, Fischaugenbilder, bei denen Gesichter sehr nah an die Kamera treten. Der Zuschauer begreift, dass er die subjektive Sicht eines Liegenden eingenommen hat. PRO KINO er nach einer längeren Operation aus der Narkose aufgewacht ist, kennt das eigenartige Gefühl: unzusammenhängende Bilder und Geräusche blitzen kurz auf, dann wird es wieder schwarz vor Augen, ein Gefangener seines Körpers ist. Er kann nur noch sein linkes Augenlid bewegen. Der »echte« Jean-Dominique Bauby war 43 Jahre alt und Chefredakteur der Modezeitschrift »Elle«, als ihn am 8. Dezember 1995 während einer Autofahrt mit seinem neunjährigen Sohn ein schwerer Hirnschlag traf, der ihn für zwanzig Tage ins Koma versetzte. Als er dann aus dem Koma erwachte, konnte er nicht sprechen. Außerdem war er vollständig gelähmt. Bauby litt am seltenen Lockedin-Syndrom, das heißt, er befand sich wie in einer Taucherglocke abgeschnitten von der Welt. Doch sein Geist war intakt, er konnte umherfliegen wie ein Schmetterling. Mit Hilfe eines Buchstabiersystems und dank der Unterstützung durch die Lektorin Claude Mendibil wird er seine Erfahrungen in Buchform veröffentlichen können: »Le scaphandre et le papillon« erscheint 1997, einige Wochen vor Baubys Tod. Die deutsche Ausgabe wird 1998 unter dem Titel »Schmetterling und Taucherglocke« veröffentlicht. Eine Neuauflage (als »Buch zum Film«) erschien bei dtv pünktlich zum Filmstart. Auf der Grundlage von Baubys Memoiren, die weltweit ein Beststeller wurden, und sich allein in Deutschland mehr als 400.000 Mal verkauften, entwickelte Ronald Harwood das Drehbuch für Julian Schnabels gleichnamigen Spielfilm, der 2007 beim Internationalen Filmfestival Cannes im Wettbewerb uraufgeführt wurde. In Cannes wurde »Schmetterling und Taucherglocke« mit dem Preis für Beste Regie ausgezeichnet, ehe er bei den Golden Globes die Preise für die Beste Regie und den Besten ausländischen Film gewann, und später viermal (Regie, adaptiertes Drehbuch, Kamera und Schnitt) für den Oscar nominiert wurde. Im Krankenhaus von Berck-sur-Mer in der Normandie lernt Jean-Dominique Bauby (Mathieu Amalric) mit Hilfe eines von der Sprachtherapeutin Henriette Durand (Marie-Josée Croze) entwickelten Buchstabiersystems, das die Buchstaben nach ihrer Häufigkeit Wie kommuniziert man, wenn man nur noch ein Augenlid bewegen kann? man verliert jegliches Raum-Zeitempfinden – bis das Bewusstsein nach und nach zurückkehrt. Diese Empfindungen stellt Regisseur Julian Schnabel in seinem Spielfilm »Schmetterling und Taucherglocke« mit filmischen Mitteln nach: LebensForum 88 Probedruck Ein Arzt erklärt dem Liegenden, was geschehen ist: Der Patient hat einen Hirnschlag erlitten und zwei Monate im Koma gelegen. Nun leidet er an einem seltenen Syndrom, das den Hirnstamm so beeinträchtigt, dass der Patient völlig gelähmt, 27 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 28 C M Y CM MY CY CMY K GESELLSCHAFT machte den Film ganz so, als hätte er eine Textur, einen Körper, als ob er Haut hätte. Die ganze Leinwand war die Haut, und so sehe ich das auch beim Malen. Beim Drehen hatte ich das Gefühl: Ich mache Mit seinen 41 Minuten wird das Bonusmaterial der kürzlich veröffentlichten limitierten DVD-Edition verhältnismäßig kurz gehalten. Die hohe Qualität des Extra-Materials entschädigt den Zuschau- PRO KINO in der französischen Sprache ordnet, sich mit dem Aufschlag seines linken Augenlids mitzuteilen. So diktiert er der Lektorin Claude Mendibil (Anne Consigny) Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort seine Erfahrungen. In mühsamer, vierzehnmonatiger Arbeit entsteht auf diese Art das 130 Seiten umfassende autobiographische Buch, dessen Erscheinen Jean-Dominique Bauby noch erleben kann, ehe er an einer Infektion stirbt. In den ersten dreißig Minuten nimmt die Kamera die Perspektive des Liegenden ein. Der Zuschauer sieht ausschließlich durch das linke Auge eines Mannes. Er hört aber auch seine Gedanken, die wie ein Schmetterling durch die Landschaft seines Geistes flattern, während der Körper in einer Taucherglocke gefangen bleibt. Mit seiner dritten Regiearbeit bringt der bildende Künstler Julian Schnabel zum Ausdruck, wie ein Maler die Kinoleinwand behandelt – wenn er mit einem großartigen Kameramann wie Janusz Kaminski zusammenarbeiten kann. Sein visuelles Konzept erläutert Schnabel folgendermaßen: »Eine spezielle Behandlung des Bildes war notwendig, um JeanDos Innenleben zu visualisieren. Ich DVD-TIPP Verliert an Würde, wer auf die Hilfe anderer angewiesen ist? Schmetterling und Taucherglocke Schmetterling und Taucherglocke – Limited Edition. USA/Frankreich 2007 (Original: Le scaphandre et le papillon). Regie: Julian Schnabel. Mit: Mathieu Amalric, Emmanuelle Seigner, MarieJosée Croze, Anne Consigny, Patrick Chesnais, Marina Hands, Max von Sydow. FSK ab 12 Jahren, 112 Minuten. Sprache: Deutsch: DTS /DD 5.1; Französisch: DD 5.1; Untertitel: Deutsch. EAN-Code: 4260170490025. 17,95 EUR. 28 Probedruck er aber bei weitem dafür. So vermittelt das zwölfminütige Kapitel »Abgetaucht« einen überaus aufschlussreichen Einblick in das filmische Konzept von »Schmetterling und Taucherglocke«. Denn der Film wird, besonders in der ersten halben Stunde, konsequent aus der Sicht des Liegenden erzählt. Dies bedeutet, dass der auf der Leinwand zu sehende Ausschnitt die Reichweite eines nur noch mit dem linken Auge sehenden, liegenden MenPRO KINO den Raum. Ich mache die Farbe. Ich verlieh dem Raum durch kurze Brennweiten eine Wölbung, und setzte ein fluoreszierendes Licht in die Ecke.« Jean-Dominique Bauby bekommt häufig Besuch von seiner Frau Céline (Emmanuelle Seigner) und den drei Kindern, obwohl sich Céline von ihm hatte scheiden lassen, als er sich mit einer Jüngeren einließ. Zu den ergreifendsten Momenten des Filmes gehört aber ein Telefongespräch Jean-Dos mit seinem Vater (Max von Sydow), der nicht mehr aus der Wohnung herauskommen kann. »Schmetterling und Taucherglocke« bloß als ein Film »gegen Euthanasie« anzusehen, greift viel zu kurz. Denn trotz des bekannten tragischen Ausganges ist »Schmetterling und Taucherglocke« eine wahrhafte Hymne auf das Leben, eine Liebeserklärung an das Leben. Obwohl Bauby zunächst einfach sterben wollte, entdeckt er bald eine neue Schönheit am Leben. Jean-Do Baubys Geist bewegt sich lebendiger denn je, erlebt Augenblicke tiefer Verzweiflung, aber auch Momente echter Schönheit, und nicht zuletzt auch voller Komik. Die unaufdringliche Musik verstärkt den Eindruck eines wahren Meisterwerks. Macht menschlich: Mitgefühl schen erreichen darf. Was wiederum nicht nur heißt, dass diese Bilder verwackelt und unscharf aussehen, sondern auch, dass durch eine Art Fischauge GesichtsLebensForum 88 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 29 ausschnitte, etwa Münder und Augen zu sehen sind. Drehbuchautor Ronald Harword erläutert darüber hinaus, dass bei der Adaption von Baubys Buch erst die Idee, Jean-Dominique Bauby durch eine Kamera zu ersetzen, den Durchbruch brachte. In einem sehr persönlich gehaltenen Interview erklärt Regisseur Julian Schnabel die Gründe, die ihn zur Realisierung des Projektes bewegten, insbesondere weil die Vater-Sohn-Beziehung bei den Baubys seinem Verhältnis zu seinem eigenen Vater ähnelte. Der amerikanische M Y CM MY CY CMY K ARCHIV C BUCH-TIPP Selbst eine massiv eingeschränkte Existenz muss kein unglückliches Leben zur Folge haben. Große Filme haben nicht nur die Menschen ihrer Zeit begeistert, sondern transportieren auch eine zeitlose menschliche Botschaft. José García, der vielen Lesern durch seine profunden Filmkritiken bekannt ist, stellt in diesem faszinierenden Führer durch die Welt des Kinos 50 Meisterwerke vor, die Tiefgründiges über den Menschen aussagen. Die Auswahl deckt alle Genres ab und umfaßt den Zeitraum von 1947 bis heute. Klassiker wie „Die Brücke« oder »Schindlers Liste« sind ebenso dabei wie besonders gelungene Trickfilme oder mancher ausgefallene Streifen. Ein »Muss« für Kino-Fans. José Garcia: Der Himmel über Hollywood. Was große Filme über den Menschen sagen. Gebunden, 208 Seiten, EUR 19,90. ISBN 978-3-86744-069-1 Maler und Filmemacher führt außerdem aus, warum er unbedingt auf französisch und im authentischen Krankenhaus drehen wollte, wo Jean-Do Bauby die letzten Monate seines Lebens verbrachte. LebensForum 88 Probedruck Die einzigartige Fotografie des Filmes illustriert der für diese Arbeit mehrfach ausgezeichnete Kameramann Janusz Kaminski im siebenminütigen Feature »Augenblicke«. Der »Director of Photography«, der seit »Schindlers Liste« (1993) bei allen Steven Spielberg-Filmen die Kamera geführt hat, erläutert insbesondere die Interaktion der Schauspieler mit der Kamera und die Kunstgriffe, die nötig waren, um dem Zuschauer das Sehen durch ein Auge aus einer unbeweglichen Haltung begreiflich zu machen. Besonders bemerkenswert in diesem Zusammenhang: All diese Kunstgriffe wurden bereits während der Aufnahmen durchgeführt, d.h. sie wurden nicht wie so häufig in Spielfilmen der letzten Jahre während der Post-Produktion im Computer erzeugt. Der nachdenkliche, aber auch zuweilen überraschend humorvolle Audiokommentar von Julian Schnabel rundet die Extras ab. »Schmetterling und Taucherglocke« wurde im Oktober 2008 von den Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft Kino – Gilde deutscher Filmkunsttheater e.V., dem Verband der Filmkunst- und Programmkinos in Deutschland, mit dem Preis »Bester ausländischer Film« ausge- zeichnet. Damit erhielt Julian Schnabels Film die einzige Auszeichnung, die in Deutschland in der Kategorie »internationaler Film« verliehen wird. IM PORTRAIT Dr. phil. José Gracía José García, geboren 1958, Promotion in Mittelalterlicher Geschichte an der Universität Köln, arbeitet als Journalist und Filmkritiker insbesondere für »Die Tagespost« und den Internetdienst »Familie und Erziehung«. Mitglied im Verband der Deutschen Filmkritik. Im MM-Verlag erschien von ihm zuletzt »Träume, Werte und Gefühle. Die wundersame Welt von Film und Kino«. Im diesem Herbst erschien sein jüngstes Buch: »Der Himmel über Hollywood. Was große Filme über den Menschen sagen« im Augsburger Sankt Ulrich Verlag. 29 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 30 C M Y CM MY CY CMY K BÜCHERFORUM D ie Menge der Bücher, die sich mit der verbrauchenden Embryonenforschung befassen, ist auch zehn Jahre, nachdem es dem USAmerikaner James A. Thompson als Erstem gelang, embryonale Stammzellen des Menschen im Labor zu kultivieren, noch immer recht übersichtlich. Erschwerend kommt hinzu, dass von den erhältlichen Titeln nur wenige brauchbar sind. Das vorliegende Buch aus der Feder der promovierten Philosophin Adriene Weigl hilft diese Lücke zu schließen. Denn in ihm entfaltet die Autorin nicht nur die embryologischen Grundlagen und deutet sie anschließend. Breiten Raum nimmt die Wiedergabe und Widerlegung von Einwänden ein, die gegen die von Weigl und anderen verfochtene These ins Feld geführt werden und die lautet: Spätestens ab der Karyogamie, der letzten Phase der Befruchtung, haben wir es beim menschlichen Embryo auch mit einem menschlichen Wesen zu tun, dessen Würde zu achten und dessen Lebensrecht zu wahren ist. Eindrucksvoll sowie unter Verzicht auf jegliche Polemik widerlegt Weigl die Vertreter eines abgestuften Lebensschutzkonzeptes. Ob es um die Möglichkeit der Zwillingsbildung, den behaupteten Informationszuschuss des mütterlichen Organismus, ohne den die Entwicklung des Embryos gestoppt würde, oder das Modell der Achsenbildung geht, Weigl hat stets die besseren Argumente und zeigt, dass derartige Einwände entweder an der Sache vorbei gehen oder nicht das Gewicht besitzen, das ihnen in der von Interessen geleiteten Debatte zugestanden wird. In einem dritten Teil »Menschsein und Menschenwürde« arbeitet die Autorin ausgehend vom traditionellen Personendenken heraus, was den Menschen zum Menschen macht. Im Anschluss daran unterzieht Weigel einzelne biotechnische Methoden – angefangen von der künstlichen Befruchtung und der Gewinnung von Stammzellen, über das Embry- onensplitting und die Chimärenbildung bis hin zum Klonen in seinen unterschiedlichen Spielarten – einer profunden ethischen Beurteilung. Last but not least beschäftigt sie sich auch mit rechtlichen Fragen. Ausgehend von rechtsphilosophischen Überlegungen zum Verhältnis von Recht und Moral, untersucht sie, ob das Grundgesetz, wie von Befürwortern der embryonalen Stammzellforschung behauptet, zum Schutz von Embryonen schweigte. Dem Problem des Wertungswiderspruchs, der zwi-schen der rechtlichen Regelung der Abtrei-bung und dem Schutz von Embryonen in der Petrischale besteht, widmet sie ebenso Beachtung, wie der Frage, ob durch das Embryonenschutzgesetz auch die Präimplantationsdiagnostik verboten sei. Dass Weigl im Vergleich mit den Befürwortern einer embryonenverbrauchenden Forschung über die besseren Argumente verfügt, hindert sie nicht, Verständnis für diese zu entwickeln. So schreibt sie zum Schluss: »Die Vorstellung eines Embryos in der Petrischale kann uns kaltlassen und vielleicht sogar ein wenig abstoßen, ohne dass wir deswegen gefühllose Menschen wären. Unser Fühlen ist nicht auf Wiedererkennen des Mitmenschen in seinen frühesten Stadien ausgelegt.« Anders sei es mit unserem Denken: »Es kann zeigen, dass gerade dieser Punkt in der Laborschale, dieses verschwindend kleine bisschen Organismus der preisgegebene Mensch schlechthin ist, der unseres Schutzes bedarf, umso mehr, als er nicht einmal zu wimmern vermag, um uns zum Handeln zu bewegen (...).« Die Preisgabe des Menschen 30 Probedruck Stefan Rehder Adrienne Weigl: Der preisgegebene Mensch. Überlegungen zum biotechnischen Umgang mit menschlichen Embryonen. Mit einem Vorwort von Robert Spaemann. Resch Verlag, Gräfelfing 2007. 316 Seiten. 24,90 EUR. Im Schaufenster Ausgeschlachtet Über Organtransplantationen glauben wir eine Menge zu wissen. Aber dass außer Organen auch Knochen und Gewebe transplantiert werden, wissen nur wenige. In »Ausgeschlachtet – Die menschliche Leiche als Rohstoff« deckt die Journalistin Martina Keller auf, woher das Gewebe kommt, das benötigt wird, wenn etwa Verbrennungsopfern Haut transplantiert werden soll, ein Sportler ein neues Kreuzband erhält oder bei Schönheitsoperationen Lippen aufgespritzt und Nasen »korrigiert« werden. In diesem einzigartigen Buch beleuchtet Keller den pietätlosen Umgang mit Leichen, beschreibt den gigantischen Markt, auf dem Lei-chenteile wie Rohstoffe gehandelt werden – allein in den USA wird mit dem Handel von Gewebe ein jährlicher Umsatz von mehr als einer Milliarde Dollar erwirtschaftet – und deckt Skandale und illegale Machenschaften auf. Ins Gericht geht die Autorin auch mit dem deutschen Gewebegesetz und der entsprechenden EU-Richtlinie. Diese hätten zwar zu mehr Klarheit geführt, ließen den Profiteuren jedoch ausreichend Schlupflöcher offen. Fazit: Ein immens wichtiges Buch, das Ross und Reiter nennt und hoffentlich für eine drinreh gend notwendige Debatte sorgt. Martina Keller: Ausgeschlachtet. Die menschliche Leiche als Rohstoff. Econ Verlag, Berlin 2008. 256 Seiten. 18,00 EUR. Aktive Sterbehilfe Auch im protestantischen Raum formiert sich fundierter Widerspruch gegen die beobachtbaren Bemühungen, Euthanasie schrittweise zu legalisieren. Eine gelungene Kostprobe liefern der Dekan der Freien Theologischen Akademie Gießen, Stephan Holthaus und Timo Jahnke, wissenschaftlicher Mitarbeiter am »Institut für Ethik & Werte«, in ihrem Buch: »Aktive Sterbehilfe – Ausweg oder Irrweg?« Weit mehr als andere thematisieren die Autoren darin auch die LebensForum 88 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 31 C Folgen einer möglichen Liberalisierung rechtlicher Regelungen. Dabei zeigen sie etwa anhand von Daten aus der Schweiz und der Niederlande, dass die Freigabe des ärztlich assistierten Suizids zu Veränderungen der »generellen Einstellung zu Tod und Sterben« geführt hat. Angesichts einer »hohen Quote von Behandlungsabbrüchen und Behandlungsverzichten« warnen sie davor, dass aus dem »Sterben-Wollen« ein »Sterben-Müssen« wird. Behandelt wird auch die »Terminale Sedation«, die manchmal bei Sterbenden im Endstadium zum Einsatz kommt. In den Niederlanden werde sie von Ärzten allerdings auch mit der erklärten Absicht eingesetzt, das Sterben zu beschleunigen. Hilfreich ist auch der Anhang, der neben den »Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbehilfe« auch die Webadressen einiger interessanter Internetportale zur Palliativmedizin und zur Hospizbewegung umfasst. Fazit: Ein leicht lesbares Buch, das Beachtung reh verdient. Stephan Holthaus/Timo Jahnke: Aktive Sterbehilfe. Ausweg oder Irrweg? Edition Ethik & Werte. Brunnen Verlag, Gießen 2008. 140 Seiten. 12,95 EUR. Vorsicht Vorsorge! Das jüngste Werk des Arztes, Bestsellerautors und Leiters des Wissenschaftsressorts der »Süddeutschen Zeitung« widmet sich einem Gebiet, das für Lebensrechtler nur von mittelbarem Interesse sein dürfte. In ihm hinterfragt Werner Bartens, ob Prävention – die jüngste Mode am Gesundheitshimmel – tatsächlich so wirkungsvoll ist, wie häufig behauptet wird, oder ob sie nicht auch völlig nutzlos oder sogar gefährlich sein kann. Die vielen gut aufbereiteten Fallbeispiele legen nahe, dass es klug wäre, sich eine kritische Einstellung gegenüber den Verheißungen der modernen Gesundheitsindustrie zu bewahren oder – falls noch nicht vorhanden – schleunigst zuzulegen. Das gilt selbstverständlich auch für die Schwangerenvorsorge, die in diesem Buch bedauerlicherweise nicht eigens behandelt wird. Dabei ist der Autor mit einer Gynäkologin, deren Praxis er auf seiner Homepage bewirbt, verheiratet. Fazit: Ein seriöser Augenöffner. Flott und leicht reh geschrieben. Werner Bartens: Vorsicht Vorsorge! Wenn Prävention nutzlos oder gefährlich wird. Suhrkamp, Frankfurt a. Main 2008. 194 Seiten. 7,50 EUR. LebensForum 88 Probedruck A M Y CM MY uf die Enzyklika »Humanae Vitae« von Papst Paul VI. (1968) wird der interessierte Leser eher selten verwiesen. Nach ihrem Erscheinen bereits innerkirchlich von Theologen und Laien als »Pillenenzyklika« desavouiert, las man sie im Rahmen von »family planing« und 68-Revolte nur als rückwärts gewandten Legalismus. Erst allmählich wird die anthropologische Weite des Textes wahrgenommen. Was hat der Papst zur »Pille« gesagt? Die Eheleute sind »freie und bewusste Mitarbeiter Gottes«, ihre Liebe soll »treu und ausschließlich und lebensstiftend«, kurzum: keusch sein. Er spricht von der »von Gott bestimmten unlösbaren Verknüpfung der beiden Sinngehalte – liebende Vereinigung und Fortpflanzung – die beide dem ehelichen Akt innewohnen«. Bevölkerungswachstum und die individuelle und soziale Belastung von Frau und Familie in der Realität des modern way of life werden in ihrer ganzen Problematik erwogen. Als fundamental gute und gerechte Wegweisung für geplante Elternschaft erkennt Paul VI. die von der Schöpfung vorgegebene und individuell überprüfbare Phase der weiblichen Empfängnisbereitschaft während des Zyklus. Diese Kenntnis bedarf der personalen Aneignung in der Disziplin liebender Partnerschaft. Ihr physischer Vorteil: keine Nebenwirkung! Solchem Klartext gegenüber bestanden ablehnende Kritiker auf der subjektiven Freiheit und dem autonomen Gewissen als moralischen Gegengewichten. Inzwischen bemerkt man, dass die derzeit inflationär beanspruchte Berufung auf das eigene Gewissen nur eine moralische Exkulpation für den bequemeren Weg darstellt und dazu missbraucht wird, die Ansprüche der Moral den eigenen Lebensumständen anzupassen (Relativismus). Mancher Moralexperte setzt weiter ausschließlich auf die Abwägung von Handlungsfolgen (Konsequentialismus); CY CMY K er übersieht, dass eine Handlung nicht allein aufgrund ihrer Folgen oder ihres Zwecks »gut« genannt werden kann - die sogenannte Ethik des Heilens mittels Embryonenverbrauchs sei Lehrparabel! Selbst kritische Stimmen werden die prophetische Perspektive der Enzyklika nicht übersehen können: sie warnte vor dem drohenden sexualmoralischen Laxismus sowie vor zunehmender Verfügbarkeit der chemisch oder technisch unfruchtbar »gemachten« Frau – was nicht zuletzt Star-Feministinnen wie Alice Schwarzer empört. Für Vincent Twomey spricht Paul VI. von der Tugend in Familie und Gemeinschaftsleben und sieht die Tiefe des Textes spirituell noch gar nicht ausgelotet. Angesichts der Kontroverse über Geburtenkontrolle und ein international angestrebtes »Recht auf Abtreibung« gilt es, eine grundlegende Neuinterpretation der Natur der menschlichen Freiheit zu erarbeiten. »Moral ist die Qualität menschlicher Freiheit.« Sie wirkt sich auf unsere Handlungen, weit mehr noch auf unsere personale Identität aus. Die einzigartige wechselseitige Selbsthingabe in der Ehe ist personal, Geschenk und Kraft zur Weitergabe des Lebens! Der Körper ist kein Rohmaterial für Fortschrittstechnik! Enzykliken wie »Evangelium vitae« von Johannes Paul II. führten diese Gedanken bereits weiter. Ist das »nur katholisch«, »legalistisch«, »rückwärts gewandt«? Also, junge Geister, Theologen, keine Zurückhaltung bei der Lektüre und ans Werk sachlich weiterführender Interpretation! Zur Krise der Moral Dr. Maria Overdick-Gulden Vincent Twomey: Der Papst, die Pille und die Krise der Moral. Sankt Ulrich Verlag, Augsburg 2008. 205 Seiten. 19,90 EUR. 31 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 32 C M Y CM MY CY CMY K K U R Z V O R S C H LU S S Die Befürchtungen, dass es zu einem Dammbruch kommt, wenn das Lebensrecht vor der Geburt und am Ende des Lebens in Frage gestellt wird, sind nur zu berechtigt. Eine Gesellschaft, selbst wenn man nur die offiziellen Zahlen nimmt, in der jedes 7. Kind abgetrieben wird, untergräbt seine eigene Zukunftsfähigkeit. (...) Mein Dank gilt allen, die sich für den Schutz des Lebens einsetzen, die den Mut haben, auch unbequeme Wahrheiten zu sagen und die sich zu den Werten bekennen, die unsere Gesellschaft zusammenhalten.« Auszug aus dem Grußwort des Thüringer Ministers für Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei, Dr. Klaus Zeh, zum Schweigemarsch »1.000 Kreuze für das Leben« » Ich begrüße Ihre Aktion, mit der Sie öffentlich für den Lebensschutz eintreten und mit 1.000 weißen Holzkreuzen dazu beitragen, dass Menschen stehen bleiben, genau hinschauen und innehalten. Denn das ist heute angesichts des medizinisch Möglichen besonders wichtig: ein Bewusstsein zu schaffen für die Würde menschlichen Lebens. Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass der Schutz, insbesondere des behinderten ungeborenen Lebens, unzureichend ist. Spätabtreibungen können derzeit ohne Beratung und Bedenkzeit bis zur Geburt vorgenommen werden. Je weiter die Schwangerschaft voranschreitet, desto geringer wird der Schutz für das werdende Leben.« Professor Dr. Maria Böhmer, Bundesvorsitzende der Frauen-Union der CDU Deutschlands in ihrem Grußwort zum Schweigemarsch »1.000 Kreuze für das Leben«. » Die Senioren-Union der CDU Deutschlands teilt Ihre Besorgnis über die immer noch ungewöhnlich hohe Abtreibungsrate in der Bundesrepublik Deutschland. Über das menschliche Leid hinaus, das mit jeder Abtreibung verbunden ist, ist diese hohe Abtreibungsrate auch ein Zeugnis für allgemeines gesellschaftliches Versagen auch vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung unseres Landes.« Der Erzbischof von Berlin, Georg Kardinal Sterzinsky, hat die Veranstalter des FIAPAC-Kongresses, der sich Ende Oktober in Berlin mit den Themen Abtreibung und Verhütung beschäftigte, attackiert. Statt zum Leben zu ermutigen, wolle der Kongress, »die Abtreibung perfektionieren«, so Sterzinsky. Der Kardinal beklagte den technokratischen Umgang der Veranstalter mit dem Thema und kritisierte, dass Abtreibungen als »die normalste Sache der Welt« betrachtet würden. »Dass Menschenleben getötet werden, erschreckt offenbar niemand Georg Kardinal Sterzinsky mehr, wenn es nur in verharmlosender Weise mit Fachbegriffen ausgesprochen wird.« Auch werde vergessen, dass Abtreibungen nach deutschem Recht »rechtswidrig« seien, so Sterzinsky weiter. Besonders zynisch sei, dass der Kongress auch vom Berliner Hebammenverband unterstützt werde, obwohl Hebammen doch eigentlich dem Leben dienen sollten. reh Gott, warum hast Du uns niemanden geschickt, der Heilmittel für Aids findet, den Welthunger wirksam bekämpft und alle sozialen Ungerechtigkeiten ausräumt? Aber … WO SIND SIE? Roger Kusch hat wieder zugeschlagen. Am 12. November »begleitete« Hamburgs ehemaliger Justizsenator in der Mainmetropole Frankfurt den Suizid eines 94-Jährigen Mannes. Der Mann hinterlässt eine 89-jährige Ehefrau, die an Alzheimer erkrankt ist und in einem Altenheim lebt. Nach Angaben von Kusch litt der 94-jährige Mann nicht an einer tödlichen Erkrankung. Seine Entscheidung aus dem Leben zu scheiden, begründet der Mann damit, dass er selbst nicht pflegebedürftig werden wolle. Bei dem neuerlichen Fall handelt es sich bereits um den Roger Kusch dritten, von Kusch begleiteten Selbstmord. Anfang Oktober unterstützte Kusch den Suizid einer 84jährigen Rentnerin in Hamburg. Vier Monate zuvor hatte er eine 79-Jährige Frau aus Würzburg bei ihrem Selbstmord begleitet. Nach eigenen Angaben berechnet Kusch für seine Leistungen normalerweise ein Honorar von 8.000 Euro pro Fall reh Habe ich getan! Ihr habt sie abgetrieben. Professor Dr. Otto Wulff, Bundesvorsitzender der Senioren-Union in seinem Grußwort zum Schweigemarsch »1.000 Kreuze für das Leben«. 32 Probedruck LebensForum 88 CDU » Tops & Flops ARCHIV Expressis verbis LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 33 C M Y CM MY CY CMY KURZ & BÜNDIG Lebensschutz ist wählbar K.O. für liberales Abtreibungsrecht Montevideo. Uruguays Präsident Tabare Vazquez hat nach mehrfacher Ankündigung Mitte November von seinem Vetorecht Gebrauch gemacht und eine Legalisierung vorgeburtlicher Kindstötungen in seinem Land verhindert. Zuvor hatte das Parlament nach monatelangen Auseinandersetzungen für einen Gesetzentwurf gestimmt, der vorsah, Abtreibung innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen bei Gefahr für das Leben der Mutter oder einer Behinderung des Kindes zu erlauben. Auch sollen Frauen wirtschaftliche oder familiäre Probleme geltend machen Vazquez können. Durch das Veto von Vazquez, der selbst Arzt ist, wird die Gesetzesvorlage nun an das Parlament zurückverwiesen. Dieses benötigt zur Überstimmung des Vetos 60 Prozent der Stimmen. Da jedoch nur eine sehr knappe Mehrheit der Parlamentarier für den Entwurf votiert hatte, rechnet damit niemand. Uruguay gilt als eines der am stärksten säkularisierten Länder Lateinamerireh kas. Wahl 2009: Bundestagskandidaten im Kurzporträt WWW.PRESIDENCIA.GUB.UY macht, seine Kollegen in einer ergreifenden Rede auf, die »Büchse der Pandora nicht weiter zu öffnen«. Die Nutzung embryonaler Stammzellen setze das »TöARCHIV Michael Brand, MdB, Jahrgang 1973, studierte Politische Wissenschaften, Geschichte und Rechtswissenschaften an der Friedrich-Wilhelm-Universität in Bonn und Sarajevo (Bosnien-Herzegowina). Dem Deutschen Bundestag gehört der CDU-Politiker seit 2005 an und vertritt dort den Wahlkreis 176 (Fulda). In der Stammzell-Debatte stimmte Brand für den von den Abgeordneten Hubert Hüppe, Marie-Luise Dött (beide CDU) und Maria Eichhorn (CSU) eingebrachten Gesetzentwurf (BT-Drucksache 16/ 7983), der ein völliges Verbot des Imports embryonaler Stammzellen vorsah. Brand ist ordentliches Mitglied des Bundestagsausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und dort als Berichterstatter für den Bereich Abfall, Entsorgung und Verpackung zuständig. Als stellvertretendes Mitglied gehört er dem Haushalts-, dem Verteidigungs- und dem Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe an. In der Stammzelldebatte rief der evangelische Christ, der sich auch gegen Abtreibung und Sterbehilfe stark Michael Brand ten von Menschen« voraus. Vor diesem Fakt könne sich »niemand drücken, kein Forscher, kein Politiker und auch kein anderer Mensch«, so Brand. reh Aufschub für Euthanasiegesetz Mehr Informationen: www.michael-brand.de Luxemburg. Im Großherzogtum Luxemburg wird sich die endgültige Abstimmung über das geplante Euthanasiegesetz voraussichtlich bis ins Frühjahr 2009 verzögern. Grund sind Bedenken des Luxemburger Staatsrats im Hinblick auf das im Februar in erster Lesung beschlossene Gesetz. Der Staatsrat kritisiert, dass die geplante Neuregelung nicht ausreichend für Rechtssicherheit sorge. Der von Sozialisten und Grünen initiierte Gesetzentwurf geht in mehreren Punkten über das bel- LebensForum 88 Probedruck spielen und auch die Partnerwahl beeinflussen sollen. Unterschiedliche MHC-Typen passen angeblich gut, ähnliche schlecht zusammen. Via Internet sollen die Kunden anschließend nach dem passenden MHC-Partner suchen können. Dabei beruft sich die Firma auf eine Studie, bei er Frauen den Geruch von T-Shirts beurteilen sollten, die von Männern, die weder Dusche noch Deo benutzen durften, 72 Stunden lang getragen wurden. Das klingt bizarr und ist es auch. Dabei hätten die Schweizer genug Zeit gehabt, um von Thurman und Hawke zu lernen. Zwar heiratete das Filmpaar, nachdem Gattaca in die Kinos kam, tatsächlich. Doch wurde ihre Ehe sechs Jahre und zwei Kinder später wieder geschieden. Sich »gut riechen« zu können, ist offenbar kein Garant für eine glückliche und stabile Beziehung. Speichelproben sollten auch künftig nur bei der Verbrecherjagd zum Einsatz kommen. Stefan Rehder ARCHIV »Deutschland. Das von morgen« (16) Für sein meisterhaftes Science-Fiction-Drama »Gattaca« ließ der neuseeländische Regisseur Andrew Niccols Irene (Uma Thurman) dem von ihr auserwählten Vincent (Ethan Hawke) eines ihrer Kopfhaare zur Genanalyse reichen. Dabei haucht sie: »Falls Sie dann noch interessiert sind, sagen Sie es mir«. So stellte sich Niccols anno 1997 den Beginn von Romanzen in einer gentechnisierten Zukunft vor. Einer, die Niccols so weit entfernt wähnte, dass er in »Gattaca« zum ersten bemannten Raumflug zum Saturn ansetzen ließ. Heute, da noch kein Mensch auch nur einen Fuß auf den Mars gesetzt hat, macht das Zürcher Unternehmen GenPartner mit dieser Vision ernst. Anhand von Speichelproben analysiert die Firma den so genannten Haupthistokompatibilitäts-Komplex (MHC). Diese Gene stellen bestimmte Oberflächenproteine her, die eine wichtige Rolle bei der körpereigenen Abwehr K Blick auf das Großherzogtum Luxemburg gische Euthanasie-Gesetz hinaus. Laut dem Luxemburger Entwurf können auch 16- bis 18-jährige sowie Demenzkranke eine »Tötung auf Verlangen« beantragen. Bei der ersten Lesung im Februar stimmten 30 Abgeordnete für den Entwurf. 26 stimmten dagegen, drei enthielten sich. Der Fraktionszwang war für die Abstimmung aufgehoben worden. reh 33 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 34 C M Y CM MY CY CMY K LESERFORUM »sozialverträglichen Frühableben« kommt und Leute wie Roger Kusch Profit aus den Ängsten der Menschen vor einem Sterben in Schmerzen und Einsamkeit schöpfen, sollten wir nach unseren Möglichkeiten im Privaten und Öffentlichen dazu beitragen, dass die aktive Sterbehilfe hierzulande auch weiterhin verboten bleibt. Optisch und inhaltlich hat mich das LebensForum wieder einmal überzeugt. Vor allem die Aufmachung hat mir gut gefallen. Josef Schall, Mainz Bevor ich den Beitrag (»Die Wissen- Blind und bezugslos schaft hat festgestellt...«) von Herrn Rehder im letzten LebensForum las, war ich noch der Überzeugung, dass dem neuzeitlichen Wahrheitsbegriff »verum, quia factum«, der auch der naturwissenschaftlichen Methode eigen ist, wenigstens noch Wissen schafft Verantwortung und stark machen für den Lebensschutz. Sonst können wir uns in einigen Jahren zwar als eine tierliebe und umweltfreundliche, aber weniger als eine »menschenachtende« Gesellschaft rühmen. An dieser Stelle möchte ich einmal meinen herzlichsten Dank für das »LebensForum« aussprechen. Diese Zeitschrift stellt für mich neben einer Plattform des Austausches und neben einer Informationsbörse zugleich auch einen stets neuen Ansporn dar. Denn wie sagt man: »Wissen schafft Verantwortung!« Martina Botzke, Münster WOMEN ON WEB / WILLEM VELTHOVEN Gute Argumente Wie in der letzten Ausgabe deutlich wurde, kommen zunehmend neue Streitfragen auf: So kämpfen »Women on web« neuerdings mittels eines Onlineversandes für einen freien Zugang zur Abtreibung(spille), verschiedene EU-Mitgliedsstaaten fordern ein einheitliches Abtreibungsrecht und Roger Kusch ist mit seiner hauseigenen »Kusch Sterbehilfe« auf dem Vormarsch. Mit jeder weiteren Ausgabe von »LebensForum« wird mir erneut bewusst, wie wichtig es ist, dass wir uns einsetzen 34 Probedruck Die Diskussion um die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe in Deutschland bleibt weiterhin akut. Dies hat die letzte Ausgabe des LebensForums einmal mehr verdeutlicht. Wie das Interview mit BÄKPräsident Jörg-Dietrich Hoppe zeigt, scheint die Ärzteschaft die Euthanasie erfreulicherweise abzulehnen. Dies und die großen Erfolge der Palliativmedizin und Hospizbewegung sind gute Argumente, die sich gegen die »Tötung auf Verlangen« anführen lassen. Wenn wir nicht wollen, dass es zukünftig zu einem ARCHIV Rebecca Gomperts: Abtreibung per Online-Bestellung ARCHIV Roman Schneider, Düsseldorf über LebensForum Nr. 87 Bundesärztekammer-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe Früher Fälscher: Ernst Haeckel (1834 - 1919) ein gewisser korrespondenztheoretischer Bezug zur untersuchten Wirklichkeit zugrundeliegt. Naturwissenschaft hat demnach das Forschungsziel die Gesetzlichkeiten, die in der Natur zu beobachten sind, aufzudecken. Ganz offensichtlich hat aber die pragmatische Vorstellung der Wahrheit immer mehr dazu geführt, dass nun noch nicht einmal mehr eine Korrespondenz zwischen naturwissenschaftlicher Aussage und zu beschreibender empirischer Wirklichkeit angestrebt wird, wenn sich Erfolg auf anderem Wege eher einstellt. Bei einem solchen Vorgehen geht es erst recht nicht mehr darum, die Wahrheit oder das Wesen des untersuchten »Forschungsobjektes« – der Mensch im embryonalen Zustand – zu ergründen. In weiten Kreisen scheint das zeitgenössische Denken für diese grundlegendste Frage blind geworden zu sein, was in zunehmender Weise erschütternd zutage tritt. Thomas Kreter, Bonn LebensForum 88 LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 35 C M Y CM MY CY CMY K IMPRESSUM IMPRESSUM LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 88, 4. Quartal 2008 ISSN 0945-4586 Verlag Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07 www.alfa-ev.de, Email: [email protected] Herausgeber Aktion Lebensrecht für Alle e.V. Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminski (V.i.S.d.P.) Kooperation Ärzte für das Leben e.V. – Geschäftsstelle z.H. Frau Dr. Bärbel Dirksen Ludwig-Schüsselerstr. 29, 64678 Lindenfels Tel.: 0 62 54 / 4 30, E-Mail: [email protected] www.aerzte-fuer-das-leben.de Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen Stitzenburgstraße 7, 70182 Stuttgart Tel.: 0711 - 232232, Fax: 0711 - 2364600 E-Mail: [email protected], Internet: www.tclrg.de Redaktionsleitung Stefan Rehder, M.A. Redaktion Veronika Blasel, M.A.,Alexandra Linder, M.A., Dr. med. Maria Overdick-Gulden, Prof. Dr. med. Ingolf SchmidTannwald (Ärzte für das Leben e.V.) Bankverbindung Augusta-Bank Konto Nr. 50 40 990 - BLZ 720 900 00 Spenden erwünscht Anzeigenverwaltung Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. 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Erscheinungweise Vierteljährlich, Lebensforum Nr. 89 erscheint am 27.02.2009, Redaktionsschluss ist der 30.01.2008 Jahresbezugspreis 16,- EUR (für ordentliche Mitglieder der ALfA und der Ärzte für das Leben im Beitrag enthalten) Fotomechanische Wiedergabe und Nachdruck – auch auszugsweise – nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge können wir keine Haftung übernehmen. Unverlangt eingesandte Rezensionsexemplare werden nicht zurückgesandt. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe zu kürzen. Helfen Sie Leben retten! Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg Telefon (08 21) 51 20 31,Fax (08 21) 156407, http://www.alfa-ev.de Spendenkonto: Augusta-Bank eG (BLZ 720 900 00), Konto Nr. 50 40 990 Ja, ich abonniere die Zeitschrift Lebensforum für 16,– € pro Jahr. Herzlich laden wir Sie ein, unsere ALfA-Arbeit durch Ihre Mitgliedschaft zu unterstützen. Ja, ich unterstütze die Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. als ordentliches Mitglied mit einem festen Monatsbeitrag. Der Bezug des Lebensforums ist im Beitrag schon enthalten. Die Höhe des Beitrages, die ich leisten möchte, habe ich angekreuzt: 12,– € jährlich für Schüler, Studenten und Arbeitslose 24,– € jährlich Mindestbeitrag _________ € jährlich freiwilliger Beitrag. Mitgliedsbeiträge und Spenden sind steuerlich abzugsfähig! Meine Adresse Freiwillige Angaben Name Geboren am Straße, Nr. Telefon PLZ, Ort Religion Beruf Um Verwaltungskosten zu sparen und weil es für mich bequemer ist, bitte ich Sie, meine Beiträge jährlich von meinem Konto einzuziehen: Institut Datum, Unterschrift Probedruck Konto.-Nr. BLZ LF_88.fh11 24.11.2008 12:33 Uhr Seite 36 C M Y CM MY CY CMY K LETZTE SEITE 1000 Kreuze Aktion Ereignisreiche Demonstration des Bundesverband Lebensrecht für das Recht auf Leben in der Bundeshauptstadt Postvertriebsstück B 42890 Entgelt bezahlt Deutsche Post AG (DPAG) Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA) Ottmarsgässchen 8, 86152 Ausgburg Von Claudia Kaminski N schend die Andacht. Auch hier reagierte die Polizei hervorragend und führte das Paar innerhalb kürzester Zeit aus der Kirche. Nur leicht gestört wurde daher die Predigt von Peter Strauch, ehemaliger Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz und einstiger Präses des Bundes Freier evangelischer Gemeinden. Er machte deutlich: wer sich an Menschen vergreife, vergreife sich dabei auch an Gott. Gott liebe ausnahmslos jeden Men- HERMANN BREDEHORST och nie gab es im Vorfeld der Der anschließende Schweigemarsch 1.000-Kreuze-Aktion so viele durch die Innenstadt von Berlin war eine Aufrufe im Internet gegen die eindrucksvolle Demonstration für das Lebensrechtler – und noch nie wurde der Recht auf Leben. Rund 1.000 Teilnehmer Schweigemarsch so massiv gestört wie in gingen unbeirrt und ohne sich von den diesem Jahr am 20. September in Berlin. begleitenden Störern provozieren zu lasSchon während der Kundgebung auf dem sen, ihren Weg zur St. Hedwigs-KathePlatz vor dem Roten Rathaus musste die drale. Dabei zeigte sich, wie gut die Polizei Polizei immer wieder – zum Teil sehr tatsächlich abzuschirmen verstand: Leunordentlich gekleidete, schrille – Gegenbensrechtler, deren Kleidung ein wenig demonstranten zurückdrängen und zum zu sehr an »Autonome« erinnerten, durfSchweigen bringen. Immer wieder wurde gejohlt, gebrüllt und geschrieen »Hätt’ Maria abgetrieben, wär’t Ihr uns erspart geblieben.« Die Abtreibungsbefürworter hatten zudem Transparente dabei (»Deutschland braucht Abtreibung«) mit denen sie jedoch ebenfalls von den freundlichen aber bestimmten Polizisten auf Abstand zur Versammlung auf dem Platz gehalten wurden. Die Veranstalter vom Bundesverband Lebensrecht betonten, dass die Tabuisierung des Abtreibungsgeschehens in Deutschland aufhören müsse. Es sei ein Skandal, dass hunderttausende Kinder nicht leben dürften und hunderttausenden Frauen im Schwangerschaftskonflikt nicht geholfen werde. Grußworte zahl- Mehr als 1.000 Lebensrechtler zogen schweigend durch Berlin. reicher Persönlichkeiten und Politiker zeigten, dass die Demonstration ten sich nicht unter die Demonstranten sehr viele Unterstützer hat. mischen. Im Rahmen der Kundgebung begrüßte Tatsächliche Gegendemonstranten der Bundesverband Lebensrecht den Gehatten es da leichter: Ein lesbisches Pärsetzentwurf der CDU/CSU zur Verminchen hatte sich schon vor Beginn des derung von Spätabtreibungen als wichtiGottesdienstes unauffällig Plätze in der gen Schritt in die richtige Richtung, ersten Reihe der Kathedrale gesichert. machte aber auch deutlich, dass das UnWährend der Predigt sprangen beide rechtsbewusstsein im Hinblick auf die gleichzeitig auf, entblößten ihre mit umTötung ungeborener Kinder in der Gegekehrten Kreuzen bemalten Oberkörper sellschaft weithin geschwunden sei. und störten so erst rufend, dann knut- Probedruck schen. Dies gelte sowohl für Ungeborene als auch für werdende Mütter und Väter. Und weil diese 1.000-Kreuze-Aktion in Berlin eine gute Gelegenheit ist, für das Recht auf Leben einzutreten und es auch sichtbar zu machen, hat der Bundesverband Lebensrecht beschlossen, schon nächstes Jahr wieder eine Demonstration in Berlin zu veranstalten. Am 19. September 2009 sind alle herzlich eingeladen mit uns auf die Straße zu gehen.