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Universiteit Gent Academiejaar 2007-2008 „Es ist mir, als wenn ich nur halb lebte“ Auf der Suche nach dem „Unheimlichen“ in Gotthelfs Die schwarze Spinne und Hauffs Das kalte Herz Promotor: Prof. Dr. Benjamin Biebuyck Verhandeling voorgelegd aan de Faculteit Letteren en Wijsbegeerte voor het behalen van de graad van Master in de Taal- en Letterkunde: Duits-Engels door Bram Van Dosselaer Vorwort Ich möchte mich an dieser Stelle bei meinem Betreuer, Prof. Dr. Benjamin Biebuyck, für seine Richtlinien und seinen Ratschlag, seine Hilfe bei der Literatursuche und Antwort auf alle meine Fragen, herzlich bedanken, weil er mich auf diese Weise bei meiner Arbeit begleitet hat. Auch Dr. Uta Schaffers möchte ich in Bezug auf die Suche nach Sekundärliteratur danken. Weiter danke ich meinen Verwandten und Freunden, da sie in dieser Periode auf gemeinsame Zeit verzichtet haben. Inhalt Vorwort 0. Einleitung 1 1. Das Unheimliche 4 1.1. Freud: die unheimlichen Phänomene 4 1.2. Todorov: das Unheimliche und das Fantastische 7 1.3. Louis Vax: die unheimliche Erfahrung 8 1.4. Von der Thüsen: das Unheimliche und das Sublime 10 1.4.1. Definition des Unheimlichen 10 1.4.2. Kontrast zum Sublimen 12 1.5. Van Gorp: das Unheimliche in dem Schauerroman 13 2. Die Rolle der Gattung 16 3. Das Unheimliche in Die schwarze Spinne und Das kalte Herz 19 3.1. Die Sehnsucht nach den Anfängen 19 3.2. Aberglauben, Animismus und die reale Welt 24 3.3. Wahrnehmungen der Charaktere: böse Absichten 34 3.3.1. Hans von Stoffeln 34 3.3.2. Der Grüne 35 3.3.3. Christine 36 3.3.4. Der Holländer-Michel 37 3.3.5. Peter Munck 41 3.3.6. Das Glasmännlein 43 3.4. Angst vor dem Tod 49 4. Das Schaffen einer unheimlichen Atmosphäre 54 5. Schlussfolgerung 62 6. Bibliografie 65 0. Einleitung In vorliegender Masterarbeit möchte ich untersuchen was unter dem Phänomen des „Unheimlichen“ verstanden wird und welche Merkmale eine Erzählung enthalten soll, bevor sie als „unheimlich“ bezeichnet werden kann. Das Wort „unheimlich“ ist ein aus einer ganzen Reihe von Adjektiven, mit denen den Charakter einer Erzählung bestimmt werden kann, aber was versteht man eigentlich unter dem Begriff? Wie sieht es aus mit Unheimlichkeit innerhalb des Bereichs der Literatur? Kommen für das „Unheimliche“ alle Literaturgattungen in Frage und soll man bei der Wahrnehmung dieses Phänomen von der Sicht des Lesers oder der Figuren in der Erzählung ausgehen? Obenstehende Fragen werden auf der Suche nach dem „Unheimlichen“ noch weiter spezifiziert und hoffe ich am Ende dieser Arbeit mit einer passenden Antwort zu versehen. Im Hinblick auf die Beziehung zwischen Unheimlichkeit und Literatur hat Sigmund Freud mit „Das Unheimliche“ (1919) einen wichtigen Beitrag geliefert. In diesem Aufsatz macht der berühmte Wiener Psychoanalytiker einen Unterschied zwischen mehreren unheimlichen Phänomenen und stützt diesen auf Beispiele aus der Literatur. Hierbei erwähnt Freud, dass Ernst Jentsch in Über die Psychologie des Unheimlichen (1906) ihn „an einen Dichter mahnt, dem die Erzeugung unheimlicher Wirkungen so gut wie keinem anderen gelungen ist“.1 Jentsch bespricht in seinem Werk den Romantiker E.T.A. Hoffmann und seine Nachtstücke (1817), in denen Freud Belege für seine Theorie über unheimliche Phänomene findet. Ich werde untersuchen, ob solche unheimliche Phänomene in anderen Werken der Literatur zu unterscheiden sind, sodass auch diese Werke als „unheimlich“ charakterisiert werden können. Für meine Untersuchung werde ich mich mit Wilhelm Hauffs Märchen Das kalte Herz (1827) und mit Jeremias Gotthelfs Sage Die schwarze Spinne (1842) auseinandersetzen. Ich habe diese Werke ausgewählt, da sie, ebenso wie die Werke, auf die Freud sich für seinen Aufsatz gestützt hat, aus dem 19. Jahrhundert stammen. Sind bei Schriftstellern aus demselben Zeitalter ähnliche unheimliche Phänomene feststellen? Darüber hinaus vertreten die beiden Texte eine jeweils andere Gattung und weisen daher unterschiedliche Merkmale auf. Für Freud gilt, dass in einem Märchen, im Gegensatz zu 1 Freud, Sigmund: Werke aus den Jahren 1917-1920. Frankfurt am Main: Fischer, 1966. S. 238 1 der Sage, bei dem Märchen nahezu nichts Unheimliches passieren kann. Hier ist die Beziehung des Unheimlichen zum Fantastischen von Bedeutung. Freud behauptet, „daß es nämlich oft und leicht unheimlich wirkt, wenn die Grenze zwischen Phantasie und Wirklichkeit verwischt wird“.2 Das ist für bestimmte Literaturgattungen wie das Märchen, und so für Hauffs Das kalte Herz, aber nicht der Fall. Freuds Definition zufolge lässt das Märchen die reale Welt hinter sich: Das Märchen stellt sich überhaupt ganz offen auf den animistischen Standpunkt der Allmacht von Gedanken und Wünschen, und ich wüßte doch kein echtes Märchen zu nennen, in dem irgend etwas Unheimliches vorkäme.3 Der Animismus ist eine alte Weltauffassung, die unter anderem durch Menschengeister gekennzeichnet wird, und wo diese nicht als etwas Außergewöhnliches betrachtet werden (mehr dazu unter Punkt 1.1.). Dass ein Text einer bestimmten Gattung zuzuordnen ist, bedeutet aber nicht, dass er keine Merkmale anderer Genres aufweisen kann. So werde ich in dieser Masterarbeit zugleich der Frage nachgehen, ob auch bei einer „weniger“ in Betracht gezogenen Gattung von „Unheimlichkeit“ die Rede sein kann. Zuerst lässt sich jedoch folgende Frage stellen: Was versteht man nun eigentlich unter dem Wort „unheimlich“? Wenn man das Adjektiv im Duden nachschlägt, bekommt man die folgende Bedeutung: „ein unbestimmtes Gefühl der Angst, des Grauens hervorrufend“.4 Duden führt „eine unheimliche Gestalt“ und „eine unheimliche Geschichte“ als die ersten zwei Beispiele an. Eine erste Definition lehrt uns, dass es sich bei dem Wort „unheimlich“ um das Hervorrufen von Angst handelt. Die Definition genügt auf einer literaturwissenschaftlichen Ebene trotzdem nicht, um ein Werk wirklich als „unheimlich“ bestimmen zu können. Eine Erzählung ist dann einfach „unheimlich“, wenn sie das Gefühl des Grauens hervorbringt, dem Leser Angst einflößt. Welche spezifische Ängste ruft das „Unheimliche“ denn bei dem Leser hervor? Ein Blick auf die Lehre von Freud bringt uns viel weiter. In „Das Unheimliche“ verdeutlicht Freud die Eigenschaft „unheimlich“ zuerst nach ihrer Bedeutung in der Sprachentwicklung. Das geschieht anhand von Angaben im grimmschen Deutsches Wörterbuch (1877): 2 Freud: Werke aus den Jahren 1917-1920. S.258 Freud: Werke aus den Jahren 1917-1920. S.260 4 Kunkel-Razum, Kathrin: Duden Deutsches Universalwörterbuch, 5., überarb. Aufl. Mannheim: Dudenverlag, 2003. 3 2 Das deutsche Wort „unheimlich“ ist offenbar der Gegensatz zu heimlich, heimisch, vertraut und der Schluß liegt nahe, es sei etwas eben darum schreckhaft, weil es nicht bekannt und vertraut ist.5 Diese Definition ist trotzdem nicht vollständig, und das Wort „unheimlich“ braucht dem Psychoanalytiker zufolge noch eine weitere Erklärung. Einige Definitionen helfen offensichtlich nicht um das Wort „unheimlich“ völlig zu erklären. Eine zweite Möglichkeit, die Freud zur Untersuchung dieses Phänomens darlegt, liegt darin, herauszufinden, „was an Personen und Dingen, Sinneseindrücken, Erlebnissen und Situationen das Gefühl des Unheimlichen in uns wachruft“.6 So stellt sich unter anderem heraus, dass der Tod, und all dasjenige, was mit ihm zu tun hat, für die meisten Menschen den höchsten Grad von Unheimlichkeit repräsentieren. Das erste Kapitel dieser Arbeit wird den verschiedenen Phänomenen, die das spezifische, unheimliche Gefühl in den Menschen heraufbeschwören und auf diese Weise eine weitere Erklärung des Begriffes „unheimlich“ mit sich bringen, gewidmet. Neben Freuds Befunden wird in dem ersten Kapitel auch auf die Auffassungen von Todorov, Louis Vax, von der Thüsen und van Gorp Rücksicht genommen. Todorov hilft uns bei der Frage, ob nun die Leser oder die Figuren auf der Suche nach Unheimlichkeit die wichtigsten Beobachter sind. Vax, von der Thüsen und van Gorp ihrerseits führen zu neueren Ansichten am Ende des 20. Jahrhunderts. Vax knüpft in seinen „Thesen über das Phantastische“ (1998) mit der „unheimlichen Erfahrung“ an die psychoanalytische Tradition Freuds an, während von der Thüsen und van Gorp die unheimliche Atmosphäre in der Erzählung genauer untersuchen. Van Gorp redet In de romantische Griezelroman (1998) von „Unheimlichkeit“ und bezeichnet sie als die typische ängstige Atmosphäre eines Schauerromans: Der Protagonist befindet sich in einer Welt, die ihm fremd zu sein scheint. In Het verlangen naar huivering. Over het sublieme, het wrede en het unheimliche (1997) behandelt von der Thüsen die Bedeutung und die Entstehungsgeschichte des Begriffes „unheimlich“, und macht einen Vergleich mit dem Sublimen. Wo im Bereich des Sublimen das Gefühl der „Ehrfurcht“ im Mittelpunkt steht, wird im Falle des Unheimlichen die Ehrfurcht zu Angst. Freuds Phänomene können zwar auf das Unheimliche in Gotthelfs Die schwarze Spinne und in Hauffs Das kalte Herz deuten, ich möchte außerdem jedoch feststellen, ob die beiden 5 Freud: Werke aus den Jahren 1917-1920. S. 231 Freud: Werke aus den Jahren 1917-1920. S.231 6 3 Erzählungen die typische ängstige Atmosphäre der „Unheimlichkeit“ hervorbringen und in diesem Sinne auch als „unheimlich“ gelten. 1. Das Unheimliche 1.1. Freud: die unheimlichen Phänomene Im Jahr 1919 veröffentlicht Sigmund Freud seinen Aufsatz „Das Unheimliche“, in dem über das Phänomen „unheimlich“ im Hinblick auf Literatur geredet wird. Der Psychoanalytiker umschreibt das „Unheimliche“ als das ehemals „HeimlicheHeimische, das eine Verdrängung erfahren hat und aus ihr wiedergekehrt ist“.7 Man soll trotzdem die Tatsache berücksichtigen, dass nicht alles, was verdrängt worden ist, als „unheimlich“ zurückkehrt. Im Hinblick auf die Definition weist Vax in seinen „Thesen über das Phantastische“ jedoch auf die Tatsache, dass Charles Lamb (1775-1834) schon lange behauptet hatte, was Freud in „Das Unheimliche“ verkündigt: dass unsere Ängste „durch Eindrücke, die zurück in die Tiefe der Zeiten oder hinunter ins Unbewußte reichen“8, und nicht durch dasjenige, was wir in diesem Augenblick erleben. Freud widerlegt in „Das Unheimliche“ unter anderem Ernst Jentsch und seine Über die Psychologie des Unheimlichen (1906), wo letzterer die Meinung vertritt, dass das Unheimliche das „Nichtvertraute“9 darstellt. Weiter stützt Freud seine Definition auf den Urromantiker Schelling: „Unheimlich sei alles, was ein Geheimnis, im Verborgenen bleiben sollte und hervorgetreten ist“.10 Das Unheimliche wird hier umschrieben als das Vertraute, das wieder hervortritt und nur durch Verdrängung entfremdet worden ist. Anschließend erwähnt Freud in seinem Aufsatz unterschiedliche Erklärungen für das Vorkommen des Unheimlichen. So verknüpft Freud zunächst „unheimlich“ mit „Kastrationskomplex“. Dieser Komplex wird Menschen zugeschrieben, die Angst davor haben, die Augen zu beschädigen oder sogar schlimmer, zu verlieren, wobei die Augen das männliche Glied symbolisieren. Als 7 Freud: Werke aus den Jahren 1917-1920. S. 259 Paul, Jean-Marie: Dimensionen des Phantastischen: Studien zu E. T. A. Hoffmann. St. Ingbert: Röhrig, 1998. S.42 9 Freud: Werke aus den Jahren 1917-1920. S. 231 10 Freud: Werke aus den Jahren 1917-1920. S.236 8 4 „unheimlich“ gelten auch die Phänomene des Doppelgängers und des Wiederholungsdrangs. Es handelt sich bei diesem Drang um die Wiederkehr von Erlebnissen, Zahlen und Namen, die das Gefühl von Unheimlichkeit hervorruft. Solch ein Gefühl wird von jedem anders empfunden und hängt mit Ereignissen aus der eigenen Kinderzeit zusammen. Ein weiteres Prinzip bildet der sogenannte „Animismus“, abgeleitet vom lateinischen Wort „Animus“, das auf Geist, Seele oder Atem deutet. Der Animismus ist eine Weltauffassung, eine Religionsform, bei der man an die Anwesenheit von Seelen und Geistern in der Umwelt der Menschen glaubt: Die Analyse der Fälle des Unheimlichen hat uns zur alten Weltauffassung des Animismus zurückgeführt, die ausgezeichnet war durch die Erfüllung der Welt mit Menschengeistern, durch die narzißtische Überschätzung der eigenen seelischen Vorgänge, die Allmacht der Gedanken und die darauf aufgebaute Technik der Magie, die Zuteilung von sorgfältig abgestuften Zauberkräften an fremde Personen und Dinge (Mana), sowie durch alle die Schöpfungen, mit denen sich der uneingeschränkte Narzißmus jener Entwicklungsperiode gegen den unverkennbaren Einspruch der Realität zur Wehr setzte.11 Freud glaubt, dass jeder Mensch in seiner Entwicklung eine dem Animismus entsprechende Phase erlebt, und geht davon aus, dass bei jedem Menschen Reste solch einer animistischen Entwicklungsphase zu finden sind. Nach Freud wird dann all dasjenige als „unheimlich“ umschrieben, das „diese Reste animistischer Seelentätigkeit rührt und sie zur Äußerung anregt“.12 Im Mittelpunkt steht ein uneingeschränkter, überzogener Narzissmus, der sich über die Realität stellt. Ein anderer Fall des Unheimlichen ist zu unterscheiden, wenn Menschen jemandem böse Absichten zutrauen. Die Menschen stehen dieser Person misstrauisch gegenüber, da solch eine Person über magische Kräfte verfügen kann, imstande ist, andere Leute in seiner Gegend zu schädigen. Das Phänomen schließt an die Lehre des Animismus (fremde Personen mit Zauberkräften) an. Was die Menschen jedoch am meisten als „unheimlich“ empfinden, ist die Begegnung mit den Toten. Die Wiederkehr der Toten und das Vorkommen von Leichen und Geistern zeigen den grauenhaften Teil des Unheimlichen. Freud möchte in seinem Aufsatz auch vor allem betonen, dass sich unsere Beziehung zum Tod, wenn wir auf die Urzeiten zurückblicken, fast nicht geändert hat. Eine primitive Angst vor dem Tod ist heutzutage immer noch bei den 11 12 Freud: Werke aus den Jahren 1917-1920. S.253 Freud: Werke aus den Jahren 1917-1920. S.254 5 Menschen anzutreffen. Als letztes Phänomen tritt die Angst vor dem Scheintod, der Gedanke lebendig begraben zu werden, auf. Freud erläutert, dass Befunde der Psychoanalyse gezeigt haben, dass diese aus der Fantasie, im Mutterleib zu leben, hervorgeht. Das Schreckliche (Angst vor dem Scheintod) macht hier Platz für das Heimliche-Heimische, das Altvertraute (der Mutterleib). Weiter macht Freud den Unterschied zwischen dem „Unheimlichen des Erlebens“13 und dem „Unheimlichen der Phantasie“.14 Ersterer entsteht, „wenn verdrängte infantile Komplexe durch einen Eindruck wieder belebt werden, oder wenn überwundene primitive Erzeugungen wieder bestätigt scheinen“.15 Das Unheimliche der Fantasie und der Dichtung, also der Fiktion, umschließt jenes des Erlebens und, darüber hinaus, auch Vieles, das nicht in die Wirklichkeit einzuordnen ist. Man soll trotzdem darauf achten, dass viele Gegenstände und Personen, die im Alltag als „unheimlich“ empfunden werden, in der Welt der Fiktion keine unheimliche Wirkung haben. So geht Freude davon aus, dass man bei dem Märchen die Welt der Realität für eine animistische umgetauscht hat. Das hat zur Folge, dass die geheimen Kräfte und Geister hier keine unheimliche Ausstrahlung bewirken. Das unheimliche Gefühl erfordert, Freud zufolge, ein Urteil über die Frage, ob das „überwundene Unglaubwürdige“16 in der Geschichte jedoch nicht real möglich ist. Der Leser kann Fantasie und Wirklichkeit nicht auseinanderhalten: daß es nämlich oft und leicht unheimlich wirkt, wenn die Grenze zwischen Phantasie und Wirklichkeit verwischt wird, wenn etwas real vor uns hintritt, was wir bisher für phantastisch gehalten haben17 Die Schaffung einer unheimlichen Atmosphäre gelingt dem Autor nur, wenn er den Lesern bei der Antwort auf die Frage im Unklaren lässt. Solch eine Frage wird für das Märchen laut Freud überhaupt nicht gestellt. Er gibt dafür das Beispiel von Schneewittchen, deren Wiedergeburt nicht unheimlich wirkt. 13 Freud: Werke aus den Jahren 1917-1920. S.261 Freud: Werke aus den Jahren 1917-1920. S.264 15 Freud: Werke aus den Jahren 1917-1920. S.263 16 Freud: Werke aus den Jahren 1917-1920. S.264 17 Freud: Werke aus den Jahren 1917-1920. S.258 14 6 1.2. Todorov: das Unheimliche und das Fantastische Nach der Meinung des Strukturalisten Tzvetan Todorov, in seiner Einführung in die fantastische Literatur (1972), ist die Beziehung zwischen dem Unheimlichen und dem Fantastischen ebenso wie bei Freud von der Unschlüssigkeit, dem Zweifel des Lesers, stark abhängig. Hat etwas wirklich stattgefunden, oder handelt es sich nur um eine Wahnvorstellung? Das Fantastische liegt im Moment dieser Ungewißheit; sobald man sich für die eine oder die andere Antwort entscheidet, verläßt man das Fantastische und tritt in ein benachbartes Genre ein, in das des Unheimlichen oder das des Wunderbaren. Das Fantastische ist die Unschlüssigkeit, die ein Mensch empfindet, der nur die natürlichen Gesetze kennt und sich einem Ereignis gegenübersieht, das den Anschein des Übernatürlichen hat.18 Todorov betont die Wichtigkeit anderer Genres, um das Genre des Fantastischen definieren zu können, und situiert das Gebiet des Fantastischen, wie eine Grenze, zwischen dem des Unheimlichen und dem des Wunderbaren. Hinzukommend stellt sich die Frage, ob der Leser oder/und die handelnde Figur im Buch unschlüssig sein sollte(n). Eine erste wichtige Bedingung des Fantastischen für Todorov bildet also die Unschlüssigkeit des Lesers. In minderem Maße präsent, jedoch in den meisten fantastischen Werken vorhanden, ist der Zweifel, der im Text selbst anzutreffen ist. Der Leser identifiziert sich in diesem Fall mit den Figuren in der Erzählung, was aber keine notwendige Voraussetzung ist. Es handelt sich darüber hinaus nicht um einen echten Leser, sondern um eine „Funktion“19 des Lesers, die eine bestimmte Haltung mit sich bringt. Todorov führt dafür als Beispiel sprechende Tiere an. Für Hauffs Geschichte Das kalte Herz, die in der Märchenwelt spielt, würden diese sprechenden Tiere bei dem Leser keinen Zweifel verursachen, da sie in dieser Welt nicht als etwas Besonderes, sondern als etwas Normales betrachtet werden. Gerade hier manifestiert sich eine weitere Bedingung. Neben der Tatsache, dass eine fantastische Erzählung das „Vorkommen eines unheimlichen Ereignisses“20 erfordert, bei dem der Leser nicht 18 Todorov, Tzvetan: Einführung in die fantastische Literatur. Carl Hanser Verlag: München, 1972. S.26 Todorov: Einführung in die fantastische Literatur. S.31 20 Todorov: Einführung in die fantastische Literatur. S.32 19 7 weiß, ob dieses Vorkommen natürlich oder übernatürlich zu erklären ist, steht auch eine Lesart im Mittelpunkt, die „weder poetisch noch allegorisch“21 sein darf. Am Ende seiner Auseinandersetzung geht Todorov noch auf einige andere Theorien ein. Er widersetzt sich den Theoretikern H.P. Lovecraft und Caillois, beide Vertreter der Idee, dass das Fantastische auf die emotionale Intensität der Leser zurückgeht. „Eine Erzählung ist ganz einfach dann fantastisch, wenn der Leser zutiefst Furcht und Schrecken […] empfindet“.22 Das bedeutet zugleich, dass die Wichtigkeit des Autors und des Textes in den Hintergrund gedrängt wird. Der Durchschlag ist dann das Gefühl von Angst oder, Caillois zufolge, das Unheimliche als „Prüfstein des Fantastischen“.23 Das Märchenhafte und das Fantastische bilden laut Caillois zwei Arten des Wunderbaren. Dass eine Gattung durch die Emotionalität seiner Leser bestimmt werden soll, ist eine Auffassung, die – berechtigterweise – von Todorov in den Papierkorb verwiesen wurde. In Gotthelfs Die schwarze Spinne und Hauffs Das kalte Herz werde ich nachgehen, ob von Unschlüssigkeit der Figuren und des Lesers die Rede ist, und ob die Erzählungen, aufgrund dieser Bedingung, dem Bereich des Fantastischen zuzuordnen sind. Ich werfe dann einen Blick auf die Beziehung zu dem Unheimlichen und dem Wunderbaren. Haben die Erzählungen von Gotthelf und Hauff einen fantastischen Charakter und sind in Hauffs Märchen also neben wunderbaren auch unheimlichen Elementen anzutreffen? 1.3. Louis Vax: die unheimliche Erfahrung Louis Vax betont in seinem Aufsatz „Thesen über das Phantastische“ (1998) die Wichtigkeit verschiedener Typen von Personen, verschiedener Arten von Landschaften und Gebäuden, die das Gefühl des Unheimlichen hervorrufen: Manche Orte sind dazu prädestiniert, Wiedergänger, Hexen, Vampire, Dämonen und Werwölfe zu beherbergen: Schloßruinen, verlassene Landstriche, Wegkreuzungen, leerstehende Häuser, Krypten und gotische Kirchenschiffe, deren Rippe und Gewölbe tierhäutigen Dämonenflügeln gleichen.24 21 Todorov: Einführung in die fantastische Literatur. S.32 Todorov: Einführung in die fantastische Literatur. S.34 23 Todorov: Einführung in die fantastische Literatur. S.35 24 Paul: Dimensionen des Phantastischen: Studien zu E. T. A. Hoffmann. S.27 22 8 Auf einer psychologischen Ebene stellt Vax fest, dass „die Angst, das Unheimlichkeitsgefühl oder das Entsetzen zu einer Quelle der Lust werden“25 können. Es handelt sich dann um eine unheimliche Erfahrung, die sowohl Abneigung als Anziehung hervorruft. Vax gibt dafür ein Beispiel eines kleinen Jungen: Von panischer Angst ergriffen, flieht er mit seiner Schwester vor einem großen Baum. Kaum befindet er sich jedoch im elterlichen Haus und in Sicherheit, frage er seine kleine Begleiterin: „Willst du noch einmal mit mir zu dem großen Baum gehen?“ „Warum?“ „Damit wir noch einmal Angst haben!“26 Die unheimliche Erfahrung des Jungen gibt die Ambivalenz des Fantastischen wieder. Was das Fantastische betrifft, folgt Vax der Ansicht von Pierre-Georges Castex: Das Wunderbare und das Fantastische sind etwas ganz Verschiedenes. Das „Fantastische“ wird Vax zufolge wie folgend definiert: Die phantastische literarische Erzählung ist die Domäne des Ungewissen und des Unbekannten, der Bereich, wo das Reale und das Imaginäre, der Traum und die Wirklichkeit, das Bekannte und das Unbekannte, das Wissen und das Rätsel in einer Art Zwischenwelt zusammenkommen, in einer dämmerhaften Fusion, in der alle Gewißheiten der Vernunft ins Wanken geraten. Ein brutales, unnormales und unerwartetes Ereignis bewirkt ein Umkippen, uns es vollzieht sich das berühmte „Eindringen des Phantastischen in das alltägliche Leben“. Das phantastische Erzählen ist also durch eine Diskontinuität gekennzeichnet, die sich aus der Begegnung zweier Welten ergibt, aus dem Schock, der durch diese Begegnung ausgelöst wird, aus dem Geheimnis und dem Rätsel, die daraus resultieren, aus den Fragen, die sich die Protagonisten stellen…27 Vax bezeichnet die Volkssage, und so unter anderem auch Die schwarze Spinne von Gotthelf, als Vorläufer der modernen fantastischen Erzählung, während das Volksmärchen und, teilweise, das Kunstmärchen, wie Hauffs Das kalte Herz, sich von dieser Volkssage und ihren Merkmalen unterscheiden. Letztere, das Volks- und das Kunstmärchen, sind dem Bereich des Wunderbaren zuzuordnen. Innerhalb dieses Bereichs treffen wir das Reale nicht an und bezieht sich die Erzählung nur auf das Imaginäre. In der Gattung des Märchens kann laut Vax nichts Unheimliches passieren. Vax basiert sich jedoch für die Definition des Fantastischen, wie Todorov, auf der Unschlüssigkeit der Figuren („Fragen, die sich die Protagonisten stellen“). In dieser Arbeit werde ich mit Rücksicht auf Vax Theorie untersuchen, ob die Figuren in der 25 Paul: Dimensionen des Phantastischen. S.36 Paul: Dimensionen des Phantastischen. S.36 27 Paul: Dimensionen des Phantastischen. S.48 26 9 Erzählung ähnliche unheimliche Erfahrungen, wie im Beispiel des kleinen Jungen, erleben. Diese Erfahrungen deuten dann auf die Ambivalenz des Fantastischen. 1.4. Von der Thüsen: das Unheimliche und das Sublime 1.4.1. Definition des Unheimlichen Joachim von der Thüsen umschreibt das Phänomen „unheimlich“ in seinem Buch Het verlangen naar huivering. Over het sublieme, het wrede en het unheimliche (1997) als dasjenige, das sich zwischen dem Wirklichen und dem Übernatürlichen befindet. Es wirkt beunruhigend, wenn das Übernatürliche aus dem Wirklichen unbegründet, wie aus dem Nichts, zum Vorschein kommt. Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit im Hinblick auf die Realität verlieren ihre Angemessenheit, da unerwartete Änderungen den Helden wie auch die Leser beeinflussen, und diese dadurch ihre Orientierung verlieren. Das Unheimliche entsteht erst, wenn die Grenze zwischen dem Wirklichen und dem Übernatürlichen definitiv festliegt. Das geschieht im 18. Jahrhundert im Rahmen der Aufklärung. Entfernte Lebenskreise, das Exotische im Allgemeinen, verlieren ihre Besonderheit. So verliert die alte Erzählart die typische Mischung realistischer und mythischer Elemente. Der realistische Blick auf die entfernten Lebenskreise hat zur Folge, dass innerhalb dieses Jahrhunderts die „Fremdheit“ mehr und mehr in den Hintergrund verdrängt wird. Während eine Verdrängung des geografisch Fremden stattfindet, wird Verwandtschaft mit dem bereits Bekannten immer wieder betont. Eine ähnliche Tendenz ist auf der psychologischen Ebene anzutreffen. Die unübersichtlichen Aspekte der menschlichen Psyche geraten in Vergessenheit. Ausgerechnet die unheimliche Erzählung (wie der Schauerroman), die in der zweiten Hälfte des 18. Jh. entsteht, übt Kritik an dem Rationalitätskonzept der Aufklärungsperiode, das die Wahrheit der menschlichen Triebe nicht oder nur teilweise anerkennt. Von der Thüsen erklärt, dass die Rationalität trotzdem kein Angriff auf die Emotionalität der Menschen war. Die Aufklärung sucht in der zweiten Hälfte des 18. Jh. im Gegenteil genau das Gebiet des Sentimentalismus auf, erweist sich in diesem Sinne sogar als empfindsam. Das Ziel, das Erreichen eines Gleichgewichts zwischen Vernunft und Gefühl, findet 10 man in verschiedenen psychologisch-moralisierenden Romanen, Idyllen, Elegien und Familiendramen vor. Doch, da vor allem der moralische Aspekt des Menschen betont wird, wird zugleich auch Einiges (wie Gefühle) außer Betracht gelassen. Es handelt sich dabei hauptsächlich um Aggression und Sexualität, die daher ein unterirdisches Leben führen, von Begierde und Angst geprägt. Von der Thüsen behauptet wie Freud, dass das Verdrängte zurückkehrt. Beim Schauerroman wie auch im Bereich der Volksmythen (Sagen, Märchen…) soll die verdrängte Seite des menschlichen Gefühls in Texten zum Ausdruck gebracht werden. Ab Anfang des 19. Jh. herrscht in den Gruselromanen das Gefühl des „SchönSchaurigen“.28 Ein übertriebener, nicht ernsthafter Stil ist in den Werken anzutreffen. Die Nachtseite der menschlichen Seele wird zwar ernsthaft dargestellt, das Triviale der Volksmythen aber ist niemals weit weg und zeigt sich als etwas Künstliches. Die Wiederaufnahme des Verdrängten steht hier im Mittelpunkt, ist jedoch wegen dieser ernsthaften und trivialen Anspielungen ambivalent. Neben Vernunft, sinnlicher Wahrnehmung und Empathie treten jetzt der Schauer und das Magisch-Mythische als zusätzliche Wissensinstrumente beim aufklärerischen Schreibverfahren in den Vordergrund. So eignet sich das mythische Erzählen dazu, die Reise nach dem „Anderen“ darzustellen. Das Prinzip Zeit wird aufgehoben, und das „nicht-Anwesende“ wird in seiner Anwesenheit gezeigt. Dem Erzähler unheimlicher Geschichten steht solch eine traditionelle Denkart nicht zur Verfügung, weil er sich durch ein modernes Bewusstsein führen lässt. Eine historische Welt, in der sich alltägliche Personen befinden, wird von Gesetzmäßigkeit und Wahrscheinlichkeit bestimmt. Bei allen unheimlichen Geschichten ist deswegen, von der Thüsen zufolge, ein vertrautes Szenario anzutreffen. Das moderne Bewusstsein gerät jedoch in Konflikt mit dem älteren Denken, dem „Mythisch-Magischen“. Anlass bildet der Erzähler, der seine Perspektive einer ängstigen Figur überlässt, woraufhin die Handlung der Geschichte entgleist. Zweifel zeigt sich Herr der Lage und der Leser kann sich fragen, ob es doch nicht eine Welt neben der unseren bekannten Welt gibt. 28 Von der Thüsen, Joachim: Het verlangen naar huivering. Over het sublieme, het wrede en het unheimliche. Amsterdam : Querido, 1997. S.80 11 1.4.2. Kontrast zum Sublimen Von der Thüsen macht weiter einen Vergleich zwischen dem Unheimlichen und dem Sublimen. Er erwähnt die Tatsache, dass es im 19. Jahrhundert eine sogenannte doppelte Ästhetik gibt. Der Bereich des nicht-Schönen (des Sublimen, des Hässlichen, des Grotesken und des Unheimlichen), unterscheidet sich von jenem des Schönen. In dieser Arbeit ist die Beziehung des Unheimlichen zum Sublimen von Bedeutung. Die Tatsache, dass es neben „Schaudern“ in einem unheimlichen Sinne auch einen „erhabenen Schauer“ gibt, sorgt für einige Undeutlichkeit zwischen den Begriffen. Sie werden nämlich als Kongruenz betrachtet, weil die Definition der einzelnen Begriffe nicht ganz klar ist. Was versteht man nun unter dem Wort „Schauer“ und wann spricht man von einem „erhabenen Schauer“? Joachim von der Thüsen umschreibt den „Schauer“ als ein körperliches Signal, das die Anwesenheit des Anderen wiedergibt. Huivering is een onwillekeurige fysiologische reactie en kan niet echt een waarnemingsvorm worden genoemd: de huiverende mens wordt ‚aangeraakt‘ door het Andere dat geen contouren of een tastbare gestalte heeft. 29 Diese Art von Kongruenz setzt sich auch in dem Bereich der Literatur fort. Von der Thüsen beruft sich auf die Novellen von Anne Radcliffe, um zu zeigen, dass sowohl das Unheimliche als das Sublime in dem Schauerroman vorfindlich sind. Die Protagonisten in Radcliffes Erzählungen halten sich an dem Anblick der mächtigen Natur, beispielswiese dem Anblick eines unermesslichen Meeres oder wüster Berglandschaften, fest, sind so teilweise imstande, ihrer schlechten Lage zu „entfliehen“. Wenn das Unheimliche ins Spiel kommt, geraten diese sublimen Momente jedoch in die Verdrängung. Alles wird für den Helden dunkel und unübersichtlich. Der Raum, wo er sich befindet, wird zu einem Labyrinth, nur anhand einer „zweiten Karte“ lesbar. Der Held verfügt jedoch nicht über solch eine Karte und überlässt einer fremden Macht die Kontrolle. Der erhabene Blick des Sublimen verschwindet. Das Auge des Protagonisten verliert ihre Sicht und dieser letztendlich seinen Überblick. Während bei der sublimen Erfahrung eine Selbstbefreiung stattfindet, ruft der unheimliche Gegenstand ein Gefühl von Angst hervor. Bei der unheimlichen Erfahrung befindet sich der Mensch in einer Lage, wo er ohnmächtig ist, wehrlos, und es gibt keinen Ausweg. 29 von der Thüsen: Het verlangen naar huivering : over het sublieme, het wrede en het unheimliche. S.68 12 Das Sublime kennt zu Anfang auch einen gewissen Grad von Unsicherheit, den sich trotzdem nicht in Angst umwandelt. Der Schauer wird bei dem Sublimen allmählich verdrängt. Eindrucksvolle Landschaften, ein klarer Überblick ersetzt den Schauer des Individuums. Im Falle des Sublimen können wir laut von der Thüsen am besten von „Ehrfurcht“ sprechen. Von der Thüsen illustriert den Unterschied zwischen einer sublimen und einer unheimlichen Erfahrung anhand eines Beispiels. Eine Konfrontation mit einem Abgrund kann zu zweierlei Erfahrungen führen. Der Zuschauer wird mit dem Sublimen konfrontiert, wenn er sich auf sicherem Abstand von der Tiefe befindet und die unmittelbare Gefahr vermeiden kann. Wenn dies nicht der Fall ist und das Gefühl von Angst die Oberhand nimmt, wandelt die sublime Erfahrung mit der Tiefe in eine unheimliche um. In einem Schauerroman kann ein Sturz den Protagonisten anschließend in den Tod führen. 1.5. Van Gorp: das Unheimliche in dem Schauerroman In De romantische griezelroman (Gothic novel): een merkwaardig randverschijnsel in de literatuur erwähnt Hendrik van Gorp die Wichtigkeit des Raumes und der Orts- und Zeitbestimmung für den Schauerroman. Alte Schlösser, Klöster, Ruinen, verbotene Zimmer bilden die typischen Räume, wo die Handlung der Erzählung spielen kann. Die Ortsangabe trägt laut van Gorp zu einer speziellen Atmosphäre bei. Bei dem Schauerroman charakteristische benutzen ängstige viele Schriftsteller Atmosphäre des die Raumschaffung, Genres, die um die „Unheimlichkeit“, hervorzurufen. Obwohl der Ort, an dem die Erzählung spielt, meistens sehr vage umschrieben wird, gibt es neben den geheimnisvollen Schlössern oder Klöstern trotzdem auch exakte Ortsbestimmungen. Die Mischung im Hinblick auf die Topografie von klarer und unklarer Information kreiert einen zugleich mysteriösen wie auch erkennbaren Charakter. So erweist sich Südeuropa (Italien, Spanien, Südfrankreich, Süddeutschland) bei den meisten Schauerromanen als die ideale Lage, wo die Erzählung spielen kann. Auch der geheimnisvolle Osten eignet sich dazu, eigenartige Ereignisse mit einer realen Lokalisation zu versehen, sodass etwas Reales in die fiktive 13 Geschichte hineingeschoben wird. Bei jedem Ort hat der Leser immer auch bestimmte Erwartungen. Van Gorp erläutert das anhand von Beispielen in Bezug auf Deutschland, Spanien und Italien. Bei den Engländern steht Deutschland im 18. Jahrhundert für ein Land voller Räuber und Geister, während für Italien und Spanien die unlauteren Praktiken der römisch-katholischen Kirche bekannt sind. Daneben berufen sich die Schriftsteller dieses Genres oft auf die Natur, sowohl das Erhabene als auch ihre Grilligkeit sind vertreten: wüste Abgründe, endlose Flächen, drohende Unwetter, Orkane, unendliche Höhe, usw. Dem Schauerroman eigen ist die Interaktion der Räume mit den Figuren. Ein dynamisches Verhältnis entsteht, wenn die Figuren einem Platz entfliehen, umherwandern, reisen oder herumirren. Gerade das Umherschweifen zeigt sich als kennzeichnend für den Schauerroman. Der Protagonist gerät in eine Welt, in der ihm allerhand Gefährliches passiert, ihm böse Figuren begegnen. Er befindet sich in einer Welt, die ihm fremd zu sein scheint. Der Schriftsteller schafft hier eine typische unheimliche Atmosphäre. Der Held solch einer Erzählung, aus seiner vertrauten Umgebung weggezogen, wird, höchstwahrscheinlich, irgendwann einen dunklen, dichten und undurchdringlichen Wald durchqueren oder einer üblen Gestalt entfliehen müssen. Neben diesem typisch dynamischen Verhalten wird die Raumschaffung durch einen zweiten Faktor, die sinnliche Wahrnehmung, geprägt. Letztere wird in dem Bereich des Schauerromans oft durch das Licht beeinflusst. Das Licht erfüllt eine doppelte Funktion: Einerseits werden Geheimnisse und Mysteriöses enthüllt, andererseits verursacht das Fehlen von Licht ein Gefühl von Angst. Es ist dem Protagonisten, als ob er in einem engen Raum festsäße. Er verliert den Griff auf die Dinge in seiner Gegend, und gerade hier schleicht das Unheimliche aufs Neue herein. Gruselige Geräusche füllen darauf allmählich den Raum. Solche Momente wie das Spiel mit Licht – wie der Übergang zwischen Licht und Finsternis bei Dämmerung – verleihen dem Genre seine typischen Schaudermomente. Neben der Wichtigkeit des Raumes und der Ortsbestimmung sind in dem Schauerroman noch andere Elemente gegeben, die zu der typischen Atmosphäre der „Unheimlichkeit“ beitragen. Auf der Zeitebene, zum Beispiel, bevorzugt der Schriftsteller des Schauerromans das mittelalterliche Zeitalter. Van Gorp erklärt in De romantische griezelroman, dass der Leser des 18. Jahrhunderts die Periode des Mittelalters mit Aberglaube und Zauberkunst, Schlössern, Klöstern, der Inquisition, 14 usw. assoziiert. Damit man die Verbindung mit dem eigenen Lebenskreis nicht aus dem Auge verliert, wird oft mit einer Binnengeschichte in einer aktuellen Rahmenerzählung gearbeitet. Wenn es auf den Handlungsverlauf ankommt, unterscheidet van Gorp (nach Dorner-Bachmann) für den Schauerroman vier Gruppen von Motiven. Oft werden Motive zu etwas Extremerem, sogar Tabuisiertem übergearbeitet. Eine erste Motivgruppe geht von der Besitznahme eines fremden Gutes, eines sozialen Rechts oder einer Macht aus. Eine zweite umschließt eine sexuelle Begierde, bei der die Liebesmotive der Romanzen durch Tabus wie gezwungene Heirat, Vergewaltigung und Inzest ersetzt werden. Bei der dritten Gruppe spielt die Kirche eine große Rolle: Anklage durch die Inquisition, unmenschliche Handhabung kirchlicher Gesetze treten in den Vordergrund. Es handelt sich hier um einen religiösen Fanatismus, der den Helden und andere Figuren bedroht. Das Psychologische steht bei der letzten Motivgruppe im Mittelpunkt. Eine übertriebene Neugier kennzeichnet die Figur des Protagonisten. Eine extreme Habsucht, eine Allwissenheit und Macht auf der Ebene Gottes zu erreichen, gewinnt bei ihm die Oberhand. Der Held will das Mysteriöse aufsuchen, seine eigene Identität herausfinden, kann aber im schlechten Fall in einen irrsinnigen Zustand geraten. Existenzielle Unzufriedenheit in Bezug auf die eigene Person, was oft zu einem Teufelspakt führt, ist ein häufig vorkommendes Motiv. Was die Figuren angeht, stellt van Gorp fest, dass man sie in zwei Gruppen unterteilen kann: gute und schlechte Personen. Ein klares Beispiel für diesen uralten Zweikampf bilden der Schurke und die verfolgte Jungfrau. Oft sind auch übernatürliche Kräfte im Roman zu unterscheiden, entweder als Helfer oder als Gegner, wobei für Letzteren vor allem Gespenster und Geister typisch sind. Schauerromane, die anhand ihrer Erzählung eine moralische Botschaft mitteilen wollen, inszenieren oft den uralten Zweikampf zwischen dem Guten und dem Bösen. Die Erzählinstanz kann beim Überbringen solch einer moralischen Botschaft behilflich sein. Angesichts der Erzählinstanz stellt van Gorp fest, dass am meisten ein auktorialer Erzähler eingesetzt wird. Der Vorteil einer auktorialen Erzählinstanz geht aus der Tatsache hervor, dass der Erzähler „allwissend“ ist. Er überblickt die Zeit und die Orte, ist deswegen also imstande, über die Vergangenheit und die Zukunft zu berichten. Weiter hat er auch die Möglichkeit, die Handlungen zu kommentieren und seine eigenen Gedanken, sogar Kritik, im Hinblick auf die Figuren, 15 mitzuteilen. Auf diese Weise verfügt der Erzähler über die Möglichkeit, die Geschichte zu steuern und die moralische Botschaft auf die Leser zu übertragen. Mit Rücksicht auf die Atmosphäre der „Unheimlichkeit“ werde ich auf die obengenannten Merkmale in den beiden Erzählungen eingehen. Wird in Gotthelfs und Hauffs Erzählung mit Raumschaffung und Zeit gespielt, um das „Unheimliche“ hervorzurufen? Was das Böse betrifft, untersuche ich, in welchem Maße, es seinen Stempel in den beiden Werken aufdrückt. Wer oder was verkörpert das Böse in den Erzählungen? Im Hinblick auf die Figuren analysiere ich die „Schlechten“ unter dem Phänomen „böse Absichten“ (siehe Punkt 3.3.), während die Schaffung der „Unheimlichkeit“ durch Raumschaffung unter Punkt 4. besprochen wird. Die Wichtigkeit der Zeitbestimmung wird schon unter Punkt 3.2. behandelt. In dem nächsten Kapitel beschäftige ich mich zuerst mit der Wichtigkeit der Gattung für meine Untersuchung. 2. Die Rolle der Gattung Für Haufss Märchen Das kalte Herz gilt die Theorie, dass die Grenze zwischen Fantasie und Wirklichkeit (nach den Ansichten von Freud, Todorov und Vax) keine undeutliche ist, sondern klipp und klar festliegt und der Schriftsteller die Erzählung in einer animistischen Welt spielen lässt. Das Märchen hat sozusagen keine unheimliche Wirkung. Die schwarze Spinne dagegen ist dem Bereich der Sagen einzuordnen. „Im Märchen fürchtet sich der Mensch vor konkreten Gefahren, in der Sage erscheint oft eine Angst vor dem Unbestimmten, Unheimlichen“30, und so auch in der Geschichte von Gotthelf. Das Buch hat innerhalb der Literatur viel, und jetzt immer noch, Aufmerksamkeit genossen und wird unter anderem gelobt wegen seiner unheimlichen Atmosphäre: Künstlerisch voll ausgereift unter Gotthelfs Sagenschöpfungen ist, wie schon angedeutet, nur „Die schwarze Spinne“, eine Erzählung, die denn auch von jeher die Gunst der Leser gefunden hat. […].Neben wundervoll klare und reine Bilder 30 Hübner, Marlies: Das Märchen: Theorien, Struktur, Rezeption, Deutungsmuster.S.15 <http://www.ein-plan.de/ewf/text/Deutsch_Maerchen_Theorien_Struktur_Rezeption_ Deutungsmuster.pdf> (19.04.2008) 16 von bäuerlich-aristokratischer Lebenskunst stellt er darin Visionen voll unheimlicher Phantastik. Mächte des Lichts und Mächte der Finsternis treffen sich in einem Schauspiel seltsamster Art, beide in hohem dichterischem Gleichgewicht versöhnt.31 In dem Zitat von Werner Günther wird schon auf ein typisches Merkmal des Unheimlichen verwiesen. Das Schauspiel von Licht und Finsternis trägt laut von der Thüsen (siehe Punkt 1.4.) zu einer unheimlichen Atmosphäre bei. Im Fall von Die schwarze Spinne gibt es auf den ersten Blick weniger Schwierigkeiten auf die Suche nach dem Unheimlichen. Für die Sage gilt denn, dass auf die Realität, ein historisches Ereignis, zurückgegriffen wird und „unheimlich“ hier im Sinne von dem Verdrängten, dem längst Vertrauten, auftauchen kann. Die Sage bildet auf diese Weise einen guten Ausgangspunkt, um dann einen Vergleich mit Das kalte Herz anzugehen und so auch bei dem Märchen unheimliche Phänomene zu entdecken. Auch das Umgekehrte gilt hier. Obwohl Gotthelfs Erzählung die Gattung der Sage vertritt, bedeutet das aber nicht, dass sie unbedingt mehrere unheimliche Phänomene hervorbringen wird. Dass alles nicht feststeht zeigt uns Louis Vax. Laut ihm „entbehrt“32 die Erzählung von Gotthelf der notwendigen „Zweideutigkeit oder des relativ hohen Unsicherheitsgrads, die laut der Kritik einem phantastischen Werk anhaften“.33 Er bezeichnet die Geschichte der schwarzen Spinne nicht als Sage, sondern als Märchen. Er begründet seine Ansicht mit dem Argument, dass der Leser in der Erzählung auf nichts Widersprüchliches stößt: „Alles ist durchsichtig. Es gibt kein Rätsel“.34 Der Leser stellt sich keine Fragen: Die schwarze Spinne gibt deutlich zu erkennen, wie alle Bestandteile Phantastischen in einem Werke versammelt sein können, ohne daß es Forderungen der Gattung irgendwie genüge. Das Phantastische ist für Gestalten der Haupterzählung, auch für die einfachen Leute in Rahmenerzählung glaubwürdig, aber nie für den Leser, dem der Dichter Wahrheit nicht verschweigt.35 des den die der die Einige Vorsicht ist hier jedoch an der Stelle. Einerseits möchte ich, Todorov folgend, ebenso den Unterschied zwischen den Empfindungen der Leser und den Wahrnehmungen der Figuren berücksichtigen. Andererseits beruft sich Louis Vax – höchstwahrscheinlich – auf seine eigene Lesererfahrung und wendet er diese auf das 31 Günther, Werner: Jeremias Gotthelf; Wesen und Werk. Berlin: Schmidt, 1954. S.83 Paul: Dimensionen des Phantastischen. S.146 33 Paul: Dimensionen des Phantastischen. S.146 34 Paul: Dimensionen des Phantastischen. S.148 35 Paul: Dimensionen des Phantastischen. S.148 32 17 ganze Leserpublikum an. Seiner Argumentation zufolge ist die Erzählung Gotthelfs dem Bereich des Wunderbaren, der Gattung des Märchens, zuzuordnen. Das Werk wird dann auf die gleiche Ebene wie Das kalte Herz gestellt, ruft laut Vax deswegen also nichts oder zumindest weniger Unheimliches hervor. Ich möchte in Bezug auf die Tatsache der Unschlüssigkeit vorsichtiger an die Arbeit gehen. Laut Todorov ist die Unschlüssigkeit des Lesers eine erste Bedingung, die erfüllt sein muss, damit ein Werk für fantastisch gehalten werden kann. Daneben kann die Unsicherheit auch bei den Figuren im Text selbst vorherrschen. Letzter Fall ist im Gegenteil keine notwendige Bedingung für das Fantastische. Meiner Meinung nach wäre es logischer, davon auszugehen, dass der Zweifel der Figuren, wenn vorfindlich im Text, auf die Leser übergehen kann. Es erhebt sich dann die Möglichkeit, dass darauf auch bei den Lesern Ungewissheit entsteht. Die Unschlüssigkeit im Text ist in Die schwarze Spinne bei der Figur des Vetters festzustellen: Es ist nur schade, dass man nicht weiß, was an solchen Dingen wahr ist. Alles kann man kaum glauben, und etwas muss doch an der Sache sein, sonst wäre das Holz nicht da. (S.116) Die Unschlüssigkeit wird am Ende der Geschichte nochmals bestätigt, wenn den Gästen innerhalb der Rahmenerzählung „unheimlich unterem Brusttuch“ (S.116) klopfte, wenn sie alle nach Hause gehen sollten. Einverstanden bin ich zwar mit der Ansicht von Vax, dass „alle Bestandteile des Phantastischen in einem Werke versammelt sein können, ohne daß es den Forderungen der Gattung irgendwie genüge.“36 Die Aussage ist vor allem für Hauffs Erzählung interessant. Die Gattung eines bestimmten Werkes schließt Merkmale von anderen Gattungen nicht ohne Weiteres aus. Obwohl Das kalte Herz als Märchen gekennzeichnet wird, ist eine Untersuchung nach dem Phänomen des Unheimlichen genauso wie bei anderen Gattungen berechtigt. Im nächsten Kapitel werde ich versuchen die unheimlichen Phänomene, wie sie nach Freud in „Das Unheimliche“ festgelegt worden sind, in Die schwarze Spinne und Das kalte Herz darzulegen. Im Falle von Gotthelfs Sage darf ich schon behaupten, dass von Unschlüssigkeit bei den Figuren die Rede ist und also die Erzählung als fantastisch gilt. Ob das auch bei Hauff der Fall ist, wird sich in dieser Arbeit zeigen. Anhand der Auffassungen von van Gorp und von der Thüsen untersuche ich ebenfalls, ob eine 36 Paul: Dimensionen des Phantastischen. S.148 18 typische, unheimliche Atmosphäre in den beiden Werken zu spüren ist. Auf dieser Suche nach dem „Unheimlichen“ gehe ich von der Wahrnehmung der Figuren in der Erzählung aus. 3. Das Unheimliche in Die schwarze Spinne und Das kalte Herz 3.1. Die Sehnsucht nach den Anfängen Wenn wir auf die erste Bedeutung von „unheimlich“ bei Freud zurückgreifen, führt das zum ehemals Heimlich-Heimischen, das verdrängt worden ist, und letztendlich wieder auftaucht. Walter Muschg betont in Gotthelf: die Geheimnisse des Erzählers die Wichtigkeit der Geschichtlichkeit in Gotthelfs Die schwarze Spinne. Sie muss „Hauptcharakter seiner Epik“ als auch „Grundzug seiner Seele gewesen sein“.37 Muschg spricht von einem Drang nach dem Mütterlichen, einem Trieb, die vor allem in seinen Sagen anzutreffen ist: „Ein Hang zum Gewesenen, eine Sehnsucht nach den Anfängen“.38 Auch in Jeremias Gotthelf; Wesen und Werk von Werner Günther wird das Wort „Angsttraum“ in den Mund genommen. Es handelt sich in Gotthelfs Geschichte um „dämonische Gewalten“39, die wieder aufwachen: „Angsträume aus Urzeiten menschlichen Seins enthalten zwingende Gestalt“.40 Neben der Spinne, in der Gestalt des grünen Jägermanns, finden wir den Teufel, der seit den Urzeiten das Böse symbolisiert. Der Teufelspakt mit dem Grünen führt zu dem Anfang alles Bösen. In Die schwarze Spinne gibt es einen klaren Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen, und das Böse ist für diese Angstträume verantwortlich. Vax behauptet im Hinblick auf die Rolle des Teufels und des Diabolischen in Gotthelfs Erzählung, dass das Böse verborgen und vergessen bleiben soll. Er ist der Meinung, dass die Menschen sich nicht dieses Verdrängten bewusst werden sollten: 37 Muschg, Walter: Gotthelf. : die Geheimnisse des Erzählers. München: Beck, 1967. S.272 Muschg: Gotthelf. : die Geheimnisse des Erzählers. S.272 39 Günther: Jeremias Gotthelf; Wesen und Werk. S.84 40 Günther: Jeremias Gotthelf; Wesen und Werk. S.84 38 19 Das Böse ist in uns und muß für unser Heil – dies unterscheidet Gotthelf von der Freudschen Psychoanalyse – in uns verborgen bleiben. Das Böse gehört zu unserer Natur, und wir können es nicht wie ein beliebiges Insekt zertreten.41 Wir können feststellen, dass das Element des Bösen schon immer da gewesen ist und in der Sage, in der Figur einer Spinne, ganz übel wiederkehrt. Dass die Spinne, und so das Böse, wörtlich nicht wie ein „beliebiges Insekt“ zu zertreten sind, zeigt sich in der Geschichte, in der Tatsache, dass das Tier nur mit den Händen und in einem Posten gefangen und aufgeschlossen werden kann. Eine andere Lösung, einen Versuch, das boshafte Ding zu fassen, gibt es nicht: Da versuchte wohl mancher in der Verzweiflung Widerstand, und ob die Spinne nicht zu töten sei, warf zentnerige Steine auf sie, […] schlug mit Keulen, mit Beilen nach ihr, aber alles umsonst, der schwerste Stein erdrückte sie nicht, das schärfste Beil verletzte sie nicht […] Flucht, Widerstand, alles war eitel. (S.85) Mit dem Bösen ist also nicht einfach abzurechnen, nur mithilfe der Kraft Gottes sind die Menschen imstande, die Spinne zu überwinden. Vax dagegen geht davon aus, dass die Menschen an dem Bösen schuld sind und sie an erster Stelle als „offizielle Religionskämpfer sich mitleidig und barmherzig benehmen sollten“.42 Das Böse liegt laut ihm in ihren Herzen. Alfred Reber teilt in Stil und Bedeutung des Gesprächs im Werke Jeremias Gotthelfs diese Meinung: „Nur dem bösen Menschen kann die Welt unheimlich und fremd werden.“43 Der Mensch lebt in einer bekannten Welt mit allem friedvoll zusammen, wo das heimische Gefühl nur von ihm selbst gestört werden kann. Für Gotthelf ist das der ungläubige, egoistische und habsüchtige Mensch. Dass das Böse in uns verborgen bleiben sollte, zeigt uns die Figur des Großvaters. Die Frage innerhalb der Rahmerzählung, warum am Haus neben dem Fenster ein schwarzer Fensterposten steht, möchte der Großvater zuerst nicht beantworten („machte ein bedenkliches Gesicht“ – S.25). Wenn doch eine Antwort folgt, stellt sich heraus, dass es eine Lüge ist („mache nicht Schneckentanze, sondern gibt die Wahrheit an und aufrichtigen Bericht“ – S.26). Nur unter Druck seiner Zuhörer, des Vetters und der Weiber, und nach einigen anderen „Schneckentänzen“, verspricht der Großvater ihnen, die böse Geschichte von diesem Fensterposten zu erzählen. Doch, nur unter der Bedingung, dass die Anderen die Sage der Spinne für sich behalten. Das kann meiner 41 Paul: Dimensionen des Phantastischen. S.147 Paul: Dimensionen des Phantastischen. S.134 43 Reber, Alfred: Stil und Bedeutung des Gesprächs im Werke Jeremias Gotthelfs. Berlin: De Gruyter, 1967. S. 117 42 20 Meinung nach mit Schelling und mit dem Unheimlichen, das wie ein Geheimnis verborgen bleiben sollte, verknüpft werden. Der Großvater will die Sage zuerst nicht erzählen, versucht sie zu verschweigen, sodass die Sage in diesem Sinne verborgen bleiben soll. Wenn der Großvater trotzdem zum Erzählen anfängt, vergegenwärtigt die Sage das Böse aus den Urzeiten und erinnert sie die Anderen daran, dass etwas Ähnliches, wie bei den Bauern, auch ihnen passieren kann. Das Böse ist das Vertraute, das durch die Erzählung wieder hervortritt. Wo die Großmutter von der Fortsetzung der Erzählung nichts wissen will, ändert sich der Großvater seine Meinung. Das Böse tritt zwar mit der Erzählung hervor, kann aber zugleich einem moralischen Zweck dienen: Da begann der Großvater, und alle Gesichter spannten sich wieder: „Was ich weiß, ist nicht mehr viel, aber was ich weiß, will ich sagen; es kann sich vielleicht in der heutigen Zeit jemand ein Exempel daran nehmen, schaden würde es wahrhaftig vielen nichts. (S.93) Die Sage gilt dem Großvater zufolge als gutes Beispiel, um die Zuhörer beizubringen, dass sie den Glauben an Gott nicht verlieren dürfen und sich nicht mit dem Bösen einlassen sollen. In diesem Sinne ist die Sage auch als zeitlos zu betrachten, da sie dem Leser heutzutage immer noch diese Botschaft beibringen kann. Die Konfrontation mit dem Bösen stellt auf der Ebene der Rahmenerzählung kein reales Ereignis dar, aber die Erzählung dieser Sage bildet den Anlass für die unheimlichen Gefühle bei den Zuhörern. Trotz ihrer Angst vor der Geschichte und des Ratschlags der Großmutter („es wäre besser, man schwiege von der ganzen Sache“ – S.92), bittet die Gesellschaft den Großvater, die Erzählung fortzusetzen. Obwohl sie ihnen Angst einflößt, werden sie von der Erzählung angezogen und möchten sie ihr Ende mitbekommen. Eine ähnliche unheimliche Erfahrung ist auf der Ebene der Binnengeschichte festzustellen. Im Hinblick auf die Ambiguität des Fantastischen hat Vax das Beispiel des kleinen Jungen gegeben, der nochmal diesen bestimmten Baum sehen möchte. Dieser Baum ruft ja das Gefühl von Unheimlichkeit hervor und versetzt den Jungen jedes Mal aufs Neue in Angst. Das Unheimliche als Quelle der Lust ist an mehreren Stellen in der Spinnengeschichte zu finden. Wenn ein Knecht im alten Haus die Mägde erschrecken will, fällt ihm ein, mit dem Zapfen, wo die Spinne gefangen sitzt, zu „spielen“. Zuerst mit einem Löffel, darauf folgend mithilfe eines Messers, da das Spiel dieses Knechts seine beängstigende Wirkung verliert: 21 Das das Spiel sich ungestraft wiederholte, so wirkte es nicht mehr, die Mägde schrien nicht mehr (…) Nun fing der an, mit dem Messer gegen das Loch zu fahren, mit den grässlichsten Flüchen sich zu vermessen, er mache den Zapfen los und wolle sehen, was drinnen sei, und sie müssten einmal auch was Neues sehn. (S.101) Obwohl sie alle wissen, was für eine Gefahr sich im Loch befindet, möchten sie doch herausfinden, wie das Böse in der Figur einer Spinne aussieht. Sie möchten wissen, ob sich darin tatsächlich etwas Schreckliches versteckt. Wiederum verliert das Spiel schnell seine Wirkung, sodass nur ein weiterer Schritt übrig bleibt: das Messer ins Loch zu stecken und den Zapfen tatsächlich loszumachen. Die Mägde „kriechen“ jedes Mal „zum Kreuze“ (S.102) beim Spiel, fordern den Knecht jedoch ein letztes Mal heraus, das Undenkbare zu tun: „Tue es doch, wenn du darfst, aber du darfst nicht!“ (S.102) Gerade zu Weihnachten findet dann das Unheil statt und wird die Spinne befreit. Die Mägde haben zu viel Angst, wagen es nicht, den Zapfen loszumachen und hoffen, dass der Knecht dazu mutig genug ist. Das Spiel illustriert die Ambivalenz der unheimlichen Erfahrung, die sowohl durch Abneigung (Angst) als auch durch Anziehung (Neugier) charakterisiert wird. Auch in Das kalte Herz suchen einige Figuren die unheimliche Erfahrung selbst auf. Wenn es ein richtiges Gewitter gibt, was auf die Anwesenheit des bösen HolländerMichels hindeutet, wollen die „furchtlosen Jungen […] hinaus in den Wald laufen, und dieses furchtbar-schöne Schauspiel mit ansehen“ (S.12). Die Jungen sind sich der Tatsache bewusst, dass sie, wenn sie nach außen gehen, auf den bösen Michel stoßen können. Von „furchtlosen Jungen“ wird dann bestimmt nicht mehr die Rede sein. Die Adjektive „furchtbar“ und „schön“ fassen letztendlich die Abneigung und die Anziehung der unheimlichen Erfahrung in Worte zusammen. Wiederum die Figur des Großvaters widersetzt sich dem Drang der Jungen („Ich will keinem raten, dass er jetzt von der Tür geht“ – S.12) und warnt die anderen vor der Gefahr („bei Gott, der kommt nimmermehr wieder“ – S.12), die sich draußen versteckt. Auch dieses Mal wird eine Sage, jetzt innerhalb eines Märchens, von einem alten Mann erzählt, obwohl dieser sofort auf die Frage nach der Geschichte des Holländer-Michels eingeht. Auch in diesem Fall vertritt der Gegenstand der Sage alles Schlechte, denn „alles Böse im Schwarzwald schreibt sich von ihm her“ (S.16). Was die Definition Schellings anbelangt, können der Satz „und mehr will ich nicht sagen“ (S.15) und die Hinzufügung des Schriftstellers „setzte der Greis geheimnisvoll hinzu“ (S.16) auf die Tatsache 22 weisen, dass das Erzählte im Hinblick auf diesen gemeinen Riesen am besten verborgen geblieben war. Bei Die schwarze Spinne soll man sich fürchten vor dem direkten Tod, wenn das Böse ausbricht, in Das kalte Herz soll man auf der Hut sein vor dem Handel, dem Austausch des Herzens für einen kalten Stein, mit dem Holländer-Michel. Jeder, der den Plänen des Michels entgegenarbeitet, wird jedoch von diesem aus dem Weg geräumt, sodass die Angst vor dem Tod bestimmt in dem Werk von Hauff vertreten ist. Da in der Gestalt des Michels den Teufel zu erkennen ist, kann der Handel mit dem Stein meiner Meinung nach als einen Teufelspakt gesehen werden. Das Böse liegt auch hier im Herzen der Menschen. Gerade Mitleid und Barmherzigkeit, die Eigenschaften, die Vax als wichtig bezeichnet, sind Eigentümlichkeiten, die dem Protagonisten Peter fehlen. Man kann behaupten, da sich Peters gelassene Haltung erst nach dem Teufelspakt zeigt, die Schuld dem HolländerMichel zu geben ist. An erster Stelle ist es Peter selbst, die den riesigen Waldgeist aufsucht und sein Herz für ewigen Reichtum austauscht. Das Böse nimmt bei Peters Habsucht nach Geld seinen Anfang. Vax stellt den Kampf gegen das Böse als ein Leitmotiv des Märchens hin und betont bei diesem Kampf die Rolle Gottes: Ohne Gottes Wille ist der Mensch unfähig, des Bösen gewahr zu werden, geschweige denn es siegreich zu bekämpfen. Es ist ein Leitmotiv des Märchens, daß der Kampf gegen das Böse zum Scheitern verurteilt ist, wenn er nur mit dem Verstand und dem Mut der Kreatur geführt wird.44 Die Idee, dass das Böse mit Hilfe von Gott bestritten werden soll, ist vor allem bei Gotthelf von Bedeutung. Hauff möchte dem Leser vielmehr die Botschaft mitgeben, dass das Böse gemieden werden soll und man dem guten Pfad folgen muss. Auf thematischer Ebene darf ich mit Rücksicht auf das Böse in den beiden Erzählungen von „unheimlich“ im Sinne des Heimlich-Heimischen reden. Das Böse ist das Altbekannte, Längstvertraute, das wieder hervortritt. Damit möchte ich nicht auf das Böse im Allgemeinen verweisen, sondern auf das Diabolische aus den Urzeiten, auf die „dämonischen Gewalten“, wie nach Werner Günther. Bei Gotthelfs Die schwarze Spinne werden die Figuren in der Rahmenerzählung trotzdem nicht direkt mit dem Bösen konfrontiert. Die Erzählung erinnert die Zuhörer an uralte dämonische Mächte, vor denen sie sich lange nicht mehr gefürcht haben und in diesem Sinne kann von Verdrängung gesprochen werden. Im Falle von Hauffs Das kalte Herz drängen sich 44 Paul: Dimensionen des Phantastischen. S.146 23 keine vorgeschichtlichen Angstträume auf. Das Märchen handelt jedoch ebenfalls von dem Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen. Die Extremen werden von dem Glasmännlein beziehungsweise dem Holländer-Michel vertreten. Beide sind Waldgeister und der Glaube an solche Geister führt uns wiederum zu den Anfängen, zu den Urzeiten. Letztendlich wird, neben dem Vorkommen des Bösen, durch die unheimlichen Erfahrungen den fantastischen Charakter der Werke bestätigt. 3.2. Aberglaube, Animismus und die reale Welt Das Abergläubische ist in der Erzählung Gotthelfs allgegenwärtig und von großer Bedeutung. So hat der Großvater „den Glauben“ (S.8), dass, wenn ein Kind zur Taufe geführt, und nicht getragen wird, dieses Kind „träge werde und sein Lebtag seine Beine nie recht brauchen lerne“ (S.8). Muschg spricht von dem Aberglauben, der den Bauern „eingepflanzt“45 ist: In die „schwarze Spinne“ besonders tragen die schätzesonnenden Geister und andere Gesichte höchste Schönheit herein. Sie zeigen sich nur nebenbei, aber sie sind geglaubt und wunderbare Wirklichkeit.46 Hanns Peter Holl geht auf den Aberglauben in Die schwarze Spinne detailliert ein. Wichtig an diesem Tauftag ist, „was die Sitte fordert“.47 Die Ordnung innerhalb der Rahmengeschichte, unter anderem während der Mahlzeit („Als man mit der Suppe fertig war, wischte man die Löffel am Tischtuch wieder aus […]“– S.20) steht im Gegensatz zu der Welt der Zauberei, wo „es nicht richtig, etwas Absonderliches“ (S.62) gibt. In der Binnengeschichte geschieht nämlich allerhand Außergewöhnliches. Wenn die Lindauerin, Christine, nach der Arbeit der Männer fragt, die die hundert Buchen für Herrn von Stoffel oben zu Bärhegen pflanzen sollen, bekommt sie von einem der Knechte die Antwort, dass „alles gehe, als ob sie verhext wären“ (S.40). Etwas später ist „das Staunen groß im ganzen Tale“ (S.51), wenn auf einmal sechs Buchsen auf dem Berg stehen, ohne dass jemand eine Achse oder die Pferde wiehern gehört hat. Diese Zauberei versucht man durch „weltliche und geistliche Künste“ (S.62) zu bekämpfen, 45 Muschg: Gotthelf: die Geheimnisse des Erzählers. S.267 Muschg: Gotthelf: die Geheimnisse des Erzählers. S.267 47 Holl, Hanns Peter: Jeremias Gotthelfs «Bilder und Sagen aus der Schweiz» als Reaktion auf das Jahr 1798 und seine Folgen. S.31 < http://www.bzgh.ch/3_04/holl.pdf> (19.04.2008) 46 24 aber nur die Person des Priesters ist anhand „eines guten Spruchs“ (S.78) teilweise imstande, die Gefahr abzuhalten und in diesem Fall die Spinne wegzujagen. Am Ende versucht man vergebens sich gegen die Spinne zu schützen, ruft „einen fernen Pfaffe“ (S.84) zu Hilfe, der mit „heiligem Wasser und heiligen Sprüchen gegen den bösen Feind“ (S.84) sich zu retten versucht, sich aber „nicht mit Gebet und Fasten“ (S.84) stärkt und auf diese Weise den Kampf gegen das Übel verliert. Wir können folgern, dass der Aberglaube das einzige Wunderbare in der Welt der Rahmenerzählung repräsentiert. Sowohl die Welt in dem Rahmen als auch diese der Binnengeschichte werden real dargestellt. Dass alles verhext ist, deutet auf etwas Abnormales, Absonderliches. Wie aus dem Nichts, so laut von der Thüsen (siehe Punkt 1.4.), erscheint den Bauern der Teufel, und kommt das Übernatürliche (die Spinne) aus dem Wirklichen (der Figur Christine) zum Vorschein. Warum hat Gotthelf denn ausgerechnet eine Spinne als Dämon gewählt? Die Umwandlung von Christine in eine Spinne ist innerhalb des Bereichs der Literatur nichts Neues. Die Spinne ist in der Erzählung Gotthelfs das übernatürliche Element, die Symbolisierung des Bösen. „Die Spinne hat uralte Heiligkeit, die ihr heute noch als Aberglaube anhaftet, und ist deshalb ein weit verbreitetes Sagentier“.48 Es ist zugleich ein Tier, das bei vielen Menschen ein Gefühl von Schrecken hervorruft. Klaus Lindemann fragt sich in Lauter schwarze Spinnen: Spinnenmotive in der deutschen Literatur, woher diese Spinnenphobie nun eigentlich kommt: Oder ist es ihr erdgeschichtliches Uralter, das uns in ihnen die Nachtseite der Natur erahnen läßt – die unerlöste Natur? Lebt in ihnen das Dämonische fort, das seit unsäglichen Zeiten aus der Ungeschiedenheit des Feuchten und Trocknen, des Wassers und der Erde wimmelt, dem Ort, dem sie ihr Leben verdanken und dem die Substanz ihrer Fäden und Netze verspricht? […] Alles ist ihnen von Anfang an angelegt, alle ihre Fähigkeiten besitzen sie aus uralten Evolutionsgeschichten, ihr Intellekt ist reiner Trieb. So verkörpern sie so etwas wie die nächtliche Natur selbst, in der der Tod über das Leben herrscht.49 Die Spinne verkörpert das Böse und führt so, wie schon gesagt, auf die Urzeiten („seit unsäglichen Zeiten aus der Ungeschiedenheit“) zurück. Die Anwesenheit der Spinne illustriert auch den Drang nach dem Mütterlichen: Man kann „psychoanalytisch 48 Muschg: Gotthelf: die Geheimnisse des Erzählers. S.278 Lindemann, Klaus: Lauter schwarze Spinnen: Spinnenmotive in der deutschen Literatur. Eine Sammlung. Bonn: Bouvier, 1990. S.3-4 49 25 deutend, in der Spinne ein Frauen- und Muttersymbol erblicken“.50 Kulessa erwähnt in ihrem Werk den Psychoanalytiker Karl Abraham, der die Spinne „als Traumsymbol der phallischen Mutter“51 bezeichnet hat. Die Angst vor der Spinne kann laut ihm mit einem „Schrecken vor dem Mutterinzest und das Grauen vor dem weiblichen Genital“52 assoziiert werden. In „Das Unheimliche“ betrachtet Freud den Fall, bei dem neurotischen Männern das weibliche Genitale als unheimlich erscheint, als „schönste Bekräftigung“53 seiner These des Unheimlichen. Das Unheimliche zeigt sich als das Heimlich-Heimische: Dieses Unheimliche ist aber der Eingang zur alten Heimat des Menschenkindes, zur Örtlichkeit, in der jeder einmal und zuerst geweilt hat. „Liebe ist Heimweh“, behauptet ein Scherzwort, und wenn der Träumer von einer Örtlichkeit oder Landschaft noch im Träume denkt: Das ist mir bekannt, da wa ich schon einmal, so darf die Deutung dafür das Genitale oder den Leib der Mutter einsetzen.54 Gotthelf greift mithilfe der Spinnendarstellung auf das Altbekannte zurück. Neben dem Motiv der Spinnenverwandlung gibt es noch einige weitere Assoziationen der Spinne, unter denen das Annehmen der Gestalt eines Krankheitsdämons oder des Teufels. Als Krankheitsdämon deutet Spinnweben im Altertum auf das Vorkommen der Pest. In Gotthelfs Erzählung kann die plötzliche „Sterbe“ als eine Anspielung auf das Phänomen des „Schwarzen Todes“ gesehen werden. Die Spinne wird so vor allem in alten Zeiten als etwas Negatives, Böses betrachtet, während dieses Tier später eine „dualistische“55 Rolle annimmt: Bald erscheint sie als Schutzgeist, bald als böser Dämon. Als solcher spielt sie im Hexen- und Teufelsglauben eine gewisse Rolle, wobei ihre Bedeutung in Verwandlungssagen zu betonen ist.56 Hanne Kulessa spricht in Die Spinne: Schaurige und schöne Geschichten über „die bis ins Mittelalter zurückgehende und im Grunde undefinierbare Abneigung gegen die Spinnentiere“57, was unter anderem sogar dafür sorgt, dass diese Tierklasse lange nicht 50 Günther: Jeremias Gotthelf; Wesen und Werk. S.85 Kulessa, Hanne: Die Spinne: Schaurige und schöne Geschichten. Frankfurt am Main: Insel-Verlag, 1991. S.207 52 Kulessa: Die Spinne: Schaurige und schöne Geschichten. S.207-208 53 Freud: Werke aus den Jahren 1917-1920. S.258 54 Freud: Werke aus den Jahren 1917-1920. S.259 55 Daxelmüller, Christoph: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Berlin: De Gruyter, 1987. S.280 56 Daxelmüller: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. S.280 57 Kulessa: Die Spinne: Schaurige und schöne Geschichten. S.195 51 26 von Zoologen wissenschaftlich studiert wird. Das mittelalterliche Setting ist also für Gotthelf der ideale Zeitraum um den Aberglauben in seine Erzählung einzubringen und die Spinne als das schreckliche Böse darzustellen. Die Spinne hat in dem Lebenskreis der Menschen eine fortwährende unheimliche Ausstrahlung und ist innerhalb des Bereichs der Literatur häufig präsent. Muschg redet in Gotthelf: die Geheimnisse des Erzählers von Spinnensagen, bulgarischen, lettischen und kleinrussischen, die schon in der Antike zu hören waren. So berichtet die Geschichte des Paracelsus, nach einer appenzellischen Sage, von einem Doktor, der den Teufel, in der Gestalt einer Spinne, aus einem Pflock befreit, ihn jedoch überlistet, indem der Teufel sich wieder in eine Spinne verwandelt und wieder in das Loch des Pflockes zurückkriecht, sodass Paracelsus diese wieder einpflöcken kann. „Die Einsperrung des Dämons“58, ist die ganze Märchen- und Sagenliteratur hindurch ein häufig auftretendes Motiv: […] das Einsperren will nur noch symbolisch verstanden sein. Aber die ungeheure Erregung der Szene verrät, daß der alte Zauber unbewußt in ihr nachschwingt, und die Spinne selber ist ganz und gar Dämon geblieben. Urentsetzen geht von ihr aus und beweist, mit welcher Macht die vergessenen Affekte hier wieder losbrachen, ohne daß eine rationale Begründung für sie bestünde.59 Gotthelf hat sich für Die schwarze Spinne auf anderen Erzählungen basiert. Das ist immerhin laut Muschg der Fall. Gotthelf soll nach Muschg auf alte deutsche und schweizerische Sagen Berufung getan haben. Muschg weist auf zwei Fassungen der Rohrbacher Sage Vo dr schwarze Spinnele, die „als Variationen von Gotthelfs Vorlage gelten müssen“.60 Auch David Gallager ist dieser Ansicht. Gallagher erwähnt in The Transmission of Ovid’s Arachne Metamorphosis in Jeremias Gotthelf’s Die Schwarze Spinne noch drei weitere Beispiele: Der Geist im Glas, Die Spinne auf der Heidenburg und Langbeins Erzählung Die schwarze Spinne. Gallagher geht davon aus, dass diese Erzählungen von Ovids Metamorphosis, in der die heidnische Göttin Pallas Athene, Meisterin der Weberkunst, das lydische Mädchen Arachne, eine Weberin, in eine Spinne verwandelt, beeinflusst worden sind. „Die Vorstellung der Verwandlung weiblicher Wesen in Spinnen ist sehr alt“61 und ist dem Bereich der Zauberei zuzuordnen. Obwohl Gallagher nicht zeigen kann – was überhaupt nicht die Absicht 58 Muschg: Gotthelf: die Geheimnisse des Erzählers. S.278 Muschg: Gotthelf: die Geheimnisse des Erzählers. S.279 60 Muschg: Gotthelf: die Geheimnisse des Erzählers. S.277 61 Daxelmüller: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. S.268 59 27 seines Aufsatzes wiedergibt –, dass die Erzählung von Ovid in Bezug auf das Spinnenmotiv als Primärquelle für Texte innerhalb der deutschen Literatur betrachtet werden kann, bildet sie andererseits “the original inspiration for the transmission of the metamorphic image of the Spiderwoman to Swiss literature”.62 Der lateinische Originaltext der Erzählung Arachnes wurde dann von Jörg Wickram und Hans Sachs ins Deutsche übersetzt, sodass die Erzählung in Deutschland, Österreich, Tschechien und der Schweiz ihre Fortsetzung finden konnte. In dieser Weise hat die Erzählung ihren Weg zu den deutschen und den schweizerischen Sagen gefunden, die ihrerseits Gotthelf für Die schwarze Spinne inspiriert haben können. Der Aberglaube führt, so wie das Böse, auf die Urzeiten zurück. Muschg weist auf die Wichtigkeit des Ortes, des Barhegen, in Die schwarze Spinne ein. Er umschreibt diesen als einen der „urzeitlichen, meist hallstättischen Grabhügel, an denen sonntags der grüne Jäger seine Hunde zusammenjohlt oder der Teufel seine Schätze sonnt.“63 Der Barhegen ist der Platz, wo der Grüne sich meistens begibt. Der Berg erinnert den Menschen an ältere Zeiten: Im Emmental wie überall sind diese Berichte an Reste gebunden, deren Alter höher ist, als die Sage selber weiß, die meist im Mittelalter spielt. Der Barhegen bei Sumiswald, der im Mittelpunkt der „Schwarzen Spinne“ steht, trägt einen keltischen Namen und ist mit seinem Halbkreiswall und Vorhof wohl ein Bergheiligtum des Monddienstes gewesen, was auch der „Grüne“, der hier spukt, verrät. Es sind auf ihm Funde aus der römisch-gallischen Zeit gehoben worden. Das Grün des Teufels deutet auf einstigen Naturkult, auf den wilden Jäger; auf Zwerge und die Geister der wilden Jagd zeigen häufig diese Farbe. Die einst heiligen Orte sind zu Gespensterstätten, ihre Riten zu abergläubischen Gebräuchen geworden.64 Der Grüne vertritt in der Spinnengeschichte Gotthelfs den Teufel. Er „entspricht ganz dem volkstümlichen Glauben und wird sofort von dem Leser identifiziert.“65 Den Bauern fällt dieser Gedanke erst später ein. Ihm zu vertrauen tun sie nicht sofort („Zweimal frug er also, und zweimal erhielt er keine Antwort“ – S.33), sodass „noch schwärzer des Grünen schwarz Gesicht, noch röter das rote Bärtchen, […] wie Feuer im Tannenholz“ (S.33) wurde. Erst wenn er für einen Teufel das Übliche verlangt, ein 62 Gallagher, David: The Transmission of Ovid’s Arachne Metamorphosis in Jeremias Gotthelf’s Die Schwarze Spinne. Dordrecht: Springer, S.1 63 Muschg: Gotthelf: die Geheimnisse des Erzählers. S.265 64 Muschg: Gotthelf: die Geheimnisse des Erzählers. S.264-265 65 Paul: Dimensionen des Phantastischen. S.139 28 ungetauftes Kind, wird ihnen alles deutlich: „Das Wort zuckte durch die Männer wie ein Blitz, eine Decke fiel es von ihren Augen, und wie Spreu im Wirbelwinde stoben sie auseinander.“ (S.35). Von diesem Moment ab soll man vor dem Grünen auf der Hut sein. Hans und ein Sigrist versuchen, umsonst, den Priester vor „den Wassern im Tale, der aufgeschwollenen Grüne“ (S.75) zu warnen. Gallagher verknüpft die äußerlichen Eigenschaften des Grünen mit der Umwandlung der Spinne in Langbeins Die schwarze Spinne (1819): In Langbein, the spider transforms into ‘‘einen langen, dürren Mann, mit spitzem Kinn, krummer Nase und kleinen schielenden Augen... mit Gold verbrämtem Federhut’’ and a ‘‘Rotmantel mit häßlichem Fußwerk’’ (VII, 47–49), and these precise characteristics are paradoxically assumed by Gotthelf not for his spider, but for his devilish Green Huntsman in Die schwarze Spinne: ‘‘Auf dem kecken Barett schwankte eine rote Feder, im schwarzen Gesichte flammte ein rotes Bärtchen, und zwischen der gebogenen Nase und dem zugespitzten Kinn’’66 Diese gemeinsamen äußerlichen Kennzeichen können auf die Tatsache weisen, dass Gotthelf sich tatsächlich von der Erzählung Langbeins inspirieren lassen hat. In Gotthelfs Die schwarze Spinne wird offensichtlich noch mit anderen Farben und ihrer Bedeutung gespielt. Der Priester sieht „aus einem Hage hervorragen ein schwarzes Haupt“ (S.75), was auf die Gestalt des Grünen hindeutet, da „auf diesem [Haupt] schwankt die rote Feder“ (S.75). Alfred Reber geht auf die Bedeutung der schwarzen Farbe in einigen Werken Gotthelfs genauer ein. An erster Stelle scheint das Epitheton „schwarz” eine „harmlose Anspielung auf die Amtstracht der Geistlichen“.67 Zweitens ist schwarz jedoch „im Volksglauben die Farbe des Teufels“68, was die volkstümliche Bezeichnung „der Schwarze“69 mit sich brachte. Der Aberglaube greift, wie das Böse, auf das Uralte zurück, macht die mittelalterliche Angst vor der Spinne wieder lebendig, erkennt in der Gestalt des Grünen den Teufel, und ermöglicht auf diese Weise das Unheimliche in der Erzählung. Das Mittelalter, durch diesen Aberglauben gekennzeichnet, erweist sich, wie wir bei van Gorp (siehe Punkt 1.5.) gesehen haben, als eine ideale Zeitebene für die Schaffung des Unheimlichen. 66 Gallagher: The Transmission of Ovid’s Arachne Metamorphosis in Jeremias Gotthelf’s Die Schwarze Spinne. S.4 67 Reber: Stil und Bedeutung des Gesprächs im Werke Jeremias Gotthelfs. S. 124 68 Reber: Stil und Bedeutung des Gesprächs im Werke Jeremias Gotthelfs. S. 124 69 Reber: Stil und Bedeutung des Gesprächs im Werke Jeremias Gotthelfs. S. 124 29 In Das kalte Herz ist die Anwesenheit guter (des Glasmännleins) und böser (des Holländer-Michels) Geister normalerweise nicht als merkwürdig anzusehen. Denn, für das Märchen gelten andere Regeln. Das Wunderbare ist selbstverständlich; sprechende Tiere, Hexen, Riesen, Drachen, Zwerge sind keine Besonderheiten. Sowohl das Reale als auch das Wunderbare sind in ein und derselben Welt vereinigt, während die Sage „eine wahre Geschichte“70 erzählen möchte. Louis Vax macht in Thesen über das Phantastische den Unterschied zwischen einer „eindimensionalen“ und einer „zweidimensionalen“ Erzählung. Bei der Gattung der Sage ist von der „zweidimensionalen“ Erzählung die Rede. „Die Begebenheiten spielen sich zwar in unserer Welt ab, sind jedoch entweder durch ein Eindringen des Jenseits in unser Universum […] gekennzeichnet.“71 Wenn eine Erzählung „eindimensional“ ist, bildet „ihr Schauplatz eine Märchenwelt, die mit der wirklichen Welt nichts gemein hat.“72 Weiter heißt es, dass es keinen konkreten Bezug auf Ort und Zeit gibt. Einige Vorsicht, denn Vax vergleicht die Volkssage mit dem Volksmärchen, und Das kalte Herz ist nicht dem Genre der Volksmärchen, sondern dem der Kunstmärchen zuzuordnen. Obwohl es einige Unterschiede zwischen dem Volks- und dem Kunstmärchen gibt, gelten die Eigenschaften jedoch für die beiden. Gerade zu Anfang der Erzählung, schon im ersten Satz, bekommt der Leser jedoch mit, dass die Erzählung sich im Schwaben abspielt. Mehr spezifisch handelt sie von den Menschen im Schwarzwald, einem Ort, der der Erzählung, laut van Gorp, einen erkennbaren Charakter gibt. Andererseits kann solch ein Ort jemandem nach der Lektüre einer unheimlichen Erzählung, die an diesem bestimmten Ort stattfindet, Angst einflößen und das Gruseln noch verstärken. Hauff unterscheidet den badischen (die „Glasmänner“ – S.4) vom württembergischen Teil (die „Flözer“ – S.4) des nördlichen Schwarzwalds. Eine genaue Zeitbestimmung gibt es nicht, obwohl in Kunstmärchen die damalige Gesellschaft (hier im Hinblick auf Holland) oft bekritisiert wird. Das bedeutet aber nicht, dass ein Märchen, wenn es jedoch einen Bezug auf Zeit geben würde, unbedingt in der Gegenwart stattfinden soll. Hauff verleiht seiner Erzählung einigermaßen einen gegenwärtigen Charakter: „Noch vor kurzer Zeit glaubten die Bewohner dieses Waldes an Waldgeister, und erst in neuerer Zeit hat man ihnen diesen 70 Paul: Dimensionen des Phantastischen. S.14 Paul: Dimensionen des Phantastischen. S.14 72 Paul: Dimensionen des Phantastischen. S.14 71 30 törichten Aberglauben benehmen können.“ (S.4) „Noch vor kurzer Zeit“ und „in neuerer Zeit“ sind vage Bestimmungen. Erstere klingt jedoch vertraut (etwas kürzlich geschehen) für den Leser, während letztere mit „neu“ auf den aktuellen Zeitraum deuten möchte. Klarer aber ist der Vorwurf des Erzählers dem Aberglauben gegenüber, der als „töricht“ (S.4) betrachtet wird. Die Waldgeister leben nur „der Sage nach“ (S.4) im Schwarzwald. Die Tatsache, dass die Menschen im Wald nicht mehr an Geister glauben, schafft etwas Reales innerhalb der Erzählung. Genauso wie in Die schwarze Spinne wird der Leser in eine Binnengeschichte eingeführt, allerdings kann man bei Das kalte Herz eher von einer kurzen Einleitung statt von einer richtigen Rahmenerzählung sprechen. Bei Gotthelf könnte man sich sogar die Frage stellen, ob nun die Rahmenerzählung oder die Sage der Spinne den Vorzug genießt. Beide sind von Bedeutung und werden einander abrupt gegenübergestellt. Die Ordnung am Tauftag macht Platz für die unheimliche Geschichte des Großvaters. Hauffs Erzähler dagegen beschreibt ganz kurz die beiden Typen von Bewohnern des Waldes, die „Glasmänner“ und die „Flözer“, wie auch das „Glasmännlein“ und den „Holländer-Michel“, die beiden Waldgeister: Mit diesen Waldgeistern soll einmal ein junger Schwarzwälder eine sonderbare Geschichte gehabt haben, die ich erzählen will. Es lebte nämlich im Schwarzwald eine Witwe, Frau Barbara Munkin; ihr Gatte war Kohlenbrenner gewesen, und nach seinem Tod hielt sie ihren 16-jährigen Knaben nach und nach zu demselben Geschäft an. (S.5) Und so kann das Märchen, mithilfe der üblichen Formel, obwohl hier „es war einmal“ durch „soll einmal gegeben haben“ ersetzt wird, anfangen. Die Formel „es soll einmal“ wird von Muschg als typisch für die Sage bezeichnet. Er betont bei der Sage den Bezug zu der Realität als unterscheidendes Merkmal im Vergleich zu der Gattung des Märchens: „Es ist sogar ihr einziges unterscheidendes Merkmal, daß sie ihre Berichte an bestimmte Personen, Orte und Begebenheiten, daß sie mit es soll einmal beginnt“.73 Man kann bei Hauff den Eindruck bekommen, dass er die Erzählung, wie eine Volkssage, selbst irgendwann von irgendwem gehört hat. Dass Gotthelf die Sage, von der Die schwarze Spinne berichtet, irgendwo gehört hat, ist anzunehmen. Muschg versucht so die Quellen von Gotthelfs Sagen herauszufinden: 73 Muschg: Gotthelf: die Geheimnisse des Erzählers. S.271 31 Noch schwieriger laufen die Linien bei der „Schwarzen Spinne“, von der Manuel versichert, daß sie „aus Nachklängen einer eigentlichen Volkssage entstanden“ sei. Das Haus, um das sich die Erzählung dreht, ist noch in diesem Jahrhundert glaubhaft gezeigt worden und von der gleichen Familie wie zu Gotthelfs Zeit bewohnt gewesen, sodaß man vermuten kann, er habe die Sage hier, vielleicht wirklich an einer Taufe, erzählen hören. Das wäre, wenn es zuträfe, ein eindrucksvolles Zeugnis seiner Verbundenheit mit der mündlichen Sagentradition.74 Handelt es sich bei Hauff auch nicht um eine Sage? Obwohl Das kalte Herz als Märchen bezeichnet wird, zeigt es allerdings wichtige Züge der Sage und macht so Platz für das Reale in der Erzählung. Das Wirtshaus im Spessart (1826), der Märchenalmanach, in dem Das kalte Herz gesammelt ist, handelt auch eher vom Sagenals vom Märchenhaften. Neben der Erzählung des „16-jährigen Knaben“ (S.6), des jungen Peter Munk, sind in dem Almanach Die Sage vom Hirschgulden, Saids Schicksale und Die Hölle von Steenfoll, eine schottländische Sage, anzutreffen. Vielleicht kann man bei Das kalte Herz von einem sagenhaften Märchen sprechen. Unter den Einfluss der Brüder Grimm und ihrer Märchen wendet Hauff sich der heimischen Welt zu. Das ist auch der Fall in Das kalte Herz. Die Erzählung berichtet implizit über die gesellschaftlichen Veränderungen, die sich 1800, Beginn des 19. Jahrhunderts, vordrängen. Die Menschen des Schwarzwaldes, immer noch Vertreter des vorindustriellen Zeitalters, während andere Regionen und Länder – so Holland – sich auf dem Weg nach Modernismus, mit der Industrie als Mittelpunkt der Gesellschaft, befinden. Peter Munk ist in der Erzählung Sohn eines verstorbenen Kohlenbrenners, und lebt bei seiner Mutter, die ihn „nach und nach zu demselben Geschäft“ (S.5) anhält. Doch gefällt dieses Leben ihm nicht. „Ein Köhler hat viel Zeit zum Nachdenken über sich und andere, […] es betrübte ihn etwas, es ärgerte ihn etwas, […] und das war – sein Stand.“ (S.5) Hier kann auf ein häufig vorkommendes Motiv des Schauerromans (siehe van Gorp unter Punkt 1.5.) verwiesen werden. Existenzielle Unzufriedenheit in Bezug auf die eigene Person führt oft zu einem Teufelspakt, was auch der Fall ist in Hauffs Märchen. Der Teufelspakt bildet dann den Anlass für eine unheimliche Erfahrung. Peter sehnt sich nach einem Leben voller Reichtum und Ansehen, wie bei dem „dicken Ezechiel“ (S.6), dem „langen Schlurker“ (S.6) und dem „Tanzboden-König“ (S.7) der Fall ist, und sucht sein Glück bei dem Glasmännchen und dem Holländer-Michel. 74 Muschg: Gotthelf: die Geheimnisse des Erzählers. S.277 32 Außer diesen Waldgeistern, die also nur „der Sage nach“ (S.4) bestehen, lassen sich in der Erzählung keine übernatürlichen oder außergewöhnlichen Wesen wahrnehmen, es sei denn das Eichhörnchen, in dessen Gestalt sich das Glasmännchen zu Anfang zeigt. Wo Freud noch das Märchen von Schneewittchen in „Das Unheimliche“ als Beispiel verwendet, möchte ich Das kalte Herz nicht auf dieselbe Ebene wie solche Märchen stellen. Es gibt hier keinen Protagonisten, der mit sieben Zwergen zusammenlebt. Das einzige Wesen, das Eichhörnchen, dem der Protagonisten in der ganzen Erzählung begegnet, spricht nicht, ist nur die Ursache einer besonderen Erfahrung Peters. Wenn er das Glasmännlein hervorzulocken versucht, ihm trotzdem noch ein Reim des notwendigen Sprüchleins fehlt, sieht er nur dieses Eichhörnchen: Das Eichhörnchen zeigte sich an den untersten Ästen der Tanne und schien aufzumuntern oder zu verspotten. Es putzte sich, es rollte den schönen Schweif, es schaute ihn mit klugen Augen an, aber endlich fürchtete er sich doch beinahe mit diesem Tier allein zu sein, denn bald schien das Eichhörnchen einen Menschenkopf zu haben und einen dreispitzigen Hut zu tragen, bald war es ganz wie ein anderes Eichhörnchen und hatte nur an den Hinterfüßen rote Strümpfe und schwarze Schuhe. Kurz es war ein lustiges Tier, aber dennoch graute KohlenPeter, denn er meinte, es gehe nicht mit rechten Dingen um. (S.11) Trotz der Tatsache, dass es ein „lustiges Tier“ ist, flößt das Eichhörnchen Peter Angst ein. Peter verliert den Überblick, die Kontrolle über die ganze Situation, weiß nicht, was er sich genau anschaut, denn „bald schien das Eichhörnchen einen Menschenkopf zu haben“, und bald „war es ganz wie ein anderes Eichhörnchen“. Darauf folgend fängt ihm „zu grauen“ (S.11) an, wenn er den Tannenwald durchqueren soll, das „immer schwärzer (S.11) wird, nimmt „aus Angst“ (S.11) die „entgegengesetzte Richtung“ (S.11) und wird so von den Flözern, auf der anderen Seite des Waldes, wo sich der Holländer-Michel befindet, angezogen. Peter ist in dieser Lage ohnmächtig, was laut Von der Thüsen auf das Unheimliche, einer fremden Macht weist. Es ist deutlich, dass die Erzählung von Hauff mehrere Verbindungen mit dem Sagenhaften und dem Unheimlichen aufweist. „Unglück und Verwandlung“ brechen nicht „aus dem Nichts, als Verhängnis“75, wie bei Die schwarze Spinne der Fall ist, Peter sucht selbst die Waldgeister auf, weiß aber nicht, dass er Handel mit dem Bösen, in der Gestalt des Holländer-Michels, getrieben hat. Hauffs Märchenwelt ist nach meiner Ansicht, keine Welt, in der das Wunderbare, Übernatürliche als das Normale betrachtet wird, sondern 75 Muschg: Gotthelf: die Geheimnisse des Erzählers. S.280 33 eine, wo das Übernatürliche die Ausnahme bildet. Die Erzählung ist mit einer spezifischen Ortsbestimmung versehen, handelt von einem ganz normalen Knaben, bei dem eine typische Lage von Armut und Hoffnungslosigkeit skizziert wird, der sich dieser schlechten Lage zu entfliehen versucht, und in einem letzten Versuch, reich zu werden, seine Seele dem Teufel verkauft. Es ist eine Welt, wo man „nicht mit rechten Dingen“ (S.11) zugeht, mit dem sowohl auf das Böse als auch auf das Wunderbare verwiesen werden kann. 3.3. Wahrnehmungen der Charaktere: böse Absichten 3.3.1. Hans von Stoffeln Die erste Figur, der man böse Absichten zutrauen kann, und die den anderen Figuren also als unheimlich vorkommen kann, ist der Ritter Hans von Stoffeln, zu den Teutschen gehörend, „eigentlich geistlichen“ (S.28) Rittern, die die heidnischen Gewohnheiten ihrer preußischen Feinde übernommen haben, und leben, als „ob kein Gott im Himmel wäre“ (S.28). „Einer der wüstesten“ (S.28) soll dieser von Stoffeln gewesen sein, der die Bauern auf dem „wilden, wüsten Hubel in der Einöde“ (S.28), weshalb wusste niemand, ein Schloss bauen ließ. Der schlechte Charakter der Ritter zeigte sich in der Tatsache, dass sie auf die Bauern schlugen und schimpften, sich nicht scheuten, die Peitsche zu benutzen und „große Freude an ihrer Angst, an ihrem Schweiß“ (S.29) hatten. Das Schloss alleine reicht aber nicht für von Stoffeln und seinen Orden, und die Herren laden die Bauern, die „bangten und hofften‘ (S.30) da „nichts Gutes“ (S.30) von diesen gesagt wird, zum Rittersaal im Schloss ein. Die Hoffnung der armen Bauern („mit klopfendem Herzen“ – S.30), ob die Ritter ihnen jedoch nicht für den Bau des Schlosses danken möchte, wird in der darauffolgenden Szene in Scherben geschlagen. Ihre Furcht dagegen wird bestätigt, da sich von Stoffeln und seine Ritter als boshaft zeigen: […] obenan der von Stoffeln, ein wilder, mächtiger Mann, der einen Kopf hatte, wie ein doppelt Bernmäß, Augen machte wie Pflugsräder und einen Bart hatte wie eine alte Löwenmähne. Keiner ging gerne zuerst hinein, einer stieß den andern vor. Da lachten die Ritter, dass der Wein über die Humpen spritzte, und wütend stürzten die Hunde vor; denn wenn diese zitternde, zagende Glieder sehen, so 34 meinen sie, dieselben gehören einem zu jagenden Wilde. Den Bauern aber ward nicht gut zumute, es dünkte sie, wenn sie nur wieder daheim wären, und einer drückte sich hinter den andern. (S.30-31) Die zitternden und zagenden Glieder deuten auf einen Schauer in einem unheimlichen Sinne (siehe von der Thüsen unter Punkt 1.4). Die Bauern fürchten sich offensichtlich vor den Rittern und ihren Hunden. Es wird den Bauern schlecht und sie möchten wieder „daheim“ sein, am heimischen Herd, was uns bei Freuds Definition von „unheimlich“ als Gegensatz zu „heimlich“ bringt. Die Bauern bekommen im Schloss die schlechte Nachricht, dass sie einen Schattengang auf dem Bärhegen, von 100 Buchen, pflanzen sollten. Das stellt sie vor eine unmögliche Aufgabe. Unmöglich oder nicht, die Buchen sollen innerhalb eines Monats da stehen, oder die Bauern werden mit „Gut und Blut“ (S.31) büßen. Wenn einer der Bauern über ihre eigene, harte Situation zu reden beginnt, fängt „der Zorn des Ritters Kopf größer und größer zu schwellen“ (S.31) und bricht seine Stimme los wie „der Donner aus einer Fluh“ (S.31). 3.3.2. Der Grüne Derjenige, der jedoch den Menschen am meisten Angst einflößt, ist der „Grüne“, von dem schon in dieser Arbeit in Zusammenhang mit dem Aberglauben gesprochen wurde. „Ein grüner Jägersmann“ (S.32), „sie wussten nicht, woher“ (S.32), steht auf einmal vor der Gruppe von hilflosen Bauern, fragt sie aus, und überredet sie, teufelsweise, ihn ihnen helfen zu lassen. Auf die Frage, was er jetzt von ihnen erfordert, um „des Handels“ (S.35) einig zu werden, „knisterte [es] in seinem Bärtchen, und wie Schlangenaugen funkelten sie seine Augen an, und ein gräulich Lachen stand in beiden Mundwinkeln“ (S.35). Die Assoziation mit einer Schlange kann der Leser mit der Figur des Teufels verknüpfen. Erst von diesem Augenblick ab, wenn der Grüne um ein ungetauftes Kind bittet, wissen auch die Bauern in der Erzählung, dass sie nicht mit einem ganz gewöhnlichen Jägersmann, sondern mit dem Teufel zu tun haben: Da lachte hellauf der Grüne, dass die Fische im Bache sich bargen, die Vögel das Dickicht suchten, und grausig schwankte die Feder am Hute, und auf und nieder ging das Bärtchen. […] so rief er den Fliehenden mit scharf tönender Stimme nach, dass die Worte in ihren Ohren hängen blieben, wie Pfeile mit Widerhaken hängen bleiben im Fleische. (S.35) 35 Die Begegnung mit dem Teufel bildet den Anlass einer „namenlosen Angst“ (S.36), eines „Schrecken in alle Häuser“ (S.36). Die Reihenfolge im Satz „Blass und zitternd an der Seele und an allen Gliedern stäubten die Männer nach Hause“ (S.35), weist auf die Tatsache hin, dass die Leute sich vor dem Verlust ihrer Seele fürchten sollen. In der Hoffnung, von Gotts Hilfe begleitet zu werden, werden die Bauern an erster Stelle versuchen, die Buchen selbst, ohne Hilfe des Grünen, zu pflanzen. Von letzterem „redete niemand; ob niemand an ihn dachte, ist nicht verzeichnet worden“ (S.37). Diese Erwähnung des Erzählers ist jedenfalls als merkwürdig zu bezeichnen. Die Tatsache, ob die Bauern nachher noch an den Teufel denken, ist nicht verzeichnet worden, ist schriftlich nicht festgelegt worden. Ist die Erwähnung eine Anspielung, eine Verweisung auf eine schriftliche Quelle, die Gotthelf für seine Erzählung benutzt hat? Es steht meiner Meinung nach auf jeden Fall außer Zweifel, dass die Bauern den Grünen, sein schreckhaftes Aussehen und Benehmen, nicht vergessen haben und ihnen unheimlich vorkommt. 3.3.3. Christine Neben dem Grünen und Hans von Stoffeln stehen die Bauern Christine, der Lindauerin, misstrauisch gegenüber. „Ein grausam handlich Weib“ (S.36), mit „wilden, schwarzen Augen“ (S.36), das „sich nicht viel vor Gott und Menschen“ (S.36) fürchtet. Gotthelf spielt mit Namen, da Christine vom „Christus“ abgeleitet ist. Sie wirft den Männern Feigheit vor, denn sie hat den Teufel schon selbst einmal gesehen, und wäre gerne dabei gewesen, damit sie dem Grünen „kecker ins Gesicht“ (S.36) blicken konnte. Sie gilt fast als Ausnahme, ist eine sonderliche Figur, die nicht wie die anderen Frauen, sich darauf freuen, „daheim zu sein, in der Stille ihre Geschäfte zu beschicken, und die sich um nichts kümmern als um Haus und Kind“ (S.39). In Gotthelf: Geheimnisse des Erzählers umschreibt Muschg die Figur Christine als „eine Landesfremde“.76 Darüber hinaus geschieht jedes Mal etwas Unheimliches, wenn sie in der Nähe ist. Wenn Christine nachts vor ihrem Mann und seinen zwei Knechten erscheint, pfeift es fast, „wie der Wind pfeift, wenn er aus den Kammern entronnen ist“ (S.39). Trotz ihres 76 Muschg: Gotthelf: die Geheimnisse des Erzählers. S.281 36 unangenehmen Vorkommens hilft sie jedoch den Bauern und gibt ihnen ihren Rat. Wenn diese Männer vor Schreck, „wie Spreu im Wirbelwinde“ (S.40), den Hügel aufstieben, da der Grüne plötzlich auftaucht, ist Christine nicht im Stande, zu „fliehen“ (S.40) und bleibt „wie gebannt“ (S.40) stehen. Das freundliche Benehmen des Teufels der Lindauerin gegenüber sorgt dafür, dass Christine der Jägersmann „immer weniger schreckhaft“ (S.41) vorkommt und sich der Gedanke, „mit dem ließe sich etwas machen“ (S.41) aufdrängt. Das führt zum Kuss mit dem Grünen, statt der gebräuchlichen Unterschrift mit Blut, der die „Geburt“ der Spinne zur Folge hat. Obgleich Christine an erster Stelle den Teufel in die Irre führen möchte und nicht ohne Weiteres auf den Pakt eingeht, kommt sie den anderen Figuren in Gotthelfs Erzählung unheimlich vor und gilt sie als eine Fremde. 3.3.4. Der Holländer-Michel Der Holländer-Michel, „so groß, dass ein gewöhnlicher Mann bis an den Hals hineinstehen könnte“ (S.5), ist die Figur in Das kalte Herz, die den anderen Leuten in der Erzählung am meisten als unheimlich vorkommt. An all dem Bösen im Schwarzwald hat er Schuld, und nachdem der Großvater die Sage von dem Riesen erzählt hat, fügt er am Ende hinzu, dass er „nichts von ihm haben“ (S.16) möchte: […] seit Jahren treibt er seinen Spuk im Wald, und man sagt, dass er schon vielen behülflich gewesen sei, reich zu werden aber – auf Kosten ihrer armen Seele, und mehr will ich nicht sagen. (S.15) Nicht nur dem Großvater, sondern auch Peter hat die Sage Angst gemacht. Letzterer hatte noch „nie so schwere Träume gehabt, wie in dieser Nacht“ (S.16). Schon hier („auf Kosten ihrer armen Seele“) gibt es eine Anspielung auf eine mögliche Teufelsgestalt. Es wird noch einige Male mit dem Wort „Seele“ („Peter du bist ein armer Tropf, und dauerst mich in der Seele“ – S.19) gespielt. Wenn Peter letztendlich das Lied von den drei Burschen aufs Neue gehört hat, das Verslein ergänzen kann und sich auf dem Wege nach dem Glasmännlein begeben möchte, begegnet er zum ersten Mal dem Holländer-Michel. Es erscheint Peter „eine furchtbare Gestalt“ (S.19), vor der er „beinahe in die Kniee“ (S.19) sank und „heftig zitterte“ (S.19). Wenn Peter gegen ihn lügst, droht dieser sogar, Peter „mit der Stange zu Boden“ (S.19) zu schlagen. Genauso wie bei Christine in Die schwarze Spinne, die „wie gebannt“ stehen bleibt, wird der 37 Protagonist in Hauffs Erzählung dem Teufel nicht entfliehen können. An erster Stelle geht Peter, „von unerklärlicher Angst und Bangigkeit“ besessen (S.20), nicht auf das Angebot des Waldgeistes ein und scheint die Aussage des Höllander-Michels („du entgehst mir nicht“ – S.20) nicht so bedrohend. Doch, weitere „Flühen und Drohungen“ (S.20) folgen, wenn Peter, nachdem er nicht „unweit vor ihm einen kleinen Graben“ (S.20) sieht, versucht, die Grenze zu erreichen und dem bösen Holländer-Michel zu entkommen: Der junge Mann setzte mit einem verzweifelten Sprung über den Graben, denn er sah, wie der Waldgeist mit seiner Stange ausholte, und sie auf ihn niederschmettern lassen wollte; er kam glücklich jenseits an, und die Stange zersplitterte in der Luft, wie an einer unsichtbaren Mauer, und ein langes Stück fiel zu Peter herüber. […] aber in diesem Augenblick fühlte er das Stück Holz in seiner Hand sich bewegen, und zu seinem Entsetzen sah er, dass es eine ungeheure Schlange sei […], die sich schon mit geifernder Zunge und blitzenden Augen an ihm hinaufbäumte. (S.21) Das Glasmännlein, in der Gestalt eines Auerhahns, erfasst die Schlange, worauf der Holländer-Michel „heulte und schrie und raste“ (S.21). Hier kann die Schlange, wie bei Gotthelfs Sage, wiederum mit dem Teufel assoziiert werden. Nach dem Treffen tritt der Michel in den nächsten Szenen mehrere Male ungewollt hervor und möchte aufs Neue mit dem jungen Peter in Kontakt treten. Wenn das Geld, das er sich beim Glasmännchen gewünscht hat, alle weg ist und er ins Unglück gerät, tritt der HolländerMichel, wie aus dem Nichts und dem dicken Ezechiel unsichtbar, wieder in den Vordergrund. Es erinnert uns an die Lage in Die schwarze Spinne, wo der Grüne auf einmal vor den Bauern steht und ihnen „seine Hilfe“ anbietet. In Hauffs Märchen drängt auch der Michel sich auf und entscheidet sich, Peter nicht in Ruhe zu lassen, bevor er sein Herz bekommen hat. Peter, auf dem Wege nach Hause, nachdem er aus dem Wirtshaus hinausgeschmissen worden ist, trifft „eine dunkle Gestalt“ (S.31). Peter weiß, „wer so zu ihm spreche, aber es kam ihn ein Grauen an“ (S.31). Obwohl der HolländerMichel geradeso wie der Grüne bei Gotthelf ein unheimliches Aussehen hat, ist er trotzdem imstande, seinen Gesprächspartner einfach zu überreden. Der Michel ist sowohl derjenige, mit einer Stimme, „die heraufschallte wie eine tiefe Totenglocke“ (S.33) und der sich so groß macht „wie ein Kirchturm“ (S.32), als auch derjenige, der in seiner Stube „einen Krug Wein“ (S.33) holt und mit dem Kohler zu „schwatzen“ anfängt, sogar „von den Freuden der Welt, von fremden Ländern, schönen Städten und 38 Flüssen“ (S.33), dass Peter sich nach diesen Dingen sehnt. So überzeugt er Peter auch zu einem Teufelspakt, zu dem Austausch seines Herzens für ein steinernes. In Die schwarze Spinne besteht der Handel mit dem Teufel aus einem Kuss. Bei Hauffs Erzählung ist der Protagonist damit einverstanden, das eigene Herz auszutauschen, was Peter Munck meiner Meinung nach sowohl wunderlich als auch unheimlich betrachtet. Mit Rücksicht auf die Beziehung zwischen dem Wunderbaren und dem Unheimlichen geht Irmgard Nickel-Bacon in Alltagstranszendenz. Literaturhistorische Dimensionen kinderliterarischer Phantastik auf das Motiv „das steinerne Herz“ ein. Sie erwähnt unter anderem Das Herz des Piraten von Benno Pludra: Auch das Motiv des kalten oder versteinerten Herzens, das für die deutschen Romantiker so bedeutsam war, kehrt im modernen phantastischen Kinderroman wieder. Bei Benno Pludra (1985) findet ein einsames Mädchen einen magischen Stein, der sich als das Herz eines toten Piraten erweist und im Dialog mit dem Kind warm und lebendig wird. Das Wunderbare und das Unheimliche treten zugleich in Jessicas Leben, denn der Stein ist ihr zwar Vertrauter und Vaterersatz, zugleich erzählt er ihr von grausamen Verbrechen.77 Ich möchte anhand dieses Beispiels illustrieren, dass das Motiv des versteinerten Herzens zugleich das Wunderbare und das Unheimliche in dem Märchen erlaubt. Obwohl bei Hauffs Erzählung die Lage nicht so komplex ist, wie bei Das Herz des Piraten, möchte ich jedoch zeigen, dass auch in Das kalte Herz das Wunderbare und das Unheimliche zusammengehen. Ein steinernes Herz wird in der Welt von Peter nicht als etwas Normales gesehen. Eine erste Anspielung auf den Austausch des Herzens findet statt, wenn Peter an eine mögliche Spende vom Holländer-Michel denkt, doch den Gedanken wechselt, da der Michel nicht aussieht, dass er Geld wegschenken würde, „ohne etwas dafür zu verlangen“ (S.20). Das Schütteln des Geldes in der Tasche des Holländer-Michels erinnert ihn an den schweren Traum am Abend, wo der Großvater ihm die Sage erzählt. Gerade in diesem Augenblick zuckt Peters Herz „ängstlich und schmerzhaft“ (S.20) und wird ihm „kalt und warm“ (S.20). Der Riese lädt Peter zu seinem Haus ein, um dort zu sehen, ob sie „handelseinig“ (S.32) werden können. Das verursacht bei Peter jedoch einige Unsicherheit: „Handelseinig?, dachte Peter. Was kann er denn von mir verlangen, was kann ich an ihn verhandeln? Soll ich ihm etwa 77 Nickel-Bacon, Irmgard: Alltagstranszendenz. Literaturhistorische Dimensionen kinderliterarischer Phantastik. < http://www.fba.uni-uppertal.de/germanistik/lehrgebiet4/p_pics/Alltagstranszendenz.pdf> S.14 (01.07.2008) 39 dienen, oder was will er?“ (S.32). Wenn sie im Gespräch auf das Herz zu reden kommen, ist Peter, als ob „sein Herz sich ängstlich hin und her wendete“ (S.34), und wenn danach deutlich wird, dass der Holländer-Michel „das kaum pochende Ding“ (S.34) auffordert, reagiert Peter voller Bestürzung: „Euch mein Herz? […]. Da müsste ich ja sterben auf der Stelle! Nimmermehr!“ (S.34). Nach Freud in „Das Unheimliche“ ist jemand, der ein steinernes Herz hat, nicht als unheimlich zu betrachten: Scheintod und Wiederbelebung von Toten haben wir als sehr unheimliche Vorstellungen kennen gelernt. Dergleichen ist aber wiederum im Märchen sehr gewöhnlich; wer wagte es unheimlich zu nennen, wenn z. B. Schneewittchen die Augen wieder aufschlägt?78 Was ich schon in dieser Arbeit betont habe, dass sich die Erzählung Hauffs meiner Meinung nach mehr der Realität nähert als ein Märchen wie Schneewittchen, möchte ich an dieser Stelle wiederum als Argument einbringen. Peter erscheinen die Herzen in der Stube des Michels zwar zuerst als etwas Wunderliches: […] als er über die Schwelle trat, aber er achtete es nicht, denn der Anblick, der sich ihm bot, war sonderbar und überraschend. Aus mehreren Gesimsen von Holz standen Gläser, mit durchsichtiger Flüssigkeit gefüllt, und in jedem dieser Gläser lag ein Herz, auch waren an den Gläsern Zettel angeklebt und Namen darauf geschrieben, die Peter neugierig las […] (S.34-35) Das Wunderbare liegt in dem Sonderbaren, was Peter neugierig macht. Wenn aber der Holländer-Michel die Worte „das steinerne Herz“ tatsächlich in den Mund nimmt, wird das Sonderbare zu etwas Unheimlichem, und kann Peter sich „eines Schauers, der ihm über die Haut ging, nicht erwehren“ (S.35). Zu Anfang der Erzählung verweist der Großvater auf die Figuren des dicken Ezechiels, des langen Schlurkers und des Tanzboden-Königs, und möchte „um keinen Preis in der Haut“ (S.16) dieser Männer stecken. Es ist ihr „unmenschlicher Geiz, ihre Gefühllosigkeit gegen Schuldner und Arme“ (S.7), die sie bei den Menschen im Schwarzwald „verhasst“ (S.7) machen. Bevor Peter sein Glück beim Holländer-Michel zu finden versucht, ist er „Tanz-Kaiser“ (S.27): „Des Tanzboden-Königs Künste wurden von den übernatürlichen Künsten des neuen Tänzers zuschanden“ (S.27). Das Übernatürliche, Wunderliche wird später in der Erzählung also von dem Unheimlichen verdrängt. Damit möchte ich auch auf die Figur des Holländer-Michels deuten. Der Waldgeist erscheint Peter Munck an erster Stelle als ein Zauberer, der einen reich machen kann, hat zugleich ein unheimliches Vorkommen 78 Freud: Werke aus den Jahren 1917-1920. S.260 40 und zeigt sich als eine furchtbare Gestalt. Die Sage des Großvaters warnt Peter vor dem Holländer-Michel, aber erst wenn Peter herausfindet, was der Michel nun eigentlich von ihm verlangt, wird er sich des Bösen bei dem Waldgeist bewusst. Der Holländer-Michel und der Austausch des Herzens werden von Peter letztendlich als etwas Unheimliches empfunden. 3.3.5. Peter Munck Zu Hause des Holländer-Michels „tranken und tranken“ (S.36) sie, „bis Peter in einen tiefen Schlaf verfiel“ (S.36). Von diesem Augenblick ab, wenn Peter erwacht „beim fröhlichen Schmettern eines Posthorns“ (S.36) und er „in blauer Ferne hinter sich den Schwarzwald liegen“ (S.36) sieht, ist ihm alles freilich. Peter hat jetzt ein kaltes, marmorartiges Herz, das dafür sorgt, dass er „weder Angst noch Schrecken, weder törichtes Mitleiden noch anderer Jammer“ (S.35) fühlen kann: Er fuhr zwei Jahre in der Welt umher, und schaute aus seinem Wagen links und rechts an den Häusern hinauf, schaute, wenn er anhielt, nicht als den Schild seines Wirtshauses an, lief dann in der Stadt umher, und ließ sich die schönsten Merkwürdigkeiten zeigen; aber es freute ihn nichts, kein Bild, kein Haus, keine Musik, kein Tanz, sein Herz von Stein nahm nichts Anteil, und seine Augen, seine Ohren waren abgestumpft für alles Schöne. Nichts war ihm mehr geblieben, als die Freude an Essen und Trinken und der Schlaf, und so lebte er, indem er ohne Zweck durch die Welt reiste, zu seiner Unterhaltung speiste und aus Langerweile schlief. (S.37) Peter Munck liegt nicht wie Schneewittchen scheintot in einer Kiste, kann immer noch alles dasselbe machen wie vor dem Austausch, aber es ist ihm, als wenn er „nur halb lebte“ (S.38). Dieses Gefühl, das Peter empfindet, kann als unheimlich gekennzeichnet werden. Darüber hinaus stehen die Schwarzwälder dem reichen Peter nach seiner Reise misstrauisch gegenüber und betrachten ihn in diesem Sinne auch als unheimlich. Peter befindet sich jetzt auf einer Ebene, höher als der des irdischen: „Nicht irdische Gerichte sind es, die du zu fürchten hast, sondern andere und strengere; denn du hast deine Seele an den Bösen verkauft“ (S.44). Wenn Peter zum Wirtshaus wiederkehrt, ist er anfangs sehr geliebt, wird trotzdem schnell zu einem gehassten Typ, so wie der dicke Ezechiel, der lange Schlurker und der Tanzboden-König. Er beschäftigt sich neben Holzhandel, „aber nur zum Schein“ (S.39), vor allem mit Handel in Korn und lässt von dem Amtmann alle Häuser, derjenigen, die nicht rechtzeitig bezahlen können, verkaufen: 41 Anfangs machte dies dem reichen Peter einige Unlust, denn die armen Ausgepfändeten belagerten dann haufenweise seine Türe, die Männer flehten um Nachsicht, die Weiber suchten das steinerne Herz zu erweichen und die Kinder winselten um ein Stücklein Brot, aber als er sich ein paar tüchtige Fleischerhunde angeschafft hatte, hörte diese Katzenmusik, wie er es nannte, bald auf; er pfiff und hetzte, und die Bettelleute flogen schreiend auseinander. (S.40) Peter übt an dieser Stelle selbst Macht aus, ist nicht mehr der arme Kohlenbrenner wie am Anfang der Erzählung. Wie der Ritter Hans von Stoffeln in Die schwarze Spinne verfügt Peter über mehrere Hunde, mit denen er die Absicht hat, den Menschen Angst einzuflößen und seine Machtposition nachdrücklich zur Geltung zu kommen lassen. Der Protagonist in Hauffs Geschichte geht sogar so weit, dass er seine Frau ermordet. Wo früher die Stimme des Holländer-Michels noch „wie eine tiefe Totenglocke“ (S.33) heraufschallte, schreit Peter jetzt mit „einer schrecklichen Stimme“ (S.43) und hat ein „blutrotes Gesicht“ (S.43), kommt den Menschen also selbst schreckhaft vor. Am meisten verhasst er das „alte Weib“ (S.40), eine Bereicherung, mit der er auf seine eigene Mutter verweist. Diese, „in Not und Elend geraten“ (S.40), hat keinen Platz mehr im Leben ihres Sohnes, wenn sie vor seiner Tür steht, wird sie sogar weggejagt, bekommt aber ab und zu von „einem Knechten“ (S.40) doch „einen Sechsbätzner“ (S.40): Er vernahm ihre zitternde Stimme, wenn sie dankte und wünschte, es möge ihm wohlgehen auf Erden, er hörte sie hüstelnd vor der Türe schleichen, aber er dachte weiter nicht mehr daran, als dass er wieder sechs Batzen umsonst ausgegeben. (S.40) Diese Missgunst, seiner Mutter und armen Leuten gegenüber, kann eine unbewusste Sehnsucht nach dem Wunsch, wieder „ein schwarzer, einsamer Kohlenbrenner“ (S.5) – der wohl imstande ist zu fühlen – zu sein, ersetzen. Eine Art Verlangen nach dem Verdrängten findet hier statt: Könnet Ihr das Herz Steinherz nicht beweglicher machen, oder – gebt mir lieber mein altes Herz; ich hatte mich in fünfundzwanzig Jahren daran gewöhnt, und wenn es zuweilen auch einen dummen Streich machte, so war es doch munter und ein fröhliches Herz. (S.38) Peter möchte sein eigenes Herz, sein früheres Leben zurückbekommen. Diese Sehnsucht widerspiegelt sich in der Wahl seiner Frau. Auf der Suche nach einer Gattin genügt keine der „schönen Schwarzwälderinnen“ (S.40). Letztendlich erfährt er doch etwas über eine mögliche Kandidatin, die „Schönste und Tugendsamste im ganzen 42 Wald“ (S.40). Diese ist die Tochter „eines armen Holzhauers“ (S.40), was Peter auf das Altbekannte, das Verdrängte, zurückführt. Auch er war früher jemand, der „sich nie auf dem Tanzboden sehen“ (S.41) ließ. Die Unfähigkeit, zu fühlen, „Mitleiden mit armen Leuten“ (S.41) zu haben, wiederum sich selbst zu sein, mündet in den Mord an seiner Gattin, Frau Lisbeth. Nachdem Peter, nach der Konfrontation mit dem Glasmännlein, von einigen Männern geweckt wird, hält er alles für „einen schrecklichen Traum“ (S.45), stellt jedoch gleich fest, dass das Vorangehende „bittere Wahrheit“ (S.45) ist und Lisbeth tatsächlich von ihm getötet worden ist. Anhand einer List gelingt es Peter jedoch, das eigene, warme Herz wiederzugewinnen, was aufs Neue seine Gefühle ins Leben bringt: […] und alle Herzen umher fingen an zu zucken und pochen, dass es tönte, wie in der Werkstatt eines Uhrenmachers. Peter aber fürchtete sich, es wurde ihm ganz unheimlich zumut, er rannte, zur Kammer und zum Haus hinaus, und klimmte, von Angst getrieben, die Felsenwand hinan; denn er hörte, dass Michel sich aufraffte, stampfte und tobte, und ihm schreckliche Flüche nachschickte. (S.50) Am Ende der Erzählung, nach der Tatsache, dass er also das eigene Herz zurückbekommen hat und sich wieder zum Guten bekehrt hat, sieht er doch „seine Mutter und Lisbeth, seine Frau, die ihn freundlich anblickten“ (S.52). Das Unheimliche – Peter denkt, dass das Glasmännchen ihn mit seiner Axt töten wird – macht seinerseits Platz für das Wunderbare und das Märchenhafte, indem der Leser ein gutes Ende der Erzählung zu lesen bekommt. Es ist deutlich, dass Peter den Anderen nach dem Pakt mit dem Holländer-Michel schreckhaft vorkommt. Er ist selbst jemand, den man meiden soll, und erst, wenn es ihm gelingt – was Christine bei Gotthelf nicht schafft – den Teufel zu täuschen, wird Peter wieder sich selbst. 3.3.6. Das Glasmännlein Nur diejenigen, die „an einem Sonntag zwischen elf und zwei Uhr geboren“ (S.8), sind imstande das Glasmännlein, mithilfe eines Sprüchleins, hervorzurufen. Glücklicherweise ist das gerade der Fall für den Helden unserer Geschichte. Wenn er das erste Mal darüber informiert wird, ist Peter voller „Freude und Begierde“ (S.8) und macht sich auf den Weg nach dem Tannenbühl. Diese Begeisterung wird trotzdem schnell durch negative Gefühle ersetzt. Es sei dort „unsicher“ (S.9) und es wird ihm 43 „ganz schaurig“ (S.9), denn die Sage lautet, dass an diesem Ort „Mann und Holz verunglücke, wenn ein Tannenbühler mit im Wasser sei“ (S.9). Der Ort, in dem sich der gute Waldgeist aufhält, bildet merkwürdigerweise den Anlass für eine unheimliche Erfahrung. Obwohl Peter Angst hat, setzt er seine Reise nach dem Männchen trotzdem fort. An dem Tannenbühl angekommen, versucht er ein erstes Mal, das Geistchen anzurufen, was ihm jedoch nicht gelingt. Bei dem zweiten Versuch spricht er das Verslein, von dem er nur die ersten drei Zeilen kennt, bekommt aber doch den Eindruck, das Glasmännlein oder wenigstens „eine sonderbare Gestalt“ (S.10) gesehen zu haben. Das „schwarze Wämschen“ (S.10), die „roten Strümpfchen“ (S.10) und das „Hütchen“ (S.10) entsprechen allerdings der Beschreibung des Geistchens in den Erzählungen der abergläubischen Dorfbewohner. Dieselbe Farben sind in Die schwarze Spinne bei der Beschreibung des Grünen zurückzufinden. Sie deuten in diesem Fall jedoch nicht auf die Anwesenheit des Teufels. Peter ruft dem Geistchen nach, bekommt aber keine Antwort, nur glaubt er ein „leises, heiseres Kichern“ (S.10) gehört zu haben, verliert darauf die Geduld, vergisst seine „Furcht“ (S.10) und versucht sogar den „kleinen Burschen“ (S.10) zu erfassen. Das Einzige, was jedoch in der Gegend anzutreffen ist, ist ein „zierliches Eichhörnchen“ (S.11), und in dieser Szene wird er selbst von Angst erfasst. Wo Peter sich ein angenehmes Treffen mit dem Glasmännchen vorgestellt hat, erfährt er diese erste Begegnung als sonderbar und unheimlich. Bei dieser Erfahrung gehen Angst und Neugier wiederum zusammen. Später träumt Peter von dem Glasmännlein, das in diesem Augenblick dann wieder als „klein“ (S.16) und „freundlich“ (S.16) umschrieben wird. Peter soll einfach auf das Verb ‚stehen‘ einen Reim finden, hatte aber „in seinem Leben noch keinen gemacht“ (S.17). Aufs Neue kommt hier „Zufall“ ins Spiel: Als er noch so dasaß und trübe vor sich hinschaute, und an den Reim auf stehen dachte, da zogen drei Bursch vor dem Haus vorbei in den Wald, und einer Sang im Vorübergehen: „Am Berge tat ich stehen Und schaute in das Tal, Da hab ich sie gesehen Zum allerletzten Mal.“ Das Glasmännlein darf als guter Waldgeist bezeichnet werden, Peter Munk empfindet ihm gegenüber jedoch gemischte Gefühle und so auch eine gewisse Angst. Die 44 Begegnung mit den Burschen weist an erster Stelle auf den glücklichen Zufall, kann meiner Meinung nach als unheimlich empfunden werden. Peter soll unbedingt den Weg zum Glasmännchen finden. Nach diesem Traum, die ihm „sonderbar" (S.17) vorkommt, kommen die drei Burschen, von denen einer gerade das Lied singt mit dem Reim auf das Verb „stehen“, das wie „ein leuchtender Blitz durch Peters Ohr“ (S.17) führt. Peter, der meint das „nicht recht gehört zu haben“ (S.17), springt den drei Männern hinterher, greift den Sänger beim Arm und, als ob er sich einen Augenblick in Wahnsinn verliert, befiehlt („Nein, sagen sollst du, was du gesungen hast!“ schrie Peter beinahe außer sich – S.18), das Lied zu wiederholen. Bildet Peters Gelddrang den Anlass für solch ein gewaltiges Benehmen, denn es scheint, als ob er unbedingt das Waldgeistchen finden muss, oder zieht das Geistchen Peter selbst an sich? Der Angriff Peters gefällt der Gesellschaft auf jeden Fall nicht, sodass sie beschließen, den jungen Knaben auf einen Prügel einzuladen. Doch Peter bittet sie, da er „die Schläge habe, sei so gut und saget deutlich, was jener gesungen“ (S.18). Nach demjenigen, was geschehen ist, erwartet man doch, dass die drei Männer nicht auf die Bitte eingehen werden, aber wiederum hat Peter das „Glück“ an seiner Seite und bekommt nachträglich seinen Reim für das Verslein. Von Zufall scheint hier nicht mehr die Rede zu sein. Bei der zweiten Begegnung mit dem Waldgeistchen rettet dieser Peter aus den Händen des HolländerMichels, sodass er sein Vertrauen auf das Männchen setzt. Dieses Mal trifft er auch tatsächlich das Glasmännlein, selbst wenn er das Verslein „nicht ganz getroffen“ (S.21) hat. Er hat „ein feines, freundliches Gesichtchen, und ein Bärtchen so zart wie aus Spinnenweben“ (S.21) und jedes Sonntagskind, das ihn findet, bekommt drei Wünsche, von denen die ersten zwei frei sind und der dritte verweigert werden kann. Das Glasmännlein erfüllt seine ersten zwei Wünsche, obwohl diese erbärmlich oder dumm sind, denn Peter möchte „noch besser tanzen können, als der Tanzbodenkönig, und jedes Mal noch einmal so viel Geld ins Wirtshaus bringe[n] als er“ (S.23). Beim zweiten Wunsch bittet er um „die schönste und reichste Glashütte im ganzen Schwarzwalde“ (S.24), weil Verstand ihn laut dem Glasmännlein so viel weiter helfen könnte. Die Erfüllung von drei Wünschen ist zwar ein sehr häufig vorkommendes Märchenmotiv, das Waldgeistchen hat jedoch seine eigenen Regeln, da er den letzten Wunsch verweigern kann. Freud hat es in seinem Aufsatz „Das Unheimliche“ über das Anrühren an der animistischen Entwicklungsphase des Menschen, und führt dafür das 45 Beispiel des Ringes von Polykrates an. Dem Träger dieses Ringes werden die Wünsche sofort erfüllt. Für Peter verläuft es beim Glasmännlein jedoch ein bisschen anders, und er hat darüber hinaus mit Einigem zu rechnen: […] hier sind zweitausend Gulden, und damit genug, und komm mir nicht wieder um Geld zu fordern, denn dann müsste ich dich an die höchste Tanne aufhängen; so hab ich’s gehalten, seit ich in dem Wald wohne […] (S.24) Es gibt schon eine Bedingung, und diese ist dann auch eine direkte Todesbedrohung. In Bezug auf die Erfüllung der drei Wünsche gibt es Freud zufolge ähnliche Mechanismen bei den Menschen. Bei Zwangsneurotikern ist eine Störung innerhalb der animistischen Entwicklungsphase anzutreffen, weil sie alle ihre Wünsche befriedigt wissen möchten. Es wird dann als unheimlich empfunden, wenn auf diese Störung, diesen überzogenen Narzissmus, eingegangen wird, wenn dieses Stadium „angerührt“79 wird. In Peters Fall ist nicht die Rede von einem Zwangsneurotiker, man kann jedoch von Narzissmus sprechen. Peter will ebenso erfolgreich sein wie der dicke Ezechiel, der lange Schlurker und der Tanzboden-König, möchte seine drei Wünsche in Erfüllung sehen, lässt seine Mutter hinter sich, kehr jedoch wieder, aber einmal, wenn er tatsächlich so reich ist und so viel Ansehen wie diese drei Männer hat, kümmert er sich nicht mehr – es sei denn wegen des kalten Herzens – um seine Mutter und verliert sie aus dem Auge. Bevor Peter sein Glück bei dem Holländer-Michel sucht, hat er noch eine Begegnung mit dem Glasmännlein. Peter verbringt seine Zeit beim „Schlemmen und Spielen“ (S.27) und die Glashütte, die er sich gewünscht hatte, gerät „nach und nach in Verfall“ (S.27). Es ist klar, dass Peter nur an sich selbst denkt und die Realität aus dem Auge verliert. So sieht er unter anderem nicht ein, dass er selbst Schuld an dem Verfall der Glashütte, an seinem Unglück ist. Auf dem Wege nach Hause, nach einem Abend im Wirtshaus und nach „vielem Wein“ (S.28), trifft er das Waldgeistchen, gerät „in Zorn und Eifer“ (S.28) und gibt ihm die Schuld für all sein Unglück. Er fasst darauf das Glasmännlein „unsanft am Kragen“ (S.28) und trägt ihn auf, Geld zu geben. Gerade dasjenige, warum er nicht mehr bitten sollte: „Hab ich dich jetzt, Schatzhauser im grünen Tannenwald? Und den dritten Wunsch will ich jetzt tun, den sollst du mir gewähren; und so will ich hier auf der Stelle zweimal hunderttausend harte Taler, und ein Haus und – o weh!“, schrie er und schüttelte die Hand, denn das Waldmännlein hatte sich in glühendes Glas 79 Freud: Werke aus den Jahren 1917-1920. S.254 46 verwandelt und brannte in seiner Hand wie sprühendes Feuer. Aber von dem Männlein war nichts mehr zu sehen. (S.28) Peter bleibt von diesem Treffen nur eine „geschwollene Hand“ (S.28) übrig. Er hat nicht das brennende Gefühl, das Christine in Die schwarze Spinne nach dem Kuss von dem Grünen verspürt, trotzdem ist die geschwollene Hand ein Zeichen, dass er sich in solchen Momenten vor dem Männchen fürchten soll. Der junge Munck geht dann auf die Suche nach dem Holländer-Michel, muss unterwegs durch den grünen Tannenbühl, beeilt sich, als ob „die Gerichtsdiener ihm auf den Fersen wären“ (S.32). Er hat nämlich das Gefühl, „als halte ihn eine unsichtbare Hand auf“ (S.32), kann jedoch entkommen, läuft bis „an die Grenze“ (S.32) und trifft „beinahe atemlos“ (S.32) den riesengroßen Holländer-Michel. Später, wenn Peter sein echtes Herz für ein steinernes umgetauscht hat, kommt am Hause Peters und seiner Frau Lisbeth ein „altes Männlein“ (S.42) vorbei, dem Lisbeth, trotz des Verbotes ihres Gatten, zu essen und zu trinken gibt, was zu ihrem Tod führen wird. Es stellt sich heraus, das gerade dieses Männlein, das Waldmännchen, „Herr Schatzhauser“ (S.43), ist. Für das zweite Mal legt er die Verantwortung auf das Glasmännlein, was wiederum das Schreckhafte in dem Waldgeistchen auslöst: […] so wuchs und schwoll das Glasmännlein […], und seine Augen sollen so groß gewesen sein wie Suppenteller und sein Mund war wie ein geheizter Backofen und Flammen blitzten daraus hervor. Peter warf sich auf die Knie, und sein steinernes Herz schützte ihn nicht, dass sich nicht seine Glieder zitterten, wie eine Espe. Mit Geierskrallen packte ihn der Waldgeist im Nacken, drehte sich um, wie ein Wirbelwind dürres Laub, und warf ihn dann zu Boden, dass ihm alle Rippen knackten. „Erdenwurm!“, rief er mit einer Stimme, die wie der Donner rollte, „ich könnte dich zerschmettern, wenn ich wollte, denn du hast gegen den Herrn des Waldes gefrevelt. (S.44) Sogar das steinerne Herz, das dafür gesorgt hat, dass er seit Jahren gefühllos ist, kann nicht verhindern, dass seine Glieder bei einem solchen Zusammenstoß zittern. Abends treffen einige Männer Peter an, der immer noch auf dem Boden liegt und überprüfen, ob „noch Atem in ihm sei, aber lange war ihr Suchen vergebens“ (S.44). Das Glasmännchen hat Peter nicht getötet, gibt ihm aber acht Tage Frist, um sich „zum Guten“ (S.44) zu bekehren. Wenn Peter das nicht macht, „zermalme“ (S.44) er das Gebein des jungen Knaben. Letzterer, der noch einen Wunsch übrig hat, sucht den Schatzhauser des Waldes im Tannenbühl für das letzte Mal auf. Den Wunsch, wieder das echte Herz zu bekommen, kann das Männchen leider nicht erfüllen und gibt Peter 47 dagegen den Rat, mittels einer List das eigene Herz zurückzugewinnen. Das Glasmännlein ist zwar ein guter Waldgeist, weist jedoch einen wechselhaften Charakter auf und flößt dem Protagonisten verschiedene Male Angst ein. Es steht also fest, dass es sowohl in Gotthelfs Die schwarze Spinne und Hauffs Das kalte Herz mehrere Figuren gibt, die den Anderen in der Erzählung unheimlich vorkommen, da man ihnen böse Absichten zutraut und ihnen misstrauisch gegenübersteht. Der Grüne und der Holländer-Michel erscheinen den anderen Figuren am meisten als unheimlich und weisen darüber hinaus mehrere Ähnlichkeiten auf. Nicht nur der Grüne in Gotthelfs Sage verkörpert den Teufel, sondern auch in der Gestalt des Holländer-Michels bei Hauffs Märchen ist das Böse anzutreffen. Beide warten den passenden Augenblick ab, erscheinen aus dem Nichts, und verführen Christine beziehungsweise Peter zu einem Teufelspakt. Mehrere Anspielungen fallen dem Leser ins Auge und so kann in beiden Erzählungen die Schlange mit dem Teufel assoziiert werden. Wichtig zu erwähnen, ist die Tatsache, dass der Austausch mit dem HolländerMichel sowohl das Wunderliche als auch das Unheimliche hervorruft. Im Fall von Gotthelfs Die schwarze Spinne stehen die Figuren, neben dem Grünen, Hans von Stoffeln und Christine misstrauisch gegenüber. Bei der Begegnung mit dem Ritter von Stoffeln wird es den Bauern ganz unheimlich und wünschen sie sogar, dass sie zu Hause wären. Der Ritter will unbedingt einen Schattengang von hundert Buchen und hält keine Rücksicht auf die Bauern, für die der Auftrag unmöglich ist. Christine wird ihrerseits als eine sonderbare Figur betrachtet und ist diejenige, die den Pakt mit dem Grünen schließt, und so für den Untergang der Bauern verantwortlich ist. Bei Hauffs Das kalte Herz können Peter und das Glasmännlein, der gute Waldgeist, als zwei Sonderfälle betrachtet werden. Der Protagonist ruft später in der Erzählung selbst das Unheimliche hervor, indem er durch das steinerne Herz nur „halb lebt“ – was in diesem Märchen nicht als etwas Gewöhnliches betrachtet wird – und den Anderen Angst macht. Peter fürchtet sich mehrere Male vor dem Glasmännlein, der in einem bestimmten Moment die Möglichkeit hat, Peter zu zerschlagen, das jedoch nicht macht und letztendlich Peter helfen wird, das Böse zu besiegen. Die Angst der Figuren in der Erzählung kann meiner Meinung nach auf den Leser übergehen, sodass die Figuren mit „bösen Absichten“ auch vom Letzterem als „unheimlich“ betrachtet werden können. 48 3. 4. Angst vor dem Tod Die Begegnung mit dem Tod wird, Freud zufolge, von den Menschen am meisten als unheimlich empfunden. In Die schwarze Spinne von Gotthelf ist der Tod mit der Spinne verknüpft. Obwohl diese erst in der Binnengeschichte zum Vorschein kommt, gibt es in der Rahmenerzählung schon einige Anspielungen auf den unvermeidlichen Tod: O Mensch, fass in Gedanken: Drei Batzen gilt dsPfund Anken. Gott gibt dem Menschen Gnad, Ich aber wohn im Maad. In der Hölle, da ist es heiß, Und der Hafner schafft mit fleiß. Die Kuh, die frisst das Gras; Der Mensch, der muss ins Grab. Wenn ein erstes Kind geboren wird, das Christine vergeblich „hinein ins Haus“ (S.61) zu tragen versucht, und es darauf dann letztendlich getauft wird, wird die Bedrohung des Todes real. In Christines Gesicht beginnen „Wehen zu kreißen, wie sie noch keine Wöchnerin erfahren auf Erden“ (S.61). Der Grüne rächt sich, weil er das ungetaufte Kind nicht bekommen hat, und lässt jetzt das Böse über die Menschen los: Da sah sie in des Blitzes fahlem Scheine langbeinig, giftig, unzählbar schwarze Spinnchen laufen über ihre Glieder, hinaus in die Nacht, und den Entschwundenen liefen langbeinig, giftig, unzählbar andere nach. (S.62) Die Wiederholung der drei Adjektive, die Betonung auf „langbeinig“, „giftig“ und „unzählbar“, weist auf die große Gefahr, die von den Spinnen ausgeht. Sie sind nicht zu meiden, sind überall, unzählbar gibt es sie. Sie sind langbeinig, was ihnen die Möglichkeit gibt, sich schnell fortzubewegen und ihre Opfer zu überraschen. Darüber hinaus sind sie giftig, in solch einem Maße, dass ein Biss direkt zum Tod führen kann. Von diesem Augenblick an ist niemand sicher vor dem Bösen, der Tod herrscht überall in der Gegend von Sumiswald: Man trieb das Vieh auf die Weiden, man trieb es nur dem Tode in den Rachen. Denn, wie eine Kuh auf eine Weide den Fuß setzte, so begann es lebendig zu werden am Boden, schwarze, langbeinige Spinnen sprossten auf, schreckliche 49 Alpenblumen, krochen auf dem Vieh, und ein fürchterlich wehlich Geschrei erscholl von den Bergen nieder zu Tale. (S.63) Was sich zuerst noch auf das Vieh zu konzentrieren scheint, wird zu einer „einbrechenden Plage“, von der niemand weiß, „wie grässlich“ (S.65) sie sein wird. Wo die Bauern an erster Stelle daran denken, Christine zu töten, in der Hoffnung, dass es dann keine Verbindung mehr gibt zwischen ihnen und dem Teufel, werden sie von der Lindauerin umgestimmt, denn der Grüne „solle zuschlagen“ (S.65). Da er ein ungetauftes Kind haben möchte, erfordert das Böse in dieser Weise auch Menschenleben. Früher in der Erzählung zeigt der Grüne noch Mitleid, wenn einige Ritter seinen Plänen entgegenarbeiten, deswegen „halb tot in Gräben“ (S.51) geschleudert werden. Zwei andere Ritter findet man nachher „erstarrt am Boden“ (S.51). Jetzt, nach der Verweigerung der Bauern, das erste ungetaufte Kind dem Teufel zu überlassen, sieht die Lage anders aus. Der Teufel verliert offensichtlich seine Geduld. Sobald jemand nur den Gedanken hat, dass man das nächste geborene Kind auch retten soll, „kehrte mit neuer Wut der Tod in seine Herd ein“ (S.67). Trotz der deutlichen Warnungen steht es so gut wie fest, dass bei der zweiten Geburt etwas schief gehen wird: „in Todesangst fühlte das arme Weib, wie seine Stunde schneller und schneller nahte“ (S.69). Was man erwartet, geschieht auch. Christine zeigt sich bei der Geburt und stürzt sich auf die Wöchnerin, „wie auf seinen Rauf der Tiger stürzt“ (S.70), übermannt diese und raubt das Kind. Der Priester des Dorfes riskiert jedoch das eigene Leben, in einem letzten Versuch, das Böse zu überwinden, indem er sich zwischen dem Grünen und Christine drängt, und „heiliges Wasser“ (S.76) auf das Kind und die Lindauerin sprengt. Letztere schrumpft zusammen, bis nur die Spinne, „giftstrotzend“ (S.76) und mit einer „zornigen Blitze“ (S.76) aus ihren Augen, übrig bleibt. Das Weihwasser hat den Grünen ausgeschaltet, die Spinne aber wird immer größer, „streckt immer weiter ihre schwarzen Beine aus über das Kind, glotzt immer giftiger den Priester an“ (S.76). Der Priester, wiederum, rettet die Bauern, fasst die Spinne in seiner Hand, was wie „in glühende Stacheln“ (S.76) hineingreifen fühlte. Das Gute scheint den Kampf gewonnen zu haben. Der Priester tauft das Kindlein, das zuerst noch „mit Brandflecken“ (S.77) gekennzeichnet war, sodass „zu Gott die Seele, zur Erde der Leib“ (S.77) geht. Der Pfarrer, dagegen, stirbt voller „schwarze Beulen“ (S.79), als Folge des Spinnenbisses, und Hans, den Gatten der Mutter, trifft man „mit schrecklichem Gesichte“ (S.79) an. Nun bricht das Böse richtig aus: 50 Sie fiel des Nachts den Leuten ins Gesicht, begegnete ihnen im Walde, suchte sie heim im Stalle. Die Menschen konnten sie nicht meiden, sie war nirgends und allenthalben, konnten im Wachen vor ihr sich nicht schützen, waren schlafend vor ihr nicht sicher. Wenn sie am sichersten sich wähnten unterem freien Himmel, auf eines Baumes Gipfel, so kroch Feuer ihnen den Rücken auf, der Spinne feurige Füße fühlten sie im Nacken, sie glotzte ihnen über die Achsel. Das Kind in der Wiege, den Greis auf dem Sterbebette schonte sie nicht; es war ein Sterbet, wie man noch von keinem wusste, und das Sterben daran war schrecklicher, als man es je erfahren, und schrecklicher noch als das Sterben war die namenlose Angst vor der Spinne, die allenthalben war und nirgends, die, wenn man am sichersten sich wähnte, einem todbringend plötzlich in die Augen glotzte. (S.81) Kennzeichnend für die Erzählung Gotthelfs bildet diese Tatsache, dass die Angst, eine „unsägliche“ (S.80), bei den Dörfern größer ist vor der Spinne, dem Bösen, als vor dem Sterben selbst. Die Menschen geraten in eine Paranoia, denn die Spinne ist „bald nirgends, bald dort“ (S.81). Sie ist nirgends und überall. Der Erzähler nimmt das Wort „namenlos“ in den Mund, das einerseits das Ausmaß der Angst angibt, anderseits auf den Identitätsverlust der Bauern deuten kann. Das Angstgefühl, die Paranoia trifft alle, von Einzelpersönlichkeiten ist nicht die Rede. Nicht nur das Böse in der Gestalt der Spinne, sondern auch Gott haben die Menschen zu fürchten, „denn ihre Herzen wussten wohl, wenn Gottes Hand vernichtend über sie komme, so sei es mehr als wohlverdient“ (S.78). Innerhalb der Rahmenerzählung stehen Religion und Ordnung im Mittelpunkt. Vor der Mahlzeit „stören die Gedanken des Magens die Gedanken der Seele“ (S.19), worauf die Leute dann Gespräche über „gleichgültige Gegenstände“ (S.19) anzuknüpfen versuchen, in der Hoffnung, den ersten Gedanken zu verdrängen. Es gibt mehrere diese kleinen Anspielungen, wobei die Betonung auf der Seele der Menschen, und auf das, was nach dem Tod folgen wird, liegt, was in einer Erzählung, die mit einem Teufelspakt versehen ist, nicht verwunderlich ist. Nach der Begegnung mit dem Grünen und nach der Enthüllung seiner wahren Figur kehren die Männer, „blass und zitternd an der Seele“ (S.35) nach Hause zurück. Wenn sie sich mit diesem grünen Jägersmann einlassen würden, würde das auf Kosten ihrer eigenen Seele gehen: [...] da stiegen allmählich die Gedanken auf, die den Menschen, der in der Not ist, so gerne um seine Seele bringen. Sie begannen zu rechnen, wie viel mehr wert sie alle seinen als ein einzig ungetauftes Kind, sie vergaßen immer mehr, dass die Schuld an einer Seele tausendmal schwerer wiege als die Rettung von tausend und abermal tausend Menschenleben. (S.45-46) Diese innere Zerrissenheit läuft wie ein roter Faden durch die ganze Erzählung. Man kann also feststellen, dass Angst vor dem Tod in einem großen Maße in Die schwarze 51 Spinne vorfindlich ist. Wo es in den Tälern der Rahmenerzählung noch „wunderbar“ (S.4) klingt, denn von den Kirchen her läuten die Glocken, dass „die Tempel Gottes sich öffnen allen, deren Herzen offen seien der Stimme ihres Gottes“ (S.4), ist in der Binnengeschichte die Rede von einem „dumpfen“ (S.50) Klingen, von einer „Totenglocke“ (S.50). Das Böse besetzt jetzt die Kirche, den Tempel Gottes: […] ein dumpfer Glockenton, fast wie der verirrte Schall einer fernen Totenglocke, kam von der Kirche her, dass ein eigentümlich Grauen die stärksten Männer ergriff und jedes Mal Menschen und Tieren bebten, wenn man gegen die Kirche kam. War man einmal vorbei, so konnte man ruhig fahren, ruhig abladen, ruhig zu frischer Ladung wieder gehen. (S.50) Der Ort, die Kirche, wo man sich normalerweise sicher fühlt, bildet hier den Anlass für ein unheimliches Gefühl. Dasselbe Wort „Totenglocke“ ist auch in Das kalte Herz anzutreffen. Hauff benutzt es bei der Beschreibung einer der Figuren. In einem Vergleich wird die Stimme des Holländer-Michels beschrieben. Diese schallt „wie eine tiefe Totenglocke“ herauf. Die Paranoia, die Angst vor dem Tod, ist, im Vergleich zur Gotthelfs Sage, etwas weniger anwesend, ist jedoch im Hauffs Märchen deutlich vertreten. Auch hier handelt es sich um das Reinhalten der eigenen Seele. Handel treiben mit dem riesigen Michel macht alle Leute reich, geht trotzdem „auf Kosten ihrer armen Seele“ (S.15). Peter hat seine Seele „an den Bösen“ (S.44) verkauft, hat keine Gefühle mehr, fragt sich aber jedoch, was der dicke Ezechiel „vom Tod“ (S.45) hält und „wie es nachher sein werde“ (S.45). Denn, wo sein Gewissen ihn im Übrigen in Ruhe lässt, kommen ihm nach dem Tod seiner Frau „sonderbare Gedanken“ (S.45) vor: […] er fürchtete sich vor nichts, denn sein Herz war ja kalt, aber wenn er an den Tod seiner Frau dachte, – kam ihm sein eigenes Hinscheiden in den Sinn, und wie belastet er dahinfahren werde, schwer belastet mit Tränen der Armen, mit tausend ihrer Flüche, die sein Herz nicht erweichen konnten […] (S.45) Es wird also in Das kalte Herz auch mit Gedanken in Bezug auf den Tod und auf das Leben nach dem Tod gespielt. Der dicke Ezechiel weiß Peter mitzuteilen, dass der Leib des Menschen begraben wird, während die Seele entweder „auf zum Himmel oder hinab in die Hölle“ (S.45) fährt. Der negativen Antwort auf die Frage, ob das Herz dann auch mit begraben wird, fügt Ezechiel hinzu, dass Peter davor keine Angst haben soll und sich nur um das heutige Leben kümmern soll. Peter erwidert, obwohl er „jetzt keine Furcht mehr kenne“ (S.46), er immer noch weiß, „wie sehr“ (S.46) er sich als kleiner 52 Junge „vor der Hölle gefürchtet“ (S.46) hat. Ezechiel erklärt dem Peter, dass die Herzen gewogen werden und nach ihrem Gewicht, „wie schwer sie sich versündigt hätten“ (S.46), beurteilt werden, was ein gebräuchliches „ach freilich“ von Peter mit sich bringt. Es ist ihm „unbequem“ (S.46), dass er keine Meinung dieser Tatsache gegenüber hat, empfindet auch keine Reue, dass er seine Frau getötet hat, aber muss immer „an den Waldgeist und seine schreckliche Drohung“ (S.47) denken. Er bekommt vom Glasmännlein acht Tage, um sich zu bekehren, sonst wird er von diesem selbst getötet werden. Das Märchen ist nicht, wie bei Gotthelfs Erzählung, von einer konstanten Todesangst, einer ständigen Bedrohung gekennzeichnet. Es bleibt bei diesen direkten Drohungen des Glasmännchens, das aber auf der guten Seite steht, und des HolländerMichels. Letzterer ist die Figur in Hauffs Erzählung, vor der die Anderen in der Erzählung sich am meisten fürchten sollen. Die Sage, die zu Anfang vom Großvater erzählt wird, zeigt, dass der Holländer-Michel schon für mehrere Todesfälle verantwortlich war: […] denn alle Schiffe, die von dem Holländer-Michel auch nur einen Balken haben, müssen untergehen. Daher kommt es, dass man so viel von Schiffbrüchen hört; wie könnte denn sonst ein schönes, starkes Schiff, so groß als eine Kirche, zu Grund gehen auf dem Wasser? Aber sooft Holländer-Michel in einer Sturmnacht im Schwarzwald eine Tanne fällt, springt eine seiner alten aus den Fugen des Schiffes; das Wasser dringt ein, und das Schiff ist mit Mann und Maus verloren. (S.16) Nach dieser Sage und nach der Warnung, „alles Böse“ (S.16) komme von dem Michel, soll der junge Peter auf der Hut sein vor dem Waldgeist. Wer dem Holländer-Michel nicht gehorcht oder entgegenarbeitet, dem wird den Tod nicht erspart bleiben. In der Szene, wo der Michel Peter verfolgt, um ihn mit seiner Stange niederzureißen, schreckt Peter vor „einem kleinen Graben“ (S.20), was darauf hindeuten kann, dass schon mehrere hier den Tod gefunden haben. Mehr als solche Versuche und Drohungen gibt es nicht, und Peter selbst, wird letztendlich derjenige sein, der jemanden tötet. Man kann trotzdem den Schluss ziehen, dass auf derselben Ebene wie bei Die schwarze Spinne über den Tod und das Leben nach dem Tod gedacht wird, ohne dass dafür eine andauernde Bedrohung wie die Spinne in der Erzählung vorhanden sein sollte. 53 4. Das Schaffen einer unheimlichen Atmosphäre Wie schon in dieser Arbeit gesagt, steht die Rahmenerzählung in Gotthelfs Sage der Binnenerzählung, voller Schrecken und Chaos, gegenüber, während in ersterer Ordnung, Normen und Werte eine große Rolle spielen. Schon in der Rahmenerzählung ist jedoch eine Verschiebung von einer erhabenen zu einer unheimlichen Atmosphäre zu bemerken. Anlass für den Anfang der Unheimlichkeit bildet wiederum der Aberglaube. Für die Geburt des Kindleins verläuft alles bis zu einem bestimmten Augenblick wie geplant. Die Gotte wird kurz vor der Feierlichkeit in der Kirche „zusehends blasser“ (S.16), ist „zu keinem Tropfen zu bewegen“ (S.16), weil alle Anderen auch von dem Wein getrunken haben. „An grässlicher Angst litt die Gotte“ (S.16), was aus der Tatsache hervorgeht, dass ihr niemand den Namen, welchen das Kind erhalten und dem Pfarrer bei der Übergabe des Kindes eingeflüstert werden sollte, mitgeteilt hat. Nach dem Namen zu fragen, würde, dem Aberglauben zufolge, das Kind „unglücklich“ (S.16) machen. Der Gedanke, dass sie dem Pfarrer diesen Namen nicht sagen könne, kommt ihr „immer schrecklicher vor“ (S.17). Ihr „zitterten die Beine wie Bohnenstauden im Winde, und vom blassen Gesichte rann ihm der Schweiß bachweise“ (S.17). In der darauffolgenden Szene wird es der Gotte völlig unheimlich: […] ganz schwarz schienen ihr alle Leute in der Kirche, und nun fing noch das Kind zu schreien an, mörderlich und immer mörderlicher. Die arme Göttin begann es zu wiegen in ihren Armen, heftiger und immer heftiger, je lauter es schrie, dass Blätter stoben von ihrem Meien an der Brust. Auf dieser Brust ward es ihr enger und schwerer, laut hörte man ihr Atemfassen. Je höher ihre Brust sich hob, umso höher flog das Kind in ihren Armen, und, je höher es flog, umso lauter schrie es, und, je lauter es schrie, umso gewaltiger las der Pfarrer die Gebete. Die Stimme prasselten ordentlich an den Wänden, und die Gotte wusste nicht mehr, wo sie war; es sauste und brauste um sie wie Meereswogen, und die Kirche tanzte mit ihr in der Luft herum. (S.17) Das Unheimliche, wie von der Thüsen es in Het verlangen naar huivering umschrieben hat, kommt hier ins Spiel. Wo die Gotte normalerweise voller Ehrfurcht der Zeremonie beiwohnen soll, gerät sie dagegen völlig außer sich. Das Sublime macht Platz für das Unheimliche: die Gotte weiß nicht mehr, wo sie ist, verliert den Überblick und die Kontrolle über sich selbst, ist in diesem Moment orientierungslos. Die Passage wird letztendlich durch ein „Amen“ des Priesters abgeschlossen, läutet aber eine andere unangenehme ein, denn jetzt bricht „der schreckliche Augenblick“ (S.18) an, wo sie den 54 Namen des Kindes ins Ohr des Pfarrers flüstern soll. Letzterer erspart ihr jedoch die Verlegenheit, fragt sie nicht nach dem Namen, und tauft einen „ehrlichen, wirklichen Hans Uli“ (S.18). Die Gotte wird auf diese Weise vor dieser Erniedrigung gerettet, was ihr ist, als ob „aus einem feurigen Ofen sie jemand trage in ein kühles Bad“ (S.18). Die ganze Zeremonie hindurch beben jedoch ihre Glieder, „wollten nicht wieder stille bleiben“ (S.18), und kann sie nicht warten „bis sie ihre geheime Angst offenbaren“ (S.18) kann. Gotthelf baut diese Spannung, die besondere Atmosphäre allmählich ab: Wo gerade noch „die Stimmen prasselten“ (S.17), ist es jetzt das Feuer in der Küche, das „gewaltig prasselte“ (S.19). Die Hebamme, mit „flammendem Gesicht“ (S.19), steht in diesem Fall nicht vor einem symbolischen, sondern in der Küche vor einem echten „feurigen Ofen“ (S.19). Gotthelf spielt mit dem Wort Feuer und kann an dieser Stelle schon eine Anspielung auf „den feurigen Tod“ (S.104), den tödlichen Biss der Spinne, machen. Die Atmosphäre gerät jedoch wieder auf die fromme Ebene, die Gesellschaft setzt sich zu Tisch, „die Hände falteten sich“ (S.20) und es ist Zeit für die Suppe und Gespräche. Während dieser Gespräche lachen die Anderen mit der Gotte wegen ihrer Aussagen, treiben dem Mädchen „das Blut ins Gesicht“ (S.23). Unterdessen nehmen die Tischgenossen „viel Fleisch zu sich“ (S.23) bis sie „endlich“ (S.23) von einem älteren Mann darüber angesprochen werden, denn „es dünke ihn, man sollte einstweilen genug haben“ (S.23). Es handelt sich hier an erster Stelle um die Tatsache, dass man sich benehmen, feine und vornehme Sitten haben soll. An zweiter Stelle kann die Gefräßigkeit vielleicht auch als eine Antizipation betrachtet werden, in dem Maße, dass die Erzählung in der Binnengeschichte entgleisen wird. Wo sie zuerst noch hoffen, mit „Gottes Hülfe“ (S.37) das Unmögliche zu tun, die hundert Buchen auf Barhegen zu pflanzen, verlieren sie später jedoch ihren Glaube: Umsonst mahnte der Priester des Herrn von Schmaus und Jubel ab, mahnte, zu zagen und zu beten, denn noch sei der Feind nicht besiegt, Gott nicht gesühnt. Es sei ihm im Geiste, als dürfe er ihnen keine Buße zur Sühnung auferlegen, als nahe sich eine Buße gewaltig und schwer aus Gottes selbsteigener Hand. Aber sie hörten ihn nicht, wollten ihn befriedigen mit Speise und Trank. Er aber ging betrübt weg, bat für die, welche nicht wüssten, was sie täten, und rüstete sich, mit Beten und Fasten zu kämpfen als ein getreuer Hirt für die anvertraute Herde. (S.56-57) Ihr Unglaube ist Teil des ungeheuren Unheils, was zur Folge hat, dass sie sich nicht nur vor dem Bösen, sondern auch vor Gott – was sie eigentlich an erster Stelle machen 55 sollen – fürchten sollen. Um eine ängstige Atmosphäre hervorzurufen und den Bauern diese Botschaft deutlich zu machen, beruft sich Gotthelf auf ein häufig vorkommendes Motiv. Van Gorp betont für die Schaffung der Unheimlichkeit die Grilligkeit der Natur und in Gotthelfs Sage ist es klar, dass man die Wichtigkeit der Wetterverhältnisse, insbesondere der zahllosen Unwetter, nicht negieren kann. Wenn sich „schwarze Wolken“ (S.72) über Sumiswald bilden, „schwere Tropfen“ (S.72) fallen, hoffen die Bauern, dass Gott „sein Gewitter nicht zum Gerichte werden lasse über sie“ (S.72). Auch das Spiel mit Licht, der Abwechslung zwischen Licht und Finsternis, ist in Gotthelfs Erzählung anzutreffen. Muschg redet in Die schwarze Spinne von dem „Kampf zwischen Licht und Finsternis“80. Das Unwetter, das mit seinen Blitzen nur kurz die Dunkelheit durchbricht, im Übrigen den Figuren die Sicht benimmt, erweist sich als ein ideales unheimliches Ereignis. In diesem Fall warnt Gott mittels des Gewitters die Bauern vor ihrem Unglaube: Und allerdings stürmte ein Gewitter daher, wie man in Menschengedanken nicht oft erlebt. Aus allen Schlünden und Gründen stürmte es heran, stürmte von allen Seiten, von allen Winden getrieben über Sumiswald zusammen, und jede Wolke ward zum Kriegesheer, und eine Wolke stürmte an die andere, eine Wolke wollte der andern Leben, und eine Wolkenschlacht begann, und das Gewitter stund, und Blitz auf Blitz ward entbunden, und Blitz auf Blitz schlug zur Erde nieder, als ob sie sich einen Durchgang bahnen wollten durch der Erde Mitte auf der Erde andere Seite. Ohne Unterlass brüllte der Donner, zornesvoll heulte der Sturm, geborsten war der Wolken Schoß, Fluten stürzten nieder. (S.73) Weiter steht bei van Gorp im Hinblick auf die Schaffung der Unheimlichkeit die Raumschaffung im Mittelpunkt. Spielt diese in den beiden Erzählungen eine Rolle? In Gotthelfs Erzählung ist von einem Schloss die Rede, wo die Menschen es „schlimmer gehabt haben“ (S.27) sollen „als die meisten, welche zu andern Schlössern gehörten (S.27). Das Schloss wurde auf einem „wilden, wüsten Hubel“ (S.28) des Bärgehens gebaut, „wo man noch jetzt, wenn es wild Wetter geben will, die Schlossgeister ihre Schätze sonnen sieht“ (S.28). Das Schloss ist also ein Ort, vor dem sich die Bauern fürchten können. Das beste Beispiel bildet natürlich das Haus des Großvaters, das die Binnengeschichte mit der Rahmenerzählung verknüpft. Im zweiten Teil der Binnengeschichte, „fast zweihundert Jahre waren verflossen, seit die Spinne im Loche gefangen saß“ (S.97), schämen sich die Bewohner für dieses Haus, da ihre Nachbaren 80 Muschg: Gotthelf. : die Geheimnisse des Erzählers. S.285 56 „neue Häuser hatten und doch kaum so reich als sie waren“ (S.97-98), aber vor allem wird es ihnen „immer unheimlicher“ (S.98) in diesem Haus. Sie lassen ein neues Haus bauen, doch, von dem Augenblick, wenn das Haus steht, hört man alle drei Tage „ein seltsam Surren […], wie das eine Katze“ (S.99), obwohl keine Katze anzutreffen ist. So wird es allen wiederum „unheimlich“ (S.99). Vor der Erzählung des Großvaters gefällt der Gesellschaft innerhalb der Rahmenerzählung das Haus „ganz ausnehmend wohl“ (S.25). Eine der Frauen „wäre im Himmel“ (S.25), wenn sie solch ein Haus haben würde. Einiges an dem Haus gefällt dieser Frau aber nicht: […] Aber fragen möchte ich doch, nehmt es nicht für ungut, warum da gleich neben dem ersten Fenster der wüste, schwarze Fensterposten (Bystel) ist, der steht dem ganzen Hause übel an. (S.25) Nach der Erzählung des Großvaters und nach der Mitteilung, dass der Spinne „in jenem Loch gefangen [sei], wo sie jetzt noch sitzt“ (S.89), in dem schwarzen Fensterposten, dringt die unheimliche Atmosphäre der Binnengeschichte in die Rahmenerzählung ein, und dieses Mal bleibt sie andauernd unter der Gesellschaft: „Was, dort im schwarzen Holz?“, schrie die Gotte und fuhr eines Satzes vom Boden auf, als ob sie in einem Ameisenhaufen gesessen wäre. An jenem Holze war sie gesessen in der Stube. Und jetzt brannte sie ihr Rücken, sie drehte sich, sie schaute hinter sich, fuhr mit der Hand auf und ab und kam nichts aus der Angst, die schwarze Spinne sitze ihr im Nacken. (S.89) Dieselbe Paranoia, wie die Bauern sie in der Binnengeschichte empfinden, erfüllt den Raum, in dem sich die ganze Gesellschaft befindet. Niemand „wollte das Erste bei der Türe sein“ (S.89), denn sie stehen, ohne dass sie es wissen, am Eingang „eines schauerlichen Ortes“ (S.90). Alle sehen sich um „mit ängstlichen Augen“ (S.90), fürchten, dass die Spinne irgendwo auftauchen wird, obwohl man sie nirgends spüren kann. Der Raum wird den Figuren ganz unheimlich: Nicht um tausend Pfund sitze ich mehr da oben! Es gramselt mir den Rücken auf und nieder, als führe man mir mit Nesseln daran herum. Und säße ich dort vor dem Bystal, so fühlte ich die schreckliche Spinne sonder Unterlass im Nacken. (S.90) Der Fensterposten, die Spinne enthaltend, ist also der Grund, weshalb die Gesellschaft sich so auf einmal fürchtet. Die subtilen Anspielungen Gotthelfs auf die eigentliche Sage über die Spinne werden hier zu Vergleichen. Das Gesicht der Hebamme „brannte hochrot, es war, als ob die Spinne auf demselben herumgekrochen wäre“ (S.89). Die 57 Figur der Lindauerin, eine Frauengestalt, die sich in eine Spinne verwandelt, wird einen Augenblick auf die Person der Hebamme projiziert. Nur der Großvater selbst darf sich vor dem Posten hinsetzen, und nur „wenn böse Gedanken“ (S.91) in ihm aufsteigen, so ist es ihm, „als schnurre es“ (S.91) hinter ihm und führt „etwas“ ihm „den Rücken auf seltsam und absonderlich“ (S.91). Nur der Glaube an Gott hält die Spinne in diesen Posten und nichts Anderes. Im zweiten Teil der Binnengeschichte wird das Haus von allen „mit Ehrfurcht“ (S.93) betrachtet. Es gibt an, dass die Kraft Gottes größer ist als die des Teufels. Zugleich „schauderte“ (S.93) es den Leuten, wenn sie sich das Haus ansehen, sodass hier Ehrfurcht und Furcht zusammengehen. In der Binnengeschichte verlieren die Bauern, wie die Gotte in der Rahmenerzählung, die Kontrolle über ihre eigene Lage, und eine fremde, „unheimliche Macht“ (S.66) übernimmt diese. Nach dem Auftrag des Ritters von Stoffeln versuchen die Bauern, zuerst selbst diese Buchen nach dem Bärhegen zu transportieren, empfinden jedoch einige Schwierigkeiten, die auf die Arbeit des Grünen, des Teufels, verweisen: Es war, als ob ein eigener Unstern Macht hätte über sie. Ein Missgeschick nach dem andern traf sie: Die Geschirre zerrissen, die Wagen brachen, Pferde und Ochsen fielen oder weigerten den Gehorsam. Noch ärger ging es am zweiten Tage. Neue Not brachte immerfort neue Mühe, unter rastloser Arbeit keuchten die Armen, und keine Buche war noch oben, keine vierte Buche über Sumiswald hinausgeschafft. (S.38) Die fremde Macht bildet den Unterschied zu der Lage der Gotte. Sie verliert die Kontrolle aber wird wieder sich selbst, während bei den Bauern alles unübersichtlich bleibt. Der Raum, wo sie sich befinden, wird laut von der Thüsen zu einem Labyrinth, dessen Karte sie nicht in ihrem Besitz haben. Erst wenn Christine den Kuss des Grünen bekommen hat und die Menschen in Sumiswald sich bereit zeigen, auf seinen Wunsch einzugehen, ihn eigentlich zu betrügen versuchen, verläuft alles wieder wie geplant. Die Äxte sind immer noch „so scharf als sonst“ (S.49), der Boden ist wieder locker und „jede Buche fiel gerade, wie man sie haben wollte“ (S.49). Es ist den Bauern, als ob eine „unsichtbare Hand“ (S.49) das alles ermöglicht. Die Ohnmacht trifft vor allem Christine, die wegen des Teufelspakts keine Kontrolle mehr über den eigenen Leib, über sich selbst hat. Der Grüne „ließ ihr keine Ruhe mehr; wen er einmal hat, dem macht er es so“ (S.62). Er hat sie also völlig in seiner Macht: 58 Je mehr die Leute flohen, desto mehr trieb es Christine nach ihnen, sie fuhr von Haus zu Haus; sie fühlte wohl, der Teufel mahne sie an das verheißene Kind; und um das Opfer den Leuten einzureden mit unumwundenen Worten, fuhr sie ihnen nach in Höllenangst. (S.59) Auch wenn die Leute, nachdem das zweite Kind aus den Händen des Teufels gerettet worden ist, denken, diesen besiegt zu haben, sogar von „des Grünen Ohnmacht“ (S.61) sprechen, befinden sie sich immer noch in einer Lage, wo sie ohnmächtig sind. Das Einzige, was das Böse in der Geschichte Gotthelfs halten kann, ist die Selbstaufopferung eines Menschen mithilfe von Gottes Kraft. Dann ist es die Aufgabe der Anderen, ihren Glauben an Gott nicht zu verlieren, sodass die Spinne immer in dem Pfosten gefangen bleibt. Man kann also feststellen, dass es Gotthelf in seiner Erzählung gelingt, die unheimliche Atmosphäre den Figuren gegenüber hervorzurufen: Die Menschen sahen die geheimnisvollen Mahner wohl, aber sie saßen da so heimelig, und jedem klopfte es unheimlich unterem Brusttuch, wenn er ans Heimgehn dachte; und wenn es schon keiner sagte, so wollte doch keiner der Erste sein. (S.116) Die Paranoia ist so groß, dass sogar der Gedanke an das Heimgehen – und damit an eine mögliche Begegnung mit der Spinne – ihnen unheimlich vorkommt. Auch bei Hauff geht das Unheimliche aus dem Aberglauben, aus einer Sage, nach der die Waldgeister „im Schwarzwalde hausen“ (S.4), hervor. Die Sage handelt von der Geschichte des sechzehnjährigen Kohlenbrenners, Peter Munck. Die Geschichte wird nicht von einer ausführlichen Rahmenerzählung wie in Die schwarze Spinne – es gibt keinen Großvater zum Erzählen, wie auch keine Zuhörer – umschlossen, sodass der Leser sich direkt von dem unbekannten, auktorialen Erzähler angesprochen fühlen kann. In der Sage wird schnell klar, dass Raum und Raumschaffung wie in Gotthelfs Sage für die Schaffung der unheimlichen Atmosphäre von Bedeutung sind. Der Tannenbühl, wo sich das Glasmännchen befindet, liegt auf dem höchsten Punkt des Schwarzwaldes, und „auf zwei Stunden im Umkreis stand damals kein Dorf, ja nicht einmal eine Hütte“ (S.9). Die Menschen sind der Meinung, dass es dort „unsicher“ (S.9) ist. Es ist das erste Mal, an dem es dem Protagonisten, dieses Ortes halber, in der Erzählung unheimlich wird: Daher kam es, dass im Tannenbühl die Bäume so dicht und so hoch standen, dass es am hellen Tag beinahe Nacht war, und Peter-Munck wurde es ganz schaurig 59 dort zumut; denn er hörte keine Stimme, keinen Tritt als den seinigen, kein Axt; selbst die Vögel schienen diese dichte Tannennacht zu vermeiden. (S.9) Ziehende Vögel wie auch ziehende Wolken können innerhalb des Bereiches der Literatur die Richtung der Sehnsucht angeben. Dass sich keine Vögel in diesem Tannenbühl zeigen lassen, ist keine gute Aussicht. Die Begegnung mit dem Eichhörnchen hat sowohl etwas Lustiges als auch etwas Schauderhaftes an sich, gibt Peter jedoch den Eindruck, dass etwas los ist. Peter ist seinem Haus entflohen, hat sich nach dem Wald begeben, wo deutlich „nicht mit rechten Dingen“ (S.11) umgegangen wird. „Mit schnelleren Schritten“ (S.11) kehrt er zurück, während der Wald ihm „immer schwärzer“ (S.11) zu werden scheint und die Bäume „immer dichter“ (S.11) nebeneinander geraten. Es wird ihm alles dunkel und unübersichtlich, er verliert seine Orientierung. Er befindet sich in genau derselben Lage wie die Bauern, es sei denn nur in diesem bestimmten Augenblick, und nicht die ganze Erzählung hindurch. Die Passage in dem Wald ist zugleich ein gutes Beispiel für das dynamische Verhalten zwischen Raum und Figur: Peter versucht dem unheimlichen Platz so schnell wie möglich zu entfliehen. Später, wenn Peter das zweite Mal den kleinen Waldgeist treffen möchte, wird der Pfad „steiler“ (S.21), die Gegend um ihn „wilder“ (S.21), und so kommt er letztendlich wieder „an der ungeheuren Tanne“ (S.21). „Aus Angst“ (S.11), wegen der Begegnung mit dem Eichhörnchen, wählt Peter den falschen Weg und so kommt er auf die andere Seite des Waldes, bei den Flözern, an. Die unheimliche Atmosphäre, die in dem kurzen Märchen Hauffs geschaffen wird, wird durch die Sage von dem Holländer-Michel nur noch verstärkt. Peter ist gerade bei diesen Flözern angekommen, wenn er die Sage des Waldgeistes hört. Merkwürdigerweise stürmt es in diesem Moment draußen: Draußen im Wald heulte der Sturm und raste in den Tannen, man hörte da und dort sehr heftige Schläge, und es schien oft, als ob ganze Bäume abgeknickt würden und zusammenkrachten. (S.13) Auch im Falle von Hauffs Erzählung machen und unterstützen die Wetterverhältnisse die Atmosphäre. Der Sturm „hatte sich während der Erzählung des Alten gelegt“ (S.16), die Figur des Michels folgt Peter jedoch bis in seinen Träumen. Auch später in der Geschichte ist das Spiel mit dem Wetter auf einer metaphorischen Ebene anzutreffen: „[…] rief er mit einer Stimme, die wie der Donner rollte“ (S.44). Wenn Peter, nachdem er das Glasmännlein letztendlich getroffen hat, wieder nach Hause und nach seiner 60 Mutter zurückkehrt, verschwindet die unheimliche Atmosphäre einen Augenblick in den Hintergrund. Wie in Die schwarze Spinne die Bauern selbst Schuld am Bösen sind, so wird Peter, wegen seines Dranges nach Geld, für seinen eigenen Untergang verantwortlich sein. Das führt, im Gegensatz zu der Erzählung Hauffs, nicht zu einem unmittelbaren Ausbruch des Bösen. Die Menschen im Schwarzwald unterliegen keiner Paranoia wie die Bauern in der Spinnengeschichte. Der Holländer-Michel ist wohl derjenige, der als Erster bei Peter auftaucht, wenn dieser alles Geld verloren hat. Das Böse in der Gestalt des Michels sucht selbst sein Opfer auf. Wenn den Protagonisten „ein Grauen“ (S.31) ankommt, sind es aufs Neue die Wetterverhältnisse, die diese Tatsache ermöglichen: „Kein Stern schien am Himmel, als Peter trübselig seiner Wohnung zuschlich, aber dennoch konnte er eine dunkle Gestalt erkennen“ (S.31). Das Setting ist ideal, um diese Gestalt, den Holländer-Michel, im Dunklen der Nacht aufzugehen zu lassen, und den Peter Angst zu machen. Es ist das Startzeichen mehrerer schauriger Momente für den Kohlenbrenner. Darüber hinaus ist in Hauffs Märchen ebenso wie in Die schwarze Spinne die Rede von „einer unsichtbaren Hand“ (S.32). Beide Waldgeister versuchen den Knaben an sich zu ziehen und, obwohl der Kleinste gute Absichten hat, flößt er dem jungen Peter jedoch ebenso viel Angst ein. Mit Rücksicht auf das Motiv des Abgrunds ist festzustellen, dass Peter eine unheimliche Erfahrung erlebt. Zusammen mit dem Holländer-Michel geht er „einen steilen Waldsteig“ (S.32) hinüber und kommt darauf vor „einer dunkeln, tiefen, abschüssigen Schlucht“ (S.32) zu stehen: Setzt dich nur auf meine Hand und halte dich an den Fingern, so wirst du nicht fallen. Peter tat zitternd, wie jener befohlen, nahm Platz auf der Hand, und hielt sich am Daumen des Riesen. (S.33) Obwohl es „weit und tief“ (S.33) hinabgeht, wird es dagegen nicht „dunkler“ (S.33) und scheint ihm das Licht in der Schlucht sogar zuzunehmen, worauf er letztendlich an der Stube Michels ankommt, die sich „durch nichts von den Stuben anderer Leute“ (S.33) unterscheiden lässt, jedoch „einsam“ (S.33) scheint. Das Haus des Holländer-Michels ist der Platz, wo, der „Teufelspakt” stattfinden wird. Das Haus hält keine Spinne in einem Fensterpfosten gefangen, enthält doch Einiges, vor dem der Protagonist der Erzählung Angst bekommen kann. Wenn Peter den Raum mit allen diesen Herzen hineintritt, erfährt er das zuerst als „sonderbar und überraschend“ (S.34). Es wird ihm trotzdem schnell unangenehm, wenn er erfährt, dass die Leute, deren Herzen dem 61 Michel gehören, dafür ein steinernes Herz tragen. Im weiteren Verlauf der Geschichte ist es der herzlose Peter selbst, die den anderen Figuren absonderlich vorkommt. Was das Ende angeht, ist Das kalte Herz ein echtes Märchen, denn alle leben fort, es sei denn hier jedoch „still und unverdrossen“ (S.53). Vor dem Ende der Erzählung gibt es doch noch eine abschließende Szene, in der es Peter Munck „ganz unheimlich“ (S.50) wird. Wenn Peter seinerseits den Holländer-Michel betrogen hat, versucht dieser natürlich sich zu rächen und den Peter zu fassen: Als er oben war, lief er dem Tannenbühl zu; ein schreckliches Wetter zog auf, Blitze fielen links und rechts an ihm nieder, und zerschmetterten die Bäume, aber er kam wohlbehalten in dem Revier des Glasmännleins an. (S.50-51) Er sieht nachher „mit Entsetzen“ (S.51) auf das Gewitter, „das hinter ihm rechts und links den schönen Wald zersplitterte“ (S.51), zurück. Es ist aus mit den unheimlichen Erfahrungen und wiederum Zeit für das Wunderbare. Ihm wird von dem Glasmännlein und seiner Mutter verziehen, und seine Frau, Lisbeth, steht lebendig vor ihm. Es ist der Gattin Peters am Ende der Erzählung viel „heimischer“ (S.53), was uns aufs Neue auf die Definition von Freud zurückführt: das Wort „unheimlich“ als Gegensatz zu den Worten „heimlich“, „heimisch“ und „vertraut“. Lisbeth fühlt sich, wie die anderen Figuren, wieder zu Hause, befindet sich in einer ihr vertrauten Welt. Jetzt sollen sie jede Begegnung mit dem Bösen vermeiden und „zufrieden sein mit wenigem“ (S.53). Wir können feststellen, dass in beiden Werken eine unheimliche Atmosphäre geschaffen wird, die in Die schwarze Spinne bis zum Ende behalten bleibt, indessen in Das kalte Herz das Unheimliche am Ende der Erzählung wiederum Platz macht für das Wunderbare. Auch hier kann die Angst der Figuren, die unheimliche Stimmung direkt auf die Leser übergehen. 5. Schlussfolgerung Ich hoffe, anhand meiner Untersuchung in dieser Masterarbeit, Klärung in Bezug auf den Begriff „unheimlich“ geschaffen zu haben, und dargelegt zu haben, welche Merkmale eine Erzählung aufweisen soll, damit sie als „unheimlich“ charakterisiert werden kann. Ich hoffe ebenfalls bewiesen zu haben, dass sich tatsächlich mehrere unheimliche Phänomene in Gotthelfs Die schwarze Spinne und in Hauffs Das kalte 62 Herz unterscheiden lassen. Wo ich von Unheimlichkeit innerhalb der Sage Die schwarze Spinne von Gotthelf ausgegangen bin, habe ich im Hinblick auf das Phänomen des „Unheimlichen“ ähnliche Merkmale bei Hauff festgestellt. Beide Werke handeln von dem aus Urzeiten zurückgreifenden Bösen, berichten von dem HeimlichHeimischen, so wie Freud das Wort ‚unheimlich‘ in seinem Aufsatz „Das Unheimliche“ benannt hat. Ich habe als Ausgangspunkt für meine Untersuchung die Unschlüssigkeit der Figuren, die laut Todorov, nach der Unschlüssigkeit der Leser, als Bedingung für das Fantastische gelten kann, gewählt. Die Argumentation, von dem Zweifel der Leser auszugehen, scheint mir unlogisch und darüber hinaus unpraktisch, da sich die Unschlüssigkeit der Leser nicht einfach untersuchen lässt. Ich bin der Ansicht, dass aufgrund der verschiedenen Ängste der Figuren von „Unheimlichkeit“ in den Erzählungen gesprochen werden kann. Die Angst der Figuren kann außerdem auf die Leser übergehen und das „Unheimliche“ bei ihnen hervorrufen. Die Unschlüssigkeit ist bei den Figuren in Gotthelfs Erzählung deutlich festzustellen, während das nicht so sehr der Fall bei Hauff ist. Das Märchen kann meiner Meinung nach jedoch dem Bereich des Fantastischen – zwischen dem Bereich des Wunderbaren und dem des Unheimlichen zu situieren – zugeordnet werden, da Hauff sich für Das kalte Herz nicht völlig für eine animistische Welt entschieden hat. Ich habe anhand des Teufelpakts gezeigt, dass sowohl das Wunderbare als auch das Unheimliche in seinem Werk vertreten sind. Das Märchen Hauffs zeigt daneben einen Zug zur Realität, sodass es an mehreren Stellen der Gattung der Sage ähnelt. Schon am Anfang, die Erzählung fängt mit der sagenhaften Formel „es soll einmal“ an, kann man feststellen, dass Das kalte Herz nicht einfach als ein typisches Märchen gekennzeichnet werden kann. Der Zug zur Realität kreiert in Hauffs Erzählung, wie bei Gotthelf, eine glaubwürdige Lage, wo nur die beiden Waldgeister, der Holländer-Michel und das Glasmännlein, als übernatürlich beobachtet werden können. Bei Gotthelf repräsentiert die Spinne das einzige übernatürliche Element in der Geschichte. Was die Theorie von Vax anbelangt, erleben die Figuren in den beiden Erzählungen mehrere unheimliche Erfahrungen, die den ambivalenten (Abneigung und Anziehung) Charakter des Fantastischen hervorheben. Weitere unheimliche Phänomene, die bei Gotthelf und Hauff unterschieden werden können, sind „die Angst vor dem Tod“ und „Menschen mit bösen Absichten“. 63 Verschiedenen Figuren steht man in den Erzählungen misstrauisch gegenüber, da sie böse Absichten haben und den Anderen in diesem Sinne „unheimlich“ vorkommen. Die Angst, die die anderen Figuren in der Erzählung vor ihnen empfinden, bildet ein Beispiel für ein unheimliches Gefühl, das auf die Leser übergehen kann. Mit Rücksicht auf die Angst vor dem Tod können wir schließen, dass diese Angst bei den Figuren deutlich anzutreffen ist. Sowohl bei Gotthelf als auch bei Hauff wird über den Tod und das Leben nach dem Tod nachgedacht. In beiden Werken wird, auf einer metaphorischen Ebene, von einer „Totenglocke“ gesprochen. Auch in Bezug auf die Schaffung der typischen ängstigen Atmosphäre, der „Unheimlichkeit“, verwenden die Schriftsteller dasselbe Vokabular. Sowohl in Gotthelfs als auch in Hauffs Erzählung wird anhand von einer „unsichtbaren Hand“ auf eine fremde, unheimliche Macht gedeutet. Der Protagonist verliert den Griff auf die Dinge in seiner Gegend und überlässt dieser unheimlichen Macht die Kontrolle. Das Spiel mit Raumschaffung und Zeit verleiht den beiden Erzählungen eine unheimliche Atmosphäre und gibt ihnen sogar den Anschein einer Schauergeschichte. Ich darf in dieser Arbeit also behaupten, dass das „Unheimliche“ in Gotthelfs Die schwarze Spinne und Hauffs Das kalte Herz stark repräsentiert ist. 64 6. Bibliografie Hauff, Wilhelm: Das kalte Herz und andere Märchen. Stuttgart: Philipp Reclam jun., 2005. Gotthelf, Jeremias: Die schwarze Spinne. Stuttgart: Phillip Reclam jun., 2005. Daxelmüller, Christoph: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Berlin: De Gruyter 1987. 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