Schleicher - Quality and Usability Lab
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Emotionen, kontinuierliche Selbstbewertung und psychophysiologische inklusive okulomotorische Veränderungen Inauguraldissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln nach der Promotionsordnung vom 12.7.2007 vorgelegt von Robert Schleicher, geboren in Düsseldorf am 19.12.1974 Juli 2008 Abgabeversion In überarbeiteter Version als Buch erschienen: Schleicher, R. (2009). Emotionen & Peripherpherphysiologie. Lengerich: Pabst Science Publishers. ISBN 978-3-89967-562-7 Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung ....................................................................................................................8 Einleitung ...................................................................................................................................8 Theorie ........................................................................................................................................10 1 Generelle Merkmale von Emotionen .................................................................................11 1.1 Funktion von Emotionen.................................................................................................12 1.2 Abgrenzung von verwandten Konstrukten .....................................................................12 1.2.1.1 Reflex.......................................................................................................................12 1.2.1.2 Affekt........................................................................................................................12 1.2.1.3 Motivation und Motive ..............................................................................................13 1.2.1.4 Stimmung.................................................................................................................13 1.3 Evolutionstheoretische Begründung ..............................................................................14 1.3.1 Annahmen der Evolutionstheorie................................................................................14 1.3.2 Annahmen der Evolutionspsychologie........................................................................15 1.3.3 Bezug zur Emotionspsychologie.................................................................................15 1.3.3.1 1.4 Einschränkung .........................................................................................................16 Zentrale Unterschiede der einzelnen Theorien ..............................................................17 1.4.1 Welche Rolle spielen die körperlichen Veränderungen für eine Emotion?.................17 1.4.2 Was ist mit der subjektiven Empfindung, dem Gefühl? ..............................................18 1.4.3 Welche Bedeutung haben Kognitionen für eine Emotion? .........................................18 1.4.4 Wie lassen sich Emotionen klassifizieren? .................................................................19 1.4.4.1 Zweidimensionales Modell von Valenz und Arousal ...............................................19 1.4.4.2 Gibt es Basisemotionen?.........................................................................................20 2 Neurowissenschaftliche Emotionstheorien........................................................................21 2.1 Rolls................................................................................................................................21 2.1.1 Definition von Emotionen ............................................................................................22 2.1.2 Funktion von Emotionen .............................................................................................23 2.1.3 Neuroanatomische Grundlagen ..................................................................................24 2.1.4 Welche Bedeutung haben Kognitionen und subjektives Erleben für eine Emotion?..25 2.1.5 Welche Rolle spielen die körperlichen Veränderungen? ............................................27 2.1.6 Wie lassen sich Emotionen klassifizieren? .................................................................27 2.1.7 Fazit.............................................................................................................................28 2.2 Panksepp........................................................................................................................29 2.2.1 Definition von Emotionen ............................................................................................29 2.2.2 Funktion von Emotionen .............................................................................................30 2.2.3 Panksepps Basisemotions-Systeme...........................................................................31 2.2.4 Welche Bedeutung haben Kognitionen und subjektives Erleben für eine Emotion?..34 2.2.5 Klassifikation von Emotionen und die Bedeutung körperlicher Veränderungen.........35 2 INHALTSVERZEICHNIS 2.2.6 2.3 Fazit.............................................................................................................................35 Damasio .........................................................................................................................37 2.3.1 Definition von Emotionen ............................................................................................37 2.3.2 Funktion von Emotionen .............................................................................................37 2.3.3 Neuroanatomische Grundlagen ..................................................................................38 2.3.3.1 Auslösung von Primäremotionen.............................................................................38 2.3.3.2 Auslösung von Sekundäremotionen ........................................................................38 2.3.4 Welche Rolle spielen die körperlichen Veränderungen? ............................................39 2.3.5 Was ist mit der subjektiven Empfindung, dem Gefühl? ..............................................40 2.3.6 Welche Bedeutung haben Kognitionen für eine Emotion? .........................................40 2.3.7 Wie lassen sich Emotionen klassifizieren? .................................................................40 2.3.8 Fazit.............................................................................................................................41 2.4 3 Diskussion ......................................................................................................................41 Psychologische Emotionstheorien.....................................................................................44 3.1 Generelle Merkmale von Appraisal-Theorien.................................................................44 3.1.1 3.2 Der Ansatz von Oatley & Johnson-Laird.....................................................................44 Lazarus...........................................................................................................................45 3.2.1 Definition und Funktion von Emotionen ......................................................................48 3.2.2 Welche Rolle spielen die körperlichen Veränderungen? ............................................48 3.2.3 Welche Bedeutung haben Kognitionen und subjektives Erleben für eine Emotion?..49 3.2.4 Wie lassen sich Emotionen klassifizieren? .................................................................49 3.2.5 Fazit.............................................................................................................................50 3.3 Scherer ...........................................................................................................................51 3.3.1 Definition von Emotionen ............................................................................................51 3.3.1.1 Der Bewertungsprozess ..........................................................................................52 3.3.2 Welche Bedeutung haben Kognitionen und subjektives Erleben für eine Emotion?..54 3.3.3 Welche Rolle spielen die körperlichen Veränderungen? ............................................55 3.3.3.1 Neuroanatomische Grundlagen...............................................................................56 3.3.4 Wie lassen sich Emotionen klassifizieren? .................................................................56 3.3.5 Fazit.............................................................................................................................57 3.4 Peripherpsychologisch orientierte Ansätze ....................................................................58 3.4.1 3.4.1.1 3.4.2 Ekman .........................................................................................................................59 Wie lassen sich Emotionen klassifizieren?..............................................................59 Russell.........................................................................................................................60 3.4.2.1 Wie lassen sich Emotionen klassifizieren?..............................................................61 3.4.2.2 Welche Rolle spielen die körperlichen Veränderungen?.........................................62 3.4.3 Bradley & Lang............................................................................................................62 3.4.3.1 Definition und Funktion von Emotionen...................................................................63 3.4.3.2 Klassifikation von Emotionen und die Bedeutung körperlicher Veränderungen .....63 3.4.3.3 Neuroanatomische Grundlagen...............................................................................66 3 INHALTSVERZEICHNIS 3.4.4 3.5 4 Diskussion peripherphysiologisch orientierte Ansätze................................................68 Diskussion Emotionstheorien .........................................................................................69 Emotionen und peripherphysiologische Maße ..................................................................72 4.1 Hautleitfähigkeit..............................................................................................................72 4.1.1 Funktion ......................................................................................................................72 4.1.2 Kennwerte und ihr Bezug zu Emotionen.....................................................................73 4.1.3 Neuroanatomische Grundlagen ..................................................................................73 4.1.3.1 4.1.4 4.2 Bezug zu Emotionssystemen ..................................................................................73 Zusammenfassung......................................................................................................74 Gesichtsmuskelaktivität..................................................................................................75 4.2.1 Kennwerte und ihr Bezug zu Emotionen.....................................................................75 4.2.2 Neuroanatomische Grundlagen ..................................................................................76 4.2.3 Zusammenfassung......................................................................................................77 4.3 Herzaktivität....................................................................................................................78 4.3.1 Kennwerte und ihr Bezug zu Emotionen.....................................................................78 4.3.1.1 Herzrate und Emotionen..........................................................................................78 4.3.1.2 Respiratorische Sinusarrhythmie.............................................................................80 4.3.2 Neuroanatomische Grundlagen ..................................................................................81 4.3.2.1 Die Polyvagale Theorie von Porges ........................................................................81 4.3.2.2 Bezug zu Emotionssystemen ..................................................................................82 4.3.3 4.4 Zusammenfassung......................................................................................................84 Fazit................................................................................................................................84 4.4.1 5 Bildgebende Verfahren und peripherphysiologische Emotionsindikatoren ................85 Augenbewegungen............................................................................................................87 5.1 Blickbewegungen ...........................................................................................................87 5.1.1 Sakkaden ....................................................................................................................88 5.1.1.1 Neuroanatomische Grundlagen...............................................................................88 5.1.1.2 Kennwerte................................................................................................................91 5.2 Lidbewegungen ..............................................................................................................93 5.2.1.1 Neuroanatomische Grundlagen...............................................................................93 5.2.1.2 Kennwerte................................................................................................................94 5.3 Messmethodik ................................................................................................................95 5.3.1 Search Coil..................................................................................................................95 5.3.2 Reflektionsbasierte Verfahren.....................................................................................96 5.3.3 Elektrookulographie ....................................................................................................96 5.4 Bezug zu Emotionssystemen .........................................................................................97 5.4.1 Frontalcortex & Sakkaden...........................................................................................97 5.4.2 Amygdala & Sakkaden................................................................................................98 5.4.2.1 5.4.3 Gesichterbetrachten.................................................................................................98 Cinguläre Cortex & Sakkaden.....................................................................................99 4 INHALTSVERZEICHNIS 5.5 Zusammenfassung.......................................................................................................100 Empirie ......................................................................................................................................102 6 Fragestellung ...................................................................................................................102 6.1 Subjektive Bewertung...................................................................................................102 6.1.1 Kontinuierliche subjektive Bewertung während emotionaler Episoden ....................102 6.1.1.1 EMuJoy ..................................................................................................................103 6.1.2 Filme zur Emotionsinduktion .....................................................................................104 6.1.3 Zweidimensionale subjektive Bewertung – subjektiv erlebte Basisemotionen .........105 6.2 Physiologie ...................................................................................................................105 6.2.1 6.3 7 Entsprechung in Augenbewegungskennwerten .......................................................106 Zusammenfassung Fragestellung................................................................................106 Versuch............................................................................................................................106 7.1 Versuchsteilnehmer......................................................................................................106 7.2 Versuchsaufbau ...........................................................................................................107 7.3 Versuchsablauf.............................................................................................................107 7.3.1 Stimulusmaterial & Reizpräsentation ........................................................................108 7.3.1.1 Trainingsphase I: IAPS-Bilder................................................................................108 7.3.1.2 Trainingsphase II: Musikstücke .............................................................................109 7.3.1.3 Hauptversuch: Filmreize ........................................................................................110 7.3.2 7.4 Versuchsende ...........................................................................................................111 Datenerfassung ............................................................................................................111 7.4.1 Subjektive Bewertungen ...........................................................................................111 7.4.2 Physiologische Parameter ........................................................................................111 7.4.2.1 Hautleitfähigkeit (EDA) ..........................................................................................111 7.4.2.2 Gesichtsmuskelaktivität (EMG)..............................................................................112 7.4.2.3 Herzaktivität (EKG) ................................................................................................112 7.4.2.4 Augenbewegungen (EOG) ....................................................................................112 8 Datenaufbereitung ...........................................................................................................113 8.1 Subjektive Daten ..........................................................................................................113 8.1.1 8.1.1.1 8.1.2 Eingangsfragebogen .................................................................................................114 Befindlichkeitsfragebogen MDBF ..........................................................................115 Nachfragebögen........................................................................................................115 8.1.2.1 Persönlichkeitsfragebogen NEO-FFI .....................................................................116 8.1.2.2 Alexithymiefragebogen TAS-26 .............................................................................116 8.1.3 Emotionsbenennung im Anschluss an Filmclip ........................................................117 8.1.4 Kontinuierliche Selbstbewertung während des Filmclips (EMuJoy) .........................119 8.1.4.1 EMuJoy-Bewertung in Abhängigkeit von Emotionsbenennung im Anschluss ......120 8.1.4.2 EMuJoy-Gesamtmittelwerte gegenüber EMuJoy-Endwerten................................121 8.1.4.3 Individuelle Abweichungen bei der EmuJoy-Bewertung oder Emotionsnennung .122 8.1.5 Zusammenfassung....................................................................................................124 5 INHALTSVERZEICHNIS 8.2 Physiologie ...................................................................................................................126 8.2.1 Hautleitfähigkeit.........................................................................................................128 8.2.2 Gesichtsmuskelaktivität.............................................................................................129 8.2.3 Herzaktivität ..............................................................................................................129 8.3 9 Augenbewegungen ......................................................................................................131 Ergebnisse.......................................................................................................................133 9.1 Kontinuierliche Emotionsbewertung mittels EMuJoy ...................................................134 9.1.1 Unterscheidung der Basisemotionen im zweidimensionalen Raum.........................137 9.1.2 Zusammenfassung....................................................................................................138 9.2 Physiologie ...................................................................................................................138 9.2.1 Hautleitfähigkeit.........................................................................................................139 9.2.2 Gesichtsmuskelaktivität.............................................................................................142 9.2.3 Herzaktivität ..............................................................................................................144 9.3 Augenbewegungen ......................................................................................................148 9.3.1 Sakkaden ..................................................................................................................149 9.3.2 Lidschläge .................................................................................................................152 9.3.3 Selbstbewertung und Physiologie inklusive Augenbewegungskennwerte ...............155 9.4 Auswertung über die Zeit .............................................................................................157 9.4.1 Datenaufbereitung & -auswertung ............................................................................158 9.4.2 EMuJoy .....................................................................................................................161 9.4.3 Hautleitfähigkeit.........................................................................................................163 9.4.4 Gesichtsmuskelaktivität.............................................................................................164 9.4.5 Herzaktivität ..............................................................................................................165 9.4.6 Sakkaden ..................................................................................................................166 9.4.7 Lidschläge .................................................................................................................168 9.4.8 Korrelation aller Parameter .......................................................................................169 9.5 Zusammenfassung.......................................................................................................172 Diskussion .................................................................................................................................174 10 Diskussion der Ergebnisse ..............................................................................................174 10.1 Filmclips, EMuJoy und subjektive Bewertungen ..........................................................174 10.1.1 Filme zur Emotionsinduktion .....................................................................................174 10.1.2 Einsatz von EMuJoy zur kontinuierlichen Filmbewertung.........................................175 10.1.3 Ergebnis der subjektiven Bewertungen ....................................................................176 10.2 Physiologische Veränderungen ...................................................................................177 10.2.1 Hautleitfähigkeit.........................................................................................................177 10.2.2 Gesichtsmuskelaktivität.............................................................................................179 10.2.3 Herzaktivität ..............................................................................................................179 10.3 Unterschiede zwischen einzelnen Emotionen..............................................................181 10.4 Physiologie und Selbstbewertung während des Schauens .........................................182 10.5 Augenbewegungskennwerte ........................................................................................184 6 INHALTSVERZEICHNIS 11 Allgemeine Diskussion ....................................................................................................185 12 Ausblick ...........................................................................................................................190 12.1 Emotionen in der Mensch-Computer-Interaktion .........................................................191 Literaturverzeichnis ...................................................................................................................196 Danksagung ..............................................................................................................................211 Anhang ......................................................................................................................................212 13 Versuchsunterlagen.........................................................................................................212 13.1 Eingangsfragebogen ....................................................................................................212 13.2 Instruktion .....................................................................................................................213 14 Graphiken 10-Sekunden-Fenster: Zielemotion x Geschlecht .........................................215 14.1 EMuJoy-Werte..............................................................................................................215 14.2 Hautleitfähigkeitsniveau EDL (%Baseline-Werte) ........................................................216 14.3 Gesichtsmuskelaktivität (%Baseline-Werte) ................................................................216 14.3.1 corrugator supercilii...................................................................................................216 14.3.2 orbicularis oculi .........................................................................................................217 14.3.3 zygomaticus major ....................................................................................................217 14.4 Herzaktivität (%Baseline-Werte) ..................................................................................218 14.4.1 Herzrate (HR)............................................................................................................218 14.4.2 Inter-Beat-Intervall (IBI).............................................................................................218 14.4.3 Streuung der IBIs (SDNN) ........................................................................................219 14.4.4 Mittlere absolute Differenz sukzessiver IBIs (MSD)..................................................219 14.5 Sakkaden (%Baseline-Aktivität) ...................................................................................220 14.5.1 Intervall......................................................................................................................220 14.5.2 Standardisierte Dauer (stdduration)..........................................................................220 14.5.3 Standardisierte Maximalgeschwindigkeit (stdmaxspeed) .........................................221 14.5.4 Standardiserte (Durchschnitts)Geschwindigkeit (stdspeed) .....................................221 14.6 Lidschläge (%Baseline-Aktivität) ..................................................................................222 14.6.1 Intervall......................................................................................................................222 14.6.2 Standardisierte Gesamtdauer (stdtotaldur)...............................................................222 14.6.3 Standardisierte maximale Schließgeschwindigkeit (stdclmaxspeed) .......................223 14.6.4 Standardisierte durchschnittliche Schließgeschwindigkeit (stdclspeed)...................223 15 Korrelationstabellen.........................................................................................................224 15.1 Auswertung 1 Wert pro VP pro Emotion ......................................................................224 15.2 Auswertung 10-Sekunden-Zeitfenster..........................................................................226 15.3 Auswertung 1 Wert pro VP pro Emotion, EMG herauspartialisiert ..............................227 15.4 Auswertung 10-Sekunden-Zeitfenster, EMG herauspartialisiert..................................228 7 ZUSAMMENFASSUNG Zusammenfassung Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Zusammenspiel von subjektiver Bewertung und physiologischen Veränderungen während des Erlebens von Emotionen sowie der Beziehung von Basisemotionen zu grundlegenden Affektdimensionen. Im ersten Teil wird der aktuelle Wissenstand zum Thema Emotionen, im zweiten Teil eine eigene Studie dargestellt. Dazu wurde ein Verfahren aus der Musikpsychologie zur kontinuierlichen Bewertung von Musikstücken auf den Dimensionen Valenz und Erregung für die Präsentation von Filmclips adaptiert. Die eingesetzten Filmclips induzierten die Basisemotionen Freude, Trauer, Ekel, Wut und Angst. An physiologischen Maßen wurden Hautleitfähigkeit, Gesichtsmuskelaktivität, Herzaktivität sowie Augenbewegungen (Sakkaden und Lidschläge) erfasst. Die Auswertung erfolgte sowohl ohne als auch mit Berücksichtigung des zeitlichen Verlaufs. Auf subjektiver Ebene ließ sich Trauer aufgrund des niedrigeren Erregungsniveaus von Ekel, Wut und Angst, sowie Freude aufgrund der Valenzbewertung von allen negativen Emotionen unterscheiden. Auf physiologischer Ebene ermöglichte die Gesichtsmuskelaktivität eine Unterscheidung von positiven und negativen Emotionen sowie zwischen Ekel und den übrigen negativen Emotionen Trauer, Wut und Angst. Angst zeichnete sich gegenüber Wut durch einen verstärkten Anstieg der Hautleitfähigkeit aus. Augenbewegungen wurden in erster Linie durch den visual load beeinflusst, ähnlich wie die Herzrate bei allen emotionalen Filmreizen gegenüber einer neutralen Bedingung absank. Dabei war ein signifikanter Zusammenhang zwischen Herzratenverlangsamung und Verlängerung des Lidschlagintervalls festzustellen. Im Anschluss an die Diskussion der Ergebnisse und ihr Bezug zu anderen aktuellen Studien in diesem Bereich wird ein Ausblick auf die Anwendung emotionspsychologischer Untersuchungsansätze in der Mensch-Computer-Interaktion gegeben. Einleitung Nachdem in der Psychologie seit den Siebzigern menschliches Verhalten und Erleben überwiegend aus einer kognitiven Perspektive betrachtet und erklärt wurde, setzte in den Neunzigern eine verstärkte Hinwendung zu Emotionen und ihrer Rolle bei psychischen Prozessen ein. Vorreiter waren dabei häufig die erstarkenden Neurowissenschaften, die, unterstützt durch neue Methoden (bildgebende Verfahren, direkte Stimulation bestimmter Hirnregionen), die Bedeutung affektiver und körperregulatorischer Prozesse an scheinbar 'rationalem' Verhalten erkannten. Der populärste Vertreter dürfte vermutlich Antonio R. Damasio sein, der sich schon mit dem Titel seines ersten Buches Descartes' Error (Damasio, 1994) gegen eine rein auf den Verstand abstellende Sicht des Menschen wandte – der Titel bezieht sich auf das Descartes-Zitat 'cogito ergo sum' ('Ich denke, also bin ich'). Damasios Standpunkt wird in Kapitel 2.3 dargestellt. Parallel dazu entwickelte sich mit der Evolutionspsychologie (Cosmides & Tooby, 1987) ein Zweig, der untersuchte, in welchem Ausmaß entwicklungsgeschichtlich bedingte Verhaltensdispositionen auch heute noch wirken. Beide Forschungsrichtungen stützen sich mehr oder weni- 8 EINLEITUNG ger explizit aufeinander: die Neurowissenschaften gewinnen viele ihrer Erkenntnisse an nichtmenschlichen Säugetieren wie Affen oder Ratten, die aufgrund ihrer Ähnlichkeit in der Gehirnorganisation Rückschlüsse auf die Funktionsweise beim Menschen erlauben sollen. Die Evolutionspsychologie wiederum braucht für ihre Grundannahme, dass menschliche Verhaltensorganisation evolutionär bedingt ist, Entsprechungen bei den nächsten Verwandten des Menschen. Beide Disziplin haben zahllose wertvolle Erkenntnisse zum Ausmaß nicht-bewusster verhaltenssteuernder Einflüsse geliefert und konnten Antworten auf viele offenen Fragen der Psychologie liefern, etwa für die als Lazarus-Zajonc-Debatte bekannte Diskussion, ob die kognitive Bewertung einer Situation der Emotion vorausgehe (so Lazarus' Sicht) oder die Emotion sich vor der bewussten Bewertung einstelle (Zajoncs Position, zur Aufklärung s. Kap 1.3.3). Erklärungsansätze, die psychische Phänomene anhand der zugrunde liegenden physiologischen Prozesse und neuronaler Aktivität in bestimmten Gehirnregionen aufschlüsseln, bestechen hier durch ihre Genauigkeit, beschreiben sie doch die Veränderungen direkt am Entstehungsorgan. Allerdings besteht mitunter die Gefahr, dass durch eine vorrangig biologisch orientierte Perspektive das spezifisch Menschliche einer Emotion, das subjektive Erleben, vernachlässigt wird, wenn Neurowissenschaftler wie LeDoux oder Rolls diesen Aspekt als nebensächlich abtun (LeDoux s. Kap. 1.4.2) oder Bewusstsein als nachgeschaltete 'Luxus'funktion des hochentwickelten menschlichen Gehirns beschreiben (Rolls s. Kap. 2.1, insb. Abschnitt 2.1.4). Andere Sichtweisen, sowohl von Seiten der Neurowissenschaft (Panksepp) als auch der eher kognitiv orientierten Psychologie ('appraisal'-Theorien) werden im Theorieteil zu Emotionen ebenfalls dargestellt. Verglichen mit dem rasanten Fortschritt in den Neurowissenschaften haben sich die Methoden zur Emotionsinduktion beim Menschen und die Messinstrumente zur Untersuchung der subjektiven Komponente einer Emotion nicht in gleicher Weise weiter entwickelt. Das wohl nach wie vor am häufigsten eingesetzte Reizmaterial sind die Photographien des International Affective Picture System IAPS (Lang et al., 2005; Lang et al., 1988), das in den Achtzigern entwickelt wurde, als die Möglichkeit, komplexere Reize (z.B. Filme) zu präsentieren, mit ungleich mehr Aufwand verbunden war als heute, wo die Stimuli in digitaler Form vorliegen. Filme scheinen weitaus besser geeignet, spezifische Emotionen wie Wut oder Angst hervorzurufen, als ein statisches Bild, das über eine grundsätzliche Bewertung als 'angenehm' oder 'unangenehm' schnell mehrdeutig wird. So ist bei den IAPS-Bildern von Gewaltszenen (Kategorie '6' der Serie in der 2005er Ausgabe) beispielsweise bisweilen nicht mehr klar, ob sie eher Angst vor dem Angreifer oder Wut auf ihn auslösen. Für den ursprünglichen Anwendungszweck der Bilder (s. Kap. 3.4.3) ist dies weniger wichtig, will man unterschiedliche negative Emotionen voneinander abgrenzen, jedoch schon. Zur eindeutigen Interpretation wäre die Einbettung in eine Vorgeschichte, also eine Entwicklung über die Zeit, wünschenswert. Empfehlungen für validierte Filmclips liegen vor (Gross & Levenson, 1995; Hagemann et al., 1999; Hewig et al., 2005; Philippot, 1993; Rottenberg et al., 2007; Tomarken et al., 1990), werden allerdings weitaus weniger eingesetzt. 9 EINLEITUNG Ähnlich erfolgt die Bewertung des Emotionserlebens auch heute noch zumeist im Anschluss an die Reizpräsentation, etwa durch die Skalen des Self-Assessment-Mannikin (Bradley & Lang, 1994). Die Bewertung während der Reizdarbietung geschieht vergleichsweise selten bzw. wird eher in der Musik- (Nagel et al., 2007) oder Medien- (Kempter & Bente, 2004) als in der Emotionspsychologie forciert . Wie im Empirie-Teil erläutert, wird für den vorliegenden Versuch ein solcher Ansatz aus der Musikpsychologie, EMuJoy (Emotion measurement while listening to Music using a Joystick, Nagel et al., 2007) aufgegriffen und der Einsatz bei der Darbietung von Filmreizen untersucht. Neben der subjektiven Bewertung werden dabei Veränderung in den 'klassischen' peripherphysiologischen Maßen der Emotionspsychologie, Hautleitfähigkeit, Gesichtsmuskelaktivität und Herzschlag erfasst (Pauli & Birbaumer, 2000). Als zusätzliche Variable werden Augenbewegungen (Sakkaden- und spontaner Lidschlag) gemessen, zu deren Veränderungen im Laufe einer emotionalen Episode vergleichsweise wenig Erkenntnisse vorliegen. Im Anschluss an die Darstellung der Ergebnisse (Kap. 9, ab S. 133) werden diese im Diskussionteil besprochen (Kap. 10, ab S.174) sowie die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen über den Versuch hinaus erläutert (Kap. 11, ab S. 185). Zuletzt wird ein Ausblick auf die seit einiger Zeit zunehmende Anwendung der hier eingesetzten Methoden im Forschungsfeld der Mensch-Maschine- bzw. Mensch-Computer-Interaktion gegeben (Kap. 12.1, ab S.191). Theorie Der erste Teil dieser Arbeit befasst sich mit dem Wissenstand zum Thema Emotionen. Bevor einzelne theoretische Ansätze dargestellt werden, erfolgt zunächst eine generelle Beschreibung der Merkmale von Emotionen (Kap. 1), die alle Theorien aufgreifen (etwa den evolutionären Aspekt, Kap. 1.3) sowie eine Begriffsbestimmung. Dabei wird das Augenmerk auf Fragen gelenkt, die zentral zur Erklärung des Phänomens 'Emotionen' sind und in deren Beantwortung sich die einzelnen Emotionstheorien unterscheiden (Kap. 1.4). Daraufhin werden konkrete Emotionstheorien dargestellt, wobei die neurowissenschaftlichen Beschreibungen den Anfang bilden (Kap. 2), da sie zumeist den Anspruch haben, nicht nur menschliches, sondern auch das affektive Verhalten anderer Säugetiere zu erklären. Die psychologisch orientierten Theorien (Kap. 3) fokussieren auf Emotionen beim Menschen und bilden das nächste Kapitel. Sofern sie sich mit körperlichen Veränderungen befassen, sind sie häufig verstärkt auf spezifische Maße (etwa Gesichtsmuskelaktivität bei Ekman, s. Kap. 3.4.1) und Versuchsanordnungen (z.B. Bradley & Lang, Kap. 3.4.3) ausgerichtet. Körperliche Veränderungen werden dabei oftmals in der Körperperipherie (gegenüber dem Gehirn als Zentralnervensystem) erfasst, weshalb sie hier als 'peripherphysiologische Signale' bezeichnet werden, auch wenn der Ursprung dieser Veränderungen ebenfalls das Zentralnervensystem ist. Im Anschluss an die Darstellung der peripherphysiologisch orientierten Ansätze erfolgt eine übergreifende Beschreibung der für diesen Versuch relevanten Biosignale und ihr Bezug zu Emotionen (Kap. 4). Damit wird übergeleitet zu den Augenbewegungen (Kap. 5), die nicht mehr 10 GENERELLE MERKMALE VON EMOTIONEN – 1.1 FUNKTION VON EMOTIONEN unter den Abschnitt 'Emotionen und peripherphysiologische Maße' gefasst sind, da der Kenntnisstand zu Augenbewegungen weitaus umfangreicher ist als beispielsweise zur Hautleitfähigkeit, und der Seh-Sinn als wichtigste menschlichen Sinnesmodalität zahlreichen anderen psycho- und physiologischen Einflüssen über Emotionen hinaus unterliegt. 1 Generelle Merkmale von Emotionen Folgende Merkmale einer Emotion führen alle Emotionstheorien auf, sie unterscheiden sich allerdings darin, welche Bedeutung sie einem Aspekt beimaßen und in wieweit es sich dabei um die Ursache bzw. die Konsequenz einer Emotion handeln soll: • Relevanz des auslösenden Ereignisses: Dem einer Emotion zugrunde liegenden Ereignis wird vom Organismus eine wertende Bedeutung zugeschrieben, die - ganz allgemein gesprochen - angibt, ob es das Wohlbefinden fördert oder verringert. Diesbezüglich neutrale Ereignisse lösen keine Emotionen aus. Wichtig ist dabei, dass die Beurteilung nicht objektiv zutreffen muss, sondern es sich hierbei um eine eventuell unbewusste, vorläufige Einschätzung handelt, die sich im Zuge weiterer Informationsverarbeitung durchaus verändern kann. 'Ereignis' umfasst neben Reizen aus der Umwelt auch körperliche Veränderungen und Kognitionen, z.B. Vorstellungen oder Erinnerungen. Die subjektive 'Wertigkeit' eines Ereignisses als positiv oder negativ für das Wohlbefindenwird den meisten Autoren folgend als Valenz bezeichnet. • Physiologische Veränderungen: mit einer Emotion gehen Veränderungen in der Ausschüttung körpereigener Botenstoffe (Neurotransmitter, Hormone, Neuromodulatoren) einher, die eine Änderung von zahlreichen physiologischen Parametern wie Herzschlag, Hautleitfähigkeit oder Muskelaktivität bewirken können. • Auswirkung auf Verhalten(stendenzen): zentraler Bestandteil einer Emotion ist die Neuausrichtung des Organismus auf die veränderte Situation, was sich in verändertem Verhalten oder Verhaltensintentionen äußern kann. Ob Muskelaktivität, etwa veränderte Körperspannung oder Mimik als physiologische Veränderung oder als Verhalten aufgefasst wird, hängt häufig von der Meßmethode - Videorating des Gesichtsausdrucks oder Aufzeichnung eines Elektromyogramms - und dem jeweiligen Forschungsschwerpunkt ab. Die Funktion veränderter Gesichtsaudrücke im Zuge einer Emotion ist jedoch offensichtlich: • Soziale/kommunikative Komponente: Emotionsäußerungen in Form von Mimik, Gestik und Prosodie sind ein sehr schnelles und effektives Kommunikationsmittel. Ihre Bedeutung wird oft unbewusst und vor dem Verstehen einer gleichzeitigen verbalen Aussage erfasst. Die soziale Komponente bezieht sich jedoch nicht nur auf den Mitteilungsaspekt einer Emotion, sondern scheint zumindest für komplexe menschliche Emotionen wie Scham oder Neid notwendiger Bestandteil ihrer Entstehung zu sein (Lazarus, 1991). 11 GENERELLE MERKMALE VON EMOTIONEN – 1.1 FUNKTION VON EMOTIONEN • Subjektives Empfinden: das bewusste Erleben einer Emotionen, im folgenden als Gefühl bezeichnet, das Voraussetzung für eine Verbalisierung ist und so auch zu Kognitionen über dieses Gefühl führen kann: "Ich bin enttäuscht, weil…". Auf Unterschiede in der Berücksichtigung dieser Bestandteile einer Emotion durch die verschiedenen theoretischen Ansätze wird in Abschnitt 1.4 gesondert eingegangen. 1.1 Funktion von Emotionen Aus den eben genannten Merkmalen lässt sich die grundsätzliche Funktion von Emotionen ableiten: Sie dienen dazu, den Organismus auf eine veränderte Situation neu auszurichten, indem sie körperliche Aktivität, Verhalten oder Verhaltensziele sowie den Aufmerksamkeitsfokus anpassen. Dies beinhaltet gegebenenfalls auch das kognitive System im Sinne von Bewusstsein unter Berücksichtigung des sozialen Umfelds. Ähnliche Eigenschaften werden auch anderen psychologischen Konstrukten zugeschrieben, weshalb zunächst eine Abgrenzung erfolgt. 1.2 Abgrenzung von verwandten Konstrukten Der folgende Abschnitt gibt einen Überblick über mit Emotionen verwandten psychischen oder verhaltensrelevanten Phänomene. Die Beschreibungen sind allgemein gehalten und berücksichtigen Ausnahmefälle nicht, grundsätzlich lässt sich aber sagen, dass die Komplexität der jeweiligen Phänomene im Laufe der Auflistung zunimmt, was sich neuroanatomisch aus einer vermehrten Beteiligung höherer zentralnervöser Zentren ergibt und auf psychologischer Ebene mit zunehmender kognitiver Verarbeitung einhergeht. Dazu passt, dass die Auftretensgeschwindigkeit des jeweiligen Phänomens ab und seine Dauer zunimmt. 1.2.1.1 Reflex Reflexe sind angeborene Verhaltensreaktionen und gelten als einfachstes Reaktionsmuster auf einen Reiz. Die Reaktion erfolgt unwillkürlich und stereotyp, die Erlebenskomponente beschränkt sich zumeist auf den auslösenden Reiz. Die neuronale Umschaltung vom Rezeptor auf das Ausführungsorgan, den Effektor, erfolgt im Rückenmark oder Hirnstamm. Hierzu gehört z.B. der Schreckreflex (engl.: startle response), der schon beim Fötus vorhanden ist. 1.2.1.2 Affekt Anders als beim Reflex ist beim Affekt die Erlebenskomponente zentral: sie werden als rasche, unwillkürlich aufkommende Gefühls'wallung' mit gleichzeitiger heftiger körperlicher Erregung erlebt, die kurzzeitig die Wahrnehmung und Verhaltenskontrolle einschränken können. Auch wenn die Begriffe Emotion und Affekt oft synonym verwandt werden (z.B. bei Panksepp, s. 2.2, S.29), so steht beim Affekt doch die Intensität der Erfahrung in Kombination mit der geringeren Differenziertheit und der mangelnden Kontrollierbarkeit im Vordergrund. In den Beschreibungen findet sich zudem häufig eine große Nähe zu Basisemotionen, die in 1.4.4.2 erläutert werden 12 GENERELLE MERKMALE VON EMOTIONEN – 1.2 ABGRENZUNG VON VERWANDTEN KONSTRUKTEN (z.B. Vaas, 2001). Als häufig aktivierte Hirnregionen wären der cinguläre Cortex, das limbische System und weitere subcortikale Strukturen zu nennen. 1.2.1.3 Motivation und Motive Insbesondere die Auswirkung auf Verhaltenstendenzen stellt Emotionen in die Nähe zu Motivationen, bei der bestimmte Motive Verhalten lenken. Die klassische Unterscheidung beruhte darauf, dass Emotionen von äußeren, Motivationen von inneren Reizen hervorgerufen werden sollen. Im ersten Abschnitt dieses Kapitels (S.10) waren zu den eine Emotion auslösenden Ereignissen aber gerade auch körperinterne Prozesse wie Kognitionen oder Veränderungen des inneren Milieus gezählt worden, denn neuere neurowissenschaftliche Theorien berufen sich ausdrücklich auf diese (z.B. Damasio, s. 2.3, S.37). Rolls führt in seinem Buch Emotions Explained (2005) jeweils ein Kapitel zu Hunger und zu Durst auf und erklärt, die zugrunde liegenden Prinzipien seien für Emotion und Motivation dieselben, wobei Motivation für ihn der Zustand ist, in dem für eine Belohnung gearbeitet wird, Emotion der, in dem diese Belohnung erlangt wird. Buck (2000) versucht, Motivation als Verhaltenspotential und Emotion als Manifestierung desselben zu differenzieren, was aber ebenfalls nicht befriedigt, da längst nicht jede Emotion sich als Verhalten äußern muss bzw. das Verhalten sekundär gehemmt werden kann. Zumindest zur Abgrenzung von Emotionen von Trieben wie Hunger, Durst oder Müdigkeit erscheint ein Festhalten an der klassischen Definition sinnvoll, die von Panksepp so zusammengefasst wird, dass bei Motivation ein Verhalten dazu dient, ein körperliches Bedürfnis zu befriedigen, während bei einer Emotion kein solches körperliches Bedürfnis vorliegt (Panksepps, 1998, S. 288). Reisenzein (2005) weist zudem zu recht darauf hin, dass Motive häufig eher Wunsch- und Emotionen eher Reaktionscharakter haben. Berücksichtigt man all diese Aspekte, dann muss zu den speziellen Schaltkreisen für einzelne Triebe wie Hunger oder Durst, die im Bereich des Hypothalamus liegen (Carlson, 2001) , auch der Nucleus accumbens, das Erwartungs-/Hoffnungszentrum (Galley, 2002) in den Basalganglien genannt werden. Gleichzeitig ist klar, dass cortikale Strukturen ebenfalls starken Anteil am Entstehen von Motiven haben: hier wäre insbesondere der präfrontale Cortex aufzuführen, der die zentrale Instanz für Bewerten, Planen und Entscheiden ist. Der orbitofrontale Cortex codiert dabei den erwarteten Belohnungswert eines Reizes (O'Doherty et al., 2001). 1.2.1.4 Stimmung Auch Stimmungen beeinflussen das Gefühlsleben eines Menschen, lassen sich aber von Emotionen unterscheiden: während Emotionen immer 'über etwas' sind, es also einen spezifischen Auslöser gibt, ist dies bei Stimmungen nicht unbedingt der Fall (Bradley & Lang, 2000). In der Regel sind ihre Auslösebedingungen nicht (mehr) bewusst. Sie gelten als Hintergrundphänomene, die weniger intensiv sind und die Aufmerksamkeit nicht in gleichem Maße beanspruchen (Abele-Brehm & Gendolla, 2000), dafür aber länger andauern (Scherer, 2000). 13 GENERELLE MERKMALE VON EMOTIONEN – 1.3 EVOLUTIONSTHEORETISCHE BEGRÜNDUNG 1.3 Evolutionstheoretische Begründung Emotionen gelten als entwicklungsgeschichtlich alter Bestandteil der menschlichen Informationsverarbeitung. Dies lässt sich an folgenden Tatsachen verdeutlichen: Zum einen benennen neurowissenschaftliche Studien, die sich um die Identifikation der zugehörigen Schaltkreise bemühen, zumeist Gehirnregionen, die in der Phylogenese des Nervensystems früher entstanden sind als der Cortex, beispielsweise die Amygdala (LeDoux, 1998) oder die periaquäduktale graue Substanz (PAG) (Panksepp, 2000). Zum anderen verweisen Evolutionsbiologen und Psychologen gleichermaßen auf die Ähnlichkeit emotionaler Reaktionen bei Menschen, Primaten und anderen Säugern (z.B. Ekman, 2003c). Diese Gemeinsamkeit war auch dem Begründer der Evolutionstheorie, Charles Darwin aufgefallen, weshalb er sich bereits 1872 in seinem Werk The expression of the emotions in man and animals damit befasste. Der Ansatz der Evolutionstheorie wurde zunächst von der Psychologie aufgegriffen, aber Mitte des 20. Jahrhunderts wieder fallen gelassen. Als mögliche Gründe hierfür sind die teilweise Zirkularität des Instinktkonzeptes (ein Verhalten wird gezeigt, weil es ein Instinkt ist – weil ein Verhalten sich immer wieder zeigt, muss es sich um einen Instinkt handeln) und das Aufkommen des Behaviourismus zu nennen (Meyer, 2002). Auch die kognitive Psychologie mit ihrer Sicht des Menschen als informationsverarbeitendes System mit teilweise deutlicher Computer-Analogie verzichtete auf einen expliziten Bezug zur Entwicklungsgeschichte. Mit Aufkommen der Evolutionspsychologie Ende der Achtziger Jahre wurde jedoch erneut erkannt, welche wertvollen Hinweise diese Sichtweise auf menschliches Verhalten für die Emotionspsychologie liefern kann (Euler, 2000). Ein Verweis auf die evolutionären Ursprünge ist heute nahezu allen Emotionstheorien gemeinsam. Im folgenden werden die grundsätzlichen Annahmen der Evolutionstheorie und -psychologie kurz zusammengefasst, für eine ausführlichere Darstellung sei auf Lehrbücher wie Rossano (2003) verwiesen. 1.3.1 Annahmen der Evolutionstheorie Die Evolutionslehre beruht auf folgenden allgemeinen Grundsätzen: • Angeborene Merkmale werden an Nachkommen vererbt. • Veränderungen innerhalb einer Spezies erfolgen von Generation zu Generation durch Rekombination der Chromosomen und andere genetische Mechanismen, aber nicht durch die Vererbung gelernter Verhaltensmodifikationen. • Die vorhandenen Ressourcen zum Überleben und zur Fortpflanzung (Futter, Brutplätze etc.) sind begrenzt. • Der an eine Umwelt besser Angepasste kann sich mehr Ressourcen sichern und so seine Überlebenschancen erhöhen ('survival of the fittest') und mehr Nachkommen zeugen. • Weniger erfolgreiche Varianten werden verdrängt (natürliche Selektion). 14 GENERELLE MERKMALE VON EMOTIONEN – 1.3 EVOLUTIONSTHEORETISCHE BEGRÜNDUNG • Zentral ist das Fortbestehen des Gensatzes, nicht des Individuums (inklusive Fitness). Altruismus ist zumindest gegenüber nahen Verwandten durchaus sinnvoll, da ein Organismus mit ihnen einen beachtlichen Teil seines Gensatzes gemeinsam hat. 1.3.2 Annahmen der Evolutionspsychologie Aufbauend auf diesen allgemeinen Prinzipien sind für die Emotionsforschung insbesondere folgende Annahmen der Evolutionspsychologie relevant (Euler, 2000): • Die Wichtigkeit ultimativer anstatt proximater Erklärungen: nicht die unmittelbare, gegenwartsbezogene Interpretation von Verhalten interessiert, sondern der Blick auf den letztendlichen evolutionären Vorteil. • Bereichsspezifität: Eigenschaften und Fähigkeiten entwickelten sich, um spezifische Probleme zu lösen; das menschliche Gehirn besteht aus 'Problemlöse'-Modulen. • Heutiges Verhalten wird durch evolutionär geformte Verhaltenstendenzen maßgeblich mitbestimmt. • Diese evolutionär geformten Verhaltenstendenzen wirken häufig vor der oder ohne die Beteiligung des bewussten, kognitiven Systems. 1.3.3 Bezug zur Emotionspsychologie Die allgemeine Funktion von Emotionen war bereits zu Beginn dieses Kapitels beschrieben worden, zusammenfassend kann gesagt werden, dass Emotionen den Organismus mit schnellen Reaktionsprogrammen für häufig wiederkehrende, überlebensrelevante Situationen ausstatten, durch die Informationsverarbeitung, Verhaltensbereitschaft und Kommunikationsmittel synchron aktiviert werden. Bezüglich der letztendlich ausgeführten Reaktion erlauben sie jedoch eine wesentlich höhere Flexibilität als z.B. ein Reflex, da es sich bei einer Emotion zunächst nur um eine Verhaltensbereitschaft handelt. Die Annahme der Bereichspezifität bzw. der modularen Organisation des menschlichen Gehirns findet seine Entsprechung in der Bemühung von Neurowissenschaftlern, für einzelne Emotionen spezifische und distinkte neuronale Schaltkreise zu identifizieren. Zumindest für Angst scheint dies annähernd gelungen (LeDoux, 1998). Durch detailierte Analyse der ein- und ausgehenden Verbindungen der Amygdala konnte LeDoux (1998) zudem eine auch als Lazarus-Zajonc-Debatte bekannte Frage aufklären, ob nämlich die kognitive Bewertung einer Situation vorausgehe (so Lazarus' Sicht) oder die Emotion sich vor der bewussten Bewertung einstelle (Zajoncs Position). Der scheinbare Widerspruch der beiden Sichtweisen lässt sich in erster Linie als ein unterschiedliches Verständnis des Begriffs 'Bewertung' verstehen (Buck, 2000): Für Zajonc bedeutet Bewertung 'mentale Operationen im Sinne einer kognitiven Verarbeitung', für Lazarus 'primitive bewertende Wahrnehmung'. LeDoux konnte aufgrund seiner Studien beide Auffassungen bestätigen: Angst beinhaltet schnelle Verarbeitung, assoziiert mit der Amygdala und eine umfas- 15 GENERELLE MERKMALE VON EMOTIONEN – 1.3 EVOLUTIONSTHEORETISCHE BEGRÜNDUNG sendere, aber langsamere, assoziiert mit dem Neocortex. Ein wahrgenommener Reiz wird über den Thalamus direkt an die Amygdala weitergeleitet, wo dieser Sinneseindruck unmittelbar als relativ ungenaue, schablonenartige Repräsentation schon bewertet wird. Dieser Interpretation folgt eine genauere und detailiertere cortikale Verarbeitung. Ein solcher Verlauf legt nahe, dass Menschen die emotionale Bedeutung eines Reizes erfassen, bevor sie ihn vollständig repräsentiert haben, wie etwa beim ersten Erschrecken über einen vermeintlich bedrohlichen Schatten, der sich bei weiterem Hinsehen jedoch als harmlos entpuppt. Nimmt man noch hinzu, dass die erste, schablonenartige Bewertung sich auf Reizkonstellationen stützt, die sich im Laufe der menschlichen Entwicklungsgeschichte häufig als bedrohlich erwiesen haben, so lassen sich am Beispiel des Erschreckens auch die beiden letztgenannten Annahmen der Evolutionspsychologie verdeutlichen, dass nämlich heutiges Verhalten durch evolutionär geformte Verhaltensintentionen mitbestimmt wird und diese Intentionen häufig vor der oder ohne die Beteiligung des bewussten kognitiven Systems wirken. 1.3.3.1 Einschränkung Auch wenn der Verweis auf die evolutionären Vorteile von Emotionen eine hohe Augenscheinvalidität hat, soll jedoch nicht verschwiegen werden, dass bei evolutionstheoretischen Begründungen eine ähnliche Gefahr des Zirkelschlusses besteht wie bei der Annahme von 'angeborenen Instinkten': Ein heutiges Verhalten muss sich im Laufe der Evolution als adaptiv erwiesen haben, dass es beibehalten wurde. Da es also evolutionär von Vorteil war, tritt es heute noch auf. Rückschlüsse über die Beschaffenheit der früheren Umwelt, das environment of evolutionary adaptedness, sind einleuchtender Weise immer weitgehend spekulativ und mit etwas Phantasie lassen sich für jede aktuelle Verhaltensdisposition evolutionäre Bedingungen denken, unter denen sie adaptiv erscheint. Der Neurologe Vilayanur S. Ramachandran schaffte es beispielsweise, mit Verweisen auf die angeblich frühzeitige Erkennbarkeit bestimmter Erkrankungen bei blonden Frauen einen Artikel mit dem Titel Why do gentlemen prefer blondes in der Zeitschrift Medical Hypotheses zu veröffentlichen (Ramachandran, 1997) und die Spekulationen bei evolutionspsychologischen Erklärungen zu brandmarken. Eine evolutionstheoretische Herleitung sollte sich demzufolge nicht auf das Entwerfen glaubhafter 'Ur-Szenarien' beschränken, sondern Belege anbringen, die sich aktuell überprüfen lassen (Rossano, 2003). Eine Möglichkeit wäre das Nachzeichnen eines Entwicklungsverlaufs anhand heute noch vorkommender Spezies, die als Entwicklungsvorstufen gelten können. Als Beispiel sei auf Porges verwiesen, der zunächst detailliert nachweist, wie sich die nervöse Kontrolle des Herzens bei den Wirbeltieren von unmyelinisierten Nervensträngen hin zu einem System polyvagaler Kontrolle mit einem myelinisierten Vagusanteil entwickelt, das durch Hinzunahme eines hemmenden Einflusses angemessenere Reaktionen ermöglicht als ein ausschließlich erregendes System (Porges, 1997). Dieses System kommt auch bei der Emotionsregulation zum Einsatz (Porges, 2001), und eine Unterfunktion ist bei Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten assoziiert (Porges et al., 1996). Die in dieser Theorie vorgestellten evolutionstheoretischen Begründungen für emotiona- 16 GENERELLE MERKMALE VON EMOTIONEN – 1.4 ZENTRALE UNTERSCHIEDE DER EINZELNEN THEORIEN le Phänomene werden anhand neuroanatomischer Unterschiede in der Entwicklungsgeschichte belegt und ihr Einfluss experimentell überprüfbar (zur detailierteren Darstellung im Zusammenhang mit Herzaktivität s. a. 4.3.2.1 S.81). Aktuelle Emotionstheorien benennen zwar zumeist evolutionäre Vorteile als Ursache für die Existenz von Emotionen, unterscheiden sich aber im Grad der Differenziertheit, mit der sie ihre Aussage belegen. Tendenziell werden neurowissenschaftliche Ansätze in diesem Punkt spezifischer als psychologische, was vermutlich auch daran liegt, dass für sie ein enger entwicklungsgeschichtlicher Zusammenhang wünschenswert ist, damit sie ihre häufig an Tieren gewonnenen Erkenntnisse auf den Menschen übertragen können. 1.4 Zentrale Unterschiede der einzelnen Theorien Im bisherigen Text wurden die Merkmale erläutert, die Emotionen theorieübergreifend zugesprochen werden. Wie sich im letzten Absatz über die evolutionstheoretische Begründung schon andeutete, gibt es in gleicher Weise Aspekte, auf die die meisten Emotionstheorien eingehen, denen gegenüber sie jedoch unterschiedliche Standpunkte vertreten. Bevor konkrete Ansätze erläutert werden, soll der Leser auf Fragen aufmerksam gemacht werden, die jede Theorie zu menschlichen Emotionen beantworten sollte und an deren (Nicht)Beantwortung die Schwerpunkte sowie die Vor- und Nachteile eines Konzeptes besonders deutlich werden. 1.4.1 Welche Rolle spielen die körperlichen Veränderungen für eine Emotion? Dass physiologischen Veränderungen mit einer Emotion einhergehen, ist allgemein akzeptiert, weniger klar ist jedoch, ob eine im Zentralnervensystem (ZNS), dem Gehirn, ausgelöste Emotion zu Veränderung der Herzaktivität, Hautleitfähigkeit u.ä. in der Körperperipherie führt, oder ob es gerade die körperlichen Veränderungen sind, aus denen eine Emotion entsteht. Aufgrund des Gegensatzes ZNS-Peripherie wird diese Frage auch als Zentral-Peripher-Debatte bezeichnet, und die Annahme, dass zuerst körperliche Veränderungen später die Emotion auslösen, häufig als James-Lange-Theorie (James, 1884) zitiert, die sich pointiert mit "Ich habe Angst, weil ich wegrenne" (LeDoux, 1998) umschreiben lässt. Rolls (2003) nennt eine Vielzahl Argumente gegen diese Vorstellung, so z.B., dass auch erinnerte Emotionen eine hohe Intensität haben können, ohne dass ihnen eine körperliche Veränderung vorausging. Dabei verweist er für seine Sichtweise auf den klassischen Versuch von Schachter und Singer (1962), um zu zeigen, dass körperliche Erregung allein nicht zu einer spezifischen Emotion führt, sondern immer die Beteilung des ZNS benötigt. Schachter und Singer (1962) hatten Ihrer Versuchsgruppe Adrenalin injiziert, sie aber zum Teil im Unklaren über die erregende Wirkung gelassen1 und sie anschließend in Situationen gebracht, die entweder erfreulich oder ärgerlich waren. Wussten die Probanden nicht, dass die verabreichte Substanz zu starker körperlicher Erregung 1 Das Versuchsdesign war in Wirklichkeit etwas umfangreicher(Schachter & Singer, 1962): es gab eine Kontrollgruppe, die ein Placebo injiziert bekam, allen Probanden wurde gesagt, sie bekämen ein Vitaminpräparat gespritzt, ein Teil wurden über die 'Nebenwirkung' korrekt informiert, ein Teil falsch und ein Teil gar nicht. Für die oben genannte Argumentation reicht aber der Vergleich 'Wissen über die Wirkung – kein Wissen über die Wirkung' 17 GENERELLE MERKMALE VON EMOTIONEN – 1.4 ZENTRALE UNTERSCHIEDE DER EINZELNEN THEORIEN führt, attribuierten sie ihre Erregung auf die Situation und waren dementsprechend euphorisch oder wütend. Bei den 'aufgeklärten' Versuchspersonen war dies nicht der Fall. Die Autoren zogen daraus den Schluss, dass eine Emotion körperliche Erregung + kognitive Bewertung im Sinne eines 'Labeling' ist, wobei die Erregung die Intensität und das Label die Qualität der Emotion bestimmt. Abgesehen davon, dass der Versuch nicht repliziert werden konnte, gilt die eben beschriebene Annahme als nicht mehr haltbar (Ekman, 1993), auch wenn die Autoren zumindest zutreffend verdeutlichten, dass die physiologischen Veränderungen verschiedener Emotionen nicht so differenziert sind, wie es von vielen Forschern gewünscht wird (Cacioppo, Berntson et al., 2000; Lazarus, 1991; Russell, 2003). Anregungen, den körperlichen Veränderungen, ihrer Wahrnehmung und dem Bezug zu Emotionen wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken, bekam die Emotionsforschung interessenterweise unter anderem aus der Robotik und der Künstlichen Intelligenz, wo die Forscher erkannten, dass sie ihre Konstruktionen mit einem 'Körpergefühl' (Schrader, 2003) und einer interen 'Valenzbewertung' ausstatten müssen, um komplexere Verhaltensweisen realisieren zu können. Als prominentester Vertreter einer Körperwahrnehmungs-Emotionstheorie kann Damasio gelten, auf dessen Ansatz in einem eigenen Abschnitt eingegangen wird (s. 2.3, S.37). 1.4.2 Was ist mit der subjektiven Empfindung, dem Gefühl? Gefühl war als die bewusste Erfahrung einer Emotion im Sinne von 'Ich bin… wütend, traurig, etc.' definiert worden. Während psychologische Emotionstheorien die Annahme einer solchen Selbstwahrnehmungsfähigkeit als unstrittig voraussetzen können, müssen neurowissenschaftliche Theorien hier explizit ausführen, wie sie zu der Tatsache, dass Menschen Emotionen bewusst erleben, stehen, denn an Tieren lässt sich dieses Phänomen - wenn man ihnen denn überhaupt Gefühle zuspricht - nicht untersuchen, weil die Möglichkeit des Selbstberichts nicht zur Verfügung steht. Dementsprechend können Modelle, die sich überwiegend auf Tierversuche gründen, darüber keine unmittelbare Auskunft geben. Der Versuch, die Frage nach der subjektiven Empfindung als irrelevant oder unwissenschaftlich abzutun - Lane (2000) verweist hier auf LeDoux (1998) - ist jedenfalls unbefriedigend, allein schon, weil der Leser bei der Lektüre von Texten zur Emotion unwillkürlich auf seine eigenen bewussten Erfahrungen zurückgreift und an diesen die vorgestellten Behauptungen abgleicht. Darüber hinaus ist zu fragen, warum, wenn schon ausdrücklich auf den evolutionären Vorteil von Emotionen verwiesen wird, die Entwicklung der Selbstwahrnehmungsfähigkeit als weiterer möglicher Selektionsvorteil unberücksichtigt bleiben sollte. Rolls beispielsweise versucht in seinem neurowissenschaftlichen Ansatz diese Tatsache zu berücksichtigen (s. 2.1.4, S. 25). 1.4.3 Welche Bedeutung haben Kognitionen für eine Emotion? Der Gedanke 'Ich bin traurig' ist bereits eine Kognition. Neben der Wahrnehmung des eigenen Gefühlszustandes spielen Kognitionen für Emotionen aber noch weitere Rollen: Sie können 18 GENERELLE MERKMALE VON EMOTIONEN – 1.4 ZENTRALE UNTERSCHIEDE DER EINZELNEN THEORIEN eine Emotion auslösen, sie verändern oder beenden, wie am Beispiel das als bedrohlich wahrgenommenen Schattens verdeutlicht worden war, der sich dann als harmlos entpuppt. Insbesondere für den Umgang mit negativen Emotionen spielen Kognitionen eine entscheidende Rolle. So hat Lazarus beispielsweise seine Emotionstheorie aufgrund seiner Forschung zu Stresserleben und -bewältigung (engl.: coping) entwickelt und sämtliche Bewertungs (engl.: appraisal)-Theorien zu Emotionen beruhen auf dem Zusammenspiel von Kognitionen und Emotion (Mitmansgruber, 2003). 1.4.4 Wie lassen sich Emotionen klassifizieren? Die eingangs aufgeführten Merkmale wie 'physiologische Veränderung' oder 'Änderung der Mimik' als kommunikative Komponente waren allgemein gehalten, um auf möglichst jede Emotion zuzutreffen. Gleichzeitig wirkten sie im Vergleich zu Beschreibungen wie 'rasende Wut' oder 'freudige Überraschung' abstrakt und blutleer. Vor diesem Problem stehen alle Ansätze, die versuchen, Emotionen in irgendeiner Weise zu gliedern: soll jede Nuance des Aufkommens und Erlebens berücksichtigt werden, so droht man sich im Kosmos individueller Empfindungen zu verlieren (Schmidt-Atzert, 2000), sollen völlig unterschiedliche Emotionen anhand weniger Merkmale oder Dimensionen eingeordnet werden, so lassen sich im Alltag klar unterscheidbare Phänomene nur noch schlecht trennen. Gerade für die nuancierte Darstellung scheint eine nicht-sprachbasierte Beschreibung unmöglich. Nichtsdestotrotz ist für einen Vergleich eine gewisse Vereinheitlichung unabdingbar. Die Emotionstheorien unterscheiden sich darin, inwieweit sie diese vorgeben, und ob ihre Kriterien eher den Prozess der Emotionsentstehung (wie etwa appraisal-Theorien) oder Kennzeichen der Emotion selbst bzw. ihrer Äußerung beschreiben. Zwei grundsätzliche Gliederungsansätze werden schon an dieser Stelle vorgestellt, da sie sich aus den bisher geschilderten Merkmalen direkt ableiten lassen und zudem alle vorzustellenden Theorien Bezug auf sie nehmen. 1.4.4.1 Zweidimensionales Modell von Valenz und Arousal Ein gemeinsamer Nenner, auf dem sich unterschiedlichste Emotionen miteinander vergleichen lassen, ist ihre Intensität. Die Intensität geht dabei in der Regel mit einer Veränderung der (gefühlten) körperlichen Erregung einher, sei es ein drastischer Anstieg wie bei Wut und Freude oder ein Abfall unter das als normal erlebte Niveau, wie bei Trauer. Gefühle mit gleicher Intensität lassen sich desweiteren allgemein unterscheiden, ob es sich bei ihnen um eine Erregungsveränderung mit angenehmem oder unangenehmem Beiklang (Freude gegenüber Ärger) handelt. Diese Aufteilung war schon Wundt bei seinen Introspektionsstudien aufgefallen, weshalb er als Basisdimensionen zur Beurteilung von Emotionen Qualität, also Valenz, und Erregung vorschlug (Wundt, 1891). Auch wenn inzwischen weitere Benennungsansätze für diese beide Dimensionen hinzugekommen sind, so konnten Yik, Russell und Barrett (1999) in einem groß angelegten Vergleich zeigen, dass sich die verschiedenen Ansätze ineinander überführen lassen und schlagen als möglichst allgemeine Bezeichnung 'Angenehmheit' (engl.: pleasentness) 19 GENERELLE MERKMALE VON EMOTIONEN – 1.4 ZENTRALE UNTERSCHIEDE DER EINZELNEN THEORIEN und 'Aktivation' vor. Der Schwerpunkt dieser Forschungsrichtung liegt dabei wie schon bei Wundt auf dem subjektiven Erleben von Emotionen bzw. dem Selbstbericht (Scherer, 2000). Daneben berufen sich psychophysiologisch orientierte Ansätze ebenfalls auf diese Dimensionen, weil sich Erregung gut über Hautleitfähigkeit und Herzaktivität, Valenz über die Gesichtsmuskelaktivität operationalisieren lässt (Pauli & Birbaumer, 2000). Der Bezug zu Emotionen als erste Bewertung eines Ereignisses als vorteilhaft oder nachteilig für den Organismus und damit einhergehendem Handlungsimpuls liegt auf der Hand. Als Nachteil bleibt anzuführen, dass in einem zweidimensionalen Koordinatensystem deutlich verschiedene Gefühle wie Enttäuschung und Trauer ohne weitere Informationen kaum zu unterscheiden sind. Um der sozialen Komponente Rechnung zu tragen, haben beispielsweise Bradley & Lang (1994) für ihre Bewertungsskala Self-Assessment Manikin (SAM) noch als dritte Dimension Dominanz mit den Polen mächtig-matchlos hinzugefügt. 1.4.4.2 Gibt es Basisemotionen? Geht man wie Darwin vom Emotionsausdruck aus (Darwin, 1872), so lassen sich Emotionen hinsichtlich ihrer Qualität bereits feiner differenzieren als nur auf der Dimension angenehmunangenehm: Zustände wie Wut, Trauer oder Angst gehen mit einem spezifischen, distinktem Gesichtsausdruck einher, der kulturübergreifend ist (Ekman, 1993) und auch bei Primaten festgestellt werden kann (Ekman, 1999a). Es liegt daher nahe, diese Emotionen als ursprünglicher oder allgemeingültiger als andere anzusehen. Daraus ergeben sich zwei weitere Fragen, die verschiedene Emotionstheorien unterschiedlich beantworten: Erstens, welche oder wie viele Basisemotionen gibt es, und zweitens, stellen sie eine eigene Klasse von Emotionen dar, aus deren Kombination sich die übrigen Emotionen ableiten lassen, oder handelt es sich bei ihnen lediglich um besonders häufig auftretende Zustände, die sich aber nicht grundsätzlich von den übrigen Emotionen unterscheiden? Die Tatsache, dass sich Befürworter der Basisemotionen-Annahme nicht auf eine endgültige Anzahl derselben einigen können (s. Tab. 1.4.1), wird gerne als Argument gegen die Existenz derselben angeführt (z.B. von Rolls, 2005). 20 NEUROWISSENSCHAFTLICHE EMOTIONSTHEORIEN – 2.1 ROLLS Tab. 1.4.1: von verschiedenen Autoren postulierte Basisemotionen, übernommen und angepasst aus Meyer, Schützwohl & Reisenzein (1997). Furcht Ärger Ekel Kummer/Traurigkeit Freude Überraschung Verachtung Interesse Scham Schuld Schüchternheit Akzeptieren Erwartung Oatly & A Johnson-Laird Plutchik + + + + + - + + + + + + + + B Ekman + + + + + + + + + + - C Tomkins + + + + + + + + + - C Izard + + + + + + + + + + + - A: s.a. 3.1.1, S.44; B: s.a. 3, S.44; C: s.a. 3.4.1, S.59 Meyer et al. (1997) diskutieren die Argumente für und wider Basisemotionen ausführlich, zu den eben genannten Diskrepanzen bezüglich der Anzahl zitieren sie Flechter mit seinem Verweis auf "die Verwirrung, die in der Chemie zum Zeitpunkt herrschte, als die ersten Versuche gemacht wurden, die chemischen Elemente zu klassifizieren. Aber obwohl damals keiner mit dem anderen über die richtige Anzahl der Elemente übereinstimmen konnte, ist deren Klassifikation heute klar und allgemein anerkannt" (Fletcher, 1968, S. 100, zitiert nach Meyer et al., 1997, S. 161). Zusammenfassend sehen die Autoren allerdings jedoch weder Belege für die psychologische noch für biologische Grundlagen von Basisemotionen, auch wenn sie einräumen, dass bestimmte Grundgefühle eventuell von jeweils spezifischen Gehirnstrukturen erzeugt werden, wobei die Spezifität der Aktivierung von Regionen wie der Amygdala ihrer Meinung nach bisher nicht ausreichend belegt ist. Eben diese Frage, in wieweit neuronale Strukturen für eine bestimmte Emotion verantwortlich sind, ist in jüngerer Zeit vor allem von neurowissenschaftlichen Ansätzen wieder aufgegriffen worden. 2 Neurowissenschaftliche Emotionstheorien 2.1 Rolls Edmund T. Rolls ist Professor für Experimentelle Psychologie an der Universität Oxford. Der Schwerpunkt seiner Forschung liegt dabei auf Neurophysiologie. Seine Emotionstheorie hat er neben zahlreichen Artikeln insbesondere in zwei Büchern, The Brain and Emotion (1999) sowie Emotion Explained (2005) dargestellt. 21 NEUROWISSENSCHAFTLICHE EMOTIONSTHEORIEN – 2.1 ROLLS 2.1.1 Definition von Emotionen Für Rolls sind Emotionen Zustände, die durch Belohnung oder Bestrafung und deren Erwartung, also instrumentell verstärkende Reize hervorgerufen werden. Ein positiver Verstärker (Belohnung oder Ausbleiben/Aufhören einer Bestrafung) führt dazu, dass ein Verhalten häufiger gezeigt wird, ein negativer Verstärker (Bestrafung oder Ausbleiben/Aufhören einer Belohnung) dazu, dass es seltener gezeigt werden wird. Verstärkerreize sind primär, wenn ihre Bewertung als negativ oder positiv nicht gelernt werden muss (z.B. Schmerz, süß, bitter). Sekundäre Verstärker sind Reize, bei denen durch die vorausgegangene Verknüpfung mit primären Verstärkern ebenfalls eine Valenz assoziiert wird. Emotionen können so zunächst anhand der Valenz des auslösenden Reizes unterschieden werden. Darüber hinaus können verschiedene Emotionen sich noch bezüglich folgender Merkmale unterscheiden: • Verstärkungskontingenz: Kontingenz beschreibt die Häufigkeit, mit der zwei Ereignisse, hier ein emotionsauslösender Reiz sowie der zugehörige Verstärker, gemeinsam auftreten. Die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Reiz das Auftreten eines Verstärkers zur Folge hat, hat Einfluss auf die ausgelöste Emotion. • Intensität (des Verstärkers): je intensiver der Verstärkerreiz, desto intensiver auch die erlebte Emotion, z.B. Freude gegenüber Ekstase. • Mehrfache Verstärker-Assoziationen: ein emotionsauslösender Reiz kann mit mehr als einem Verstärker assoziiert sein. Widersprechen sich die Valenzen der einzelnen Verstärker, wird sich dies gegebenenfalls in der ausgelösten Emotion widerspiegeln. • Verschiedene primäre Verstärker (mit der gleichen Valenz): Hierdurch lassen sich Emotionen einer Kategorie weiter voneinander abgrenzen: Die Freude beim Anblick von Nahrung unterscheidet sich von der beim Anblick der Mutter. • Verschiedene sekundäre Verstärker: Auch wenn der unkonditionierte Verstärker, die Verstärkungskontingenz und die Reizsituation identisch sind, kann es aufgrund der individuellen Lerngeschichte zu einer anderen emotionalen Reaktion kommen. • Die Art der möglichen Verhaltensreaktion: ist auf das Ausbleiben einer Belohnung eine aktive Reaktion möglich, etwa gegen den 'Verweigerer' derselben, so ist die zugehörige Emotion eher Wut, gibt es keine Möglichkeit, Abhilfe zu schaffen, so wird sich Enttäuschung oder Resignation einstellen. Rolls sieht eine Aufgabe von Emotionen darin, eine Verbindung zwischen Reizwahrnehmungsund Handlungssystemen herzustellen, deren Basis die Klassifikation von Reizen als belohnend oder bestrafend ist. Dieses generelle Prinzip spezifiziert er noch wie folgt: – falls der positive Verstärkerreiz relevant für ein Bedürfnis ist, das auf einer Änderung des inneren Milieus beruht (z.B. Anblick von Wasser bei Durst), so wird üblicherweise nicht von einer Emotion gesprochen, auch wenn der Anblick von Wasser bei Durst ohne Zweifel zumindest einen affektiven Zustand auslöst. Emotionale Zustände sollen durch Reize, die ih- 22 NEUROWISSENSCHAFTLICHE EMOTIONSTHEORIEN – 2.1 ROLLS ren Ursprung in der externalen Umwelt haben, hervorgerufen werden. Für Rolls ist Motivation der Zustand, in dem für eine Belohnung gearbeitet wird, Emotion dahingegen derjenige, in dem diese Belohnung erlangt wird. Daher widmet er Hunger und Durst jeweils ein eigenes Kapitel in seinen beiden Büchern. – Emotionen können auch durch das Erinnern von Verstärkern hervorgerufen werden. – Der emotionsauslösende Reiz muss nicht für die konkrete Situation ein Verstärker sein, er muss nur grundsätzlich verstärkende Eigenschaften haben. – Für die Einschätzung, ob ein Reiz belohnend oder bestrafend ist, spielt kognitive Verarbeitung eine große Rolle. Emotionale Zustände sind jedoch nicht gleichbedeutend mit dem subjektiven Gefühl, sondern umfassender. Rolls Liste primärer Verstärker ist sehr weit gefasst, unter anderem wird auch der Anblick von Blumen als primärer Verstärker aufgeführt, weil sie auf eine später vorhandene Frucht hindeuten können. 2.1.2 Funktion von Emotionen Emotionen verkörpern einen im Laufe der Evolution entwickelten inneren 'Wertzuweisungs'Mechanismus. Anstatt konkrete Verhaltensweisen zu spezifizieren, werden in den Genen nur der Belohnungs- und Bestrafungswert von primären Verstärkern und entsprechende Verhaltensziele festgelegt, nämlich das Vermeiden von Bestrafung und Streben nach Belohnung. Dieses Prinzip bietet eine allgemeine 'Währung' für den Vergleich unterschiedlichster Sinnesreize und Verhaltensweisen, bei dem sowohl der relative Nutzen (Wasser ist bei Durst wertvoller als bei Hunger, mit Nahrung ist es umgekehrt) als auch die Kosten der Zielerreichung berücksichtigt werden. Gene müssen so nur die Reize, die primäre Verstärker und damit potentielle Verhaltensziele darstellen, codieren (z.B. süßer Geschmack, Wärme und Körperkontakt eines Artgenossen), anstatt einzelne Reaktionen bzw. Verknüpfungen zwischen Reizen und Reaktionen, was wesentlich aufwendiger wäre. Die Konsequenz ist eine größere Flexibilität im Verhalten sowie die Möglichkeit, das gesamte Leben über neue Reiz-Reaktionsverknüpfungen erlernen zu können, wohingegen Informationen über die Umwelt im Gensatz weitaus schwerer modifiziert werden können. Rolls stellt diesem flexiblen Ansatz die Entwicklung eines Fließband-Roboters gegenüber, bei dem jede Bewegungsabfolge für eine bestimmte Aufgabe im Vorhinein programmiert wurde und der so zwar unmittelbar einsatzfähig ist, für sein Funktionieren aber eine gleich bleibende Umwelt benötigt und bei Veränderungen nicht selbstständig neue zielführende Bewegungsmuster erlernen kann. Gleichzeitig bedingt ein verhaltensoffener Aufbau jedoch, dass alle Sinnessysteme Verbindungen zu den Zentren, in denen Belohnungs- und Bestrafungswert codiert sind, haben müssen. 23 NEUROWISSENSCHAFTLICHE EMOTIONSTHEORIEN – 2.1 ROLLS 2.1.3 Neuroanatomische Grundlagen Die Verknüpfung von Sinnesreiz mit Belohnungs- bzw. Bestrafungswert findet im orbitofrontalen Cortex (OFC) und der Amygdala statt, wo auch Verknüpfungen zwischen ursprünglich neutralen Reizen und primären Verstärkern gelernt werden. Der cinguläre Cortex führt eine Art KostenNutzen-Analyse durch, im anterioren cingulären Cortex (ACC) wird anschließend die geeignete Handlung ausgewählt. Dabei hat er auch Ausgänge zum Nucleus Accumbens, dessen Dopaminausstoß die Anstrengungsbereitschaft zu codieren scheint. Abb. 2.1.1: Lage einiger der in 2.1.3 als emotionsrelevant aufgeführten Hirnstrukturen. Nach Ochsner & Gross (2004). Dieser Ablauf ist unabhängig von der Sinnesmodalität des zu bewertenden Reizes, dessen Verarbeitung jeweils schon mit cortikaler Beteiligung erfolgt. Die direkte, subcortikale Weiterleitung von Sinneseindrücken aus dem Thalamus zur Amygdala, wie sie LeDoux propagiert (s. 1.3.3) ist nach Rolls eher die Ausnahme, etwa bei der Reaktion auf einen lauten Knall oder überlernte Schemata z.B. bei Phobikern (Öhman, 2005). Da Menschen aber in der Regel nicht die Verknüpfung mit einem einfachen, unveränderlichen Reiz erlernen, sondern mit komplexen, z.B. einer Stimme, und den Reiz unabhängig von der aktuellen Intensität oder Klangfarbe erkennen müssen, kann eine derartige invariante Repräsentation nur durch die Beteiligung cortikaler sensorischer Areale bei der Reizanalyse gewährleistet werden. (s. Abb. 2.1.2) 24 NEUROWISSENSCHAFTLICHE EMOTIONSTHEORIEN – 2.1 ROLLS Abb. 2.1.2: Verschaltung der Sinnesorgane mit dem orbitofrontalen Cortex und der Amygdala sowie deren Ausgänge nach Rolls (2005). Die 'Hunger-Neurone' sind zusätzlich aufgeführt, da der Belohnungswert diverser Reize (Anblick, Geruch von Nahrung) durch ihre Aktivität beeinflusst wird (s. a. Rolls, 1995). Die Bewertung von OFC und Amygdala bewirken anschließend Veränderungen in drei Systemen: • Dem autonomen und endokrinen System, um den Organismus in die nötige Handlungsbereitschaft zu versetzen. Veränderungen in diesem System sind zudem wichtig, um die Handlungsbereitschaft auch nach Abklingen des auslösenden Reizes aufrecht zu erhalten. • Den Basalganglien für die Ausführung von automatisierten Handlungen, die keine bewusste Überwachung benötigen. • Das bewusste Aufmerksamkeitssystem, um nicht-automatisierte Handlungen auszuführen und längerfristiges Planen zu ermöglichen. Auf die Rolle der bewussten Verarbeitung wird im Folgenden näher eingegangen. 2.1.4 Welche Bedeutung haben Kognitionen und subjektives Erleben für eine Emotion? Soweit bisher geschildert, könnte Rolls' Ansatz als Neuauflage oder Weiterentwicklung des Behaviourismus verstanden werden, der auch deswegen scheiterte, weil er die innerpsychischen Vorgänge als nichtbeobachtbare 'black box' explizit ausklammerte und so für viele Fragen der Psychologie keine Antwort liefern konnte. Es ist jedoch gerade die Fähigkeit, eine au- 25 NEUROWISSENSCHAFTLICHE EMOTIONSTHEORIEN – 2.1 ROLLS tomatisch erfolgende Handlung bewusst unterbinden und eine Alternative entwerfen zu können, die ein weit höheres Maß an Verhaltensflexibilität ermöglicht. Rolls bezeichnet dieses System bewusster Planung als linguistisches System2, das mit Hilfe von zahlreichen Wenn-DannOperationen arbeitet. Um sinnvolle Pläne entwerfen zu können, müssen dem linguistischen System ebenfalls Informationen über den Belohnungs/Bestrafungswert eines Reizes sowie die Kosten-Nutzen-Analyse einer Reaktion zur Verfügung stehen. Beide ergeben zunächst die nicht-bewusste Emotion, ihre Ausprägung im Bewusstsein ist das Gefühl. In Analogie zu 2.1.2 sind Gefühle dann als 'Wertzuweisungs'-Mechanismus innerhalb des Systems von Plänen und Gedanken zu verstehen. Sie sind so die Konsequenz der Entwicklung eines Denksystems höherer Ordnung, dem Bewusstsein, bei dem verschiedene Handlungsintentionen niederer Ordnung bewertet und verglichen werden, um mögliche Fehler zu beseitigen. Dieses zweite, explizite (=bewusste, sprachbasierte) System steht dem impliziten gegenüber und wird herangezogen, um Fehler des ersten zu berichtigen, wenn beispielsweise eine unmittelbare Belohnung, die sich längerfristig jedoch als schädlich erweisen könnte, zurückgewiesen wird. Abb. 2.1.3: Verschiedene Wege der Handlungsinitiation als Reaktion auf einen Reiz nach Rolls (2005): neben Reflexen sowie impliziten Reaktionen ermöglicht das Vorhandensein eines linguistischen Systems (repräsentiert durch den 'Language Cortex') auch bewusste Planung. Für weitere Erläuterungen s. Text. Das bewusste System muss dabei die Illusion haben, 'frei' zu handeln, da sonst Inkonsistenzen auftreten würden, die dazu führen könnten, dass es keine Planungen bzw. Handlungen mehr initiiert. In diesem Zusammenhang verweist Rolls auf das Phänomen der Konfabulation bei 2 'linguistisch' ist in diesem Zusammenhang nicht als 'verbal', eventuell sogar im Sinne einer 'inneren Stimme' zu verstehen, sondern bezieht sich auf alle Vorgänge, bei denen mit Hilfe von syntaktischen Regeln Symbole (mentale Repräsentationen realer Objekte) manipuliert werden (Rolls, 2005, S. 404). 26 NEUROWISSENSCHAFTLICHE EMOTIONSTHEORIEN – 2.1 ROLLS Läsionspatienten, die versuchen, offensichtlich unbewusstes Verhalten nachträglich als bewusst intendiert auszugeben. Um Zielkonsistenz sicherstellen und die Auswirkungen einer Handlungsalternative bewerten zu können (Wenn ich das mache, werde ich mich so fühlen), ist zudem ein autobiographisches Gedächtnis wichtig. Rolls sieht hier seine Theorie im Einklang mit appraisal-Theorien der Emotion wie Lazarus oder Scherer (s. 3.1, S.44), bei denen die endgültige Bewertung einer Situation ebenfalls die Abfrage bereits erfolgreich eingesetzter Bewältigungsstrategien beinhaltet. In gleicher Weise können Kognitionen Emotionen auslösen, indem sie ein geeignetes Setting für Verstärkersuche und -auswahl liefern oder zur Neubewertung eines Reizes führen (Rolls, 2005). 2.1.5 Welche Rolle spielen die körperlichen Veränderungen? Geht man davon aus, dass Emotionen sich immer dann einstellen, wenn ein Ereignis, dem ein Belohnungs- oder Bestrafungswert zugeordnet ist, bemerkt wird, und die Wert-Encodierung im OFC und der Amygdala stattfindet, die anschließend wiederum über den Hypothalamus Einfluss auf das autonome und endokrine System nehmen, so spricht dies eindeutig gegen die Annahme, es wären die peripheren Veränderungen (z.B. der Herzrate), die zu einer Emotion führen. Wenn letzteres der Fall wäre, wieso sollen manche Reize eine periphere Veränderung und damit eine Emotion hervorrufen, andere aber nicht bzw. wo wird diese Unterscheidung getroffen? Inwieweit das Feedback peripherer Veränderung eine vorhandene Emotion beeinflussen kann, wird von Rolls nicht ausgeführt, es ist allerdings zu vermuten, dass diese Rückmeldung dann in gleicher Weise den Bewertungsprozess durchläuft wie ein externer Reiz. 2.1.6 Wie lassen sich Emotionen klassifizieren? Ähnlich verhält es sich mit der Klassifikation von Emotionen: Zentral ist die Verstärkerqualität eines Reizes, weniger die konkret ausgelöste Reaktion. Wodurch Emotionen sich aufgrund dessen unterscheiden lassen, ist in 2.1.1 erläutert worden, es sind insbesondere Verstärkerkontingenzen und -verknüpfungen. In der Beispiel-Liste primärer Verstärker werden diese nach Sinnesmodalität gegliedert und ein Warnruf wird genauso als 'Bestrafer' klassifiziert wie ein Angriffslaut, darüber hinaus wird nicht differenziert. Rolls wendet sich explizit gegen Ansätze, die bestimmten Emotionen bestimmte (angeborene) Handlungsmuster zuordnen, etwa Flucht bei Angst oder Angriff bei Wut, da es aus evolutionärer Sicht ineffektiv sei, in Genen konkrete Verhaltensweisen zu kodieren. Bezüglich der Annahme von allgemeingültigen Emotionskategorien aufgrund der Analyse von Wortlisten oder Fragebögen weist er darauf hin, dass diese zumeist 7 ± 2 Kategorien finden, was der maximalen Anzahl von Informationseinheiten, mit denen Menschen simultan arbeiten können, entspricht. Er räumt zwar ein, dass die Achsen Angenehmheit einer Belohnung – Unangenehmheit eines Bestrafers sowie Ausbleiben/Aufhören einer Bestrafung – Ausbleiben/Aufhören einer Belohnung dimensionalen Charakter haben d. h. unabhängig voneinander sein könnten, möchte es aber nicht als dimensionalen Ansatz verstanden haben (Rolls, 2005, S. 14). 27 NEUROWISSENSCHAFTLICHE EMOTIONSTHEORIEN – 2.1 ROLLS 2.1.7 Fazit Aufbauend auf Erkenntnissen zum instrumentellen Lernen weist Rolls umfassend nach, wie Verstärker Verhalten steuern. Er geht weit über den Ansatz des Behaviourismus hinaus, indem er sich nicht nur auf Reiz und Reaktion beschränkt, sondern gerade mit der 'black box' dazwischen beschäftigt und detailliert belegt, wie die Verknüpfung von beiden auf neuronaler Ebene stattfindet, untermauert mit zahlreichen Diagrammen neuronaler Verschaltungen bis hin zu Messung der Feuerraten einzelner Neurone. Sein Ansatz berücksichtigt grundlegende Triebe wie Hunger, Durst und Sexualität ebenso wie pathologische Phänomene wie Sucht oder Bulimie. Die Integration von Bewusstsein und Kognitionen erscheint jedoch etwas abstrakt und ist nach eigenen Angaben nicht in gleicher Weise wissenschaftlich ausgearbeitet bzw. eher vorläufig (Rolls, 2005, S. 401). Ähnlich werden konkrete Emotionen strikt dem generellen Prinzip Vermeidung negativer Verstärker und Streben nach positiven Verstärkern untergeordnet: während den eben genannten Trieben Hunger, Durst und Sexualität eigene Kapitel gewidmet sind, findet sich in seinem Buch mit dem Titel Emotion Explained zu Trauer (sadness) oder Wut (anger) im Stichwortverzeichnis kein bzw. nur ein Eintrag. Mit anderen Forschungsansätzen wird dabei nicht zimperlich umgegangen: so sei LeDoux, der sich überwiegend mit der Amygdala und ihrer Rolle für die Emotion Angst beschäftigt, eventuell deshalb nicht zu den gleichen Erkenntnissen wie Rolls gekommen, weil der orbitofrontale Cortex bei Ratten, LeDoux' hauptsächlichem Versuchstier, nicht besonders entwickelt ist (Rolls, 2005, S. 169). Dass die zentrale Bedeutung der von LeDoux fokussierten direkten subcortikalen Reizweiterleitung vom Thalamus an die Amygdala für Phobiker inzwischen als gesichert gelten kann (Öhman, 2005), wird von Rolls nicht weiter erwähnt. Der Standpunkt, dass Emotionen nicht nur auf der Reizbewertung durch den orbitofrontalen Cortex und die Amygdala beruhen, sondern durch für sie spezifische neuronale Schaltkreise hervorgerufen werden, wird in den Neurowissenschaften insbesondere von Jaak Panksepp vertreten. 28 NEUROWISSENSCHAFTLICHE EMOTIONSTHEORIEN – 2.2 PANKSEPP 2.2 Panksepp Panksepp sieht ebenso wie Rolls die Evolution als treibende Kraft hinter der Entwicklung von Emotionen, und in gleicher Weise sind viele seiner Erkenntnisse an Versuchstieren wie Ratten oder Primaten gewonnen, allerdings ist sowohl der Ausgangspunkt für seine Versuche als auch die Schlussfolgerung, die er aus ihnen zieht, deutlich von denen Rolls' verschieden. Der Einfluss der Evolution erstreckte sich seiner Ansicht nach nicht lediglich auf die Herausbildung bestimmter genetisch prädisponierter Verhaltensziele, sondern auch auf die entsprechende neuroanatomische Entwicklung des Gehirns. Ähnlich wie Reflexe sind grundlegende Emotionssysteme neuronal vororganisiert, also angeboren. Da es sich hierbei um entwicklungsgeschichtlich alte Systeme handelt, die insbesondere im Hirnstamm lokalisiert sind, lässt sich ihre Funktionsweise sehr gut an Versuchstieren untersuchen, denn auf subcortikalem Niveau sind sich alle Säugetiere erstaunlich ähnlich (Panksepp, 2003b). Gleichzeitig hat diese Zuordnung der Emotionen zu phylogenetisch frühen Strukturen für Panksepp eine weitere Konsequenz: sie legt nahe, dass auch andere Säugetiere über ein affektives Bewusstsein, also eine primitive Form von Gefühlen, verfügen. Auf diesen Aspekt und seine Implikationen wird im Abschnitt 2.2.4 weiter eingegangen. Abb. 2.2.1: Lage des Hirnstamms mit Periaquäduktalem Grau (PAG) und Nucleus parabrachialis (NPB). Nach Damasio (2000a). 2.2.1 Definition von Emotionen Eine fest umrissene Definition von Emotionen gibt Panksepp nicht, er nennt alle Eigenschaften, die zu Beginn dieser Arbeit unter Generelle Merkmale von Emotionen (S.11) aufgeführt wurden, betont je nach Themenschwerpunkt der jeweiligen Veröffentlichung allerdings den ein oder 29 NEUROWISSENSCHAFTLICHE EMOTIONSTHEORIEN – 2.2 PANKSEPP anderen Aspekt besonders. Daher an dieser Stelle einige Merkmale, die ihm zentral erscheinen, um Affekte und ihr Erleben als grundsätzlich verschieden von Kognitionen zu verstehen: – Für Affekte sind langsam feuernde neuronale Systeme und Neuropeptide entscheidend (Panksepp, 2003b). Diese Neuromodulatoren beeinflussen die Aktivität von Nervenzellen nicht nur lokal, sondern von wenigen Zellen ausgeschüttet, erstreckt sich ihr Wirkungsgrad auf viele andere, indem sie dort die Sensibilität gegenüber Transmittern beeinflussen. Über den Blutweg können sie in der Körperperipherie zudem hormonelle Funktionen haben (Birbaumer & Schmidt, 1999). Sinneswahrnehmungen und Kognitionen hingegen beruhen überwiegend auf schnell feuernden Neuronen und der Ausschüttung von Neurotransmittern (Panksepp, 1998). – Affekte sind aufgrund der zugrunde liegenden neurohumoralen Veränderungen untrennbar an einen Körper gebunden (engl: 'embodied'), sie sind organisch und analog, Kognitionen sind eher digitalen Berechnungen ähnlich und können daher auch auf einem Computer simuliert werden. (Panksepp, 2003b). – Affekte sind weitaus stärker mit einem Handlungsdrang verbunden als Kognitionen (Liotti & Panksepp, 2004; Panksepp, 2003a, 2005). Dass Panksepp in diesem Zusammenhang eher von Affekten als von Emotionen spricht, dürfte seinen Grund darin haben, dass der erste Begriff weiter gefasst ist und auch Tieren zugestanden wird. Der Ausdruck Basisemotionen als Ursprung für komplexere menschliche Emotionen wird von ihm weitestgehend synonym verwandt. 2.2.2 Funktion von Emotionen Auch zu der Funktion von Emotionen macht Panksepp eine Fülle von Angaben, am umfassendsten wird sein Ansatz wohl mit einem Abschnitt aus seinem Buch Affective Neuroscience: the foundations of human and animal emotions (1998) beschrieben, der - hier sinngemäß zusammengefasst und erläutert - auch gut die Abgrenzung zu Rolls' Auffassung (s. 2.1, S.21) erkennen lässt: Basisemotionen sind Reaktions- und Verhaltensprogramme, um zentralen Überlebenszwängen zu begegnen und helfen so dem Organismus, seine Gene an zukünftige Generationen weiterzugeben. Aus einem evolutionären Blickwinkel ist letztendlich alles Verhalten auf Überleben und Verbreiten des eigenen Gensatzes ausgerichtet, aber anders als etwa ein behaviouristischer Ansatz argumentieren würde, ist Lernfähigkeit nicht die einzige Gehirnfunktion, die sich zu diesem Zweck ausgebildet hat. Während generelle Lernmechanismen dem Organismus helfen, zukünftige Situationen aufgrund eigener Erfahrung zu meistern, helfen emotionale Schaltkreise, sich aufgrund der Haupt-Herausforderungen, die sich seinen Vorfahren stellten, adaptiv zu verhalten. Emotionen sind demnach das Ergebnis einer Art 'evolutionäres Lernen', dessen Resultat, nämlich vorgeprägte Verhaltenspotentiale, sich im Laufe der Entwicklungsgeschichte in bestimmten Gehirnstrukturen verfestigt hat (sinngemäß übersetzt aus Panksepp, 1998, S. 55). 30 NEUROWISSENSCHAFTLICHE EMOTIONSTHEORIEN – 2.2 PANKSEPP Weil Emotionen nicht auf einem allgemeinen Bewertungsmechanismus im Sinne von 'gut oder schlecht für das Wohlergehen' beruhen, sondern auf spezifischen Schaltkreisen mit jeweils typischen affektiven Zuständen, so lassen sich diese näher beschreiben. 2.2.3 Panksepps Basisemotions-Systeme Panksepp nimmt bisher folgende sieben Basisemotionen als angeboren an, bei deren Benennung er sich an den jeweils typischen Verhaltensreaktionen bzw. dem zugehörigen affektiven Zustand orientiert. Die Großschreibung des jeweiligen Namens soll dabei deutlich machen, dass es sich um ein Emotionssystem mit spezifischen Schaltkreisen und Neuromodulatoren handelt: • SEEKING: generelles motiviertes Suchen / Erwarten. Dieses System wird insbesondere mit dem Nucleus accumbens und dessen mesolimbischen dopaminergen Verbindungen assoziiert. Ein Tier zeigt aktives Such-Verhalten, wenn es stimuliert wird bzw. hat Verlangen nach weiterer Stimulation. Der Neurotransmitter Dopamin scheint allerdings vor allem bei der Antizipation einer Belohnung, weniger beim Erhalten derselben ausgeschüttet zu werden. Welcher Art die Belohnung ist (Nahrung, Wärme, Sexualkontakt etc.) ist dabei nicht wichtig, die Aktivität ist diesbezüglich unspezifisch. Panksepp betont, dass dieses System seiner Meinung nicht als reiner 'Belohnungs-Vorhersage-Mechanismus' zu verstehen ist, sondern über die (passive) Bestimmung eines Stimulusanreizes hinaus das Tier grundsätzlich motiviert, sich mit seiner Umwelt auseinanderzusetzen und exploratives Verhalten begründet (Panksepp, 2005). Gleichzeitig weist er auf die hedonische Qualität der Aktivität dieses Schaltkreises hin. • FEAR: Angst/Furcht. Als zentrale neuronale Struktur ist hier die Amygdala zu nennen. Zu den beiden von LeDoux beschriebenen Verbindungen vom Thalamus bzw. Cortex zur Amygdala (s.1.3.3 S.15) merkt Panksepp an, dass seiner Meinung nach die absteigenden Afferenzen der Amygdala zum Hirnstamm hauptsächlich Informationen über die Bedrohlichkeit von Reizen übermitteln, während die angsttypischen Verhaltensweisen (Flucht/ SichTotstellen) und Affekte selbst erst im Hirnstamm erzeugt werden (Panksepp, 2005). • RAGE: Zorn/Wut. Dieses System ähnelt in seinen Verbindungen den FEAR-Schaltkreisen, allerdings sind es andere Bereiche der Amygdala, die das PAG aktivieren und es wirken andere Neuromodulatoren. Für Einzelheiten siehe Tab. 2.2.1 (S.33). Auslöser für den Affekt kann alles sein, was (vermeintlich) das Wohlbefinden und die Handlungsfreiheit eines Organismus beeinträchtigt oder ihn um eine erwartete Belohnung bringt (Panksepp, 1998). • PANIC: Trennungsstress/-schmerz. Der aversive Zustand, den ein Junges erfährt, wenn es von einem Elternteil, insb. der Mutter getrennt wird, ist für Panksepp keine Sonderform der Angstreaktion, sondern beruht auf einem eigenständigen Emotionssystem, das auch die weitere Entwicklung über bestehen bleibt. Ein Beleg für diese Annahme liefern neben neuroanatomischen Unterschieden pharmakologische Studien, dass nämlich Opiate Tren- 31 NEUROWISSENSCHAFTLICHE EMOTIONSTHEORIEN – 2.2 PANKSEPP nungsstress, aber nicht Angst vermindern, wohingegen Benzodiazepine in erster Linie bei Angstzuständen und weniger bei Trennungsstress wirksam sind. • CARE: (mütterliche) Fürsorge und soziale Bindung. Neben Opiaten wirkt auch Oxytozin Trennungsstress entgegen (Panksepp & Harro, 2004). Oxytozin spielt zusammen mit Prolaktin über seine Funktion als Neuromodulator im Gehirn hinaus eine wichtige Rolle als Hormon bei der Aufzucht von Jungen: während Prolaktin für die Milchproduktion verantwortlich ist, regt Oxytozin den Milchausstoß in der Brust der Mutter an. Auf Seiten der Jungen ist Oxytozin für das Bindungsverhalten verantwortlich, bei Männchen reduziert es Aggressionen und fördert fürsorgliches Verhalten. Ähnliches wird für Prolaktin bei bestimmten Affenarten (Ziegler, 2000) sowie für menschliche Väter berichtet (Fleming et al., 2002). • PLAY: Miteinander Spielen bzw. 'Raufen' (engl.: rough-and-tumble play).Neben dem SEEKING-System ist der angeborene Drang zu spielen der zentrale Impuls, um sowohl sensorische und motorische als auch soziale Fähigkeiten zu entwickeln. Da selbst isoliert aufgewachsene Rattenjungen sofort anfangen, sich mit Artgenossen zu balgen, sobald sie die Möglichkeit dazu haben, hält Panksepp dieses System ebenfalls für angeboren (Panksepp, 1998). Darüber hinaus scheint beim Menschen vor allem der Emotionsausdruck des Lachens auf das PLAY-System zurückzuführen zu sein. • LUST: Sexualität. Bei diesem Emotionssystem gibt es klare Geschlechtsunterschiede: während bei männlichen Ratten das größere mediale präoptische Areal (POA) entscheidend zu sein scheint, ist es bei den Weibchen der ventromediale Kern des Hypothalamus (VMH) (Carlson, 2001). Panksepp betont einerseits den Unterschied zum Emotionssystem für soziale Bindungen (CARE, s.o.), weist aber darauf hin, dass beim männlichen Orgasmus vermehrt Oxytozin ausgeschüttet wird, das wiederum fürsorgliches Verhalten fördert (Panksepp, 1998) Die für das jeweilige Emotionssystem zentralen Gehirnregionen sowie Neuromodulatoren sind in Tab. 2.2.1 zusammenfassend aufgelistet, eine vereinfachte Darstellung in Abb. 2.2.2 (S.33). 32 NEUROWISSENSCHAFTLICHE EMOTIONSTHEORIEN – 2.2 PANKSEPP Tab. 2.2.1: Zentrale ZNS-Regionen und Neuromodulatoren der Basisemotionssysteme. ACh: Acetylcholin BNST: Bed Nucleus der Stria Terminalis; CCK: Choleocystokinin; CRF: Corticotrophin Releasing Factor DBI: Diazepam Binding Inhibitor; LH-RH: Luetinising Hormon Releasing Hormon; MSH: α-Melanocyte Stimulating Hormone; PAG: Periaquäduktales Grau; VTA: Ventrales Tegmentales Areal. Nach Panksepp (2001). Emotionssystem Schlüsselregionen Zentrale Neuromodulatoren (+: erregend; -: hemmend) SEEKING Nucleus Accumbens – VTA; mesolimbische und mesocortikale Outputs; lateraler Hypothalamus – PAG; Dopamin (+), Glutamat (+), Opioide (+), Neurotensin (+) FEAR Zentrale und laterale Amygdala zum medialen Hypothalamus und dorsalen PAG Glutamat (+), DBI, CRF, CCK, α-MSH, Neuropeptid Y RAGE mediale Amygdala bis BNST; medialer und perifornicaler Hypothalamus zum PAG ACh (+), Glutamat (+), Substanz P (+) PANIC anteriores Cingulum, BNST & präoptisches Areal; dorsomedialer Thalamus; dorsales PAG Glutamat (+), Opioide (-),CRF (+), Oxytozin (-), Prolactin (-), CARE anteriores Cingulum, BNST; präoptisches Areal, VTA, PAG Dopamin (+),Opioide (+/-), Oxytozin (+), Prolactin (+) PLAY dorsomediales Diencephalon; parafasciculäres Areal; dorsales PAG, Tectum Glutamat (+), Ach (+), Opioide (+/-), jeder Stoff, der negative Emotionen fördert, reduziert Spielverhalten LUST Cortico-mediale Amygdala, BNST; präoptischer und ventromedialer Hypothalamus; laterales und ventrales PAG Steroide (+), Vasopressin, Oxytozin, LH-RH, CCK Abb. 2.2.2: Beispiel für die Lage und Projektionen einiger der in Tab. 2.2.1 aufgeführten Emotionssysteme. Cingulate: Cingulum; PAG: Periaquäduktales Grau. Nach Panksepp (1998). Panksepp ist darüber hinaus bemüht, seine zum größten Teil an Versuchstieren gewonnenen Erkenntnisse für praktische Anwendungen im klinischen Kontext nutzbar zu machen. Am umfassendsten geschieht dies sicherlich in dem von ihm herausgegebenen Textbook of Biological Psychiatry (Panksepp, 2004), an dieser Stelle erfolgt nur eine Übersicht (s. Tab. 2.2.2) der Beziehung zwischen Basisemotionen, komplexeren menschlichen Emotionen und affektiven Störungen. 33 NEUROWISSENSCHAFTLICHE EMOTIONSTHEORIEN – 2.2 PANKSEPP Tab. 2.2.2: Basisemotionssysteme und daraus abgeleitete komplexe Emotionen und affektive Störungen. Nach Panksepp (2001). Emotionssystem Abgeleitete Emotion Affektive Störung SEEKING Interesse Frustration Verlangen (engl:. craving) obsessiv-kompulsiv paranoid schizophren Sucht FEAR Angst Sorge Psychisches Trauma Generalisierte Angststörung Phobien Posttraumatische Belastungsstörung RAGE Wut Reizbarkeit Verachtung, Hass Aggression psychopathische Tendenzen Persönlichkeitsstörungen PANIC Trennungsstress Trauer Schuld, Scham, Scheu, Peinlichkeit Panikattacken Depression Platzangst, Sozialphobie CARE Fürsorge Liebe Anziehung (engl.: attraction) Abhängigkeitsstörung autistische Distanziertheit Bindungsstörung PLAY Verspieltsein Freude, Fröhlichkeit Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom Manie LUST Erotische Gefühle Eifersucht Fetischismus, Sexsucht Wird eine Grundemotion zu einer affektiven Störung, ist zumeist mangelnde Kontrolle, insbesondere mangelnde Hemmung des jeweiligen Emotionssystem durch cortikale Strukturen dafür verantwortlich. 2.2.4 Welche Bedeutung haben Kognitionen und subjektives Erleben für eine Emotion? Bei der Lektüre von Panksepps Veröffentlichungen fällt dem Leser von Anfang an auf, wie vehement er für die Existenz von Gefühlen bei Tieren eintritt. Damit ist nicht ein komplexes menschliches Gefühlserleben, sondern eine primitivere Vorform, ein affektives Bewusstsein gemeint. Tiere, so Panksepp, haben nicht nur Angst oder Freude am Spielen, sie fühlen sich auch entsprechend. Dieser Standpunkt ist nicht als Eigenart oder private Meinung, begründet auf seiner praktischen Erfahrung mit Versuchstieren abzutun, sondern der zentrale Punkt von Panksepps Bewusstseinstheorie: Da affektive Regungen für das Überleben zentral waren, waren sie dem Organismus auch schon frühzeitig in der Entwicklungsgeschichte bewusst. Aus diesem primitiven Bewusstsein über den eigenen emotionalen Zustand und dem damit einhergehenden Verhaltensdrang entwickelte sich dann das eigentliche Bewusstsein beim Menschen, einschließlich seiner kognitiven Fähigkeiten (Panksepp, 2003b). Dabei unterscheidet Panksepp zwischen drei Stufen (Panksepp, 2005): • Primär-Prozess-Bewusstsein: unmittelbare Sinneseindrücke, auch gerade erlebte Emotionen. Für diese Bewusstseinsstufe sieht Panksepp eine Entsprechung zu Damasios Kernbewusstsein (Liotti & Panksepp, 2004; Panksepp, 2001). 34 NEUROWISSENSCHAFTLICHE EMOTIONSTHEORIEN – 2.2 PANKSEPP • Sekundäres Bewusstsein: Fähigkeit, Sinneseindrücke zu reflektieren oder neu zu bewerten, z.B., wie innere und äußere Erfahrungen zusammenhängen. Tiere sind dazu vermutlich auch in der Lage, allerdings weniger linguistisch, sondern eher in Wahrnehmungsbildern. • Tertiäre Formen des Bewusstseins: Gedanken über Gedanken, Bewusstheit (engl.: awareness) von Bewusstheit. Vermutlich nur dem Menschen vorbehalten, erfordert es ein ausgeprägtes neocortikales System, das linguistisch-symbolische Transformationen von Gedanken und Erinnerungen ermöglicht. Zusammenfassend ist zu sagen, dass Gefühle für Panksepp nicht die Folge eines kognitiven Systems, sondern Emotionen und deren Wahrnehmung an sich selbst der Ursprung des kognitiven Systems sind. Kognitionen können Emotionen auslösen, indem sie über Verbindungen des limbischen Systems die Strukturen der Grundemotionssysteme aktivieren. Während des Bestehens einer Emotion sind die cortikalen Strukturen dann eher deaktiviert, bis sie, etwa bei aktiver Unterdrückung einer Emotion, wieder ihren hemmenden Einfluss auf die Emotionssysteme ausüben (Liotti & Panksepp, 2004). Ist diese Fähigkeit zur Hemmung gestört oder unterentwickelt, ist eine affektive Störung die Folge (s. Tab. 2.2.2). 2.2.5 Klassifikation von Emotionen und die Bedeutung körperlicher Veränderungen Aus dem bisher geschilderten dürfte die Antwort auf die unter 1.4 (S.17) aufgeführten Fragen nach einer Klassifikation von Emotionen und dem Stellenwert körperlicher Begleiterscheinungen bereits deutlich geworden sein: Als Basisemotion gelten alle, für die sich ein distinkter neuronaler Schaltkreis mit spezifischen Neuromodulatoren identifizieren lässt. Komplexe Emotionen ergeben sich aus den Wechselwirkungen mehrerer Basisemotionen und/oder der Modifkation durch kognitive Anteile. Die Aktivität der Hirnstamm-Affektsysteme wiederum führt zu den entsprechenden körperlichen Veränderungen wie Anstieg des allgemeinen Erregungsniveaus sowie spezifischer Verhaltenstendenzen. Dabei ist festzuhalten, dass nach Panksepps Meinung die im Hirnstamm, insb. dem PAG angesiedelten Schaltkreise nicht lediglich die für eine Emotion charakteristischen motorischen Kommandos vermitteln, sondern auch das zugehörige Gefühl, weshalb er sie als 'action-feeling systems' (Liotti & Panksepp, 2004) bezeichnet. 2.2.6 Fazit Panksepp möchte mit seiner Theorie weit mehr, als nur die Entstehung von Emotionen erklären. Sie hat praktische Implikationen für die Psychiatrie und Psychopharmakologie, da ihr entsprechend dort vermehrt Neuropeptide zur Therapie eingesetzt werden sollten (Panksepp & Harro, 2004). Seine Bewusstseinstheorie, die das Affekterleben als Ausgangspunkt hat, verlangt nach anderen Untersuchungsstrategien als bisher in den Neurowissenschaften üblich, die nach Panksepps Meinung zu sehr auf cortikale Aktivität fokussieren (Liotti & Panksepp, 2004). Dies geht soweit, dass er scherzhaft vorschlägt, ein Buch mit dem Titel Affective Neuroscience of Cognitions als Antwort auf das von Lane & Nadel (2000) herausgegebene Werk Cognitive 35 NEUROWISSENSCHAFTLICHE EMOTIONSTHEORIEN – 2.2 PANKSEPP Neuroscience of Emotions zu schreiben (Panksepp, 2003b). Es ist zu vermuten, dass sich bei der Vielzahl seiner teils spekulativen Schlussfolgerungen einige als so nicht haltbar erweisen werden. Auf der anderen Seite sind es gerade seine konkreten Beschreibungen und Voraussagen, die für das Verständnis von Emotionen wertvolle Anregungen liefern. Dass er von klar unterscheidbaren Basisemotionen ausgeht, die jeweils mit spezifischen Handlungsmustern oder -tendenzen einhergehen, ist für die vorliegende Untersuchung von Vorteil und ermöglicht eine Anknüpfung an Studien, die die Rolle emotionsspezifischer Mimik beim Menschen betonen (z.B. Ekman, s. 3.4.1, S.59). 36 NEUROWISSENSCHAFTLICHE EMOTIONSTHEORIEN – 2.3 DAMASIO 2.3 Damasio Ausgangspunkt für Damasios Forschung zu Emotionen war die Beobachtung, dass ihm als Neurologe wiederholt Patienten begegneten, deren rationales Denkvermögen nach Gehirnläsionen zwar weiterhin intakt erschien, soweit es das Lösen abstrakter logischer Probleme betraf, die aber dennoch im Alltag sehr ungünstige und für sie nachteilige Entscheidungen trafen als auch durch ausgeprägte Entscheidungsschwierigkeiten auffielen. Damit einher ging die Unfähigkeit, Gefühle zu erleben oder an anderen zu erkennen. Damasio untersuchte daraufhin, welche Bedeutung emotionale Komponenten auch für scheinbar 'gefühlsneutrale' Phänomene haben. Seine Erkenntnisse veranlassten ihn dazu, die Trennung zwischen Verstand und Gefühl sowie Geist und Körper als falsch zu verwerfen und eine Bewusstseinstheorie zu entwickeln, die auf der Abbildung körperlicher Zustände und ihrer Veränderungen beruht. 2.3.1 Definition von Emotionen In einer allgemeinen Definition beschreibt Damasio Emotionen als "...specific and consistent collections of physiological responses triggered by certain brain systems when the organism represents certain objects or situations…" (Damasio, 2000b, S.15). Emotionen werden dabei nicht nur durch Objekte bzw. deren Repräsentation, sondern auch durch interne bioregulatorische Prozesse ausgelöst. Die so ausgelösten Reaktionen bezeichnet Damasio als Hintergrundemotionen. Sie treten weniger abrupt auf und machen sich nicht unmittelbar als Verhalten bemerkbar, denn ihr Ziel ist nicht die Skelettmuskulatur, sondern eher das interne Milieu und die Viszera. Triebe, Schmerz und Lust sind nach Damasio Auslöser oder Bestandteile von Emotionen, stellen selbst jedoch keine Emotion dar (Damasio, 2000a). 2.3.2 Funktion von Emotionen Emotionen und das Erleben von Emotionen sind für Damasio Ausdruck der Regulationsprozesse eines Organismus, wobei Organismus sich ausdrücklich auf den gesamten Körper und nicht etwa nur auf das Nervensystem bezieht. Er betont die Körperbezogenheit von Emotionen deshalb, da er - analog zum Fehlen einer evolutionären Komponente in der Psychologie des 20. Jahrhunderts - bei der aktuellen Hirnforschung die Gefahr einer Vernachlässigung der Homöostase-Funktion und der engen Verbindung des Gehirns mit dem übrigen Körper (engl.: embodiment) sieht (Damasio, 2001). Emotionen rufen nicht nur die für den auslösenden Reiz spezifische Verhaltensreaktion hervor, sie versetzen den Körper z.B. durch Hormonausschüttung auch in die Lage, die Reaktion auszuführen. Über den Fluchtimpuls hinaus sorgen sie beispielsweise gleichzeitig für eine erhöhte Blutzufuhr in den beteiligten Muskelgruppen (Damasio, 2000a). Neben neuroendokrinen Prozessen verändern sie zusätzlich die Arbeitsweise des Gehirns, indem etwa unspezifische Neurotransmitterkerne im Hirnstamm und basalen Vorderhin aktiviert werden, die ihre Stoffe wiederum in verschiedenen Regionen des Cortex und der Basalganglien ausschütten (Parvizi & Damasio, 2001). 37 NEUROWISSENSCHAFTLICHE EMOTIONSTHEORIEN – 2.3 DAMASIO 2.3.3 Neuroanatomische Grundlagen Eine gewisse Anzahl von Emotionen mit ihren jeweiligen Profilen körperlicher Veränderungen ist für Damasio neuronal vororganisiert, also angeboren. Zu diesen Primäremotionen zählt er Glück, Trauer, Wut, Angst und Ekel (Damasio, 1994), später auch Überraschung (Damasio, 2000a). 2.3.3.1 Auslösung von Primäremotionen Die auslösenden Regionen für die Primäremotionen sind laut Descartes' Error (Damasio, 1994) das anteriore Cingulum und die Amygdala, die durch bestimmte von den frühen sensorischen Cortices gemeldete Reizmuster erregt werden und ihrerseits folgende Bereiche aktivieren: • Kerne des Autonomen Nervensystems (ANS) und über periphere Nerven die Viszera, die in einen für die jeweilige Emotion typische Zustand versetzt wird. • die Skelettmuskulatur, die daraufhin die für die Emotion typische Körperhaltung und Mimik annimmt. • das endokrine und Neuropeptid-System, deren Ausschüttungen den Körper und das Gehirn beeinflussen. • unspezifische Neurotransmitterkerne im Hirnstamm und dem basalen Vorderhirn, die ihrerseits wiederum in verschiedene Regionen des Endhirns projizieren. Während die ersten drei Veränderungen zu einem emotionalen Körperzustand führen, beeinflusst die letzte die Arbeitsweise des Gehirns; ebenso wirken Hormon- und NeuropeptidAusschüttung nicht nur in der Körperperipherie, sondern auch auf das ZNS. Die körperlichen Veränderungen werden außerdem dem Gehirn zurückgemeldet. 2.3.3.2 Auslösung von Sekundäremotionen Die sekundären oder sozialen Emotionen, die nicht angeboren, sondern erlernt sind, nutzen die gleichen Schaltkreise wie die primären Emotionen, allerdings sind ihnen noch zwei Schritte vorgelagert: − Das auslösende Objekt wird nicht von frühen sensorischen Cortices, sondern von höheren Assoziationscortices repräsentiert. − diese Repräsentation aktiviert eine dispositionale Repräsentation aus dem präfrontalen Cortex (PFC), die beschreibt, welche Emotion mit dieser Art Objekt üblicherweise verknüpft ist, und erst diese dispositionale Repräsentation erregt das anteriore Cingulum und die Amygdala. Dabei scheint der ventromediale PFC scheint mehr auf bioregulatorische, der dorsolaterale PFC mehr auf externale Ereignisse und abstrakte Objekte anzusprechen (Damasio, 1994). Der präfrontale Cortex kann dispositionale Repräsentationen entwickeln, da ihm sowohl ein Abbild des wahrgenommenen Objektes als auch eines der ausgelösten körperlichen Veränderungen zur Verfügung stehen. Aufgrund mehrfachen gemeinsamen Auftretens einer Reizreprä- 38 NEUROWISSENSCHAFTLICHE EMOTIONSTHEORIEN – 2.3 DAMASIO sentation und eines bestimmten Körperzustands entwickelt sich eine Verknüpfung des Reizabbildes mit einem Körperzustand. Damasio bezeichnet die Verknüpfung beider Informationen als Konvergenzzonen, die im präfrontalen Cortex liegen. Dispositional sind diese Repräsentationen deshalb, weil sie als eine Art Klassifikationsregeln erst dann aktiviert werden, wenn ein entsprechendes Objekt (ein Reiz, eine Situation oder ein Gedanke) auftritt. In Ich fühle, also bin ich (Damasio, 2000a) werden ohne weitere Unterscheidung in primäre und sekundäre Emotionen als auslösende Regionen Strukturen des Hirnstamms (z.B. das PAG), des Hypothalamus, des basalen Vorderhirn sowie die Amygdala, der anteriore cinguläre und der ventromediale frontale Cortex zusammengefasst (s. Abb. 2.3.1). Abb. 2.3.1: Emotionsauslösende Hirnstrukturen bzw. -regionen. Nach Damasio (2000a). 2.3.4 Welche Rolle spielen die körperlichen Veränderungen? Ein Abbild des aktuellen Körperzustandes ist im Gehirn permanent vorhanden und wird fortlaufend aktualisiert. Die Repräsentation wird über mehrere Orte verteilt erzeugt, weshalb es sich um dynamische Karten und nicht etwa um eine Art statischer homunculus handelt. Beteiligt daran sind Hirnstamm-Kerne, der Hypothalamus und das basale Vorderhirn, dann der insuläre Cortex, S2 und die medialen parietalen Cortices hinter dem Splenium des Balkens, die alle Bestandteile der somatosensorischen Cortices sind (Parvizi & Damasio, 2001). Im Rahmen von Damasios Bewusstseinstheorie wird dieses Abbild auch als Proto-Selbst bezeichnet. Kann es nicht aufrecht erhalten werden, sind schwere Bewusstseinsstörungen die Folge. Löst nun ein Objekt (ein äußerer Reiz oder ein Gedanke) eine Emotion aus, so wird zum einen die Veränderung im Körperzustand registriert, aber auch das Abbild des Objektes selbst über Aktivität des basalen Vorderhirns, der Hirnstamm-Kerne sowie thalamocortikaler Modulation verstärkt. Die registrierten Veränderungen sind die somatischen Marker, die einer Wahrnehmung oder einer Idee ihre emotionale Bedeutung verleihen. Die Rückmeldung körperlicher Empfindungen sind damit für Damasio der zentrale Bestandteil einer Emotion, der gesamte Vorgang wird auch als Körperschleife bezeichnet. Die Tatsache, dass die Rückmeldung der Körperveränderungen unter Umständen auch direkt im Gehirn erzeugt werden kann, ohne wirklich stattgefunden zu haben, eine sog. Als-ob-Körperschleife, ändert nichts an seiner grundsätzlichen Auffassung, dass Emotionen ohne Körper nicht möglich wären, denn eine Als-ob- 39 NEUROWISSENSCHAFTLICHE EMOTIONSTHEORIEN – 2.3 DAMASIO Körperschleife kann nur dann Wirkung zeigen, wenn ihr wirkliche Körpererfahrungen vorausgingen. 2.3.5 Was ist mit der subjektiven Empfindung, dem Gefühl? Bis zu diesem Punkt wird die Emotion zwar als körperliche Veränderung gefühlt und hat auch schon Auswirkungen auf beispielsweise das Entscheidungsverhalten, sie muss aber noch nicht bewusst sein. Für die mentale Repräsentation einer Emotion verwendet Damasio den Ausdruck Gefühl, nur weist er darauf hin, dass es ein Unterschied ist, ein Gefühl zu haben (das ist unter 2.3.4 erläutert worden) oder ein Gefühl zu fühlen. War im ersten Fall ein äußerer Reiz oder ein Gedanke der Auslöser, so muss im zweiten Fall die mentale Repräsentation der körperlichen Veränderung zum auslösenden Objekt der Schleife werden. Anders ausgedrückt: in dem Moment, in dem ein Organismus erkennt, dass ein Reiz bei ihm eine Veränderung bewirkt hat, führt dies zu einer erneuten Änderung seines Körperzustands, die wieder rückgemeldet und gegebenenfalls bewusst wird, und damit fühlt er ein Gefühl. Damasio macht damit klar, dass Menschen unbewusst Gefühlte haben können (s. Damasio, 2000, Beginn des zweiten Kapitels). 2.3.6 Welche Bedeutung haben Kognitionen für eine Emotion? Kognitionen können eine Emotion auslösen, indem sie über ihre Verknüpfung mit einer dispositionalen Repräsentation im präfrontalen Cortex eine Änderung des im Gehirn abgebildeten Körperzustands bewirken. Dieser Ansatz betont gerade, dass, da der momentane Körperzustand ständig repräsentiert und angepasst wird, der Großteil der Gedanken und Vorstellungen mit einem mehr oder weniger starken affektiven Wert versehen ist, auch wenn dieses emotionale Label zumeist nicht bewusst wahrgenommen wird. Seine Präsenz wird erst dann deutlich, sobald es aufgrund von Gehirnläsionen nicht mehr verfügbar ist und zu offensichtlich 'unvernünftigen' Entscheidungen führt. Ob eine Kognition bewusst als emotional erlebt wird, hängt davon ab, wie stark die von ihr ausgelöste körperliche Veränderung ist und der Tatsache 'Gedanke löste körperliche Veränderung aus' Aufmerksamkeit geschenkt wird. 2.3.7 Wie lassen sich Emotionen klassifizieren? Damasio nimmt die Emotionen Glück, Trauer, Wut, Angst, Ekel und Überraschung als primär an (Damasio, 2000a). Diese Auswahl begründet er nicht weiter, genauso wenig wie die Tatsache, dass Überraschung in der Auflistung zunächst nicht enthalten war (s. 2.3.3). Die übrigen Emotionen wie Stolz oder Scham sind sekundär und kommen im Laufe individuellen Entwicklung hinzu, wobei er in einer Anmerkung einräumt, dass sie ebenfalls in einem gewissen Umfang biologisch angelegt sind (Damasio, 2000a, 2. Kap., Anmerkung 13). Als dritte Gruppe sind die Hintergrundemotionen zu nennen, die durch innere Regulationsprozesse ausgelöst werden und in ihrer Wirkung ebenfalls hauptsächlich auf das innere Milieu gerichtet sind. Beispiele sind Angespanntheit oder Mutlosigkeit, von Stimmungen lassen sie 40 NEUROWISSENSCHAFTLICHE EMOTIONSTHEORIEN – 2.4 DISKUSSION sich durch ihre kürzere Dauer abgrenzen. Die entsprechenden Körperrepräsentationen, die etwa die Intero- und Propriozeption betreffen, sind weniger dynamisch als die der primären oder sekundären Emotionen. Damasio glaubt, dass Hintergrundemotionen der evolutionäre Vorläufer von primären und sekundären Emotionen waren (Damasio, 2000a, 2. Kap. Anmerkung 11). 2.3.8 Fazit Wie insbesondere in den letzten beiden Abschnitten deutlich wurde, geht es Damasio weniger darum, Emotionen zu klassifizieren, sondern darzustellen, wie sehr die ihnen zugrunde liegenden Prozesse Erleben und Verhalten generell beeinflussen. Auslöser ist immer eine im Gehirn registrierte Veränderung des Körperzustandes, die im Falle einer Als-ob-Körperschleife nicht einmal tatsächlich stattgefunden haben muss und deren Auswirkung längst nicht auf Affekte beschränkt ist. Ohne ein ständig aktualisiertes Abbild des Körperzustands, das Proto-Selbst, gäbe es keines der genannten Phänomene. Die Kernaussagen seiner Forschung betreffen insgesamt also eher eine Bewusstseins- als eine Emotionstheorie. Emotionen mit ihrer Nähe zu Trieben und ihrem Körperbezug sind in diesem Zusammenhang womöglich in erster Linie als Gegenstück zu abstrakten und 'körperlosen' Kognitionen zu sehen. Sie dienten Damasio als Ausgangspunkt, um zu belegen, wie sehr auch höhere Denkprozesse oder Konstrukte wie Gewissen an einen Körper und seine Regulationsprozesse gebunden sind. Gerade dieser Verwendung des Emotionsbegriffs dürfte es allerdings zu verdanken sein, dass Damasios Ansatz der bekannteste der neueren Emotionstheorien ist und die Aufmerksamkeit anderer Disziplinen wie Ökonomie (Bechara & Damasio, 2005) auf neurowissenschaftliche Forschung zu Emotionen gelenkt hat. 2.4 Diskussion Die bisher geschilderten Theorien erklären Emotionen als Ergebnis physiologischer Prozesse im Köper, insbesondere dem Gehirn. Den kompaktesten Ansatz hat Rolls, der als Grundlage allen emotionalen und motiviationalen Verhaltens die Amygdala und den orbitofrontalen Cortex annimmt, die den Verstärkerwert von Reizen und Verhaltenszielen codieren. Ein solch reduktionistischer Ansatz, bei dem allen Objekten ein Wert zugewiesen wird, der dann das Verhalten bestimmt, hat sicherlich den Vorteil, dass man ihn gut am Computer simulieren kann. Nach dem Prinzip, dass das Ergebnis eines Erregungsmusters ein Wert ist, der dann auf die beteiligten Neurone aufgeteilt wird, was zu einer Modifikation des zugrunde liegenden Netzes führt, arbeiten neuronale Netze in der Informatik. Nicht umsonst findet sich in Emotion Explained (Rolls, 2005) ein langer Anhang zu neuronalen Netzen und Rolls ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zu diesem Thema, z.B. Neural Networks and Brain Function (Rolls & Treves, 1998). Was sich damit allerdings weniger gut darstellen lässt, ist die Wirkung von Neuropeptiden und -hormonen, die, von wenigen Zellen in den Extrazellulärraum ausgeschüttet, die Arbeitsweise des Gehirns global beeinflussen. Ihre Bedeutung für Emotionen wird bei Rolls wenig berücksichtigt. 41 NEUROWISSENSCHAFTLICHE EMOTIONSTHEORIEN – 2.4 DISKUSSION Die Tatsache, dass emotionale Signale nicht nur durch Nervenzellen, sondern auch humoral vermittelt werden, führt Damasio an, um zu erklären, wieso Querschnittsgelähmte, deren neuronale Verbindungen zur Körperperipherie unterbrochen sind, dennoch Emotionen haben können, was sie aufgrund der 'klassischen' James-Lange-Theorie, die ausschließlich auf peripherem Feedback beruht, nicht können dürften. Auf diese und andere Erweiterungen der James-Lange-Annahme durch Damasio (2000, insb. 9. Kap) geht Rolls wenig ein, sondern beschreibt Damasios Annahme der somatischen Marker als eine "abgeschwächte Version der James-Lange-Theorie der Emotionen aus dem 19. Jahrhundert" (Rolls, 2005, S.28). Seine Kritik betreffen unter anderem die Ineffizienz der Integration einer körperlichen Rückmeldung bei der Informationsverarbeitung (Rolls, 2005, S.29) sowie die Tatsache, dass Damasios Modell, das die Einbeziehung des Körpers für unverzichtbar hält, nicht auf einem Computer implementiert werden könne (Rolls, 2005, S.424). An Panksepps Ansatz, der als zentralen Aspekt von Emotionen einen jeweils spezifischen Handlungsimpuls annimmt, der vor allem über HirnstammSysteme vermittelt wird, stört Rolls, dass es unökonomisch sei, in Genen spezifische Verhaltensweisen zu codieren (Rolls, 2005, S.30), also ebenfalls ein eher informationstheoretisches Argument. Bewusstsein und das bewusste Erleben von Emotionen beruhen nach ihm auf einem linguistischen System, in dem Pläne entworfen werden und das in der Lage ist, über seine eigenen Pläne nachzudenken: "It is suggested that it feels like something to be an organism or machine that can think about its own (syntactic and semantically grounded) thoughts." (Rolls, 2005, s. 423). Insgesamt entsteht der Eindruck, dass Rolls zugunsten einer stringenten und vollständig formalisierbaren Theorie, die er zugegebenermaßen bis hin zu Einzellzellableitungen belegt, die Vielschichtigkeit von Emotionen stark reduziert, wenn er als einziges Kriterium den Verstärkerwert gelten lässt und dabei auch die Existenz verschiedener Basisemotionen ablehnt. Überspitzt könnte man sagen, Rolls' Ansatz wirkt teilweise etwas emotionslos. Panksepp und Damasio stehen sich inhaltlich näher: Beide betonen die Bedeutung von Neuromodulatoren und phyologenetisch alten Strukturen wie dem Hirnstamm, den sie als Grundlage menschlichen Bewusstseins ansehen (Damasio, 2000a; Panksepp, 2000, 2005) sowie der Rolle subcortikaler Schaltkreise beim bewussten Emotionserleben (Damasio et al., 2000; Liotti & Panksepp, 2004). Fühlen ist für beide keine spät in der Entwicklung hinzugekommene Erweiterung, sondern zentraler Bestandteil. Damasio legt seinen Schwerpunkt dabei auf eine Bewusstseintheorie und den Einfluss von Emotionen auf das Entscheidungsverhalten, wobei für ihn die Repräsentation des aktuellen Körperzustands die Grundlage aller Prozesse bildet. Für Panksepp hingegen ist das Fühlen eines Affekts die Grundlage des menschlichen Bewusstseins, und er spricht auch Tieren eine Vorstufe von Gefühlen zu, ein affektives Bewusstsein. Damasios Emotionsbegriff ist ihm zu passiv, entscheidend ist der Handlungsimpuls und der damit verbundene affektive Zustand des Organismus, nicht allein die Rückmeldung körperlicher Vorgänge. Panksepp betont, Emotionen seien nicht bloß eine Variante sensori- 42 NEUROWISSENSCHAFTLICHE EMOTIONSTHEORIEN – 2.4 DISKUSSION scher Qualitäten wie Geschmack oder Wahrnehmung der Farbe 'rot', sondern hätten im Unterschied dazu einen energetisierenden Aspekt, der umfassende Aktivierung des ZNS und eine Verhaltensintention beinhaltet (Panksepp, 2003a). Dementsprechend sind die HirnstammSysteme nicht lediglich für die Ausführung emotionaler Verhaltensreaktionen verantwortlich, sondern Initiatoren sämtlicher mit einer Emotion einhergehenden Veränderungen. Diesen Schaltkreisen hat Panksepp ein Großteil seiner Forschung gewidmet und sich um eine differenzierte Beschreibung sowie Zuordnung zu einzelnen Grundemotionen bemüht. Damasio nimmt seine Basisemotionen ohne weitere Begründung als gegeben an, Panksepp beschreibt detailliert, welche Neuronengruppen und Neuromodulatoren dafür verantwortlich sind (Panksepp, 2001). Seiner Meinung nach nutzen soziale Emotionen wie Trennungsstress oder Spieltrieb nicht die selben Schaltkreise wie Angst oder Wut, sondern beruhen auf eigenen Systemen im Hirnstamm (Panksepp, 2003a). Auch wenn der Großteil seiner Erkenntnisse an Tieren gewonnen ist und ihre Gültigkeit für den Menschen teilweise noch belegt werden muss, so stellt Panksepps Ansatz eine umfassende Erweiterung gerade für die Bereiche dar, in denen Damasio aufgrund seines Schwerpunktes 'Bewusstsein' etwas undifferenziert bleibt. 43 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.1 GENERELLE MERKMALE VON APPRAISAL-THEORIEN 3 Psychologische Emotionstheorien Erklärungsansätze zum Wesen und Bedeutung der Emotion bietet die Psychologie zahlreiche. So führt das Handbuch Emotionspsychologie (Otto et al., 2000) unter dem Abschnitt 'Emotionstheorien' allein zehn Kapitel auf, in denen unter einer Überschrift jeweils mehrere inhaltlich verwandte Konzepte zusammengefasst besprochen werden. Angesichts dieser Vielfalt muss für die vorliegende Arbeit eine Auswahl getroffen werden. Es kommen nur Ansätze in Frage, die einen spezifischen Bezug zu physiologischen Variablen vornehmen und deren zentrale Aussagen sich mit denen neurowissenschaftlicher Emotionstheorien in Verbindung setzen lassen, gleichzeitig aber über deren Erkenntnisse hinausgehen. Zahlreiche Postulate evolutionspsychologischer Emotionstheorien (z.B. Plutchik3) sind etwa in den Theorien von Rolls oder Panksepp ebenfalls zu finden, dort allerdings durch detaillierte neuroanatomische Befunde untermauert. Macht man diese Einschränkung, sind es vor allem Einschätzungs-/ Bewertungstheorien (engl.: appraisal), die hier in Frage kommen. Ansätze zu emotionsspezifischer Mimik, Aktivität des autonomen Nervensystems und damit einhergehenden peripherphysiologischen Veränderungen werden in einem eigenen Kapitel (3.4, S.58) erläutert. 3.1 Generelle Merkmale von Appraisal-Theorien Die gemeinsame Annahme aller Einschätzungs-/Bewertungs-/Appraisal-Theorien ist, dass die kognitive Bewertung einer Situation oder eines Reizes für eine Emotion entscheidend ist. 'Kognitiv' muß dabei nicht 'bewusst' bedeuten, sondern meint je nach Autor nahezu jede Form der Informationsverarbeitung. Ebenso wird 'Bewertung' unterschiedlich verwendet, als allgemeine Eingrenzung lässt sich vielleicht zunächst 'bezüglich der Zielförderlichkeit' ergänzen. Recht kompakt stellen Oatley und Johnson-Laird (1987) dar, wie sich dieses Prinzip zur Erklärung von Emotionen anwenden lässt. 3.1.1 Der Ansatz von Oatley & Johnson-Laird Oatley und Johnson-Laird nehmen das menschliche kognitive System als modular organisiert an, wobei jedes Modul eine eigenständige 'Verarbeitungseinheit' darstellt, die, einmal aktiviert, ein bestimmtes Ziel verfolgt und zu seiner Erreichung Pläne entwickelt bzw. abarbeitet. Da zumeist mehrere kognitive Module aktiv sind, werden gleichzeitig auch mehrere Ziele verfolgt. In sehr deutlicher Anlehnung an Computer- und Betriebssystemarchitektur nehmen die Autoren eine Prozesshierarchie an, in der Emotionen eine Möglichkeit darstellen, bei Bedarf Prozesse zu aktivieren oder zu deaktivieren. Sie treten dann auf, wenn sich die Erfolgswahrscheinlichkeit eines bestimmten Planes ändert oder ein entscheidender Moment (engl.: juncture) in der Planabarbeitung erreicht ist, was ggf. eine Plananpassung erfordert (Oatley & Johnson-Laird, 1987). 3 für eine Zusammenfassung s. Meyer et al. (1997) 44 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.2 LAZARUS Emotionen haben demnach innerpsychisch die Funktion, die multiplen Ziele einer Person angesichts beschränkter Ressourcen zu koordinieren. Sie werden nach außen kommuniziert, um anderen Personen Wendepunkte in gemeinsamen oder voneinander abhängigen Plänen mitzuteilen. Fünf Emotionen werden dabei von den Autoren als grundlegend angenommen, aus denen sich im Zusammenspiel mit einem sozialen Umfeld komplexere Emotionen ergeben. Tab. 3.1.1 listet die Auslöser dieser Emotionen, ihre Auswirkungen auf die Zielverfolgung sowie aus ihnen abgeleitete soziale Emotionen auf. Tab. 3.1.1: Basisemotionen, ihre Auslöser, ihre Auswirkungen auf die Zielverfolgung und aus ihnen abgeleitete soziale Emotionen bei Kleinkindern und Erwachsenen. Nach Oatley & Johnson-Laird (1987). Wendepunkt im Plan Zustand, in den gewechselt wird. soziale Emotion bei Kleinkindern soziale Emotion bei Erwachsenen Unterziele sind erreicht mit Plan weitermachen, ggf. modifizieren Zuneigung (engl.: attachment) sexuelle Liebe, Vergnügen Traurigkeit Versagen eines größeren Plans oder Verlust eines aktiven Ziels mache nichts / suche neuen Plan Verlust Depression, Enttäuschung Angst Selbsterhaltungsziel bedroht stoppen, Umwelt beobachten bzw. fliehen Trennungsangst Peinlichkeit, Horror Wut Aktiver Plan wird behindert Stärker versuchen / zeige Aggression Wut Rachsucht, Bitterkeit Ekel Gustatorisches Ziel verletzt Substanz zurückweisen bzw. sich zurückziehen Ekel Mißfallen, Abscheu Basisemotion Euphorisch Freude Dysphorisch Auch wenn Tab. 3.1.1 durchaus Entsprechungen zu Panksepps Basisemotionssystemen erkennen lässt (vgl. Tab. 2.2.2 S.34), so sind die Beschreibungen doch sehr allgemein und es entsteht - verstärkt durch die technische Sprache - der Eindruck, dass hier mit einiger Mühe Emotionen in ein kognitives Modell eingearbeitet werden sollen, das sich fast stärker am Computer als am Menschen orientiert, etwa wenn Traurigkeit als 'Verlust eines aktiven Ziels' beschrieben wird. Der Entwurf von Oatley & Johnson-Laird läßt allerdings die Grundzüge kognitiv orientierter Ansätze gut erkennen, die von den folgenden Autoren zu umfassenderen Emotionstheorien ausgearbeitet wurden. 3.2 Lazarus Neben Magda B. Arnold prägte vor allem Richard S. Lazarus den Begriff des 'appraisal' als Auslöser einer Emotion (Reisenzein, 2000). Befasste er sich zunächst in erster Linie mit der Stressbewältigung (engl.: coping), so erweiterte er seinen Ansatz später auf Emotionen allgemein, um 'Stress' umfassender erklären zu können. Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass objektiv identische Situationen von verschiedenen Personen völlig unterschiedlich erlebt wurden und dementsprechend zu unterschiedlichen Emotionen bzw. Stressniveaus führte 45 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.2 LAZARUS (Lazarus, 1991). Lazarus schloss daraus, dass das Entscheidende nicht die Situation selbst, sondern ihre subjektive Bewertung ist. Diese vollzieht sich in zwei Prozessen: In der primären Bewertung wird ein Ereignis bezüglich der grundsätzlichen Bedeutung für das eigene Wohlbefinden beurteilt, in der sekundären Bewertung werden die individuellen Bewältigungsmöglichkeiten mit herangezogen. Da Stress in engem Zusammenhang mit negativen Emotionen steht, bilden diese beiden Bewertungsabläufe auch den Kern seiner Emotionstheorie, wofür sie allerdings weiter differenziert wurden: Primäre Bewertung: 1. Zielrelevanz: Ist ein Ereignis für persönliche Ziele relevant? Nur persönlich relevante Ereignisse führen zu einer Emotion 2. Zielkongruenz oder -inkongruenz: Ist ein Ereignis den persönlichen Zielen förderlich oder hinderlich? Ersteres führt zu positiven, letzteres zu negativen Emotionen. 3. Art der Ich-Beteiligung: Welche Aspekte der Ich-Identität sind betroffen? Lazarus gibt folgende Beispiele (1991, S. 102): − Selbstwertgefühl/soziales Ansehen; moralische Werte − Ich-Ideale − Sinnfragen (engl.: meanings), Ideen − andere Personen und ihr Wohlbefinden − Lebensziele Sekundäre Bewertung: 4. Verursachung: Wer hat das Ereignis zu verantworten? Bei einem zielinkongruenten Ereignis wird Schuld zugewiesen, bei einem kongruentem Ereignis Anerkennung. 5. Bewältigungspotential: Kann die Person ihrer Einschätzung nach das Ereignis bewältigen? 6. Zukunftserwartung: Werden sich die Dinge zum Guten oder zum Schlechten wenden? Den Ablauf der primären Bewertung haben Oatley und Jenkins (1996) als Entscheidungsbaum mit einigen typischen Emotionen veranschaulicht (s. Abb. 3.2.1). 46 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.2 LAZARUS Abb. 3.2.1: Ablauf der primären Bewertung von Lazarus (1991) als Entscheidungsbaum mit beispielhaften Emotionen. Nach Oatley & Jenkins (1996). Damit jedoch nicht der Eindruck entsteht, es handele sich um reine Bewertungsstufen, die der Reihe nach abgearbeitet werden bzw. auch von außen abgefragt werden könnten und dann zu einem endgültigen 'Ergebnis', der jeweiligen Emotion, führen, sind folgende Erweiterungen zu berücksichtigen: • Lazarus bezeichnet seine Theorie ausdrücklich als eine Systemtheorie, in der es vorher feststehende (antezedente) Variablen, vermittelnde Prozesse und Ergebnisvariablen gibt, die alle voneinander abhängig sind. Während Persönlichkeitseigenschaften beispielsweise antezendente Variablen darstellen, sind Bewertung und Bewältigung(spotential) gerade nicht vorher festgelegt, sondern vermittelnde Prozesse. Darüber hinaus erfolgt die Bewertung kontinuierlich - eine einmal entstandene Emotion wird Teil des weiteren Bewertungsprozesses und kann so sein Ergebnis verändern. Die Tatsache, dass ähnliche Situationen bei der gleichen Person ähnliche Emotionen auslöst, ist das Struktur-Prinzip, die Veränderlichkeit einer emotionalen Reaktion das Prozess-Prinzip. Bei jeder Emotion kommen beide Prinzipien zum Tragen. Analog ist die Bewertung ebenfalls nicht lediglich Ursache, sondern auch Bestandteil einer Emotion (Reisenzein et al., 2003). • bewertet werden nicht äußere Reize losgelöst von einer Person, sondern stets PersonUmwelt-Beziehungen, weshalb Lazarus den Begriff der relationalen Bedeutung verwendet. Anstelle von 'Ereignis' hätte in der Auflistung zu Beginn von 3.2 treffender 'Person-UmweltInteraktion' stehen müssen, worauf zugunsten der Verständlichkeit aber verzichtet wurde. Die Wichtigkeit der zweiten Erweiterung, der relationalen Bedeutung wird bereits in Lazarus' Definition von Emotionen deutlich. 47 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.2 LAZARUS 3.2.1 Definition und Funktion von Emotionen In Emotion and adaptation (1991) nennt Lazarus eine eigene Definition von Emotionen, die das bisher Gesagte aufgreift: "Emotions are organized psychophysiological reactions to news about ongoing relationships with the environment. "News" is colloquial for knowledge or beliefs about the significance for personal well-being of the person-environment relationship. The quality (e.g. anger versus fear) and intensity (degree of mobilization or motorphysiological change) of the emotional reaction depends on subjective evaluations – I call these cognitive appraisals – of this knowledge about how we are doing with respect to our goals in the short- and long-run, and on the action tendency that points to the terms of the relationship. This significance depends on the interplay of a person's goals and beliefs and a provocative environmental context. Emotions are, in effect, organized cognitive-motivational-relational configurations whose status changes with changes in the person-environment relationship as this is perceived and evaluated (appraised). "(Lazarus, 1991, S.38). Seine Emotionstheorie bezeichnet er ebenfalls als 'kognitiv-motivational-relational', um deutlich zu machen, dass Auslöser einer Emotion stets eine subjektiv vorgenommene Bewertung einer Person-Umwelt-Beziehung ist, die Auswirkungen auf die Motivation dieser Person hat. 'Motivation' hat dabei für Lazarus zwei Aspekte: Zum einen relativ stabile Eigenschaften im Sinne von 'Motiven', in denen sich eine etablierte Wert- und Zielhierarchie ausdrückt. Diese Motive entstehen im Laufe der individuellen Entwicklung und gehen letztendlich auf Sinneserfahrungen wie Schmerz oder Genuss zurück. Zum anderen meint Motivation die Mobilisierung geistiger und körperlicher Ressourcen, um in einer konkreten Situation etwas zu erreichen oder zu verhindern. Während der erste Aspekt eine der vor der emotionalen Reaktion bereits feststehenden antezendenten Variablen ist, beschreibt die zweite Bedeutung einen Teil des Reaktionsprozesses. Die Möglichkeit, auf Anforderungen der Umwelt-Person-Beziehung angemessen schnell und flexibel, reagieren zu können, ist für Lazarus die Hauptfunktion von Emotionen (Reisenzein et al., 2003). 3.2.2 Welche Rolle spielen die körperlichen Veränderungen? Die körperlichen Veränderungen ergeben sich aus der primären Bewertung und werden damit Bestandteil der emotionalen Reaktion. Lazarus spricht wie Damasio (s. 2.3.2, S.37) vom embodiment einer Emotion und sagt klar, dass die körperlichen Reaktionen ein definierendes Merkmal von Emotionen sind (Lazarus, 1991, S.58f.). Die Idee spezifischer physiologischer Reaktionsmuster für einzelne Emotionen ist seiner Meinung nach durchaus nützlich, allerdings weist er auf zwei methodische Probleme bei ihrer Erfassung hin: − jede emotionale Episode beinhaltet mehr als nur eine Emotion, oft blenden mehrere ineinander über. − so lange es keine klare Vorstellung gibt, welche Handlungsimpulse und kognitive Einschätzungen während einer Emotion stattfinden, ist auch nicht klar, was die physiologischen Veränderungen, die man misst, zu bedeuten haben. 48 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.2 LAZARUS Der zweite Einwand deutet die Beantwortung der Frage nach der Bedeutung von bewussten Vorstellungen für eine Emotion schon an. 3.2.3 Welche Bedeutung haben Kognitionen und subjektives Erleben für eine Emotion? Bewertungen sind für Lazarus hinreichend und notwendig für eine Emotion. Um dem Namen seiner Theorie gerecht zu werden, weitet er den Begriff der Kognition allerdings sehr stark aus und fasst auch sämtliche subcortikalen Prozesse darunter, wie etwa die von LeDoux geschilderte 'schnelle Route' der Reizverarbeitung bei einer Angstreaktion (s. 1.3.3, S.15), so lange es sich nicht um angeborene Reflexe handelt (Lazarus, 1991). Die entsprechende primäre Bewertung legt die motivationale Bedeutsamkeit einer Situation fest und ist für die physiologische Veränderungen verantwortlich, die sekundäre für positive oder negative Gefühle. Welche Bedeutung er der subjektiven Empfindung beimisst, wird deutlich, wenn er mutmaßt, dass eine detaillierte Analyse der Selbstberichte womöglich besser dazu geeignet ist, Emotionen voneinander zu unterscheiden als die Methoden der Hirnforschung (Lazarus, 1991, S.436). 3.2.4 Wie lassen sich Emotionen klassifizieren? Lazarus behandelt Emotionen als Kategorien, wobei jede Emotionsgruppe ein gemeinsames core relational theme sowie einen typischen Handlungsimpuls aufweisen sollte. Das core relational theme wiederum ist auf ein jeweils typisches primäres und sekundäres Bewertungsmuster zurückzuführen. Tab. 3.2.1 gibt eine Übersicht über einzelne Emotionen und zugehörige core relational themes, eine umfangreichere Auflistung findet sich auch in Mitmannsgruber (2003). Tab. 3.2.1: Auswahl von Emotionen, ihrem core relational theme und dem zugehörigen Handlungsimpuls nach Lazarus (1991). Emotion core relational theme Handlungsimpuls Wut Ein herabsetzender Angriff auf mich und die Meinen attackieren Furcht einer unmittelbaren, konkreten und überwältigenden physischen Gefahr ausgesetzt sein fliehen Angst unsicherer existentieller Bedrohung ausgesetzt sein irgendwie entrinnen Trauer Einen unwiderrufbaren Verlust erfahren haben sich zurückziehen Ekel Ein ungenießbares Objekt oder eine ungenießbare Idee (metaphorisch) aufnehmen oder zu nahe sein sich übergeben bzw. Kontakt vermeiden Freude Merklichen Fortschritt zur Realisierung eines Zieles machen anderen mitteilen Stolz Erhöhung der Ich-Identität, indem man sich eine eigene Leistung oder die eines Gruppenmitglieds anrechnet. andere auf den Anlass aufmerksam machen Liebe Sehnsucht nach oder Erleben von Zuneigung, gewöhnlich aber nicht zwingend reziprok körperliche Nähe des Anderen suchen 49 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.2 LAZARUS Trotz der Verknüpfung einer Emotion mit einem Handlungsimpuls lehnt Lazarus 1991 die Annahme neuronal verankerter 'Affektprogramme' wie etwa Panksepp sie macht (s. 2.2.3, S.31) jedoch ab, für ihn ist beim Menschen jede Komponente eines solchen Programms flexibel. Die Tatsache, dass bestimmte Situationen typischerweise zu bestimmten Handlungsimpulsen führe, liege am core relational theme, das die entsprechende Handlung impliziere, bedeute aber noch nicht, dass der Impuls auch 'hard-wired' sein müsse. In Scherer et al., (2001) drückt Lazarus seinen Standpunkt so aus: "I am suggesting that an unknown combination of biology and human experience results in universal (across cultures) or built-in connections the human mind identifies between each emotion and the relational meaning on which it depends." (Lazarus, 2001), und legt so nahe, dass er zumindest für die Identifizierung emotionsauslösender Umstände spezifische vorangelegte Schaltkreise nicht mehr ausschließt, was als Annäherung an einen Basisemotions-Ansatz verstanden werden kann (Zentner & Scherer, 2000). Über die feste Kopplung mit einem spezifischen Reaktionsmuster ist damit allerdings noch nichts ausgesagt. Ob ein Affektprogramm bei Tieren zudem überhaupt den gleichen Emotionsnamen verdiene wie beim Menschen, sei grundsätzlich schlecht zu klären, bei Ratten werde beispielsweise zutreffender von 'Aggression' als von 'Wut' gesprochen (Lazarus, 1991). Neben der Aufteilung in bestimmte Gruppen hält Lazarus noch die Dimension 'Intensität' zur Bewertung einer Emotion für nützlich. 3.2.5 Fazit Lazarus war mit seinen frühen Arbeiten zu Stress, z.B. Psychological stress and the coping process (Lazarus, 1966) daran beteiligt, den Behaviorismus als vorherrschende Denkrichtung der Psychologie abzulösen und subjektive Bewertung und Vorstellungen wieder in das Zentrum psychologischer Forschung zu stellen. Mit Fokus auf diesen Aspekt versucht er, Emotionen zu erklären, wobei insbesondere sein Anspruch, es seien stets kognitive Bewertungen, die eine Emotionen auslösen, nicht immer überzeugt. So erwähnt er zu Beginn seines Buches das Erlebnis eines Kollegen, der aus gesundheitlichen Gründen seine Herzrate kontinuierlich überwachen musste und dabei feststellte, dass er in den Fakultätssitzungen seines Instituts starke Erregung zeigte, obwohl er der Überzeugung war, dieser Situation in erster Linie zynisch distanziert gegenüberzustehen. Hier sind bewusste kognitive Bewertung und unbewusste Einschätzung offensichtlich im Widerspruch und es ist zu fragen, ob es nicht besser wäre, für beide unterschiedliche Begriffe zu wählen, zumal sich inzwischen zeigt, dass in vielen Fällen auch unterschiedliche Hirnregionen beteiligt sind (LeDoux, 1998). Lazarus macht dies nicht, womöglich um zu vermeiden, dass Kognition, Motivation und Emotion als getrennte Phänomene betrachtet werden, da seiner Meinung nach alle miteinander untrennbar verbunden sind, eine Sichtweise, die auch in den neurowissenschaftlichen Ansätzen, etwa von Damasio, propagiert wird. Wiederholt wehrt sich Lazarus allerdings dagegen, emotionale Prozesse auf neurophysiologische Veränderungen zu reduzieren, da letztere Emotionen lediglich auf einer niedrigeren Ana- 50 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.3 SCHERER lysestufe beschreiben können bzw. ohne Verknüpfung mit den entsprechenden psychischen Phänomenen nichts weiter als "Anatomie" (Lazarus, 1991, S. 187) seien. Insgesamt bespricht er die im Jahre 1991 verfügbaren Erkenntnisse der Neurowissenschaft (etwa von Panksepp und LeDoux) jedoch ausgesprochen fair und der Leser hat den Eindruck, dass er in erster Linie verhindern möchte, dass die Komplexität menschlicher Emotionen, für die er eine Fülle von Beispielen zusammengetragen hat, erneut unter einem zu reduktionistischen Blickwinkel betrachtet wird. Auf der anderen Seite ist sein systemtheoretischer Ansatz, in dem jede Variable durch jede beeinflusst wird, nahezu nicht zu falsifizieren und die Abgrenzung zu anderen theoretischen Konzepten erscheint teilweise etwas willkürlich, wenn er etwa erklärt, dass er lieber von tendeny to act als action tendency wie Frijda es tut, spricht (Lazarus, 1991, S. 22). 3.3 Scherer Klaus Scherer ist ein Beispiel für die Gruppe Forscher, die unmittelbar von Lazarus Sichtweise beeinflusst wurden. Auch wenn er seinen Ansatz Anfang der achtziger Jahre und damit vor Lazarus Emotionstheorie (1991) entwickelte (Reisenzein et al., 2003), so bildet doch die Idee der subjektiven Bewertung, die von Lazarus und Arnold seit den sechziger Jahren propagiert wurde, die Grundlage (Scherer, 1987). Einzelne Bestandteile lassen zudem unmittelbar einen Bezug zur Kritik an Lazarus' Standpunkt, insbesondere dem Primat der kognitiven Bewertung, erkennen. Die folgende Beschreibung orientiert sich zumeist an dem Text von 1987, da Scherer in späteren Veröffentlichungen immer wieder auf diese frühe ausführliche Arbeit verweist (Scherer, 2001) und sie auch auf der Homepage4 seines Instituts als zentral beschrieben wird. Soweit sich im jüngsten verfügbaren Artikel (Sander et al., 2005) Veränderungen finden, wird dies explizit erwähnt. 3.3.1 Definition von Emotionen Für Scherer besteht eine Emotion aus fünf Komponenten, die jeweils eine typische Funktion repräsentieren und denen je ein organismisches Subsystem zugeordnet ist. • Die kognitive Komponente: Bewertung eines Ereignisses; erfolgt durch das informationsverarbeitende Subsystem. Dazu gehört der periphere sensorische Apparat und das ZNS. • Die neurophysiologische Komponente: System-Regulation; erfolgt durch das SupportSubsystem, das im wesentlichen aus endokrinem und autonomen Nervensystem besteht. In den jüngeren Versionen (Sander et al., 2005; Scherer, 2001) wird diese Komponente als peripheral efference component bezeichnet. • Die motivationale Komponente: Vorbereitung und Ausrichtung von Handlungen; erfolgt durch das exekutive Subsystem, das sich aus ZNS-Strukturen, die in Planen, Entscheiden und Handlungsvorbereitung involviert sind, zusammensetzt. 4 http://www.unige.ch/fapse/emotion/publications/geneva_studies.html 51 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.3 SCHERER • Die expressive Komponente: Kommunikation der Reaktion und Intention; erfolgt durch das Handlungs-Subsystem, das mit dem somatischen Nervensystem, das die Skelettmuskulatur steuert, gleichzusetzen ist. • Die subjektive Gefühlskomponente: Überwachen, Aufmerksamkeit steuern und reflektieren; erfolgt durch das Monitor-Subsystem. Hiermit sind ZNS-Strukturen, die den Status der anderen Subsystem überwachen und sämtliche eingehende Informationen integrieren, gemeint. Scherer (1987) betont, dass diese Aufteilung funktional ist und die Zuordnung zu neuronalen Systemen noch nicht vollständig möglich ist. Einzelne Schritte des Bewertungsprozesses setzt er später jedoch mit bestimmten ZNS-Strukturen in Verbindung, worauf unter 3.3.3.1 eingegangen wird. Emotionen sind nun definiert als eine Sequenz voneinander abhängiger, synchronisierter Veränderungen aller (Scherer, 1987, 1990, 1993) bzw. der meisten (Sander et al., 2005; Scherer, 2001) organismischen Subsysteme als Reaktion auf die Bewertung eines Ereignisses als relevant für zentrale Belange des Organismus. Diese Bewertung wird vom informationsverarbeitenden Subsystem in Form von stimulus-evaluation-checks (SECs) durchgeführt 3.3.1.1 Der Bewertungsprozess Nach Scherer erfolgt der Bewertungsprozess sequentiell und in einer festen Reihenfolge, wobei jeder SEC mehrere subchecks beinhaltet. Die Liste dieser subchecks wurde angepasst, weshalb hier die nach Sander et al. (2005) aktuelle Form gemäß Scherer (2001) wiedergegeben wird. Insgesamt erfolgen die SECs hinsichtlich vier Bewertungszielen: 1. Relevanz: Wie relevant ist das Ereignis für den Organismus oder seine soziale Referenzgruppe? a) Neuheits-Check i) Auftretens-Plötzlichkeit/Abruptheit: hängt mit der Reizintensität zusammen und führt ggf. zu Orientie- ii) Familiarität mit dem Objekt oder Ereignis iii) Vorhersagbarkeit des Auftretens aufgrund vergangener Beobachtungen rungsreaktion b) Intrinsische Angenehmheit: als reine Reizeigenschaft, unabhängig von Zielen und Bedürfnissen des Orga- c) Ziel-/Bedürfnisrelevanz in Bezug auf die momentane Ziel-/Bedürfnishierarchie nismus 2. Implikationen: Abschätzung der Implikationen für das Wohlergehen und langfristige Ziele a) Kausale Attribution: Wer oder was ist für das Ereignis verantwortlich? Welche Intention könnte dahinter stecken? 3. b) Ergebniswahrscheinlichkeit c) Erwartungsdiskrepanz: Inwieweit entspricht die eingetretene Situation den Erwartungen? d) Ziel-/Bedürfnisförderlichkeit: Ereignisse, die hinderlich sind, führen zu Frustration e) Dringlichkeit: hat einen direkten Einfluss auf die sympathische Aktivität des ANS Bewältigungspotential: Welche Reaktionsmöglichkeiten gibt es und welche Konsequenzen werden sie haben? a) Allgemeine Kontrollierbarkeit: Inwieweit kann das Ergebnis generell kontrolliert werden? b) Individuelle Kontrollierbarkeit durch das Individuum selbst (Power-Check) c) Anpassungspotential (falls das Ereignis mit seinen Konsequenzen nicht zu ändern ist): Inwieweit kann man sich damit arrangieren? 52 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.3 SCHERER 4. Normative Signifikanz: Signifikanz bezüglich des Selbstkonzepts sowie sozialer Normen und Werte a) Eigene Standards: In welchem Verhältnis steht das Ereignis zu den persönlichen Normen und Werten? b) Äußere/soziale Standards: In welchem Verhältnis steht das Ereignis zu Normen und Werten der sozialen Gruppe? Die einzelnen stimulus-evaluation-checks sind nicht als dichotome Abfragen zu verstehen, sondern sind so abgestuft und differenziert, wie es die Informationsverarbeitungs-Kapazitäten des jeweiligen Organismus erlauben (Scherer, 2001). Das Ergebnis jedes Bewertungsschritts hat Auswirkung auf die vier übrigen Subsysteme, deren Veränderung dann in den weiteren Bewertungsprozess mit einbezogen werden. Abb. 3.3.1 zeigt den gesamten Vorgang und die beteiligten Subsysteme in einer umfangreichen Graphik. Während die SECs innerhalb der Bewertungsziele Relevanz, Implikationen, Bewältigungspotential, normative Signifkanz simultan abgefragt werden können, muss vor dem Erreichen des nächsten Bewertungsziels das aktuelle Bewertungsziel zumindest vorläufig abgeschlossen werden. Vorläufig betont dabei, dass die Bewertung weder einmalig ist noch im ersten Durchlauf endgültig sein muss, sondern auf verschiedenen Verarbeitungsniveaus stattfinden kann, wie z.B. im Fall des Schattens in der Dunkelheit, vor dem man zunächst erschrickt, der sich dann aber als harmlos herausstellt. 53 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.3 SCHERER Abb. 3.3.1: Komponenten des Bewertungsprozesses nach Sander et al. (2005). Die vier stimulus evaluation checks (SEC) Relevanz, Implikationen, Bewältigungspotential und Normative Signifikanz im Anschluss an ein Ereignis haben Auswirkungen auf die beteiligten Subsysteme, die wieder übergeordnete kognitive Funktionen beeinflussen (gepunktete Linien). Für weitere Erläuterungen s. Text. 3.3.2 Welche Bedeutung haben Kognitionen und subjektives Erleben für eine Emotion? Scherer definiert 'Kognition' sehr allgemein als Reizkodierung bzw. -transformation (Scherer, 1993). Zusätzlich nimmt er in Anlehnung an Leventhals Unterscheidung mehrere Ebenen der Informationsverarbeitung an (Leventhal & Scherer, 1987): • die sensorimotorische Ebene: Merkmals-Entdeckung durch Reflexsysteme, die auf spezifische Reizmuster spezialisiert und größtenteils angeboren sind. • schematische Ebene: erlernte Reaktionen auf spezifische Reizmuster im Sinne von Schemata, weitestgehend automatisiert und unbewusst. • konzeptuelle Ebene: propositional-symbolische Repräsentationen und Transformationen, größtenteils bewusst, überwiegend cortikal Der Bewertungsprozess findet auf allen drei Ebenen statt und die subjektive Repräsentation, das Gefühl, sorgt dabei dafür, die einzelnen Bewertungsschritte zeitlich zu integrieren sowie das Ergebnis dem Bewusstsein zugänglich zu machen. Für das Verhältnis von tatsächlich stattgefundenen Veränderungen und bewusster sowie verbalisierbarer Repräsentation nimmt Scherer dabei ebenfalls eine Dreiteilung an, die an einem Diagramm verdeutlicht wird (s. Abb. 3.3.2). • im Monitor-Subsystem sind sämtliche Veränderungen in den anderen Subsystemen repräsentiert (Kreis A) 54 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.3 SCHERER • davon ist allerdings nur ein Teil bewusst (Kreis B) • und ein noch geringerer Teil kann verbalisiert bzw. kommuniziert werden (Kreis C) Abb. 3.3.2: Verhältnis von tatsächlichen Veränderungen (A), bewusster Repräsentation (B) und verbalisierbarem Anteil (C) einer Emotion. Nach Sander et al. (2005) Ob es beabsichtigt ist, dass die Kreise sich lediglich überlappen und nicht ineinander verschachtelt sind, wird im zugehörigen Text (Sander et al., 2005) nicht weiter erläutert. Dass längst nicht alle regulatorischen Prozesse (Kreis A) bewusst sind (Kreis B), ist offensichtlich und wurde im Rahmen des Ansatzes von Damasio ausführlich dargestellt. Ebenso ist nachvollziehbar, dass nicht alle bewussten Repräsentationen verbalisiert werden können, sondern nur ein Teil, die Schnittmenge von Kreis B und C in Abb. 3.3.2. Wenn aber Kreis A und C eine gemeinsame Schnittmenge haben, die nicht von Kreis B geteilt wird, würde das bedeuten, dass es Anteile emotionaler Erfahrung gibt, die auf tatsächlichen Veränderungen beruhen (Kreis A) und verbalisiert werden können (Kreis C), ohne bewusst zu sein. Eventuell ist hier an Phänomene wie Freudsche Versprecher gedacht, die Autoren machen allerdings keine Angaben dieser Art. 3.3.3 Welche Rolle spielen die körperlichen Veränderungen? Jedem Schritt des Bewertungsprozesses sind typische körperliche Veränderungen zugeordnet, die sich aus der inhaltlichen Bedeutung des Checks für den Organismus ergeben. Für die ersten beiden stimulus-evaluation-checks Neuheit und Relevanz sind dies physiologische Veränderungen gemäß einer Orientierungs- oder Defensivreaktion, für die weiteren Bewertungsstufen Voraussagen in Anlehnung an die grundsätzliche Funktion des ANS als ergotrop (Sympathikus) bzw. trophotrop (Parasympathikus) (Scherer, 1987, 2001). Ist ein Ereignis beispielsweise zielförderlich und erfordert für einen günstigen Ausgang keine aktive Bewältigung, so überwiegt der trophotrope Einfluss, muss der Organismus jedoch Hindernisse überwinden, um das Ziel zu erreichen, wird der sympathische Einfluss stärker und bei mangelnder Bewältigbarkeit werden wie bei einer Stressreaktion Katecholamine und Corticosteroide ausgeschüttet. Die Voraussagen für Gesichtsmuskelaktivität beruhen auf dem Facial Action Codings System (FACS) von 55 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.3 SCHERER Ekman und Friesen (1978) und wurde in eigenen Studien überprüft (Kaiser & Wehrle, 2001). Wie bei den physiologischen Veränderungen liegt auch hier die Überlegung zugrunde, dass sich der Gesichtsausdruck einer emotionalen Episode aus der Summe der den einzelnen SECs zugeordneten Veränderungen ergibt. Ein weiteres Anwendungsfeld ist die Einfluss der Bewertungsschritte auf die menschliche Stimme, auf das im Rahmen dieser Arbeit allerdings nicht eingegangen wird. Für eine Übersicht siehe Johnstone et al., (2001). 3.3.3.1 Neuroanatomische Grundlagen Die Definition der emotionalen Subsysteme, der stimulus-evaluation-checks sowie der physiologischen Veränderungen ist in erster Linie funktional und bis auf einige Ausnahmen ohne detaillierten Bezug zu neuronalen Strukturen. Als neuronales Substrat für den Neuheits-Check nimmt Scherer jedoch in späteren Veröffentlichungen unter Berufungen auf Studien von LeDoux (Scherer, 1993) bzw. in Sander et al., (2005) von Sander et al., (2003) unter anderem die Amygdala an, da eine Beschreibung als 'Relevanz-Detekor' den zahlreichen Befunden zu ihrer Aktivität in den unterschiedlichsten Situationen besser gerecht werde als eine Assoziation mit 'Angst' oder 'erregenden negativen Emotionen'. Weitere Strukturen, die vor allem aufgrund von Studien zu ereigniskorrelierten Potentialen (ERPs) an der Beurteilung der Neuheit eines Ereignisses beteiligt sind, sind der dorsolaterale Cortex, die temporo-parietale Verbindung und der posteriore Teil des Hippocampus (Sander et al., 2005). 3.3.4 Wie lassen sich Emotionen klassifizieren? Auch für die Klassifizierung von Emotionen ist der Bewertungsprozess mit seinen stimulusevaluation-checks zentral: prinzipiell gibt es so viele emotionale Zustände wie mögliche Kombinationen von SEC-Ergebnissen, also unendlich viele (Zentner & Scherer, 2000). Damit spricht Scherer sich eindeutig gegen einen Basisemotions-Ansatz aus (Scherer, 2001), genauso wie gegen einen dimensionalen Ansatz mit den Achsen 'Valenz' und 'Erregung' (Sander et al., 2005). Die Tatsache, dass manche Emotionen für allgemeingültig gehalten werden, sei vielmehr darauf zurückzuführen, dass bestimmte Bewertungsmuster besonders häufig auftreten. Diese Emotionen bezeichnet Scherer als modale Emotionen. Zum Vergleich mit dem Ansatz von Lazarus sind in Tab. 3.3.1 soweit in Scherer (2001) angegeben, die SEC-Muster für die gleichen Emotionen wie in Tab. 3.2.1 (S.49) aufgelistet. 56 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.3 SCHERER Tab. 3.3.1: Bewertungsmuster für ausgewählte modale Emotionen nach Scherer (2001). Abs.=Absicht; neg.=negativ Bewertungsschritt Relevanz Neuheit Plötzlichkeit Familiarität Vorhersagbarkeit Intrinsische Angenehmeit Ziel-/Bedürfnisrelevanz Wut Angst Trauer Ekel Freude Stolz hoch niedrig niedrig offen hoch hoch niedrig niedrig niedrig hoch niedrig niedrig offen offen hoch offen niedrig niedrig Sehr niedrig niedrig hoch offen niedrig offen hoch offen offen offen offen hoch andere Absicht sehr hoch offen hinderlich mittel andere offen hoch diskrepant hinderlich hoch offen Zufall/neg. sehr hoch offen hinderlich niedrig offen offen sehr hoch offen offen mittel offen Zufall/Abs. sehr hoch offen sehr hoch. niedrig selbst Absicht sehr hoch offen hoch niedrig hoch mittel hoch offen sehr niedrig niedrig sehr niedrig sehr niedrig mittel offen offen offen offen offen mittel offen offen hoch offen niedrig offen offen offen offen offen offen offen offen sehr hoch hoch Implikationen Grund: Wer? Grund: Warum? Ergebniswahrscheinlichkeit Erwartungsdiskrepanz Zielförderlichkeit Dringlichkeit Bewältigungspotential Allg. Kontrollierbarkeit Indiv. Kontrollierbarkeit Anpassungspotential Normative Signifikanz Eigene Standards Äußere/soziale Standards 3.3.5 Fazit Anders als Lazarus, der für die kognitive Bewertung relativ allgemeine Bewertungskriterien annimmt, hat Scherer den Bewertungsprozess detailliert in einzelne Schritte bzw. Abfragen aufgeschlüsselt. Dem Vorwurf einer Überbetonung kognitiver Anteile versucht er zu begegnen, indem er 'kognitiv' sehr allgemein definiert und zudem verschiedene Verarbeitungsniveaus annimmt, auf denen eine Bewertung stattfinden kann. Dennoch wirkt sein Ansatz teilweise kognitivistischer als der Lazarus', etwa wenn man sich sein Bewertungsmuster für 'Ekel' anschaut, das so fordert er - in jedem Fall komplett durchlaufen wird. Lazarus' knappe Beschreibung "einem ungenießbaren Objekt zu nahe sein" erscheint hier treffender, auch was mögliche Auswirkungen auf andere Subsysteme angeht, die er allerdings zugegebenermaßen nicht spezifiziert. Scherer macht dies sehr genau, es ist jedoch nicht immer klar, inwieweit es sich dabei um Annahmen oder empirisch ermittelte Zusammenhänge handelt. Erschwert wird die Beurteilung dadurch, dass er zum Beleg seiner Aussagen häufig auf andere eigene Veröffentlichungen oder die seiner Gruppe verweist. So werden beispielsweise die physiologischen Veränderungen im Rahmen der stimulus-evaluation-checks im Text von 1987 als "Voraussagen" bzw. "Hypothesen" bezeichnet (Scherer, 1987). Im Text von 2001 wird die gleiche Tabelle allerdings erneut abgedruckt, da noch nicht genug Befunde gesammelt seien, sie umfassend zu aktualisieren (Scherer, 2001) und im Artikel von Sander et al. (2005) auf die Tabelle von 2001 und damit von 1987 verwiesen. Soweit sie dem Autor vorliegen, beziehen sich die empirisch überprüften physiologischen Veränderungen auf Erfolgs-/ bzw Misserfolgserlebnisse bei Computerspielen (Kaiser & Wehrle, 2001; van Reekum et al., 2004) und dem Identifizieren von am PC erzeugten 57 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.4 PERIPHERPSYCHOLOGISCH ORIENTIERTE ANSÄTZE emotionalen Gesichtsausdrücken (Wehrle et al., 2000), Versuchsanordnungen, die vermutlich überwiegend kognitive Ressourcen beanspruchen. In Übersichts-Artikeln betont Scherer indes immer, dass sein Komponenten-Prozess-Modell die meisten anderen Ansätze beinhaltet und subsumiert Forschung zu Gesichtsausdrücken oder verbalen Beschreibungen unter seine Subsysteme (Scherer, 1990, 1999, 2000; Zentner & Scherer, 2000). Panksepps Ansatz etwa fällt als Schaltkreis-Modell ähnlich wie Ekman unter die Emotionsansätze, die auf das HandlungsSubsystem abstellen (Scherer, 2000). Scherers Umgang mit neurowissenschaftlichen Erkenntnissen ist mitunter eher eklektisch: LeDoux würde sicherlich dagegen Einspruch erheben, dass aus seinen Studien das Fazit gezogen wird, die Amygdala sei nicht primär mit der Verarbeitung von angstbezogenen Reizen befasst (s. 3.3.3.1, S.56 bzw. LeDoux, 2000), und wenn Sander, Grandjean und Scherer (2005) weiter unter der Überschrift "Cognitive neuroscience of appraisal processes" schreiben "…no model, to our knowledge, has focused on the appraisal component using a cognitive neuroscience approach." (S.326), so fragt man sich sofort, was denn mit Rolls' Ansatz ist, zumal dieser explizit die Nähe seiner Theorie zu Appraisal-Modellen, unter anderem dem von Scherer, angibt (Rolls, 2005, S.30)5. Legt man Scherers eigene Definition von 'Kognition' als 'Reizkodierung' (Scherer, 1993) zugrunde, so wäre Rolls' Bestimmung des Belohnungswerts durchaus darunter zu fassen, und auch der Bezug zum SEC 'intrinsische Angenehmheit' ist offensichtlich. In gleicher Weise hat Rolls zur Rolle der Amygdala bei der Entdeckung von neuen oder positiven Reizen geforscht. Ergebnisse aus The Brain and emotion (Rolls, 1999) werden zwar zitiert, aber dabei der Eindruck erweckt, es handele sich um neuroanatomische Befunde, deren Verknüpfung mit einer Emotionstheorie schwierig bleibt (Sander et al., 2005). 3.4 Peripherpsychologisch orientierte Ansätze Die Erklärung der körperlichen Veränderungen im Rahmen einer Emotion war in der Einleitung als ein zentraler Unterschied vieler Emotionstheorien genannt worden (s. 1.4.1, S.17) und in gleicher Weise wurden die körperlichen Veränderungen immer wieder dazu genutzt, das Wesen von Emotionen zu erklären, von James (1884) bis Damasio (s. 2.3, S.37). Da in diesem Bereich eine strikte Trennung von psychologischer und neurowissenschaftlicher Forschung nicht sinnvoll ist, sei auf die leicht veränderten Schwerpunkte der im folgenden vorgestellten Ansätze hingewiesen, durch die sie sich von den bisher geschilderten neurowissenschaftlichem Theorien unterscheiden: – sie beruhen in erster Linie auf Untersuchungen am Menschen. – es werden verstärkt (Selbst-)Einschätzungen mittels Fragebögen oder Ratingskalen erfasst, die das Erleben einer Emotion betreffen. 5 Rolls selbst hält seinen Ansatz natürlich den Appraisal-Theorien für überlegen, da er ihre Bewertungsschritte auf das Wesentliche reduziert (Rolls, 2005, S. 30). 58 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.4 PERIPHERPSYCHOLOGISCH ORIENTIERTE ANSÄTZE – gemessen und interpretiert werden vor allem 'klassische' psychophysiologische Signale wie Hautleitfähigkeit, Muskelspannung oder Herzaktivität. Ausgangspunkt sind also eher periphere Auswirkungen neuronaler Aktivität als zentralnervöse Veränderungen selbst. Darüber hinaus sind die Arbeiten häufig weit mehr an bestimmte experimentelle Paradigmen oder spezifische Aspekte einer emotionaler Reaktion gebunden – etwa den 'Schreckblinzler' bei Bradley & Lang oder Mimik bei Ekman – als neurowissenschaftliche Theorien, die für sich in Anspruch nehmen, Affekt grundsätzlich und mitunter für Mensch und Tier gleichermaßen zu erklären. Bei den folgenden Modellen handelt es sich daher nicht immer um vollständige Emotionstheorien, sondern eher um Erklärungsansätze für einzelne Komponenten menschlicher Emotionen, so dass zu den bisher angeführten Punkten wie 'neuroanatomische Grundlagen' teilweise keine Angaben gemacht werden können und die Erläuterung sich auf die wesentlichen Aspekte beschränkt. Gleichzeitig erweitert und ergänzt der jeweilige Schwerpunkt die bislang geschilderten allgemeinen Theorien. 3.4.1 Ekman Paul Ekman befasst sich angeregt durch Silvan Tomkins (1962) seit Mitte der sechziger Jahre mit menschlicher Mimik, insbesondere der Universalität emotionaler Gesichtsausdrücke (Ekman, 2003b). Zu diesem Zweck befragte er und Kollegen zahlreiche alphabetisierte Kulturen sowie zwei Urvölker auf Neuguinea ohne Schriftsprache (die South Fore und die Dani), denen er Photographien von Gesichtsausdrücken vorlegte und sie bat, ihnen eine bestimmte Emotion oder eine emotionsauslösende Geschichte zuzuordnen bzw. den zur Geschichte passenden Gesichtsausdruck zu machen (Ekman, 1988, 1999b). Um die Auswertung zu systematisieren, entwickelte er zusammen mit Wallace Friesen das Facial Action Coding System [FACS] (Ekman & Friesen, 1978), das typische Muskelbewegungen als Acion Units codierte, und aus dem wiederum bestimmte Kombinationen zum Emotional Facial Action Coding System [EMFACS] zusammengefasst werden konnten (Ekman, 1988). Als Ergebnis dieser Forschung postulierte Ekman eine neuro-kulturelle Theorie des Gesichtsausdrucks, die neuronal angelegte und universelle emotionsspezifische Gesichtsausdrücke annimmt, wobei die Konventionen zum offenen Zeigen dieser Emotion (display rules) und die Coping-Bestrebungen kulturell vermittelt werden. In gleicher Weise sind Gesichtsausdrücke zur Illustration einer Aussage sowie als symbolische Gesten (Embleme) von emotionsspezifischer Mimik abzugrenzen (Ekman, 1988, 1994). Diese eigentlich auf Gesichtsausdrücke bezogene Theorie erweiterte Ekman auf Emotionen allgemein, da Gesichtsausdrücke Teil der zugrunde liegenden Affektprogramme seien. 3.4.1.1 Wie lassen sich Emotionen klassifizieren? Wie die Annahme emotionsspezifischer Mimik nahe legt, plädiert Ekman für Basisemotionen, an die er folgende Anforderungen stellt (Ekman, 1999a): • 'Distinktive universelle Signale' im Sinne von Gesichtsausdrücken: obwohl dieser Punkt am heftigsten kritisiert wurde (z.B. Russell, s.u.), hält Ekman daran fest und erklärt umge- 59 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.4 PERIPHERPSYCHOLOGISCH ORIENTIERTE ANSÄTZE kehrt, man solle ihm eine Emotion nennen, die alle anderen Kriterien erfüllt, aber kein spezifisches Signal aufweist (Ekman, 1999a, S. 47). • Emotionsspezifische Physiologie: hier verweist Ekman vor allem auf Studien, die er zusammen mit Levenson und Friesen durchgeführt hat (Ekman et al., 1983; Levenson et al., 1990, 2002), und bei denen Versuchspersonen mittels des Directed Facial Action Task emotionstypische Gesichtsmuskebewegungen vorgegeben wurden, die das entsprechende Affektprogramm aktivieren und so die jeweilige Emotion induzierten, was wiederum zu Veränderungen im ANS, insbesondere der Herzrate führte (Levenson et al., 1990). Eine Bewertung dieser Ergebnisse erfolgt in Kap. 4 (Emotionen und peripherphysiologische Maße). • Automatische Bewertungsmechanismen, gerichtet auf: • Distinktive universelle vorausgehende Ereignisse, ähnlich der core relational themes von Lazarus (s. 3.2.4, S.49) • Distinktives Auftreten in der Entwicklung: Auch wenn die Affektprogramme biologisch vorbestimmt sind, so glaubt Ekman, dass sie sich erst im Laufe der individuellen Entwicklung entfalten (Ekman, 2003b) und nicht bereits frühzeitig vollständig differenziert sind (Ekman, 1999a). • Vorhandensein in anderen Primaten: In Anlehnung an Darwin ist Ekman der Überzeugung, dass sich Vorläufer der menschlichen Emotionen auch bei anderen Primaten finden lassen. So überprüfte er die menschliche Interpretation von Schimpansen- Gesichtsausdrücken, deren Emotion er durch einen erfahrenen Primaten-Forscher einschätzen ließ, und fand große Übereinstimmung (Ekman, 1999b). Neben diesen zentralen Merkmalen nennt er noch weitere, die verstärkt das menschliche Emotionserleben betreffen, wie rasches und ungebetenes Auftreten sowie spezifische subjektive Erfahrung und Gedanken oder Erinnerungsbilder, was er vor allem in seinen eher populärwissenschaftlichen Büchern, etwa Emotions revealed (2003a, zu Deutsch Gefühle lesen (Ekman, 2004)) an Beispielen erläutert. Kern seiner Forschung bleibt jedoch der Gesichtsausdruck, mit dessen Bedeutung er sich auch in anderen Zusammenhängen, etwa der Aufdeckung von Täuschungsversuchen, beschäftigt (Ekman, 2003a, 2003c; Ekman et al., 1999). 3.4.2 Russell James Russell gehört zu den schärfsten Kritikern von Ekmans Annahme, Gesichtsausdrücke seien universell und der Ausdruck von diskreten Basisemotionen (Russell & Fernandez-Dols, 1997), weshalb er an dieser Stelle aufgeführt wird. Für Russell sind Gesichtsausdrücke in erster Linie ein Kommunikationsmittel und damit nur eingeschränkt mit der jeweils erlebten Emotion verknüpft (Russell, 1997). Als Beispiel führt er eine Studie von Fernandez-Dols und Ruiz Belda (1997) an, die mit Hilfe des FACS (Ekman & Friesen, 1978) die Gesichtsausdrücke von Sportlern bei den Olympischen Spielen 1992 während der Medaillenverleihung analysierten: obwohl der zugrunde liegende Zustand, Freude über den errungenen Sieg, vermutlich die gesamte Zeit 60 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.4 PERIPHERPSYCHOLOGISCH ORIENTIERTE ANSÄTZE über anhielt, lächelten die Goldmedaillengewinner nur beim Erhalt der Medaille, einer sozialen Interaktion, nicht aber, während sie vor dem Podest warteten bzw. ihre Nationalhymne gespielt wurde (Fernandez-Dols & Ruiz-Belda, 1997). Eine solch originelle Herangehensweise ist in der Kontroverse zwischen Ekman und Russell allerdings eher die Ausnahme, den größten Teil nimmt methodische Kritik ein, die von beiden Seiten mit ziemlicher Härte vorgetragen wird, etwa wenn Ekman (1994) Russell als Reaktion auf einen kritischen Artikel (Russell, 1994) in einer Antwort in der gleichen Zeitschrift unterstellt, die Varianzanalysen falsch gerechnet zu haben. Und auch fast 10 Jahre später kann Russell nicht davon absehen, schon im Abstract einer Veröffentlichung festzustellen: "That emotional expressions express emotions is a tautology but may not be a fact." (Russell et al., 2003). Dabei möchte Russell nicht leugnen, dass Gesichtsausdrücke mit Emotionen in Verbindung stehen können, nur räumt er dem jeweiligen Kontext eine höhere Bedeutung ein und verweist darauf, dass sie mehr als mit einer spezifischen Emotion mit den beiden Dimensionen Erregung und Valenz zusammenhängen (Russell et al., 2003). 3.4.2.1 Wie lassen sich Emotionen klassifizieren? Grundlage jeder Emotion ist ein der momentane Aktivierungszustand eines Organismus sowie die zugehörige hedonische Qualität oder Valenz, was Russell als core affect bezeichnet. Die bewusste Repräsentation dieses affektiven Zustands ist ein nicht weiter spezifisches Gefühl, ein raw feeling. Wird eine Änderung in diesem momentanen Zustand mit einem Objekt (ein vorausgegangenes Ereignis, eine Vorstellung o.ä.) verknüpft, entsteht daraus ein attribuierter Affekt. Der Bewertungsprozess geht jedoch weiter und führt dazu, dass ggf. instrumentelle Aktionen ergriffen oder geplant werden, um den momentanen Zustand zu ändern oder beizubehalten. Sämtliche physiologischen Veränderungen sind von dieser instrumentellen Handlung abhängig. Sobald eine Person all diese Veränderungen an sich feststellt, ordnet sie sich selbst eine Emotion zu, wobei die Zuordnung anhand von mentalen Prototypen erfolgt, was an Scherers modale Emotionen (s. 3.3.4, S.56) erinnert. Dass Emotionen häufig kategorial erscheinen, liegt an den Worten, mit denen sie benannt werden, und die nur eine kategoriale Zuordnung erlauben (Russell & Feldman Barrett, 1999). Russells methodische Kritik an Ekmans Arbeit bezieht sich daher auch häufig auf die Aufgaben der Versuchspersonen, bestimmten Gesichtsausdrücken einen Emotionsbegriff mittels forced choice zuzuordnen (Lindquist et al., 2006; Russell, 1994). Er selbst hat seit Mitte der 70iger Jahre (Mehrabian & Russell, 1974) immer wieder den aktuellen affektiven Zustand mittels Fragebögen oder Ratingskalen erfragt und stets die erwähnten zwei Dimensionen gefunden, die bei ihm rechtwinkelig angeordnet sind (s. Abb. 3.4.1). Andere Ansätze, etwa Watson und Tellegens Positiver und Negativer Affekt (Watson et al., 1988), die eine Kopplung von Erregung und Valenz annehmen (= sehr positive oder sehr negative Zustände sind immer mit hoher Erregung verbunden) konnte er in sein Modell überführen (Yik et al., 1999). Die ursprünglich angegebene dritte Dimension 'Dominanz' (Mehrabian & Russell, 1974) wird in jüngeren Veröffentlichungen (Lindquist et al., 2006; Yik et al., 1999) nicht mehr erwähnt. 61 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.4 PERIPHERPSYCHOLOGISCH ORIENTIERTE ANSÄTZE Abb. 3.4.1: Russells Circumplex mit den beiden Basisdimensionen Valenz (x-Achse) und Aktivierung (y-Achse) sowie Position typischer Emotionen. Aus Russell & Feldmann Barrett (1999). 3.4.2.2 Welche Rolle spielen die körperlichen Veränderungen? Die körperlichen Veränderungen, Gesichtsmuskelaktivität genauso wie solche des ANS oder der Stimme, ergeben sich für Russell ausschließlich aus dem core affect sowie einer intendierten oder bereits erfolgten instrumentellen Handlung, die situationsspezifisch ist. Je nach Umständen kann Angst zu einer Herzratenbeschleunigung oder -verlangsamung führen, je nachdem, ob Flucht oder Totstellen sinnvoller erscheint. Dies geht so weit, dass er in der jüngsten verfügbaren Zusammenfassung seiner Theorie (Russell, 2003) behauptet: "Indeed, the present analysis predicts that there is no neural circuit, peptide, or other biological marker that is unique to fear (or any other discrete emotion)." (S. 151). Wie seine Analyse neurowissenschaftliche Erkenntnisse zur Rolle von Neuropeptiden berücksichtigt, die Russell bekannt sein müssten, denn er zitiert Panksepps Affective Neuroscience (1998) im gleichen Artikel, wird nicht weiter ausgeführt, genauso wenig wie eine offensichtliche Ähnlichkeit von Russells core affect zum Protoselbst bei Damasio, der überhaupt nicht erwähnt wird. Bezüglich der Annahme emotionsspezifischer ANS-Aktivierung bei Ekman verweist er auf eine Metaanalyse (Cacioppo, Berntson et al., 2000), die bisher wenig Bestätigung dafür findet. 3.4.3 Bradley & Lang Margaret Bradley und Peter Lang beziehen sich in Teilen ihrer Forschung ausdrücklich auf Erkenntnisse von Mehrabian & Russell (1974), und ziehen deren semantische Ratingskala beispielsweise heran, um ein eigenes Messinstrument, das Self-Assement Mannikin zu validieren (Bradley & Lang, 1994), sind insgesamt jedoch stärker physiologisch orientiert. Das SelfAssement Mannikin (SAM, für ein Beispiel s. Abb. 3.4.2, S.65) dient dazu, Bilder o.ä. schnell 62 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.4 PERIPHERPSYCHOLOGISCH ORIENTIERTE ANSÄTZE und kulturübergreifend hinsichtlich ihrer affektiven Qualität auf den Dimensionen Valenz, Erregung und (soziale) Dominanz bewerten zu können, um so standardisiertes Reizmaterial zu erhalten. Beispiele hierfür sind das inzwischen weit verbreitete International Affective Picture System (IAPS) (Lang et al., 2005) oder die Affective Norms for English Words (ANEW) (Bradley & Lang, 1999). Einem einheitlichen Reizmaterial und experimentellen Setting kommt deshalb besondere Bedeutung zu, weil sich nur so physiologische Reaktion reliabel auslösen und messen lassen. 3.4.3.1 Definition und Funktion von Emotionen Emotionen entstanden für Bradley und Lang im Laufe der Evolution aus primitiven, reflexhaften Handlungen, die die Überlebenswahrscheinlichkeit erhöhten. Aufgrund dieses Ursprungs lässt sich auf das Motivsystem, das menschliche Affekte begründet, die gleiche Unterteilung in Annäherung und Vermeidung anwenden, die Konorski (1967) zur Klassifizierung unkonditionierter Reflexe verwendet (Lang, Bradley et al., 1997). Die Autoren betonen damit den Handlungsaspekt, weisen aber darauf hin, dass es beim Menschen aufgrund des höher entwickelten Nervensystems häufig bei einer Verhaltensdisposition bleibt. Neben einer erhöhten Fähigkeit zur Verhaltenshemmung ist es vor allem das System der menschlichen Sprache, das über Probehandeln und längerfristiges Planen eine Verzögerung unmittelbarer Verhaltensreaktionen erlaubt (Bradley & Lang, 2000). Allerdings lassen sich nicht alle Komponenten einer emotionalen Reaktion gleich gut beeinflussen, und insbesondere autonome sowie Gesichtsmuskelaktivität unterliegt nur bedingt der bewussten Kontrolle. 3.4.3.2 Klassifikation von Emotionen und die Bedeutung körperlicher Veränderungen Ursprung aller Emotion ist zunächst die hedonische Qualität eines Reizes für einen Organismus, zurückzuführen auf die grundsätzlichen motivationalen Tendenzen Annä- hern/Konsumieren bzw. Vermeiden/Abwehren, sowie die damit einhergehende Erregung, die den Grad der generellen metabolischen und neuronalen Aktivierung widerspiegelt. Dieses Bewertungssystem ist sehr allgemein und wird deshalb als strategisch bezeichnet, je nach konkreter Situation kann allerdings bei gleicher Bewertung hinsichtlich der Valenz eine unterschiedliche Reaktion angebracht sein: Angst kann sowohl zu Totstellen als auch zu Flucht führen, was Bradley & Lang als taktische Aspekte einer emotionalen Reaktion bezeichnen, die die körperlichen Veränderungen maßgeblich beeinflussen. Die Tatsache, dass in Untersuchungen für gleiche Emotionen unterschiedliche physiologische Veränderungen berichtet werden, ist nach Meinung von Bradley & Lang gerade darauf zurückzuführen, dass der jeweilige taktische Kontext nicht gleich gehalten wurde (Lang et al., 1998). Typische physiologische Variablen, die besonders durch taktische Anforderungen beeinflusst werden, sind beispielsweise die Herzrate (Bradley et al., 1996) sowie Gesichtsaudrücke (Bradley et al., 2001), wobei letztere zudem einen höheren Grad an Differenzierung als viele Kennwerte des ANS erlauben. Ekmans Befunde emotionsspezifischer Gesichtsausdrücke werden so als 'taktisches Muster' bezeichnet, und 63 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.4 PERIPHERPSYCHOLOGISCH ORIENTIERTE ANSÄTZE ähnlich werden spezifische Emotionen als untergeordnete Verhaltensorganisationen angesehen (Lang et al., 1993), die immer dem Prinzip Annähern-Vermeiden folgen. Um den Einfluss des jeweiligen Reizmaterials oder Settings möglichst gering zu halten, bemühte sich die Gruppe um Bradley & Lang zum einen um standardisiertes Reizmaterial, zum anderen etablierten sie ein experimentelles Paradigma, die Veränderung des Schreckblinzlers (startle-modulation) als Folge des affektiven Gehalts eines Reizes, da dieser Reflex einen engen Bezug zum Defensivsystem bzw. der Basisdimension Valenz aufweist. Das International Affective Picture System (IAPS) besteht den Literaturangaben nach zu urteilen seit 1988 (Lang et al., 1988), in seiner jüngsten Version (Lang et al., 2005) umfasst es mehr als 900 Photographien unterschiedlichster Motive, wobei für jedes mittels dem Self-Assessment Mannikin (SAM) (Bradley & Lang, 1994) an Normstichproben die Werte für Valenz, Arousal und soziale Dominanz erhoben wurden. Abb. 3.4.2 zeigt die Lage einer Auswahl von IAPS-Bildern im zweidimensionalen Raum von Arousal und Valenz sowie die zugehörige SAM-Skalierung. Die leicht Bumerang-förmige Verteilung lässt erkennen, dass trotz entsprechender Bemühungen vor allem die Kombination 'hohe Erregung, aber weder positive noch negative Valenz' unterrepräsentiert ist, was wiederum mit der zugrunde liegenden motivationalen Struktur erklärt wird: hochgradig angenehme oder unangenehme Reize haben immer eine hohe Relevanz für den Organismus und führen damit zu einer hohen Aktivierung (Lang et al., 1998; Lang et al., 2005), wobei hier explizit auf Watson und Tellegen (Watson et al., 1988) verwiesen wird. 64 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.4 PERIPHERPSYCHOLOGISCH ORIENTIERTE ANSÄTZE Abb. 3.4.2: Verteilung von IAPS-Bildern im mittels SAM-Rating skalierten zweidimensionalen Raum von Valenz (pleasure) und Erregung (arousal). Für einzelne Bilder sind die dargestellten Szenen benannt (schwarze Punkte) sowie in kursiver Schrift prototypische emotionale Zustände angegeben. Aus Lang, Bradley et al (1997). Die Bilder des IAPS dienten als Reizmaterial für zahlreiche Studien zu Veränderungen peripherphysiologischer Messgrößen wie Gesichtsmuskelaktivität, Hautleitfähigkeit und Herzrate (s. Tab. 3.4.1). Da auf die einzelnen Biosignale in einem eigenem Abschnitt eingegangen wird, sei hier nur zusammenfassend angemerkt, dass Gesichtsmuskelaktivität (m. zygomaticus, der 'Lach'-Muskel und m. corrugator, der 'Augenbrauen-Zusammenzieh'-Muskel) und Herzrate verstärkt mit Valenz assoziiert sind, während die Hautleitfähigkeit vor allem die Erregung widerspiegelt. Außerdem fällt auf, dass Interessantheit und Betrachtungdauer eines Bildes mit der Valenz zusammenhängen: hoch angenehme wie unangenehme Bilder werden länger angeschaut und für interessanter befunden als neutrale (Schupp et al., 2004). 65 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.4 PERIPHERPSYCHOLOGISCH ORIENTIERTE ANSÄTZE Faktor I (Valenz) Variable Faktor II (Erregung) Nach Lang et al (1993) Valenz-Rating 0.86 Corrugator-EMG -0.85 0.00 0.19 Herzrate 0.79 -0.14 Zygomaticus-EMG 0.58 0.29 Arousal-Rating 0.15 0.83 Interesse-Rating 0.45 0.77 Betrachtungsdauer -0.27 0.76 Hautleitfähigkeit -0.37 0.74 Nach Cuthbert et al. (1988) Valenz-Rating 0.89 0.07 Corrugator-EMG -0.83 -0.10 Herzrate 0.73 -0.02 Arousal-Rating -0.11 0.89 Hautleitfähigkeit 0.19 0.77 Tab. 3.4.1: Faktorstruktur und -ladung subjektiver Bewertung und diverser peripherphysiologischer Variablen. Nach Bradley & Lang (2000). Während die SAM-Bewertung der IAPS-Bilder sowie die Betrachtungsdauer die Verbindung zu kognitiven Prozessen wie bewusster Gefühlseindruck oder Aufmerksamkeit ermöglicht, ist der Schreckblinzler ein Reflex, der willentlich nicht kontrolliert werden kann. Ausgelöst wird er zumeist durch einen 90-100 dB lauten Ton (Lang et al., 1998), und je nach gerade verarbeitetem Reiz ändert sich seine Amplitude und Auftretensgeschwindigkeit. Affektiv negativ bewertete Reize führen zu einer Verstärkung der startle-Reaktion (engl.: startle potentiation), positive zu einer Abschwächung, wobei auch das jeweilige Erregungsniveau über das Ausmaß der Veränderung entscheidet. Eine umfassende Darstellung der Einflüsse auf den startle-Reflex findet sich in Lang, Simons et al., (1997), im Zusammenhang dieser Arbeit ist der Schreckblinzler vor allem deshalb von Interesse, weil er auch bei anderen Säugetieren auftritt und so für Bradley & Lang die Einbeziehung tierphysiologischer Studien in ihre Theorie erlaubt. 3.4.3.3 Neuroanatomische Grundlagen Angaben zu neuroanatomischen Grundlagen beziehen sich bei Bradley und Lang in erster Linie auf das Defensivsystem von Versuchstieren, z.B. Ratten, bei dem die Amygdala eine zentrale Rolle spielt, weshalb wiederholt auf Studien von LeDoux verwiesen wird. In einer des öfteren reproduzierten Grafik (Bradley & Lang, 2000; Lang, Bradley et al., 1997; Lang et al., 1998) wird der Ablauf wie folgt zusammengefasst: der Reiz erreicht über den sensorischen Thalamus den lateralen Nucleus der Amygdala, deren zentraler Nucleus dann drei Reaktionssysteme anregt: • Aktivierung lateraler Bereiche des Hypothalamus führt zu den Veränderungen im ANS, z.B. ansteigendem Blutdruck. • Aktivierung des zentralen Höhlengraus führt zu aktiver Verteidigung wie Flucht oder Kampf (dorsales Höhlengrau) bzw. Totstellen (ventrales Höhlengrau). • Aktivierung des Nucleus reticularis pontis caudalis bewirkt die startle-Verstärkung. 66 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.4 PERIPHERPSYCHOLOGISCH ORIENTIERTE ANSÄTZE Da diese Reaktionen nicht zeitgleich ablaufen und parallel zu ihnen auch das allgemeine Erregungsniveau ansteigt, sprechen Bradley und Lang von einer 'Defensiv-Kaskade', die sie in drei Phasen unterteilen (Bradley et al., 2001; Lang, Bradley et al., 1997). Auf eine deutsche Übersetzung wird mangels gleichermaßen prägnanter Begriffe verzichtet und statt dessen die Originalbezeichnung der Phasen beibehalten: 1. Pre-encounter die Zeit kurz vor dem Auftreten des Bedrohungsreizes bzw. seiner vollständigen Identifikation. Unmittelbar mit dem Auftreten steigt sowohl die sympathische als auch die parasympathische Aktivierung, erkennbar an erhöhter Hautleitfähigkeit und gleichzeitiger Verlangsamung der Herzrate. 2. Post-encounter: Der Zeitraum im Anschluß an die eigentliche Begegnung, in der der Bedrohungsreiz zwar identifiziert, aber noch keine geeignete Reaktion ermittelt wurde. Wird in der ersten Hälfte dieser Phase ein startle-Reiz präsentiert, ist die Amplitude des Schreckblinzlers vermindert, da die Aufmerksamkeit noch dem zuvor aufgetretenen aversiven Reiz zugewandt wird. In der zweiten Hälfte der Post-encounter-Phase führt ein startle-Reiz jedoch zu verstärktem Schreckblinzler, da der vorherige Reiz inzwischen zu einem Priming des Schutzreflexes in höheren motivationalen Zentren führte (Bradley et al., 2001; Lang, Bradley et al., 1997). Die Hautleitfähigkeit steigt kontinuierlich weiter, ebenso verlangsamt die Herzrate sich immer noch, weshalb diese Phase auch als 'Freezing' bezeichnet wird, in der noch keine offenen Reaktionen gezeigt werden. Gesteuert wird dieses Verhaltensmuster durch das ventrale PAG. 3. Circa-Strike: die aktive Verteidigung (fight/flight) wird initiiert, bei der Ratte moduliert durch das dorsolaterale PAG. Schon vor der eigentlichen Reaktion erfolgt ein Anstieg der Herzrate und verstärkter Blutfluss zur Muskulatur. Die Verbindung zu menschlichem Verhalten während des Bildbetrachtens sehen Bradley und Lang darin, dass die Post-encounter-Phase ebenfalls vollständig durchlaufen wird, inklusive der Mobilisierung affektiver Ressourcen. Der nicht-reale Charakter der Reize und die Laborsituation beeinträchtigt dies nicht (Bradley et al., 2001; Lang, Bradley et al., 1997). Für die Verarbeitung angenehmer Reize ist kein entsprechend elaboriertes Modell vorhanden, da die Attraktivität eines Bildreizes o.ä. hier weit mehr vom momentanen Zustand des Betrachters abhängt - Photographien von Speisen oder Getränken sind vor allem dann interessant, wenn man Hunger hat oder durstig ist. Versuchsreihen mit Bildern erotischen Inhalts erbrachten, dass es wie zu erwarten zu einer Hemmung des startle-Reflexes sowie einem Anstieg der Hautleitfähigkeit kommt. Die Herzrate sinkt zu Beginn der Post-encounter-Phase leicht ab, steigt dann aber anders als bei negativen Reizen an (Bradley et al., 2001), unterscheidet sich insgesamt jedoch weniger deutlich von neutralen Bildern als die aversiven (Bradley et al., 1996; Bradley & Lang, 2000). Nichtsdestotrotz handelt es sich bei den beiden Motiv-Systemen um zwei unabhängige Systeme, die auch beide gleichzeitig aktiviert werden können, etwa wenn ein Reiz sowohl negative als auch positive Merkmale hat und so zunächst zu einem Oszillieren 67 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.4 PERIPHERPSYCHOLOGISCH ORIENTIERTE ANSÄTZE zwischen den Verhaltenstendenzen Annähern oder Vermeiden führt, wobei dann beide zu einen Anstieg des Arousals beitragen (Bradley & Lang, 2000; Lang, Bradley et al., 1997). Als neuronale Grundlage für das Appetenz-System wird etwas allgemein auf die Bedeutung des nucleus accumbens verwiesen (Lang et al., 1998), ebenso wie für Arousal kein eigenes neuronales Substrat angenommen wird, sondern diese Dimension lediglich die generelle Stoffwechsel- und Nervenzellenaktivität widerspiegeln soll (Lang, Bradley et al., 1997). 3.4.4 Diskussion peripherphysiologisch orientierte Ansätze Paul Ekman dürfte zweifellos derjenige Wissenschaftler sein, der Gesichtsmuskelaktivität als Gegenstand der Emotionsforschung etabliert hat. Auch wenn bereits andere vor ihm einen entsprechenden Zusammenhang erkannt und untersucht haben6, so war es doch Ekmans systematische Klassifizierung von Muskelbewegungen im Zusammenhang mit spezifischen Emotionen, die maßgeblich zur Verbreitung des Gesichts-EMGs als abhängige Variable in der Emotionsforschung beitrug. Sein Ansatz, Gesichtsausdrücke auch als unabhängige Variable zur Emotionsinduktion einzusetzen (Ekman et al., 1983), hat sich allerdings weniger bewährt (Otto, 2000), und ähnlich war es auch vor allem seine These, Gesichtsausdrücke seien notwendiger Bestandteil und ein Beleg für spezifische Basisemotionen, die Widerspruch provozierte. Wie geschildert, insbesondere von Russell, dessen Untersuchungen zum Emotionserleben einen zweidimensionalen Raum als grundlegend ergab, auf dem sich die Basisemotionen abbilden lassen (s. Abb. 3.4.1, S.62). Gesichtsausdrücke sind für ihn Kommunikationsmittel. Abgesehen davon, dass eine solche Dichotomie wenig sinnvoll erscheint (Ellgring, 2000), lässt sie sofort an Bradley & Langs Unterscheidung in strategische und taktische Aspekte einer emotionalen Reaktion denken: entscheidend für die Intensität eines Gesichtsausdrucks dürfte neben einer möglichen festen Assoziation mit einem Affekt in erster Linie sein, inwieweit er in der jeweiligen Situation von taktischem Nutzen ist. Dass für Bradley & Lang ein grundsätzlicher Zusammenhang von Gesichtsmuskelaktivität zum den übergeordneten strategischen Zielen Annähern oder Vermeiden besteht, lässt sich daran erkennen, dass das Zygomaticus- bzw. Corrugator-EMG eine standardmäßige Variable in ihren Studien ist. Ekman hat mit seiner BasisemotionsDefinition eventuell zu sehr auf situationsspezifische Merkmale abgestellt, womit sich auch erklären ließe, warum er statt von vormals immerhin zehn (s. Tab. 1.4.1, S.21) später (Ekman, 1999a) von fünfzehn Basisemotionen ausging. Die von ihm außerdem postulierten spezifischen physiologischen Muster einer Emotion haben sich bis jetzt nicht in dem beschriebenen Ausmaß bestätigen lassen (Cacioppo, Berntson et al., 2000) bzw. sind selbst für den Kennwert Herzaktivität deutlich verschieden (Christie & Friedman, 2004; Nyklicek et al., 1997). Bradley & Lang hingegen konnten ihre physiologischen Veränderungen in zahlreichen Studien nachweisen, ebenso wie das von ihnen entwickelte Reizmaterial und die SchreckblinzlerMessung als bewährt gelten (Pauli & Birbaumer, 2000). Aus theoretischer Sicht überzeugen sie mehr als Russell, dessen Ausführungen teilweise an Damasio erinnern, in Bezug auf neurophy6 für eine Darstellung s. Scherer & Wallbott (1990) 68 PSYCHOLOGISCHE EMOTIONSTHEORIEN – 3.5 DISKUSSION EMOTIONSTHEORIEN siologische Aspekte aber vage bleiben. Die neuronalen Grundlagen der 'Defensiv-Kaskade' behandeln Bradley & Lang detailliert, und Russells Dimensionen der Selbsteinschätzung berücksichtigen sie in ihrem Ansatz und Messinstrumenten, etwa dem Self-Assessment Mannikin (Bradley & Lang, 1994) ebenso. 3.5 Diskussion Emotionstheorien Den kleinsten gemeinsamen Nenner der besprochenen Emotionstheorien könnte man grob in folgender Aussage zusammenfassen: Emotionen haben sich im Laufe der Evolution entwickelt, weil sie dem Organismus eine rasche Bewertung eines Ereignisses als 'gut oder schlecht für mich' ermöglichen und ihm gleichzeitig einen Impuls, die Situation in Richtung des angestrebten Zielzustands zu verändern, liefern. Unterschiede bestehen in den Theorien vor allem darin, wo und wie genau der Bewertungsprozess abläuft und in welchem Ausmaß eine emotionale Reaktion festgelegt oder flexibel ist. Psychologische Emotionstheorien haben dabei menschliches Verhalten und Erleben als Ausgangspunkt, während neurowissenschaftliche Theorien neurophysiologische Aktivität betrachten und zumeist entwicklungsgeschichtliche Parallelen zu anderen Säugetieren betonen. Damasio macht dies am wenigsten, er will in erster Linie verdeutlichen, dass 'gut' oder 'schlecht' keine abstrakten Werte sind, sondern sich immer auf das Wohlergehen des gesamten Organismus beziehen, weshalb der jeweilige Körperzustand bzw. seine Repräsentation im Gehirn bei ihm eine zentrale Rolle spielt. Sein Fokus ist eher der Einfluss dieser Prozesse auf das menschliche Bewusstsein als die Erforschung von Emotionen selbst. Methodisch am weitesten fortgeschritten sind für ihr jeweiliges Forschungsfeld vermutlich Bradley & Lang sowie Rolls, die mit ihren grundlegenden Kriterien Annähern- Abwehren/Vermeiden bzw. Belohnungs-/Bestrafungswert auch inhaltliche Nähe zeigen, wobei Rolls Bradley & Lang in seinem Werk Emotions Explained (2005) allerdings kein mal erwähnt. Er hat dort sein Prinzip der Verhaltensorganisation bis auf Einzelzellableitungen an Tieren überprüft, Bradley & Lang entwickelten mit dem Fokus auf menschlichem Verhalten Reizmaterial und Versuchsanordnungen, die weltweit im Einsatz sind. Es scheint, als wenn ein solcher Ansatz zur empirischen Überprüfung besonders geeignet ist. Rolls selbst gibt an, dass sein Modell durchaus mit appraisal-Ansätzen vereinbar sei, und nennt als Beispiele sowohl Scherer als auch Lazarus (Rolls, 2005, S. 30). Durch Scherers Aufgliederung in etliche Stimulus Evaluation Checks und Subchecks sowie drei verschiedene Verarbeitungsebenen, auf denen diese stattfinden, ginge jedoch viel von der ursprünglichen Stringenz von Rolls Ansatz verloren, darüber hinaus ist die Existenz all dieser Bewertungsmechanismen bisher nicht in gleicher Weise empirisch bestätigt. Lazarus wiederum hält eine dimensionale Organisation von Emotionen für bestimmte Fragestellungen zwar für nützlich, insgesamt aber nicht für ausreichend (Lazarus 1991, S. 68), womit zunächst die Analyse von verbalen Emotionsbeschreibungen wie beispielsweise von Russell, gemeint ist. Er spricht sich zudem wiederholt dagegen aus, menschliche Emotionen 69 3.5 DISKUSSION EMOTIONSTHEORIEN auf neurophysiologische Aktivität zu reduzieren (Lazarus, 1991, 1999), da sie das Entscheidende am emotionalen Prozess, die persönlichen Vorstellungen und Bedeutungen, nicht adäquat abbilden kann. Mit Rolls, für den Bewusstsein insgesamt eher eine zeitaufwendige 'Zusatzfunktion' als ein zentraler Bestandteil ist, dürfte daher wenig Konsens möglich sein. Die Relevanz affektiven Erlebens wird indes vom Neurowissenschaftler Panksepp vertreten, der sogar soweit geht, anderen Säugetieren eine entsprechende Bewussteins-Vorform zuzusprechen. Lazarus lehnt neuronal fixierte Affektprogramme beim Menschen zwar ab, weil die Phylogenese durch eine Zunahme an Flexibilität gekennzeichnet sei, dennoch zeigen sich deutliche Überlappungen zwischen seinen core relational themes (Tab. 3.2.1, S.49) und Panksepps Basisemotionssystemen (2.2.3, S.31) und den zugehörigen affektiven Störungen (Tab. 2.2.2, S.34). Wenn Panksepps Analysen mit der Spezifizierung einzelner Schaltkreise und Neuropeptide ungleich genauer wirken als Lazarus Appraisal- und Re-Appraisal-Prozess, bei dem alles mit allem zusammenzuhängen scheint, so liegt das mit daran, dass Panksepp überwiegend an Tieren forscht, bei denen ganz andere Analysemethoden zum Einsatz kommen können als beim Menschen. Umgekehrt müsste auch Panksepp einräumen, dass es von dem von ihm geschilderten LUST-Schaltkreis der Ratte entwicklungsgeschichtlich noch ein weiter Weg bis zu dem Tolstoj-Zitat ist, welches das entsprechende Kapitel in seinem Buch Affective Neuroscience (1998) einleitet. Trotz des unterschiedlichen Schwerpunkts verbindet beide Forscher, dass sie die Komplexität von Emotionen möglichst vollständig in ihrer Analyse erhalten haben wollen - Lazarus auf der Ebene der beteiligten Bewertungsprozesse, Panksepp in Bezug auf seiner Meinung nach häufig vernachlässigte entwicklungsgeschichtlich alte Hirnstamm-Schaltkreise und unspezifisch wirkende Neuropeptide. Der Wert solcher Bemühungen wird einem gerade dann bewusst, wenn man die theoretischen Erklärungen zur eigenen Erfahrung in Bezug zu setzen versucht. Auch wenn es kein vorrangiges Kriterium zur Beurteilung einer wissenschaftlichen Theorie ist, hat beispielsweise Damasios Bewusstseinstheorie wohl auch deshalb so großen Anklang gefunden, weil das Phänomen, dass scheinbar rationale Entscheidungen zu großem Anteil doch 'aus dem Bauch heraus' getroffen werden, jedem bekannt ist. Bei der Lektüre von Rolls oder Scherer fragt man sich nach einiger Zeit unwillkürlich, ob die Autoren ihr eigenes emotionales Erleben ebenfalls nur als ein Nebenprodukt der Belohnungswert-Kodierung durch ihren orbitofrontalen Cortex und die Amygdala (Rolls) bzw. als das Resultat einer Reihe formaler Stimulus-Evaluation-Checks (Scherer) ansehen. Bradley & Lang, die ähnliche Annahmen wie Rolls machen, trifft dieser Vorwurf weniger, da sie sich auf fest umrissene Phänomene emotionalen Erlebens wie das Bildbetrachten beschränken. Ihre Unterscheidung in strategische und taktische Aspekte einer emotionalen Reaktion (Lang, Simons et al., 1997) kann womöglich auch helfen, die verschiedenen Modelle miteinander zu verbinden: Der reduktionistische Ansatz von Rolls sowie Bradley & Lang zielt eher auf den grundsätzlichen Zweck von Emotionen ab, der über alle Situationen hinweg derselbe ist: Gutes suchen und Schlechtes vermeiden. Eine solche Strategie ist aber nur von Nutzen, wenn sie in konkreten Situationen unmittelbar umgesetzt werden kann, wobei 70 3.5 DISKUSSION EMOTIONSTHEORIEN sowohl Angriff, als auch Flucht oder Totstellen das eigene Überleben sichern können. Da sich die Anforderung an effektive Bewältigungstaktiken innerhalb sozial lebender Säugetiere in beachtlichem Maße ähneln, ist es durchaus plausibel, dass sich im Laufe der Entwicklungsgeschichte auf prototypische Situationen spezialisierte neuronale Schaltkreise herausgebildet haben. Solche situationsspezifischen Mechanismen sind empirisch aber weitaus schwerer zu untersuchen, insbesondere, wenn auf Seiten des Untersuchungsobjektes so beachtliche Interpretationskapazitäten bestehen wie beim Menschen, was eventuell ein Grund dafür ist, dass Panksepp wiederholt für tierphysiologische Studien plädiert (Panksepp, 1998, 2003b) und die empirische Überprüfung von Lazarus' Appraisaltheorie nicht besonders weit fortgeschritten ist (Mitmansgruber, 2003). Auf der anderen Seite ist auch klar, dass die Beschäftigung mit eher situationsbezogenen Verhaltensmustern und Prozessen weitaus mehr Implikationen für die klinische Anwendung bietet als die grundsätzlichen Dimensionen Valenz und Arousal, was Lazarus' Beschäftigung mit Stressentstehung und seine Nähe zu kognitiv orientierten Psychotherapieansätzen oder Panksepps Anregungen für die Psychopharmakologie (Panksepp & Harro, 2004)_verdeutlichen. 71 EMOTIONEN UND PERIPHERPHYSIOLOGISCHE MAßE – 4.1 HAUTLEITFÄHIGKEIT 4 Emotionen und peripherphysiologische Maße Im Rahmen psychologischer Emotionsforschung werden einige Biosignale verstärkt als Indikatoren körperlicher Veränderungen während einer emotionalen Episode herangezogen. Dabei handelt es sich um Hautleitfähigkeit, Gesichtsmuskelaktivität und Herzschlag, alles Veränderungen, die zwar im Zentralnervensystem ihren Ursprung haben, aber vom peripheren Nervensystem vermittelt werden, weshalb in Abschnitt 3.4 (S.58) von peripherphysiologisch orientierten Ansätzen gesprochen wurde. Während in dem genannten Kapitel Veränderungen in den entsprechenden Signalen in erster Linie die theoretischen Annahmen der Autoren belegen sollten, wird in diesem Kapitel übergreifend auf Befunde zu den jeweiligen Parametern im Zusammenhang mit Emotionen eingegangen. Die Entstehung der einzelnen Signale und ihre neuroanatomische Grundlagen werden kurz zusammengefasst, wobei auch hier der Schwerpunkt auf einem Bezug zur Emotionsforschung liegt. Für eine darüber hinaus gehende Darstellung sei auf das Handbook of Psychophysiology (Cacioppo, Tassinary et al., 2000) oder als deutschsprachige Quelle das Lehrbuch Psychophysiologie (Schandry, 1998) verwiesen. 4.1 Hautleitfähigkeit Elektrodermale Aktivität (EDA) ist ein Oberbegriff, der sämtliche elektrischen Phänomene in der Haut umfasst (Boucsein, 1992), gleichzeitig aber auch als Kürzel für die am weitesten verbreiteten Messung der Hautleitfähigkeit mittels einer angelegten Gleichspannung (zumeist 0.5 Volt) benutzt wird. Grundlage dieser Leitfähigkeit ist vorrangig die Aktivität der Schweißdrüsen in der Haut, wobei nicht nur auf der Haut austretender Schweiß, sondern bereits die Füllung der Drüsenkanäle eine Veränderung bewirkt. Haupt-Ableitorte sind in der Emotionspsychologie die Handflächen und Fußsohlen, da diese Stellen eine sehr hohe Dichte von Schweißdrüsen aufweisen, deren Aktivität zudem durch körperliche Anstrengung wenig beeinflusst wird. 4.1.1 Funktion Die Hauptfunktion des Schwitzens ist neben dem Ausscheiden von Giftstoffen primär die Thermoregulation. Wieso die Hautleitfähigkeit einen engen Bezug zu psychischen Prozessen wie Orientierungsreaktion oder emotionaler Erregung zeigt, ist weniger offensichtlich. Boucsein (1992) nennt folgende mögliche adaptiven Vorteile, die im Laufe der Evolution zu einer Kopplung der Schweißaktivität mit psychischen Phänomenen geführt haben könnten: Im Rahmen der Handlungsvorbereitung erhöht die Anfeuchtung der Hand deren Greiffähigkeit sowie die taktile Sensibilität, gleichzeitig weist angefeuchtete Haut eine erhöhte Elastizität auf und bietet damit verbesserten Schutz vor Verletzung. Dementsprechend könnte emotional bedingtes Schwitzen eine mögliche affektive Reaktion vorbereiten und dem damit verbundenem Temperaturanstieg vorweggreifen. Darüber hinaus hat Schweiß in diesem Zusammenhang womöglich eine olfaktorische Signalwirkung. 72 EMOTIONEN UND PERIPHERPHYSIOLOGISCHE MAßE – 4.1 HAUTLEITFÄHIGKEIT 4.1.2 Kennwerte und ihr Bezug zu Emotionen Innerhalb des grundsätzlichen Hautleitfähigkeitsniveaus (engl.: skin conductance level), einem tonischen Parameter, kann es zu kurzfristigen Anstiegen kommen, die als Hautleitfähigkeitsreaktion bezeichnet werden. Ein solcher Anstieg tritt zum einen auf einen spezifischen Reiz hin mit einer Verzögerung von 1-2 Sekunden auf, zeigt sich aber auch ohne erkennbaren äußeren Anlass, also als unspezifische Reaktion oder Spontanfluktuation. Die Anzahl der Spontanfluktuationen in einem bestimmten Zeitraum gilt ebenfalls als tonischer Parameter und hat sich neben dem Hautleitfähigkeitsniveau (Palomba et al., 2000) als geeignet erwiesen, emotionale Erregung (Bradley et al., 1996; Smith et al., 2005) oder psychische Anspannung in einem längeren Zeitraum anzuzeigen (Boucsein & Backs, 2000). Wird die Hautleitfähigkeitreaktion auf einen einzelnen, kurz andauernden Reiz untersucht, beispielsweise Bildpräsentation, so wird zumeist die Amplitude als Indikator für das Ausmaß emotionaler Erregung herangezogen (Pauli & Birbaumer, 2000). Ähnlich lässt sich bei Präsentation über einen längeren Zeitraum neben der Anzahl der Reaktionen auch die mittlere Amplitude als Indikator verwenden (Boucsein, 1992). 4.1.3 Neuroanatomische Grundlagen Die Schweißdrüsen werden ausschließlich sympathisch innerviert, wobei der postganglionäre Neurotransmitter Acetylcholin und nicht wie sonst bei sympathischen Fasern Noradrenalin ist. Allerdings scheint es auch eine adrenerg vermittelte Schweißsekretion zu geben, denn Millington & Wilkinson (1983) weisen darauf hin, dass Atropin, ein Acetylcholin-Antagonist in der Hand emotionales, nicht aber sonstiges Schwitzen blockiert. In Anlehnung an Boucsein (1992) nehmen Dawson et al. (2000) drei zentrale Einflüsse auf die elektrodermale Aktivität an: • eine kontralateral wirkende Auslösung durch die Basalganglien und prämotorischen cortikale Bereiche. Sie sind für EDA-Veränderungen im Vorfeld von spezifischen Körperbewegungen verantwortlich. • Ipsilaterale Steuerung der Schweißaktivität durch den Hypothalamus, zum einen im Rahmen der Thermoregulation, zum anderen vermittelt durch limbische Einflüsse. Diese Verbindung begründet emotionale Einflüsse auf die Hautleitfähigkeit. • durch die retikuläre Formation im Hirnstamm, in der es sowohl erregend als auch hemmend wirkende Kerne gibt. Ihr Einfluss spiegelt das generelle Aktivierungsniveau wider und kann dazu führen, dass die Lateralität der zuvor genannten Einflussgrößen aufgehoben wird. Auf die limbisch-hypothamalische Achse wird im folgenden detaillierter eingegangen. 4.1.3.1 Bezug zu Emotionssystemen Die Bedeutung der Amygdala für elektrodermale Aktivität ist umfassend belegt, bilaterale Amygdala-Läsionen führen zu einem Ausbleiben einer elektrodermalen Reaktion auf affektiv bewertete, insbesondere aversive Reize, haben aber keine Auswirkung auf einen Hautleitfähigkeitsanstieg bei Orientierungsreaktion auf neutrale Reize (Tranel, 2000) oder auf das Wissen 73 EMOTIONEN UND PERIPHERPHYSIOLOGISCHE MAßE – 4.1 HAUTLEITFÄHIGKEIT um einen drohenden Strafreiz (Phelps, 2006). Neuere Studien mit bildgebenden Verfahren konnten diesen Zusammenhang überwiegend bestätigen (Critchley, 2002; Williams et al., 2004; Williams et al., 2005; Williams et al., 2001), nicht jedoch Anders et al., (2004). Der anteriore cinguläre Cortex (ACC) beeinflusst die EDA-Aktivität ebenfalls, allerdings weniger selektiv, denn Läsionen in seinem Bereich lassen sowohl die EDA-Reaktion auf psychologische als auch auf physikalische Reize (Tranel, 2000) ausbleiben, weshalb Critchley (2002) ihm hier die Funktion zuschreibt, körperliche Erregung übergreifend mit Verhaltensintentionen zu koordinieren, wobei der ACC häufig zusammen mit der Amygdala aktiviert ist (Critchley, 2005). Ausgelöst werden solche Verhaltensintentionen im präfrontalen Cortex, dessen Bereiche auch EDA-Reaktionen im Zusammenhang mit Entscheidungsprozessen beeinflussen. Damasio benutzt dieses peripherphysiologische Maß wiederholt, um zu belegen, dass vielen Entscheidung unbewusste körperliche Veränderungen vorangehen, die als somatische Marker die Relevanz eines Reizes für den Organismus charakterisieren (Bechara & Damasio, 2005; Damasio, 1994). Ist der ventromediale präfrontale Cortex (vmPFC) geschädigt, zeigt sich das sowohl als Defizit im Entscheidungsverhalten als auch als Ausbleiben einer Hautleitfähigkeitsreaktion (Tranel, 2000). Umgekehrt geht ein EDA-Anstieg mit erhöhter Aktivität im vmPFC einher (Anders et al., 2004). Der Fokus der genannten Neuroimaging-Untersuchungen beschränkt sich jedoch nicht auf die auslösenden Strukturen der körperlicher Veränderungen, sondern beinhaltet auch deren Rückmeldung und ihre Repräsentation im ZNS, was Damasios Körperschleife bzw. der Als-obKörperschleife entspricht. Hier sind neben frontalen Regionen (Williams et al., 2004) rechtsparietale Bereiche (Anders et al., 2004; Tranel, 2000) sowie die Insula (Anders et al., 2004; Critchley, Elliott et al., 2000; Critchley et al., 2002) zu nennen, nach der Gruppe um Critchley insbesondere die der rechten Hemisphäre. Weitere Angaben zu Lateralität, wie etwa in Critchley (2002), dass der linke vmPFC vermehrt vor und der rechte vmPFC nach einer Hautleitfähigkeitsreaktion aktiviert ist oder von Williams et al. (2004), dass die linke Amygdala eher mit andauerndem EDA-Anstieg aus Angst und die rechte mehr mit kurzfristigem Anstieg aufgrund von Neuheit assoziiert ist, scheinen zum jetzigen Zeitpunkt noch der Replikation zu bedürfen. 4.1.4 Zusammenfassung Phasische und tonische Veränderungen der Hautleitfähigkeit sind ein Indikator rein sympathischer Erregung. Wie im Kapitel über Bradley & Lang erwähnt, sind sehr erregende emotionale Reize aber selten wertneutral, sondern zumeist angenehm oder unangenehm oder sogar beides (3.4.3.2 S.63). 'Erregend' bedeutet hier immer auch 'für den Organismus relevant', womit sich erklären lässt, wieso gerade die Amygdala und der präfrontale Cortex zusammen mit dem anterioren cingulären Cortex über den Hypothalamus Einfluss auf die Hautleitfähigkeit ausüben. Die ersten beiden Strukturen codieren die positive oder negative Bedeutung eines Reizes und lösen so Verhaltensintentionen aus, der ACC ist mit dafür verantwortlich, dass sie umgesetzt werden. Weil diese Vorgänge eine Veränderung der Hautleitfähigkeit bewirken, ohne dass sie 74 EMOTIONEN UND PERIPHERPHYSIOLOGISCHE MAßE – 4.2 GESICHTSMUSKELAKTIVITÄT bewusst werden müssen, bietet sich die EDA-Messung an, das Ausmaß affektiver Beteiligung an psychischen Prozessen abzuschätzen. Begrenzt wird ihre Aussagekraft durch die relativ hohe Latenz und Abklingzeit einer EDA-Reaktion, die beide im Sekundenbereich liegen. Sie machen die Integration über ein bestimmtes Zeitfenster nötig und verhindern, dass Veränderungen im weiteren Verlauf einer emotionalen Episode, z.B. Neubewertung der Situation, zeitlich sehr differenziert abgebildet werden können. 4.2 Gesichtsmuskelaktivität Gesichtsausdrücke sind einer der schnellsten Kommunikationskanäle, seinem Gegenüber den eigenen emotionalen Zustand vermitteln, angefangen beim Zähnefletschen in der Tierwelt, das klar macht, was einem Angreifer droht, wenn er mit seinem Verhalten fortfährt. Ob sie dabei ein zwingendes Merkmal von Emotionen sind oder in erster Linie in sozialen Situation auftreten (s. den Disput zwischen Ekman und Russell, Kapitel 3.4.1 und 3.4.2, S.59), bleibt weiterhin kontrovers, unbestritten aber ist, dass sie zumeist sehr rasch und unwillkürlich auftreten und erst im weiteren Verlauf manipuliert werden können, weshalb sie unter anderem als Indikator für Täuschungsverhalten herangezogen werden (Ekman, 2003a). Um auch kurzzeitige und abgeschwächte, eventuell bewusst gehemmte Veränderungen erkennen zu können, ist ein sensibles Messinstrument vonnöten. Eine Möglichkeit ist die detailierte Analyse von Videoaufnahmen, eine andere die Messung mittels Elektromyogramm (EMG). Das EMG mißt Spannungsänderungen, die auf der Erregungsausbreitung in den aktivierten Muskeln bzw. einzelner motorischer Einheiten eines Muskels, sogenannter Muskelaktionspotentiale, zurückzuführen sind. Diese Veränderungen sind stark genug, dass sie auch auf der Haut mittels Elektroden erfasst werden können, wobei der Abstand einer solchen Oberflächenelektrode allerdings bedingt, dass nicht mehr die Aktivierung einzelner motorischer Einheiten, sondern nur des gesamten Muskels gemessen werden (Stern et al., 2001). 4.2.1 Kennwerte und ihr Bezug zu Emotionen In der Emotionspsychologie beschränkt sich die Messung der Gesichtsmuskelaktivität zumeist auf den musculus zygomaticus major, den Lachmuskel und den musculus corrugator supercilii, der das Zusammenziehen der Augenbrauen bewirkt. Während ersterer verstärkt bei positiven Emotionen aktiviert wird, ist das Zusammenziehen der Augenbrauen ein Anzeichen für eine negative Bewertung, die Angst, Trauer und Wut umfasst. (Hu & Wan, 2003). Zusätzlich wird eventuell auch noch der musculus orbicularis oculi, der Augenringmuskel, erfasst, um ein spontanes, also echtes Lächeln (Duchenne-Lächeln), das sich durch zusätzliche Verengung der Lidspalte und Fältchen in den Augenwinkeln auszeichnet, von einem gewollten zu unterscheiden, bei dem der Augenringmuskel weniger beteiligt ist. Eine Koaktivierung von corrugator und orbicularis oculi ist zudem bei Ekel anzutreffen (Bradley et al., 2001). Das aufgezeichnete Rohsignal wird hochpass- und tiefpassgefiltert, um Artefakte aufgrund von Kopfbewegungen, Schlucken oder Augenbewegungen zu elimieren (van Boxtel, 2001), 75 EMOTIONEN UND PERIPHERPHYSIOLOGISCHE MAßE – 4.2 GESICHTSMUSKELAKTIVITÄT anschließend gleichgerichtet, und schließlich integriert. Die Größe der integrierten Fläche spiegelt dabei das Ausmaß der Muskelaktivität wider (Tassinary & Cacioppo, 2000). 4.2.2 Neuroanatomische Grundlagen Die Gesichtsmuskulatur wird vom VII. Hirnnerven, dem Facialisnerv innerviert (s. Abb. 4.2.1). Dessen Zuflüsse sind vielfältig, wobei für die Emotionsforschung erschwerend hinzukommt, dass sich Mimik auch willkürlich umfangreich steuern lässt. Indikativ für Emotionen sind aber in erster Linie unwillkürliche Veränderungen. Abb. 4.2.1: Die Äste des Faszialisnerv. Modifiziert nach Mayer (2007). Für Befürworter einer festen Verknüpfung von Emotionen mit spezifischen Gesichtsausdrücken als Teil von Affektprogrammen wäre eine möglichst enge Verschaltung von Sinneswahrnehmung mit ausführenden Gesichtsmuskelnerven, also am besten schon auf Hirnstammebene wünschenswert. Für Reflexe, etwa den Cornealreflex, ist dies unbestritten, aber es ist nicht belegt, dass dies für emotionale Gesichtsausdrücke ähnlich funktioniert, denn dazu müßte zum einen die nicht-emotionale Gesichtsmotorik unbeeinträchtigt bleiben, zum anderen dürften Ausfälle in höheren Hirnzentren keinen gravierenden Einfluss auf die spontane emotionale Mimik haben, wenn wirklich Emotionssysteme im Hirnstamm die auslösenden Regionen sind. Degeneration der Basalganglien bei Parkinson führt aber zu im Vergleich stärkerer Beeinträchtigung der spontanen Mimik als der intendierten (Blair, 2003), und auch die berichteten Fälle von emotionaler Gesichtsparesie, bei der nur die unwillkürliche Emotionsmimik betroffen ist, weisen Schädigungen in unterschiedlichen Bereichen auf: Häufig ist der Thalamus (Hopf et al., 1992; Schmahmann, 2003), aber auch die Pyramidalbahn (Töpper et al., 2003) und pontine Regionen (Hopf et al., 2000) betroffen, bei einem anderen Patienten der linke dorsale Bereich der medulla oblongata (Cerrato et al., 2003). 76 EMOTIONEN UND PERIPHERPHYSIOLOGISCHE MAßE – 4.2 GESICHTSMUSKELAKTIVITÄT Iwase et al., (2002) untersuchten unterschiedliche Aktivierungsmuster bei echtem gegenüber gestelltem Lachen mittels PET. Echtes Lachen aktivierte im Vergleich zum willkürlichen den linken anterioren Temporal- und Occipitotemporallcortex inklusive Uncus sowie mediale ventrale und orbitofrontale Bereiche des präfrontalen Cortex. In beiden Fällen gab es eine signifikante Korrelation zwischen Aktivierung in den supplementärmotorische Arealen (SMA) beider Hemisphäre und der Stärke des EMG-Signals. Dieser Zusammenhang erstreckte sich in der willentlichen Bedingung wie zu erwarten auch auf Bereiche des motorischen Cortex (M1), die Willkürmotorik steuern, während bei spontanem Lachen statt dessen das linke Putamen beteiligt war. An emotionaler Mimik sind hier also nicht ausschließlich Hirnstammregionen, sondern auch diverse höhere Bereiche beteiligt und das Lachen als Emotion hat verschiedene neuronale Auslöser. Blair (2003) versucht in einem Modell die Schwierigkeit, die auslösenden Regionen emotionaler Mimik genau zu bestimmen, dadurch zu überwinden, indem er angibt, dass Regionen, die für die Bestimmung der emotionalen Bedeutung eines Reizes zuständig sind (z.B. die Amygdala), im Zusammenspiel mit dem Frontalcortex und den Basalganglien motorische Programme für die Auslösung des jeweiligen Gesichtsausdrucks kontrollieren. Allerdings ist diese Darstellung sehr allgemein – die verschiedenen Bereiche des Frontalcortex sind in Läsionsstudien mit unterschiedlichen Defiziten assoziiert (Adolphs, 2006) und als generelle Beschreibung für die Funktion des Frontalcortex sind in erster Linie Entscheidungs- und Kontrollprozesse zu nennen (Bechara & Damasio, 2005), weniger Auslösung einzelner Verhaltensweisen. Gerade für affektive Mimik ist die Kontroll- oder Hemmfunktion zudem nicht umfassend, denn auch Damasio (200a) betont, dass es den meisten Menschen nicht sehr gut gelingt, emotionale Gesichtsausdrücke vollständig zu unterdrücken, was für ein gewisses Maß an Unabhängigkeit der entsprechenden Mimik-Schaltkreise spricht. 4.2.3 Zusammenfassung Gesichtsmuskelaktivität wird in der Emotionspsychologie als Indikator für die qualitative Bewertung eines Reizes genutzt. Inwieweit emotionale Gesichtsausdrücke reflexähnlich als Affektprogramme neuronal vorangelegt sind oder als Kommunkationsmittel gelernt und in erster Linie in sozialen Situationen auftreten, ist bis zum jetzigen Zeitpunkt umstritten. Lazarus' Einwand (1991), dass das menschliche Nervensystem sich gegenüber dem von anderen Säugetieren vor allem durch größere Flexibilität auszeichnet, kommt hier besonders zum Tragen. Wenn sich aber der corrugator- und zygomaticus-Muskel in zahlreichen Versuchsanordnungen als Messgrößen für Valenz bewährt haben (s. z.B. Tab. 3.4.1, S.66), spricht das für eine enge Verknüpfung, zumindest was die unmittelbare Bewertung des Ereignisses betrifft und so lange für die Versuchspersonen kein Anlass besteht, diese unwillkürliche Bewegung zu beeinflussen, um etwa einen anderen Eindruck bei Kommunikationspartnern zu erzeugen. 77 EMOTIONEN UND PERIPHERPHYSIOLOGISCHE MAßE – 4.3 HERZAKTIVITÄT 4.3 Herzaktivität Anders als Gesichtsmuskelaktivität lässt sich der Herzschlag kaum bewusst direkt beeinflussen. Dafür ist der Bezug zu Emotionen weit weniger eng: die Hauptfunktion des Herzens ist die Versorgung des Körpers inklusive Gehirn mit Sauerstoff und Nährstoffen, transportiert über das Blut. Um dies sicherzustellen, muss das Herz unentwegt schlagen, wodurch dem Einfluss emotionaler Prozesse schon vorab Grenzen gesetzt sind. Der Taktgeber des Herzrhythmus ist der Sinusknoten, der zunächst weitestgehend unabhängig von höherer Beeinflussung arbeitet. Seine Erregung breitet sich in den umgebenden Muskelzellen rasch aus, und diese Depolarisation ist auch an der Körperoberfläche als Elektrokardiogramm (EKG) messbar (Brownley et al., 2000). 4.3.1 Kennwerte und ihr Bezug zu Emotionen Der charakteristische Verlauf des EKGs ermöglicht die Bestimmung mehrer Kennwerte. Die Zyklus einer Herzkontraktion mit anschließender Neufüllung mit Blut wird als Herzperiode oder Herzschlagdauer bezeichnet, das Intervall zwischen zwei Herzschlägen als Inter-Beat-Intervall (IBI). Im Rohsignal ist es die Zeit zwischen zwei R-Zacken im EKG, wodurch sie sich gut automatisiert bestimmen lässt (Christie, 2003). Auch wenn andere Abschnitte im EKG als Indikatoren psychischer Prozesse in Frage kommen, etwa die pre-ejection period (PEP) (Berntson et al., 2004) oder die Amplitude der T-Welle als Indikator β-adrenerger sympathischer Aktivität (Palomba et al., 2000), so sind doch Veränderungen in der Zeit zwischen zwei Herzschlägen(=IBI) bzw. der Herzrate als Anzahl Schläge pro Minute (=60000/IBI), am umfangreichsten untersucht. 4.3.1.1 Herzrate und Emotionen Bei Studien zur Veränderung der Herzrate in Folge von Emotionen muss zunächst unterschieden werden, ob nur die mittlere Herzrate für die gesamte emotionale Episode bestimmt wird oder die Herzratenveränderungen im Laufe der Emotion beschrieben werden. Bei einer zusammengefassten mittleren Herzrate gehen Informationen über den Veränderungsverlauf innerhalb des jeweiligen Zeitfensters verloren. Levenson, Ekman und Friesen berichteten 1983, dass Wut, Angst und Trauer von einem starken, Freude und Überraschung von einem leichten Herzratenanstieg und Ekel von einem leichten Abfall begleitet wären. Auch wenn die Autoren in nachfolgenden Untersuchungen einen Teil der Kritik zu entkräften versuchten (Levenson et al., 1990, 2002), wird die Wirksamkeit der Emotionsauslösung durch ein zehnsekündiges Nachstellen der zugehörigen Gesichtsausdrücke (in einer anderen Bedingung sollten die Probanden sich 30s an eine entsprechende emotionale Situation erinnern) immer noch unterschiedlich bewertet (Demaree et al., 2006). Vor allem aber konnten die erhaltenen Ergebnisse zur Herzaktivität, bei denen auf den ersten Blick überrascht, dass Trauer mit einem deutlichen Herzratenanstieg einherging, nicht einheitlich repliziert werden (Nyklicek et al., 1997) bzw. kamen andere Studien, die die Herzrate zur Unterscheidung zwischen Emotionen nutzten, zu abweichenden 78 EMOTIONEN UND PERIPHERPHYSIOLOGISCHE MAßE – 4.3 HERZAKTIVITÄT autonomen Mustern (Christie & Friedman, 2004; Nyklicek et al., 1997). Der Herzratenabfall für Ekel konnte allerdings bestätigt werden (Palomba et al., 2000), ebenso wie eine Zunahme bei subjektiver Erregung (Witvliet & Vrana, 1995) oder dem Berichten von emotionalen Erlebnissen generell (Neumann & Waldstein, 2001). Rainville et al., (2006), die zur Emotionsinduktion ebenfalls Erinnern einer emotionalen Episode verwendeten, konnten das Herzratenmuster von Levenson et al. (1983, 1990, 2002) replizieren und wenden sich wie diese gegen ein Modell, das lediglich auf globale Erregung abstellt, sondern postulieren spezifische Muster für einzelne Emotionen. Dass Wut und Angst mit einer Zunahme der Herzrate verbunden sind, kann mit dem Verweis auf entsprechende fight/flight-Verhaltensintentionen leicht begründet werden (Levenson et al., 1990), aber wieso ein ähnliches Muster für Trauer, für Ekel hingegen genau das gegenteilige (Abfall der Herzrate) typisch sein soll, ist weniger offensichtlich7. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Studien zur Zuordnung von kardiovaskulären Mustern zu spezifischen Emotionen häufig in der Methode der Emotionsinduktion (Vorstellen einer Situation bei Levenson et al. und Rainville et al., Nacherzählen einer Episode bei Neumann & Waldstein, Musik bei Nyklicek et al., Filme bei Christie & Friedmann und Palomba et al.) sowie den aus dem EKG abgeleiteten Kennwerten und ihren Bezeichnungen unterscheiden8. Im Extremfall dienen die Kennwerte in erster Linie zu einer faktorenanalytischen Bestimmung der zugrunde liegenden Emotions-Dimensionen, und es werden die Ergebnisse dieser Klassifikation ausführlich, die Veränderungen in den ursprünglichen Kennwerten aber nur am Rande berichtet (z.b. in Christe & Friedman, 2004 oder in Rainville et al., 2006). Wird der zeitliche Verlauf der Herzratenveränderung während der Darbietung emotionaler Reize untersucht, sind die Ergebnisse einheitlicher: Die Präsentation eines Bildreizes führt zunächst unabhängig von dessen emotionaler Bedeutung zu einer leichten Verlangsamung der Herzrate, dann zu einem Anstieg, wobei bei aversiven Reizen der erste Abfall stärker ausfällt und der anschließende Wiederanstieg schwächer ist oder ausbleibt (Bradley et al., 1996; Bradley et al., 2005; Simons et al., 1999; Smith et al., 2005). Bradley & Lang benutzen das Ausmaß des Wiederanstiegs dementsprechend als Indikator für Valenz (s. Tab. 3.4.1, S.66), weisen allerdings darauf hin, dass Herzrate das physiologisches Maß sei, das am meisten durch taktische situationsabhängige und weniger durch strategische situationsübergreifende Reaktionsmuster beeinflusst wird (Bradley et al., 1996). Ähnlich berichten Britton et al., (2006), dass das Ausmaß der HR-Verlangsamung deutlicher zwischen sozialen (Filmclips mit Personen) und nicht-sozialen Situationen (Filmclips ohne Personen, geringere Herzratenverlangsamung) variierte als zwischen der positiven, neutralen oder negativen Valenz der Reize. Je nach theoretischer Ausrichtung der Autoren werden Herzratenveränderungen also als Beleg für emotionsspezifische Muster, als abhängig von der Reizvalenz oder bedingt durch 7 Levenson et al (1990) geben als Affektprogramm für Ekel 'rejecting or shutting out' (S. 379) an, zu Trauer äußern sie sich nicht. Rainville et al (2006) untersuchten nur Angst, Wut, Trauer und Freude, machen aber ebenfalls keine Angabe zu Gründen für den Anstieg bei Trauer. 8 Das mittlere Inter-Beat-Intervall (IBI) etwa wird in Friedman & Christie (2004) als HP für 'Herzperiode' geführt, in Rainville et al. (2006) als 'RRmean'. 79 EMOTIONEN UND PERIPHERPHYSIOLOGISCHE MAßE – 4.3 HERZAKTIVITÄT spezifischen situativen Kontext gedeutet. Ein Grund für die Mehrdeutigkeit der Ergebnisse ist sicherlich, dass das Herz sowohl sympathisch wie auch parasympathisch innerviert wird, wobei ersterer eine Beschleunigung, zweiterer eine Verlangsamung der Herzrate bewirkt (Hagemann et al., 2003). Eine Veränderung, etwa eine Zunahme der Schlagfrequenz, könnte grundsätzlich also auf vermehrte sympathische oder nachlassende parasympathische Aktivierung bzw. beides zurückzuführen sein. Schwankungen im Intervall von Schlag zu Schlag hingegen lassen sich besser einem der beiden Äste des Autonomen Nervensystems zuordnen. 4.3.1.2 Respiratorische Sinusarrhythmie Der Herzrhythmus wird durch die Atmung beeinflusst: beim Ausatmen verlangsamt sich der Herzschlag, beim Einatmen wird er schneller. Das Ausmaß dieser atmungsbedingten Unregelmäßigkeit hängt vom momentanen Einfluss des Parasympathikus, vorrangig vermittelt durch den Vagusnerv ab, weshalb die respiratorische Sinusarrhythmie (RSA) als Indikator für parasympathische Aktivität bzw. vagalen Tonus genutzt wird. Bei gleichzeitiger Erfassung der Atmung lässt sich die RSA bestimmen als Differenz von maximalen und minimalem IBI innerhalb eines Atemzyklus (peak-to-trough-Methode, z.B. (Grossman & Svebak, 1987). Liegt die Atmung nicht vor, kann die mittlere Differenz sukzessiver Herzschläge, entweder im Absolutbetrag als Mean Successive Difference (MSD, s. z.B. Christie & Friedman, 2004; Ruiz-Padal et al.,2003) oder als Wurzel des Mittelwerts der zuvor quadrierten Differenzen (Root Mean Squared Successive Differences, RMSSD, s. z.B. Malik, 1996) als Index herangezogen werden. Eine weitere Möglichkeit ist, durch geeignete Filterung der IBI-Reihe das Ausmaß der RSA zu bestimmen (Brownley et al., 2000; Porges & Byrne, 1992). All diesen Verfahren ist gemeinsam, dass sie mit Werten aus dem Zeitbereich, hier den Differenzen in Millisekunden arbeiten. Ein anderer Ansatz zerlegt die IBI-Reihe mittels Spektralanalyse in die darin vorkommenden Frequenzen und benutzt so zur Beschreibung der RSA Werte aus dem Frequenzbereich. Der Anteil von Frequenzen von 0.15-0.4 Hz, am Gesamtspektrum, dem High-Frequency-Range (HF) spiegelt dabei das Ausmaß der Parasympathikus-Aktivität wieder, beim Low-FrequencyRange (LF) von 0.04-0.15 Hz ist nicht endgültig geklärt, ob er nur auf Sympathikus-Aktivität oder die beider Äste zurückzuführen ist (Malik, 1996). Das Absinken eines Bestandteils dieses Spektrums, die 0.1Hz-Komponente, wird in der Arbeitspsychologie als Indikator mentaler Beanspruchung genutzt (Boucsein & Backs, 2000; Mulder et al., 2000), ist aber nicht mit der RSA gleichzusetzen (Grossman, 1992; Porges & Byrne, 1992). Trotz ausgefeilter Methoden zur Bestimmung geeigneter RSA-Parameter ist der Kenntnisstand bezüglich ihrer Veränderung bei Emotionen bescheiden: Teilweise wird kein einheitlicher Zusammenhang berichtet (Demaree et al., 2006; Nyklicek et al., 1997), teilweise wird ihre Abnahme als Arousal-Indikator (Christie & Friedman, 2004), der aber gering mit elektrodermaler Aktivität korreliert, empfohlen (Frazier et al., 2004). Rainville et al., (2006) führen Änderungen in der HF-Herzratenvariabilität in ihrem Entscheidungsbaum auf, unterscheiden allerdings zwischen Veränderungen mit gleichzeitigen Veränderungen in respiratorischen Parametern und 80 EMOTIONEN UND PERIPHERPHYSIOLOGISCHE MAßE – 4.3 HERZAKTIVITÄT HF-Veränderungen ohne dieselben. Ähnlich wie bei der Herzrate besteht auch für die RSA die Tendenz, dass konkrete Befunde berichtet und auf die zentrale Bedeutung autonomer Prozesse für Emotionen verwiesen wird, ohne dass ein differenziertes Modell zum Einfluss des ANS auf die Herzaktivität herangezogen wird. Ein entsprechender Ansatz wird im folgenden Abschnitt dargestellt. Insgesamt scheint das Ausmaß der RSA am ehesten noch mit der Fähigkeit zur Emotionsregulation bzw. adäquaten Reaktion auf emotionale Reize in Zusammenhang zu stehen (Demaree et al., 2006; Frazier et al., 2004; Ruiz-Padial et al., 2003; Thayer & Lane, 2000). 4.3.2 Neuroanatomische Grundlagen Der Einfluss von Emotionen auf die Herzaktivität wird sympathisch und parasympathisch vermittelt. Fasern aus der intermediolateralen Zellsäule, die im Thorakalbereich [auf Brusthöhe] der Wirbelsäule austreten, sind der hauptsächliche sympathische Einfluss. Sie werden von Strukturen der Medulla oblongata, etwa den Raphekernen, gesteuert und bewirken über NoradrenalinAusschüttung eine Zunahme der Herzrate. Desweiteren sprechen die Zielrezeptoren im Herzen aufgrund ihrer Lage auch auf im Blut vorhandenes Adrenalin an, wie es etwa während einer Stressreaktion vom ebenfalls sympathisch gesteuerten Nebennierenmark ausgeschüttet wird (Brownley et al., 2000). Der parasympathische Anteil wird über den Vagusnerv, den X. Hirnnerv vermittelt, für den wiederum zwei Kerne in der Medulla oblongata, der Nucleus ambiguus (NA) und der dorsale Vaguskern zentral sind. Im Ruhezustand ist der Einfluss des Parasympathikus auf das Herz um ein vielfaches höher als der des Sympathikus (Birbaumer & Schmidt, 1999), es wird also vagal gebremst. Entwicklungsgeschichtlich bedingt sind dabei verschiedene Wirkungsarten des Vagus zu unterscheiden, was Porges zu der Formulierung einer polyvagalen Theorie veranlasste. 4.3.2.1 Die Polyvagale Theorie von Porges Der nervöse Einfluss auf das prinzipiell auch ohne nervöse Aktivierung schlagende Herz bildete sich im Laufe der Evolution in folgenden Stufen heraus (Porges, 1997): • zunächst durch ein unmyelinisiertes Vagus-System, das seinen Ursprung im dorsalen Vagus hat, weshalb es als DVC ('C' für 'Complex') bezeichnet wird und bei Reptilien ein drastisches Absinken der Herzrate während des Totstellens bewirkte. Bei Säugetieren ist dieser Mechanismus noch in Extremsituationen festzustellen (Porges, 1997), aber nur begrenzt adaptiv, da ihr Gehirn weit mehr als das von Reptilien auf konstante Sauerstoffversorgung angewiesen ist. Die Steuerung dieses Vagus-Systems erfolgt durch den dorsalen VagusKern und den vorgeschalteten Nucleus tractus solitarii (NTS). • ein zusätzliches sympathisches Nervensystem (SNS), das durch (Nor)Adrenalin- Ausschüttung einen starken, länger andauernden Anstieg der Herzrate hervorruft, wie es für Kampf/Flucht-Verhalten notwendig ist. Seine Fasern sind ebenfalls unmyelinisiert, wodurch es eine Anlaufzeit im Sekundenbereich hat. 81 EMOTIONEN UND PERIPHERPHYSIOLOGISCHE MAßE – 4.3 HERZAKTIVITÄT • schließlich ein evolutionär jüngeres ventrales Vagus-System (VVC) mit myelinisierten Fasern, das eine schnelle und feine Steuerung der Herzaktivität durch Modulation der vagalen Bremse ermöglicht. Dieses System ist erst ab Säugetierniveau verfügbar und entwickelte sich, da komplexe, beispielsweise soziale Situationen differenziertere Reaktionsmuster als nur Kampf/Flucht oder Totstellen erforderten. Bei umfassender Informationsverarbeitung wäre eine zu hohe sympathische Erregung wenig funktional, zudem ist bei ungebremster sympathischer Aktivierung der Energieverbrauch sehr hoch. Für einen eventuell benötigten leichten Anstieg der Erregung ist daher eine kurzzeitige Rücknahme der vagalen Bremse besser geeignet als ein vollständiges Hochfahren des SNS. Der dämpfende Einfluss auf die Herzaktivität wird durch den Nucleus ambiguus gesteuert, der auch die Muskeln reguliert, die Vokalisieren und Gesichtsausdrücke und so Kommunikation ermöglichen (Porges, 2001). Aufgrund der zentralen Bedeutung für adäquate emotionale und soziale Reaktionen wird das ventrale Vagus-System von Porges in jüngeren Veröffentlichungen auch als social engagement system bezeichnet und der Zusammenhang zwischen mangelnder vagaler Drosselung und psychischen Störungen behandelt (Porges, 2001, 2003a, 2003b). Dieses System ermöglicht höheren cortikalen Bereichen über den Hirnstamm die Beeinflussung emotionaler Mimik, Gestik und ein gewisses Maß an Kontrolle über das sympathische Nervensystem, wie sie für soziale Interaktion nötig ist. Der Vagusnerv übermittelt dabei nicht lediglich Informationen an die Zielorgane in der Körperperipherie, sondern besitzt zusätzlich umfangreiche Afferenzen zum Gehirn, über die der momentane Status viszeraler Aktivität rückgemeldet wird und so Verhaltenstendenzen beeinflusst. Bricht dieses cortikale Hemm-System zusammen, kommt es zu ungezügelter Aktivität des entwicklungsgeschichtlich älteren sympathischen Nervensystems mit seinen im Vergleich primitiveren Affektprogrammen, beispielsweise Panikreaktionen oder Wutausbrüchen. Hierfür sind Verbindungen vom dorsolateralen PAG mit dem SNS entscheidend. Fällt in Extremsituationen selbst das SNS aus, funktioniert lediglich noch die dorsale Vagus-Steuerung, ausgelöst durch das ventromediale PAG, was zu Regungslosigkeit und Apathie führt. Indikator für ventrale vagale Hemmung ist das Ausmaß der respiratorischen Sinusarrhythmie oder der anderen erwähnten Indikatoren, wodurch verständlich wird, wieso für sie ein Zusammenhang zur Emotionsregulation berichtet wird (Demaree et al., 2006; Frazier et al., 2004; Ruiz-Padial et al., 2003; Thayer & Lane, 2000). 4.3.2.2 Bezug zu Emotionssystemen Porges selbst nennt als zentralen höheren Einfluss auf das social engagement system corticobulbäre Pfade aus dem Frontalcortex zu den entsprechenden Hirnnerven-Kernen. Thayer und Lane (2000) beziehen sich wiederholt auf Porges und beschreiben ein zentrales autonomes Netzwerk (im Englischen abgekürzt als 'CAN'), das neben den oben genannten VagusSchaltkreisen mit PAG noch den anterioren cingulären Cortex (ACC), die Insula sowie ventromediale Bereiche des präfrontalen Cortex (vmPFC), die Amygdala und den Hypothalamus um- 82 EMOTIONEN UND PERIPHERPHYSIOLOGISCHE MAßE – 4.3 HERZAKTIVITÄT fasst, womit so ziemlich alle Strukturen, die bisher im Kontext mit Emotionen genannt wurden, aufgeführt sind. Besonders heben sie allerdings den ACC hervor, dessen rostrale und ventrale Abschnitte Aufmerksamkeits-, affektive und viszerale Prozesse integrieren. Der dorsale Bereich ist zuständig für eine adäquate Antwortauswahl sowie die Schmerzwahrnehmung. Der Einfluß des ACC auf die Herzratenvariabilität ist in Neuroimaging-Studien an Gesunden und Läsionspatienten belegt (Critchley, Corfield et al., 2000; Critchley et al., 2003), allerdings nicht, über welche Bahnen dies geschieht. Desweiteren konnte nachgewiesen werden, dass das Ausmaß der Herzratenvariabilität mit Aktivität im medialen PFC sowie dem linken posterioren orbitofrontalen Cortex zusammenhängt. Emotionale Erregung führte zu einem Abfall der RSA und zu geringerer Aktivierung in diesen Regionen (Lane et al., 2001, zitiert nach Ruiz-Padal et al., 2003). Auch wenn das Prinzip der vagalen Hemmung, vermittelt durch höhere cortikale Bereiche inzwischen als belegt gelten kann und Autoren jüngerer Studien dieses explizit berücksichtigen (Frazier et al., 2004; Ruiz-Padial et al., 2003), bleibt die Zuordnung von Herzratenveränderungen zu konkreten Emotionen schwierig. Thayer und Lane (2000) geben zumindest an, dass nach Porges kurzeitige Herzratenveränderung mit reaktiver Aufmerksamkeitszuwendung, Veränderungen der Herzratenvariabilität mit Aufrechterhalten dieser Aufmerksamkeit in Verbindung steht, womit sich die Befunde zur Herzratenverlangsamung beim Bildbetrachten vielleicht erklären ließen. Wieso aber das Vorstellen emotionaler Episoden in den Studien von Levenson et al. (1983, 1990, 2001) und Rainville et al. (2006) einen Anstieg der Herzrate bedingt, lässt sich weiterhin nur vermuten: entweder erinnerten die Probanden als intensive Situationen gerade solche, in denen ihre vagale Kontrolle nicht mehr funktionierte, oder die Aufgabe verlangte nicht nur passive Informationsaufnahme wie beim Bilderbetrachten, sondern vermehrt aktive Beteiligung, weshalb der sympathische Einfluss weniger gedrosselt wurde. Mentale Beanspruchung geht auch in arbeitswissenschaftlichen Studien häufig mit einem Herzratenanstieg einher (Boucsein & Backs, 2000). Das könnte erklären, wieso Neumann & Waldstein (2001) einen generellen Anstieg der Herzrate gegenüber der Baseline-Bedingung berichten, auch dann, wenn die dem Versuchsleiter zu erzählende Episode den Zustand 'Entspannung' betraf. Dieser Effekt war weit stärker als die Differenzierung zwischen den Emotionen. Porges selbst sieht das Ausmaß der vagalen Hemmung in erster Linie als Indikator für die Fähigkeit zur Emotionsregulation bzw. sozial adäquaten Verhalten und arbeitet an Interventionen zu ihrer Verbesserung bei Störungsbildern wie Autismus (Porges, 2003a). Aus diesem Blickwinkel wäre die Herzratenvariabilität weniger geeignet, um Emotionen zu klassifizieren, sondern um das Bewältigungsmuster der erlebenden Person zu charakterisieren. Palomba et al. (2000) beispielsweise unterscheiden in ihrer Studie zwischen Personen mit hohem bzw. niedrigen vagalen Tonus während einer Baseline-Messung und zeigen, dass erste Gruppe auf emotionale Reize eher mit Herzratenverlangsamung, die Probanden mit niedriger vagaler Hemmung jedoch durchweg mit Anstieg reagieren. 83 EMOTIONEN UND PERIPHERPHYSIOLOGISCHE MAßE – 4.4 FAZIT 4.3.3 Zusammenfassung Herzaktivität bei Emotionen zeigt kein vergleichbar einheitliches Bild wie Hautleitfähigkeit oder Gesichtsmuskelaktivität. Dafür gibt es im wesentlichen zwei Gründe: Aufgrund seiner zentralen Funktion für die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung ist die Leistung des Herzens zunächst an körperliche Anstrengung oder deren Antizipation gekoppelt. Die Reaktionen und Verhaltensintentionen auf einen emotionalen Reiz sind je nach Person und Situation bzw. Methode der Emotionsinduktion aber unterschiedlich und entsprechend variiert auch die Auswirkung auf die Herzaktivität. Für Bildbetrachten hat sich ein Bezug zwischen Valenz und Herzratenverlangsamung etabliert: Aversive Bilder lösen eine stärkere Verlangsamung aus als positive oder neutrale. Muss die Versuchsperson die Emotion selbst durch Erinnern herbeiführen, so geht damit ein Anstieg der Herzrate einher. Zum anderen wird das Herz sowohl sympathisch als auch parasympathisch innerviert, wobei der hemmende Einfluss des Parasympathikus in Ruhe überwiegt. Sein phylogenetisch jüngster Teil ermöglicht die rasche und differenzierte Modulation der Herzrate und ist besonders wichtig für emotionale und soziale Situationen, weshalb er der teilweisen Kontrolle durch frontale cortikale Bereiche unterliegt. Das Ausmaß dieser Hemmfähigkeit ist interindividuell verschieden, was die Vielfalt der möglichen Veränderungen während emotionaler Episoden weiter erhöht. Indikator für die Aktivität der vagalen Bremse ist die respiratorische Sinusarrhythmie und die erwähnten anderen Indikatoren. 4.4 Fazit Die drei besprochenen Maße Hautleitfähigkeit, Gesichtsmuskelaktivität und Herzschlag werden alle als Indikatoren für die körperlichen Veränderungen bei Emotionen herangezogen. Dabei spiegeln sie unterschiedliche Aspekte wider: Hautleitfähigkeit sympathisch bedingte Erregung, Gesichtmuskelaktivität valenzbezogene Bewertung eines Reizes und Herzaktivität je nach Ansatz beides. Insbesondere die Befunde zur Herzrate und ihrer Variabilität machen deutlich, dass peripherphysiologische Kennwerte allein keine vollständige Beurteilung einer Emotion erlauben, sondern wenn überhaupt nur in Ergänzung mit subjektiven und Verhaltensdaten sinnvoll interpretiert werden können. Ein Grund dafür ist sicherlich auch, dass die neuronalen Wirkmechanismen immer noch nur unvollständig verstanden sind. Selbst wenn dies besser gelänge, ist nicht davon auszugehen, dass aus diesen physiologischen Veränderungen alle Nuancen emotionaler Prozesse erkennbar werden. Trotz dieser relativen Ungenauigkeit und Mehrdeutigkeit bilden sie aber Komponenten ab, die sonst nicht erfassbar wären, weil sie zu einem großen Teil autonom und unbewusst ablaufen. Gerade für Ansätze, die auf die evolutionsbiologischen Ursprünge menschlicher Gefühle abstellen, stellen sie eine Verbindung zwischen zentralnervösen Veränderungen und dem beobachtbaren motorischen Verhalten oder beschriebenen Gefühl dar. 84 EMOTIONEN UND PERIPHERPHYSIOLOGISCHE MAßE – 4.4 FAZIT 4.4.1 Bildgebende Verfahren und peripherphysiologische Emotionsindikatoren Die zunehmende Kombination von bildgebenden Verfahren wie PET oder fMRI und peripherphysiologischen Maßen bietet der psychophysiologischen Forschung völlig neuartige Möglichkeiten: erstmals kann an größeren Gruppen gesunder Probanden parallel mit der Veränderung in der Peripherie erfasst werden, welche Hirnregionen diese auslösen und wo die Rückmeldung der körperlichen Veränderung im Gehirn repräsentiert wird. Das alles dreidimensional und in einer räumlichen Auflösung, die selbst ausgefeilte Brainmapping-Techniken beim EEG nicht ansatzweise erreichen. Bei der Lektüre der entsprechenden Artikel stellt sich trotz der beachtlichen technischen Leistung jedoch mitunter Ernüchterung ein: der Leser wird gerade bei Forschergruppen, die viel veröffentlichen, in erster Linie mit einer Auflistung aller statistisch signifikant aktivierten Regionen, gepaart mit Verweisen, welche Autoren ähnliche Aktivierungsmuster gemessen haben, konfrontiert. Die mindestens ebenso interessante Frage, wieso bestimmte Regionen in anderen Studien abweichend aktiviert waren, wird nicht in gleichem Maße thematisiert, wodurch im Extremfall der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit entsteht. Forschungsansätze, die sich auf ein fest umrissenes theoretisches Modell beziehen (etwa Damasio) sind hier klar im Vorteil. Ähnlich erweisen sich Arbeiten, die übergreifend Ergebnisse zusammentragen und vergleichbar machen, in diesem Feld als besonders wertvoll. Da für den gleichzeitigen Einsatz von peripherphysiologischen Maßen und Neuroimaging-Techniken kein umfassendes Review vorliegt, werden im folgenden die Ergebnisse einer Metaanalyse zu Neuroimaging und Emotionen (Phan et al., 2002; Phan et al., 2004) zusammengefasst und mögliche Anknüpfungspunkte zu den berichteten Veränderungen in der Peripherie aufgezeigt. Der mediale präfrontale Cortex war für alle drei Signale EDA, EMG und EKG als ein steuernder Einfluss genannt worden (Iwase et al., 2002; Lane et al., 2001; Tranel, 2000) und ähnlich schreiben auch Phan et al. (2002) ihm eine übergreifende Funktion bei Bewertungsprozessen im Rahmen von Emotionen zu, unabhängig von der Art der Versuchsaufgabe oder der untersuchten Emotionen. Der anteriore cinguläre Cortex (ACC) wurde hingegen zusätzlich zum mPFC aktiviert, wenn die jeweiligen Aufgaben aktive kognitive Bearbeitung und die Regulation emotional bedingter Reaktionen verlangten, etwa dem Vorstellen einer emotionalen Situation oder der Klassifikation von Gesichtsausdrücken (Phan et al., 2004). Eventuell ist der bezüglich Herzratenveränderung berichtete Effekt, dass Erinnern und Nacherzählen einer emotionalen Episode mit Herzratenanstieg einherging, das passive Betrachten von Bildreizen jedoch nicht, auf die zusätzliche Beteiligung des ACCs zurückzuführen. War außerdem noch die gleichzeitige Beobachtung des eigenen körperlichen Zustands erforderlich, so war zusätzlich die Insula beteiligt, ein Befund, der auch für die Beeinflussung der elektrodermalen Aktivität mittels Biofeedback berichtet wird (Critchley, Elliott et al., 2000; Critchley et al., 2002). In Konditionierungsexperimenten, die als abhängige Varibale EDA erfassen, werden als unkonditionierte Reize auch Schmerzreize, z.B. ein leichter Stromschlag, eingesetzt. Tranel (2000) hält den cingulären Cortex in diesem Fall für die Auslösung der elektrodermalen Reaktion für zentral, unter anderem, weil dort die Schmerzwahrnehmung lokalisiert ist und eine Schä- 85 EMOTIONEN UND PERIPHERPHYSIOLOGISCHE MAßE – 4.4 FAZIT digung zum Ausbleiben der Reaktion führt. Die Autoren der Metaanalyse erwähnen, dass sich in mehreren Studien spezifisch für die Emotion Trauer Aktivierung im subcallosalem Cingulum fand. Die Amygdala hat ebenfalls modulierenden Einfluss auf die Hautleitfähigkeit als Erregungsindikator (Tranel, 2000). In erster Linie wird sie mit der Emotion Angst assoziiert, Phan et al. (2002) kommen jedoch zu dem Schluss, dass die Amygdala die generelle Funktion hat, emotional bedeutungsvolle Reize zu erfassen und bei ihrer Identifikation die Vigilanz ansteigen zu lassen, denn sie scheint auch bei nicht-aversiven Reizen aktiv zu sein (Phan et al., 2004). Analog ist eine Hautleitfähigkeitsreaktion (EDR) bei sämtlichen emotionalen Reizen festzustellen, weshalb sie als Arousal- und nicht als Valenzindikator angesehen wird. Bevorzugt spricht die Amygdala auf visuelle Reize an und ist dementsprechend oft mit dem Okzipitalcortex zusammen aktiviert (Phan et al., 2002). Bei Freude und Ekel ist eine verstärkte Beteiligung der Basalganglien zu verzeichnen (Phan et al., 2002). Beide Emotionen sind durch einen typischen Gesichtsausdruck charakterisiert, und Iwase et al (2002) erwähnen in ihrer Studie zu echtem gegenüber gestelltem Lachen das Putamen der Basalganglien als nur beim echten Lacheln beteiligt. Ähnlich wird die Fähigkeit, nicht spontan lachen, wohl aber willentlich den Mund entsprechend verziehen zu können, als Symptom zur Veranschaulichung der emotionalen Gesichtslähmung angeführt (Cerrato et al., 2003; Hopf et al., 2000). Insgesamt lassen sich Befunde zur Aktivierung von Emotionssystemen im Gehirn also durchaus mit Veränderungen in der Körperperipherie in Verbindung setzen, wobei die Zuordnungen eher allgemein ausfallen, was allein schon daran liegt, dass für einen übergreifenden Vergleich in der Metaanalyse die Aktivierungsmuster einzelner Studien auf ein einheitliches Koordinatensystem abgebildet werden mussten. Eine grundsätzliche Schwierigkeit beim Einsatz bildgebender Verfahren, die relativ ungenaue zeitliche Auflösung (eher im Sekundenbereich) bzw. Verzögerung zwischen neuronaler Aktivität und Veränderung im Scannerbild bleibt dabei allerdings bestehen. Im Vergleich dazu sind in der Peripherie erfasste physiologische Maße zumeist genauer und lassen sich mit deutlich geringerem Aufwand messen. Auch ist ihre Interpretation, zumindest was EDA und EMG betrifft, vergleichsweise eindeutig. Dabei schränken sie aufgrund ihrer unaufdringlichen Meßbarkeit mittels Klebeelektroden die Versuchsperson wenig ein, so dass bei entsprechenden Studien von einer höheren ökologischen Validität auszugehen ist. 86 AUGENBEWEGUNGEN – 5.1 BLICKBEWEGUNGEN 5 Augenbewegungen Ein Großteil emotionaler Reize wird beim Menschen über das visuelle System erfasst, angefangen vom reflexhaften Blick zu einem Rascheln im Gras bis hin zur Registrierung von Fehlermeldungen am PC. Sehen ist dabei keine rein passive Informationsaufnahme, sondern wird zu großen Teilen erst durch aktive Steuerung der beteiligten Systeme möglich, wie beispielsweise Findlay & Gilchrist in ihrem Buch Active vision: The psychology of looking and seeing (2003) verdeutlichen. In diesem Zusammenhang liefern die Augen selbst Anzeichen psychischer Zustände wie Ermüdung oder Überraschung, häufig über ihre Funktion als Wahrnehmungsorgan hinaus im Zusammenspiel mit der übrigen Gesichtsmimik. Unter 'Augenbewegungen' sind in diesem Kapitel allerdings nicht das Hoch bzw. Zusammenziehen der Augenbrauen zu verstehen, die unter 4.2 (S.75) als Gesichtsmuskelaktivität behandelt wurden, sondern lediglich Bewegungen des Augapfels (Blickbewegungen) sowie solche des Augenlids (Lidbewegungen). Gemäß dieser beiden Augenbewegungen gliedert sich das vorliegende Kapitel. Ein weiterer möglicher Indikator emotionaler Prozesse, die Pupillenerweiterung, wird ebenfalls ausgeklammert, da zu ihrer Bewertung ein kontinuierlicher Abgleich mit den Helligkeitswerten der Umgebung und des Reizmaterials wünschenswert ist (Galley, 2001). Diesbezügliche Anforderungen an die Messmethodik finden sich in Kerkau (2005). Die Beschreibung der Messverfahren für die hier besprochenen Augenbewegungstypen erfolgt nach einer Darstellung der relevanten Kennwerte unter 5.3 (S. 95). 5.1 Blickbewegungen Die Sinneszellen, die das Sehen ermöglichen, sind auf der Netzhaut nicht gleichmäßig verteilt, sondern finden sich zur Mitte hin in immer größerer Dichte. Um ein Objekt eingehend mit dem Blick untersuchen zu können, wird es deshalb auf dem Bereich des schärfsten Sehens, der fovea centralis abgebildet. Blickbewegungen dienen dazu, ein interessierendes Objekt in die Fovea zu bringen bzw. das Abbild eines bereits angeblickten Objektes dort zu halten, wenn sich entweder der Betrachter oder das Objekt selbst bewegen. Letzteres wird als Augenfolgebewegung, der Ausgleich von eigenen Bewegungen als vestibulärer sowie optokinetischer Nystagmus bezeichnet, je nachdem, ob eine kleinere Körper-/Kopfbewegung (registriert durch das Vestibulärorgan) oder eine globale Bildverschiebung wie etwa während einer Zugfahrt ausgeglichen werden soll. Das Ausrichten der Fovea auf ein neues Ziel geschieht durch sprunghafte Blickbewegungen, die Sakkaden. Sie werden im Folgenden ausführlicher besprochen, da die übrigen Blickbewegungsarten für die vorliegende Studie weniger relevant sind. Übersichten zu Formen der Augenbewegungen finden sich in Leigh und Zee (1999) sowie Büttner und Büttner-Ennever (2006). Ebenso wird auf eine Unterscheidung von Augenbewegung als reiner Bewegungsvorgang und Blickbewegung als Augenbewegung unter Berücksichtigung der Informationsaufnah- 87 AUGENBEWEGUNGEN – 5.1 BLICKBEWEGUNGEN me (Joos et al., 2003; Rötting, 1999) verzichtet, denn beide sind in der Regel sehr eng verzahnt. 5.1.1 Sakkaden Gibt kein Reiz die Geschwindigkeit einer Blickbewegung vor, so sind nur Sakkaden möglich. Während der sakkadischen Bewegung ist visuelle Wahrnehmung ähnlich wie während eines Kameraschwenks eingeschränkt, Informationsaufnahme und -verarbeitung erfolgen daher in erster Linie bei auf dem Objekt ruhendem Blick. Je mehr Informationen zu verarbeiten sind, desto länger dauert diese Zeit zwischen zwei Sakkaden, was heute übereinstimmend zur Definition der Fixation benutzt wird. Unter normalen Bedingungen machen Menschen 2-4 Sakkaden pro Sekunde (Leigh & Kennard, 2004), die Amplitude der Sakkaden ergibt sich dabei aus dem jeweiligen Blickziel. Spontane Sakkaden sind in der Regel allerdings nicht größer als 40 Winkelgrad und dauern 15-100 Millisekunden (Büttner & Büttner-Ennever, 2006). Diese Werte machen deutlich, dass der weiche Augapfel während einer Sakkade sehr rasch und kontrolliert bewegt wird. 5.1.1.1 Neuroanatomische Grundlagen Am Augapfel greifen außen vier gerade (musculi recti) und zwei schräge (musculi obliqui) Muskeln, wobei insbesondere die geraden Augenmuskeln für horizontale und vertikale Augenbewegungen verantwortlich sind. Die schrägen Muskeln ermöglichen torsionale Augendrehungen um die Blickachse herum, um etwa beim Kopf-zur-Seite-Neigen ein ungekipptes Bild aufrechtzuerhalten. Um den Blick mit einer Sakkade neu auszurichten, muss der Augapfel zunächst in die neue Position gebracht und anschließend dort gehalten werden, wofür der ziehende Muskel aktiviert und sein Gegenspieler gehemmt werden muss. Innerviert werden die Augenmuskeln durch drei Hirnnerven, den VI. (nervus abducens), der den äußeren geraden Augenmuskel anspricht (musculus rectus lateralis), den IV. (nervus trochlearis), der den oberen schrägen Augenmuskel (musculus obliquus superior) innerviert und den III. (nervus oculomotorius), der alle übrigen Augenmuskeln steuert. Er innerviert zusätzlich noch den Muskel zur Pupillenverengung (musculus sphincter pupillae) und den Lidheber (musculus levator palpebrae). Die eben erwähnte Koordination der einzelnen Muskeln erfolgt durch mehrere Neuronentypen im Hirnstamm, die dann die Motoneurone steuern. Burst-Neurone ( zu deutsch 'Schub, Ausbruch') feuern unmittelbar zu Beginn und während einer Sakkade schubartig und veranlassen so die Bewegung des Augapfels. Diese Phase wird als pulse bezeichnet. Gleichzeitig erregen sie inhibitorische Burst-Neurone, die das Motorneuron des Gegenspieler-Muskels hemmen (Munoz, 2002). Aus dem Puls wird zudem durch einen neuronalen Integrator dafür gesorgt, dass die Motoneurone im Anschluss an die Auslenkung des Augapfels ihre Aktivität nicht einstellen, sondern tonisch mit einer konstanten Frequenz feuern, um den Augapfel in der neuen Position zu halten. Diese Phase wird step genannt. Die Burst-Neurone, die ca. 10 ms vor Beginn einer Sakkade feuern, werden für einen solchen 88 AUGENBEWEGUNGEN – 5.1 BLICKBEWEGUNGEN Schub durch Long-Lead Burst-Neurone, die ca. 100 ms früher feuern, aktiviert (Büttner & Büttner-Ennever, 2006), gleichzeitig werden Omnipause-Neurone, die die Burst-Neurone ansonsten ständig hemmen, deaktiviert. Dieses Aktivierungsmuster verdeutlicht, dass Fixieren kein passives Ruhen der Augen ist, sondern durch aktive Unterdrückung von Bewegungsimpulsen erreicht wird, wobei andere Zentren ihren Einfluss mittels der Omnipause-Neurone ausüben. Die Lage der eben genannten Neuronengruppen ist in Tab. 5.1.1 zusammengefasst. Tab. 5.1.1: Übersicht zentraler Hirnstammstrukturen zur Sakkaden-Erzeugung und ihrer Abkürzung Nach Büttner & Büttner-Ennever (2006), Cromer & Waitzman (2006) und Munoz (2002). Weitere Erläuterungen im Text. Funktionale Einheit Neuronale Sruktur Abkürzung Long-Lead Burst-Neurone Zentrale mesencephalische Formatio reticularis cMFR Burst-Neurone für horizontale Sakkaden Paramediane pontine Formatio reticularis PPFR Burst-Neurone für vertikale Sakkaden Rostraler interstitialer Nucleus des medialen longitudinalen Fasciculucs riMLF Omnipause-Neurone Nucleus raphe interpositus RIP Neuronaler Integrator Nucleus prepositus hypoglossi; mediale vestibuläre Nuclei, Nucleus interstitialis Cajal NPH, MVN, NIC Die nächst höhere neuronale Struktur zur Kontrolle dieser Hirnstamm-Zentren und damit zur Auslösung von Sakkaden ist der colliculus superior (SC) im dorsalen Mittelhirn, dem Dach (Tectum) des Hirnstamms. Er erhält Informationen aus cortikalen Arealen (Munoz, 2002), die kognitive Prozessen wie Aufmerksamkeit oder Erinnerung repräsentieren (Pierrot-Deseilligny et al., 2004). Der SC integriert die verschiedenen Informationen und ist somit letztendlich für die Zielauswahl von Sakkaden als eine Form der Orientierungsbewegung verantwortlich (Krauzlis, 2005). Dabei projiziert der SC auch zum Kleinhirn, das die Zielgenauigkeit von Sakkaden kontrolliert. Sakkaden sind nicht notwendigerweise ballistische, d.h. sobald einmal ausgelöst, unabänderliche Bewegungen, sondern es können auch während einer sehr großen Sakkade Informationen aufgenommen werden und einen Einfluss auf den aktuellen Verlauf haben (Van der Stigchel et al., 2006). Cortikale Einflüsse Entsprechend der zentralen Bedeutung des Sehens für den Menschen sind die höheren Einflüsse auf den colliculus superior vielfältig und variieren mit situationsspezifischen Merkmalen des jeweiligen Blickverhaltens, was sich in einer großen Anzahl von Einzelbefunden unterschiedlicher Aktivitätsmuster bei verschiedenen Blickaufgaben niederschlägt. Zusammenfassend wird Folgendes angegeben: Visuelle Informationen werden zunächst im Okzipitalcortex verarbeitet und die Informationen zum ventral gelegenen Inferotemporalcortex (ventraler 'Was'-Pfad) sowie zum dorsal gelegenen Parietalcortex (dorsaler 'Wo'-Pfad) weitergeleitet (Itti & Koch, 2001). 89 AUGENBEWEGUNGEN – 5.1 BLICKBEWEGUNGEN Der parietale Cortex ist für visuell-räumliche Aufmerksamkeit verantwortlich und berücksichtigt in dieser Funktion vorverarbeitete Informationen aus weiteren Sinnessystemen. Reflexive Sakkaden, also Sakkaden zu einem auftretenden Reiz hin, werden von ihm initiiert. Die Ansteuerung des SC erfolgt hierbei vom parietalen Augenfeld (engl. 'parietal eye field', PEF). Für besonders rasch nach Reizauftritt erfolgte Sakkaden, sog. Expresssakkaden wird allerdings auch ein direkter Weg Retina-visueller-Cortex-SC angegeben (Galley, 2001). Das Pedant für intentionale Sakkaden, z.B. vorausschauende (prädiktive) oder erinnerungsgeleitete Sakkaden zum PEF ist das frontale Augenfeld (engl. 'frontal eye field', FEF), das vor dem gyrus präcentralis des Frontallappens liegt und zum prämotorischen Cortex gehört. Ihm ist das supplementäre Augenfeld (engl. 'supplementary eye field', SEF) zugeordnet, das vor allem bei Sakkadensequenzen und der Kombination von Sakkaden mit Körperbewegungen aktiviert wird. Für intentionale Blickbewegungen kann es unter Umständen notwendig sein, reflexive Sakkaden zu hemmen. Diese Funktion übernimmt der dorsolaterale präfrontale Cortex (DLPFC), der dabei von Teilen des anterioren cingulären Cortex (ACC), dem cingulären Augenfeld (engl. 'cingular eye field', CEF) unterstützt wird (Pierrot-Deseilligny et al., 2004). Auch bei erinnerungsgeleiteten Sakkaden ist der DLPFC aktiv, wobei für Zeitspannen, die über das Kurzzeitgedächtnis hinausgehen, auf parahippocampale und hippocampale Strukturen zurückgegriffen wird. Die eben geschilderten Funktionen sind in Abb. 5.1.1 veranschaulicht. Abb. 5.1.1: Übersicht der wichtigsten cortikalen Einflüsse auf die Sakkadenkontrolle. CEF: cinguläres Augenfeld; DLPFC: dorsolateraler präfrontaler Cortex; FEF: frontales Augenfeld; HF: Hippocampus-Formation; IPA: intraparietales Areal; PHC: parahippocampaler Cortex; SEF: supplementäres Augenfeld; SC: colliculus superior; modifiziert aus Pierrot-Deseilligny et al. (2004) 90 AUGENBEWEGUNGEN – 5.1 BLICKBEWEGUNGEN Galley (2001) weist darauf hin, dass anders als in Abb. 5.1.1 dargestellt, anscheinend auch direkte Projektionen vom Frontalcortex zu den Hirnstamm-Kernen unter Umgehung des SCs existieren, ein Befund, den auch Krauzlis (2005) anführt. 5.1.1.2 Kennwerte An Sakkaden interessieren allgemein zwei Gruppen von Kennwerten: Einmal Parameter, die die Bewegung selbst, also ihre Richtung, Amplitude, Dauer und Geschwindigkeit betreffen, und zum anderen solche, die die Zeit, in der das Auge ruht, die sogenannte Fixationsdauer, beschreiben. Ist das Blickziel vorgegeben, kann zunächst bestimmt werden, wie genau die erste Sakkade es traf oder ob noch weitere, sogenannte Korrektursakkaden zu seiner Erfassung notwendig sind. Bei einem neu aufgetretenem Reiz kann die Verzögerung, mit der nach seinem Auftreten die Sakkade initiiert wurde, als Sakkadenlatenz erfasst werden. Folgt das Auftreten von Reizen einem regelmäßigen Muster, etwa ein abwechselnd von links nach rechts springender Lichtpunkt, so ist mit der Zeit zudem ein Lerneffekt festzustellen, dass nämlich bereits vor dem Erscheinen des Reizes an die entsprechende Stelle geguckt wird. Auch für solche antizipatorischen Sakkaden lässt sich neben ihrer Auftretenshäufigkeit und ihrer Latenz zudem noch die Zielgenauigkeit bestimmen. Visuelle Reaktionszeiten und Ausmaß antizipatorischer Sakkaden sowie ihre Genauigkeit können hierbei als Leistungsmaße herangezogen werden (Galley, 1998; Jazbec et al., 2005) und scheinen dabei mit Intelligenz bzw. mental speed zusammenzuhängen, in dem Sinne, dass Intelligentere entsprechende Blick-Aufgaben schneller und genauer bearbeiten (Galley & Galley, 1999; Galley et al., 2005; Jaschewski, 2004). Auch Musiker, die geübt darin sind, visuelle Informationen (ihre Noten) rasch und genau aufzunehmen, zeigen bezüglich Auslassungen, Sakkadenlatenz und Anteil antizipatorischer Sakkaden eine höhere Blickleistung (Gruhn et al., 2002). All diese Kennwerte verlangen jedoch, dass die Reizdarbietung sehr genau kontrolliert wird und sind daher zumeist an spezifische Versuchsanordnungen gebunden. Soll das spontane Blickverhalten untersucht werden, so bleibt an sakkadischen Bewegungsparametern in erster Linie die Amplitude, Dauer und (Maximal)Geschwindigkeit sowie das Intervall zwischen zwei Sakkaden, die Fixationsdauer. Diese Kennwerte sind nicht unabhängig voneinander: größere Sakkaden dauern länger als kleine. Da es sich bei Sakkaden um Beschleunigungsvorgänge mit anschließender Verlangsamung handelt, bestimmt die Sakkadenamplitude zudem die erreichbare Maximalgeschwindigkeit und Durchschnittsgeschwindigkeit mit (Becker, 1989). Diese Abhängigkeit wird in der Sakkadenforschung als main sequence bezeichnet (Leigh & Kennard, 2004) und macht es notwendig, erhaltene Rohdauern und -geschwindigkeiten in Bezug auf die Amplitude zu standardisieren. Entsprechende Formeln finden sich bei Becker (1989), Collewijn, Erkelens & Steinman (1988) und Schleicher & Galley (2005). Über diese rein kinetischen Abhängigkeiten hinaus zeigen die Sakkadenkennwerte Dauer und 91 AUGENBEWEGUNGEN – 5.1 BLICKBEWEGUNGEN Geschwindigkeit auch einen Bezug zu psychischen Prozessen: Sakkaden werden immer so schnell wie dem Organismus momentan möglich ausgeführt, weshalb die für eine bestimmte Amplitude erreichte Geschwindigkeit Aufschluss über das aktuelle Aktivierungsniveau gibt, verstehbar als generelle Erregung oder Wachheit. Einnahme von Benzodiazepinen (Galley, 1998) oder Schlafdeprivation (Ferrara et al., 2000) bewirken eine Verringerung. Eine verringerte Geschwindigkeit bedeutet gleichzeitig, dass sich die Dauer einer Sakkade erhöht. Variationen in der sakkadischen Amplitude lassen sich ebenfalls mit psychischen Prozessen in Verbindung bringen, allerdings vor allem in Abhängigkeit der zugehörigen Blickdauer. Da visuelle Informationen überwiegend während der Fixation aufgenommen und verarbeitet werden, ermöglicht eine Verlängerung der Fixation eine erhöhte Informationsverarbeitung im Sinne von kognitiver Bearbeitung. Mit schwieriger werdendem Text verlangsamt sich beispielsweise die Lesegeschwindigkeit (Rayner, 1998) aufgrund längerer Fixationsdauern. Stellt man die gemachten Blicksprünge in Abhängigkeit von der jeweiligen Fixationsdauer dar, so zeigt sich, dass großamplitudige Sakkaden mit kürzeren Fixationen assoziiert sind, was als visuelles Suchen interpretiert wird (Pannasch, 2003). Velichkovsky, Joos, Helmert und Pannasch (2005) geben hierfür Sakkadenamplituden >5° und Fixationsdauern von 90-260 ms an. Ist das gesuchte Ziel gefunden, so kommt es zu längeren Fixationen, die eventuell mit sehr kleinen Sakkaden einhergehen, um das Objekt der Fovea nahe zu halten. Daher ändert sich während des Betrachtens einer Szenerie die Verteilung von Fixationsdauern und Amplituden mit der Zeit (Unema et al., 2005) oder je nach Kontext, etwa wenn ein möglicher Gefahrenreiz in einer Verkehrssituation auftaucht (Velichkovsky et al., 2002; Velichkovsky et al., 2003). Velichkovsky und Kollegen setzen diese Unterschiede mit den neuronalen Verarbeitungswegen des visuellen Systems in Verbindung: die Phase der 'Grobsuche' ist mit dem dorsalen 'Wo'-Pfad assoziiert und präattentativ, da die vorhandenen Objekte noch als relativ ungenaue 'Blobs' repräsentiert sind, die Phase längerer Fixationen mit dem ventralen 'Was'-Pfad, in dem vermeintlich relevante Objekte genauer identifiziert werden (Velichkovsky et al., 2002; Velichkovsky et al., 2003). So reizvoll eine solche direkte Entsprechung wäre, es ist nicht klar, in wie weit bei automatisierten Prozessen auch Informationen in der Blick-Peripherie bereits verarbeitet werden können, ohne sie unmittelbar anblicken zu müssen, etwa eine rote Ampel im peripheren Gesichtsfeld eines Autofahrers, deren Bedeutung auch erkannt werden wird, ohne sie zu fokussieren. Auf derartige Einschränkungen wird allerdings auch von den Autoren selbst explizit hingewiesen (Velichkovsky et al., 2005). Ein anderer Zusammenhang zwischen Sakkaden, kognitiven Prozessen und neuronaler Aktivität kann inzwischen als weitestgehend gesichert gelten: Fixieren erfordert aktive Unterdrückung spontaner und reflexiver Sakkaden, deren Hemmung durch den dorsolateralen präfrontalen Cortex (DLPFC) erfolgt (Gaymard et al., 1998; Pierrot-Deseilligny et al., 2005). Eine Unterfunktion des DLPFC, Hypofrontalität, die sich in mangelnder Konzentrationsfähigkeit oder Verhaltenshemmung ausdrückt (Spinella, 2004), ist daher mit geringerer Fixationsleistung assoziiert. Entsprechende Auffälligkeiten, insbesondere bei Antisakkaden-Aufgaben, für die der Pro- 92 AUGENBEWEGUNGEN – 5.2 LIDBEWEGUNGEN band in die entgegensetzte Richtung eines am Bildschirmrands auftauchenden Reizes gucken und dafür zunächst reflexive Sakkaden zum Reiz hin, sog. Prosakkaden, hemmen muss, werden bei Schizophrenie, Alzheimer oder Aufmerksamkeitsstörungen vermehrt gefunden (Armstrong & Munoz, 2003; Munoz & Everling, 2004; Ploner et al., 2005). Als Kennwerte dienen neben dem Anteil unzulässiger Prosakkaden (Ploner et al., 2005) die Sakkadenlatenz sowie Maximalgeschwindigkeit (Jazbec et al., 2005). Der DLPFC war auch in Emotionstheorien als eine zentrale Instanz beschrieben worden, so dass sich hier ein Anknüpfungspunkt zu Emotionen ergibt. Für die Kontrolle des spontanen Lidschlags scheint er ebenfalls von Bedeutung zu sein. Auf den Bezug von Sakkaden und Lidschläge zu Emotionen wird deshalb gemeinsam unter 5.4 (S.97) eingegangen. 5.2 Lidbewegungen Das Augenlid hat zunächst die Funktion, das Auge zu schützen, weshalb es reflektorisch auf Berührungen der Wimpern oder auf Luftstöße, aber auch auf laute Geräusche hin geschlossen wird. Die Amplitude dieses Schreckblinzlers (engl.: startle) wird als Indikator für die momentan vorherrschende emotionale Gestimmtheit herangezogen (Bradley et al., 2001). Darüber hinaus dienen regelmäßige Lidschläge zur Befeuchtung der Augenoberfläche durch Verteilung der Tränenflüssigkeit. Da im vorliegenden Versuch keine Schreckreaktion o.ä. induziert wird, beschränkt sich die Beschreibung auf den spontanen Lidschlag. Eine umfassende Darstellung anderer Formen des Lidschlags findet sich in Meinold (2005), detaillierte Angaben zur Anatomie in Choontanom (2006). 5.2.1.1 Neuroanatomische Grundlagen Lidbewegungen werden im wesentlichen durch zwei Muskeln gesteuert: Die Lidöffnung sowie das Offenhalten der Augen durch den musculus levator palpebrae superior (LP) und die Lidschließung durch den musculus orbicularis oculi (OO). Bei geöffnetem Auge bestimmt der sympathisch innervierte Müller-Muskel (musculus tarsalis superior) die Breite der Lidspalte, für den Lidschlag selbst ist er allerdings von untergeordneter Bedeutung (Hargutt, 2003). Unmittelbar vor einem Lidschluss lässt Aktivierung des LP nach und OO-Motorneurone erzeugen einen kurzen Burst. Sobald die tonische Aktivierung des LPs erneut einsetzt, öffnet sich das Auge wieder (Bour et al., 2000). Der LP wird vom III. Hirnnerv, dem nervus oculomotorius, innerviert, der OO vom VII. Hirnnerv, dem Facialisnerv und dessen Ästen (lat.: rami) rami temporales und rami zygomatici - hier sei an die Beteiligung der Augenpartie beim 'echten' gegenüber einem 'gestellten' Lachen erinnert (s. 4.2.1 , S.75). Welche Schaltkreise diesen Nerven vorgeschaltet sind, ist nicht vollständig geklärt. Während für den reflektorischen Lidschlag detaillierte Angaben vorliegen (Delgado-Garcia et al., 2003) und die tonische Aktivierung des LP anscheinend vom periaquäduktalen Grau (PAG) über den centralen caudate nucleus (CNC) moduliert wird (Schmidtke & Büttner-Ennever, 1992), ist die Annahme eines 'Taktgebers' für den spontanen Lidschlag im Hirnstamm noch 93 AUGENBEWEGUNGEN – 5.2 LIDBEWEGUNGEN spekulativ (Ongerboer de Visser & Bour, 2006). Zusammenfassend scheint es dort zwei mögliche Lidschlagzentren zu geben: Eines in der lateralen bulbären formatio reticularis und eines in der Pons (Galley, 2001). Der colliculus superior (SC) wirkt dabei ebenfalls fördernd auf den spontanen Lidschlag (Karson, 1989). Zudem ist bekannt, dass eine Degeneration dopaminerger Neurone in den Basalganglien, beispielsweise bei Parkinson, zu einer Abnahme der Lidschlagrate führt bzw. Dopamin die Lidschlagfrequenz erhöht (Biousse et al., 2004; Karson, 1989; Schmidtke & Büttner-Ennever, 1992). Cortikale Einflüsse Willentlicher Lidschlag wird cortikal durch das rostrale supplementäre motorische Areal (SMA) und den DLPFC kontrolliert, wobei die rechte Hemisphäre einen größeren Einfluss zu haben scheint (van Eimeren, 2005). Für den spontanen Lidschlag gibt es eine enge Verzahnung von visueller Aufmerksamkeit, Blickbewegungen und Lidschließung: Jeder Lidschlag bedeutet eine kurze Unterbrechung der visuellen Wahrnehmung, und je nach Erfordernissen der Situation muss diese Unterbrechung möglichst gering gehalten werden. Beim Lesen wird der spontane Lidschlag beispielsweise bevorzugt während Zeilensprüngen ausgeführt, während denen auch keine relevante Information aufgenommen wird (Orchard & Stern, 1991). Bei hohem visual load wird der Lidschlag gehemmt, was sich als Rückgang der Rate ausdrückt (Pivik & Dykman, 2004). Ähnlich wie bei Sakkaden scheint es dabei der DLPFC zu sein, der auf die niedrigeren Lidschlagzentren hemmend wirkt (Meinold, 2005). 5.2.1.2 Kennwerte Der naheliegendste Parameter des spontanen Lidschlaggeschehens ist zunächst die Lidschlagrate als Anzahl Lidschläge pro Zeit bzw. das Lidschlagintervall als Zeit zwischen zwei Lidschlägen. Zum Anfeuchten und Reinigen der Augapfeloberfläche würden cirka 2-4 Lidschläge pro Minute ausreichen (Pivik & Dykman, 2004), die in der Praxis gemessenen wesentlich höheren Frequenzen sind demnach nicht auf diese physiologische Funktion zurückführen. In der Alltagserfahrung wird eine hohe Lidschlagrate zumeist als direkter Ausdruck erhöhter Erregung interpretiert, beispielsweise bei einem wegen seines Auftritts 'aufgeregten' Redners. Dazu müssen allerdings zwei Einschränkungen gemacht werden: zum einen führt Sprechen generell zu einem Anstieg der Lidschlagfrequenz (Doughty, 2001), wie manche Autoren vermuten, aufgrund einer Ko-Aktivierung der Lidmuskulatur bei der Steuerung der Sprech- und Gesichtsmuskulatur (Veltman & Gaillard, 1998). Zum anderen machten die eben geschilderten subcortikalen und cortikalen Einflüsse auf die Lidschlagrate schon deutlich, dass eine Zunahme von Lidschlägen immer in Abhängigkeit vom der momentanen visuellen Aufmerksamkeit und dem Ausmaß frontaler Hemmung betrachtet werden muss. Ein hoher visual load verringert die Lidschlagfrequenz, um Ausfallzeiten der visuellen Wahrnehmung zu minimieren (Richter et al., 1998), während Situationen mit geringerer visueller Beanspruchung, etwa ein Gespräch, diese Unterdrückung nicht notwendig machen. Auch der Anstieg der Lidschlagrate bei Ermüdung ist auf nachlassendes Interesse an der Um- 94 AUGENBEWEGUNGEN – 5.3 MESSMETHODIK welt zurückzuführen, weshalb die aktive Hemmung der spontanen Lidschläge zurückgeht (Schleicher et al., 2008), und nicht etwa auf zunehmende Erregung oder Aktivierung. Andere Kennwerte des Lidschlags sind vielleicht besser geeignet, das Aktivierungsniveau anzuzeigen: Die Breite der Lidspalte verringert sich mit zunehmender Ermüdung (Wierwille & Ellsworth, 1994) und die Dauer eines Lidschlags nimmt zu (Hargutt, 2003). Ebenso kann für die Schließung- und Wiederöffnungsgeschwindigkeiten ein Bezug zum generellen Aktivierungsniveau angenommen werden. Für Dauer und Geschwindigkeiten gilt hierbei analog zu Sakkadendauern und -geschwindigkeiten (s. 5.1.1.2, S.91), dass sie mit Bezug auf die jeweilige Amplitude standardisiert werden müssen. Entsprechende Formeln finden sich in Schleicher et al. (2008). 5.3 Messmethodik Zur Messung von Augenbewegungen haben sich mehrere Methoden etabliert, die sich neben der technischen Umsetzung vor allem in ihrer zeitlichen und räumlichen Auflösung sowie ihrer Praxistauglichkeit unterscheiden. Zeitliche Auflösung bezieht sich auf die Anzahl Messungen pro Sekunden (Hertz): je höher diese ist, desto besser können nur kurz andauernde Augenbewegungen erfasst werden. Die räumliche Auflösung beschreibt, bis zu welcher Amplitude kleine Augenbewegungen (angegeben in Winkelgrad) von einem ruhenden Auge unterschieden werden können. Der teilweise zusätzlich aufgeführte Kennwert Genauigkeit gibt an, in welchem Ausmaß ein gemessener Wert von der 'wahren' Auslenkung des Auges abweicht und wird beispielsweise mit einem Kunstauge, bei dem die tatsächlich stattgefundene Auslenkung bekannt ist, gemessen (Schneider & Eggert, 2006). In der Praxis ist für die Angabe von Winkelgrad in der Regel eine Kalibrierung zu Beginn des Versuchs nötig, bei der der Proband vorher definierte Punkte im Raum anblickt, um bestimmen zu können, welche Änderung im Rohsignal-Wert welcher Blickänderung in Winkelgrad entspricht. 5.3.1 Search Coil Die bezüglich aller Kennwerte genaueste Methode sind Spulen-Haftgläser (engl.: scleral/search coil), bei der der Versuchsperson Kontaktlinsen mit einer eingelassenen Drahtspule eingesetzt werden. Der Proband wird anschließend in ein sich wechselndes Magnetfeld gebracht (z.B. in einer würfelförmigen Stangenkonstruktion) und der Stromfluss in der Spule auf dem Auge gemessen. Dieser ändert sich je nach Position im Magnetfeld und lässt sich so in Raumkoordinaten zurückrechnen. Das Tragen einer Kontaktlinse, aus der ein dünner Draht ragt, ist jedoch sehr unangenehm, weshalb zumeist die Hornhaut betäubt wird und die Messdauer auf cirka eine Stunde pro Woche beschränkt ist (Galley, 2001). Gleichzeitig ist der apparative Aufwand beträchtlich. Aus diesen Gründen werden Spulen-Haftgläser für psychologische Fragestellungen nur selten eingesetzt. 95 AUGENBEWEGUNGEN – 5.3 MESSMETHODIK 5.3.2 Reflektionsbasierte Verfahren Eine weitere Gruppe von Messmethoden beruht auf optischer Erfassung der Augenbewegungen: der deutlich Übergang vom Augenweiß zum Ober- und Unterlid oder zur dunkleren Iris (Limbus) lassen sich in einer entsprechenden Aufnahme leicht und inzwischen auch automatisiert erkennen. Außerdem reflektiert das Auge je nach Intensität und Wellenlänge Licht an verschiedenen Stellen, etwa der Hornhautoberfläche und -rückseite, der Linsenvorder- und Rückseite (1.-4. Purkinje'sche Bilder) sowie der Netzhaut, letzteres im Englischen als bright pupilPhänomen bezeichnet. Um die Reflektionen zu erhalten oder die Bildhelligkeit zu erhöhen, ohne den Probanden zu blenden, wird zusätzlich eine Infrarotlichtquelle verwendet. Auch wenn die konkrete technische Umsetzung der Verfahren unterschiedlich ist (für eine genauere Darstellung siehe Galley, 2001, Bente, 2004 und Schneider & Eggert, 2006), so ist ihnen gemeinsam, dass ein geschlossenes Auge zunächst ein Ausfall des interessierenden Signals bedeutet, insbesondere da die meisten neueren Systeme auf Basis eines digitalisierten Kamerabildes arbeiten, dem Bildverarbeitungsalgorithmen zur Bestimmung des Reflektionspunktes nachgeschaltet sind. Remote-Systeme, bei denen der Sensor nicht in unmittelbarer Nähe zum Auge angebracht ist, haben darüber hinaus mit Kopfbewegungen, die ebenfalls zu einem Datenausfall führen können, zu kämpfen. Bei kopffesten Systemen ist dies nicht der Fall. Wird bei ihnen mit einer weiteren Kamera das momentane Gesichtsfeld des Probanden erfasst, lässt sich aufnehmen, was er oder sie gerade alles sehen kann und wo genau im Bild er hinschaut (Blickziel). Hierbei ist die hohe räumliche Auflösung der Verfahren im Bereich um die 0.5-0.01° (Galley, 2001; Schneider & Eggert, 2006) von Vorteil. Die Abtastrate variiert je nach Modell von 50 Hz als Standard für kamerabasierte Geräte bis hin zu über 1000 Hz. 5.3.3 Elektrookulographie Die zahlreichen Photorezeptoren auf der Netzhaut weisen ein negatives Ruhepotential auf, so dass im Augapfel insgesamt ein Potentialgefälle zwischen positiv geladener Hornhaut und negativ geladener Retina besteht. Bewegt sich der Augapfel, wird dieses elektrische Feld verschoben, was sich mit Hilfe von links und rechts sowie unter- und oberhalb des Augapfels angebrachter Elektroden als Spannungsänderung registrieren lässt. Lidschläge bewirken ebenfalls eine Spannungsänderung und sind im vertikalen Kanal des Elektrookulogramms (EOG) als nach oben gerichtete Zacken zu erkennen, bedeuten in diesem Fall also keinen Messausfall. Kopfbewegungen unterbrechen die kontinuierliche Erfassung des Signals ebenfalls nicht, können allerdings zu Artefakten führen. Auch gleichzeitig auftretende Muskelaktivität wird von den Messelektroden des EOGs mit erfasst, bei manchen Probanden sogar Gehirnaktivität, da die EOG-Messung auf dem gleichen Messprinzip beruht wie Elektromyographie (EMG) oder Elektroenzephalographie (EEG). Diese einstreuenden Signale sowie die Entfernung der Oberflächenelektroden vom Auge bedingen eine räumliche Auflösung um die 1°. Gleichzeitig verändert sich das corneo-retinale Bestandspotential, was sich im EOG als langsames Wandern des Signals auch bei ruhenden 96 AUGENBEWEGUNGEN – 5.4 BEZUG ZU EMOTIONSSYSTEMEN Augen (Drift) äußert. Da außerdem aus dem EOG nicht ersichtlich ist, ob eine Augenbewegung zusammen mit oder ohne eine Kopfbewegung ausgeführt wurde, ist die Elektrookulographie nicht blickfest und es können nur beschränkt Rückschlüsse über den Blickort gezogen werden. Die Erfassung von Sakkadenamplituden, -dauern und -geschwindigkeiten ist jedoch uneingeschränkt möglich (Garbutt et al, 2001; anders s. Leigh & Kennard, 2004). Gleichzeitig erlaubt die Messmethode bei geeigneter Software eine genauere Parametrisierung von Lidschlägen als kamerabasierte Verfahren, unter anderem wegen einer hohen zeitlichen Auflösung von bis zu 1000 Hz (Schleicher et al., 2008). 5.4 Bezug zu Emotionssystemen Der Lidschlag wird in der Emotionsforschung in erster Linie im Rahmen des Startle-Paradigmas genutzt (Bradley & Lang, 2000), wobei dieser Schreckblinzler ein reflektorischer, kein spontaner Lidschlag ist. Bei letzterem ergibt sich die Schwierigkeit, zu unterscheiden, ob eine Veränderung der Spontanrate auf verringerten visual load oder erhöhte Erregung zurückzuführen ist. Annähernd konstanter visual load lässt sich im wesentlich nur über einen kontinuierlichen Informationsfluss, etwa Filmreize, induzieren, das in der Emotionsforschung am häufigsten eingesetzte Stimulusmaterial sind allerdings wohl die Bilder des IAPS (Lang et al., 2005). Dementsprechend wenig Ergebnisse finden sich zu Kennwerten des spontanen Lidschlags. Eine Ausnahme ist die Studie von Palomba et al. (2000), die neben Hautleitfähigkeit und Herzaktivität auch die Lidschlagrate während der Darbietung von Filmclips untersuchte. Verglichen mit einer neutralen Szene (Landschaftsaufnahme) führte ein bedrohlicher Clip zu einem Rückgang, der aber noch stärker unter der 'Ekel'-Bedingung (Operationsaufnahmen) war. Beide emotionalen Reize bewirkten zudem einen Anstieg der Hautleitfähigkeit, und die Autoren merken an, dass die mit einem Anstieg sympathischer Erregung verbundene Zunahme der Lidschlagrate hier vermutlich durch die Notwendigkeit visueller Informationsaufnahme überlagert wurde. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Eckert (2007), bei dem die Zunahme des Lidschlagintervalls mit der im Anschluss erhobenen Spannungsbewertung korreliert. Andere Kennwerte des Lidschlags, etwa Geschwindigkeiten, die einen Zusammenhang zu Arousal aufweisen könnten, wurden in beiden Studien nicht erhoben. Die beobachtete Hemmung des Lidschlags wird wie die reflexiver Sakkaden vermutlich durch frontale cortikale Bereiche vermittelt, und dieser Aspekt bildet auch einen Schwerpunkt der Sakkadenforschung. 5.4.1 Frontalcortex & Sakkaden Mangelnde Unterdrückung reflexiver Sakkaden bei Antisakkaden-Aufgaben (s. 5.1.1.2, S.91) tritt nicht nur bei Parkinson, Alzheimer und Schizophrenie auf (Munoz & Everling, 2004), sondern auch bei Aufmerksamkeitsdefiziten (Armstrong & Munoz, 2003) und Störungen sozialemotionaler Verarbeitung (Manoach et al., 2004). Die insbesondere von Damasio popularisierte Bedeutung des Frontalcortex für Entscheidungsprozesse jeglicher Art wird hier anhand eines 97 AUGENBEWEGUNGEN – 5.4 BEZUG ZU EMOTIONSSYSTEMEN konkreten Verhaltensmaßes und spezifischen Defiziten bei Läsionen veranschaulicht (PierrotDeseilligny et al., 2003). Neben den Auswirkungen einer Unterfunktion des frontalen Cortex gibt es auch einige Studien, wie sich der frontale Cortex in seiner Funktion als 'Belohnungsdetektor' im Sinne Rolls (s. 2.1, S.21) auf Blickbewegungen auswirken könnte. Gesunde Probanden zeigen unter einer Belohnungs- wie unter einer Bestrafungsbedingung gegenüber einer neutralen Aufgabe geringere sakkadische Latenzen, weniger fehlerhafte Sakkaden sowie verringerte Maximalgeschwindigkeiten bei fehlerhaften Sakkaden, was als nachträglicher Korrekturversuch interpretiert wird (Jazbec et al., 2005). Auch Hikosaka (2007) berichtet, dass Belohnung zu verringerter Sakkadenlatenz bei Affen führt. Der DLPFC scheint in solchen Fällen als Entscheidungsinstanz nicht hemmend, sondern verhaltensfördernd zu wirken (Pierrot-Deseilligny et al., 2005), wobei der Einfluss auf den colliculus superior über die Basalganglien erfolgt (Hikosaka et al., 2000). 5.4.2 Amygdala & Sakkaden Als zweite zentrale Struktur für die Codierung der emotionalen Bedeutung eines Reizes war in der Theorie von Rolls (s. 2.1, S.21) und den anderen neurowissenschaftlichen Ansätzen die Amygdala genannt worden. Die Metaanalyse von Phan et al. (2002, 2004) ergab, dass die Amygdala bei visuell induzierten Emotion weitaus häufiger als bei erinnerten oder auditiv induzierten Emotionen aktiviert wird. Es ist zu vermuten, dass diese Aktivierung auch Auswirkungen auf die mit der Reizverarbeitung verbundenen Blickbewegungen hat, zumal emotionale Reize bereits parafoveal, d.h., ohne sie zu fixieren, wahrgenommen werden sollen (Calvo & Lang, 2005). 5.4.2.1 Gesichterbetrachten Untersucht wurde die Rolle der Amygdala bei emotionsbezogener visueller Verarbeitung verstärkt für eine besondere Reizsituation, nämlich dem Betrachten von Personen mit emotionalen Gesichtsausdrücken und dem Folgen ihres Blickes (Emery, 2000; Hooker et al., 2003; Kawashima et al., 1999). Die von Adolphs et al. (2005) vorgestellte Patientin SM mit beidseitiger Amygdala-Läsion, die Defizite bei der Verarbeitung bedrohlicher Reize hat, guckt bei entsprechenden Photos nicht auf die Augenpartie der dargestellten Personen (Vuilleumier, 2005). Inwieweit dieses Blick-Verfolgen unabhängig von bzw. vor einer weiteren Verarbeitung erfolgt, ist allerdings nicht eindeutig geklärt. Vuilleumier et al., (2001) geben an, dass die Amygdala auch dann erhöhte Aktivierung zeigt, wenn den Angst-Gesichtern keine bewusste Aufmerksamkeit geschenkt wird. Andere Autoren kommen jedoch zu dem Schluss, dass eine Verarbeitung des emotionalen Gehalts nur erfolgt, so lange nicht sämtliche Aufmerksamkeitsressourcen für eine andere Aufgabe verwandt werden (Pessoa et al., 2002; Pessoa et al., 2005). Bradley et al. (2000) mußten ihre Stichprobe erst in 'Gucker' und 'Starrer' unterteilen, um einen Effekt bezüglich der initialen Sakkade zu einem emotionalen Gesicht ermitteln zu könen, und 'Starrer' schnitten generell besser in der Rekationszeitaufgabe ab (Knopf drücken, sobald ein Symbol auf- 98 AUGENBEWEGUNGEN – 5.4 BEZUG ZU EMOTIONSSYSTEMEN taucht), weil sie sich vermutlich von den Gesichtsausdrücken nicht weiter ablenken ließen. Auch Nummenmaa et al., (2006) berichten, dass emotionale Gesichtsausdrücke zwar eher angeguckt werden als neutrale, im weiteren Verlauf der Blick und die Aufmerksamkeit aber bewusster Kontrolle unterliegen: die Reize werden nur dann weiterhin betrachtet, wenn es keine anders lautenden Instruktionen gibt. Bedrohliche Gesichtsausdrücke zeigen dabei gegenüber positiven keinen Unterschied. Ein möglicher 'Wahrnehmungsvorteil' oder bevorzugte Aufmerksamkeit (engl.: attentional bias) für gefahrrelevante Reize, wie ihn beispielsweise Öhman et al (2001) für Reaktionszeiten beim Auffinden von Spinnen- und Schlangenbilder gegenüber neutralen Reizen fanden, und den insbesondere Angstpatienten zeigen sollten, ließ sich in Bezug auf Blickbewegungen bisher nur eingeschränkt nachweisen: Spinnenphobiker zeigen keine einheitliche Tendenz, einen angstbesetzten Reiz rascher als Gesunde zu entdecken (Miltner et al., 2004) bzw. schauen zwar zunächst schneller darauf, im Anschluss aber vermehrt weg (Hermans et al., 1999), wobei diese Vermeidungstendenz ebenfalls nicht einheitlich auftritt (Pflugshaupt et al., 2006). Bei Sozialphobikern ließ sich der vermutete Zusammenhang zwischen Augenpartie als entscheidendem Indikator von negativen Emotionen sowie Vermeidungsverhalten allerdings bestätigen, denn sie meiden diese beim Betrachten und bevorzugen 'irrelevante' Gesichtsregionen, gerade bei traurigen Gesichtern (Horley et al., 2003). Möglicherweise evolutionär verankerte 'Schablonen' für prototypische Gefährdungsreize steuern das Blickverhalten also nur kurzfristig und ihre Auswirkungen werden durch zusätzliche Einflüsse moduliert. Diese Tatsache steht in Einklang mit der wiederholt geäußerten Sichtweise, dass die entwicklungsgeschichtlich älteren Strukturen soweit möglich durch höhere (cortikale) Strukturen kontrolliert werden (s. z.B bei Rolls, s. 2.1.4, S.25; Panksepp, s. 2.2.3, S.31, Scherer, 3.3.2, S.54., Porges s. 4.3.2.1, S.81). Die Kontrollierbarkeit der Blickbewegungen wird durch die Verwendung von Photographien oder anderen statischen Reizen erleichtert: da sich auf dem Bild nichts ändert oder bewegt, kann im Anschluss an eine erste Identifikation die kognitive Neubewertung anschließend ungestört erfolgen. Leider wird bei den genannten Studien zur Amygdala-Aktivierung auf die Auswertung von Sakkadengeschwindigkeiten als möglichem Aktivierungsindikator verzichtet, obwohl beispielsweise Pessoa et al. (2005) explizit angeben, dass insbesondere die dorsale Amygdala für emotionales Arousal entscheidend ist und beim Betrachten emotionaler Gesichtsausdrücke verstärkte Aktivierung zeigte. Ebenso geben die Studien zum attentional bias für emotionale Reize zumeist nur Sakkadenlatenz, Ziel der ersten Sakkade sowie Fixationsdauern an. 5.4.3 Cinguläre Cortex & Sakkaden Als ein cortikaler Einfluss auf Sakkadeninitiierung und -hemmung war unter 5.1.1.1 (S.88) und in Abb. 5.1.1 (S.90) das cinguläre Augenfeld (CEF) im anterioren cingulären Cortex (ACC) genannt worden. Letzterer war genau wie der Frontalcortex und die Amygdala in allen neurowissenschaftlichen Theorien als eine an der Emotionsentstehung beteiligte Region identifiziert worden. Inwieweit der ACC in seiner Funktion als Emotionsschaltkreis auch direkt Auswirkun- 99 AUGENBEWEGUNGEN – 5.5 ZUSAMMENFASSUNG gen auf Blickbewegungen hat, ist allerdings weniger klar. Ito et al. (2003) berichten in einer Studie mit Einzelzellableitungen an Affen, dass der ACC erst im Anschluss an die Ausführung einer belohnungsrelevanten, aber fehlerhaften Sakkade aktiviert ist und schreiben ihm daher lediglich die Funktion der Fehlerüberwachung zu, was sich mit anderen Befunden bei nichtmenschlichen Primaten deckt (McCoy & Platt, 2005) . Ford et al (2005) sprechen auch von Fehlerkontrolle, sehen den ACC beim Menschen hingegen schon bei der Ausführung aktiv, ebenso wie Davis et al. (2005) sich gegen die Interpretation von Ito et al. (2003) wenden, in ihrer Studie jedoch keine Blickbewegungen erhoben. Andere Autoren verzichten bei der Schilderung der an Sakkaden beteiligten Schaltkreise ganz auf das CEF (Leigh & Kennard, 2004) bzw. fassen es unter den generellen Einfluss des Frontalcortex (Büttner & Büttner-Ennever, 2006; Heinzle, 2006), was ebenfalls gegen die Annahme einer gesonderten Rolle des ACC spricht. 5.5 Zusammenfassung Die an Blickwechseln und Fixationen beteiligten Strukturen sind in ihrer generellen Funktionsweise sehr gut untersucht: Reflexhafte Blicke werden vom visuellen und parietalen Cortex initiiert, die Unterdrückung unwillkürlicher Sakkaden, das Verharren des Blicks auf einem Objekt und die Initiierung willkürlicher Sakkaden geschehen durch den Frontalcortex. Die Ausführung erfolgt über Hirnstammzentren, denen zumeist der colliculus superior (SC) und das Kleinhirn vorgeschaltet ist (Büttner & Büttner-Ennever, 2006). In Abhängigkeit vom visual load wird dabei durch den Frontalcortex zusätzlich der spontane Lidschlag gehemmt, um den Wahrnehmungsausfall möglichst gering zu halten. Veränderungen der Lidschlagrate sind also nicht nur von unspezifischer Erregung, die eine Zunahme bewirkt, sondern auch von der visuellen Verarbeitung abhängig (Richter et al., 1998). Kennwerte wie Lidschlagamplitude, -dauer und -geschwindigkeit sind hiervon weniger betroffen. Ähnlich ist die bei einer Sakkade erreichte Maximalgeschwindigkeit ein Indikator für das momentane Aktivierungsniveau des Organismus (Galley, 1998). Der Zusammenhang zwischen Augenbewegungsparametern und Emotionen ist weniger gut erforscht. Zwar beeinflusst der Frontalcortex über die Basalganglien die Ausführung von Sakkaden, die Auswirkung auf eine Belohnung haben (Jazbec et al., 2005; Leigh & Kennard, 2004), und emotionale Reize scheinen den Blick eher auf sich zu ziehen als neutrale (Calvo & Lang, 2005; Nummenmaa et al., 2006), was sich mit der angenommenen aufmerksamkeits- und verhaltenssteuernden Funktion von Emotionen deckt. Dass emotionale Reize länger betrachtet werden als neutrale, ist schon länger bekannt (Lang et al., 1993), schließlich beruht ein Großteil der Bildwerbung auf diesem Prinzip. Am gleichen Beispiel lässt sich allerdings auch veranschaulichen, dass das Ausmaß dieser Effekte willkürlicher Kontrolle unterliegt bzw. vom Umfang anderweitiger kognitiver Belastung abhängt (Nummenmaa et al., 2006; Pessoa et al., 2002; Pessoa et al., 2005). Inwieweit eine momentan erlebte Emotion das Blickverhalten beeinflusst, ist bisher überwiegend an Patientengruppen, etwa Probanden mit Angststörungen er- 100 AUGENBEWEGUNGEN – 5.5 ZUSAMMENFASSUNG forscht worden, und hier sind die Befunde uneinheitlich (Hermans et al., 1999; Miltner et al., 2004; Pflugshaupt et al., 2006). 101 FRAGESTELLUNG – 6.1 SUBJEKTIVE BEWERTUNG Empirie 6 Fragestellung Als grundlegende Dimensionen zur Bewertung von Emotionen hatten sich in der Diskussion der Emotionstheorien (3.5, S. 69) die Achse Valenz mit Annähern - Vermeiden bzw. für eine mehr auf menschliches Erleben bezogene Benennung angenehm - unangenehm sowie Intensität oder Erregung ergeben. Auf neurophysiologischer Ebene wurde insbesondere die erste Dimension sehr genau von Rolls spezifiziert (s. 2.1, S. 21), in der Psychologie sind die beiden Dimensionen sowohl durch zahlreiche Fragebogenstudien (z.B. Yik et al., 1999, s. a. 3.4.2.1, S.61) als auch indikative peripherphysiologische Parameter validiert (z. B. Bradley & Lang, 2000, s. 3.4.3, S.62). Der Zusammenhang zwischen erlebter Emotion, subjektiver Bewertung auf den beiden Dimensionen sowie physiologischen Veränderungen inklusive Augenbewegungsparametern ist auch Gegenstand dieser Untersuchung. 6.1 Subjektive Bewertung Die zweidimensionale subjektive Bewertung scheint geeignet, als kleinster gemeinsamer Nenner unterschiedliche emotionale Reize zu bewerten. Bis jetzt erfolgt sie überwiegend im Anschluss an die Reizpräsentation, was bei statischen Reizen wie Photographien durchaus vertretbar ist. Grundsätzlich wäre jedoch eine kontinuierliche Bewertung wünschenswert, da ein einzelner Wert die induzierte emotionale Episode womöglich nur unzulänglich beschreibt (Hagemann et al., 2003). Gerade Appraisal-Theorien betonen den Prozesscharakter von Emotionen (z.B. Lazarus, 1991, Scherer, 2005, s. 3.1, S. 44), und auch bei den physiologischen Parametern wird der Verlauf nach Reizbeginn untersucht, so dass eine kontinuierliche Bewertung hier neue Einsichten in den Zusammenhang von subjektiver Bewertung und körperlichen Veränderungen bringen könnte. 6.1.1 Kontinuierliche subjektive Bewertung während emotionaler Episoden Während bei der Untersuchung physiologischer Parameter der zeitliche Verlauf im Rahmen einer emotionalen Episode durch Mittelung über einzelne Abschnitte ab Reizbeginn teilweise berücksichtigt wird (Bradley et al., 2005; Franz et al., 2003; Larson et al., 2005; Palomba et al., 2000; Roedema & Simons, 1999), geschieht dies für Veränderungen in der subjektiven Beurteilung weitaus seltener. Smith et al. (2005) bemühen sich, diesen Faktor konstant zu halten, indem sie in einem Versuchsdurchgang nur IAPS-Bilder gleicher Valenz präsentieren. Mauss et al. (2005) sowie Hutcherson et al. (2005) lassen die Probanden die Wirkung von Filmclips kontinuierlich mittels eines Drehreglers bewerten, beschränken sich dabei allerdings auf die Dimension Valenz (Trauer - Erheiterung), da ihre Reize nur auf dieser Skala variieren. Ähnlich wird in der Medienwirkungsforschung im Rahmen der Integrierten Rezeptions-Prozessanalyse (Bente, 2003) das subjektive 'Gefallen' mit Hilfe einer kleinen Fernbedienung, die der Zuschauer 102 FRAGESTELLUNG – 6.1 SUBJEKTIVE BEWERTUNG während des Schauens bedient, und ihm mittels einer Farbskala (grün bis rot) seine aktuelle Einschätzung anzeigt, erfasst9. Für emotionspsychologische Fragestellungen wird die Bewertung auch längerer Reize aber nach wie vor im Anschluss mittels Fragebögen oder SAMBewertung erfasst (Britton et al., 2006; Hagemann et al., 1999; Hewig et al., 2005). In der Musikpsychologie sind die Unzulänglichkeiten eines nachträglich zusammenfassenden Urteils zur Beschreibung eines gehörten Musikstücks schon länger bekannt. Schubert (2001) gibt eine Übersicht über verschiedene Ansätze, Bewertungen bereits während des Hörens zu erfassen und die Schwierigkeiten, die sich dabei ergeben. Darüber hinaus hat er selbst ein Messverfahren entwickelt, das ein quasi-kontinuierliches10 Rating mit der Mouse am PC ermöglicht und es mit Mimik-Photos von Ekman & Friesen (1975) validiert. In der ursprünglichen Version befindet sich das Achsenkreuz in der rechten Bildschirmhälfte und im linken oberen Teil das Präsentationsfenster für visuelle Reize, darunter ein Kasten, in dem die aktuellen Achsenkoordinaten aufgeführt werden (Schubert, 1999). Durch diese Anordnung wird der Eindruck der Bildreize womöglich abgeschwächt, da sie deutlich verkleinert und als ein Element unter mehreren im Kontext der graphischen Benutzeroberfläche einer Software wahrgenommen werden. Für auditive Reize, das Haupt-Anwendungsfeld, dürfte diese Einschränkung weniger ins Gewicht fallen. 6.1.1.1 EMuJoy Schuberts Ansatz, die jeweilige Bewertung kontinuierlich über Mousebewegungen erfolgen zu lassen, wurde von Nagel et al. (2007) aufgegriffen und weiterentwickelt: EMuJoy (Emotion measurement while listening to Music using a Joystick) ist ein java-basiertes Programm, bei dem das Achsensystem den gesamten Bildschirm einnimmt und für den Fall visueller Reize als Fadenkreuz über das Stimulusmaterial gelegt wird (zur Veranschaulichung s. Abb. 6.1.1). Die Ablenkung durch weitere Elemente auf dem Bildschirm ist so weitaus geringer. Zudem wurde die Abtastrate der Mousebewegung auf 20 Hz erhöht. Es wurde bereits erfolgreich mit IAPSBildern eingesetzt (Nagel et al., 2005) und wird von den Entwicklern überwiegend benutzt, um 'Chills', die 'Schauer' beim Hören emotional ergreifender Musikstücke zu untersuchen (Grewe et al., 2005; Grewe et al., 2007; Nagel et al., 2005). Die Implementierung in Java ermöglicht prinzipiell auch die Präsentation von Filmclips und der vorliegende Versuch soll untersuchen, inwieweit ein solcher Versuchsaufbau praktikabel ist und ob die erhaltenen Ratings mit den Bewertungen für Bildreize vergleichbar sind. 9 Eine anschauliche Darstellung des Verfahrens findet sich unter: www.wirkstoff.tv/data/Cases/Case_Study_Ford.pdf aufgrund der Abtastrate von 1 Hz (Schubert, 1999) spricht Schubert (2001) lieber von 'kontinual'. Im vorliegenden Text wird diese Unterscheidung nicht gemacht. 10 103 FRAGESTELLUNG – 6.1 SUBJEKTIVE BEWERTUNG Abb. 6.1.1: Bildschirmoberfläche von EMuJoy (Nagel et al., 2007) bei Präsentation eines IAPS-Bildes (Lang et al., 2005, Bild-Nr. 2070). Über das Bild sind die beiden Achsen Valenz (horizontal) von unangenehm bis angenehm und die Achse Erregung (vertikal) mit den Polen ruhig und auferegt gelegt. Im rechten oberen Quadranten ist der Mouse-Zeiger, mit dem die Versuchsperson ihren momentanen Gefühlszustand bewertet, als oranger Punkt zu erkennen. Ein grauer Schweif verdeutlicht dabei den Bewegungsverlauf der letzten Sekunden. 6.1.2 Filme zur Emotionsinduktion Verglichen mit den Photographien des IAPS werden Filmclips zur Emotionsinduktion deutlich seltener eingesetzt. Dementsprechend gibt es auch kein vergleichbar standardisiertes Reizmaterial und die eingesetzten Stimuli variieren von Studie zu Studie. Allerdings gibt es eine Gruppe von Szenen aus kommerziell verfügbaren Spielfilmen, die von Gross & Levenson (1995) ermittelt sowie mit Empfehlungen von Phillipot (1993) verglichen wurden, und für die von den beiden Autoren zusätzlich eine genaue Anleitung zum Schneiden aus den zugrunde liegenden Spielfilmen veröffentlicht wurde. Hagemann et al. (1999) griffen diese Liste auf und erweiterten sie um Filmclips, die von Tomarken et al. (1990) verwendet worden waren. Eine aktualisierte Liste mit Empfehlungen findet sich bei Hewig et al. (2005)11. Trotz der geringeren Verwendung kommt Otto (2000) zu dem Schluss, dass Filmclips neben der Vorgabe von Geschichten die wirksamste Verfahren zur Emotionsinduktion sind. Rottenberg & Gross (2007) begründen dies damit, dass Filmclips eine hohe ökologische Validität haben, die Aufmerksamkeit stark binden und vergleichsweise intensiv erlebt werden. Die Tatsache, den dem Ausschnitt zugrunde liegenden Film bereit gesehen zu haben, scheint die emotionale Wirkung eher zu verstärken (Gross & Levenson, 1995). Gleichzeitiges Bewerten der Filmclips während des Sehens beeinflusst das Urteil nicht (Hutcherson et al., 2005). Anders als die Bilder des IAPS, die vor allem hinsichtlich ihrer Valenz- und Arousalratings ausgewählt wurden, ermöglichen Filmclips durch das Vorhandensein eines Erzählstrangs weitaus besser die Induktion einer spezifischen Emotion und werden zumeist auch zu diesem Zweck eingesetzt (Gross & Levenson, 1995; Hewig et al., 2005; Rottenberg et al., 2007). 11 Inzwischen hat auch die Gruppe um Phillipot eine neue Liste mit Filmclips zusammengestellt (Schaefer et al., 2007); Hinweise dazu finden sich unter http://www.psp.ucl.ac.be/emotion/FilmStimuli/. 104 FRAGESTELLUNG – 6.2 PHYSIOLOGIE 6.1.3 Zweidimensionale subjektive Bewertung – subjektiv erlebte Basisemotionen Ein Punkt, in der die verschiedenen Emotionstheorien jeweils unterschiedliche Standpunkte vertraten, ist die Existenz von Basisemotionen. Anhänger des zweidimensionalen Ansatzes sind der Überzeugung, dass es sich bei Basisemotionen nicht um klar voneinander abgegrenzte Zustände handelt, sondern lediglich um prototypische Positionen im zweidimensionalen Raum, die eben besonders häufig vorkommen und deshalb einen eigenen Begriff zugeordnet bekamen (Russell, 1997; Scherer, 2000). Da Emotionsworte aber nur eine kategoriale Zuordnung erlauben, entstehe so der fälschlicherweise der Eindruck, es handele sich um disjunkte Zustände. Autoren wie Ekman und Lazarus jedoch gehen von verschiedenen Klassen aus, die sich aufgrund ihrer für sie jeweils typischen Situationsbewertung (Lazarus, s. Tab. 3.2.1, S.49) und Reaktionsmuster unterscheiden. Panksepp sieht sie als einzelne Affektprogramme in entwicklungsgeschichtlich alten Hirnstrukturen verankert, weshalb sie zu recht als grundlegend bezeichnet werden können. Bei der Analyse der subjektiven Bewertung soll daher untersucht werden, inwieweit sich verschiedene Emotionen aufgrund ihrer Lage im zweidimensionalen Raum von Valenz und Erregung unterscheiden lassen. 6.2 Physiologie Die Kontroverse, in welchem Ausmaß bestimmte neuronale Affektprogramme oder lediglich die Ur-Dimensionen Valenz und Arousal emotionale Reaktionen gliedern, setzt sich auf der Ebene physiologischer Veränderungen fort: Levenson, Ekman und Friesen konnten ihrer Meinung nach in mehreren Studien belegen, dass Emotionen wie Wut und Angst sich in unterschiedlichen autonome Aktivitätsmuster ausdrücken (Ekman et al., 1983; Levenson et al., 1990, 2002). Auch wenn diese Sichtweise und die Aussagekraft ihres Versuchsaufbaus mehrfach angezweifelt wurde (Cacioppo, Berntson et al., 2000; Demaree et al., 2006), so wird sie nach wie vor von anderen Autoren als zutreffend aufgegriffen (Rainville et al., 2006). Für die Dimensionen Valenz und Arousal haben sich bei der Emotionsinduktion mittels IAPS-Bilder hingegen typische peripher erfasste physiologische Veränderungen etabliert (Pauli & Birbaumer, 2000), die in Tab. 3.4.1 (S.66) gemäß Bradley & Lang (2000) zusammengefasst worden waren. Während Gesichtsmuskelaktivität und Herzrate in erster Linie durch Valenz beeinflusst werden, steht ein Anstieg der Hautleitfähigkeit mit subjektiver Erregung in Zusammenhang. Mit der vorliegenden Studie soll untersucht werden, ob sich bei der Verwendung von Filmreizen mit gleichzeitiger kontinuierlichen Bewertung ein vergleichbares physiologisches Muster zeigt. Da dem eingesetzten Reizmaterial im Unterschied zu den IAPS-Bildern, die nur bezüglich ihrer Valenz- und Erregungsbewertung variieren, jeweils eindeutige Zielemotionen zugeschrieben werden können, bietet sich auch hier die Möglichkeit, eventuell vorhandene emotionsspezifische Veränderungen zu identifizieren. 105 VERSUCH – 6.3 ZUSAMMENFASSUNG FRAGESTELLUNG 6.2.1 Entsprechung in Augenbewegungskennwerten Wie in Kapitel 5.4 (S.97) dargestellt, wurde bei Augenbewegungen im Zusammenhang mit Emotionen bisher in erster Linie untersucht, mit welcher Verzögerung bedrohliche oder belohnende Reize mittels einer Sakkade entdeckt werden, und ob es dabei einen generellen evolutionär bedingten attentional bias gegenüber neutralen Reizen gibt (Hikosaka, 2007; Miltner et al., 2004) bis hin zu Blickstrategien spezifischer phobischer Patientengruppen (Horley et al., 2003; Miltner et al., 2004; Pflugshaupt et al., 2006). Beim Lidschlag wird vor allem die Amplitude des reflektorischen Schreckblinzlers sowie bei der Präsentation von Filmclips eventuell noch Veränderungen in der Spontanrate erhoben (Eckert, 2007; Palomba et al., 2000). Auf dynamische Parameter der Augenbewegungen wie Geschwindigkeiten von Sakkaden und Lidschlägen wurde dabei verzichtet, obwohl bekannt ist, dass diese Kennwerte einen Bezug zum aktuellen Aktivierungsniveau zeigen (Galley, 1998; Schleicher et al., 2008). Dementsprechend soll hier überprüft werden, inwieweit sich verschiedene Sakkaden- und Lidschlagkennwerte im Zusammenhang mit subjektiver Valenz und Erregung sowie anderen physiologischen Maßen verändern. 6.3 Zusammenfassung Fragestellung Die auf den letzten Seiten dargestellte Fragestellung zum Zusammenhang von kontinuierlicher Emotionsbewertung und physiologischen Parametern bei der Präsentation von emotionalen Filmclips wird an dieser Stelle noch mal in Form von fünf konkreten Fragen zusammengefasst: 1. Lassen sich durch die Darbietung von Filmclips bei gleichzeitiger Bewertung mittels EMuJoy verlässlich unterschiedliche Emotionen induzieren? 2. Führt diese Art der Emotionsinduktion und gleichzeitiger Bewertung zu physiologischen Veränderungen, die mit bisherigen Befunden aus der Literatur vergleichbar sind? 3. Lassen sich dabei Unterschiede zwischen bestimmten Zielemotionen erkennen? 4. Wie sieht der Zusammenhang zwischen physiologischen Veränderungen und kontinuierlicher subjektiver Bewertung aus? 5. Welchen Zusammenhang zeigen Blickbewegungsparameter zu der subjektiven Bewertung sowie den übrigen physiologischen Parametern? 7 Versuch Der vorliegende Versuch wurde im Sommer 2005 am Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universtität Köln durchgeführt. 7.1 Versuchsteilnehmer Die Versuchsteilnehmer wurden über Aushänge am Psychologischen Institut der Universität Köln rekrutiert und erhielten für ihre Teilnahme bis zu 3 Versuchspersonenstunden. Teilnehmen konnten Personen im Alter von 20-49 Jahren, die nicht in ärztlicher Behandlung waren, über normale Seh- und Hörfähigkeit verfügten und die PC-Mouse üblicherweise mit der rechten 106 VERSUCH – 7.2 VERSUCHSAUFBAU Hand bedienten. Insgesamt nahmen an dem Versuch 60 Probanden, davon 35 weiblich und 25 männlich, teil. Das mittlere Alter betrug 25 ± 4,88 Jahre. Versuchsleiter waren der Autor sowie eine Forschungspraktikantin, die die Experimente jeweils einzeln durchführten, weshalb im folgenden allgemein von 'Versuchsleiter' im generischen Maskulinum gesprochen wird. 7.2 Versuchsaufbau Der gesamte Untersuchung inklusive Eingangs- und Nachbefragung fand im selben Laborraum statt, in dem sich währenddessen außer dem Versuchsleiter und dem Probanden niemand aufhielt. Am Ende dieses Raumes war eine Leinwand aufgebaut, die den Großteil der Wand einnahm. Zwei Meter davor befand sich der Probandensessel, hinter dem auf einem Gerüst ein Beamer12, der die Bilder und Filmreize in einer Größe von 90 x 130 cm auf die Leinwand projizierte, angebracht war. Vor der Reizdarbietung wurde der Raum verdunkelt, um die Aufmerksamkeit der Probanden auf die Leinwand zu lenken und die Wirkung der dargeboten Reize zu verstärken. Die Wiedergabe erfolgte über die EMuJoy-Software (Nagel et al., 2007) auf einem Laptop13, an das externe PC-Lautsprecher14 sowie der Beamer angeschlossen waren. Ebenfalls an dieses Laptop angeschlossen war die Mouse, mit der die Versuchsperson ihre kontinuierliche Bewertung abgab, weshalb es im weiteren als Versuchspersonenrechner (VP-Rechner) bezeichnet wird. Gesteuert wurde die Reizpräsentation vom Versuchsleiter (VL) über die Remote-Control-Komponente von EMuJoy auf einem zweiten Laptop15, dem VL-Rechner, der sich im hinteren Teil des Raumes befand und über ein Netzwerkkabel mit dem VP-Rechner kommunizierte. 7.3 Versuchsablauf Nachdem sie vom Versuchsleiter begrüßt worden waren, wurden die Probanden in den Versuchsraum geführt und über den Sinn der Untersuchung der informiert. Sobald sie die Einverständniserklärung unterschrieben hatten und etwaige Fragen aufgrund des Eingangsfragebogen (s. Anhang Kap. 13, S.212) geklärt worden waren, füllten sie die Kurzform A des Mehrdimensionalen Befindlichkeitsfragebogen (MDBF, Steyer et al., 1997) aus. Anschließend wurde mit der Anbringung der Physiologie-Sensoren begonnen. Währendessen bekamen die Versuchspersonen die allgemeinen Instruktionen für die kontinuierliche Bewertung auf den Dimensionen Valenz und Erregung zu lesen. Sie lautete (Formatierung vom Originaltext übernommen): Sie werden gleich verschiedene Bilder, Musikstücke sowie Filmclips präsentiert bekommen. Diese sollen Sie bezüglich ihrer emotionalen Wirkung auf den Dimensionen Angenehm-Unangenehm und Aufgeregt-Ruhig bewerten. 12 SANYO PLC Acer Travelmate 8005LMi, 1.8 GHz Intel Pentium M475 CPU, 512 MB RAM, ATI Radeon 9700 Graphikkarte 14 Logitech Soundman G1 15 Medion 9580-F, 1 GHz Pentium Mobile CPU, 256 MB RAM 13 107 VERSUCH – 7.3 VERSUCHSABLAUF Wichtig ist dabei, dass Sie einschätzen sollen, wie der Film oder die Musik auf Sie persönlich wirkt, und nicht, was der Komponist oder Regisseur damit vermutlich für ein Gefühl hervorrufen wollte. Lassen Sie die Musik auf sich einwirken und geben Sie an, was Sie dabei empfinden. Bei den Filmen versetzen Sie sich möglichst so in die Hauptperson, als wenn Sie es selbst erleben würden, und bewerten dann, wie Sie sich dabei fühlen. Im Anschluss an jeden Reiz werden Sie gebeten, das erlebte Gefühl mit 1-2 Worten zu benennen. Darüber hinaus wurde die Steuerung der EMuJoy-Software erläutert (s. Anhang Kap. 13 S.212). Nachdem die Versuchsperson vollständig verkabelt war und die Instruktionen durchgelesen hatte, wurde die Signalqualität der physiologischen Messung überprüft. Dabei wurde bereits das Licht im Versuchsraum ausgeschaltet, um den Augen der Probanden ausreichend Zeit zur Dunkeladaptation zu geben. Erschien die Signalqualität zufriedenstellend, wurde mit der physiologischen Messung begonnen sowie die EMuJoy-Software gestartet, denn die Kalibrierung der Augenbewegungen erfolgte mit Hilfe von in EMuJoy dargebotenen Bildreizen. Der Abstand des Probandengesichts zur Leinwand wurde bestimmt, und der Proband gebeten, die auf der Leinwand erscheinenden Bildpunkte zu fixieren. Mit Hilfe dieser Informationen ließ sich die Amplitude der im EOG registrierten Blicksprünge in Winkelgrad umrechnen. War diese Vorbereitungsphase abgeschlossen, begab sich der Versuchsleiter in den hinteren Teil des Raumes und die Präsentation emotionaler Reize sowie die Aufzeichnung der kontinuierlichen Valenz-ErregungsRatings begann. 7.3.1 Stimulusmaterial & Reizpräsentation Die Präsentation emotionsrelevanter Reize gliederte sich in drei Phasen: zunächst Photographien des International Affective Picture System IAPS (Lang et al., 2005), um die Versuchsperson mit dem Achsensystem Valenz und Erregung vertraut zu machen, im nächsten Schritt Musikstücke mit einer Dauer um die 2 Minuten, anhand derer das kontinuierliche Bewerten des eigenen Erlebens geübt wurde und schließlich die Darbietung emotionaler Filmclips, die den Kern dieses Versuchs bilden. 7.3.1.1 Trainingsphase I: IAPS-Bilder Als erster Reiztyp waren IAPS-Bilder ausgewählt worden, deren Valenz- und Arousalwert sich deutlich unterschied bei denen das Motiv aber einen gewissen Interpretationsspielraum bot, um nicht den Eindruck eines kategorialen Bewertungssystems zu erwecken, wie es bei den extremen Bildern des IAPS (OP-Aufnahmen u.ä.) leicht der Fall gewesen wäre. Eine Übersicht der dargebotenen Bilder ist in Tab. 7.3.1 zu sehen. 108 VERSUCH – 7.3 VERSUCHSABLAUF Tab. 7.3.1: Übersicht der dargebotenen Bilder des International Affective Picture System IAPS (Lang et al., 2005) in Trainingsphase I. Valenz- und Arousalratings beziehen sich auf die 9-stufigen Self-Assessment-Mannikin-Skalen, wobei 9=angenehme Valenz (pleasure) bzw. hohes Arousal bedeutet. IAPSNr. Motiv ValenzWert* ArousalWert' 2070 Baby, das in die Kamera blickt 8.17 4.51 2205 Alter Mann, der am Krankenbett eines anderen Menschen sitzt 1.95 4.53 8170 An Bord eines Segelbootes bei gutem Wetter, spritzende Gischt 7.63 6.12 7190 Taschenuhr, aufgehängt an einem Holzbrett 5.55 3.84 3500 Gangster bedroht Fahrgast in der U-Bahn mit einer Waffe 2.21 6.99 1670 Kuh auf grüner Wiese 5.82 3.33 * nach Lang et al. (2005) Die Probanden konnten die Bilder so lange betrachten, bis sie zu einer abschließenden Einschätzung gekommen waren, und durften Fragen zum Bewertungsverfahren oder der Mousesteuerung stellen. Im Anschluss wurden sie gebeten, das erlebte Gefühl kurz zu beschreiben. Nach dem vierten Bild fragte der Versuchsleiter, ob sie sich mit dem Bewertungssystem vertraut fühlten oder weitere Bilder sehen wollten. Dies war bei drei Probanden der Fall (VP 33, 40, 43), die nach einem weiteren Bild zur nächsten Phase übergingen. 7.3.1.2 Trainingsphase II: Musikstücke EMuJoy war ursprünglich zur kontinuierlichen Bewertung von Musikstücken entwickelt worden. Musik bietet sich für den vorliegenden Versuch an, eine kontinuierliche Bewertung zu üben, denn die Informationsaufnahme ist auf den auditiven Kanal beschränkt und der Proband kann seinen Seh-Sinn uneingeschränkt zur Überwachung der Mousebewegungen nutzen. Um das Einüben der kontinuierlichen Bewertung zu erleichtern, wurde auf Exzerpte aus Kompositionen zurückgegriffen, die sich in anderen Studien bewährt haben (Baumgartner et al., 2006; Heene et al., 2007; Juslin & Sloboda, 2001; Kenealy, 1997; Schubert, 1999). Eine Übersicht der dargebotenen Musik-Exzerpte ist in Tab. 7.3.2 zu sehen. Tab. 7.3.2: Übersicht der dargebotenen Musik-Exzerpte in Trainingsphase II Musik-Exzerpt Dauer Mögliche Assoziationen Albinoni – Adagio in G minor 1:58 Wehmut, Trauer Beethoven - Allegro ma non troppo 2:37 Freude, Leichtigkeit Paco De Lucia & Joaquin Rodrigo – II. Adagio aus Concierto de Aranjuez für Gitarre und Orchester 2:06 erst heiter, dann wehmütig-traurig 2:21 anfangs heiter, dann wehmütig, dann getragen Holst – Jupiter - The Bringer of Jolity Auch hier wurden die Probanden im Anschluss gebeten, das erlebte Gefühl kurz zu umschreiben. Außerdem wurden mögliche Fragen zur Mouse-Steuerung beantwortet. Nach dem zweiten Musikstück fragte der Versuchsleiter, ob sich die Versuchsperson im Umgang mit dem Bewertungsverfahren sicher fühlte oder weitere Musikstücke hören wollten. Dies 109 VERSUCH – 7.3 VERSUCHSABLAUF war bei zwölf Probanden der Fall (VP 1, 2, 7, 15, 20, 25, 27, 30, 31, 32, 33, 37), die nach einem weiteren Musikstück angaben, die kontinuierliche Bewertung jetzt ausreichend zu beherrschen. 7.3.1.3 Hauptversuch: Filmreize Nach Abschluss der Trainingsphase begann der eigentliche Versuch, in dem die Probanden insgesamt 14 emotionale Filmclips sowie zwischen jedem emotionalen einen neutralen Filmclip bewerten sollten. Die Auswahl der Filmclips orientierte sich dabei an Hagemann et al. (1999) und Hewig et al. (2005), deren Auswahl wiederum auf Tomarken et al. (1990), Gross & Levenson (1995), sowie Philippoth (1993) beruht. Eine Übersicht der dargebotenen Filmclips ist in Tab. 7.3.3 zu sehen. Die Filmausschnitte waren freundlicherweise von Dirk Hagemann als VHSKassette zur Verfügung gestellt worden und wurden für die vorliegende Studie entweder digitalisiert oder bei unzureichender Qualität anhand der Vorlage aus einer digitalen Version erneut erstellt. Tab. 7.3.3: Übersicht der dargebotenen Filmclips im Hauptversuch in Anlehnung an Hagemann et al. (1999) und Hewig et al. (2005). Deutscher Filmtitel, Jahr (Kurztitel) Dauer Zielemotion 0:35 neutral Bahnfahrt durch einen Wald aus Zugführersicht 1:46 Trauer Ein Mann und eine Frau suchen ihren Freund und entdecken, dass er sich erhängt hat. Schreiendes Land, 1984 (Killing Fields) 1:19 Trauer Ein Mann nimmt unter Tränen Abschied von seinen Freunden. Der Champ, 1979 (Champ) 2:35 Trauer Ein Junge sieht seinen Vater nach einem Boxkampf auf einer Bahre sterben und fängt an zu weinen. Ein Offizier und Gentleman, 1982 (Offizier2) 1:54 Freude Ein Offizier in Ausgehuniform holt eine Arbeiterin in einer Fabrik ab und trägt sie aus der Halle. (Happy End) Harry und Sally, 1989 (Harry&Sally) 2:27 Freude Eine Frau spielt einem Mann mit lautem Stöhnen in einem vollen Restaurant einen Orgasmus vor. Der Mann ist erst peinlich berührt, dann amüsiert. Am goldenen See, 1981 (Dance) 0:31 Freude Eine Frau tanzt und singt an einem See; dabei wird sie von einer anderen beobachtet. Beide fallen sich voller Wiedersehensfreude in die Arme. Das Schweigen der Lämmer, 1991 (Schweigen d. Lämmer) 3:25 Angst Eine FBI-Beamtin sucht einen zwielichtigen Mann in seinem Haus auf und verfolgt ihn in den Kellerräumen, in denen Schreie zu hören sind. Shining, 1980 (Shining) 1:20 Angst Ein spielendes Kind bewegt sich auf eine Hotelzimmertür zu, hinter der etwas Unheimliches zu lauern scheint. Halloween – Die Nacht des Grauens, 1978 (Halloween) 3:02 Angst Eine junge Frau bewegt sich in einem dunklen Haus und entdeckt dort mehrere Leichen; sie merkt nicht, dass der Mörder auch ihr auflauert. Gandhi, 1982 (Gandhi) 2:06 Wut Ein indischer Anwalt versucht, seinen Pass zu verbrennen und wird deswegen von einem britischen Polizisten verprügelt, läßt aber nicht davon ab. Schrei nach Freiheit, 1987 (Cry Freedom) 2:26 Wut Eine Gruppe Farbiger demonstriert friedlich und wird von weißen Soldaten niedergemetzelt. Der einzige Zeuge, 1985 (Witness) 1:25 Wut Eine Gruppe Amish People wird von Halbstarken provoziert und verhöhnt, ohne sich zu wehren. 1:06 Ekel 1:03 Ekel Führerstandsmitfahrten, 1995 (Bahnfahrt) Ein Offizier und Gentleman, 1982 (Offizier1) Maria's Lovers, 1984 (Ratte) Der Pate, 1972 (Der Pate) 110 Inhalt Eine Ratte krabbelt einem unruhig schlafenden Mann in den Mund; dieser erwacht und tötet sie. Ein Mann wacht auf und entdeckt einen blutigen Pferdekopf in seinem Bett; er fängt an zu schreien VERSUCH – 7.4 DATENERFASSUNG Die Präsentation der Filmclips erfolgte für jeden Probanden in einer anderen Reihenfolge, wobei sichergestellt worden war, dass nicht zwei Ausschnitte aus dem selben Film (Offizier1 und Offizier2) oder mit der gleichen Zielemotion unmittelbar hintereinander gezeigt wurden. Im Anschluss an jeden Filmclip wurden die Probanden gebeten, das erlebte Gefühl mit wenigen Worten zu beschreiben. Außerdem wurden sie gefragt, ob ihnen die Filmszene bekannt war. 7.3.2 Versuchsende Nach der Reizdarbietung wurden die Versuchspersonen entkabelt und bekamen die Möglichkeit, sich in den benachbarten Toilettenräumen von eventuell vorhandenen Resten der Elektrodenpaste zu reinigen. Anschließend füllten sie zwei Fragebögen, die Toronto Alexithymie Skala 26 (TAS-26, Kupfer et al., 2001) und das NEO-Fünf-Faktoren-Inventar nach Costa und McCrae (NEO-FFI, Borkenau & Ostendorf, 1993) aus. Danach hatten die Probanden die Möglichkeit, weitere Fragen zum Sinn oder Ablauf der Untersuchung zu stellen und bekamen ihre Versuchspersonenbescheinigung ausgehändigt. 7.4 Datenerfassung 7.4.1 Subjektive Bewertungen Die Speicherung der Arousal-Valenz-Bewertungen mit der Mouse erfolgte während der Reizdarbietung durch die EMuJoy-Software auf dem VP-Rechner, die für jeden Reiz zu Beginn der Wiedergabe eine neue ASCII-Datei gleichen Namens anlegte. Die Aufzeichnung erfolgte dabei ereignisbasiert, das heißt, es wurden nur dann Daten geschrieben, wenn die Mouse auch tatsächlich bewegt wird. In diesem Fall wurden die x/y-Koordinaten einer solchen Mousebewegung mit einer Abtastrate von 20 Hz aufgezeichnet (Nagel et al., 2005). 7.4.2 Physiologische Parameter Alle physiologischen Parameter wurden mit einem Varioport-Physiorekorder (Becker Meditec, Karlsruhe) aufgezeichnet. Die Kontrolle der Datenaufzeichnung erfolgte über das Programm Variograf (Mutz, 2004). Eine mögliche Online-Vorverarbeitung der einzelnen Signale (z.B. Filterung) wurde dabei so weit möglich deaktiviert und das unbehandelte Rohsignal mit einer Auflösung von 16-Bit digitalisiert auf der Speicherkarte des Rekorders abgelegt. Als Elektroden dienten Silber-/Silberchlorid (Ag/AgCl)-Elektroden der Firma GE Medical Systems (Freiburg). Alle Elektroden wurden mittels Kleberingen an der Versuchsperson angebracht und gegebenenfalls zusätzlich mit Pflaster fixiert. Außer für die Elektroden zur Messung der Hautleitfähigkeit wurde in allen Fällen Hellige Elektrodencreme (GE Medical Systems, Freiburg) zur Erhöhung der Leitfähigkeit benutzt. Als Erdung diente eine Elektrode auf der linken Halsseite des Probanden. 7.4.2.1 Hautleitfähigkeit (EDA) Die EDA-Elektroden waren auf der Innenseite der linken Hand der Versuchsperson auf dem Daumen- und dem Kleinfingerballen (Thenar und Hypothenar) platziert. An die beiden Elektro- 111 VERSUCH – 7.4 DATENERFASSUNG den wurde eine konstante Spannung von 0.5 Volt angelegt und so Änderungen in der Leitfähigkeit der Haut mit einer Abtastrate von 64 Hz erfasst. Anders als bei den übrigen Elektroden kam hier eine Natriumchlorid (NaCl)-Paste (Becker Meditec, Karlsruhe) zum Einsatz, die in ihrer NaCl-Konzentration dem menschlichen Schweiß ähnelte. Die Probanden wurden gebeten, während des Versuchs die linke Hand möglichst wenig zu bewegen. 7.4.2.2 Gesichtsmuskelaktivität (EMG) Die EMG-Elektroden wurden entsprechend der Empfehlung von Tassinary & Cacioppo (2000) platziert, um die drei Gesichtsmuskeln Corrugator supercilii, Zygomaticus major und Orbicularis oculi zu erfassen (s. Abb. 7.4.1). Anders als auf der Abbildung befand sich die Erdung allerdings auf der linken Halsseite, nicht am linken Ohrläppchen. Alle drei Kanäle wurden mit 128 Hz abgetastet. Für das Zygomaticus-Signal stand dabei ein Varioport-EMG-Vorverstärker zur Verfügung (Becker Meditec, Karlsruhe), die beiden anderen EMG-Signale wurden über unbenutzte Kanäle des Varioport EOG-Moduls aufgezeichnet. Abb. 7.4.1: Platzierung der EMG-Elektroden. Iso-Grund = Erdungselektrode (im vorliegenden Versuch am Hals, nicht am Ohrläppchen angebracht). Modifiziert aus Tassinary & Cacioppo (2000). 7.4.2.3 Herzaktivität (EKG) Die EKG-Elektroden wurden an der rechten Halsseite und der Innenseite des linken Handgelenks der Versuchsperson angebracht, da diese Anordnung ein zur Bestimmung der R-Zacke ausreichendes Signal lieferte, jedoch ein Freimachen des Oberkörpers ersparte und den Probanden gleichzeitig genügend Bewegungsfreiheit zur Mousesteuerung mit der rechten Hand ließ. Abtastrate war wie für das EOG 512 Hz. 7.4.2.4 Augenbewegungen (EOG) Die EOG-Elektroden wurden wie in Abb. 7.4.2 zu sehen, in den äußeren Ecken der Augen (horizontaler Kanal) bzw. über und unter dem rechten Auge (vertikaler Kanal) platziert. 112 DATENAUFBEREITUNG – 8.1 SUBJEKTIVE DATEN Abb. 7.4.2: Platzierung der EOG-Elektroden A und B erfassen die vertikalen, C und D die horizontalen Bewegungen. E=Erdungselektrode (im vorliegenden Versuch am Hals, nicht am Ohrläppchen angebracht). Modifiziert aus Schandry (1998). Anders als auf der Abbildung befand sich die Erdung allerdings auf der linken Halsseite, nicht am linken Ohrläppchen. Beide Kanäle wurden mit 512 Hz abgetastet. Tab. 7.4.1 gibt eine Übersicht über die erhobenen Signale, ihre Abkürzung sowie die jeweilige Abtastrate. Tab. 7.4.1: Übersicht über die erhobenen physiologischen Signale Signal Kürzel Abtastrate EDA 64 Hz Aktivität musculus corrugator supercilii EMGco 128 Hz Aktivität musculus orbicularis oculi EMGor 128 Hz Aktivität musculus zygomaticus EMGzy 128 Hz Hautleitfähigkeit Herzaktivität EKG 512 Hz Augenbewegung horizontal EOGh 512 Hz Augenbewegung vertikal (inkl. Lidschlag) EOGv 512 Hz 8 Datenaufbereitung Das folgende Kapitel beschreibt, wie die verschiedenen Datenquellen weiterverarbeitet und in ein einheitliches Format gebracht wurden, sowie welche Kennwerte aus ihnen jeweils gebildet wurden, die dann im Ergebnisteil statistisch ausgewertet werden. Eine Ausnahme bildet die Auswertung der Emotionsbenennung im Anschluss an einen Filmclip, die schon in diesem Kapitel unter 8.1.3 (ab S. 117) erfolgt, da ihr Resultat Implikationen für die Aufbereitung der EMuJoy- sowie der physiologischen Daten hat. 8.1 Subjektive Daten Selbsteinschätzungen waren im Versuch an verschiedenen Stellen erhoben worden: einmal die kontinuierliche Bewertung während der Reizdarbietung, die den Kern dieser Untersuchung bil- 113 DATENAUFBEREITUNG – 8.1 SUBJEKTIVE DATEN det, dann die mündliche Zusammenfassung der gerade erlebten Emotion im Anschluss an einen Filmclip sowie schließlich die Fragebögen zu Beginn und Ende des Versuchs. Die Fragebögen dienten dabei vor allem der Identifizierung von Besonderheiten bei einzelnen Versuchspersonen, die für die weitere Auswertung relevant sein könnten und werden entsprechend kurz beschrieben. Für detailliertere Informationen über die zugrunde liegenden Konstrukte sowie psychometrischen Eigenschaften der Tests sei auf die jeweiligen Manuale und die aufgeführte Literatur verwiesen. Die EMuJoy-Ratings während der Filmpräsentation und die anschließende Kurzbeschreibung hingegen bilden die Grundlage für die spätere Bewertung der Veränderung in den Biosignalen, weshalb sie eingehender analysiert werden. Während das EMuJoy-Rating sich auf Dimensionen Arousal und Valenz beschränkte, ermöglichte die anschließende freie Beschreibung eine genauere Differenzierung der gerade erlebten Emotionen und damit eine Erläuterung des zuvor abgegebenen kontinuierlichen Ratings. Dementsprechend werden nach den FragebogenDaten zunächst die Ergebnisse der freien Angaben berichtet und auf dieser Grundlage die EMuJoy-Daten ausgewertet. Auf sonstige Besonderheiten, die sich aus dem Eingangsfragebogen oder Gesprächen im Versuchsanschluss ergaben (eine Versuchsperson befand sich beispielsweise in der Nachsorge einer Herztransplantation) wird im jeweiligen Auswertungsabschnitt (in diesem Fall EKG) hingewiesen. 8.1.1 Eingangsfragebogen Der Eingangsfragebogen gliederte sich in einen allgemeinen Teil, in dem demographische Informationen sowie für psychophysiologische Untersuchungen generell relevante Kennwerte wie Schlafdauer, momentane körperliche Beschwerden und eingenommene Medikamente abgefragt wurden. Hier wurden in einigen Fällen Kopfschmerzen (VP 10, 37), Erkältung/Halsschmerz/Heuschnupfen (VP 27, 32, 33, 36, 52), Rückenschmerzen (VP 32, 46, 47) sowie Kreislaufbeschwerden (VP 55) angegeben. Die entsprechenden Probanden wurde daraufhin gefragt, ob sie sich die Teilnahme an dem Versuch zutrauten oder einen neuen Termin vereinbaren wollten. Alle Probanden sahen sich zur Teilnahme in der Lage. Um die emotionale Gestimmtheit zu Beginn des Versuchs abschätzen zu können, wurde zudem ein standardisierter Fragebogen, der MDBF in seiner Kurzform A eingesetzt. 114 DATENAUFBEREITUNG – 8.1 SUBJEKTIVE DATEN 8.1.1.1 Befindlichkeitsfragebogen MDBF Der Mehrdimensionale Befindlichkeitsfragebogen (MDBF, Steyer et al., 1997) erfasst die momentane psychische Verfassung mit Hilfe von 24 Adjektivbeschreibungen ('Im Moment fühle ich mich… zufrieden'), denen die Versuchsperson auf einer Likertskala von 1 bis 5 widersprechen ('überhaupt nicht') oder zustimmen ('sehr') kann. In der Kurzform des Fragebogens sind es jeweils 12 Items, die folgende zugrunde liegende Skalen erfassen: • Gute-Schlechte Stimmung (GS) Beispielitem: zufrieden, glücklich • Wachheit-Müdigkeit (WM) Beispielitem: ausgeruht, schlapp • Ruhe-Unruhe (RU) Beispielitem: ausgeglichen, nervös Hohe Werte deuten dabei eine positive Ausprägung auf der jeweiligen Skala an, also gute Stimmung, wach und ruhig. Die Autoren weisen ausdrücklich darauf hin, dass aufgrund der Situationsabhängigkeit die Angabe von allgemeingültigen Normwerten nicht sinnvoll ist. Als Vergleichsmöglichkeit bieten sie den Mittelwert und die Standardabweichung der Eichstichprobe (n=503) an (Steyer et al., 1997). Im folgenden werden alle Versuchspersonen aufgeführt, deren Skalenwert kleiner als dieser Mittelwert –2 Standardabweichung war, was gleichzeitig eine Nähe zum negativen Pol der jeweiligen Skala bedeutet: • Gute-Schlechte Stimmung (GS): VP 55 • Wachheit-Müdigkeit (WM): – • Ruhe-Unruhe (RU) VP 10, 42 Versuchsperson 55, die sich eine schlechte momentane Stimmung attestiert hatte, litt nach eigenen Angaben unter Kreislaufbeschwerden, hatte sich aber dennoch für die Versuchsdurchführung entschieden. Dass sich niemand als auffällig müde einstufte, stimmt mit den Angaben im generellen Teil des Eingangsfragebogens überein, dem gemäß die Probanden im Mittel 7.5 ± 1.46 Stunden geschlafen hatten, und seit 6.3 ± 2.96 Stunden auf waren. Bezüglich der hohen Ausprägung auf der Skale 'Ruhe-Unruhe' ließ sich kein Zusammenhang zu momentan eingenommenen Medikamenten, Anzahl getrunkener Tassen Kaffee (2 bei VP 10, 0 bei VP42) oder Zeit seit letzter Mahlzeit (2h bei beiden Vpn) feststellen. Allerdings hatte VP 10 Kopfschmerzen angegeben und bei VP 42 handelte es sich um den Herztransplantations-Patienten. Ob sich für die genannten Fälle Auswirkungen auf die kontinuierliche Filmbewertung erkennen lassen, wird in Abschnitt 8.1.4.3 (S. 122) angegeben. 8.1.2 Nachfragebögen Die Messinstrumente, die psychisches Erleben und die Wahrnehmung von Emotionen betreffen, waren an das Versuchsende gestellt worden, um die Versuchspersonen nicht in Bezug auf ihr Bewertungsverhalten während der Reizdarbietung zu beeinflussen. 115 DATENAUFBEREITUNG – 8.1 SUBJEKTIVE DATEN 8.1.2.1 Persönlichkeitsfragebogen NEO-FFI Das NEO-Fünf-Faktoren-Inventar von Costa & McCrae (NEO-FFI, deutsche Version von Borkenau & Ostendorf, 1993) versucht die Persönlichkeit eines Menschen hinsichtlich der fünf Skalen Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen (=N,E;O), Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit einzuschätzen. Diese fünf Dimensionen haben sich in faktorenanalytischen Untersuchungen als grundlegend bei der Erfassung von Persönlichkeitseigenschaften mittels Fragebögen bzw. Adjektivlisten erwiesen (Borkenau & Ostendorf, 1993). Im NEO-FFI werden sie über insgesamt 60 Aussagen der Art ' Manchmal fühle ich mich völlig wertlos', die der Proband auf einer fünfstufigen Skala von starke Ablehnung bis starke Zustimmung bewertet, erfragt. Für diese Studie liegen zwei geschlechtspezifische Normen vor: die des deutschen Manuals (Borkenau & Ostendorf, 1993) an 1076 Frauen und 966 Männern erhoben, sowie für 250 weibliche 130 männliche Studierende der Uni Köln erfasste Werte. Setzt man als Kriterium die Abweichung vom Mittelwert um zwei Standardabweichungen, so sind die 'Kölner Normen' enger: Wer im entsprechenden Randbereich der Manualnormen liegt, dessen Wert liegt auch automatisch über den Grenzwerten der Kölner Normen, was umgekehrt nicht der Fall sein muss. Bei folgenden Versuchspersonen übertraf ein Skalenwert den jeweiligen Normwert um mehr als zwei Standardabweichungen: • Für Neurotizismus lag der Skalenwert einer Versuchsperson (VP 40) um mehr als zwei Standardabweichungen über dem Gesamtmittelwert, in Bezug auf die 'Kölner Norm' war dies zusätzlich noch für die Probanden VP 30, 32, 55 und 56 der Fall. • Bezüglich der Skala 'Offenheit' lagen zwei Probanden über dem Grenzwert der ManualNorm (VP 10 und 12). Ob sich für diese Fälle Auswirkungen auf die kontinuierliche Filmbewertung erkennen lassen, wird in Abschnitt 8.1.4.3 (S. 122) angegeben. 8.1.2.2 Alexithymiefragebogen TAS-26 Alexithymie bezeichnet die mangelnde Fähigkeit einer Person, Gefühle an sich wahrzunehmen und zu verbalisieren (Aleman, 2005). Unabhängig davon, ob die dieses Defizit auf tatsächlich geringerer physiologischer Erregung bei emotionalem Erleben (Roedema & Simons, 1999) oder der Entkopplung von physiologischen Veränderungen und kognitiver Verarbeitung besteht (Franz et al., 2003), ist eine Auswirkung auf die kontinuierliche Selbsteinschätzung wahrscheinlich. Aus diesem Grund wurde allen Probanden die deutsche Version der Toronto Alexithymie Skala (TAS-26, Kupfer et al., 2001) vorgelegt, das am weitesten verbreitete Messinstrument zur Erfassung von Alexithymie (Aleman, 2005; Taylor & Bagby, 2004). In diesem Verfahren soll die Versuchsperson 26 Aussagen über ihr eigenes Gefühlserleben auf einer fünfstufigen Likertskala von trifft gar nicht zu bis trifft völlig zu bewerten. Eine Aussage lautet beispielsweise: 'Ich erkenne oft nicht, wann ich wütend bin'. Die Einzelaussagen lassen sich zu drei Skalen zusammenzufassen, darüber hinaus ist aber auch die Angabe eines Gesamtwertes 'Alexithymie' als 116 DATENAUFBEREITUNG – 8.1 SUBJEKTIVE DATEN Summe aller Skalenwerte möglich und in Untersuchungen zu emotionalem Erleben der übliche Kennwert (Christie & Friedman, 2004; Franz et al., 2004; Roedema & Simons, 1999; Stone & Nielson, 2001). Entsprechend der Empfehlung des Manuals wurden alle Probanden ab einem Gesamtmittelwert ≥ 3.11 (5%-Cut-Off-Wert für Schulabschluss Abitur) als womöglich alexithym identifiziert. Im Falle der vorliegenden Studie war dies bei drei Versuchsteilnehmern (VP 6, 30, 55) der Fall, deren Bewertungsverhalten im weiteren Verlauf besonders berücksichtigt wird (s. 8.1.4.3, S. 122). 8.1.3 Emotionsbenennung im Anschluss an Filmclip Unmittelbar im Anschluss an jeden Filmclip waren die Teilnehmer gebeten worden, die gerade erlebte Emotion mit wenigen Worten zusammenzufassen. Diese freien Beschreibungen wurden für die weitere Auswertung in drei Klassen zusammengefasst, wobei Zielemotion immer den emotionalen Zustand meint, der mit der entsprechenden Filmszene intendiert war: • Zielemotion genannt: der von der VP genannte Beschreibung entsprach der mit dem Film angestrebten Zielemotion (s. Tab. 7.3.3, S.110) bzw. war mit ihr synonym, z.B. 'Furcht' für die Zielemotion 'Angst'. • Beschreibung passt: Die VP nannte die Zielemotion nicht direkt, gab aber eine mit dieser vereinbare Beschreibung, z.B. 'Gefahr' für die Zielemotion 'Angst' oder 'Mitleid' für die Zielemotion 'Trauer'. • Beschreibung passt nicht: Die Zusammenfassung ließ sich nicht mit der intendierten Emotion vereinbaren, z.B. 'Mitleid' bei der Zielemotion 'Ekel'. Tab. 8.1.1: Übersicht der subjektiven Emotionsbeschreibungen in Abhängigkeit von der mit dem Filmclip intendierten Emotion (Zielemotion) Probanden-Beschreibung der erlebten Emotion im Anschluss an Filmclip Zielemotion passt nicht zu Zielemotion passt zu Zielemotion Zielemotion genannt neutral 17.81% 14.83% 67.36% Freude 17.78% 22.78% 59.44% Trauer 7.78% 31.11% 61.11% Ekel 10.83% 30.83% 58.33% Wut 20.00% 48.33% 31.67% 8.33% 41.67% 50.00% 13.76% 31.59% 54.65% Angst Gesamt Wie aus Tab. 8.1.1 ersichtlich, wurde bei den Versuchsteilnehmern in insgesamt 86% der Fälle ein emotionaler Zustand hervorgerufen, der mit der Zielemotion vereinbar ist, in über der Hälfte der Fälle wurde dabei die Zielemotion oder ein synonymer Ausdruck sogar explizit genannt. In Bezug auf spezifische Emotionen schienen sich Trauer und Angst am besten hervorrufen zu lassen. Die Aufschlüsselung für die einzelnen Filmclips ist in Tab. 8.1.2 zu sehen. 117 DATENAUFBEREITUNG – 8.1 SUBJEKTIVE DATEN Tab. 8.1.2: Übersicht der subjektiven Emotionsbeschreibungen in Abhängigkeit vom jeweiligen Filmclip. Der neutrale Filmclip (Bahnfahrt) ist nicht aufgeführt, seine Werte sind Tab. 8.1.1 Zeile 1 zu entnehmen. Probanden-Beschreibung der erlebten Emotion im Anschluss an Filmclip Filmtitel: Szene bekannt? (Zielemotion) Offizier1: 18% (Trauer) passt nicht zu Zielemotion passt zu Zielemotion Zielemotion genannt 6.67% 33.33% 60.00% Offizier2: 22% (Freude) 13.33% 36.67% 50.00% Ratte: 0% (Ekel) 10.00% 16.67% 73.33% Gandhi: 29% (Wut) 20.00% 45.00% 35.00% Killing Fields: 3% (Trauer) 10.00% 35.00% 55.00% Harry&Sally 83% (Freude) 18.33% 8.33% 73.33% Champ: 4% (Trauer) 6.67% 25.00% 68.33% Cry Freedom: 2% (Wut) 3.33% 61.67% 35.00% Witness: 31% (Wut) 36.67% 38.33% 25.00% Der_Pate: 29% (Ekel) 11.67% 45.00% 43.33% Schweigen d. Lämmer: 76% (Angst) 8.33% 53.33% 38.33% Shining: 43% (Angst) 8.33% 40.00% 51.67% Halloween: 20% (Angst) 8.33% 31.67% 60.00% Dance: 2% (Freude) 21.67% 23.33% 55.00% Gesamt 13.10% 35.24% 51.67% Zunächst fällt auf, dass einige Filmclips besonders häufig zur Nennung der Zielemotion führten: Harry&Sally für Freude, Der Ratten-Clip für Ekel, und Champ für Trauer lösten bei jeweils mehr als zwei Dritteln der VPn die gewünschte Emotion aus. Legt man als Maßstab an, dass ein Filmclip keine der intendierten Emotion widersprechenden Gefühlsbeschreibungen hervorrief, so erscheinen zusätzlich Cry Freedom für Wut, Offizier1 für Trauer und die angstinduzierenden Filmclips besonders valides Stimulusmaterial, denn für alle liegt der Anteil von unpassenden Angaben unter 10%. Tendenziell scheinen Filmclips zu Emotionen mit negativer Valenz (Trauer, Ekel, Wut, Angst) verlässlicher einen entsprechenden emotionalen Zustand auszulösen. Bei Reizen mit der Zielemotion Freude liegt der Anteil unvereinbarer Angaben jeweils über 10%, wobei die Filmclips in diesen Fällen zumeist als 'übertrieben-kitschig' oder 'peinlich' bezeichnet wurden. Eine Ausnahme bildet der Ausschnitt aus The Witness, bei dem in ein Drittel der Probanden Gefühle beschrieben wurden, die nicht mit der angestrebten Emotion Wut vereinbar waren. Ein möglicher Grund hierfür kann sein, dass sich der Protagonist im Film in unmittelbarem Anschluss an die ausgewählte Szene für seine Erniedrigung, die Wut auslösen sollten, rächt. Wem der Film bekannt war, dem war womöglich auch diese Wendung in Erinnerung, und dementsprechend wurde auch desöfteren 'Genugtuung' oder 'Erwartung der Rache' als vorherrschender Eindruck genannt. Generell lässt sich allerdings kein signifikanter Zusammenhang zwischen Bekanntheit des Filmszene (s Prozentangabe in Klammern in Tab. 8.1.2) und (Nicht)Übereinstimmung der Selbstauskunft mit der mit dem Clip beabsichtigten Emotion finden (χ2=5.558, p=0.062, df=2). 118 DATENAUFBEREITUNG – 8.1 SUBJEKTIVE DATEN Die Tatsache, den Film, dem die Szene entnommen war, bereits zu kennen, hatte also keine Auswirkung auf die beim Gucken erlebte Emotion. 8.1.4 Kontinuierliche Selbstbewertung während des Filmclips (EMuJoy) Die kontinuierlichen EMuJoy-Bewertungen jeder Person wurden in Matlab eingelesen und ihre Zeitangaben dabei mit der Zeit der Physiologie-Aufzeichnung synchronisiert, so dass für jede Versuchsperson der Verlauf ihrer Bewertungen über alle Reize und parallel zur physiologischen Messung vorlag. Abb. 8.1.1 zeigt den Verlauf eines solchen Ratings über die Darbietung aller Filmreize. Abb. 8.1.1: Verlauf der EMuJoy-Bewertung von VP 2 über die gesamte Filmpräsentations-Phase. X-Achse: Versuchzeit in Sekunden sowie Zielemotion des jeweils präsentierten Filmclips. Die Zielemotion-Beschriftung markiert das Ende einer Filmpräsentation. Y-Achse: Arousal Rating von -1 (ruhig) bis +1 (aufgeregt). Die zugehörigen Valenz-Werte sind als Farbverlauf dargestellt von grün (angenehm) über gelb (neutral) bis zu rot (unangenehm). Bei genaurer Betrachtung von Abb. 8.1.1 fällt auf, dass das Valenzrating nicht in allen Fällen mit der beabsichtigten Zielemotion übereinstimmt: beim ersten Freude-induzierenden Clip (im Fall der dargestellten VP Dance um Sekunde 1500 herum) ist das EMuJoy-Rating nicht wie für eine angenehme Emotion zu erwarten grün, sondern bleibt gelb, also neutral. Die Versuchsperson hatte bei der anschließenden Beschreibung angegeben, von dem Clip eher irritiert als erfreut gewesen zu sein, was als nicht zur Zielemotion passend eingestuft wurde. Beim letzten Clip mit der Zielemotion Trauer (in diesem Fall Killing Fields) ist das Valenz-Rating zwischendurch positiv (grün), bevor es zum Ende hin wieder negativ (rot) wird. Hieraus ergeben sich zwei Fragen, die im folgenden behandelt werden: – Wie ist mit Filmclips, die im Anschluss an ihre Präsentation eine nicht mit der Zielemotion vereinbare Beschreibung erhielten, zu verfahren? – Soll zur Beurteilung eines Filmclips hinsichtlich Valenz und Arousal der Mittelwert der gesamten Episode oder der Wert am Ende der Episode herangezogen werden? 119 DATENAUFBEREITUNG – 8.1 SUBJEKTIVE DATEN 8.1.4.1 EMuJoy-Bewertung in Abhängigkeit von Emotionsbenennung im Anschluss Die Emotionsbenennungen im Anschluss an die Reizpräsentation waren unter 8.1.3 (S.117) in die drei Kategorien Zielemotion genannt, Beschreibung passt zur Zielemotion und Beschreibung passt nicht zur Zielemotion unterteilt worden. Abb. 8.1.2: Gesamtmittelwert der EMuJoy-Bewertung aller Versuchspersonen auf den Dimensionen Valenz (x-Achse, 1 = unangenehm, +1 = angenehm) und Arousal (y-Achse, -1 = ruhig, +1=aufgeregt), unterschieden nach Zielemotionen (Farben) und Übereinstimmung mit freier Emotionsbenennung im Anschluss an Filmclip. Zur Verdeutlichung der Unterschiede wurden die x- und y-Achse auf die Bereiche ±0.5 begrenzt. Wie aus Abb. 8.1.2 ersichtlich, unterscheidet sich das Valenz- und Arousal-Rating für Filmclips, bei denen im Anschluss die Zielemotion explizit genannt wurde (dargestellt als Kreise) oder eine zur Zielemotion passende Beschreibung abgegeben wurde (dargestellt als Quadrate) deutlich von denen, für die eine nicht zum Filmclip passende Gefühlsbeschreibung (dargestellt als Sternchen) genannt wurde: während in den ersten beiden Fällen die angenehme Emotion Freude (grüner Kreis bzw. Quadrat) zu einem positiven Valenzrating führte und für die negativen Emotionen Trauer, Ekel, Wut und Angst (schwarzer, türkiser, roter und blauer Kreis bzw. Quadrat) eindeutig negative Valenzen zugeordnet bekamen, sind die Ratings für die nichtpassenden Emotionsnennungen, die Sternchen, um den Valenz-Nullpunkt verteilt und unterscheiden sich vor allem in Bezug auf die Arousal-Werte. Noch deutlicher werden diese Unterschiede, wenn statt des Gesamtmittelwertes die Werte am Ende einer jeden EMuJoy-Filmbewertung (=Mousezeiger-Position in den letzten beiden Sekunden eines Filmclips bei der kontinuierlichen Einschätzung) herangezogen werden (s. Abb. 8.1.3). 120 DATENAUFBEREITUNG – 8.1 SUBJEKTIVE DATEN Abb. 8.1.3: Mittelwert der Endwerte (Wert in den letzen beiden Sekunden) der EMuJoy-Bewertung aller Versuchspersonen auf den Dimensionen Valenz (x-Achse, -1 = unangenehm, +1 = angenehm) und Arousal (y-Achse, -1 = ruhig, +1=aufgeregt), unterschieden nach Zielemotionen (Farben) und Übereinstimmung mit freier Emotionsbenennung im Anschluss an Filmclip. Auch bei den Bewertungen zum Ende eines Filmclips lassen sich Freude (grün), neutrale Filmclips (gelb) und Trauer (schwarz) deutlich voneinander und von den drei Emotionen Ekel (türkis), Wut (rot) und Angst (blau) unterscheiden. Ebenfalls liegen die Werte für die Fälle in anschließender freier Emotionsbeschreibung Zielemotion genannt (Kreise) und in anschließender freier Emotionsbeschreibung zu Zielemotion passenden emotionalen Zustand genannt (Quadrate) nah beieinander, während für in anschließender freier Emotionsbeschreibung nicht zur Zielemotion passenden Zustand genannt (Sternchen) die Werte in erster Linie auf der Arousaldimension variieren. 8.1.4.2 EMuJoy-Gesamtmittelwerte gegenüber EMuJoy-Endwerten Gegenüber den Gesamtmittelwerten (Abb. 8.1.2) sind die Endwerte (Abb. 8.1.3), für die Fälle Zielemotion genannt und Emotionsbeschreibung passt zur Zielemotion sowohl auf der Valenzals auch auf der Arousaldimension höher und liegen weiter vom Ursprung entfernt. Die beiden Abbildungen legen bezüglich der unter 8.1.4 (S.119) aufgeworfenen Fragen daher folgendes nahe: • Die Fälle anschließende Emotionsbeschreibung passt nicht zur Zielemotion sind von der weiteren Analyse auszuschließen, denn die kontinuierliche Emotionsbewertung liefert hier kein einheitliches Bild, während sich die Bewertungen für Zielemotion genannt und Emotionsbeschreibung passt zur Zielemotion sehr ähneln (in den Graphiken die Position der Kreise und Quadrate gegenüber der Position der Sternchen). • die Endwerte der kontinuierlichen Bewertung zeigen die gleiche Anordnung der Emotionen im zweidimensionalen Raum von Valenz und Arousal wie die Gesamtmittelwerte, sind gegenüber den Mittelwerten aber prononcierter und ermöglichen daher eine bessere Unter- 121 DATENAUFBEREITUNG – 8.1 SUBJEKTIVE DATEN scheidung bezüglich positiver-negativer Valenz bzw. hohem-niedrigem Arousal (Position der Quadrate und Kreise in Abb. 8.1.2 gegenüber Abb. 8.1.3). Der Unterschied ist in Abb. 8.1.4 für das eingangs aufgeführte Beispiel des Rohsignals von VP 2 verdeutlicht: Die kleinen Smilies stellen den Mittelwert der Bewertung während eines Filmclips da, die großen Smilies den Wert der letzten 2 Sekunden. Insbesondere für die Emotionen Angst und Wut wird die Veränderung zum Ende hin deutlich.________________________________________ Abb. 8.1.4: Verlauf der EMuJoy-Bewertung von VP 2 über die gesamte Filmpräsentations-Phase mit zusätzlicher Darstellung der Filmmittelwerte (kleine Smilies) und Endwerten (große Smilies). X-Achse: Versuchzeit in Sekunden sowie Zielemotion des jeweils präsentierten Filmclips. Die Position der kleinen Smilies markiert den Beginn einer Filmpräsentation, die Position der großen Smilies sowie die Zielemotion-Beschriftung markiert das Ende einer Filmpräsentation. YAchse: Arousal Rating von -1 (ruhig) bis +1 (aufgeregt). Die zugehörigen Valenz-Werte sind als Farbverlauf dargestellt von grün (angenehm) über gelb (neutral) bis zu rot (unangenehm). 8.1.4.3 Individuelle Abweichungen bei der EmuJoy-Bewertung oder Emotionsnennung Die unter 8.1.4.2 berichteten Zusammenhänge zwischen EMuJoy-Bewertung und Zielemotion beruhen auf Mittelwerten über alle Versuchsteilnehmer. Im nächsten Schritt sollen sie auf Versuchspersonenbasis überprüft werden, um mögliche individuelle Abweichungen identifizieren zu können. Grundlage sind entsprechend 8.1.4.2 der Mittelwert der letzten beiden Sekunden der kontinuierlichen Bewertung für alle Fälle, in denen im Anschluss die Zielemotion explizit genannt oder ein mit ihr vereinbarer Gefühlszustand berichtet wurde. Bei drei Versuchspersonen gelang dies für jeweils eine Emotion mit keinem der Filmclips: VP 13 und VP 60 beschrieben die neutralen Bahnfahrt-Clips durchgehend als negativ, VP46 gab bei keinem der drei Filmclips mit der Zielemotion 'Freude' einen entsprechenden Gefühlszustand an. Für die anderen Zielemotionen lieferten sie allerdings zutreffende Selbstauskünfte, so dass in Abb. 8.1.5 lediglich ihre Mittelwerte für neutral (VP 13 & VP 60) bzw. Freude (VP 46) nicht aufgeführt sind, wohl aber für die jeweils übrigen 5 Emotionen. 122 DATENAUFBEREITUNG – 8.1 SUBJEKTIVE DATEN Abb. 8.1.5: Mittelwert der Endwerte (Wert in den letzen beiden Sekunden) der EMuJoy-Bewertung pro Versuchspersonen pro Emotion auf den Dimensionen Valenz (x-Achse, -1 = unangenehm, +1 = angenehm) und Arousal (y-Achse , -1 = ruhig, +1=aufgeregt), unterschieden nach Zielemotionen (Farben). Ausreißerwerte sind mit der jeweiligen Versuchspersonennummer beschriftet. Insgesamt spiegeln die individuellen Werte den Gesamttrend wider (s. Abb. 8.1.5): die negativen Emotionen Trauer, Ekel Wut und Angst finden sich in den linken Quadranten (negative Valenz), wobei Trauer niedrigere Arousal-Werte erzielt als die übrigen Emotionen: die schwarzen Punkte sind näher an der x-Achse und fallen zum Teil in den unteren Quadranten. Freude (grün) ist im rechten oberen Quadranten zu finden (positive Valenz, erhöhtes Arousal) und der neutrale Filmclip führte zu Ratings mit neutral-positiver Valenz und niedrigem Arousal. Allerdings gibt es einige individuelle Abweichungen, die in Abb. 8.1.5 explizit gelabelt sind: – VP 7 gab bei Ekel eine hohe Arousalwertung, aber positive Valenz an: der Abgleich mit der Rohwerten ergab, dass sie während des Betrachtens von deutlich negativer Valenz zum Ende des Clips zu positiver Valenz schwenkte, im Anschluss aber angab, Ekel empfunden zu haben. Für die übrigen negativen Emotionen fand sich bei ihr keine ähnliche Veränderung. – VP 32 bewertete den Clip Killing Fields (Abschiedszene) im Anschluss als 'ergreifend' (klassifiziert als zur Zielemotion passend), aber mit positiver Valenz während des Schauens, die beiden anderen Trauer-Clips als 'lästig' (Champ, gewertet als nicht zur Zielemotion passend) und Offizier1 als 'traurig', jedoch mit geringerer negativer Valenz, weshalb der Mittelwert für die Zielemotion Trauer insgesamt positiv ausfällt. Für die übrigen Filmclips fanden sich keine vergleichbaren Abweichungen. – VP 35 nannte für die Zielemotionen Ekel und Wut im Anschluss jeweils nicht mit ihr vereinbare Beschreibung, beschrieb die Angst-Clips alle als 'spannend', zeigte aber positive kontinuierliche Bewertungen. Eine Durchsicht des Versuchsprotokolls ergab, dass sie entgegen der Instruktionen während der Präsentation wiederholt redete und die Versuchsleiterin ins- 123 DATENAUFBEREITUNG – 8.1 SUBJEKTIVE DATEN gesamt den Eindruck hatte, die Versuchsperson wollte sie durch auffallend gelassene Bewertungen beeindrucken. – VP 48 zeigt positive Valenz für Angst bzw. neutrale Bewertung der Wut-Clips, dazu sehr niedrige Arousal-Werte. Dieser Eindruck wurde durch Abgleich mit Rohsignal bestärkt (s. Abb. 8.1.6): Insgesamt gibt es sowohl auf der Arousal- als auch auf der Valenzdimension kaum Variation, denn die Werte bewegen sich alle um die Nulllinie und zeigen kaum Variation in der Farbe. Im Nachfragebogen wies VP48 keine auffälligen Werte für Alexithymie (TAS-Gesamtrohwert 43) oder eine Persönlichkeitsdimension des NEO-FFI auf. Während es für die Versuchspersonen 7 und 32 ausreichend erscheint, lediglich die abweichenden Bewertungen für Ekel respektive Trauer auszuschließen, werden VP 35 und 48 grundsätzlich für alle Analysen, die EMuJoy-Ratings beinhalten, ausgeschlossen, da ihre Bewertungen nicht verlässlich respektive zu gleichförmig sind. Abb. 8.1.6: Verlauf der EMuJoy-Bewertung von VP 48 über die gesamte Filmpräsentations-Phase. X-Achse: Versuchzeit in Sekunden sowie Zielemotion des jeweils präsentierten Filmclips. Die Zielemotion-Beschriftung markiert das Ende einer Filmpräsentation. Y-Achse: Arousal Rating von -1 (ruhig) bis +1 (aufgeregt). Die zugehörigen Valenz-Werte sind als Farbverlauf dargestellt von grün (angenehm) über gelb (neutral) bis zu rot (unangenehm). Die Durchsicht der individuellen Rohwert-Graphiken der übrigen VPn erbrachte keine ähnlich auffällige Bewertung, auch nicht für die Probanden, die erhöhte TAS- oder NEO-FFI-Werte (s. 8.1.2.1 bzw. 8.1.2.2, S.116) erzielt bzw. körperliche Beschwerden angegeben hatten. Eine Graphik der mittleren EMuJoy-Bewertung nach Bereinigung um die eben genannten Ausreißerwerte findet sich am Ende dieses Kapitels (Abb. 8.1.7, S.125). 8.1.5 Zusammenfassung Die Filmreize riefen in 87% der Fälle eine anschließende Emotionsbeschreibung hervor, die mit der intendierten Zielemotion vereinbar war. Als besonders valide erwiesen sich dabei Harry&Sally für Freude, Champ für Trauer, Ratte für Ekel, Cry Freedom für Wut und Halloween für Angst. Die übrigen Fälle, in denen die Probanden im Anschluss an einen Filmclip ein abwei- 124 DATENAUFBEREITUNG – 8.1 SUBJEKTIVE DATEN chendes Emotionserleben beschrieben, werden von der weiteren Analyse ausgeschlossen, da sich hier auch für die kontinuierliche Bewertung während des Schauens kein einheitliches Bild ergibt. Ansonsten zeigen die zusammengefassten EMuJoy-Ratings, dass Freude-Clips mit positiver Valenz und erhöhtem Arousal, Trauer-Clips mit negativer Valenz und leicht erhöhtem Arousal sowie Ekel, Angst, und Wut mit hoher Erregung bei starker negativer Valenz einhergehen. Die Bewertungen zum Ende eines Filmclips lassen diese Unterschiede deutlicher werden als die Mittelwerte über den gesamten Filmclip. Der Abgleich auf Versuchspersonenebene spiegelt die Lage der verschiedenen Emotionen im zweidimensionalen Raum von Valenz und Erregung bis auf wenige Ausnahmen wider. Einzelne Ratings werden aufgrund von entsprechenden Auffälligkeiten von der weiteren Analyse ausgeschlossen. Abb. 8.1.7 zeigt die EndMittelwerte sowie den Interquartilbereich vom 25. bis zum 75. Perzentil für den bereinigten Datensatz. Abb. 8.1.7: Mittelwert und Bereich zwischen den 25. und 75. Perzentilen der Endwerte (Wert in den letzen beiden Sekunden) der EMuJoy-Bewertung aller Versuchspersonen auf den Dimensionen Valenz (x-Achse, -1 = unangenehm, +1 = angenehm) und Arousal (y-Achse, -1 = ruhig, +1 = aufgeregt) für die verschiedenen Zielemotionen (Farben) 125 DATENAUFBEREITUNG – 8.2 PHYSIOLOGIE 8.2 Physiologie Die Signale EDA, EMG, EKG und EOG wurden zunächst als Rohsignal in ihrer jeweiligen Orginal-Abtastrate aus Variograf als ASCII-Daten exportiert und anschließend in Matlab eingelesen. Da sie mit dem selben Gerät aufgezeichnet worden waren, verfügten sie über einen einheitlichen Zeitstempel, an den die Zeit der EMuJoy-Bewertung angeglichen worden war. Die weitere Verarbeitung variiert nach Charakteristika und relevanten Kennwerten des jeweiligen Biosignals, dabei kamen allerdings folgende übergreifende Prinzipien zum Tragen, die sich an der Aufbereitung der subjektiven Daten orientierte: − in die Auswertung flossen nur Signalabschnitte während der Reizpräsentation ein, da im Anschluss an einen Filmclip die eben erlebte Emotion abgefragt wurde und die Versuchspersonen darüber hinaus diese Phasen nutzen konnten, die Sitzposition zu verändern etc. − Abschnitte, in denen während einer Reizdarbietung im Rohsignal Körperbewegungen oder Signalausfälle zu erkennen waren, wurden von der Auswertung ausgeschlossen. − wurde das aufbereitete Rohsignal über den gesamten Abschnitt einer Filmpräsentation zu einem Kennwert zusammengefasst (etwa beim EMG), so wird im folgenden von Level gesprochen. − für andere Signale wurden zunächst die relevanten Ereignisse im aufbereiteten Rohsignal identifiziert (z.B. Lidschläge beim EOG, R-Zacken beim EKG) und parametrisiert (z.B. Amplitude, Intervall zum nächsten Ereignis). Anschließend wurde für jeden dieser Parameter ein statistischer Kennwert (Mittelwert, Maximum etc.) über die Dauer eines Filmclips gebildet. Das Ergebnis ist beispielsweise das mittlere Herzschlagintervall während des Filmclips 'Der Pate'. Diese Kennwerte wurden für Emotions-Filmclips sowie die neutralen Filmclips (Bahnfahrt) gebildet. − Das Ergebnis dieser Aufbereitung ist ein Datensatz, in dem für jede Versuchsperson für jeden präsentierten Filmclip (14 Emotions-Filmclips mit 5 Zielemotionen + 14 neutrale Filmclips) ein Eintrag vorhanden ist. Greift eine Auswertung auf diese Auswertungsstufe zurück, so wird im folgenden von Wert pro Film gesprochen, wobei dann nur Filmclips berücksichtigt wurden, bei denen Probanden im Anschluss einen mit der Zielemotion vereinbaren emotionalen Zustand beschrieben hatten (s. 8.1.3, S.117). − Die Kennwerte sämtlicher emotionalen Filmclips wurden am Kennwert des vorausgegangenen neutralen Filmclips baseline-korrigiert: (Wert während Emotions-Filmclip / Wert während vorherigem neutralen Filmclip)*100. Die so korrigierten Kennwerte bekommen das Suffic 'bc' und lassen sich lesen als 'Prozent Baseline-Aktivität'. War die unmittelbar vorangegangene Baseline-Phase aufgrund eines Signalausfalls o.ä. nicht auswertbar oder trat das relevante Ereignis in dieser Phase nicht auf (etwa ein Lidschlag oder eine EDASpontanfluktuation), so wurde auf eine frühere gültige Phase zurückgegriffen. War keine frühere gültige Phase vorhanden, so wurde die nächst-spätere genommen. 126 DATENAUFBEREITUNG – 8.2 PHYSIOLOGIE − Im nächsten Schritt wurde pro VP pro Zielemotion gemittelt, wobei ebenfalls nur Filmclips berücksichtigt wurden, bei denen Probanden im Anschluss einen mit der Zielemotion vereinbaren emotionalen Zustand beschrieben hatten (s. 8.1.3 S.117). Hatte ein Proband etwa einen der drei Filmclips mit der Zielemotion 'Freude' als 'peinlich' beschrieben, so wurde nur über die beiden Filmclips, für die er eine zutreffende Beschreibung abgegeben hatte, aggregiert. Dieser Zwischenschritt sollte sicherstellen, dass Probanden, die alle Filmclips zutreffend beschrieben hatten, in weiteren Auswertungen nicht stärker gewichtet werden als solche, die bei nur einem oder zwei Filmclips die intendierte Emotion erlebt hatten. − Das Resultat ist ein Datensatz, in dem sich pro Versuchsperson pro Zielemotion (5 Emotionen + 1 neutrale Bedingung) ein Eintrag findet. Wie unter 8.1.4.3 (S.122) aufgeführt, konnte bei 5 Personen jeweils eine Zielemotion nicht hervorgerufen werden und es wurden zwei Probanden (VP 35 & 48) aufgrund ihres subjektiven Bewertungsverhaltens von der Analyse ausgeschlossen. Zusätzlich kam es im Verlauf der Messung bei VP 59 zu einem Ausfall der Physiologie-Aufzeichnung, so dass insgesamt die physiologischen Daten von n=57 ausgewertet werden, von denen sich zusammen 57*(5+1) - 5=337 Einträge im Datensatz finden. Das vorliegende Kapitel beschreibt die Aufbereitung der Daten bis hin zu diesem Datensatz mit 1 Wert pro VP pro Emotion, dessen statistische Auswertung dann unter dem Punkt 9.2 Ergebnisse: Physiologie (ab S. 138) zu finden ist. Die Identifizierung relevanter Veränderungen im Rohsignal, für die dann die interessierenden Kennwerte gebildet wurden, ist für die elektrodermale Aktivität mit zwei Graphiken veranschaulicht. 127 DATENAUFBEREITUNG – 8.2 PHYSIOLOGIE 8.2.1 Hautleitfähigkeit Der Ausgangspunkt der Aufbereitung, das mit 64 Hz über den gesamtem Versuchsverlauf aufgezeichnete Rohsignal der elektrodermalen Aktivität, ist in Abb. 8.2.1 zu sehen. Abb. 8.2.1: Verlauf des EDA-Rohsignals (blau, ohne eigene Einheiten) von VP 12 über die gesamte FilmpräsentationsPhase mit zusätzlicher Darstellung der EMuJoy-Bewertung. X-Achse: Versuchzeit in Sekunden sowie Zielemotion des jeweils präsentierten Filmclips. Die Position der Zielemotion-Beschriftung markiert den Beginn einer Filmpräsentation. Y-Achse: Arousal Rating von -1 (ruhig) bis +1 (aufgeregt). Die zugehörigen Valenz-Werte sind als Farbverlauf dargestellt von grün (angenehm) über gelb (neutral) bis zu rot (unangenehm). Dieses Rohsignal wurde mit einem Butterworth-Filter tiefpass-gefiltert, so dass nur Signalveränderungen mit einer Frequenzen bis zu 1 Hz erhalten blieben (Boucsein, 1992). Aus dem gefilterten Signal wurde zum einen der Gesamtmittelwert während eines Filmclips als elektrodermales Level (EDL) bestimmt. Zum anderen wurden mittels der Matlab-Funktion simpleEDA (Schleicher, 2005) automatisiert alle Spontanfluktuation (elektrodermale Reaktionen, EDRs) während der Filmdarbietung identifiziert (s. Abb. 8.2.2) und anschließend deren Frequenz (EDRsfreq), mittlere Amplitude (EDRsamp) sowie maximale Amplitude (EDRsampmax) während einer Filmclips ermittelt. Zu jedem Kennwert wurde eine baseline-korrigierte Variante berechnet. 128 DATENAUFBEREITUNG – 8.2 PHYSIOLOGIE Abb. 8.2.2: Auftreten der im Rohsignal identifizierten elektrodermalen Reaktionen (EDRs, ohne eigene Einheiten) von VP 12 während Filmpräsentations-Phasen mit zusätzlicher Darstellung der EMuJoy-Bewertung. X-Achse: Versuchzeit in Sekunden sowie Zielemotion des jeweils präsentierten Filmclips. Die Position der Zielemotion-Beschriftung markiert den Beginn einer Filmpräsentation. Y-Achse: Arousal Rating von -1 (ruhig) bis +1 (aufgeregt). Die zugehörigen ValenzWerte sind als Farbverlauf dargestellt von grün (angenehm) über gelb (neutral) bis zu rot (unangenehm). Für eine der 57 Versuchspersonen konnte keine auswertbare EDA aufgezeichnet werden (VP 10), für eine Versuchsperson (VP 3) war das Signal erst nach ungefähr der Hälfte der Filmpräsentation auswertbar, wodurch für sie für die Emotion 'Angst' keine Werte zur Verfügung stehen, und für eine Versuchsperson (VP 27) war das EDA-Signal so verrauscht, dass lediglich das Hautleitfähigkeitsniveau (EDL), aber keine Spontanfluktuationen (EDRs) bestimmt werden konnten. 8.2.2 Gesichtsmuskelaktivität Die mittels Elektromyogramm aufgezeichnete Muskelaktivität des musculus corrugator, orbicularis oculi und zygomaticus major wurde mit Hilfe der Matlab-Funktion tonicEMG (Schleicher, 2005) aufbereitet. Konkret wurde dabei gemäß der Empfehlung van Boxtels (2001) das Rohsignal mit einem Butterworth-Filter zunächst hochpassgefiltert, so dass nur Signalveränderungen mit einer Frequenz ab 20Hz erhalten blieben und das gefilterte Signal dann gleichgerichtet sowie dessen Hüllkurve bestimmt. Da die Filmclips unterschiedlich lang waren, wurde statt einer einfachen Integration (=Aufsummieren) der Mittelwert während einer Filmpräsentation als EMGLevel (EMGLco, EMGLor, EMGLzy) errechnet. Zu jedem Kennwert wurde eine baselinekorrigierte Variante bestimmt. 8.2.3 Herzaktivität Zur Bewertung der Herzaktivität werden in der vorliegenden Studie nur Kennwerte, die die Veränderung der Herzschlagdauer im Zeitbereich beschreiben, herangezogen, weshalb sich die Aufbereitung auf Identifizierung der charakteristischen R-Zacken und der Zeit zwischen zwei RZacken beschränkte (für andere mögliche Kennwerte s. 4.3, S.78). Dies geschah mit Hilfe 129 DATENAUFBEREITUNG – 8.2 PHYSIOLOGIE zweier Matlab-Funktion, QRS.m zur Identifizierung der R-Zacke (Christie, 2003) und IBI.m zur Ermittlung möglicher ungültiger Inter-Beat-Intervalle (Christie, 2004). Beide Funktionen waren von Israel Christie freundlicherweise zur Verfügung gestellt worden, ein Beispiel ihrer Ausgabegraphiken ist in Abb. 8.2.3 zu sehen. Zunächst wurden im gesamten Rohsignal alle R-Zacken identifiziert und deren Zeitpunkt sowie der Abstand zum vorausgegangen Herzschlag ermittelt. Von IBI.m als möglicherweise ungültige Inter-Beat-Intervalle (IBI) markierte Ereignisse wurden mit dem Rohsignal abgeglichen und ggf. entfernt. Das darauf folgende IBI oder dessen Zeitpunkt wurde dadurch nicht verändert. Für zwei Versuchspersonen fanden sich auffallend viele ungültige Ereignisse (>100 gegenüber 6.6 ± 14 im Durchschnitt). Hierbei handelte es sich zum einen um die Versuchperson, die sich in der Nachsorge einer Herztransplantation befand, sowie um einen weiteren Probanden, der zahlreiche Extrasystolen zeigte (s. Abb. 8.2.3). Beide wurden für die EKG-Auswertung ausgeschlossen, so dass insgesamt 55 Versuchspersonen zur Verfügung standen. Abb. 8.2.3: Beispiel für die Ausgabe-Graphik von QRS.m (oben) zur Identifizierung der R-Zacken (Christie, 2003) und IBI.m (unten) zur Ermittlung möglicher ungültiger Inter-Beat-Intervalle (Christie, 2004) bei VP49, bei der häufig Extrasystolen auftraten (3. in oberer Graphik identifizierte R-Zacke), wodurch das IBI zum vorherigen Ereignis sowie das der nächsten R-Zacke als möglicherweise ungültig markiert wurden (rot markiert in der unteren Graphik). Im Anschluss an die IBI-Ermittlung wurden für jeden Probanden für jeden Film folgende Parameter bestimmt, deren Benennung und Berechnung sich an Allen (2002) und Allen et al. (2007) orientierte: • das mittlere Herzschlagintervall (IBI) als mittlere Zeit zwischen zwei Herzschlägen • die mittlere Herzschlagrate (HR), wobei zunächst zu jedem IBI die zugehörige Herzschlagrate bestimmt und diese einzelnen Werte anschließend gemittelt wurden • die Streuung der IBIs (SDNN, Standard Deviation Normal to Normal) • die mittlere absolute Differenz aufeinanderfolgender IBIs (MSD, Mean Successive Difference) 130 DATENAUFBEREITUNG – 8.3 AUGENBEWEGUNGEN Zu jedem Kennwert wurde für die Emotions-Filmclips eine baseline-korrigierte Version als 'Prozent Baseline-Aktivität' bestimmt, und mit dem Suffix 'bc' versehen. Da in Veröffentlichungen zu Herzaktivität und Emotion häufig die Veränderung im Anschluss an eine Reizpräsentation als Differenz zur Herzrate vor dem Reizbeginn angegeben ist, wurden in diesem Fall ebenfalls solche Differenzwerte gebildet: • IBIbcdiff als Differenz (mittleres IBI während Emotionsfilmclip) – (mittleres IBI während neutralem Filmclip). Positive Werte bedeuten hier eine Zunahme des IBIS, also Verlangsamung der Herzaktivität. • HRbcdiff als Differenz (mittlere Herzrate während Emotionsfilmclip) – (mittlere Herzrate während neutralem Filmclip). Positive Werte bedeuten hier eine Zunahme des Herzrate. Im nächsten Schritt wurde für jede Versuchsperson für jede Zielemotion über die entsprechenden Filmclips aggregiert, wobei nur Filmclips in die Auswertung eingingen, bei denen die Probanden im Anschluss eine mit der Zielemotion vereinbare Emotionsbeschreibung abgegeben hatten. 8.3 Augenbewegungen Augenbewegungen waren mittels Elektrookulogramm (EOG) gemessen worden, mit dem sich sowohl Sakkaden als auch Lidschläge erfassen lassen. Die entsprechenden Ereignisse wurden mit Hilfe der Matlab-basierten Software eogui (Hofmann, 2005) im Rohsignal identifiziert. In dem Programm werden zunächst die in der Kalibrierungsphase durchgeführten 'Referenz'Blickwechsel zu festgelegten Punkten markiert, um aus dieser Information die AD-Werte der Blicksprünge in Winkelgrad umrechnen zu können. Anschließend sucht der zugrunde liegende Algorithmus das Rohsignal nach treppenstufenartigen Veränderungen ab, und prüft anhand verschiedener Plausibilitätskriterien (Mindestgeschwindigkeit, Mindestdauer etc.), ob es sich bei ihnen um Sakkaden handeln könnte. Lidschläge zeigen sich im vertikalen Kanal des EOG als Zacken und werden aufgrund zusätzlicher Plausibilitätskriterien (Mindestamplitude, geringe Verzögerung zwischen Schließung- und Öffnung) als solche erkannt. Das Ergebnis ist ein Datensatz, in dem jede Sakkade und jeder Lidschlag mit Startzeit sowie weiteren Informationen wie Amplitude, Dauer und Maximalgeschwindigkeit aufgeführt ist. Für Lidschläge wird dabei zwischen Lidschließung und -öffnung unterschieden, wobei sich die Schließungsphase genauer bestimmen lässt als die Öffnung, bei der das Lid sich seiner endgültigen Position asymptotisch annähert. eogui wählt als Ende der Öffnungsphase daher den Zeitpunkt der höchsten Geschwindigkeit während dieser Bewegung, der eindeutig festgelegt werden kann. Die Dauer der Öffnungsphase ist dadurch allerdings gegenüber der tatsächlichen Dauer verkürzt, eine Einschränkung, die für die Lidschließung nicht gilt. Zur Dauer und Schließungs- und Öffnungsphase kommt noch die Verzögerung zwischen Ende der Lidschließung und Beginn der Wiederöffnung, die im wachen Zustand allerdings nur einige Millisekunden beträgt. 131 DATENAUFBEREITUNG – 8.3 AUGENBEWEGUNGEN Wie im Theorieteil unter 5.1.1.2 (S.91) sowie 5.2.1.2 (S.94) erläutert, hängen die Dauern und Geschwindigkeiten von Sakkaden wie Lidschlägen von der jeweiligen Amplitude ab, weshalb es für beide Kennwerte sinnvoll ist, sie zu standardisieren, also um den Einfluss der Amplitude zu bereinigen. Aus den zuvor genannten Gründen erfolgt die Standardisierung für den Lidschlag in Bezug auf die Schließamplitude. Die zugrunde liegenden Formeln wurden Schleicher et al. (2008) entnommen. Eine Übersicht der verfügbaren Kennwerte für Lidschläge und Sakkaden findet sich in Tabelle Tab. 8.3.1. Tab. 8.3.1: Übersicht über die verfügbaren EOG-Parameter sowie ihre rechnerische Bestimmung. Kennwert Sakkaden Intervall Amplitude Dauer Kennwert Lidschlag Intervall Zeit seit Ende des vorangegangenen Ereignis Lidschließungsamplitude Lidöffnungsamplitude Lidschließungsdauer Lidöffnungsdauer Maximalgeschwindigkeit (Durchschnitts-) Geschwindigkeit zusätzliche Erläuterung Ende: Zeitpunkt Maximalgeschwindigkeit Öffnung Verzögerung Zeit von Ende Lidschließung bis Beginn Lidöffnung Gesamtdauer Dauer Lidschließung + Verzögerung + Lidöffnung maximale Lidschließungsgeschwindigkeit maximale Lidöffnungsgeschwindigkeit Lidschließungsgeschwindigkeit (Amplitude/Dauer)*1000 Lidöffnungsgeschwindigkeit standardisierte Dauer stand. Gesamtdauer als Prozent der für diese (Schließ)Amplitude zu erwartenden (Gesamt)Dauer standardisierte Maximalgeschwindigkeit stand. max. Schließgeschwindigkeit als Prozent der für diese (Schließ)Amplitude zu erwartenden Maximalgeschwindigkeit standardisierte (Durchschnitts)geschwindigkeit stand. Schließgeschwindigkeit 132 als Prozent der für diese (Schließ)Amplitude zu erwartenden Durchschnittsgeschwindigkeit ERGEBNISSE – 8.3 AUGENBEWEGUNGEN 9 Ergebnisse Nach Aufbereitung und Aggregierung wird in an dieser Stelle die statistische Auswertung hinsichtlich der folgenden Fragen beschrieben: 1. Führte die Emotionsinduktion zu Veränderungen in den subjektiven und physiologischen Messgrößen? 2. Lassen sich dabei Unterschiede zwischen den einzelnen Emotionen erkennen? 3. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der kontinuierlichen Bewertung mittels EMuJoy und Veränderungen in den physiologischen Parametern? Die Auswertung erfolgt wie die Aufbereitung signalweise, wobei mit den EMuJoy-Bewertungen begonnen wird. Da für jedes Signal zumeist mehrere Parameter vorliegen, von denen nicht angenommen werden kann, dass sie sich unabhängig voneinander verändern, wird zur Beantwortung der Frage nach Auswirkungen der Emotionsinduktion eine multivariate Varianzanalyse (MANOVA) mit Messwiederholung durchgeführt, wobei die Zielemotionen den Innersubjektfaktor bilden. Als Prüfgröße für einen generellen Effekt der Emotionsinduktion dient Pillais Spurkriterium (im folgenden als Pillai's Spur bezeichnet), das sich für die MANOVA als robustester Test erwiesen hat (Bühl, 2006). Zusätzlich wird noch das partielle Eta2 angegeben, das den Anteil der durch den Faktor Emotion aufgeklärten Varianz innerhalb der Versuchspersonen beschreibt. Während Eta2 den Anteil der durch den Faktor aufgeklärten Varianz an der Gesamtvarianz beschreibt, gibt das partielle Eta2 nur das Verhältnis Faktorvarianz / (Faktorvarianz+Fehlervarianz) an. Die Varianz anderer Faktoren (im vorliegenden Fall Geschlecht, s.u.) wird dabei nicht berücksichtigt16. Alle Parameter sind der Tabelle 'Multivariate Tests' der SPSSAusgabe zum 'Allgemeinen Linearen Modell' entnommen. Für den Fall nur einer abhängigen Variable wird bei einer univariaten Varianzanalyse (ANOVA) standardmäßig von einer Verletzung der Sphärizitätsannahme (homogene Varianzen der Differenzen zweier Faktorstufen) ausgegangen und der nach Greenhouse-Geisser korrigierte F-Wert angegeben. Nur wenn Mauchlys Test der Sphärizität nicht signifikant sein sollte, die Annahme also nicht verletzt ist, wird der unkorrigierte F-Wert herangezogen. Der Unterschied zwischen einzelnen Emotionen wird mittels paarweisen Vergleichen überprüft, wobei in SPSS das Signifikanzniveaus nach Bonferroni angepasst wurde. Auch wenn die vorliegende Arbeit nicht auf die Untersuchung von Geschlechtsunterschieden abzielt, wird 'Geschlecht' standardmäßig als Zwischensubjektfaktor in die Varianzanalysen aufgenommen und die Ergebnisse kurz berichtet. Hier bezieht sich das partielle Eta2 auf den Anteil der Varianz zwischen den Versuchspersonen, der nur durch den Faktor Geschlecht aufgeklärt wird. Emotion wird dabei wie Geschlecht in der Varianzanalyse als fester Faktor (engl.: 16 Bei zwei Faktoren setzt sich die Gesamtvarianz zusammen aus: Varianz Faktor A + Varianz Faktor B + VarianzInter2 2 aktion AxB + Fehlervarianz; Eta würde all diese im Nenner berücksichtigen, das partielle Eta berücksichtigt jeweils nur die Varianz eines Faktors oder einer Interaktion und die weder durch andere Faktoren noch Interaktionen aufgeklärte Fehlervarianz. 133 ERGEBNISSE – 9.1 KONTINUIERLICHE EMOTIONSBEWERTUNG MITTELS EMUJOY fixed factor) angegeben, da es um Unterschiede zwischen den konkreten Emotionen Freude, Trauer, Ekel, Wut und Angst geht, und diese nicht als eine Zufallsauswahl aus dem Universum aller Emotionen angesehen werden, wie es bei einer Festlegung als zufällige Faktoren (engl.: random factor) der Fall gewesen wäre. Die Festlegung als zufälliger Faktor wäre angebracht gewesen, wenn man Aussagen über den Unterschiede zwischen allen Emotionen treffen will (Bortz, 2005), was über den Anspruch dieser Arbeit hinaus geht17. Als Zusammenhangsmaß zwischen EMuJoy-Bewertung und physiologischen Parametern dient die Produkt-Moment-Korrelation nach Pearson (Annahme einer linearen Beziehung, intervallskalierte Variablen) sowie bei deutlichen Abweichungen gegenüber dem PearsonKoeffizienten zusätzlich Kendall's Tau, das weniger Annahmen über die zugrunde liegende Beziehung zwischen den Variablen macht und sich auf reine 'größer/kleiner als'-Relationen beschränkt. Dabei ist dieser Koeffizient robuster als Spearmans rho (Bortz et al., 1990). Um die Übersichtlichkeit größerer Korrelationstabellen zu wahren, werden statt der üblichen Sternchen zur Anzeige der Signifikanz nicht-signifikante Werte ausgegraut, auf dem 5%-Niveau signifikante Korrelationen in normaler schwarzer Schrift und auf dem 1%-Niveau signifikante Zusammenhänge schwarz und fett dargestellt. Während für die Korrelationsbestimmungen der gesamte Datensatz mit 337 Einträgen von 57 Probanden zur Verfügung steht (s. 8.2, S.126), gehen in die Varianzanalyse mit Messwiederholungen nur die Versuchspersonen ein, bei der alle Zielemotionen erfolgreich induziert worden waren. Bei fünf Probanden war dies für jeweils eine Zielemotion nicht gelungen (s. 8.1.4.3, S.122), so dass sich der Datensatz in diesem Fall auf 312 Einträge von 52 Personen reduziert. Weitere Einschränkungen im Stichprobenumfang werden im jeweiligen Abschnitt mitgeteilt. 9.1 Kontinuierliche Emotionsbewertung mittels EMuJoy Die Datenaufbereitung der Selbstbewertungen mittels EMuJoy während der FilmclipPräsentation hatte ergeben, dass zur Charakterisierung einer emotionalen Episode die Position des Mousezeigers in den letzten beiden Sekunden aussagekräftiger war als ein Mittelwert über die gesamte Präsentationszeit. Abb. 8.1.7 auf Seite 125 zeigte die Mittelwerte sowie den Perzentilrange vom 25. bis zum 75. Perzentil für den bereinigten Datensatz. Sie wird an dieser Stelle erneut aufgeführt. 17 Für Geschlecht stellt sich diese Frage nicht, da die Unterscheidung zwischen männlich und weiblich bereits erschöpfend ist. 134 ERGEBNISSE – 9.1 KONTINUIERLICHE EMOTIONSBEWERTUNG MITTELS EMUJOY Abb. 9.1.1 (entspricht Abb. 8.1.7, S. 125): Mittelwert und Bereich zwischen den 25. und 75. Perzentilen der Endwerte (Wert in den letzen beiden Sekunden) der EMuJoy-Bewertung aller Versuchspersonen auf den Dimensionen Valenz (xAchse, -1 = unangenehm, +1 = angenehm) und Arousal (y-Achse, -1 = ruhig, +1 = aufgeregt) für die verschiedenen Zielemotionen (Farben) Um einen Anhaltspunkt für die Validität der Ergebnisse zu bekommen, wird Abb. 9.1.1 mit zwei im Theorieteil genannten Modellen, die ebenfalls auf den Dimensionen Valenz und Arousal beruhen, abgeglichen. In Abb. 9.1.2 sind die Ergebnisse dieser Studie in das Circumplex-Modell von Russell (Russell & Feldman Barrett, 1999) eingefügt, Abb. 9.1.3 zeigt zusätzlich zur Ausprägung der Filmclip-Bewertung die Verteilung der IAPS-Bilder aus Lang, Bradley et al. (1997). Abb. 9.1.2: EMuJoy-Ratings aus Abb. 8.1.7 (S. 125) eingefügt in den Circumplex von Russell (Abb. 3.4.1, S.62). Das Achsenkreuz aus Abb. 8.1.7 wurde so skaliert, dass es dem Kreisradius des Russel-Circumplex entspricht (xAchse=Arousal, y-Achse=Valenz). Die Eckpunkte der ursprünglichen Abbildung sind angedeutet. Die Farben zeigen die jeweiligen Zielemotionen der Filmclips an. Die farbigen Vierecke entsprechen dem Bereich zwischen 25. und 75. Perzentil der Versuchspersonen-Ratings, die farbigen Punkte dem Mittelwert. 135 ERGEBNISSE – 9.1 KONTINUIERLICHE EMOTIONSBEWERTUNG MITTELS EMUJOY Die Bewertungen der Versuchspersonen zum Ende eines Filmclips sind in Abb. 9.1.2 weitestgehend modellkonform im Circumplex angeordnet: Freude zum Pol 'pleasant' mit leichter Aktivierung, der neutrale Filmclip wird weder als angenehm noch unangenehm angesehen und wirkt eher deaktivierend. Angst und Wut sind mit hoher Erregung und negativer Valenz verbunden, Trauer ebenfalls mit negativer Valenz, allerdings deutlich geringerer Erregung. Wie Ekel weist sie dennoch eine höhere Erregung auf als von Russell und Kollegen postuliert, die in ihren Studien häufig die Einschätzung des aktuellen Gefühlszustands ohne weitere Emotionsinduktion mittels Fragebogen faktorenanalytisch untersuchten (Feldman Barrett & Russell, 1998; Yik et al., 1999). Beim Abgleich mit der Verteilung der IAPS-Bewertungen zeigt sich ein vergleichbares Bild (s. Abb. 9.1.3): negative Reize führen zur höchsten Erregung, und insgesamt folgen die Filmratings der leicht bumerang-förmigen Verteilung, die auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass Reize mit hoher Erregung, aber neutraler Valenz, sowie Reize mit deutlich ausgeprägter Valenz, aber sehr geringem Arousal selten vorkommen (Lang, Bradley et al., 1997; Lang et al., 2005). Abb. 9.1.3: EMuJoy-Ratings aus Abb. 8.1.7 (S. 125) eingefügt in die Verteilung der mittels Self-Assessment-Mannikin (SAM) bewerteten IAPS-Bilder aus Abb. 3.4.2 (S.65). Das Achsenkreuz aus Abb. 8.1.7 wurde so angepasst, dass es der Ausprägung der SAM-Dimensionen entspricht (x-Achse=Arousal, y-Achse=Valenz). Die Farben zeigen die jeweiligen Zielemotionen der Filmclips an. Die farbigen Vierecke entsprechen dem Bereich zwischen 25. und 75. Perzentil der Versuchspersonen-Ratings dieses Versuchs, die farbigen Punkte dem Mittelwert. Die kleinen Punkte stellen die Mittelwerte der IAPS-Bewertungen dar. Für einzelne IAPS-Bilder sind die dargestellten Szenen benannt (schwarze Punkte) sowie in kursiver Schrift prototypische emotionale Zustände angegeben. Die Beschriftungen in der rechten unteren Ecke lauten 'enraged' (aufgebracht), 'hate' (Hass) und Mutilated Face (verstümmeltes Gesicht). Aus Lang, Bradley et al (1997). Während die hohe Arousal-Ausprägung bei Ekel durchaus dem IAPS-Schema zu entsprechen scheint (der Mittelpunkt liegt fast identisch mit der Bewertung des Bildes 'Verstümmeltes Gesicht'), haben die Trauer-Clips mit Abschieds- bzw. Sterbeszenen auch hier wieder eine ver- 136 ERGEBNISSE – 9.1 KONTINUIERLICHE EMOTIONSBEWERTUNG MITTELS EMUJOY gleichsweise hohe Erregung im Vergleich zum 'Friedhofs'-Bild des IAPS ('Cemetery' in Abb. 9.1.3). Dass Arousal- und Valenzbewertung zusammenhängen, spiegelt sich in der Korrelation beider Werte wider: Für den aktuellen IAPS-Satz (Lang et al., 2005) beträgt die generelle Produkt-Moment-Korrelation zwischen Valenz- und Arousalrating r= -.276 (n=956, p<0.000), für das Sub-Set von Bildern mit negativer Valenz r=-.699 (n=432, p<0.000, wobei n hier die Anzahl der Bilder meint). Im vorliegenden Versuch, in dem vier der sechs induzierten Emotionen negativ waren, ergeben sich für die 58 auswertbaren Versuchspersonen folgende Werte: • r=-.587 (n=1378, p<0,000) für eine Korrelation über einzelne Reize ( 1 Wert pro VP pro Film, nur Filme mit gültiger Emotionsbenennung im Anschluss) bzw. • r=-.584 (n=343, p<0.000) für den Datensatz mit 1 Wert pro VP pro Zielemotion, der auch die Grundlage der weiteren Auswertung bildet. Hier beträgt die Korrelation für das Subset der neutralen und positiven Filmclips (Zielemotion Freude) r=.225 (n=113, p=0.017). 9.1.1 Unterscheidung der Basisemotionen im zweidimensionalen Raum Eine multivariate Varianzanalyse mit Messwiederholung für die pro Zielemotion gemittelten Valenz- und Arousal-Bewertung in den letzten zwei Sekunden eines Filmclips ergibt einen signifikanten Einfluss des Innersubjektfaktors 'Zielemotion' (Pillai's Spur =0.939; F10,42=64.976; p<0.000; η2partiell=0.939). Tab. 9.1.1: Signifikanzniveaus univariater paarweiser Vergleiche der subjektiven Valenz- und Arousalratings für die einzelnen Zielemotion, das angegebene Signifikanzniveau (p) ist Bonferroni-korrigiert. Ausgegraute Werte: nichtsignifikant, normal gedruckte Werte: signifikant auf dem 5%-Niveau, fett gedruckte Werte: signifikant auf dem 1%Niveau. Valenz Zielemotion neutral neutral Freude 0.000 Trauer Arousal Ekel Wut neutral Freude Trauer Ekel Wut 0.000 0.000 0.000 0.000 1.000 0.000 0.000 0.000 0.000 0.000 0.000 0.000 0.000 0.000 0.000 0.000 0.000 1.000 0.000 1.000 0.085 0.000 0.000 0.000 0.000 0.000 0.000 0.344 0.000 0.000 0.000 1.000 Freude 0.000 Trauer 0.000 0.000 Ekel 0.000 0.000 0.000 Wut 0.000 0.000 1.000 0.085 Angst 0.000 0.000 1.000 0.025 1.000 0.344 0.016 Paarweise Vergleiche in Tab. 9.1.1 bestätigen den Eindruck, der sich bereits durch die Graphik in Abb. 8.1.7 bzw. Abb. 9.1.1 aufdrängt: Filmclips mit der Zielemotion Freude oder neutraler Stimmung sind in Bezug auf ihre Valenz signifikant verschieden von allen anderen Emotionen. Die negativen Emotionen Ekel, Wut und Angst lassen sich in ihrer Valenz weniger gut unterscheiden, lediglich der Unterschied zwischen Angst und Ekel ist auf dem 5%-Niveau signifikant (p=0.025). Trauer unterscheidet sich ebenfalls nur von Ekel signifikant in der Valenz-Bewertung, hat aber ein deutlich niedrigeres Erregungsniveau als die übrigen drei negativen Emotionen (p<0.000). Wut und Angst unterscheiden sich auch signifikant auf dieser Dimension (p=0.016). Bei dem Bewertungsverhalten ist zudem ein Geschlechtseffekt festzustellen (Pillai's Spur=0.201; F2,50=6.294, p=0.004; η2partiell=0.201), wobei im univariaten Vergleich dieser Unter- 137 ERGEBNISSE – 9.2 PHYSIOLOGIE schied nur für Valenz (F1,51=6.87; p=0.012; η2partiell=0.119), nicht aber für Arousal (F1,51=0.154; p=0.696; η2partiell=0.003) signifikant wird: Frauen zeigen insgesamt stärker ausgeprägte Valenzbewertungen, gerade für negative Valenz, ein Befund, den auch Bradley & Lang (2000), berichten. Eine signifikante Interaktion Zielemotion*Geschlecht tritt nicht auf (Pillai's Spur =0.168; F10,42=0.848; p=0.587; η2partiell=0.168). 9.1.2 Zusammenfassung Die kontinuierliche Emotionsbewertung mittels EMuJoy ergibt eine Anordnung der Zielemotionen im zweidimensionalen Raum, die mit den Modellen von Russell sowie Bradley & Lang vergleichbar ist. Die Zielemotion 'Trauer' war im vorliegenden Versuch allerdings mit vergleichsweise erhöhter Erregung verbunden, hat aber immer noch signifikant niedrigere Werte als Ekel, Wut und Angst, die sich weniger eindeutig voneinander abgrenzen. Die neutralen Filmclips und die mit der Zielemotion 'Freude' sind aufgrund ihrer Valenzratings klar voneinander und den negativen Emotionen zu unterscheiden. Valenz- und Arousalbewertung korrelieren signifikant miteinander (r=-.587), negative Valenz geht also mit erhöhter Erregung einher, während positive Stimmung mit geringer Erregung verbunden ist. Dieser Effekt wird vermutlich durch die Tatsache verstärkt, dass vier der sechs Zielemotionen negativ waren (Trauer, Wut, Ekel, Angst). 9.2 Physiologie Die statistische Analyse der physiologischen Kennwerte folgt dem eingangs unter 9 (S.133) genannten Vorgehen, allerdings werden aufgrund des in 9.1 berichteten Zusammenhangs zwischen Valenz- und Arousalrating zusätzlich zu den bivariaten Korrelationen noch Partialkorrelationen mit beiden Variablen angegeben, die um den Einfluss der jeweils anderen Bewertungsdimension bereinigt sind. Um die Auswirkung der Baseline-Korrektur am vorangegangen neutralen Filmclip bewerten zu können, werden auch die Korrelationen für die nicht-korrigierten Werte aufgeführt. Die baseline-korrigierte Variante einer Variable trägt das Suffix 'bc'. Um unübersichtlich große Tabellen oder mit Signifikanzangaben überfrachtete Graphiken zu vermeiden, werden für die paarweisen Vergleiche zwischen den Emotionen zunächst die Mittelwerte der einzelnen physiologischen Parameter mit ihrem Standardfehler als Balkengraphik dargestellt, und das Signifikanzniveau der Mittelwertsunterschiede in einer eigenen Tabelle aufgelistet. Im zugehörigen Text werden beide Quellen gemeinsam abgehandelt, wobei sich die Richtung eines Unterschiedes (z.B. 'XY ist unter Angst größer als unter Trauer') aus der Graphik ergibt, die statistische Bedeutsamkeit dieses Unterschiedes ('… und dieser Unterschied ist auf dem 5% Niveau signifikant') hingegen der Tabelle zu entnehmen ist. Dabei ist zu beachten, dass die Graphiken den Mittelwert aller Versuchspersonen unter einer Versuchsbedingung und dessen Standardfehler darstellen, die Einzelvergleiche bei einer Messwiederholung jedoch auf dem Mittelwert der personenweisen Differenzen zwischen zwei Versuchsbedingungen beruhen. Zwei in der Graphik ähnlich erscheinende Unterschiede zwischen Mittelwerten (z.B. der Unter- 138 ERGEBNISSE – 9.2 PHYSIOLOGIE schied zwischen Angst und Trauer sowie der Unterschied zwischen Angst und Wut) müssen im Einzelvergleich dementsprechend nicht gleichermaßen signifikant werden. 9.2.1 Hautleitfähigkeit Eine multivariate Varianzanalyse mit Messwiederholung für die baseline-korrigierten und pro Zielemotion gemittelten Hautleitfähigkeitsparameter Elektrodermales Level (EDL, Mittelwert des gefilterten EDA-Rohsignals) sowie Frequenz, mittlere und maximale Amplitude der Spontanfluktuationen während eines Filmclips ergibt einen für signifikanten Einfluss des Innersubjektfaktors 'Zielemotion' (Pillai's Spur=0.799; F20,28=5.566 p<0.000; η2partiell=0.799) für die n=49 Versuchspersonen, für die für alle Zielemotionen gültige Daten vorlagen. Ein Effekt des Zwischensubjektfaktors 'Geschlecht' oder eine Interaktion von Geschlecht und Zielemotion tritt dabei nicht auf (Pillai's Spur=0.071; F4,44=0.843 p=0.509; η2partiell=0.071 für Geschlecht bzw. Pillai's Spur=0.483; F20,28=1.307 p=0.253; η2partiell=0.483 für Geschlecht*Zielemotion). Abb. 9.2.1: Mittelwert und Standardfehler der baseline-korrigierten EDA-Kennwerte Elektrodermales Level, Frequenz Spontanfluktuation, mittlere Amplitude Spontanfluktuationen und maximale Amplitude als Prozent Baseline-Aktivität für die 49 Versuchspersonen, die in die multivariate Varianzanalyse eingingen. 139 ERGEBNISSE – 9.2 PHYSIOLOGIE Tab. 9.2.1: Signifikanzniveaus univariater paarweiser Vergleiche der baseline-korrigierten EDA-Parameter EDR Frequenz, mittlere Amplitude und maximale Amplitude für die einzelnen Zielemotion. Alle signifikanten Unterschiede sind hervorgehoben, das angegebene Signifikanzniveau ist Bonferroni-korrigiert. Ausgegraute Werte: nicht-signifikant, normal gedruckte Werte: signifikant auf dem 5%-Niveau, fett gedruckte Werte: signifikant auf dem 1%-Niveau. Zielemotion Freude Zielemotion Trauer Ekel Wut Frequenz 0.230 0.183 1.000 1.000 Amplitude 0.395 0.341 0.061 0.946 max. Amplitude 0.006 0.005 0.013 0.012 Parameter neutral Freude Trauer Ekel Wut Angst neutral Frequenz Amplitude 0.230 0.395 0.002 1.000 1.000 0.690 1.000 1.000 max. Amplitude 0.006 1.000 1.000 1.000 Frequenz Amplitude 0.183 0.341 0.032 0.384 0.141 1.000 max. Amplitude 0.005 1.000 1.000 1.000 Frequenz 1.000 1.000 0.032 Amplitude 0.061 0.690 0.384 1.000 max. Amplitude 0.013 1.000 1.000 1.000 Frequenz Amplitude 1.000 0.946 1.000 1.000 0.141 1.000 max. Amplitude 0.012 1.000 1.000 1.000 Frequenz Amplitude 1.000 0.008 0.699 1.000 0.590 0.117 1.000 1.000 1.000 0.181 max. Amplitude 0.000 1.000 0.100 1.000 0.044 0.002 1.000 1.000 1.000 1.000 Wie in Abb. 9.2.1 erkennbar, zeigt das baseline-korrigierte Hautleitfähigkeitsniveau EDL als Mittelwert des EDA-Signals pro Versuchsbedingung wenig Variation. Wenngleich der Messwiederholungsfaktor 'Emotion' in der univariaten Analyse einen Effekt hat (F3,147=3.147 nach Greenhouse-Geisser-Korrektur; p=0.001; η2partiell=0.110), statistisch signifikant ist im Einzelvergleich lediglich der Unterschied der neutralen Versuchsbedingung gegenüber Trauer, Wut und Angst (p≤0.046–0.000) sowie der zwischen Trauer und Freude (p=0.012). Aus diesem Grund wird der Parameter baseline-korrigiertes EDL nicht in Tab. 9.2.1 aufgeführt. Auch die baseline-korrigierte Anzahl Spontanfluktuationen pro Sekunde (EDR Frequenz) variiert nicht sehr stark: Bis auf Trauer steigt sie bei allen Emotionen gegenüber der neutralen Bedingung eher an. Statistisch signifikant ist allerdings nur der Unterschied zwischen Abfall bei Trauer und Anstieg bei Freude sowie Ekel. (p ≤ 0.002 bzw. 0.032). Bei den Amplitudenkennwerten erscheint die maximale Amplitude während einer Filmpräsentation sensitiver für Unterschiede einzelner Emotionen zum Ausgangsniveau als die mittlere Amplitude während dieser Zeit, denn nur bezüglich ersterer unterscheiden sich alle Emotionen signifikant von der 'neutral'Bedingung (p ≤ 0.000 – 0.013), ebenso wie Wut und Angst voneinander (p=0.044). Die baseline-korrigierte maximale Amplitude EDRsampmax zeigt denn auch mit r=.240 (p < 0.000) die höchste Partialkorrelation zum Arousalrating (s. Tab. 9.2.2, 5. Spalte). Nicht um den Einfluss der Valenz-Dimension bereinigt korrelieren beide Amplitudenwerte um die .22 mit dem Arousalrating (s. Tab. 9.2.2, 3. Spalte). 140 ERGEBNISSE – 9.2 PHYSIOLOGIE Tab. 9.2.2: Bivariate Produkt-Moment- und Partialkorrelationen der EDA-Parameter mit den Valenz und ArousalRatings (1 Wert pro Vp pro Emotion, 55 Vpn) EDL=Elektrodermales Level (Mittelwert über gesamte Phase), EDRs= Elektrodermale Reaktionen (Spontanfluktuationen) während einer Reizphase , freq=Frequenz; amp=mittlere Amplitude; ampmax = maximale Amplitude. Ausgegraute Werte: nicht-signifikant, normal gedruckte Werte: signifikant auf dem 5%Niveau, fett gedruckte Werte: signifikant auf dem 1%-Niveau. Bivariate Korrelationen Valenzrating Partialkorrelationen Valenzrating Arousalrating Valenzrating Arousalrating 1 -.584 - - EDL .017 .001 .022 .014 EDL baseline-korrigiert .116 .026 .161 .116 EDRsfreq .014 .134 .115 .176 EDRsfreq baseline-korrigiert .087 .075 .163 .156 EDRsamp -.087 .059 -.066 .007 EDRsamp baseline-korrigiert -.098 .223 .044 .205 EDRsampmax -.141 .219 -.016 .170 EDRsampmax baseline-korrigiert -.048 .222 .104 .240 Eine detaillierte Durchsicht der Rohsignale ergab, dass die Hautleitfähigkeit vor allem während der Darbietung längerer Filme deutlich absank, wobei während dieses Absinkens zwar Spontanfluktuationen auftraten, der Abfall aber insgesamt oft stärker war als die kurzfristigen Anstiege. Die größten Spontanfluktuationen traten vermehrt im Anschluss an einen Filmclip auf, wenn die Probanden von dem Versuchsleiter nach ihrer subjektiv erleben Emotion gefragt wurden. Es scheint, dass eine echte, aktive soziale Interaktion hier weitaus stärker aktivierend wirkte als das eher passive Teilhaben an sozialen Interaktionen in den Filmclips. Abb. 9.2.2 verdeutlicht dies für einen Ausschnitt des Rohsignals von VP 12 (s. Abb. 8.2.1, S.128 für den gesamten Rohsignal-Verlauf dieser Versuchsperson). Abb. 9.2.2: EDA-Rohsignal von VP12 während der Darbietung von zwei Filmclips. Zu erkennen ist ein Absinken mit Spontanfluktuationen während der Filmpräsentation sowie ein deutlicher Anstieg während der Emotionsbenennung im Anschluss an einen Filmclip. Für weitere Erläuterungen s. Text. 141 ERGEBNISSE – 9.2 PHYSIOLOGIE 9.2.2 Gesichtsmuskelaktivität Eine multivariate Varianzanalyse mit Messwiederholung für die baseline-korrigierten und pro Zielemotion gemittelten Parameter EMG-Level18 des musculus corrugator supercilii, orbicularis oculi und zygomaticus major ergibt einen signifikanten Einfluss des Innersubjektfaktors 'Zielemotion' (Pillai's Spur =0.871; F20,24=8.12 p<0.000; η2partiell=0.871) für die n=52 Versuchspersonen, für die für alle Zielemotionen gültige Daten vorlagen. Ein Effekt des Zwischensubjektfaktors 'Geschlecht' oder eine Interaktion von Geschlecht und Zielemotion tritt dabei nicht auf (Pillai's Spur=0.027; F3,38=0.450; p=0.719; η2partiell=0.027 für Geschlecht bzw. Pillai's Spur=0.253; F15,36=0.812; p=0.658; η2partiell=0.253 für Geschlecht*Zielemotion). Abb. 9.2.3: Mittelwert und Standardfehler des baseline-korrigierten EMG-Levels von musculus corrugator supercilii, orbicularis oculi und zygomaticus major als Prozent Baseline-Aktivität für die 52 Versuchspersonen, die in die multivariate Varianzanalyse eingingen. Wie aus Abb. 9.2.3 und Tab. 9.2.3 zu erkennen ist, unterscheidet die Aktivität des musculus corrugator supercilii (der 'Augenbrauen-Zusammenzieh'-Muskel) die negativen Emotionen Trauer, Ekel, Wut und Angst von der neutralen Bedingung und von Freude. Der musculus orbicularis oculi (sorgt für die 'Krähenfüße' in den Augenwinkeln) und zygomaticus major (zieht die Mundwinkel nach außen und nach oben, also Lachen) unterscheiden Freude von der neutralen Bedingung sowie von allen negativen. Außerdem ist ihre Aktivität bei Ekel leicht erhöht, bei Trauer, Wut und Angst hingegen gegenüber der neutralen Bedingung verringert. Der Unterschied Ekel-Wut ist für den zygomaticus allerdings nicht statistisch signifikant (p=0.207). 18 definiert als Mittelwert der Hüllkurve des gleichgerichteten und gefilterten EMG-Signals während eines Filmclips (s. 8.2.2, S.129) 142 ERGEBNISSE – 9.2 PHYSIOLOGIE Tab. 9.2.3: Signifikanzniveaus univariater paarweiser Vergleiche der baseline-korrigierten EMG-Levels von musculus corrugator supercilii, orbicularis oculi und zygomaticus major für die einzelnen Zielemotion. Alle signifikanten Unterschiede sind hervorgehoben, das angegebene Signifikanzniveau ist Bonferroni-korrigiert. Ausgegraute Werte: nichtsignifikant, normal gedruckte Werte: signifikant auf dem 5%-Niveau, fett gedruckte Werte: signifikant auf dem 1%Niveau. Zielemotion Parameter neutral Freude Trauer Ekel Wut Angst neutral Freude Zielemotion Trauer Ekel Wut 0.000 corrugator 1.000 0.000 0.000 orbicularis 0.000 0.000 0.708 0.004 zygomaticus 0.001 0.000 1.000 0.001 0.000 0.000 0.000 0.000 0.000 0.000 0.000 corrugator orbicularis 1.000 0.000 zygomaticus 0.001 corrugator 0.000 0.015 0.000 0.000 1.000 1.000 orbicularis 0.000 0.000 0.002 1.000 zygomaticus 0.000 0.000 0.031 0.422 corrugator orbicularis 0.000 0.708 0.000 0.000 1.000 0.002 zygomaticus 1.000 0.015 0.031 corrugator orbicularis 0.000 0.004 0.000 0.000 1.000 1.000 1.000 0.021 zygomaticus 0.001 0.000 0.422 0.207 corrugator orbicularis 0.000 0.000 0.000 0.000 1.000 1.000 1.000 0.001 0.741 1.000 zygomaticus 0.000 0.000 1.000 0.050 1.000 1.000 0.021 0.207 Die baseline-korrigierte Aktivität dieser drei Gesichtsmuskeln zeigt dementsprechend auch einen recht engen Zusammenhang zur subjektiven Valenzbewertung mit Werten von r=.363 (zygomaticus) bis r=.474 (orbicularis oculi, s. Tab. 9.2.3, vorletzte Spalte). Der Anstieg des EMGLevels mit zunehmendem subjektiven Arousal scheint dabei nicht nur auf die Kopplung von Arousal an Valenzbewertung zurückzuführen sein, denn auch das um den Einfluss der Valenzbewertung bereinigte Arousalrating (Partialkorrelation) korreliert zumindest für den orbicularis oculi und zygomaticus major noch um r=.254-286 mit den beiden EMG-Werten (s. Tab. 9.2.3, letzte Spalte). 143 ERGEBNISSE – 9.2 PHYSIOLOGIE Tab. 9.2.4: Bivariate Produkt-Moment- und Partialkorrelationen der EMG-Parameter mit den Valenz und Arousal-ratings (1 Wert pro Vp pro Emotion, 57 Vpn) EMGL=EMG-Level (Mittelwert über gesamte Phase, s. 8.2.2, S.129), co= corrugator supercilii; or=orbicularis oculi; zy=zygomaticus major. Ausgegraute Werte: nicht-signifikant, normal gedruckte Werte: signifikant auf dem 5%-Niveau, fett gedruckte Werte: signifikant auf dem 1%-Niveau Bivariate Korrelationen Valenzrating Arousalrating 1 -.584 EMGLsco -.230 EMGLsco baseline-korrigiert Partialkorrelationen Valenzrating Arousalrating .121 -.197 -.017 -.432 .240 -.370 -.016 EMGLsor .176 -.081 .159 .027 EMGLsor baseline-korrigiert .394 -.016 .474 .286 EMGLszy .346 -.089 .363 .147 EMGLszy baseline-korrigiert .401 -.044 .462 .254 Valenzrating *p<=.05; **p<=.01; ***p<=0.001 9.2.3 Herzaktivität Tab. 9.2.5 führt noch einmal die gemäß Kapitel 8.2.3 gebildeten Kennwerte zur Herzaktivität auf. Zusätzlich zur Baseline-Korrektur durch Division (aktuelle Aktivität/Baselineaktivität)*100 waren für die Inter-Beat-Intervalle und die Herzrate auch Differenzwerte (aktuelle Aktivität – Baselineaktivät) zum vorausgegangenen neutralen Filmclip gebildet worden. Erkennbar sind diese Variablen am Suffix 'bcdiff'. Tab. 9.2.5 gibt eine Übersicht über die vorhandenen Variablen und die verwendeten Kürzel. Bei den Balkengraphiken ist die Art der Baseline-Korrektur dem Text und der Achsenbeschriftung zu entnehmen. Tab. 9.2.5: Übersicht über die verwendeten Herzschlag-Parameter sowie die Art der Baselinekorrektur Kürzel Beschreibung IBI Zeit zwischen zwei Herzschlägen HR Anzahl Schläge pro Minute (Herzrate) SDNN MSD PARAMETERbc PARAMETERbcdiff Streuung der IBIs mittlere absolute Differenz aufeinanderfolgender IBIs Parameter baseline-korrigiert als Prozent Baseline-Level Parameter baseline-korrigiert als Differenz zum Baseline-Level Eine multivariate Varianzanalyse mit Messwiederholung für die mittels Division baselinekorrigierten und pro Zielemotion gemittelten Parameter IBI, HR, SDNN und MSD ergibt einen signifikanten Einfluss des Innersubjektfaktors 'Zielemotion' (Pillai's Spur =0.646; F20,29=2.645; p<0.008; η2partiell=0.646) für die n=50 Versuchspersonen, für die für alle Zielemotionen gültige Daten vorlagen. Ein Effekt des Zwischensubjektfaktors 'Geschlecht' oder eine Interaktion von Geschlecht und Zielemotion tritt dabei nicht auf (Pillai's Spur=0.160; F4,45=2.145 p=0.091; η2partiell=0.160 für Geschlecht bzw. Pillai's Spur=0.424; F20,29=1.067; p=0.428; η2partiell=0.424 für Geschlecht*Zielemotion). 144 ERGEBNISSE – 9.2 PHYSIOLOGIE Abb. 9.2.4: Mittelwert und Standardfehler der baseline-korrigierten EKG-Kennwerte Herzschlagintervall (IBI), Herzrate (HR), Streuung der IBIs (SDNN) sowie mittlere Differenz sukzessiver IBIs (MSD) als Prozent Baseline-Aktivität für die 50 Versuchspersonen, die in die multivariate Varianzanalyse eingingen. Abb. 9.2.4 lässt erkennen, dass die emotionalen Filmclips durchgehend zu einer Herzratenverlangsamung bzw. einem Anstieg der Inter-Beat-Intervalle (IBIs) führen, zwischen den einzelnen Emotionen jedoch wenig Unterschiede zu bestehen scheinen. Lediglich die Streuung der IBIs (SDNN, der jeweils 3. Balken in Abb. 9.2.4) nimmt für Ekel, Wut und Angst stärker ab als für Trauer bzw. für Freude. Univariate Einzelvergleiche in Tab. 9.2.6 bestätigen diesen Eindruck: die Veränderung von Herzrate und IBIs sind für alle Emotionen nur gegenüber der neutralen Bedingung signifikant, bei der IBI-Streuung SDNN sogar nur der Unterschied zwischen 'neutral' und 'Angst'. 145 ERGEBNISSE – 9.2 PHYSIOLOGIE Tab. 9.2.6: Signifikanzniveaus univariater paarweiser Vergleiche der mittels Division baseline-korrigierten EKGKennwerte Herzschlagintervall (IBI), Herzrate (HR), Streuung der IBIs (SDNN) sowie mittlere Differenz sukzessiver IBIs (MSD) für die einzelnen Zielemotion. Alle signifikanten Unterschiede sind hervorgehoben, das angegebene Signifikanzniveau ist Bonferroni-korrigiert. Ausgegraute Werte: nicht-signifikant, normal gedruckte Werte: signifikant auf dem 5%Niveau, fett gedruckte Werte: signifikant auf dem 1%-Niveau. Zielemotion Parameter neutral neutral Trauer Ekel Wut Angst Zielemotion Trauer Ekel Wut 0.008 IBbc 0.000 0.000 0.004 Herzrate (HRbc) 0.000 0.000 0.008 0.012 SDNNbc 1.000 1.000 0.322 0.324 1.000 1.000 1.000 1.000 IBbc Herzrate (HRbc) 0.000 0.000 1.000 1.000 1.000 1.000 1.000 1.000 SDNNbc 1.000 1.000 1.000 1.000 MSDbc 1.000 1.000 1.000 1.000 IBbc 0.000 1.000 1.000 1.000 Herzrate (HRbc) 0.000 1.000 1.000 0.880 SDNNbc 1.000 1.000 1.000 1.000 MSDbc 1.000 1.000 1.000 1.000 IBbc 0.004 1.000 1.000 1.000 Herzrate (HRbc) 0.008 1.000 1.000 1.000 SDNNbc 0.322 1.000 1.000 1.000 MSDbc 1.000 1.000 1.000 IBbc Herzrate (HRbc) 0.008 0.012 1.000 1.000 1.000 0.880 1.000 1.000 SDNNbc 0.324 1.000 1.000 1.000 MSDbc 1.000 1.000 1.000 1.000 IBbc Herzrate (HRbc) 0.000 0.000 1.000 1.000 1.000 1.000 1.000 1.000 SDNNbc 0.019 1.000 1.000 1.000 1.000 MSDbc 1.000 1.000 1.000 1.000 1.000 MSDbc Freude Freude 1.000 0.583 0.950 Für die Differenzwerte Baseline-Emotionsfilmclips sieht es ähnlich aus: Emotionsfilmclips führen zu einem Anstieg des Inter-Beat-Intervalls zwischen zehn bis dreissig Millisekunden und damit zu einem Abfall der mittleren Herzrate um ein bis drei BPM (s. Abb. 9.2.5). 146 ERGEBNISSE – 9.2 PHYSIOLOGIE Abb. 9.2.5: Mittelwert und Standardfehler der Differenz zur Baseline-Aktivität für die EKG-Kennwerte Herzschlagintervall (IBI) und Herzrate (HR) für die 50 Versuchspersonen, die in die multivariate Varianzanalyse eingingen. Für die IBIKennwerte ist die Zunahme in Millisekunden, für die Herzrate die Abnahme in BPM dargestellt. Es gibt ebenfalls einen generellen Effekt des Innersubjektfaktors 'Emotion (Pillai's Spur=0.908; F20,29=14.283 p<0.000; η2partiell=0.908) ohne Geschlechts- oder Interaktionseffekte (Pillai's Spur=0.059; F4,45=0.708 p=0.591; η2partiell=0.059 für Geschlecht bzw. Pillai's Spur=0.465; F20,29=1.295 p=0.280; η2partiell=0.465 für Geschlecht*Zielemotion), der bei univariaten Vergleichen aber einzig auf den Unterschied neutral-Emotionsclip zurückzuführen ist, ohne dass Unterschiede zwischen den Emotionen statistisch bedeutsam wären (s. Tab. 9.2.7). Tab. 9.2.7: Signifikanzniveaus univariater paarweiser Vergleiche der mittels Differenzbildung baseline-korrigierten EKGKennwerte Herzschlagintervall (IBIbcdiff) und Herzrate (HRbcdiff) während eines Filmclips für die einzelnen Zielemotion. Alle signifikanten Unterschiede sind hervorgehoben, das angegebene Signifikanzniveau ist Bonferroni-korrigiert. Ausgegraute Werte: nicht-signifikant, normal gedruckte Werte: signifikant auf dem 5%-Niveau, fett gedruckte Werte: signifikant auf dem 1%-Niveau. Zielemotion Parameter neutral neutral IBIbcdiff HRbcdiff Freude Zielemotion Trauer Ekel Wut 0.000 0.000 0.004 0.013 0.000 0.000 0.019 0.010 1.000 1.000 1.000 1.000 0.999 1.000 1.000 1.000 0.771 1.000 Freude IBIbcdiff HRbcdiff 0.000 0.000 Trauer IBIbcdiff HRbcdiff 0.000 0.000 1.000 1.000 Ekel IBIbcdiff HRbcdiff 0.004 0.019 1.000 1.000 1.000 1.000 Wut Angst 1.000 1.000 IBIbcdiff 0.013 0.999 0.771 HRbcdiff 0.010 1.000 0.880 1.000 1.000 IBIbcdiff 0.001 1.000 1.000 1.000 0.561 HRbcdiff 0.000 1.000 1.000 1.000 0.943 Die Korrelationen der Herzschlagparameter mit den subjektiven Bewertungen während der Filmclips sind durchweg niedrig, gleichgültig, ob Differenz- oder Prozentwerte zur Baselinekorrektur verwendet wurden. Lediglich die Streuung der Inter-Beat-Intervalle (SDNN) zeigt einen positiven Zusammenhang zur Valenz (s. Tab. 9.2.8). 147 ERGEBNISSE – 9.3 AUGENBEWEGUNGEN Tab. 9.2.8: Bivariate Produkt-Moment- und Partialkorrelationen der EKG-Parameter Herzschlagintervall (IBI), Herzrate (HR), Streuung der IBIs (SDNN) sowie mittlere Differenz sukzessiver IBIs (MSD) mit den Valenz und Arousal-ratings (1 Wert pro Vp pro Emotion, 55 Vpn). bc: baseline-korrigiert; bcdiff: Differenz zur Baseline. Für weitere Erläuterung der Variablennamen s. Tab. 9.2.5 .Ausgegraute Werte: nicht-signifikant, normal gedruckte Werte: signifikant auf dem 5%Niveau, fett gedruckte Werte: signifikant auf dem 1%-Niveau. Bivariate Korrelationen Partialkorrelationen Valenzrating Arousalrating 1 -.584 IBI -.018 IBIbc -.027 HR .031 HRbc .031 SDNN .122 -.139 SDNNbc .163 -.120 .115 -.031 MSD .012 -.056 -.026 -.061 MSDbc .025 -.066 -.016 -.063 IBIbcdiff -.013 .082 .043 .091 HRbcdiff .049 -.107 -.017 -.097 Valenzrating Valenzrating Arousalrating .027 -.003 .020 .096 .036 .099 -.024 .020 -.008 -.091 -.027 -.089 .050 -.085 9.3 Augenbewegungen Tab. 9.3.1 führt in Anlehnung an Tab. 8.3.1 die nach der Datenaufbereitung verfügbaren Kennwerte von Sakkaden und Lidschlägen auf. Soweit wie möglich, werden die entsprechenden Variablen ausgeschrieben. Für größere Tabellen oder Graphiken ist es jedoch teilweise notwendig, auf Kurzbezeichnungen zurückzugreifen, um unübersichtlich große Legenden oder Verwechslungen zu vermeiden. Englische Bezeichnungen sind dabei mitunter griffiger als deutsche, wie im Fall von 'speed' gegenüber 'Geschwindigkeit'. Dem Leser seien hiefür folgende Verständnishilfen an die Hand gegeben: – das Präfix stand. oder std bezeichnet die standardisierte Variante einer Variable, z.B. stdDauer. – bei Lidschlagvariablen bezeichnet cl für closure die Schließungsphase, op für opening die Öffnungsphase. – amp ist die Abkürzung für Amplitude. – speed bezeichnet die Durchschnittsgeschwindigkeit, maxspeed die Maximalgeschwindigkeit. – das Suffix bc steht wie bisher für die baseline-korrigierte Variante einer Variable. Diese Unterscheidung wird allerdings nur explizit getroffen, wenn nicht-korrigierte und baselinekorrigierte Variablen gegenübergestellt werden, ansonsten wird standardmäßig die baseline-korrigierte Version verwendet. 148 ERGEBNISSE – 9.3 AUGENBEWEGUNGEN Tab. 9.3.1: Übersicht über die verfügbaren Augenbewegungsparameter sowie ihre Kürzel Das Präfix cl (für 'closure') bzw. op (für 'opening') gibt an, ob es sich um einen Kennwert der Lidschließung oder -öffnung handelt. Für weitere Erläuterungen s. Text. Kennwert Sakkaden Intervall Amplitude Ausprägung Lidschlag (Kürzel) Intervall zusätzliche Erläuterung Zeit seit Ende des vorangegangenen Ereignis Lidschließungsamplitude (clamp) Lidöffnungsamplitude (opamp) Dauer (Durchschnitts-) Geschwindigkeit Maximalgeschwindigkeit Lidschließungsdauer (clduration) Lidöffnungsdauer (opduration) Ende: Zeitpunkt Maximalgeschwindigkeit Öffnung Verzögerung (delay) Zeit von Ende Lidschließung bis Beginn Lidöffnung Gesamtdauer (totalduration) Dauer Lidschließung + Verzögerung + Lidöffnung LidSchließgeschwindigkeit (clspeed) (Amplitude/Dauer)*1000 Lidöffnungsgeschwindigkeit (opspeed) maximale Lidschließungsgeschwindigkeit (clmaxspeed) maximale Lidöffnungsgeschwindigkeit (opmaxspeed) standardisierte Dauer stand. Gesamtdauer (stdtotaldur) standardisierte (Durchschnitts)geschwindigkeit stand. Schließgeschwindigkeit (stdclspeed) standardisierte Maximalgeschwindigkeit stand. max. Schließgeschwin-digkeit (clmaxspeed) als Prozent der für diese (Schließ)Amplitude zu erwartenden (Gesamt)Dauer als Prozent der für diese (Schließ)Amplitude zu erwartenden Durchschnittsgeschwindigkeit als Prozent der für diese (Schließ)Amplitude zu erwartenden Maximalgeschwindigkeit 9.3.1 Sakkaden Als Kennwerte zur Beschreibung einer Sakkade stehen ihre Amplitude, ihre Dauer, ihre Durchschnitts- und Maximalgeschwindigkeit sowie der zeitliche Abstand zum Ende der vorausgegangenen Sakkade (Intervall) zur Verfügung. Die Amplitude ist in erster Linie vom angestrebten Blickziel abhängig, zu dessen Bestimmung das EOG aufgrund seiner mangelnden Ortstreue nur bedingt geeignet ist, und was bei Filmen zudem einen bildweisen Abgleich mit den dargestellten Szenen erfordern würde. Die Dauern und Geschwindigkeiten einer Sakkade können im EOG eindeutig bestimmt werden und sind nach ihrer Standardisierung (s. 5.1.1.2, S.91) auch von der Amplitude unabhängig. Dementsprechend beschränkt sich die multivariate Varianzanalyse auf die Sakkadenkennwerte Intervall, standardisierte Dauer, standardisierte Geschwindigkeit und standardisierte Maximalgeschwindigkeit. Bei der Darstellung des Zusammenhangs zum subjektiven Valenz- und Arousalrating sind auch die unstandardisierten Versionen sowie die Amplitude aufgeführt, um mögliche Auswirkungen der Standardisierung deutlich werden zu lassen. In gleicher Weise werden auch wie bisher die Korrelation zu den nicht baselinekorrigierten Variablen angegeben. 149 ERGEBNISSE – 9.3 AUGENBEWEGUNGEN Abb. 9.3.1: Mittelwert und Standardfehler der baseline-korrigierten Sakkadenkennwerte Intervall zur vorausgegangenen Sakkade, standardisierte Dauer, standardisierte Geschwindigkeit und standardisierte Maximalgeschwindigkeit für die 52 Versuchspersonen, die in die multivariate Varianzanalyse eingingen. Eine multivariate Varianzanalyse mit Messwiederholung (MANOVA) für die baseline-korrigierten und pro Zielemotion gemittelten Parameter Intervall, standardisierte Dauer, standardisierte Geschwindigkeit und standardisierte Maximalgeschwindigkeit ergibt einen signifikanten Einfluss des Innersubjektfaktors 'Zielemotion' (Pillai's Spur=0.971; F35,16=15.238; p<0.000; η2partiell=0.971) für die n=52 Versuchspersonen, für die für alle Zielemotionen gültige Daten vorlagen. Ein Effekt des Zwischensubjektfaktors 'Geschlecht' oder eine Interaktion von Geschlecht und Zielemotion tritt dabei nicht auf. (Pillai's Spur=0.132; F7,44=0.953; p=0.477; η2partiell=0.132 für Geschlecht bzw. Pillai's Spur=0.653; F35,16=0.861; p=0.657; η2partiell=0.653 für Geschlecht*Zielemotion), Tab. 9.3.2 zeigt die paarweisen univariaten Vergleiche. Gegenüber der neutralen BaselineBedingung nimmt bei allen emotionalen Filmclips das Intervall zwischen zwei Sakkaden, also die Fixationsdauer ab, am stärksten bei den Filmclips zu den negativen Emotionen Ekel, Wut und Angst. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass in diesen Phasen gegenüber der Bahnfahrt mehr Informationen visuell aufzunehmen und zu verarbeiten waren. Ähnlich sinkt die standardisierte Dauer und die Durchschnittsgeschwindigkeit an, wobei diese Veränderungen allerdings nicht einheitlich und nur für die Emotionen Freude, Ekel, und Wut signifikant sind. 150 ERGEBNISSE – 9.3 AUGENBEWEGUNGEN Tab. 9.3.2: Signifikanzniveaus univariater paarweiser Vergleiche der baseline-korrigierten Sakkadenkennwerte Intervall zur vorausgegangenen Sakkade, standardisierte Dauer (std. Dauer), standardisierte Geschwindigkeit (std. speed) und standardisierte Maximalgeschwindigkeit (std. maxspeed) für die einzelnen Zielemotion. Alle signifikanten Unterschiede sind hervorgehoben, das angegebene Signifikanzniveau ist Bonferroni-korrigiert. Ausgegraute Werte: nicht-signifikant, normal gedruckte Werte: signifikant auf dem 5%-Niveau, fett gedruckte Werte: signifikant auf dem 1%-Niveau. Zielemotion Parameter neutral Freude Trauer Ekel Wut Angst neutral Freude Zielemotion Trauer Ekel Wut Intervall 0.000 0.000 0.004 0.008 std. Dauer 0.000 1.000 0.000 0.014 std. speed 0.000 1.000 0.000 0.002 std. maxspeed 0.001 1.000 0.128 1.000 0.031 1.000 0.002 0.335 0.197 Intervall std. Dauer 0.000 0.000 0.685 0.001 std. speed 0.000 0.001 1.000 std. maxspeed 0.001 0.000 1.000 0.006 Intervall 0.000 1.000 0.251 0.685 std. Dauer 1.000 0.001 0.000 0.139 std. speed 1.000 0.001 0.000 0.051 std. maxspeed 1.000 0.000 0.003 1.000 Intervall 0.004 0.031 1.000 1.000 std. Dauer 0.000 1.000 0.000 0.277 std. speed 0.000 1.000 0.000 0.020 std. maxspeed 0.128 1.000 0.003 0.050 Intervall std. Dauer 0.008 0.014 0.002 0.335 0.251 0.139 1.000 0.277 0.020 std. speed 0.002 0.197 0.051 std. maxspeed 1.000 0.006 1.000 0.050 Intervall std. Dauer 0.000 1.000 0.134 0.000 1.000 1.000 1.000 0.000 1.000 0.006 std. speed 1.000 0.000 1.000 0.000 0.001 std. maxspeed 0.257 0.000 1.000 0.001 0.287 Alle Kennwerte zeigen sowohl einen Zusammenhang zum subjektiven Arousalrating – Erregung geht mit kürzeren Fixations- und Sakkadendauern sowie höheren Geschwindigkeiten einher – als auch zur Valenzbewertung, denn positive Valenzbewertung scheint ebenfalls zu höheren Geschwindigkeiten zu führen. Der Effekt wird sogar noch deutlicher, wenn die Korrelation um den Einfluss des Arousalratings bereinigt ist, wie an den Partialkorrelationen in Tab. 9.3.3 zu erkennen. Lediglich die Geschwindigkeiten und die Dauer (die durch die erreichte Maximalgeschwindigkeit mitbestimmt wird) zeigen eine vergleichsweise Beziehung zur zweiten Bewertungsdimension, dass nämlich bei Erregung schnellere Sakkaden gemacht werden: baselinekorrigierte Geschwindigkeit und baselinekorrigierte standardisierte Geschwindigkeit korrelieren mit r=.224 bzw. r=.225 mit der Arousalbewertung (p<0.000). Da die nicht amplituden-standardisierte Variante der Maximalgeschwindigkeit die höchste Partialkorrelation (r=.316, p<0.000) zum Valenzrating aufweist, wurde mit einer univariaten Varianzanalyse (ANOVA) überprüft, ob sie eine zusätzliche Differenzierung zwischen einzelnen Emotionen ermöglicht. Der generell signifikante Effekt des Zwischensubjektfaktors 'Zielemotion' (F4,203= 17.425 nach Greenhouse-Geisser-Korrektur, p<0.000; η2partiell=0.262), ist im Einzelvergleich hier ausschließlich auf dem Unterschied von der Bedingung 'Freude' zu allen übrigen 151 ERGEBNISSE – 9.3 AUGENBEWEGUNGEN Filmclips zurückzuführen. Auf dieses Ergebnis und der generellen Beziehung von Sakkadenparameter und Valenzrating wird bei einer Gegenüberstellung von Augenbewegungsparameter und Gesichtsmuskelaktivität weiter eingegangen. Tab. 9.3.3: Bivariate Produkt-Moment- und Partialkorrelationen der Sakkaden-Parameter mit den Valenz und Arousalratings (1 Wert pro Vp pro Emotion, 57 Vpn). bc=baseline-korrigiert; std=standardisiert. Für weitere Erläuterung der Variablennamen s. Einleitung von 0. Ausgegraute Werte: nicht-signifikant, normal gedruckte Werte: signifikant auf dem 5%-Niveau, fett gedruckte Werte: signifikant auf dem 1%-Niveau. Bivariate Korrelationen Partialkorrelationen Valenzrating Arousalrating Valenzrating Arousalrating Valenzrating 1 -.587 Arousalrating -.587 1 Intervall .201 -.271 .054 -.193 Intervall bc .291 -.273 .168 -.132 Amplitude .064 -.053 .041 -.019 Amplitude bc .086 -.038 .079 .015 Dauer .080 -.120 .012 -.090 Dauer bc speed .022 .070 -.110 -.015 -.054 .075 -.121 .032 speed bc .166 .081 .265 .224 maxspeed .118 -.042 .116 .034 maxspeed bc .247 .015 .316 .204 1 1 std. Dauer .138 -.024 -.068 -.094 std. Dauer bc -.069 -.136 -.186 -.218 std. maxspeed .138 -.024 .153 .071 std. maxspeed bc .169 .050 .245 .187 stdspeed .061 .030 .097 .081 stdspeed bc .085 .131 .202 .225 9.3.2 Lidschläge Auch für die Lidschläge lässt sich aus der Menge der verfügbaren Kennwerte eine inhaltlich begründete Auswahl treffen: Die Amplitude des Lidschlags hängt zum Teil vom momentanen Blickziel ab – das Augenlid wird bei Blicken nach oben oder unten nachgeführt, wodurch sich die Breite der Lidspalte kurzzeitig verändert. Eine länger andauernde, tonische Veränderung der Lidspalte ist in erster Linie bei Ermüdung anzutreffen und damit für die vorliegende Fragestellung nicht relevant. Dementsprechend scheiden Amplituden als Parameter aus. Der Kennwert Gesamtdauer eines Lidschlags beinhaltet die Werte der Schließungsdauer, Verzögerung Schließung-Wiederöffnung und Öffnungsdauer. Um den Einfluss der Amplitude zu eliminieren, sollte die Dauer auch beim Lidschlag standardisiert werden. Gleiches gilt für die Durchschnittsund Maximalgeschwindigkeiten. Dabei ist die Amplitude der Schließphase im Rohsignal verlässlicher zu bestimmen als die der Öffnungsphase, weshalb sich die standardisierten Kennwerte jeweils auf die Schließphase beziehen. In die multivariate Varianzanalyse gehen damit ein die standardisierte Gesamtdauer, standardisierte maximale Lidschließungsgeschwindigkeit, standardisierte (durchschnittliche) Lidschließungsgeschwindigkeit sowie das Lidschlagintervall als Zeit seit Ende des letzten Lidschlags. 152 ERGEBNISSE – 9.3 AUGENBEWEGUNGEN Abb. 9.3.2: Mittelwert und Standardfehler der baseline-korrigierten Lidschlagkennwerte Intervall zum vorausgegangenen Lidschlag, standardisierte Gesamtdauer (stdtotaldur), standardisierte maximale Lidschließungsgeschwindigkeit (stdclmaxspeed) und standardisierte (durchschnittliche) Lidschließungsgeschwindigkeit (stdclspeed) für die 52 Versuchspersonen, die in die multivariate Varianzanalyse eingingen. Eine multivariate Varianzanalyse mit Messwiederholung (MANOVA) für die eben genannten baseline-korrigierten und pro Zielemotion gemittelten Parameter ergibt einen signifikanten Einfluss des Innersubjektfaktors 'Zielemotion' (Pillai's Spur=0.731; F20,31=4.214 p<0.000; η2partiell=0.731) für die n=52 Versuchspersonen, für die für alle Zielemotionen gültige Daten vorlagen. Ein Effekt des Zwischensubjektfaktors 'Geschlecht' oder eine Interaktion von Geschlecht und Zielemotion tritt dabei nicht auf. (Pillai's Spur=0.039; F4,47=0.473; p=0.755; η2partiell=0.039 für Geschlecht bzw. Pillai's Spur=0.258; F20,31=0.538; p=0.925; η2partiell=0.258 für Ge- schlecht*Zielemotion), Wie in Abb. 9.3.2 erkennbar, führen die emotionalen Filmclips gegenüber dem neutralen Filmclips zu einem deutlichen Anstieg der Lidschlagintervalle als Anzeichen für einen erhöhten visual load, d.h. Bedarf an kontinuierlicher visueller Verarbeitung mit möglichst wenig 'Unterbrechung' durch Lidschläge. Die gemachten Lidschläge dauern dabei kürzer, was durch eine erhöhte Maximal- und damit Durchschnittsgeschwindigkeit erreicht wird. Im univariaten Vergleich (s. Tab. 9.3.4) ist darüber hinaus lediglich der Unterschied in den Lidschlagintervallen bei Trauer und Ekel signifikant, ansonsten unterscheiden sich die Emotionen nicht statistisch bedeutsam voneinander. 153 ERGEBNISSE – 9.3 AUGENBEWEGUNGEN Tab. 9.3.4: Signifikanzniveaus univariater paarweiser Vergleiche der baseline-korrigierten Lidschlagkennwerte Intervall zum vorausgegangenen Lidschlag, standardisierte Gesamtdauer (stdtotaldur), standardisierte maximale Lidschließungsgeschwindigkeit (stdclmaxspeed) und standardisierte (durchschnittliche) Lidschließungsgeschwindigkeit (stdclspeed) für die einzelnen Zielemotion. Alle signifikanten Unterschiede sind hervorgehoben, das angegebene Signifikanzniveau ist Bonferroni-korrigiert. Ausgegraute Werte: nicht-signifikant, normal gedruckte Werte: signifikant auf dem 5%-Niveau, fett gedruckte Werte: signifikant auf dem 1%-Niveau. Zielemotion Parameter neutral Trauer Ekel Wut Angst Freude Zielemotion Trauer Ekel Wut Intervall 0.027 0.002 0.000 0.042 std.totaldur 0.202 0.100 0.001 0.065 std. clspeed 0.005 0.026 0.000 0.008 std.clmaxspeed 0.091 0.415 0.005 0.739 0.242 1.000 0.835 Intervall Freude neutral 0.027 std.totaldur 0.202 1.000 0.778 1.000 std. clspeed 0.005 1.000 0.395 1.000 std.clmaxspeed 0.091 1.000 Intervall std.totaldur 0.002 0.100 1.000 1.000 0.242 1.000 0.012 0.222 1.000 1.000 std. clspeed 0.026 1.000 0.096 1.000 std.clmaxspeed 0.415 1.000 0.930 1.000 Intervall std.totaldur 0.000 0.001 1.000 0.778 0.012 0.222 1.000 1.000 0.683 std. clspeed 0.000 0.395 0.096 std.clmaxspeed 0.005 1.000 0.930 Intervall std.totaldur 0.042 0.065 0.835 1.000 1.000 1.000 std. clspeed 0.008 1.000 1.000 0.683 std.clmaxspeed 0.739 1.000 1.000 0.492 0.492 1.000 1.000 Intervall 0.000 0.401 1.000 0.064 1.000 std.totaldur 0.032 1.000 1.000 0.224 1.000 std. clspeed 0.067 1.000 1.000 1.000 1.000 std.clmaxspeed 1.000 1.000 1.000 1.000 1.000 Die Korrelationen zwischen Lidschlagkennwerten und subjektiven Bewertungen während des Schauens sind insgesamt niedriger als die der Sakkadenkennwerte, die sich um die .2 bewegten, und beschränken sich ausschließlich auf die Erregungsdimension, wenn man den Einfluss der jeweils anderen Dimension herausrechnet (Partialkorrelationen, 3.+4. Spalte Tab. 9.3.5). 154 ERGEBNISSE – 9.3 AUGENBEWEGUNGEN Tab. 9.3.5: Bivariate Produkt-Moment- und Partialkorrelationen der Lidschlag-Parameter mit den Valenz und Arousalratings (1 Wert pro Vp pro Emotion, 57 Vpn). cl=Schließphase ('closures'), op=Öffnungsphase ('opening'); amp=Amplitude; std=standardisiert. Für weitere Erläuterung der Variablennamen s. Einleitung von 0. Ausgegraute Werte: nicht-signifikant, normal gedruckte Werte: signifikant auf dem 5%-Niveau, fett gedruckte Werte: signifikant auf dem 1%-Niveau. Bivariate Korrelationen Valenzrating Partialkorrelationen Arousalrating Valenzrating 1 Arousalrating Valenzrating 1 -.586 Arousalrating -.586 1.000 Intervall -.067 .134 Interval bc .017 .126 .113 .167 clamp .069 -.097 .015 -.070 clamp bc .002 -.064 -.044 -.078 opamp -.054 .093 .001 .076 opamp bc -.063 -.033 -.102 -.086 clduration .104 -.136 .031 -.093 clduration bc .103 -.160 .012 -.124 opduration .132 -.209 .012 -.164 opduration bc .074 -.168 -.031 -.155 delay -.035 -.003 -.045 -.028 delay bc .003 .000 .004 .002 totalduration .092 -.131 .020 -.095 totalduration bc .085 -.143 .002 -.115 clmaxspeed .048 -.068 .011 -.049 clmaxspeed bc -.036 .033 -.020 .015 opmaxspeed .038 -.025 .029 -.004 opmaxspeed bc -.155 .135 -.094 .056 stdtotalduration .074 -.102 .018 -.072 stdtotaldurationbc .112 -.136 .040 -.087 stdclmaxspeed -.002 .032 .020 .038 stdclmaxspeedbc -.064 .118 .006 .100 stclspeed -.025 .064 .015 .061 stdclspeed bc -.129 .173 -.035 .121 1 .014 .117 Ähnlich wie in Abb. 9.3.2 zeigt das Lidschlagintervall mit r= .167 (p<0.01) noch die höchste Partialkorrelation zum Arousal. Auch die Öffnungsdauer weist in diesem Fall einen Zusammenhang zu subjektiver Erregung auf, der sogar etwas ausgeprägter ist als der der Schließungsdauer oder der Gesamtdauer. Eine zusätzlich durchgeführte univariate Varianzanalyse (ANOVA) für die baseline-korrigierte Lidöffnungsdauer brachte zwar einen signifikanten Effekt des Zwischensubjektfaktors 'Zielemotion' (F4,191= 5.392 nach Greenhouse-Geisser-Korrektur, p<0.000; η2partiell=0.099), der allerdings im Einzelvergleich wie für die in Tab. 9.3.4 dargestellten Variablen ausschließlich auf dem Unterschied von neutraler Bedingung zu Emotionsclips beruht. 9.3.3 Selbstbewertung und Physiologie inklusive Augenbewegungskennwerte Tab. 9.3.6 gibt eine Übersicht über den Zusammenhang zwischen der kontinuierlichen Selbstbewertung, den erhobenen physiologischen Parametern und den Augenbewegungskennwerten. Der Übersichtlichkeit halber werden pro Signal nur die Kennwerte, die auch in den Balkengraphiken und univariaten Vergleichen aufgeführt wurden, dargestellt. 155 ERGEBNISSE – 9.3 AUGENBEWEGUNGEN Tab. 9.3.6: Bivariate Produkt-Moment- Korrelationenen der Augenbewegungskennwerte mit den zuvor dargestellten physiologischen Maßen mit den Valenz und Arousalratings (1 Wert pro Vp pro Emotion, 57 Vpn). EMuJoy= kontinuierliche Selbstbewertung; Sakk=Sakkadenkennwerte; Blink=Lidschlagkennwerte; für detaillierte Erläuterung der Variablennamen s. Einleitung von 0. Grau schraffierte Zellen: Korrelation verschiedener Kennwerte des selben Signals; ausgegraute Werte = nicht-signifikant, normal gedruckte Werte: signifikant auf dem 5%-Niveau, fett gedruckte Werte: signifikant auf dem 1%-Niveau. EMuJoy EMu Joy E D A E M G E K G Valenz Arousal Level amp freq max.amp corrug. orbic. zygom. IBI HR SDNN MSD 1.000 -.584 .116 -.098 .087 -.048 -.432 .394 .401 -.027 .031 .163 .025 -.584 1.000 .026 .223 .075 .222 .240 -.016 -.044 .096 -.091 -.120 -.066 EDL .116 .026 1.000 .321 .306 .435 -.099 .529 .168 -.169 .182 .208 -.058 EDRsamp -.098 .223 .321 1.000 .109 .909 .021 .270 .101 -.052 .066 .089 -.056 EDRsfreq .087 .075 .306 .109 1.000 .252 -.073 .314 .276 -.149 .155 .142 -.006 EDRsampmax -.048 .222 .435 .909 .252 1.000 .000 .427 .150 -.071 .080 .113 -.037 corrugator -.432 .240 -.099 .021 -.073 .000 1.000 -.196 -.209 .077 -.080 -.083 .055 orbicularis .394 -.016 .529 .270 .314 .427 -.196 1.000 .604 -.110 .117 .232 .015 zygomaticus .401 -.044 .168 .101 .276 .150 -.209 .604 1.000 -.138 .144 .205 -.001 IBI -.027 .096 -.169 -.052 -.149 -.071 .077 -.110 -.138 1.000 -.993 -.263 .304 HR .031 -.091 .182 .066 .155 .080 -.080 .117 .144 -.993 1.000 .305 -.286 SDNN .163 -.120 .208 .089 .142 .113 -.083 .232 .205 -.263 .305 1.000 .473 MSD .025 -.066 -.058 -.056 -.006 -.037 .055 .015 -.001 .304 -.286 .473 1.000 -.275 ? -.050 .292 stdduration -.068 stdmaxspeed ? .168 .084 .129 -.013 -.045 ? -.103 ? .358 ? .123 ? .133 .284 ? .171 ? -.138 .052 -.174 -.139 -.140 .186 .105 .025 -.028 .157 .073 ? -.018 -.315 -.224 -.119 .123 .101 .122 .049 .588 .375 -.059 .056 .083 -.042 .069 .470 .308 .036 -.044 -.070 -.120 -.137 .186 ? .237 ? .212 ? .245 ? intervall .023 .120 -.003 .019 .023 .070 .065 .051 -.012 .292 -.303 -.148 -.014 stdtotaldur .113 ? -.137 .023 -.048 -.008 .049 -.092 .141 .034 -.064 .062 .215 .162 ? .173 .013 .055 .050 .015 .196 -.052 -.006 -.007 .016 -.135 -.162 -.063 ? .050 .047 .026 .018 .144 .070 .087 -.036 .049 .011 -.070 stdclspeed stdclmaxspeed ? Herzaktivität (EKG) Valenz stdspeed B l i n k Gesichtsmuskelaktivität (EMG) Arousal interval S a k k Hautleitfähigkeit (EDA-Level & EDRs) -.129 .117 =Korrelation wird deutlich geringer, wenn Einfluss der Gesichtsmuskelaktivität herauspartialisiert wird. Für entsprechende Partialkorrelationen s. Anhang Tab. 15.3.1 (S.227) 156 ERGEBNISSE – 9.3 AUGENBEWEGUNGEN Eine vollständige Korrelationstabelle sowie eine Tabelle mit den Korrelationen der Sakkadenund Lidschlagkennwerte untereinander findet sich im Anhang (s. Tab. 15.1.2, S.225 bzw. Tab. 15.1.1, S.224). Den engsten Zusammenhang zur Selbstbewertung zeigt laut Tab. 9.3.6 die Gesichtsmuskelaktivität (EMG) als Indikator für Valenz: Aktivität des Corrugator-Muskels, der die Augenbrauen zusammenzieht ('Runzeln'), ist mit negativer Valenzbewertung assoziiert, der Zygomaticus-Muskel ('Lächeln') und der Orbicularis-Muskel ('Krähenfüße' in den Augenwinkeln) mit positiver Stimmung. Der Zusammenhang von Corrugator und Erregung verschwindet, wenn man den Einfluss der Valenzbewertung herausrechnet (Partialkorrelation, s. Tab. 9.2.4, S.144). Für die subjektive Erregungsbewertung (Arousal) sind zunächst Kennwerte der Hautleitfähigkeit indikativ, die mit um die r=.22 mit dem EMuJoy-Arousalrating korrelieren. Bei Partialkorrelationen mit dem Arousal steigt der Wert für EDRsampmax etwas auf r=.240 (s. Tab. 9.2.2, S. 141). Leicht höhere Werte erzielt das Sakkadenintervall (r=-.275), das, wie die negative Korrelation deutlich macht, mit zunehmender Erregung kürzer wird. Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass bei Erregung mehr Sakkaden gemacht werden. Grundsätzlich auffällig ist der enge Bezug der standardisierten Sakkadendauern (stdduration) und -geschwindigkeiten (stdmaxspeed, stdspeed) zur Gesichtsmuskelaktivität, insbesondere der von Orbicularis- und ZygomaticusMuskel (r=.3-.58 in Tab. 9.3.6). Inwieweit es sich hier um ein Messartefakt handeln könnte (die Elektroden für das horizontale EOG könnten EMG-Signale mit erfasst haben) wird in der Diskussion unter 10.5 (S.184) thematisiert, als erste Konsequenz wurden zu allen Augenbewegungskennwerten in Tab. 9.3.6 auch Partialkorrelationen mit der Gesichtsmuskelaktivität als Kontrollvariablen berechnet. Eine zu Tab. 9.3.6 analoge Übersicht mit Partialkorrelationen findet sich im Anhang (Tab. 15.3.1, S.227). In Tab. 9.3.6 sind alle Werte der Augenbewegungsparameter, die sich nach dem Herauspartialisieren des Einflusses der Gesichtsmuskelaktivität deutlich verringert haben, mit einem Fragezeichen gekennzeichnet, um den Leser auf einen möglichen Scheinzusammenhang hinzuweisen. Für Lidschlagkennwerte besteht diese Gefahr weniger, selbst die Korrelation mit dem musculus orbicularis oculi, der immerhin die Lidschließung bewirkt, beträgt in der unbereinigten Variante nur r=.141. Spontaner Lidschlag und emotionale Mimik scheinen also weitestgehend unabhängig voneinander, und ähnlich zeigt in der detaillierten Aufschlüsselung in Tab. 9.3.5 (S.155, vorletzte Spalte) kein Lidschlagparameter eine signifikante Partialkorrelation zur subjektiven Valenz. Erstaunlicherweise kovariiert das Lidschlag- mit dem Herzschlagintervall, eine Verlängerung der Zeit zwischen zwei Lidschlägen ist anscheinend gleichzeitig mit der Verlangsamung der Herzrate anzutreffen (rechter unterer Block in Tab. 9.3.6). Dieser Zusammenhang ist umso auffälliger, als beide Signale sonst weniger Bezug zu den übrigen physiologischen Maßen zeigen, und auch mit der kontinuierlichen Selbstbewertung nur schwach und dann mit verschiedenen Dimensionen korrelieren (Lidschlagkennwerte eher mit Erregung, beim Herzschlag die IBI-Streuung SDNN mehr mit Valenz als mit Erregung). 157 ERGEBNISSE – 9.4 AUSWERTUNG ÜBER DIE ZEIT 9.4 Auswertung über die Zeit Bei den bisher berichteten Ergebnissen handelt es sich um pro Person über die gesamte Länge mehrerer Filmclips gemittelte Werte, die wenig Rückschlüsse über den Verlauf einer Veränderung über die Zeit ermöglichen. Der Reiz der kontinuierlichen Selbstbewertung mittels EMuJoy liegt jedoch gerade darin, für den gesamten Zeitraum, und nicht nur im Anschluss eines Clips Selbsteinschätzungen zur Verfügung zu haben. Im folgenden soll deshalb die zeitliche Entwicklung der Veränderungen dargestellt werden. Es ist klar, dass in diesem Fall dem individuellen Handlungsverlauf einer Filmszene zentrale Bedeutung zukommt und nicht mehr über mehrere Filmclips mit der gleichen Zielemotion gemittelt werden kann. Daher wird pro Zielemotion der Filmclip ausgewählt, der bei der freien Emotionsbeschreibung im Anschluss am häufigsten zur Nennung eines intendierten emotionalen Zustands führte. Diese sind Anlehnung an Tab. 7.3.3 (S.110) in Tab. 9.4.1 noch mal mit zusätzlichen Informationen zum detaillierten Verlauf aufgeführt. Tab. 9.4.1: Übersicht der für eine Auswertung ausgewählten Filmclips mit Hinweisen zum detaillierten Handlungsverlauf. Deutscher Filmtitel (Kurztitel) Harry und Sally (Harry&Sally) Dauer 147s Zielemotion Inhalt Freude Eine Frau spielt einem Mann mit lautem Stöhnen in einem vollen Restaurant einen Orgasmus vor. Der Mann ist erst peinlich berührt, dann amüsiert. Sekunde im Film: Ereignis einleitendes Gespräch 80: Frau beginnt zu stöhnen 100: Stöhnen wird laut und eindeutig 135: Abklingen, Mann lacht 145: Abschließender Witz 25: Junge fängt an zu weinen Der Champ (Champ) 155s Trauer Ein Junge sieht seinen Vater nach einem Boxkampf auf einer Bahre sterben und fängt an zu weinen. 60: Junge will mit Boxer reden 100: anwesender Mann weint auch 110: Junge fleht anderen Mann an 140: Junge resigniert Maria's Lovers (Ratte) Schrei nach Freiheit (Cry Freedom) Halloween – Die Nacht des Grauens (Halloween) 66s 146s 182 Ekel Wut Angst Eine Ratte krabbelt einem unruhig schlafenden Mann in den Mund; dieser erwacht und tötet sie. Eine Gruppe Farbiger demonstriert friedlich und wird von weißen Soldaten niedergemetzelt. Eine junge Frau bewegt sich in einem dunklen Haus und entdeckt dort mehrere Leichen; sie merkt nicht, dass der Mörder auch ihr auflauert. 17: Ratte taucht auf 39: Ratte ist im Gesicht 47: Ratte ist im Mund 50: Mann befreit sich von Ratte 50: Stimmung kippt 75: Soldaten setzen Tränengas ein 90: Soldaten eröffnen das Feuer 110: Soldaten töten Fliehende 45: unheilvolle Musik beginnt 120: 1. Leiche wird entdeckt 147: 2. Leiche kippt ins Zimmer 155: 3. Leiche wird entdeckt 179: Mörder wird angedeutet 9.4.1 Datenaufbereitung & -auswertung Für jede Versuchsperson wurde für jeden Filmclip der entsprechende Kennwert in 10Sekunden-Zeitfenstern gemittelt. Für Hautleitfähigkeit und Gesichtsmuskelaktivität wurde so der 158 ERGEBNISSE – 9.4 AUSWERTUNG ÜBER DIE ZEIT bisher als Level bezeichnete Parameter, also der Mittelwert des aufbereiteten Rohsignals, gebildet. Bei Herzaktivität und Augenbewegungen wurden zunächst die in dem Zeitfenster aufgetretenen Ereignisse identifiziert (Herzschläge, Sakkaden, Lidschläge), zu jedem Ereignis die entsprechenden Kennwerte wie Intervall etc. gebildet und dann der Mittelwert dieser Kennwerte für das 10-Sekunden-Fenster berechnet. Für Lidschläge erwies es sich dabei als notwendig, das Zeitfenster auf 20 Sekunden auszudehnen, da sonst zu viele Zeitfenster ohne ein entsprechendes Ereignis und damit ohne gültige Kennwerte geblieben wäre. Der Mittelwert jedes 10bzw. 20-Sekunden-Zeitfensters wurde anschließend am Mittelwert der gesamten vorausgegangen gültigen Baselinephase (Bahnfahrt) baseline-korrigiert. Zur Durchführung der Varianzanalyse wurde diesmal auf die SPSS-Funktion Gemischte Modelle (engl.: mixed models) zurückgegriffen. Die bisher verwendete Funktion Allgemeines Lineares Modell: Messwiederholung verlangt, dass jeder Messzeitpunkt einer VP für jeden Kennwert und für jede Emotion als einzelne Variable (=Spalte in der Datenmatrix) vorliegt. Bei 18 Kennwerten wie in Tab. 9.3.6 und bis zu 19 Zeitfenstern pro Film hätte dies eine Datei ergeben, die praktisch nur schwer handhabbar gewesen wäre. Ein weiterer Vorteil der mixedModels-Funktion liegt darin, dass fehlende Daten einer Person zu einem Messzeitpunkt (=1 Zeitfenster in einem Filmclip) nicht zum kompletten Ausschluss dieser Person aus der Analyse führen (Miles & Shevlin, 2001). Bei der bisher berichteten Auswertung (1 Wert pro VP pro Zielemotion) hatten für fünf Versuchspersonen für jeweils eine Zielemotion keine Daten vorgelegen (welche das waren, ist unter 8.1.4.3, S.122 aufgeschlüsselt), so dass sich der Stichprobenumfang für die multivariate Varianzanalyse mit Messwiederholung (MANOVA) in allen Fällen um fünf Personen verringert hatte. Dies ist diesmal nicht der Fall. Allerdings lässt sich für die mixedmodels-Analyse immer nur eine abhängige Variable auswählen, es sind also keine multivariaten Analysen möglich, wie es für die gleichzeitige Auswertung mehrer miteinander im Zusammenhang stehender Kennwerte eigentlich wünschenswert wäre (Bortz, 2005). Tab. 9.4.2 zeigt das Ergebnis der mixed models-Analysen mit dem Messwiederholungsfaktor Zielemotion sowie Zeit in 10 Sekunden-Fenster, den Einfluss des Faktors Geschlecht, sowie Interaktionen von Zielemotion*Geschlecht. 159 ERGEBNISSE – 9.4 AUSWERTUNG ÜBER DIE ZEIT Tab. 9.4.2: Ergebnisübersicht univariater Varianzanalysen (SPSS: Gemischte Modelle, s. Text) mit den Innersubjektfaktoren Zeit in 10 Sekunden-Fenster (nicht dargestellt), Zielemotion, dem Zwischensubjektfaktor Geschlecht und der Interaktion Geschlecht*Zielemotion für fünf Filmclips unterschiedlicher Zielemotion. Ausgegraute Zellen: kein auf dem 5%-Niveau signifikanter Effekt. Signal EMuJoy EDA EMG EKG Sakk Blink Kennwert n Faktor Zielemotion Signifikanz (F-Wert) Faktor Geschlecht Signifikanz (F-Wert) Geschlecht*Zielemotion Signifikanz (F-Wert) signifikante Einzelvergleiche Zielemotion (nicht = alles außer) Valenz 57 p< 0.000 (F4,3067=1452,438) p< 0.000 (F1,1510=63,055) p< 0.000 (F4,3067=6,741) nicht Angst-Ekel Arousal 57 p< 0.000 (F4,2970=238,352) p= 0.616 (F1,1300=0,252) p< 0.000 (F4,2970=6,839) nicht Freude-Trauer EDL 56 p< 0.000 (F4,2677=47,263) p= 0.326 (F1,435=0,968) p< 0.000 (F4,2677=32,652) nicht Ekel-Wut, Ekel-Angst corrugator 57 p< 0.000 (F4,2890=131,663) p< 0.000 (F1,1144=28,766) p< 0.000 (F4,2890=17,121) nicht Ekel-Wut orbicularis 57 p< 0.000 (F4,2942=346,517) p< 0.000 (F1,1164=13,855) p< 0.000 (F4,2942=6,091) nicht Trauer-Wut, Trauer-Angst, Wut-Angst zygomaticus 57 p< 0.000 (F4,2992=227,952) p= 0.029 (F1,1162=4,767) p= 0.297 (F4,2992=1,227) nicht Trauer-Wut, Trauer-Angst HR 55 p< 0.000 (F4,2899=24,012) p= 0.013 (F1,1230=6,120) p< 0.000 (F4,2899=14,859) nicht Freude-Wut, Trauer-Ekel, Ekel-Angst IBI 55 p< 0.000 (F4,2887=23,244) p= 0.020 (F1,1271=5,442) p< 0.000 (F4,2887=14,990) nicht Freude-Wut, Trauer-Ekel, Ekel-Angst SDNN 55 p= 0.005 (F4,2899=3,698) p= 0.114 (F1,1301=2,500) p= 0.047 (F4,2899=2,418) nur Freude-Trauer, Freude-Wut, Freude-Angst MSD 55 p= 0.507 (F4,2871=0,828) p= 0.261 (F1,1248=1,262) p= 0.032 (F4,2871=2,638) kein Einzelvergleich signifikant interval 57 p< 0.000 (F4,3011=8,743) p= 0.540 (F1,1455=0,375) p= 0.097 (F4,3011=1,968) nur Freude-Wut, Trauer-Wut, Ekel-Angst, Wut-Angst stdduration 57 p< 0.000 (F4,2947=75,093) p= 0.031 (F1,1257=4,681) p= 0.003 (F4,2947=4,026) nicht Trauer-Wut, Trauer-Angst, Wut-Angst stdmaxspeed 57 p< 0.000 (F4,2983=101,473) p= 0.051 (F1,1348=4,681) p< 0.000 (F4,2983=7,353) nicht Trauer-Wut, Trauer-Angst, Wut-Angst stdspeed 57 p< 0.000 (F4,2957=129,460) p= 0.707 (F1,1285=0,141) p= 0.002 (F4,2957=4,162) nicht Trauer-Wut, Trauer-Angst, Wut-Angst intervall 57 p< 0.000 (F4,1461=5,759) p= 0.420 (F1,724=0,651) p= 0.068 (F4,1461=2,188) nur Freude-Trauer, Trauer-Ekel, Trauer-Wut stdtotaldur 57 p< 0.000 (F4,1522=10,494) p= 0.109 (F1,866=2,574) p= 0.329 (F4,1522=1,154) nicht Freude-Trauer, Trauer-Angst, Ekel-Wut, Ekel-Angst stdclspeed 57 p< 0.000 (F4,1499=6,573) p= 0.746 (F1,814=0,105) p= 0.162 (F4,1499=1,638) nicht Freude-Trauer, Ekel-Wut, Ekel-Angst, Wut-Angst stdclmaxspeed 57 p= 0.283 (F4,1522=1,262) p= 0.773 (F1,867=0,083) p= 0.095 (F4,1522=1,979) kein Einzelvergleich signifikant 160 ERGEBNISSE – 9.4 AUSWERTUNG ÜBER DIE ZEIT Zunächst wird deutlich, dass für alle Kennwerte bis auf die mittlere absolute Differenz aufeinander folgender Herzschläge (MSD) und die standardisierte maximale Lidschließungsgeschwindigkei (stdclmaxspeed) ein Effekt des Innersubjektfaktors Zielemotion auftritt. Da der neutrale Filmclip nicht mit in die Analyse aufgenommen worden war, kann dieser Effekt nicht auf einem bloßen Unterschied zwischen Baseline und emotionalen Filmclips beruhen. Der Übersichtlichkeit halber wurde diesmal auf die detaillierte Darstellung der univariaten Einzelvergleiche zwischen den Emotionen verzichtet, welche Emotionen sich jeweils voneinander unterscheiden oder gerade nicht, ist in der letzten Spalte von Tab. 9.4.2 zusammengefasst. Zählt man aus, so ist die positive Emotion 'Freude' seltener nicht signifikant verschieden von den negativen Emotionen (zweimal nicht von Wut bzw. Angst, viermal nicht von Trauer, die sich durch ein vergleichbares subjektives Erregungsniveau wie Freude auszeichnet, 2. Zeile in Tab. 9.4.2) als die negativen Emotionen untereinander: zweimal unterscheiden sich Trauer-Ekel nicht, fünfmal Trauer-Wut sich nicht, sechsmal Ekel-Wut bzw. Ekel-Angst sich nicht, sieben mal Wut-Angst und acht mal Trauer-Angst sich nicht. Die negativen Emotionen sind sich also untereinander ähnlicher. Anders als bei den bisherigen Varianzanalysen über alle Filmclips ist diesmal weitaus häufiger ein Geschlechtseffekt sowie eine Interaktion von Geschlecht und Zielemotion festzustellen. Dies überrascht nicht weiter, da etwa im Clip zur Zielemotion Freude aus dem Spielfilm 'Harry und Sally' die Diskussion um vorgetäuschte weibliche Orgasmen kreist. Geschlechtsunterschiede bei emotionalem Erleben und ihre Interpretation sind nicht Thema dieser Arbeit, für den interessierten Leser sind im Anhang jedoch die Verläufe der Kennwerte über die Zeit nach Geschlecht getrennt aufgeführt (Anhang Kap. 14, S.215). Als grobe Zusammenfassung lässt sich angeben, dass Frauen tendenziell höhere subjektive Valenzbewertungen sowie mehr emotionale Mimik zeigen, während die Unterschiede für die übrigen Kennwerte uneinheitlich sind bzw. je nach Zielemotion die Richtung wechseln. An dieser Stelle wird der Verlauf eines einzelnen Kennwerts , z.B. der Herzrate als Mittelwert der gesamten Stichprobe, unterschieden nach Zielemotion, auf einer einheitlichen Zeitachse (Zeit seit Filmbeginn) dargestellt. Da die einzelnen Filmclips unterschiedlich lang dauerten, sind auch die einzelnen Graphen nicht gleich lang. Aggregiert wurde immer bis zum Ende des jeweiligen Zeitfensters, wobei für das letzte Zeitfenster aufgerundet wurde. Zeitfenster 190 (bzw. 200 für die Lidschläge) des Angst-Filmclips zum Beispiel beinhaltet also nur Werte von Sekunde 180 bis Sekunde 182. Um die Anzahl der Graphiken überschaubar zu halten, werden für jedes Signal maximal zwei Parameter aufgeführt, Sakkaden und Lidschläge dabei aber getrennt behandelt. Die Graphiken zu den übrigen in Tab. 9.4.2 aufgeführten Parametern sind im Anhang zu finden. 161 ERGEBNISSE – 9.4 AUSWERTUNG ÜBER DIE ZEIT 9.4.2 EMuJoy Die beiden Dimensionen der subjektiven Bewertung, Valenz und Erregung, sind in jeweils einer eigenen Graphik dargestellt, wurden von der Versuchsperson aber immer gleichzeitig bewertet. Da ein Abfallen der über alle Personen gemittelten Erregung unter das Ausgangsniveau bei den emotionalen Filmclips nicht vorkam, ist die y-Achse in Abb. 9.4.2 auf den Bereich 0 bis 1 beschränkt. Abb. 9.4.1: Mittelwert und Standardfehler des in 10-Sekunden-Zeitfenstern gemittelten Valenzratings für 5 beispielhafte Emotionsfilmclips (n=57). Positive Werte stehen für positive Valenz (=angenehm), negative Werte für negative Valenz (=unangenehm). Abb. 9.4.2: Mittelwert und Standardfehler des in 10-Sekunden-Zeitfenstern gemittelten Arousalratings für 5 beispielhafte Emotionsfilmclips (n=57). Positive Werte stehen für Erregungsanstieg (=aufregend), die Werteskala ist auf den Bereich 0 bis 1 beschränkt. Der Freude-Filmclip (grün) zeichnet sich durch einen konstanten Anstieg von Valenz und Erregung aus, wobei erstere sich asymptotisch auf einen Wert um die 0.6 einpendelt, während die Erregung linear ansteigt, bis sie ab Sekunde 130 leicht abflacht – zu diesem Zeitpunkt kommt 162 ERGEBNISSE – 9.4 AUSWERTUNG ÜBER DIE ZEIT auch die Showeinlage der Hauptdarstellerin zu einem Ende und die Situation entspannt sich für den mit am Tisch sitzenden Mann. Der Valenz-Verlauf für Trauer (schwarz) scheint dem von Freude zu entsprechen, nur mit umgekehrten Vorzeichen (negative Valenz), und die Erregung bleibt auf einem insgesamt niedrigeren Level. Ekel (türkis) zeichnet sich durch einen rasante Zunahme sowohl der negativen Valenz-Bewertung als auch der Erregung an, die erst zum Ende hin abflacht (Mann befreit sich von Ratte). Die Valenz-Bewertung für Wut (rot) spiegelt deutlich den Verlauf der Filmszene wider, die sich von einer friedlichen, ausgelassenen Demonstration zu einem Massaker an den unbewaffneten Demonstranten wandelt: Bis ungefähr Sekunde 50 wird sie als angenehm bewertet, dann kippt die Situation um, und im weiteren wird die Szene als ähnlich aversiv wie der Ekel-Filmclip gewertet, dessen Wert sie am Ende noch übersteigt. Bezüglich Erregung verzeichnet der Angst-Filmclip (blau) die höchsten Werte, was vor allem an einem Anstieg ab Sekunde 120 liegt. Dieser wird beim Hautleitfähigkeitsniveau (EDL) noch deutlicher. 9.4.3 Hautleitfähigkeit Abb. 9.4.3: Mittelwert und Standardfehler des baseline-korrigierten Hautleitfähigkeitsniveau (EDL) in 10-SekundenZeitfenstern für 5 beispielhafte Emotionsfilmclips (n=55). Das plötzliche Auftauchen der ersten Leiche im Halloween-Filmausschnitt führt zu einem deutlichen Anstieg des Hautleitfähigkeitsniveaus, in vielen Fällen als klar erkennbare elektrodermale Reaktion (EDR). Als Beispiel kann das Rohsignal in Abb. 8.2.1 (S.128) dienen, bei der der entsprechende Filmclip mit der Zielemotion Angst um Sekunde 2000 präsentiert wurde. Einen ähnlich abrupten Anstieg gibt es nur im Ekel-Filmclip (türkis), als der schlafende Mann durch die Ratte im Mund zu ersticken droht. Ansonsten sind die Filmclips mit negativer Zielemotion durch einen vergleichbar konstanten Abfall gekennzeichnet (die schwarzen, roten und blauen Linien verlaufen bis Sekunde 70 weitestgehend parallel), während Freude (grün) zu einem nur geringen Absinken der Hautleitfähigkeit führt. Sie nimmt wieder zu, als auch die Filmszene erregter wird. 163 ERGEBNISSE – 9.4 AUSWERTUNG ÜBER DIE ZEIT 9.4.4 Gesichtsmuskelaktivität Für die Aktivität des Corrugator-Muskels (Augenbrauen zusammenziehen) zeigt sich ein klarer Bezug zur Valenzbewertung: alle negativen Filmclips gehen mit erhöhter Aktivität einher, bei Freude (grün) ist der Muskel entspannt bzw. die Aktivität zumindest unter dem Baseline-Niveau. Die rasche Handlungsentwicklung beim Ekel-Filmclip (die Ratte ist nach schon 40 Sekunden im Gesicht des Schlafenden) drückt sich darin aus, dass Ekel auch hier den steilsten Anstieg und insgesamt die höchsten Werte aufweist. Abb. 9.4.4: Mittelwert und Standardfehler der baseline-korrigierten Aktivität des musculus corrugator supercilii in 10Sekunden-Zeitfenstern für 5 beispielhafte Emotionsfilmclips (n=57). Abb. 9.4.5: Mittelwert und Standardfehler der baseline-korrigierten Aktivität des musculus orbicularis oculi in 10Sekunden-Zeitfenstern für 5 beispielhafte Emotionsfilmclips (n=57). Für den Orbicularis-Oculi-Muskel ist die Zuordnung zu Valenz etwas weniger eindeutig: beim Freude-Filmclip kommt es zwar zur stärksten Aktivität ('Krähenfüße' in den Augenwinkeln beim 164 ERGEBNISSE – 9.4 AUSWERTUNG ÜBER DIE ZEIT Lachen), aber auch bei Ekel (türkis) und bei den erschreckenden Szenen des Angst-Clips (blau) werden die Augen anscheinend ein wenig zusammengekniffen. 9.4.5 Herzaktivität Bei der Herzaktivität werden zwei Kennwerte ausgewählt: einmal die Herzrate, die laut Bradely & Lang (2000) bei negativen Reizen mit einer stärkeren Verlangsamung einher gehen sollte als bei positiven, sowie die Streuung der Inter-Beat-Intervalle (SDNN), die bei der Auswertung über alle Filmclips eine Korrelation zum Valenzrating gezeigt hatte (s. Tab. 9.2.8, S.148). Abb. 9.4.6: Mittelwert und Standardfehler der baseline-korrigierten Herzrate in 10-Sekunden-Zeitfenstern für 5 beispielhafte Emotionsfilmclips (n=55). Wie in Abb. 9.4.6 zu sehen, geht der Beginn aller emotionalen Filmclips zwar mit einem Abfall der Herzrate einher, und für Trauer, Ekel, Wut und Angst (schwarze, türkise, rote und blaue Linien) ist dieser nach den ersten 10 Sekunden stärker als für Freude. Dann wandelt sich allerdings das Bild: während Trauer, Ekel und Angst weiterhin durch einen Rückgang gekennzeichnet sind, der stärker ist als der für Freude, kommt die Herzrate bei Wut fast wieder auf das Ausgangsniveau zurück und liegt höher als alle übrigen Emotionen. Lediglich Trauer zeigt eine bis zum Ende weitestgehend konstant bleibenden Herzratenverlangsamung, Angst und Freude (blau und grün) lassen sich aber nicht gut unterscheiden. 165 ERGEBNISSE – 9.4 AUSWERTUNG ÜBER DIE ZEIT Abb. 9.4.7: Mittelwert und Standardfehler der baseline-korrigierten Aktivität des Streuung der Inter-Beat-Intervalle (SDNN) in 10-Sekunden-Zeitfenstern für 5 beispielhafte Emotionsfilmclips (n=55). Noch stärker ist dies bei der Streuung der Inter-Beat-Intervalle zu beobachten: Nach einem sehr deutlichen Abfall unabhängig von der Zielemotion des Filmclips in den ersten zwanzig Sekunden steigt die Streuung im weiteren Verlauf lediglich für Freude wieder etwas an. Ansonsten bleibt sie auf dem niedrigen Niveau, und es sind keine klaren Unterschiede zwischen den negativen Emotionen zu erkennen. Die lokalen Tiefpunkte für den Angst-Graphen beim Zeitfenster bis Sekunde 120 sowie am Ende könnten zwar noch eine Reaktion auf die 'Schreckmomente' im Film interpretiert werden, und im Wut-Clip haben die Soldaten zu Sekunde 110 begonnen, Fliehende zu töten, aber die Zuordnung solch phasischer Veränderungen ist bei weitem nicht so eindeutig wie etwa bei der Hautleitfähigkeit. 9.4.6 Sakkaden Abb. 9.4.8: Mittelwert und Standardfehler der baseline-korrigierten standardisierten durchschnittlichen Sakkadengeschwindigkeit (stdspeed) in 10-Sekunden-Zeitfenstern für 5 beispielhafte Emotionsfilmclips (n=57). 166 ERGEBNISSE – 9.4 AUSWERTUNG ÜBER DIE ZEIT Die standardisierte durchschnittliche Sakkadengeschwindigkeit (stdspeed, s. Abb. 9.4.8) ähnelt in ihrem Aktivierungsmuster auf dem ersten Blick sehr stark dem musculus orbicularis oculi (s. Abb. 9.4.5, S.164): stärkster Anstieg bei Freude, leichter Anstieg bei Ekel und bei Angst am Ende, weitestgehend konstant bei Wut und Trauer. Allerdings beginnt in Abb. 9.4.8 der Anstieg bei Freude erst ab ca. Sekunde 60, während er beim orbicularis oculi auch schon in den ersten sechzig Sekunden stattfand, und die Zunahme bei Angst erscheint kontinuierlicher als beim Augenringmuskel. Die standardisierte Sakkadendauer (stdduration) in Abb. 9.4.9 entspricht im wesentlichen der an der x-Achse gespiegelten standardisierten Sakkadengeschwindigkeit, da sie nach der Standardisierung von der jeweiligen Sakkadenamplitude unabhängig ist und nur noch von der zugrunde liegenden Geschwindigkeit abhängt. Abb. 9.4.9: Mittelwert und Standardfehler der baseline-korrigierten standardisierten Sakkadendauer (stdduration) in 10Sekunden-Zeitfenstern für 5 beispielhafte Emotionsfilmclips (n=57). 167 ERGEBNISSE – 9.4 AUSWERTUNG ÜBER DIE ZEIT 9.4.7 Lidschläge Abb. 9.4.10: Mittelwert und Standardfehler der baseline-korrigierten standardisierten durchschnittlichen Lidschließgeschwindigkeit (stdclspeed) in 10-Sekunden-Zeitfenstern für 5 beispielhafte Emotionsfilmclips (n=57). Die standardisierte durchschnittliche Lidschließgeschwindigkeit (stdclspeed) in Abb. 9.4.10 zeigt nicht den gleichen engen Bezug zur Aktivität des musculus orbicularis oculi wie der entsprechende Sakkadenkennwert aus Abb. 9.4.8: Ist sie in den ersten zwanzig Sekunden für alle Emotionsclips gegenüber der Baseline erhöht, so fällt sie bis zur 100. Sekunde für Freude am stärksten ab, um dann ähnlich wie für Angst wieder anzusteigen. Auch für Wut findet sich ab dem Zeitpunkt ein leichter Anstieg. Für alle drei Filmclips ist um diese Zeit herum zwar eine generelle Intensivierung der Handlung anzutreffen, es lassen sich dem Anstieg der standardisierten Lidschließgeschwindigkeit allerdings keine spezifischen Ereignisse oder Veränderung im Arousal-Rating zuordnen (s. Abb. 9.4.2, S.162). Lediglich der Verlauf bei Trauer entspricht dem der subjektiven Erregungsbewertung in Abb. 9.4.2. Da auch hier die standardisierte Lidschlagdauer (stdtotaldur) weitestgehend der an der x-Achse gespiegelten standardisierten Geschwindigkeit ähnelt, wird das Lidschlagintervall als zweite Beispielgraphik ausgewählt. 168 ERGEBNISSE – 9.4 AUSWERTUNG ÜBER DIE ZEIT Abb. 9.4.11: Mittelwert und Standardfehler des baseline-korrigierten Lidschlagintervalls in 10-Sekunden-Zeitfenstern für 5 beispielhafte Emotionsfilmclips (n=57). Am auffälligsten ist beim Lidschlagintervall die von Beginn starke Verlängerung gegenüber dem vorangegangenen neutralen Reiz, der Baseline. Für den Ekel-Clip, bei dem sich das zentrale Thema aufgrund seiner Kürze sehr früh entfaltet, beträgt die Zeit zwischen zwei Lidschlägen mehr als doppelt so viel wie in der neutralen Bedingung. Zum Ende hin, als sich die Situation aufklärt (der Mann schlägt bis zum Ende des Filmclips auf die dann tote Ratte ein) und beim Zuschauer weniger Bedarf an ununterbrochenem visuellen Informationsfluss besteht, sinkt die Lidschlagrate ungefähr auf das Niveau des Trauer-Clips (schwarz), bei dem es wenig überraschende Wendungen gibt (und der deshalb umso deprimierender wirkt). Für die übrigen drei Emotionsclips Freude (grün), Wut (rot) und Angst (blau), gibt es im weiteren Verlauf mit zunehmender Komplexität der Filmhandlung einen Anstieg der Zeit zwischen den Lidschlägen, der allerdings individuellen Variationen unterliegt, wie man an den relativ großen Standardfehlern erkennt. 9.4.8 Korrelation aller Parameter Analog zur Übersicht über den Zusammenhang der Augenbewegungsparametern mit den übrigen physiologischen Kennwerten bei der Auswertung über alle Filme (Tab. 9.3.6, S.156) folgt an dieser Stelle eine Korrelationstabelle für die Auswertung in 10-Sekunden-Zeitfenstern (s. Tab. 9.4.3) 169 ERGEBNISSE – 9.4 AUSWERTUNG ÜBER DIE ZEIT Tab. 9.4.3: Bivariate Produkt-Moment-Korrelationen der physiologischen Maße mit den Valenz- und Arousalratings für die in 10-Sekunden-Fenstern ausgewerteten Filmclips (n=57 Vpn). EMuJoy=kontinuierliche Selbstbewertung; Sakk=Sakkadenkennwerte; Blink=Lidschlagkennwerte; für detaillierte Erläuterung der Variablennamen s. Einleitung von 0. Grau schraffierte Zellen: Korrelation verschiedener Kennwerte des selben Signals; ausgegraute Werte: nichtsignifikant, normal gedruckte Werte: signifikant auf dem 5%-Niveau, fett gedruckte Werte: signifikant auf dem 1%Niveau. Das Signifikanzniveau variiert je nach Signal (Anzahl gültige VP, s. Tab. 9.4.2 S.160) leicht. EMuJoy Valenz EMu Joy EDA E M G E K G S a k k B l i n k Arousal EDA EMG Level corrug orbic. EKG zygom. IBI HR SDNN MSD Valenz 1.000 -.341 .043 -.357 .344 .379 .036 -.035 .084 .043 Arousal -.341 1.000 .089 .099 .011 -.019 -.092 .101 .010 .004 EDL .043 .089 1.000 -.037 .388 .130 -.157 .177 .114 .058 EMGLsco -.357 .099 -.037 1.000 -.105 -.140 -.015 .006 -.058 -.003 EMGLsor .344 .011 .388 -.105 1.000 .616 -.153 .170 .167 .082 EMGLszy .379 -.019 .130 -.140 .616 1.000 -.141 .152 .130 .038 IBI .036 -.092 -.157 -.015 -.153 -.141 1.000 -.990 -.062 .240 HR -.035 .101 .177 .006 .170 .152 -.990 1.000 .115 -.205 SDNN .084 .010 .114 -.058 .167 .130 -.062 .115 1.000 .634 MSD .043 .004 .058 -.003 .082 .038 .240 -.205 .634 1.000 interval -.008 .000 -.011 .015 .094 .043 .078 -.073 -.039 -.022 stdduration ? -.002 ? .022 -.295 -.183 -.028 .017 -.004 .012 .319 -.093 ? .080 ? .026 ? .040 ? -.151 -.132 .179 ? stdspeed .196 ? intervall .013 stdtotaldur ? -.046 -.069 -.087 .064 .061 ? .044 .058 .098 -.021 .046 ? .046 .121 stdmaxspeed stdclspeed stdclmaxspeed .079 -.057 .026 .239 ? .006 .212 ? .008 .480 .306 -.046 .075 -.055 .046 -.047 -.037 .170 .005 .074 .039 .511 .103 ? .056 ? .196 ? -.174 -.088 -.009 .013 -.017 .053 ? .027 -.033 -.007 .011 -.040 .007 .083 .028 -.020 .002 .071 ? =Korrelation wird deutlich geringer, wenn Einfluss der Gesichtsmuskelaktivität herauspartialisiert wird Für entsprechende Partialkorrelationen s.Anhang Tab. 15.4.1 (S.228) Die Korrelationen sind insgesamt etwas niedriger als bei der Auswertung über alle Filmclips ohne Berücksichtigung der Zeit und bewegen sich im Bereich von r=.35 für die Gesichtsmuskelaktivität bzw. .2 bis .1 für die übrigen Kennwerte. Wie auf den letzten Seiten dargestellt, zeigen die meisten Biosignale sowie die kontinuierliche Selbstbewertung einen leicht unterschiedlichen Verlauf über die verschiedenen Zielemotionen, weshalb Tab. 9.4.4 den Zusammenhang zwischen Selbstbewertung und physiologischen Kennwerten zusätzlich nach Emotionen aufschlüsselt. 170 ERGEBNISSE – 9.4 AUSWERTUNG ÜBER DIE ZEIT Tab. 9.4.4: Partialkorrelationen der physiologischen Maße mit den Valenz- und Arousalratings für die in 10-SekundenFenstern ausgewerteten Filmclips(n=57 Vpn), aufgeschlüsselt nach Zielemotion. EMuJoy=kontinuierliche Selbstbewertung; Sakk=Sakkadenkennwerte; Blink=Lidschlagkennwerte; für detaillierte Erläuterung der Variablennamen s. Einleitung von 0. Grau schraffierte Zellen: Korrelation verschiedener Kennwerte des selben Signals; ausgegraute Werte: nicht-signifikant, normal gedruckte Werte: signifikant auf dem 5%-Niveau, fett gedruckte Werte: signifikant auf dem 1%-Niveau. Das Signifikanzniveau variiert je nach Signal (Anzahl gültige VP, s. Tab. 9.4.2, S.160) und Zielemotion (Anzahl Zeitfenster beim zugehörigen Films) leicht. Valenzrating (ohne Arousal) Freude Trauer EMu Joy EDA E M G E K G S a k k B l i n k Valenz 1 1 Ekel Wut 1 1 Arousalrating (ohne Valenz) Angst Freude Trauer Ekel Wut Angst 1 Arousal 1 1 1 1 1 EDL .045 .092 .114 .135 -.035 -.025 .105 .158 -.016 .124 EMGLsco -.133 -.306 -.180 -.274 -.079 .031 -.141 .090 -.162 .064 EMGLsor .308 -.085 -.135 .093 .019 .253 .019 .133 .039 .106 EMGLszy .370 .084 -.020 .200 -.063 .153 .100 .072 .159 .026 IBI .101 .166 -.076 .034 .114 -.051 .007 -.114 .028 -.113 HR -.095 -.176 .064 -.036 -.115 .061 -.006 .102 -.006 .119 SDNN .021 -.044 .001 .068 .057 .204 .131 -.076 .025 -.052 MSD .045 .018 .030 -.005 .094 .128 .035 -.056 -.005 .044 interval .233 -.048 -.032 -.042 -.114 -.002 -.002 .014 .037 -.069 -.117 .045 -.128 .124 -.033 -.044 .016 -.179 -.005 -.064 .098 ? -.118 .071 .043 .000 .146 .060 ? -.072 .154 ? -.013 .107 .095 .069 .114 -.036 .157 .024 stdduration -.127 ? .146 ? stdmaxspeed .176 ? -.035 .043 .072 intervall -.032 .119 .050 -.026 stdspeed stdtotaldur .056 .069 -.187 .114 -.115 .148 .010 .152 .176 ? -.021 .190 ? -.196 .008 ? .163 -.057 .204 .000 stdclspeed .007 .096 -.154 .051 -.076 -.022 -.100 -.177 stdclmaxspeed .080 .084 -.160 .056 .002 .034 .050 -.142 ? =Korrelation wird deutlich geringer, wenn Einfluss der Gesichtsmuskelaktivität herauspartialisiert wird. Für entsprechende s. Tab. 15.4.2 (S.229) Durch die Aufschlüsselung nach Emotionen gelingt es eher, Ähnlichkeiten im Verlauf der Mittelwerts-Graphiken der letzten Seiten auch in den Korrelationen wieder zu finden: Der Zusammenhang von Hautleitfähigkeit und Valenz etwa ist in erster Linie durch eine positive Korrelation zwischen Abfall des Hautleitfähigkeitsniveaus und verstärkt negativer Valenz-Bewertung für Trauer, Ekel und Wut zurückzuführen. Für beide Variablen EDL und Valenz werden die Werte zunehmend negativ und die Korrelation damit positiv. Für Freude und Angst besteht keine derartige Beziehung, denn trotz einer Änderung des Hautleitfähigkeitsniveaus im Verlauf der Filmclips (s. Abb. 4.4.3, S.55) bleibt die Richtung der Valenzbewertung (positiv bzw. negativ) über den jeweiligen Filmclip konstant (s. Abb. 4.4.1), was in Tab. 9.4.4 zu einer Korrelation um die Null herum führt. Dafür zeigt das Hautleitfähigkeitsniveau bei Angst einen Bezug zur Erregung (r=.124, p<0.01), ähnlich wie bei Ekel (r=.158, p<0.01). Die Streuung der Herzrschlagintervalle (SDNN) zeigt nur für Emotionen, bei denen die Erregung auf einem mittleren Niveau bleibt (Freude und Trauer) einen Bezug zum Erregungsverlauf, dass nämlich Erregungszunahme mit einem Anstieg der Streuung verbunden ist. Die posi- 171 ERGEBNISSE – 9.5 ZUSAMMENFASSUNG tiv gefärbte Erregung bei Freude geht zudem mit einem signifikanten Anstieg der mittleren Abweichung aufeinanderfolgender Herzschläge (MSD) einher. Insgesamt sind die Korrelationen aber auch bei dieser Unterscheidung nach Emotionen alle eher niedrig und bewegen sich bestenfalls in einem Bereich von .1 bis .2, lediglich die Gesichtsmuskelaktivität erzielt wieder höhere Werte. Bei der vermeintlich überraschenden Korrelation zwischen Aktivität des Zygomaticus-Muskels und Valenz bei Wut sei wieder auf die Codierung der Variablen und den Filmclip-Verlauf verwiesen: der fröhlich-ausgelassen Beginn (= positive Valenz-Bewertung) schlägt um in ein Massaker an den Demonstrierenden (=negative Valenz-Bewertung), was mit einer nachlassenden Zygomaticus-Aktivierung einhergeht. 9.5 Zusammenfassung Die Auswertung der kontinuierlichen Selbstbewertung, der physioloigschen Signale inklusive der Augenbewegungen erfolgte auf zwei Arten: Zum einen eine Aggregierung der über alle emotionalen Filmclips gemittelten Werte mit einem Wert pro Proband pro Emotion, zum anderen als Auswertung über die Zeit in 10-Sekunden-Zeitfenstern (bei Lidschlägen 20 Sekunden) für die fünf Emotions-Filmclips, die sich aufgrund der Emotionsbenennung im Anschluss als am besten geeignet erwiesen hatten, die jeweilige Zielemotion hervorzurufen (s. a. Zusammenfassung 8.1.5, S.124). Die kontinuierliche Selbstbewertung mittels EMuJoy (Nagel et al., 2007) ermöglicht dabei eine Unterscheidung zwischen positiven und negativen Emotionen sowie aufgrund der unterschiedlichen Erregungs-Bewertung noch zwischen Trauer und den stark erregend wirkenden Emotionen Ekel, Wut und Angst (s.a. Zusammenfassung 9.1.2, S.138). Bei den physiologischen Maßen zeigt Gesichtsmuskelaktivität den engsten Zusammenhang zur subjektiven Valenz-Bewertung, da negative Einschätzungen mit erhöhter Aktivität des musculus corrugator supercilii (Augenbrauen zusammenziehen) verbunden ist, und Freude zu starker Aktivität des musculus orbicularis oculi (Augen zusammenkneifen) und zygomaticus major (Lachen) führt. Die letzten beiden Gesichtsmuskeln zeigen zudem bei Ekel eine gegenüber Trauer, Wut und Angst erhöhte Aktivität. Für die subjektive Erregung sind neben der (maximalen) Amplitude der Spontanfluktationen in der Hautleitfähigkeit noch die Sakkadengeschwindigkeit mit jeweils Partialkorrelationen um die .2 (p<.01) zum Arousalrating indikativ. Die Herzrate zeigt bei einer Auswertung über alle Filmclips keinen einheitlichen Bezug zu Emotionen, außer dass emotionale Reize grundsätzlich zu einer Verlangsamung gegenüber neutralen führen. Mit der subjektiven Bewertung korreliert lediglich die Streuung der Herzschlagintervalle (SDNN) signifikant, wobei dies bei einem Herausrechnen der jeweils anderen Bewertungsdimension (Partialkorrelation) auf einem Zusammenhang zur Valenz-Bewertung zurückzuführen ist (r=.115, p<.05, s. Tab. 9.2.8, S.148). Der erhöhte visuelle Informationsbedarf während der emotionalen Filmclips drückt sich neben dem Anstieg im Lidschlagintervall auch in einer Abnahme der Zeit zwischen zwei Sakkaden aus. Die gemachten Sakkaden haben zudem unabhängig von ihrer Amplitude (Amplitudenstandardisierte Kennwerte) eine geringere Dauer, was durch erhöhte Geschwindigkeiten er- 172 ERGEBNISSE – 9.5 ZUSAMMENFASSUNG reicht wird. Dabei verändern sich diese Werte im Zusammenspiel mit Aktivität des musculus orbicularis oculi und zygomaticus major (Korrelationen zwischen .3 bis .6, p<.01, s. Tab. 9.3.6 S.156). Für Lidschlagkennwerte ist dies nicht der Fall, dort ist die Korrelation zum musculus corrugator supercilii mit r<.2 (p<.01) am höchsten. Das Lidschlagintervall zeigt zudem einen Zusammenhang zur Herzrate (r=-.3, p<.01 s. Tab. 9.3.6 S.156). Bei der detaillierten Analyse des Verlaufs der Kennwerte über 10-Sekunden-Zeitfenster für exemplarische Filmclips zeichnet Ekel sich durch einen raschen Anstieg der subjektiven Bewertung aus, Freude und Trauer durch einen eher asymptotischen Verlauf. Bei Wut spiegelt sich zudem das 'Umschlagen' der Situation von einer friedlichen Demonstration in einen Gewaltexzess deutlich in der kontinuierlichen Valenzbewertung wider. Das Hautleitfähigkeitsniveau ist durch einen konstanten Abfall für negative Emotionen gekennzeichnet, wobei es aufgrund plötzlich auftretender, 'erschreckender' Ereignisse jedoch zu einem starken Anstieg kommen kann. Für die Gesichtsmuskelaktivität zeigen sich die gleichen Befunde wie bei der Auswertung über alle Filmclips ohne Berücksichtigung des zeitlichen Verlaufs. Die Herzrate fällt zu Beginn eines jeden Filmclips zunächst ab, erreicht dann nur für Wut fast wieder das Ausgangsniveau, während sie für die anderen Emotionen auf einem niedrigeren Niveau bleibt, allerdings uneinheitlich. Der Rückgang in den ersten Sekunden aller Filmclips ist auch in der Streuung der Herzschlagintervalle (SDNN) zu finden, die lediglich für Freude im weiteren Verlauf wieder zunimmt. Standardisierte Sakkadengeschwindigkeit und -dauer zeigen auch in den 10-SekundenZeitfenstern Ähnlichkeit zum Aktivitätsmuster des Augenringmuskels (orbicularis oculi), für die standardisierten Lidschließungsgeschwindigkeit ist dies nicht festzustellen, allerdings auch kein Bezug zu einer spezifischen Emotion oder dem generellen Arousalrating zu erkennen. Beim Lidschlagintervall besteht der Bezug in erster Linie zum visual load des jeweiligen Filmclips, es ist von Anfang an deutlich verlängert gegenüber der Baseline, steigt jedoch nur weiter an, wenn der Inhalt des Films es erforderlich erscheinen lässt. Die Korrelationen der physiologischen Werte untereinander und mit dem kontinuierlichen subjektiven Valenz- und Arousalrating nehmen bei einer Auswertung über 10-Sekunden-Zeitfenster gegenüber der Auswertung ohne Berücksichtigung der Zeit für die meisten Kennwerte ab. Zumindest für den Bezug zur kontinuierlichen subjektiven Bewertung steigen sie für einzelne Kombinationen von Kennwert und Zielemotion jedoch etwas an, wenn man die Korrelationen für jede Emotion getrennt berechnet. 173 DISKUSSION DER ERGEBNISSE – 10.1 FILMCLIPS, EMUJOY UND SUBJEKTIVE BEWERTUNGEN Diskussion Im Anschluss an die Darstellung der Ergebnisse wird nun ihre Bedeutung für die Beantwortung der unter 6.3 (S.106) aufgeführten Fragestellung sowie der Bezug zu den im ersten Teil geschilderten Emotionstheorien diskutiert. Anschließend werden Verbesserungsmöglichkeiten für weitere Studien genannt sowie schließlich ein genereller Ausblick gegeben. 10 Diskussion der Ergebnisse Die unter 6.3 (S.106) aufgeworfenen Fragen waren folgende: 1. Lassen sich durch die Darbietung von Filmclips bei gleichzeitiger Bewertung mittels EMuJoy Emotionen induzieren? 2. Führt diese Art der Emotionsinduktion und gleichzeitiger Bewertung zu physiologischen Veränderungen, die mit bisherigen Befunden aus der Literatur vergleichbar sind? 3. Lassen sich dabei Unterschiede zwischen bestimmten Zielemotionen erkennen? 4. Wie sieht der Zusammenhang zwischen physiologischen Veränderungen und kontinuierlicher subjektiver Bewertung aus? 5. Welchen Zusammenhang zeigen Augenbewegungsparameter zu der subjektiven Bewertung sowie den übrigen physiologischen Parametern? 10.1 Filmclips, EMuJoy und subjektive Bewertungen Die erste Frage lässt sich in drei Punkte aufgliedern: Der Einsatz von Filmclips zur Emotionsinduktion, die gleichzeitige Benutzung von EMuJoy und das Ergebnis der subjektiven Bewertung für verschiedene Emotionen. 10.1.1 Filme zur Emotionsinduktion Die hohe Übereinstimmung der Emotionsbenennung im Anschluss mit der Zielemotion des Filmclips von 87% (siehe Tab. 8.1.2, S.118) ist zunächst einmal der sorgfältigen Auswahl geeigneter Filmclips durch Phillipot (1993), Gross & Levenson (1995) und später Hagemann et al. (1999) sowie Hewig et al. (2005) zu verdanken. Filmclips, die verlässlich Freude induzieren, scheinen dabei mit am schwierigsten zu bestimmen zu sein, denn die beiden anderen FreudeFilmclips neben der Szene aus Harry & Sally wurden im Anschluss des öfteren als 'peinlich' oder 'übertrieben' bezeichnet, und auch bei Harry & Sally gibt es zwar eine häufige Nennung der Zielemotion (73%), aber mit 18% ebenso einen relativ großen Anteil von Probanden, denen die Szene ebenfalls peinlich oder unangenehm war (s. Tab. 8.1.2, S.118). Durchgänge mit nicht-zutreffender Emotionsbenennung fanden, wie gesagt, keinen Eingang in die Auswertung über alle Probanden (s. 8.2, S.126). Ekel wiederum scheint zumindest mit Filmclips nur relativ kurze Zeit als Emotion aufrechtzuerhalten zu sein: beide Ekel-Filmclips dauerten nur um die 1 Minute, und auch ein dritter nicht eingesetzter Filmclip aus dem Film Pink Flamingo (s. Hewig et 174 DISKUSSION DER ERGEBNISSE – 10.1 FILMCLIPS, EMUJOY UND SUBJEKTIVE BEWERTUNGEN al., 2005) weist nur eine Dauer von 29 Sekunden auf. Daneben gibt es weitere Parallelen bei den zum Hervorrufen einer bestimmten Emotion gezeigten Filmen: – die Ekel-Clips zeigen beide Male einen Schlafenden, der sich beim Aufwachen mit einem Tierkadaver im Bett (Der Pate) bzw. einer Ratte im Mund findet (Ratte). – Die Trauer-Clips variieren das Thema Verlust, sei es aufgrund eines Abschieds (Killing Fields) oder duch Tod (Offizier1), der bei The Champ noch dadurch gesteigert wird, dass es sich bei dem Betroffenen um ein Kind handelt. – alle Angst-Clips spielen in geschlossenen Räumen, größtenteils dunkel (Halloween, Schweigen der Lämmer), und es ist jeweils nicht klar, was hinter der nächsten Tür lauert. – den Wut-Clips ist gemeinsam, dass zu Beginn jeweils Minderheiten gezeigt werden, die sich friedlich für ihre Freiheit einsetzen (Gandhi, Cry for Freedom) oder ihren Traditionen folgen (The Witness), und deswegen erniedrigt oder körperlich angegriffen werden. Die Intensität der Gewalt scheint dabei in direktem Zusammenhang mit der vom Zuschauer erlebten Wut zu stehen, denn während bei The Witness den Amish People nur Softeis ins Gesicht gedrückt wird, wird der Protagonist bei Gandhi verprügelt und die Demonstranten in Cry Freedom getötet. Letzteres war denn auch der Clip, bei dem die meisten Probanden 'Wut' empfanden. Auch der Filmclip, den Montoya et al. (2005) zur Auslösung dieser Emotion benutzen, behandelt das Thema Rassismus. Es fällt auf, wie stark die gezeigten Szenen den von Lazarus beschriebenen core relational themes (s. Tab 3.2.1, S.28) entsprechen: für Ekel wird dort beispielsweise 'ein ungenießbares Objekt… aufnehmen oder zu nahe sein' angegeben, für Wut 'ein herabsetzender Angriff auf mich und die Meinen' und für Angst 'unsicherer existentieller Bedrohung ausgesetzt sein'. Dagegen passen Scherers kognitive Bewertungsmuster für die entsprechenden Emotionen (s. Tab. 3.3.1, S.57) zumindest auf die vorhandenen Filmclips weniger gut: Weder ist die Entwicklung bei Wut sehr plötzlich ('Plötzlichkeit: hoch' im Bewertungsmuster), noch ist die Dringlichkeit bei Ekel nur 'mittel'. Allerdings werden für die entsprechenden Stimulus-Evaluation-Checks (SECs) in Scherers Modell vermutlich andere Zeitfenster als eine sich über etliche Sekunden entwickelnde Filmszene angenommen. 10.1.2 Einsatz von EMuJoy zur kontinuierlichen Filmbewertung Die Bewertung von emotionalen Bildreizen auf den beiden Dimensionen Valenz und Erregung (Arousal) erfolgt in der Emotionspsychologie auch bei Filmclips bisher überwiegend im Anschluss an den dargebotenen Reiz (z.B. Hewig et al., 2005; Britton et al., 2006; Demaree et al., 2006) oder bei kontinuierlichen Bewertung auf der Dimension Valenz (Mauss et al., 2005) bzw. in der Medienpsychologie auf der Dimension Gefallen (Bente, 2003). Dem liegt vermutlich unter anderem die Überlegung zugrunde, dass ein kontinuierliches Überwachen des Bewertungsinstruments (ein Drehregler bei Mauss et al., eine kleine Fernbedienung mit einer LeuchtdiodenSkala bei Bente) bei mehr als einer Dimension schnell zu viele Blicke weg vom dargestellten 175 DISKUSSION DER ERGEBNISSE – 10.1 FILMCLIPS, EMUJOY UND SUBJEKTIVE BEWERTUNGEN Reiz erfordern würde. Dieser Nachteil tritt bei der überlagerten Darstellung, wie sie im EMuJoySetup von Nagel et al. (2007) gelöst ist, nicht auf. Die hohe 'Trefferate' bei der Emontionsbenennung im Anschluss (87%) legt nahe, dass die Bedienung nicht mit der Verarbeitung der Filmclips interferierte. Auch bei der Versuchsdurchführung gab es von keinem Probanden Aussagen, die in die diese Richtung gingen. Schwierigkeiten traten wenn überhaupt, dann mit dem grundsätzlichen Prinzip kontinuierlicher Bewertung auf, das aber durch eine verlängerte Trainingsphase mit Musikstücken bewältigt werden konnte (s. 7.3.1.3 S.110). Lediglich ein Proband konnte kein ausreichend variierendes kontinuierliches Rating vornehmen und wurde deshalb von der weiteren Analyse ausgeschlossen (s. 8.1.4.3, S.122 sowie Abb. 8.1.6 S.124). Die Tatsache, dass der Versuchsaufbau grundsätzlich praktikabel war, bedeutet allerdings noch nicht, dass das EMuJoy-Messprinzip auch valide Messwerte lieferte. 10.1.3 Ergebnis der subjektiven Bewertungen Die Überprüfung der Plausibilität des Bewertungsverhaltens geschah in der vorliegenden Studie auf mehrere Arten: Zunächst durch Analyse der Emotionsbenennung im Anschluss (s. 8.1.3, S.121) sowie einen Abgleich des individuellen Bewertungsverlauf als EMuJoy-'Rohsignal' über den gesamten Versuch, beispielhaft veranschaulicht in Abb. 8.1.1 (S.119) und Abb. 8.1.6 (S.124). Dann über eine Anordnung der EMuJoy-Bewertungen in den letzten beiden Sekunden, aufgeschlüsselt nach anschließender Emotionsbenennung in Abb. 8.1.2 (S.120) und Abb. 8.1.3 (S.121) sowie auf individueller Basis in Abb. 8.1.5 (S.123, 1 Wert pro VP pro Emotion). Insbesondere die letzte Graphik machte deutlich, dass auch die unteren beiden Quadranten des zweidimensionalen Bewertungsraums (Absinken der Erregung) gerade für die neutralen Filmclips sowie die mit der Zielemotion Freude und Trauer genutzt wurden. Statistisch abgesichert wurden Unterschiede zwischen den Emotionen in 9.1.1 (S.137) mittels einer Varianzanalyse mit Messwiederholung, bei der sich im univariaten Einzelvergleich auf der Valenzdimension Freude signifikant von dem neutralen Filmclip sowie den Emotionen mit negativer Valenz unterschied, und auf der Arousaldimension Trauer und Freude von Ekel, Wut und Angst sowie der neutralen Bedingung. Von den drei negativen Emotionen Ekel, Wut und Angst unterschieden sich nur Ekel und Angst signifikant bezüglich der Valenz (Ekel wird als unangenehmer beurteilt als Angst), der Unterschied zwischen Ekel und Wut ist mit p=.085 im univariaten Vergleich höchstens tendenziell signifikant. Auf der Arousal-Dimension sind hier nur Wut und Angst verschieden (Angst geht mit höherer Erregung einher). Schließlich wurden die erhaltenen Gruppenmittelwerte und ihr Interquartilbereich in zwei im Theorieteil besprochene Graphiken zur Anordnung der Emotionen im zweidimensionalen Raum von Valenz und Erregung eingefügt – dem Circumplex-Modell von Russel und der Verteilung der IAPS-Bewertungen nach Bradley & Lang (Abb. 9.1.2 und Abb. 9.1.3, S.135 und 136). Die Anordnung der EmuJoy-Werte war in beiden Fällen mit der vorgegebenen Aufteilung weitestgehend vereinbar, allerdings fiel auf, dass Ekel nach Russell nur mit geringer Erregung verbunden sein soll, während die IAPS-Bewertung etwa für das Bild 'verstümmeltes Gesicht' ( engl.: 176 DISKUSSION DER ERGEBNISSE – 10.2 PHYSIOLOGISCHE VERÄNDERUNGEN mutilated face) nahezu dem Mittelwert der EMuJoy-Bewertung entsprach. Hier könnte zum Tragen kommen, dass Russell und Kollegen die momentane emotionale Stimmung häufig ohne weitere Emotionsinduktion erfragt haben (Feldman Barrett & Russell, 1998; Yik et al., 1999). Gegenüber beiden Modellen war Trauer im vorliegenden Versuch mit einem deutlich erhöhten subjektiven Erregungsniveau verbunden. Selbst für den nach Eindruck des Autors 'ruhigsten' Filmclip für die Zielemotion Trauer, der Szene aus The Champ, in der ein Junge den Tod seines Vaters, eines Boxers beweint, und der für die detaillierte Auswertung über die Zeit ausgewählt wurde, findet sich ein gegenüber der neutralen Bedingung erhöhtes Erregungsniveau (s. Abb. 9.4.2, S.162). Filmclips werden generell intensiver erlebt als statische Bilder (Rottenberg et al., 2007), und alle drei Trauer-Filmclips zeigten weinende Menschen (bei zwei über den Tod einer geliebten Person), deren Anblick und Schluchzen sicherlich aufwühlender wirken als das in der IAPS-Graphik aufgeführte 'Friedhofs'-Bild. Im weiteren Verlauf pendelte sich das Arousal-Rating des beispielhaft aufgeführten Trauer-Clips The Champ in Abb. 9.4.2 auf ein relativ konstantes Niveau von um die .2 ein, während es für alle anderen emotionalen Filmclips hier höher lag. Die generell hohe Korrelation von Erregungs- und Valenzbewertung (r=.586, p<.000) im vorliegenden Versuch ist vielleicht auch darauf zurückzuführen, dass Filmclips mit negativen Zielemotionen überwiegten. Nimmt man nur die Bilder mit negativer Valenz, ergibt sich für das IAPS-Set eine ähnlich hohe Korrelation der beiden Dimensionen (s. 9.1, S.134). In der Auswertung wurde dieser Covariation dadurch Rechnung getragen, dass für alle physiologischen Parameter neben der bivariaten auch die Partialkorrelationen mit der jeweiligen Dimension angegeben wurde, also eine um den Einfluss der anderen Bewertungsdimension bereinigte Korrelation. 10.2 Physiologische Veränderungen Die Präsentation der emotionalen Filmclips führte bei allen gemessenen Signalen zu einer Veränderung gegenüber der neutralen Bedingung, wobei Art und Ausmaß allerdings erwartungsgemäß je nach Signal und Kennwert variiert. Daher werden die einzelnen Signale jedes für sich diskutiert, wobei auch hier die Reihenfolge der Datenaufbereitung beibehalten wird, also zunächst Hautleitfähigkeit, Gesichtsmuskelaktivität und dann Augenbewegungen besprochen werden, die unter 1.5 einen eigenen Abschnitt bekommen. 10.2.1 Hautleitfähigkeit Für Hautleitfähigkeit waren vier Kennwerte gebildet worden: einmal die durchschnittliche und maximale Amplitude sowie Frequenz der elektrodermalen Reaktionen (kurzzeitige Anstiege, abgekürzt EDR), zum anderen der tonische Kennwert Hautleitfähigkeitsniveau oder -level als Mittelwert des gefilterten Rohsignals über einen bestimmten Zeitraum. In diesen Mittelwert gehen dabei die kurzzeitigen Anstiege mit ein. Diese Tatsache zusammen mit der Auswertung über 10-Sekunden-Zeitfenster kann auch erklären, warum bei einer Mittelung über den gesamten Zeitraum in 9.2.1 (S.139) das Hautleitfähigkeitsniveau bei Ekel keinen statistisch signifikan- 177 DISKUSSION DER ERGEBNISSE – 10.2 PHYSIOLOGISCHE VERÄNDERUNGEN ten Unterschied zum Baseline-Wert zeigt: Wie in Abb. 9.4.3 (S.163) erkennbar, sinkt das Hautleitfähigkeitsniveau wie bei allen negativen Emotionen zunächst ab, um dann im letzten Drittel (die Ratte gelangt in den Mund des Schlafenden) über das Ausgangsniveau anzusteigen, so dass der Gesamtmittelwert nicht sehr stark von der Baselinebedingung abweicht. Der Kennwert maximale Amplitude einer EDR ist bei der Auswertung ohne Berücksichtigung des zeitlichen Verlaufs für alle Zielemotionen signifikant verschieden von den neutralen Filmclips und zeigt sich dabei sensitiver als die durchschnittliche Amplitude oder die Frequenz der EDRs. Besonders für Angst und Ekel ist die maximale Amplitude bei der Auswertung über alle Filmclips (Abb. 9.2.1, S.139) sehr stark erhöht. Den entsprechenden Filmclips in der 10Sekunden-Auswertung ist gemeinsam, dass dort plötzlich unvorhergesehene Ereignisse (Leiche im Zimmer, Ratte im Gesicht) auftreten, ähnlich wie im Freude-Clip Harry & Sally die Frau im Restaurant unerwarteterweise orgasmusähnlich zu stöhnen anfängt, was ebenfalls zu einem Anstieg der Hautleifähigkeitswerte führt. Ansonsten ist die EDA nach einer leichten Erhöhung in den ersten Sekunden vorwiegend durch ein Absinken im weiteren Filmverlauf gekennzeichnet (beispielhaft am Rohsignal einer Versuchsperson in Abb. 9.2.2, S.141 dargestellt), wobei dieses Absinken für negative Emotionen ausgeprägter ist als für Freude (s. Abb. 9.4.3, S.163), selbst wenn die dargestellten Szenen alles andere als entspannend sind, etwa der Angriff auf die Demonstranten im Wut-Clip Cry Freedom. Womöglich ist hier für den Anstieg der Hautleitfähigkeit die Voraussehbarkeit von Ereignissen entscheidender als die 'Spannung' der Handlung an sich bzw. zeigt die Valenz-Einschätzung vor allem dann eine Auswirkung auf die Amplitude der Hautleitfähigkeitsreaktion, wenn etwas abrupt passiert. Bei den Clips zu Freude, Ekel und Angst treten die Ereignisse unerwartet ein, bei Wut und Trauer ist die Entwicklung graduell bzw. frühzeitig absehbar. Der starke Anstieg der Hautleitfähigkeit bei Angst gegenüber Wut hat seine Entsprechung in der subjektiven Erregungsbewertung, die ebenfalls einen signifikanten Unterschied zwischen diesen beiden Emotionen aufweist (s. Tab. 9.2.1, S.140). Betrachtet man den Verlauf der Kurven für die beiden ausgewählten Filmclips, so steigt die Selbstbewertung vor allem ab Sekunde 120 noch mal an, dem Zeitpunkt, ab dem auch das Hautleitfähigkeitsniveau deutlich zunimmt (Abb. 9.4.2, S.162 und Abb. 9.4.3, S.163). Wie am Rohsignal in Abb. 9.2.2 (S.141) zudem erkennbar, führt der 'Szenenwechsel' nach Ende eines Filmclips zusammen mit dem Angesprochen werden durch den Versuchsleiter und die reale soziale Interaktion bei der Emotionsbenennung sofort wieder zu einem starken Anstieg. Bradley & Lang beschränken sich bei ihrer Auswertung der Hautleitfähigkeit auf den Anstieg in den ersten Sekunden im Anschluss an den Präsentationsbeginn eines IAPS-Bildes (z.B. Lang et al., 1993; Bradley & Lang, 2000), bei dem die emotionale Bedeutung unmittelbar erkennbar ist, und kommen dort zu einem stärkeren Anstieg bei negativen als bei positiven oder neutralen Bildern. Sie erwähnen aber auch einen Abfall des Hautleitfähigkeitsniveaus bei längerer Darbietung (Bradley et al., 1996; Lang et al., 1993; Smith et al., 2005). Ähnliches berichten Palomba et al. (2000), die auch einen starken zwischenzeitlichen Anstieg bei ihrem EkelFilmclip (Operationsaufnahmen) finden. 178 DISKUSSION DER ERGEBNISSE – 10.2 PHYSIOLOGISCHE VERÄNDERUNGEN 10.2.2 Gesichtsmuskelaktivität Gesichtsmuskelaktivität zeigt wie in anderen Studien auch (Cacioppo, Berntson et al., 2000) den engsten Bezug zum emotionalen Gehalt der Filmclips, sowohl bei einer Auswertung über alle Filmclips nach Zielemotion ( Abb. 9.2.3, S.142) als auch bei der Analyse des zeitlichen Verlaufs: Für negative Emotionen weist der musculus corrugator supercilii von Beginn an eine leicht erhöhte Aktivität auf, die mit Intensität der Handlung zunimmt, während er bei positiven Emotionen etwas unter dem Ausgangsniveau bleibt (s. Abb. 9.4.4, S.164). In diesem Fall sind der musculus zygomaticus major und der musculus orbicularis oculi stark angespannt. Beide, insbesondere aber der Augenringmuskel, zeigen jedoch auch bei Ekel eine leicht erhöhte Aktivität, was auch Tassinary & Cacioppo (1992) oder Bradley et al. (2001) berichten. Ob Gesichtsmuskelaktivität deshalb ein notwendiger Bestandteil einer jeden Basisemotion ist, wie Ekman es behauptet (s. 3.4.1, S.59), lässt sich mit den vorhandenen Ergebnissen sicher nicht beantworten, auf jeden Fall sprechen sie eher gegen Russells Auffassung (s. 3.4.2, S.60), dass Gesichtsausdrücke rein kommunikative Funktion haben: Der Versuchsraum war abgedunkelt, der Versuchsleiter befand sich im hinteren Teil und war während der Reizpräsentation nicht zu sehen, so dass es für die Versuchspersonen keinen unmittelbaren Anlass gab, emotionale Mimik zu zeigen. Ein Verfechter der Kommunikations-Hypothese würde vermutlich entgegnen, dass in den dargestellten Filmclips auch Menschen zu sehen waren, es sich also um 'pseudo-soziale' Situationen handelte, aber diese Sichtweise ließe sich ins Beliebige erweitern – auch das Lesen eines Briefes oder Zeitungsartikels könnte als 'pseudo-sozial' dargestellt werden, wenn der Autor als imaginärer Dialogpartner verstanden wird. Festzuhalten bleibt, dass Gesichtsmuskelaktivität sich als guter Indikator emotionaler Zustände erwiesen hat, wie von Ekman propagiert. 10.2.3 Herzaktivität Die Herzrate weist schon bei den 'klassischen' IAPS-Versuchanordnungen mit der Präsentation einer emotionalen Photographie und anschließender Bewertung den komplexesten Verlauf der bisher besprochenen physiologischen Signale auf: Auf ein Absinken in den ersten beiden Sekunden erfolgt ein anschließender Wiederanstieg und darauf ein erneutes Absinken innerhalb der ersten zehn Sekunden, wobei das Absinken für negative Reize am stärksten und der Wiederanstieg dort am schwächsten ist (Bradley & Lang, 2000). Bei Darbietung mehrerer Bilder in einer Serie wird der Herzratenabfall für negative Emotionen schwächer (Smith et al., 2005). Es ist daher nicht weiter verwunderlich, wenn für eine Auswertung über alle Filmclips hinweg die Veränderungen in der Herzrate nur als Absinken gegenüber der vorausgegangenen neutralen Bedingung signifikant sind (Tab. 9.2.6, S.146), nicht aber zwischen Emotionen unterscheidet. Bei der Analyse des zeitlichen Verlaufs in 10-Sekunden-Fenstern (Abb. 9.4.6 S. 165) lässt sich zumindest bestätigen, dass der initiale Abfall in den ersten 20 Sekunden für Angst, Ekel und Trauer stärker ist als für Freude oder Wut, bei der der entsprechende Filmclip Cry Freedom zu der Zeit noch eine ausgelassen-friedliche Demonstration ohne negativen Beiklang zeigt. Brad- 179 DISKUSSION DER ERGEBNISSE – 10.2 PHYSIOLOGISCHE VERÄNDERUNGEN ley & Lang fassen den eingangs geschilderten Ablauf als 'Defensiv-Kaskade' zusammen (s. 3.4.3.3, S.66), bei der während der ersten Sekunden die geeignete Reaktion 'Kampf oder Flucht' ausgewählt wird. Den sehr geringen Herzratenabfall im weiteren Verlauf des Wut-Clips (sie pendelt um 99-100% des Baseline-Niveaus) könnte man demzufolge als Tendenz zur 'Kampf'-Reaktion, einhergehend mit sympathischer Aktivierung, interpretieren19, hätte aber Schwierigkeiten zu erklären, wieso der Verlauf für Angst ('Flucht'-Reaktion) nicht ähnlich aussieht, sondern signifikant darunter bei 98-96% der Baselinebedingung bleibt. Lediglich Trauer ist durch eine konstant geringere Herzrate von 96-95% Ausgangsniveau gekennzeichnet. Der von Ekman und Levenson wiederholt beschriebene generelle Herzratenanstieg für alle Emotionen bis auf Ekel beim Nachstellen emotionaler Gesichtsausdrücke (Ekman et al., 1983; Levenson et al., 1990, 2002) oder Vorstellen emotionaler Episoden (Rainville et al., 2006) konnte dementsprechend nicht repliziert werden. Nyklicek et al. (1997) ermittelten bei der Emotionsinduktion mittels Musikstücken ebenfalls einen durchgehenden Abfall der Herzrate, der auch hier für Trauer am stärksten ist. Die Herzratenverlangsamung bei Trauer wird auch von Kreibig et al. (2007) bestätigt, allerdings kommt es in ihrer Studie bei Angst zu einem Anstieg. Im vorliegenden Versuch ist lediglich ein relativer Anstieg vom Niveau im vorhergehenden Zeitfenster für Ekel, Angst und Freude festzustellen, analog zu dem bei für die Hautleitfähigkeit beschriebenen Verlauf, wenn nämlich in den jeweiligen Filmclips ein unvorhergesehenes Ereignis eintritt (Ratte im Gesicht des Mannes bei Sekunde 50 des Ekel-Clips, Auftauchen der ersten Leiche im Angst-Clip um Sekunde 120, auffallendes Gestöhne im Freude-Clip ab cirka Sekunde 100). Die Entwicklung des Freude-Clips von harmloser Konversation in eine amüsantungewöhnliche Showeinlage spiegelt sich auch in der Zunahme der Streuung der Inter-BeatIntervalle (SDNN) wider: Freude ist die einzige Emotion, bei der die Streuung nach einem starken Absinken auf cirka 70% des Ausgangsniveaus in der zweiten Hälfte des Filmclips wieder ansteigt. Auch dieser Anstieg ist bei einer Auswertung über alle Filmclips nicht signifikant (Tab. 9.2.6, S.146), wohl aber bei der Aufschlüsselung in 10-Sekunden-Zeitfenster (s. Tab. 9.4.2, S.160): hier unterscheidet SDNN Freude signifikant von Trauer, Wut oder Angst. Der Ekel-Clip dauerte nur knapp siebzig Sekunden, weshalb für eine Gegenüberstellung der SDNN-Verlaufs ab cirka Sekunde hundert keine Werte vorlagen. Die Streuung der IBIs gilt als Kennwert der Herzratenvariabilität, der sowohl vom Sympathikus als auch vom Parasympathikus beeinflusst wird (Allen, 2002), wohingegen die mittlere absolute Differenz aufeinanderfolgender IBIs (MSD) in erster Linie auf parasympathische Einflüsse zurückgehen soll (Allen et al., 2007). Der Kennwert MSD hatte in der vorliegenden Studie anders als SDNN keinen signifikanten Effekt des Innersubjektfaktors Emotion gezeigt, weder bei der Auswertung über alle Filmclips (Tab. 9.2.6, S.146) noch bei Mittelung in 10-Sekunden-Fenster (s. Tab. 9.4.2, S.160). Ein Rechenfehler bei der Ermittlung des MSD-Wertes kann nach erneuter Prüfung der Auswertungsroutinen ausge- 19 Auf die Tatsache, dass im Wut-Filmclip hektisch fliehende Menschen zu sehen sind, kann der relative Anstieg nicht zurückzuführen sein, denn der Anblick rennender Personen führt nicht zu einem Herzratenanstieg beim Beobachter (Paccalin & Jeannerod, 2000). 180 DISKUSSION DER ERGEBNISSE – 10.3 UNTERSCHIEDE ZWISCHEN EINZELNEN EMOTIONEN schlossen werden20, und auch der Verlauf der Hautleifähigkeit in Abb. 9.4.3 (S.163) macht deutlich, dass Freude durch eine Zunahme sympathischer Aktivität gekennzeichnet ist. Der Kennwert SDNN verdeutlicht den Einfluss dieses Astes des Autonomen Nervensystems auf die Herzratenvariabilität. Dass der Einfluss des Parasymphatikus insgesamt größer ist und als eine 'vagale Bremse' im Sinne Porges wirkt (s. 4.3.2.1, S.81) lässt sich an der insgesamt leicht verlangsamten Herzrate über alle Emotionen hinweg erkennen. 10.3 Unterschiede zwischen einzelnen Emotionen Die Wiederzunahme in der Streuung der Herzschlagintervalle nach anfänglichem Absinken unterscheidet in der Auswertung in 10-Sekunden-Fenstern die positive Emotion Freude von den negativen Trauer, Ekel, Wut und Angst. Bei einer Auswertung über alle Filmclips (1 Wert pro Zielemotion pro VP) bleibt dieser Unterschied in Form eines geringeren SDNN-Abfalls zum Ausgangsniveau für Freude zwar bestehen (s. Abb. 9.2.4, S.145), ist aber in keiner Weise statistisch signifikant. Eindeutiger sind da schon die Veränderungen in der Gesichtsmuskelaktivität: Bei beiden Auswertungsansätzen sind negative Emotionen durch Zunahme der Aktivität des musculus corrugator supercilii gekennzeichnet, bei Ekel ist darüber hinaus noch der musculus orbicularis oculi und der musculus zygomaticus major leicht aktiviert (cirka 110% Ausgangsniveau), die allerdings deutlich stärker bei der positiven Emotion Freude aktiv sind (> 150% Ausgangsniveau), wo wiederum der Corrugator-Muskel eher entspannt wird (95-100% Ausgangsniveau). Die Auswertung über die Zeit ermöglicht dabei zusätzlich eine Unterscheidung im Verlauf: während die Corrugator-Anspannung bei Trauer, Wut und Angst eher langsam ansteigt, nimmt sie bei Ekel abrupt zu, und diese Entwicklung findet sich auch im subjektiven Valenzund Arousalrating (s. Abb. 9.4.1 und Abb. 9.4.2, S.162). Das kann natürlich an Besonderheiten der ausgewählten Filmszenen liegen, aber in zahlreichen anderen Spielfilmen, die das Thema Angst bzw. Wut und Rache thematisieren, gibt es ähnlich eine länger andauernde Entwicklung von friedlich-harmlos hin zu angsteinflössend oder wuterregend. Ekel wiederum kommt auch im Alltag, wenn er von einem Anblick oder Geruch hervorgerufen wird, zumeist sehr abrupt auf. Wut und Angst lassen sich eher schlecht voneinander unterscheiden. Der starke Anstieg der Hautleitfähigkeit zum Ende des Angst-Clips (Halloween) ist zunächst Besonderheiten der Filmhandlung geschuldet, dem plötzlichen Auftauchen der Leichen. Andererseits zeigt Angst auch bei der Auswertung über alle drei Filmclips zusammen die größte maximale Amplitude einer Hautleitfähigkeitsreaktion, statistisch signifikant höher als bei Wut (s. Abb. 9.2.1, S.139 und Tab. 9.2.1, S.140), und bei allen Filmclips mit der Zielemotion Angst gibt es Momente, in denen der oder die Hauptdarsteller eine Tür aufstößt, hinter der etwas Bedrohliches zu lauern scheint. Eventuell sind solche 'Schreckmomente' notwendig, um die Angst aufrecht zu erhalten, ansonsten würde sich die Ungewissheit der Situation ins Harmlose verlaufen. Wenn diese Spekulation richtig sein sollte, böten sich auffallend große EDA-Reaktionen als zusätzliches Unter20 Die beiden Kennwerte waren in dem entsprechenden Matlab-Skript wie folgt definiert: SDNN= std(IBI); MSD=mean(abs(diff(IBI))); wobei IBI ein Vektor mit Inter-Beat-Intervallen in Millisekunden war. 181 DISKUSSION DER ERGEBNISSE – 10.4 PHYSIOLOGIE UND SELBSTBEWERTUNG WÄHREND DES SCHAUENS scheidungsmerkmal von Wut und Angst an. Eine andere Möglichkeit wäre die Hinzunahme einer weiteren Bewertungsdimension: das Self-Assessment-Mannikin von Bradley & Lang hat als dritte Dimension 'Dominanz' (Lang et al., 2005), in der die Figur entweder ganz klein und unscheinbar oder sehr groß gezeichnet wird, in einer neueren Version sogar mit verschränkten Armen und betont großen Augenbrauen. Die Autoren bezeichnen diese Darstellung selbst als als 'assertive, aggressive look'. (S.2 ebd.). In gewisser Weise spiegelt das Piktogramm damit auch den Unterschied zwischen einer 'Flucht'- oder 'Kampf'-Reaktion wider. Trauer als 'passive' negative Emotion hat Wut, Angst und Ekel gegenüber ein deutlich niedrigeres subjektives Erregungsniveau, was sich auf physiologischer Ebene durch ein durchgehendes Absinken der Hautleifähigkeit auf das für alle Emotionen insgesamt niedrigste Niveau sowie eine weitestgehend gleich niedrig bleibende Herzrate (95-96% Ausgangsniveau) ausdrückt. Beide Veränderungen sind allerdings nur bei einer Auswertung über die Zeit statistisch signifikant, und dort bei der Herzrate nicht für den Vergleich Ekel-Trauer (s. Tab. 9.4.2, S.160). Dass bei den Trauer-Clips ein geringerer Bedarf an visueller Information besteht als bei den übrigen Emotionen, der Lidschlag also weniger gehemmt werden muss, deutet sich in der Auswertung über alle Filmclips zwar an, (s. Abb. 4.3.2), ist aber ebenfalls nur bei einer Auswertung über die Zeit signifikant, und dort dann nicht für den Unterschied Trauer-Angst (s. Tab. 9.4.2 S.160, Variable 'Blink Intervall' sowie Abb. 4.4.11). 10.4 Physiologie und Selbstbewertung während des Schauens Den engsten Zusammenhang zu den kontinuierlichen Selbstbewertungen zeigt die Gesichtsmuskelaktivität mit Korrelationen um die r=.4-.5 für die Valenzdimension bei einer Auswertung über alle Filmclips ohne Berücksichtigung des zeitlichen Verlaufs (s. Tab. 9.3.6, S.156). Bei der Auswertung über 10-Sekunden-Zeitfenster sinken diese Werte auf r=.35 (Tab. 9.4.3, S.170). Für die anderen Kennwerte Hautleitfähigkeit, Herzaktivität und Augenbewegungen zeigt sich ein ähnliches Bild: Die Korrelation zwischen den pro Emotion zusammengefassten Werten und dem subjektiven Rating zum Ende (=Mittelwert in den letzten beiden Sekunden, s. 8.1.4.2, S. 121) einer solchen emotionalen Episode ist höher als die Korrelation der Verlaufswerte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Filmclips so ausgewählt wurden, dass sie effektiv eine bestimmte Emotion hervorrufen und den Zuschauer am Ende des Clips mit dieser Emotion 'zurücklassen'. Dass das subjektive Rating in den letzten zwei Sekunden deutlicher ist als zu Beginn eines Films, ist daher nicht weiter verwunderlich, ebenso wie die Gesichtsmuskelaktivität am Ende eines Filmclips ihre stärkste Ausprägung hat (s. Abb. 9.4.4 und Abb. 9.4.5 S. 164). Etwas subtilere oder nur vorübergehende Veränderungen im Verlauf der emotionalen Wirkung, etwa die zunächst positive Bewertung der der Demonstration im Wut-Clip (s. Abb. 9.4.1, S.162, die rote Linie bis Sekunde 50), gehen bei einer solchen Beschränkung auf den Wert am Ende allerdings verloren, obwohl sie gerade für Reizmaterial, das nicht ausschließlich auf eine Emotion abzielt oder bei dem noch nicht klar ist, wie es wirkt, relevant sein können. 182 DISKUSSION DER ERGEBNISSE – 10.4 PHYSIOLOGIE UND SELBSTBEWERTUNG WÄHREND DES SCHAUENS Dennoch mag es ein wenig enttäuschend wirken, dass sich die Unterschiede zwischen den Emotionen, die in den Varianzanalysen für EMuJoy-Rating wie physiologische Signale gleichermaßen klar herauskommen und auch in der graphischen Darstellung von Mittelwerten in 10-Sekunden-Zeitfenstern relativ deutlich aussehen (s. Abb. 9.4.1 bis Abb. 9.4.11, ab S. 162), sich nicht in höheren Korrelationen von physiologischen Variablen und Selbstbewertung ausdrücken, selbst wenn diese nach Emotionen getrennt ermittelt werden (s. Tab. 9.4.4 S.171). Nimmt man Tab. 9.4.3 (S.170) und insbesondere Tab. 9.4.4 (S.171) als Referenz, so sind die Werte so niedrig, dass neben Gesichtsmuskelaktivität kein Parameter allein als indikativ für einen subjektiv eindeutig emotionalen Zustand gesehen werden kann. Dabei behaupten etwa Rainville et al. (2006) schon im Titel ihrer Arbeit Basic emotions are associated with distinct patterns of cardiorespiratory activity. Auf die Ergebnisse dieser Studie und die Aussagekraft der ermittelten kardiorespiratorischen Muster wird in der Allgemeinen Diskussion (Kap. 11, ab S.185) detailliert eingegangen. Gleichzeitig haben die den Signalen Hautleitfähigkeit, Herzaktivität und Augenbewegungen zugrunde liegenden Systeme primär andere Funktionen als der Ausdruck oder die Kommunikation von Emotionen – Herz und Augen sind dazu da, die Blutzirkulationen bzw. die Verarbeitung visueller Informationen sicherzustellen, und Emotionen haben hier höchstens modulierenden Einfluss. Das Bewerten von Reizen auf den Dimensionen Erregung und Valenz andererseits ist eine überwiegend kognitiv vermittelte Aufgabe, und vermeintlich an sich wahrgenommene Veränderungen im Erregungsniveau müssen nicht tatsächlich stattgefunden haben (hier sei an Damasios 'Als-Ob'-Körperschleife erinnert, s. 2.3.4, S.39). Daher ist eine sinnvollere Interpretation der vorliegenden Korrelationen vielleicht, dass eine Emotion dann angenommen werden kann, wenn die überwiegend 'autonomen' Systeme beginnen, Bezug zur bewussten Bewertung zu zeigen, man als entscheidende Tatsache also weniger die Höhe, sondern das Bestehen einer statistisch bedeutsamen Korrelation heranzieht. Eine solche Auswirkung der Filmhandlung auf den Zustand der Versuchsperson über einen längeren Zeitraum hinweg – anders als bei den typischen Studien mit IAPS-Bildern wurden im vorliegenden Versuch nicht Veränderungen innerhalb der ersten Sekunden nach Reizbeginn, sondern über mehrere 10-Sekunden-Fenster hinweg untersucht – gelang für jeden der zur detaillierten Analyse ausgewählten Filmclips (s. Tab. 9.4.4, S.171). Tab. 9.4.4 macht auch deutlich, dass diese Veränderung nicht für alle Emotionen gleich aussehen müssen: Für Freude, Trauer und Angst zeigt sich der zu erwartende Herzratenveränderung mit steigender Valenzbewertung eher als für Wut und Ekel. Analog zu den Unterschieden zwischen Emotionen dürften auch Unterschiede in den Reaktionslatenzen der einzelnen Signale sowie Versuchspersonen zu erwarten sein, was bei einer Auswertung von Verlaufswerten alles zu einer insgesamt niedrigen Korrelation führt. Unterschiedlichen Ausgangsniveaus einzelner Versuchspersonen oder emotionsunabhängigen Veränderungen mit zunehmender Versuchszeit (time-on-task-Effekt) wurde in dieser Studie dadurch zu begegnen versucht, dass die Werte für einen emotionalen Filmclip am jeweils vorausgegangenen neutralen Filmclip und nicht nur an einer Ruhemessung zu Beginn des Versuchs 183 DISKUSSION DER ERGEBNISSE – 10.5 AUGENBEWEGUNGSKENNWERTE baseline-korrigiert wurden. Die Wirksamkeit dieser Korrektur zeigt sich daran, dass die Korrelation mit den korrigierten Variablen in den jeweiligen Tabellen (Tab. 9.2.2, Tab. 9.2.4, Tab. 9.2.8, Tab. 9.3.3, Tab. 9.3.5, S. 141, 144, 148, 152, 155) immer höher ist als die mit den nicht baseline-korrigierten Varianten. Ähnlich wäre vielleicht auch eine Standardisierung der verschiedenen Reaktionslatenzen nötig, etwa über die Bestimmung individueller Kreuzkorrelationen, sowohl auf Signal- als gegebenenfalls auch auf Versuchspersonenebene. Eine andere Möglichkeit wäre die Unterteilung der Stichprobe gemäß ihres vagalen Tonus (Butler et al., 2006; Palomba et al., 2000) oder Art der Emotionsregulation (Demaree et al., 2006), denn auch dieser Faktor dürfte bei einer Entwicklung in Minutelänge verstärkt zum Tragen kommen und sich auf das Ausmaß der körperlichen Veränderung sowie deren bewusste Bewertung auswirken. 10.5 Augenbewegungskennwerte Die Augenbewegungskennwerte zeigen vermutlich in erster Linie einen Bezug zum visual load der emotionalen Filmclips: das Lidschlagintervall ist gegenüber der neutralen Bedingung deutlich erhöht, spontane Lidschläge also gehemmt, um ohne Unterbrechung visuell Informationen verarbeiten zu können. Dies gilt sowohl bezüglich der Auswertung ohne Berücksichtigung des zeitlichen Verlaufs als auch bei der Darstellung in 10-Sekunden-Zeitfenstern (s. Abb. 9.3.2, S. 153 und Abb. 9.4.11, S.169), wobei sich zusätzlich Unterschiede je nach Intensität der Handlung zeigen: Für Ekel ist die Hemmung und damit die Verlängerung des Intervalls zwischen zwei Lidschlägen von Beginn an ziemlich hoch (>200% Ausgangsniveau), bei Trauer und Angst liegt es anfangs um die 150% des Ausgangsniveaus, wo es für Trauer auch bleibt, da im zugehörigen Filmclip relativ wenig passiert, während es für Angst zum Ende hin auf ebenfalls bis zu 200% ansteigt. Erhöhter visueller Verarbeitungsbedarf drückt sich bei den Sakkaden in geringeren Intervallen, also mehr Blicksprüngen aus, und auch dieser Unterschied ist bei der Auswertung über alle Filmclips (1 Wert pro VP pro Emotion) gegenüber der neutralen Bedingung signifikant, bei Berücksichtigung des zeitlichen Verlaufs allerdings weniger eindeutig (s. Anhang 14.5.1, S.220). Sakkaden- und Lidschlagintervall sind so eher mittelbar Indikatoren subjektiver Erregung: Die Filmszenen werden häufig dann aufregend, wenn in ihnen viel passiert, was wiederum eine intensive visuelle Verarbeitung erfordert, und dadurch zur Hemmung spontaner Lidschläge sowie zu vermehrten Sakkaden führt. Auch Eckert (2007) berichtet einen Rückgang von Lidschlägen im Anschluss an einen Filmschnitt sowie einen Zusammenhang von Lidschlaghemmung und subjektiver Spannung beim Schauen des Spielfilms Schweigen der Lämmer. Da emotionale Reize, insbesondere solche mit negativer emotionaler Valenz, zu einer Herzratenverlangsamung führen, ging im vorliegenden Versuch die Verlängerung der Lidschlagintervalle mit einer Abnahme der Herzschlagrate einher, wobei diese Korrelation höher ist als der Bezug beider Parameter zur subjektiven Erregung (r=-.3 für die Auswertung über alle Filme, r=-.174 für die Auswertung in 10-Sekunden-Fenster, s. Tab. 9.3.6, S.156 und Tab. 9.4.3, S.170). Womöglich ist hier das Lidschlagintervall eine Art Indikator für die von Porges geschilderte vagale Bremse 184 ALLGEMEINE DISKUSSION – 10.5 AUGENBEWEGUNGSKENNWERTE (s. Kap. 4.3.2.1, S. 81). Das ventrale Vagus-System ermöglicht höheren kortikalen Bereichen über kortikobulbäre Bahnen die Drosselung der Herzaktivität, wird von Porges inzwischen als social engagement system aber weiter gefasst und soll auch Einfluss auf Mimik und Gestik vermitteln (Porges, 2001). Die Hemmung des spontanen Lidchlags könnte mit darunter fallen. Einen ähnlich engen Zusammenhang zu einem anderen physiologischen Parameter zeigen lediglich die Sakkadengeschwindigkeiten zur Gesichtsmuskelaktivität, insbesondere der Aktivität des musculus orbicularis oculi sowie zymoticus major, der sich nicht nur in hohen Korrelationen (bis zu .5, s. Tab. 9.3.6), sondern auch in recht ähnlichen Verläufen über die Zeit ausdrückt. Insbesondere die Entsprechungen in den Verlaufsgrafiken führten zu der Frage, inwieweit es zu einem Übersprechen des EMGs auf das EOG-Signal kam. Die Elektroden für den horizontalen EOG-Kanal waren in den Augenwinkeln angebracht (s. Abb. 7.4.2, S.113) und somit Einstreuungen durch die entsprechende Muskelaktivität durchaus möglich. Die untere Elektrode des vertikalen Kanals lag vergleichbar nahe an beiden Muskeln, für Lidschlagkennwerte finden sich jedoch nur deutlich niedrigere Korrelationen zum EMG, und die Beziehung zur Selbstbewertung oder den anderen physiologischen Signalen verändert sich durch Herauspartialisieren des EMG-Einflusses für sie weniger. Zudem wird im Rahmen der Sakkaden- und Lidschlagauswertung das EOG-Rohsignal zweifach tiefpassgefiltert, um solche EMG-Einstreuungen zu eliminieren (Hofmann, 2005). Der Zusammenhang von Sakkadengeschwindigkeiten und emotionaler Gesichtsmuskelaktivität muss also kein reines Messartefakt sein, sondern könnte auf einer tatsächlichen Co-Aktivierung beider motorischer Systeme beruhen, ähnlich wie die Hautleitfähigkeit Korrelationen zwischen r=.3 (Auswertung über die Zeit, Tab. 9.4.3, S.170) und r=.5 (Auswertung über alle Filme ohne Berücksichtigung der Zeit, Tab. 9.3.6, S.156) mit der Gesichtsmuskelaktivität zeigt. Um dem Leser dennoch auf einen möglichen Scheinzusammenhang hinzuweisen, wurden die Korrelationen für Tab. 9.3.6, Tab. 9.4.3 und Tab. 9.4.4 mit den drei EMGSignalen als Kontrollvariablen erneut berechnet (die so reduzierten Tabellen finden sich im Anhang) und im Ergebnisteil alle Korrelationen der Augenbewegungskennwerte, die sich dadurch auffällig verringerten, mit einem Fragezeichen versehen. Das Sakkaden- und Lidschlagintervall sind davon nicht betroffen, die dazu getroffen Aussagen also weiterhin gültig. Inwieweit sich die Geschwindigkeitskennwerte tatsächlich aufgrund des induzierten emotionalen Zustands verändern, kann vermutlich am ehesten durch die Erfassung mit einem getrennten Messsystem, etwa einem Eyetracker, geklärt werden. 11 Allgemeine Diskussion Die Ergebnisse dieser Studie lassen sich in etwa wie folgt zusammenfassen: Die gleichzeitige kontinuierliche Selbstbewertung mittels EMuJoy bei der Präsentation von Filmclips funktioniert, sowohl was die Induktion verschiedener Emotionen durch Filmclips betrifft, als auch, was die Anordnung der zugehörigen Selbstbewertung im zweidimensionalen Raum von Valenz und Erregung angeht. Auf physiologischer Ebene entspricht die Gesichtsmuskelaktivität dem dabei zu erwartenden Muster, für Hautleitfähigkeit kommt es nur bei unerwarteten Ereignissen im 185 11 ALLGEMEINE DISKUSSION Handlungsverlauf zu einem deutlichen Anstieg, und für Herzaktivität lassen sich bisherige Muster nur eingeschränkt replizieren. Die genannten Signale waren ausgewählt worden, weil sie die 'klassischen' Kennwerte in emotionspsychologischen Untersuchungen, insbesondere denen von Bradley & Lang, darstellen, während zu anderen als indikativ geltenden Kennwerten, etwa der Pulsvolumenamplitude (Kempter & Bente, 2004) oder der Pupillenerweiterung (Partala et al., 2000; Partala & Surakka, 2003) vergleichbar weniger Studien vorliegen (Kreibig et al., 2007). Letztere hätte zudem einen kontinuierlichen Abgleich mit den Helligkeitswerten des Reizmaterials notwendig gemacht (Kerkau, 2005). Als 'neues' Signal war in dieser Studie das EOG, also Sakkaden und Lidschläge, hinzugenommen worden, die in erster Linie den visual load der jeweiligen Filmclips widerspiegeln. Emotionen waren unter 3.5 im Theorieteil als ein Mechanismus zusammengefasst worden, die dem Organismus die rasche Bewertung eines Ereignisses als 'gut' oder 'schlecht' ermöglichen und ihm gleichzeitig Impulse, die Situation zu seinen Gunsten zu verändern, lieferen. In der kontinuierlichen subjektiven Bewertung ist dieses Prinzip wieder zu finden: Sowohl die angenehmen als unangenehmen Filmclips werden relativ konstant bezüglich ihrer Valenz bewertet, und je nach Art der Zielemotion bzw. der Entwicklung im Film steigt die subjektive Erregung rasch (Ekel, Wut, Angst) oder mäßig an (Freude) bzw. pendelt sich auf einem niedrigen Niveau ein (Trauer). Die Gesichtsmuskelaktivität reflektiert diese kontinuierliche Entwicklung. Sie ist auch das physiologische System, das im Alltag neben der Sprache noch am meisten eingesetzt wird, um emotionale Handlungstendenzen umzusetzen bzw. deutlich zu machen. Kampf/Flucht- oder Totstell-Reaktion, vermittelt durch Amygdala und Hirnstammkerne, sind im Verhaltensrepertoire sicherlich noch verfügbar, werden aber eher selten wirklich ausgeführt. Bradley & Langs Versuchanordnung, den Versuchspersonen Bildreize, deren affektive Qualität unmittelbar erkennbar ist, zu präsentieren, ist vermutlich besonders geeignet, diesen kurzzeitigen Impuls im Rahmen einer Orientierungsreaktion erkennen zu lassen. In der Regel werden dabei nur die ersten Sekunden nach Reizbeginn ausgewertet, wo sie pointiert hervortritt. So etwas ist bei Filmreizen, bei denen sich die Emotion über längere Zeit entwickelt, wenig sinnvoll. Erkennbar ist das Prinzip aber zumindest in der sich im Vergleich zur Herzrate relativ langsam verändernden Hautleitfähigkeit, die vor allem für den Angst-Clip stark ansteigt, sobald der Zuschauer durch das Auftauchen der Leichen erschreckt wird (ab Sekunde 110 in Abb. 9.4.3, S.163). Der Präsentation eines einzelnen Bildreizes gegenüber haben Filme wiederum den Vorteil einer höheren ökologischen Validität, denn Menschen sind normalerweise einem kontinuierlichen Reizstrom, nicht einem statischen Einzelreiz ausgesetzt, und Emotionen entwickeln sich in Auseinandersetzung mit diesen kontinuierlichen Reizen. Gleichzeitig kommt dann die Fähigkeit zur Emotionsregulation durch Neubewertung der Situation oder Anpassung der eigenen Ziele wesentlich stärker zum Tragen. Solche kurzzeitigen und situationsspezifischen Anpassungen sind vielleicht der Grund für den eher uneinheitlichen Verlauf der Herzaktivität, von der auch Bradley & Lang schon erwähnen, dass sie das Maß ist, das am meisten taktischen, also situationsabhängigen Einflüssen unterliegt. Zudem sind interindividuelle Unterschiede in der Fähigkeit 186 11 ALLGEMEINE DISKUSSION zur Emotionsregulation wahrscheinlich. Um dennoch personenübergreifende und emotionsspezifische Muster zu erhalten, sind verschiedene Wege möglich. Einer, die Unterteilung der Stichprobe in sinnvolle Untergruppen, etwa gemäß ihres vagalen Tonus (Butler et al., 2006; Palomba et al., 2000), war schon genannt worden. In diesem Fall ist die Herzrate nicht mehr ausschließlich abhängige Variable, die durch die Reizsituation beeinflusst wird, sondern ein a priori feststehender Faktor. Eine andere Möglichkeit, besser zwischen den einzelnen Emotionen differenzieren zu können, ist die Erfassung von zusätzlichen Kennwerten der Herzaktivität, etwa bei Christie & Friedmann (2004), Rainville et al. (2006) oder Kreibig et al. (2007), wobei letztere die vermutlich umfangreichste Zusammenstellung an psychophysiologischen Variablen aufweisen. Damit ist es ihnen möglich, aufgrund verschiedener Reaktionsprofile, die nicht allein auf einem Unterschied im Niveau der Parameter, sondern auf veränderter Verteilung der Werte eines Variable beruhen, Angst und Trauer von der neutralen Bedingung und untereinander zu unterscheiden. Ohne diese Interaktion von Kennwert-Verteilungsform und Emotion unterscheidet sich bei ihnen lediglich Angst signifikant von der neutralen Bedingung. Alle drei Studien nutzen die Daten nach diversen Transformationen (Baseline-Korrektur, Normalisierung) zur Erstellung von Klassifikationsgleichungen, mit denen aufgrund der Ausprägung der physiologischen Parameter die induzierte Emotion bestimmt werden soll. Christie & Friedmann (2004) spannen mit zwei ihrer vier Diskrimanzfunktionen einen zweidimensionalen Raum auf, der mit seinen Dimensionen 'Annähern-Rückzug' und 'Aktivierung' dem Modell von Bradley und Lang ähnelt. Auf der Aktivierungsdimension lädt nach der Hautleitfähigkeit (positiv) der Herz-Kennwert MSD am stärksten (negativ), auf der Annähern-Rückzug-Dimension das Herschlagintervall. Allerdings unterscheidet sich die Lage der induzierten Emotionen in diesem physiologischen Achsensystem deutlich von der Lage in dem ebenfalls ermittelten zweidimensionalen Raum gemäß der subjektiven Selbstbewertung. Kreibig et al (2007) machen keine spezifischen Angaben darüber, wie die physiologischen Parameter in ihrer Diskrimanzfunktion gewichtet werden, außer dass die Gesichtsmuskelaktivität nicht mit einging. Rainiville et al. (2006) rechnen zunächst eine Faktorenanalyse über ihre kardiovaskulären und respiratorischen Parameter, und nehmen diese Faktoren als Ausgangspunkt für die Diskrimanzanalyse, von der ebenfalls nur die Klassifikationsrate aufgeführt wird. In der Faktorenanalyse selbst repräsentiert Faktor 1 überwiegend die Herzratenvariabilität, Faktor 2 mehr die Atmung, Faktor 3 die Varianz des mittleren Herzschlagintervalls und Faktoren 4+5 weitere Atmungsparameter. Fairerweise geben die Autoren an, dass die Hinzunahme von Hautleitfähigkeitskennwerten, die bei den anderen Studien berücksichtigt wurden, eigene, neue Faktoren produzierte, die wenig Überlappung mit Herzparametern zeigte. Je nach Zielemotion 187 11 ALLGEMEINE DISKUSSION kommen die Studien auf Trefferaten zwischen 21-85%, wobei die Streuung mit der Anzahl insgesamt induzierter Emotionen steigt21. Allerdings besteht bei den relativ geringen Stichprobenumfängen (bei Christie & Friedmann gehen n=32 ein, bei Rainville et al. n=43, bei Kreibig et al. n=28) und der großen Anzahl von Parametern, die zur Unterscheidung herangezogen werden, immer die Gefahr, dass die gefundenen Veränderungen auf Spezifika der untersuchten Stichprobe oder des Versuchsaufbaus beruhen (Overfitting). Rainville et al. (2006) und Kreibig et al. (2007) versuchen, diese zu verringern, indem sie aus der Stichprobe, mit der die Funktion ermittelt wird, jeweils einen Fall herauslassen, und die Funktionen anschließend diesen (ihnen unbekannten) Fall klassifizieren lassen (leave-1-out oder jacknife-Verfahren)22. Damit erhöht sich die statistische Validität der ermittelten Klassifikationsfunktionen, andererseits wird in jedem Durchgang eine neue Klassifikationsfunktion erstellt, so dass nachher bis zu n verschiedene Funktionen vorliegen. Zur inhaltlichen oder studienübergreifenden Interpretation wäre jedoch eine Auflistung der generellen Parametergewichtung wohl am ehesten geeignet. Angesichts des methodischen Aufwands, der in den gerade zitierten Studien betrieben wird, verwundert es, dass die Veränderungen immer nur als Mittelwert über den gesamten Zeitraum (bei Kreibig et al. immerhin 10 Minuten pro Filmclip) bzw. die letzte Minute der 1-3 Minuten langen Filmclips bei Christie & Friedmann (2004) bewertet werden, nicht aber der Verlauf, obwohl der Vorteil von Filmclips ja gerade darin liegt, dass eine Emotion sich entwickeln kann. Damit in Zusammenhang steht eine andere Auffälligkeit, nämlich wie wenig Angaben zum konkreten Inhalt der eingesetzten Filmclip gemacht wird. Zumeist wird die Zielemotion und ggf. noch der Spielfilm, dem die Szenen entnommen sind, genannt, aber nicht, was dort wann passiert oder warum der Film eine bestimmte Emotion auslöst. Bei Arbeiten, die sich mit der Auswahl geeigneter Filmclips befassen, wird zumindest der Inhalt kurz zusammengefasst (Gross & Levenson, 1995; Hagemann et al., 1999; Hewig et al., 2005). Wenn die Filmclips aber zur Emotionsinduktion eingesetzt werden, fehlt zwar nie der Hinweis auf die evolutionären Ursprünge der einzelnen Emotionen und die damit verknüpften Handlungsintentionen ('Kampf-/ Flucht- /TotstellReaktion'), wodurch sie mit dem Reizmaterial aber konkret hervorgerufen werden sollen, wird nicht weiter erwähnt. Diese einseitige Betonung der entwicklungsgeschichtlichen Perspektive bei der Interpretation emotionaler Reaktionen erinnert mitunter an frühere Strömungen in der Psychologie, etwa den Behaviorismus oder die Blütezeit der Kognitionswissenschaft: beide versuchten ähnlich, menschliches Verhalten und Erleben auf einen einzigen Aspekt, ReizReaktionsmuster oder mentale Operationen zu reduzieren, was beide Male ab einem gewissen Punkt in eine Sackgasse führte. Auch das starke Interesse der Allgemeinheit am Thema Emoti- 21 Israel&Christie (2004): 21-62%, sechs Zielemotionen: Erheiterung (amusement), Zufriedenheit (contentment), Wut, Ekel, Angst, Trauer, neutral. Rainville et al. (2006): 72-82%, vier Zielemotionen: Freude, Trauer, Wut, Angst; 49% für leave-1-out-Test. Kreibig et al (2007): 79-89%; drei Zielemotionen: Trauer, Angst, neutral; 64-75% für leave-1-out-Test. 22 'Fall' bedeutet nach Wissen des Autors für diese Art der Analyse jedoch zumeist 'eine Versuchsperson unter einer Bedingung', so dass das Aktivierungsmuster derselben Versuchsperson für die übrigen Bedingungen (=Zielemotionen) womöglich schon im Trainingsset vorhanden war. 188 11 ALLGEMEINE DISKUSSION onen (der Gruner & Jahr-Verlag gibt z.B. inzwischen eine Art Lifestyle-Zeitschrit mit dem Titel 'Emotion' heraus23) könnte mit darin begründet sein, dass viele Menschen sich zuvor auf computerähnliche 'Denkapparate' reduziert sahen und die subjektiv-affektive Komponente vermissten, etwa wenn Oatley & Johnson-Laird Freude als 'Erreichen eines Unterziels' charakterisierten (s. Tab. 3.1.1, S.45). Die Neurowissenschaften müssen in diesem Zusammenhang womöglich aufpassen, dass sie nicht auf eine ähnliche Weise in eine Sackgasse geraten oder zumindest das öffentliche Interesse an ihrem Forschungsfeld verspielen, wenn sie behaupten, menschliches Erleben und Verhalten jetzt allein aufgrund der gemessenen physiologischen Aktivität als Voxelmuster im Scanner sowie dem letztendlichen evolutionären Vorteil erklären zu können. Im Theorieteil waren insbesondere Panksepp und Lazarus als Forscher aufgeführt worden, die sich gegen eine rein formale Sicht, die nur Merkmale und Funktion, nicht aber 'Inhalt' einer Emotion berücksichtigt, wenden. Lazarus nennt nicht nur die einzelnen Schritte seines Bewertungsprozesses, sondern auch die core relational themes, um die die einzelnen Emotionen kreisen – etwa im Unterschied zu Scherer, der sich nur auf die Beschreibung der Abfrage von Stimulus Evaluation Checks stützt. Ihr Bezug zu den Filmclips war unter 10.1.1 (S.174) der Diskussion dargestellt worden. Panksepp wiederum wendet sich gegen die Reduzierung von Emotionen auf eine (unbewusste) Codierung des Belohnungs-/Bestrafungswertes, wenn er insistiert, Emotionen seien mehr als nur eine weitere Wahrnehmungsvariante wie etwa der Anblick der Farbe 'rot' und das subjektive Erleben zentraler Bestandteil. Verzichtet man auf diese Annahme, wird es schwierig zu erklären, wieso so viele Probanden im vorliegenden Versuch im Anschluss an einen Filmclip angaben, eine bestimmte Emotion mit ausgeprägter subjektiver Erregung gehabt zu haben. Zu jedem Filmclip lässt sich eine 'sachliche' Variante denken, in dem die gleichen Informationen bezüglich des Belohnungs- und Bestrafungswertes vermittelt werden, der aber weitaus weniger emotionalisierend wirkt. Inwieweit es sich bei erlebten Emotionen um jeweils disjunkte Zustände handelt, lässt sich auch aufgrund der vorliegenden Studie nicht endgültig beantworten – Trauer unterscheidet sich durch ein deutlich niedrigeres Erregungsniveau, ansonsten sind sich die drei negativen Emotionen Ekel, Wut und Angst in der kontinuierlichen subjektiven Bewertung aber recht ähnlich. Ekel grenzt sich höchstens durch den rasanten Anstieg in Valenz- und Arousalbewertung ab. Das mag an den ausgewählten Filmclips liegen, die nur jeweils knapp über eine Minute dauerten, nur legt diese Auswahl durch Hagemann et al. (1999) und Hewig et al. (2005) wiederum nahe, dass Ekel als Emotion nicht gut über längere Zeit induziert werden kann, ohne dass Emotionsregulation und kognitive Neubewertung der Situation einsetzt. In jedem Fall lassen sich solche Unterschiede im Verlauf nicht erkennen, wenn man sich nur auf einen Wert über die gesamte Zeit beschränkt. Die Analyse von Verlaufswerten könnte daher als dritte Möglichkeit gesehen werden, emotionsspezifische Muster zu finden. Aus diesem Grund wurde der detaillierten Darstellung des Verlaufs der Selbstbewertung und der physiologischen Parameter während der einzelnen emotionalen Episoden in dieser Arbeit Vorrang gegenüber einer rein statistischen 23 s. www.emotion.de 189 12 AUSBLICK Klassifikation von Emotionen aufgrund physiologischer Veränderungen eingeräumt, da erstere aufschlussreicher erscheint als eine weitere Angabe von Trefferraten. Die Schwierigkeit, aus den bisherigen Klassifikationsversuchen studienübergreifende Schlussfolgerungen zu ziehen, wurde bereits dargestellt. Gleichzeitig ist aber auch klar, dass eine Auswertung über den Verlauf zu wesentlich mehr 'Messfehler' im Sinne von interindividuellen Unterschieden führen kann. Verdeutlichen lässt sich das an den beiden Graphiktypen im Ergebnisteil, wo die Balkengraphiken als Mittelwert über alle Versuchspersonen und alle Emotionsfilme meistens 'eindeutiger' aussehen als der gemittelte Verlauf der Emotionsfilme, bei dem sich die farbigen Linien oft überschneiden. Oder an den Korrelationen, die durchweg niedriger werden, wenn man von Mittelwerten pro Emotion zu Verlaufswerten übergeht. Will man die einzelnen Verläufe sinnvoll interpretieren, ist ein Bezug zu Schlüsselmomenten im jeweiligen Filmclip unverzichtbar, was zu Lasten der Beschreibung von Emotionen als situationsübergreifendes Prinzip der Verhaltensorganisation geht. Ähnliches ließ sich im Theorieteil feststellen: je stärker die Theorien auf die grundlegende Funktion von Emotionen abstellen und situationsspezifische Aspekte außen vor lassen, desto stringenter wirken sie, etwa das Modell von Rolls (Kap. 2.1, S.21) gegenüber den psychologischen AppraisalTheorien (Kap 3.1, ab S.44), bei denen im Extremfall der Eindruck aufkommen kann, sie verlieren sich in den zahllosen Bewertungsaspekten und -prozessen einer einzelnen emotionalen Episode. Dennoch soll nicht der Eindruck erweckt werden, die Abschätzung des emotionalen Zustands in einer konkreten Situation sei zweitrangig oder nur mit neuen, beispielsweise bildgebenden Verfahren der Neurowissenschaften möglich. Ansätze dazu gibt es, allerdings mitunter eher in Nachbardisziplinen der Emotionspsychologie und mit zum Teil weniger explizitem Bezug zu Emotionstheorien, weshalb sie im nächsten Kapitel, dem Ausblick, dargestellt werden. 12 Ausblick Die vorliegende Arbeit hat Emotionen und damit einhergehende physiologische Veränderung aus dem Blickwinkel der Biologischen Psychologie betrachtet und sich in Versuchsaufbau und Datenauswertung an Standards in diesem Feld orientiert. Das Zusammenwirken von Physiologie und emotionaler Reaktion wird in jüngerer Zeit auch verstärkt in einer anderen Disziplin untersucht, der Mensch-Computer-Interaktion, und mögliche Anknüpfungspunkte sollen an dieser Stelle angesprochen werden. Je nach Anwendungszweck werden die erhobenen Daten auf unterschiedliche Weise genutzt, und insbesondere folgende Fragen sind dabei relevant: – Soll ein generelles (= für alle Personen gültiges) oder individuelles Muster physiologischer Aktivität identifiziert werden? – Wie viele und welche emotionalen Zustände sollen unterschieden werden? – Ist eine Vohersage oder eine nachträgliche Klassifizierung des emotionalen Zustands das Ziel? 190 AUSBLICK- 12.1 EMOTIONEN IN DER MENSCH-COMPUTER-INTERAKTION Als mögliche grobe Zuordnung von Forschungsfeldern zu den eben genannten Fragen lässt sich angeben, dass Neurowissenschaften und Biologische Psychologie Emotionen als evolutionäres Mittel der Verhaltensorganisation sehen und deshalb primär an der Identifikation genereller bis hin zu speziesübergreifender Muster interessiert sind. Zumeist besteht ein deutlicher Bezug zu Affekten bei Tieren, und sowohl Reizmaterial als auch Versuchsanordnungen sind darauf ausgerichtet, evolutionär prototypische Emotionen hervorzurufen. Die Auswertung erfolgt üblicherweise im Anschluss an den Versuch, und der individuelle zeitliche Verlauf wird bisher weniger berücksichtigt, ebenso wie der Inhalt der emotionsauslösenden Reize teilweise vernachlässigt wird, wie im vorigen Kapitel diskutiert wurde. In der Mensch-Maschine- oder Mensch-Computer-Interaktion (englisch: Human-Computer Interaction, HCI) wird hingegen die Vorhersage forciert, wo sie auf individueller Ebene und wenn möglich in Echtzeit funktionieren soll. Die zugrunde liegenden Wirkungszusammenhänge sind dabei zweitrangig, angestrebt werden zuverlässige Indikatoren. Natürlich überlappen sich beide Bereiche, und Forscher aus jeder Disziplin würden vermutlich sofort Einspruch erheben und für sich zu Recht reklamieren, auch Erkenntnisse für den jeweils anderen Schwerpunkte beisteuern zu können. Kreibig et al (2007) etwa erwähnen die Anwendung für die MenschComputer-Interaktion explizit in ihrem Artikel. Die eben genannte Zuordnung ist daher in erster Linie als Orientierung für den Leser zu verstehen, das Thema, mit dem sich der folgende Abschnitt befasst, besser einordnen zu können. Denn während die Neurowissenschaften inzwischen überwiegend auf zentralnvervöse Aktivität fokussieren, und dabei die 'klassischen' peripherphysiologischen Maße teilweise ins Hintertreffen geraten, werden diese Signale in der Mensch-Computer-Interaktion seit einiger Zeit als zusätzliche Informationsquelle genutzt. 12.1 Emotionen in der Mensch-Computer-Interaktion Emotionen werden in der Mensch-Computer-Interaktion zumeist unter dem Schlagwort Affective Computing aufgeführt. Dieser Begriff wurde Mitte der Neunziger von Rosalind Picard geprägt (Picard, 1995, 1997) und meint zum einen die Erfassung emotionaler Prozesse beim Benutzer, zum anderen aber auch die gezielte Beeinflussung der emotionalen Stimmung bis hin zu Computern, die selbst emotional agieren. Das vorliegende Kapitel konzentriert sich auf den ersten Aspekt, für den zweiten sei auf das Buch von Nicole Krämer Soziale Wirkung virtueller Helfer (Krämer, 2008) verwiesen, die dieses Thema umfassend bespricht, und dort wie auch an anderer Stelle (Krämer & Bente, 2003) deutlich macht, dass für eine emotionale Wirkung Computer nicht unbedingt selbst Emotionen implementiert haben müssen. Der Hinwendung zu Emotionen in der Mensch-Computer-Interaktion (englisch: HumanComputer Interaction, HCI) war eine Neuorientierung in der Künstlichen Intelligenz und Robotik vorausgegangen, wo zunehmend davon abgesehen wurde, ein großes umfassendes System von Anfang an mit möglichst viel (menschenähnlichem) Weltwissen zu versehen. Statt dessen gin man dazu über, zunächst einfache, spezifische Verhaltensprogramme festzulegen (behavior-based robotics) und diese dann im Laufe der Zeit durch komplexere Schichten zu erweitern, 191 AUSBLICK- 12.1 EMOTIONEN IN DER MENSCH-COMPUTER-INTERAKTION die die einfacheren Strukturen hemmen können (Brooks, 1986a, 1986b; Brooks, 1991). Auch wenn sich hier deutliche Bezüge zur Gehirnorganisation und neurowissenschaftlichen Emotionstheorien zeigen, ging es weniger um Affekte, sondern um recht grundlegende Probleme, etwa Roboter zu konstruieren, die sich frei bewegen können, ohne irgend etwas umzulaufen (Brooks, 1989). Die Frage, inwieweit intelligente System immer an konkrete sensorische Erfahrung gekoppelt sind (embodiement), ist in diesem Feld bis heute aktuell (Vernon, 2008), und in die gleiche Richtung geht Damasios Bewusstseinstheorie, für die die Repräsentation des aktuellen Körperzustands Grundlage aller höheren Prozesse ist (s. 2.3.4, S.39). Erkenntnisse aus beiden Forschungsrichtungen legten nahe, dass bei der Bemühung, die Benutzerführung am Computer möglichst nah am Anwender auszurichten, ähnliche Schwierigkeiten auftreten könnten, wenn man sich zu sehr auf die Erstellung immer komplexerer, aber abstrakter kognitiver Modelle konzentriert. Befürworter der Benutzermodellierung sehen diese Gefahr nicht, sondern nehmen im Gegenteil teilweise für sich in Anspruch, die einzig wissenschaftliche Herangehensweise bei der Ermittlung der Gebrauchstauglichkeit (usability) darzustellen (Kieras, 2007)24. Dennoch müssen sie einräumen, dass die Anwendung kognitiver Architekturen wie ACT-R25 (Anderson, 1983), die die Zerlegung einer Aufgabe in sämtliche Unterschritte erfordert, sehr zeitaufwändig ist bzw. einfachere Techniken wie GOMS26 (Card et al., 1983) in erster Linie auf die Abschätzung von Ausführungszeiten und der Modellierung von Experten-Nutzern beschränkt sind (Ivory & Hearst, 2001; St. Amant et al., 2006). Da Nutzerverhalten bisher also nicht befriedigend im Vorhinein und ohne Einbeziehung des momentanen Benutzer vorhergesagt werden kann, bieten sich physiologische Signale als zusätzliche Informationsquelle zur Abschätzung des aktuellen Zustands bis hin zum Einsatz als Eingabemodalität an. Ein großer Verdienst der HCI- und Affective Computing-Forschung ist dabei, dass sie physiologischen Maßen, die im Vergleich zu den bildgebenden Verfahren teilweise antiquiert wirken, mit neuen Sensoren und Auswertungsansätzen begegnen, sei es Hautleifähigkeitssensoren integriert in eine Armbanduhr (Strauss, 2005), Herzschlagsensoren in einem Bürostuhl (Anttonen & Surakka, 2005), oder Bildverarbeitungsalgorithmen, die automatisch Gesichter erkennen und die emotionale Mimik abschätzen können (Cohn & Kanade, 2007). Für die Auswertung kommen vor allem Verfahren des Maschinellen Lernens zum Einsatz und die Ermittlung der Vorhersage- oder Klassifikationsfunktionen ist zumeist datengetrieben, das heißt, die Bestimmung indikativer Aktivierungsmuster wird weitestgehend dem Algorithmus selbst überlassen und weniger aus einer neurowissenschaftlichen oder psychologischen Theorie abgeleitet. Die Berücksichtigung neurophysiologischer Erkenntnisse erfolgt wenn, dann in erster Linie, um die Trainingsphase abzukürzen (Müller et al., 2008), und ebenso wird die ermittelte Klassifikationsregel nicht im Hinblick auf ihre Interpretation der zugrunde 24 Diesem forschen Anspruch von Kieras möchte man den Artikel von Brooks (1991) entgegengestellen, dessen ebenfalls leicht polemischen Aussagen über die Künstliche Intelligenz für den Bereich der Benutzermodellierung nach wie vor Gültigkeit haben. 25 Adaptive Control of Thought - Rational 26 Goals Operators Methods Selections 192 AUSBLICK- 12.1 EMOTIONEN IN DER MENSCH-COMPUTER-INTERAKTION liegenden psychischen Prozesse hin ausgewertet. Ist das Ziel vorrangig eine möglichst genaue und rasche Vorhersage, wie in der eben genannten Referenz EEG-Aktivität zur Ermittlung von Bewegungsintentionen im Rahmen eines Brain-Computer-Interfaces (BCI), so ist dies durchaus legitim. Sollen jedoch über das konkrete Anwendungsfeld hinaus generelle Aussagen über die Bedeutung der Signale im Zusammenhang mit emotionalem Erleben hergeleitet werden, kann es hier zu möglicherweise mißverständlichen Schlußfolgerungen kommen: So berichten Thüring & Mahlke (2007) als ein Fazit ihrer Usability-Studie: "Our results regarding the activity of the zygomaticus major differ from other studies, which found higher activity in relation to positive emotions (Partala & Surakka, 2004). Instead, our data point in the same direction as experiments that detected high activity of the zygomaticus major for negative emotions (Lang, Greenwald, Bradley, & Hamm, 1993). Hence it seems that the activity of the zygomaticus major is not well suited to discriminate between positive and negative feelings, although it might be a strong indicator for emotional responses in general" (S.257)27. Dies lässt an die Ergebnisse des vorliegenden Versuchs denken, in der sich in einem Fall einer negativen Emotion ebenfalls eine leicht erhöhte Aktivität von zygomaticus major zusammen mit dem corrugator supercilii fand, nämlich für die Zielemotion Ekel (Abb. 9.2.3, S.142). Hier ist die gemeinsame Aktivierung von Corrugator- und Zygomaticus-Muskel Anzeichen eines irritiertangewiderten Gesichtsausdrucks und eine ähnliche Beoachtung findet sich auch bei Bradley & Lang (2000) für die hoch aversiven Bilder des IAPS, z.B. Verstümmelungen – die Aktivität des Zygomaticus steigt erst für die niedrigsten Valenz-Bewertungen wieder an (Bradley & Lang, 2000; Lang et al., 1993). Wenn aber der Zygomaticus- und Corrugator-Muskel in beiden Bedingungen der eben zitierten Usability-Studie erhöht aktiv waren28, obwohl die emotionale Valenz eher im mittleren Bereich bewertet wurde (die SAM-Mittelwerte gingen von 3.8 bis 7.1, zur Skala s. Abb. 3.4.2, S.65 dieser Arbeit), so spricht einiges dafür, dass das zentrale Konstrukt vielleicht weniger 'Emotionen', sondern eher 'Anstrengung' war. Erhöhte Anstrengung ist ebenfalls mit Anspannung der Gesichtsmuskulatur, etwa des Stirnmuskels, und vermehrten EDAFluktuationen assoziiert (Boucsein, 2000). Die Aussagen zu Unterschieden zwischen den einzelnen getesteten Systemvarianten in der Usability-Studie (Thüring & Mahlke, 2007) sind deswegen natürlich trotzdem gültig, nur lässt sich nicht ohne weiteres aus den Ergebnissen ableiten, dass der zygomaticus major nicht dazu geeignet sei, zwischen positiven und negativen Gefühlen zu unterscheiden. Überhaupt ist der Bezug zu emotionspsychologischen Erkenntnissen und Methoden recht unterschiedlich: Partala & Sukkara validieren die Aussagefähigkeit der gemessenen Signale Pupillenerweiterungen und Gesichtsmuskel-EMG zunächst an Bildern des IAPS bzw. Geräuschen des IADS (Partala & Surakka, 2003; Partala et al., 2005), bevor sie sie im Zusammen- 27 Der Text der Veröffentlichung von Lang et al. (1993), auf die im Zitat Bezug genommen wird, lautet: "Zygomaticus muscle responses were greatest for pleasant ranks, smallest for more neutral ranks, and slightly larger at the lowest valence ranks (Figure 2, upper middle panel)." (Lang et al, 1993, S. 264). 28 es wird bei den Tabellen auf S. 256 und S. 261 in Thüring & Mahlke (2007) nicht angegeben, ob es sich um Rohoder baseline-korrigierte Werte handelt, Herzraten von 1.9 BPM legen letzteres nahe. In dem Fall waren beide Muskeln immer gegenüber der Baselilne verstärkt aktiviert 193 AUSBLICK- 12.1 EMOTIONEN IN DER MENSCH-COMPUTER-INTERAKTION hang von Mensch-Computer-Interaktion benutzen (Partala & Surakka, 2004) und schließlich zur Online-Abschätzung der Stimmung einsetzen (Partala et al., 2006). Vyzas & Picard (1998) nutzen Emotions-Imagination durch eine Schauspielerin, um verschiedene emotionale Zustände, unter anderem auch platonische sowie romantische Liebe hervorzurufen. Gemessen werden Hautleitfähigkeit, kardiovaskuläre Parameter und die Aktivität des Masseter-Muskels (Kieferschluss-Muskel). Die Schauspielerin stellt sich die insgesamt acht Emotionen an zwanzig Tagen hintereinander gemäß des Clynes-Protokolls (Clynes, 1977) innerhalb von 25 Minuten vor, wobei es zu deutlichen Tageseffekten kommt (Vyzas, 1999) und sich teilweise die Tage besser vorhersagen lassen als die verschiedenen Emotionen über mehrere Tage hinweg (Picard et al., 2001). In jüngeren Studien bezieht sich die Emotionserkennung bei der Gruppe um Picard neben Interaktionshilfen für Autismus-Patienten (Teeters, 2007) in erster Linie auf die Abschätzung des Frustrationsniveaus beim Erlernen des Turm-von-HanoiSpiels bei gleichzeitiger Hilfe durch einen virtuellen Tutor (Burleson, 2006; Kapoor et al., 2007) oder Stress bei Autofahrten (Healey & Picard, 2005). In letzterem Versuch wird neben Hautleitfähigkeit und Herzaktivität das EMG am Trapezmuskel gemessen, ein für die Emotionsforschung eher unüblicher Muskel. Ähnlich induzieren Liao et al. (2006) in ihrem Experiment Toward a decision-theoretic framework for affect recognition and user assistance Stress mittels einer Rechenaufgabe bei zusätzlicher auditiver Nebenaufgabe bzw. erfassen Ermüdung mit einem psychomotorischen Vigilanztest. Spätestens hier stellt sich die Frage, inwieweit der Begriff Affekt oder Emotion noch gerechtfertigt ist, oder nicht besser von Beanspruchung die Rede sein sollte, wie auch die Auswahl der gemessenen Muskeln in den zuvor erwähnten Studien nahelegt. Natürlich lässt sich aus pragmatischer Sicht argumentieren, dass Stress und Ermüdung beide ebenfalls unangenehme Zustände sind, und es für die Verbesserung der MenschMaschine-Interaktion wenig interessiert, welchen Namen man ihnen gibt, sondern hauptsächlich, wie sie sich verlässlich erkennen lassen. Andererseits ist es der Verständigung zwischen verschiedenen Disziplinen sicherlich nicht förderlich, wenn sich hinter gleichen Schlüsselbegriffen unterschiedliche Konstrukte verbergen und Fehlinterpretationen werden wahrscheinlich. Vor allem aber entsteht der Eindruck, dass hier ein Forschungsfeld vermeintlich neu entdeckt wird – der Ansatz, Herzaktivität und Hautleitfähigkeit als Indikatoren für Beanspruchung zu nutzen (Healey & Picard, 2005), wird im Bereich Human Factors schon deutlich länger verfolgt (für eine umfassende Übersicht s. Boucsein & Backs, 2000), auch für Bildschirmarbeit (Boucsein, 2000), und die meisten Kennwerte des von Liao et al. (2006) vorgeschlagenen Frameworks werden beispielsweise in der Verkehrspsychologie bereits in Versuchsfahrzeugen erhoben (Schießl et al., 2006). Innerhalb der HCI-Forschung selbst weisen die Systeme von Bianchi-Berthouze & Lisetti (2002) oder Hudlicka et al. (2002) Ähnlichkeiten mit dem neuen Framework auf. Nötiger als die Entwicklung immer neuer Frameworks, Modelle oder Schlagworte erscheint für dieses Feld die Etablierung standardisierter Messinstrumente oder Reizmaterialien, die frei zugänglich und unmittelbar einsetzbar sind, ähnlich wie Bradley & Lang es mit ihrem International Affective Picture System (IAPS) oder der Sammlung der International Affective Digitized 194 AUSBLICK- 12.1 EMOTIONEN IN DER MENSCH-COMPUTER-INTERAKTION Sounds (IADS) sowie dem Startle-Paradigma für die Emotionspsychologie getan haben. So lange diese nicht verfügbar sind, erscheint ein Vorgehen wie von Partalla & Sukkara (2003, s.o.), zunächst Reizmaterial ohne HCI-Bezug, für das aber Normwerte oder zumindest Vergleichsstudien vorliegen, eine gangbare Alternative, um zu überprüfen, inwieweit ein Parameter oder ein Messsystem grundsätzlich sensitiv für affektive Veränderungen ist. Reichen einzelne Bilder nicht aus, sondern ist ein kontinuierlicher Reizfluss erforderlich, so bieten sich die Filmclips, die auch in dieser Studie zum Einsatz kamen, an. Eine Zusammenstellung neuerer Ausschnitte wurde ebenfalls genannt (Schaefer et al., 2007, s. 6.1.2 S.104). Ohne die Verwendung solcher 'Referenz'-Reize und standardisierter Versuchsanordnungen ist gerade bei Neuentwicklungen mitunter nicht klar, in welchem Ausmaß die Ergebnisse auf die jeweilige Untersuchungsszenarien beschränkt sind. Gleiches gilt für die Erfassung der subjektiv erlebten Komponente. In anderen Bereichen der Bewertung von Mensch-Computer-Interaktion ist die Etablierung einheitlicher Standards weiter fortgeschritten: Raake (2006) beschreibt verschiedene Ansätze zur Bewertung der wahrgenommenen Sprachqualität bei digitaler Übertragung (Voice over IP), unter anderem die kontinuierliche Bewertung mittels einer Schieberegler-Box (Gros & Chateau, 2001), die so auch von der International Standardisation Union (ITU) als ein Standard empfohlen wird (ITU-T-Rec.P.880, 2004). EMuJoy war ursprünglich ebenfalls als Verfahren zur kontinuierlichen Bewertung von akustischen Reizen entwickelt worden, in diesem Fall der emotionalen Wirkung längerer Musikstücke auf den Dimensionen Valenz und Arousal. Batliner et al. (2008) kommen in ihrer rein datengetriebenen Analyse der emotionalen Dimensionen bei Dialogen von Kindern mit dem dem Sony-Roboterhund AIBO auf die beiden Dimensionen Valenz und Interaction, wobei letztere angibt, inwieweit sich eine Aussage an den Dialogpartner richtet. Hier zeigt sich ein deutlicher Bezug zur Dimension soziale Dominanz von Bradley & Lang, der in dem Artikel leider nicht thematisiert wird29. Sollte für die emotionale Wirkung von Dialogen diese Dimension wichtiger sein, so ließe sich EMuJoy mit seinen frei konfiguierbaren Achsenbeschriftungen hier ebenfalls für eine kontinuierliche Bewertung einsetzen, und die Validität der Ergebnisse könnte mit den Stimuli des IAPS und IADS zumindest ansatzweise abgeglichen werden. Bei mehr systematischer Variation im Reizmaterial ließe sich sicherlich auch besser abschätzen, inwieweit Affekte beim Umgang mit Computern sich auf die Pole Freude (an der Benutzung) gegenüber Frustration oder Stress beschränkt, wie die Auswahl der Versuchszenarien mitunter nahe legt. Je komplexer die Interaktionsmöglichkeiten werden, desto wahrscheinlicher sind zusätzliche Nuancen bis hin zu quasi-sozialen bzw. parasozialen Reaktionen (Krämer, 2008). Von diesen Erkenntnissen und Untersuchungsansätzen würde wiederum die Emotionsforschung profitieren, ebenso wie von den innovativen Sensorentwicklungen, deren weiterem Einsatz im Grunde oft nur eine umfassendere Evaluierung fehlt. 29 Generell findet sich dort weder ein Verweis auf Bradley & Lang noch auf Russell, obwohl die beiden Dimensionen Arousal und Valenz ausgiebig besprochen werden und sogar als als Kreisdiagramm abgebildet sind. Erwähnt werden für den dimensionalen Ansatz lediglich Wundt (1896) und Schlosberg (1954), außerdem das Emotionsmodell von Ortony et al. (1988). 195 LITERATURVERZEICHNIS Literaturverzeichnis Abele-Brehm, A. E.,& Gendolla, G. H. (2000). Motivation und Emotion. In J. H. Otto, H. A. Euler & H. Mandl (Eds.), Emotionspsychologie (pp. 297-305). Weinheim: Beltz. Adolphs, R. (2006). Investigating Human Emotion with Lesions and Intracranial Recording. In J. A. Coan & J. B. Allen (Eds.), The handbook of emotion elicitation and assessment. 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Um mit ihr auch Filme abspielen zu können, mußte sie erweitert werden, wobei mir ihr Entwickler, Dr. Frederik Nagel sowie Dipl.-Inf. Maik Hofmann Tipps zur Java-Programmierung gaben. Dipl.-Psych. Gerhard Mutz von der Universität Köln hat mir mit viel Geduld meine Fragen zur Konfiguration von Varioport und Variograf beantwortet. PD Dr. Dirk Hagemann von der Universität Trier war so freundlich, mir die von ihm und Kollegen validierten Filmreize zukommen zu lassen. Beim Versuchsaufbau kamen mir, ebenfalls vermittelt über Prof. Galley, zwei alte Hardware-Hasen, Dipl.-Psych. Gerhard Karl und Dipl.-Psych. Manfred Boldt zu Hilfe, als es beispielsweise darum ging, kurzfristig einen von mir abgebrochenen Stecker am Varioport-Physio-Rekorder zu löten. Für die Mitarbeit bei der Versuchsdurchführung und der Datenaufbereitung danke ich Hanna Mertgens sowie den Versuchsteilnehmern. Die Deutsche Telekom Laboratories der Technischen Universität Berlin haben mir nach meinem Wechsel dorthin einen Tag pro Woche eingeräumt, an meiner Doktorarbeit weiter zu arbeiten und sie so zu Ende zu bringen, wofür ich mich ebenfalls bedanken möchte. Meine Kollegen am dortigen Quality & Usability Lab (Prof. Sebastian Möller) haben sich nicht nur beständig nach dem Voranschreiten meiner Arbeit erkundigt, sondern mir auch jederzeit bei Fragen geholfen. Als sie denn endlich fertig war, hat meine Freundin Dipl.-Psych. Susanne Briest die Arbeit Korrektur gelesen, ebenso wie sie mir die gesamte Zeit über zur Seite stand und mich bei zahllosen Kleinigkeiten, etwa der Bewertung der Graphiken oder der Literaturrecherche unterstützt hat. In diesem Zusammenhang möchte ich auch dem Rechenzentrum der Universität zu Köln sowie der Deutschen Zentralbibliothek für Medizin meinen Dank aussprechen, durch die ich die gesamte Zeit über mit wenig Aufwand Zugriff auf die aktuelle Literatur hatte. Diesen Service lernt man erst wirklich zu schätzen, wenn er nicht mehr in gleicher Weise zur Verfügung steht. 211 ANHANG – 13 VERSUCHSUNTERLAGEN Anhang 13 Versuchsunterlagen 13.1 Eingangsfragebogen 212 ANHANG – 13 VERSUCHSUNTERLAGEN 13.2 Instruktion 213 ANHANG – 13 VERSUCHSUNTERLAGEN 214 ANHANG – 14.1 GRAPHIKEN 10-SEKUNDEN-FENSTER: ZIELEMOTION X GESCHLECHT 14 Graphiken 10-Sekunden-Fenster: Zielemotion x Geschlecht 14.1 EMuJoy-Werte 1,00 Freude 0,50 0,00 -0,50 -1,00 1,00 weiblich männlich Trauer 0,50 0,00 -0,50 -1,00 1,00 Zielemotion Ekel Mean Valenz Geschlecht 0,50 0,00 -0,50 -1,00 1,00 Wut 0,50 0,00 -0,50 -1,00 1,00 Angst 0,50 0,00 -0,50 -1,00 10 30 50 70 90 110 130 150 170 190 Zeit in 10-Sekunden-Fenster 1,00 Freude 0,60 0,20 -0,20 1,00 Trauer 0,60 Zielemotion Ekel Mean Arousal 0,20 -0,20 1,00 0,60 0,20 -0,20 1,00 Wut 0,60 0,20 -0,20 1,00 Angst 0,60 0,20 -0,20 10 30 50 70 90 110 130 150 Zeit in 10-Sekunden-Fenster 215 170 190 Geschlecht weiblich männlich ANHANG – 14.2 GRAPHIKEN 10-SEKUNDEN-FENSTER: ZIELEMOTION X GESCHLECHT 14.2 Hautleitfähigkeitsniveau EDL (%Baseline-Werte) 200,00 Freude 175,00 150,00 125,00 100,00 75,00 Geschlecht weiblich männlich 200,00 Trauer 175,00 150,00 125,00 100,00 Zielemotion Ekel Mean EDLbc 75,00 200,00 175,00 150,00 125,00 100,00 75,00 200,00 175,00 Wut 150,00 125,00 100,00 75,00 200,00 Angst 175,00 150,00 125,00 100,00 75,00 10 30 50 70 90 110 130 150 170 190 Zeit in 10-Sekunden-Fenster 14.3 Gesichtsmuskelaktivität (%Baseline-Werte) 14.3.1 corrugator supercilii 300,00 Freude 250,00 200,00 150,00 100,00 50,00 300,00 Trauer 250,00 150,00 100,00 50,00 Zielemotion Ekel 300,00 250,00 200,00 150,00 100,00 50,00 300,00 250,00 Wut Mean EMGL corrugator 200,00 200,00 150,00 100,00 50,00 300,00 Angst 250,00 200,00 150,00 100,00 50,00 10 30 50 70 90 110 130 150 Zeit in 10-Sekunden-Fenster 216 170 190 Geschlecht weiblich männlich ANHANG – 14.3 GRAPHIKEN 10-SEKUNDEN-FENSTER: ZIELEMOTION X GESCHLECHT 14.3.2 orbicularis oculi 600,00 500,00 400,00 300,00 200,00 100,00 0,00 Geschlecht weiblich männlich Trauer Zielemotion Ekel 600,00 500,00 400,00 300,00 200,00 100,00 0,00 600,00 500,00 400,00 300,00 200,00 100,00 0,00 Wut Mean EMGL orbicularis Freude 600,00 500,00 400,00 300,00 200,00 100,00 0,00 Angst 600,00 500,00 400,00 300,00 200,00 100,00 0,00 10 30 50 70 90 110 130 150 170 190 Zeit in 10-Sekunden-Fenster 14.3.3 zygomaticus major 1000,00 Freude 800,00 600,00 400,00 200,00 0,00 1000,00 600,00 400,00 200,00 0,00 Zielemotion Ekel 1000,00 800,00 600,00 400,00 200,00 0,00 1000,00 800,00 Wut Mean EMGL zygomaticus Trauer 800,00 600,00 400,00 200,00 0,00 1000,00 Angst 800,00 600,00 400,00 200,00 0,00 10 30 50 70 90 110 130 150 Zeit in 10-Sekunden-Fenster 217 170 190 Geschlecht weiblich männlich ANHANG – 14.4 GRAPHIKEN 10-SEKUNDEN-FENSTER: ZIELEMOTION X GESCHLECHT 14.4 Herzaktivität (%Baseline-Werte) 14.4.1 Herzrate (HR) 115,00 Freude 110,00 105,00 100,00 95,00 90,00 Geschlecht weiblich männlich 115,00 Trauer 110,00 105,00 100,00 95,00 Zielemotion Ekel Mean HRbc 90,00 115,00 110,00 105,00 100,00 95,00 90,00 115,00 110,00 Wut 105,00 100,00 95,00 90,00 115,00 Angst 110,00 105,00 100,00 95,00 90,00 10 30 50 70 90 110 130 150 170 190 Zeit in 10-Sekunden-Fenster 14.4.2 Inter-Beat-Intervall (IBI) 115,00 Freude 110,00 105,00 100,00 95,00 90,00 115,00 Trauer 110,00 105,00 100,00 95,00 Zielemotion Ekel Mean IBIbc 90,00 115,00 110,00 105,00 100,00 95,00 90,00 115,00 110,00 Wut 105,00 100,00 95,00 90,00 115,00 Angst 110,00 105,00 100,00 95,00 90,00 10 30 50 70 90 110 130 150 Zeit in 10-Sekunden-Fenster 218 170 190 Geschlecht weiblich männlich ANHANG – 14.4 GRAPHIKEN 10-SEKUNDEN-FENSTER: ZIELEMOTION X GESCHLECHT 14.4.3 Streuung der IBIs (SDNN) 120,00 Freude 100,00 80,00 60,00 40,00 120,00 weiblich männlich Trauer 100,00 80,00 60,00 40,00 120,00 Zielemotion Ekel Mean SDNNbc Geschlecht 100,00 80,00 60,00 40,00 120,00 Wut 100,00 80,00 60,00 40,00 120,00 Angst 100,00 80,00 60,00 40,00 10 30 50 70 90 110 130 150 170 190 Zeit in 10-Sekunden-Fenster 14.4.4 Mittlere absolute Differenz sukzessiver IBIs (MSD) Freude 140,00 120,00 100,00 80,00 Trauer 140,00 120,00 100,00 Zielemotion Ekel Mean MSDbc 80,00 140,00 120,00 100,00 80,00 140,00 Wut 120,00 100,00 80,00 Angst 140,00 120,00 100,00 80,00 10 30 50 70 90 110 130 150 Zeit in 10-Sekunden-Fenster 219 170 190 Geschlecht weiblich männlich ANHANG – 14.5 GRAPHIKEN 10-SEKUNDEN-FENSTER: ZIELEMOTION X GESCHLECHT 14.5 Sakkaden (%Baseline-Aktivität) 14.5.1 Intervall 300,00 Freude 250,00 200,00 150,00 100,00 50,00 Geschlecht weiblich männlich 300,00 Trauer 250,00 200,00 150,00 50,00 Zielemotion Ekel Mean interval 100,00 300,00 250,00 200,00 150,00 100,00 50,00 300,00 250,00 Wut 200,00 150,00 100,00 50,00 300,00 Angst 250,00 200,00 150,00 100,00 50,00 10 30 50 70 90 110 130 150 170 190 Zeit in 10-Sekunden-Fenster 14.5.2 Standardisierte Dauer (stdduration) 110,00 Freude 100,00 90,00 80,00 70,00 110,00 Trauer 100,00 90,00 70,00 110,00 Zielemotion Ekel Mean stdduration 80,00 100,00 90,00 80,00 70,00 110,00 Wut 100,00 90,00 80,00 70,00 110,00 Angst 100,00 90,00 80,00 70,00 10 30 50 70 90 110 130 150 Zeit in 10-Sekunden-Fenster 220 170 190 Geschlecht weiblich männlich ANHANG – 14.5 GRAPHIKEN 10-SEKUNDEN-FENSTER: ZIELEMOTION X GESCHLECHT 14.5.3 Standardisierte Maximalgeschwindigkeit (stdmaxspeed) 200,00 180,00 160,00 140,00 120,00 100,00 80,00 Geschlecht weiblich männlich Trauer Zielemotion Ekel Mean stdmaxspeed Freude 200,00 180,00 160,00 140,00 120,00 100,00 80,00 200,00 180,00 160,00 140,00 120,00 100,00 80,00 Wut 200,00 180,00 160,00 140,00 120,00 100,00 80,00 Angst 200,00 180,00 160,00 140,00 120,00 100,00 80,00 10 30 50 70 90 110 130 150 170 190 Zeit in 10-Sekunden-Fenster 14.5.4 Standardiserte (Durchschnitts)Geschwindigkeit (stdspeed) 160,00 Freude 140,00 120,00 100,00 160,00 Trauer 140,00 120,00 Zielemotion Ekel Mean stdspeed 100,00 160,00 140,00 120,00 100,00 160,00 Wut 140,00 120,00 100,00 160,00 Angst 140,00 120,00 100,00 10 30 50 70 90 110 130 150 Zeit in 10-Sekunden-Fenster 221 170 190 Geschlecht weiblich männlich ANHANG – 14.6 GRAPHIKEN 10-SEKUNDEN-FENSTER: ZIELEMOTION X GESCHLECHT 14.6 Lidschläge (%Baseline-Aktivität) 14.6.1 Intervall 350,00 Freude 300,00 250,00 200,00 150,00 100,00 Geschlecht weiblich männlich 350,00 Trauer 300,00 250,00 200,00 100,00 Zielemotion Ekel Mean intervall 150,00 350,00 300,00 250,00 200,00 150,00 100,00 350,00 300,00 Wut 250,00 200,00 150,00 100,00 350,00 Angst 300,00 250,00 200,00 150,00 100,00 20 40 60 80 100 120 140 160 180 Zeit in 10-Sekunden-Fenster 14.6.2 Standardisierte Gesamtdauer (stdtotaldur) 130,00 Freude 120,00 110,00 100,00 90,00 80,00 130,00 Trauer 120,00 110,00 90,00 80,00 Zielemotion Ekel Mean stdtotaldur 100,00 130,00 120,00 110,00 100,00 90,00 80,00 130,00 120,00 Wut 110,00 100,00 90,00 80,00 130,00 Angst 120,00 110,00 100,00 90,00 80,00 20 40 60 80 100 120 140 Zeit in 10-Sekunden-Fenster 222 160 180 Geschlecht weiblich männlich ANHANG – 14.6 GRAPHIKEN 10-SEKUNDEN-FENSTER: ZIELEMOTION X GESCHLECHT 14.6.3 Standardisierte maximale Schließgeschwindigkeit (stdclmaxspeed) 140,00 130,00 120,00 110,00 100,00 90,00 80,00 Geschlecht weiblich männlich Trauer Zielemotion Ekel 140,00 130,00 120,00 110,00 100,00 90,00 80,00 140,00 130,00 120,00 110,00 100,00 90,00 80,00 Wut Mean stdclmaxspeed Freude 140,00 130,00 120,00 110,00 100,00 90,00 80,00 Angst 140,00 130,00 120,00 110,00 100,00 90,00 80,00 20 40 60 80 100 120 140 160 180 Zeit in 10-Sekunden-Fenster 14.6.4 Standardisierte durchschnittliche Schließgeschwindigkeit (stdclspeed) 120,00 Freude 110,00 100,00 90,00 80,00 120,00 Trauer 110,00 100,00 80,00 120,00 Zielemotion Ekel Mean stdclspeed 90,00 110,00 100,00 90,00 80,00 120,00 Wut 110,00 100,00 90,00 80,00 120,00 Angst 110,00 100,00 90,00 80,00 20 40 60 80 100 120 140 160 Zeit in 10-Sekunden-Fenster 223 180 Geschlecht weiblich männlich ANHANG – 15.1 AUSWERTUNG 1 WERT PRO VP PRO EMOTION 15 Korrelationstabellen 15.1 Auswertung 1 Wert pro VP pro Emotion Tab. 15.1.1: Bivariate Produkt-Moment-Korrelationen der Lidschlag-und Sakkadenparameter untereinander sowie mit den Valenz- und Arousalratings (1 Wert pro Vp pro Emotion, 57 Vpn). cl=Schließphase ('closures'), op=Öffnungsphase ('opening'); amp=Amplitude; std=standardisiert. Für Erläuterung der Variablennamen s. signalweise Abschnitte von Kap. 8.3, S.131. Ausgegraute Werte: nicht-signifikant, normal gedruckte Werte: signifikant auf dem 5%-Niveau, fett gedruckte Werte: signifikant auf dem 1%-Niveau. Lidschlagkennwerte Sakkadenkennwerte interval Amplitude Dauer intervall -0.005 -0.084 -0.153 clamp -0.039 0.119 0.193 opamp -0.065 0.232 0.259 clduration 0.135 0.138 0.294 Maxspeed speed stdduration stdspeed stdmaxspeed 0.058 0.091 -0.144 0.140 0.062 -0.065 -0.098 0.182 -0.179 -0.116 0.021 -0.021 0.171 -0.143 -0.061 0.044 -0.141 0.259 -0.165 0.064 delay 0.025 0.076 0.183 0.017 -0.112 0.175 -0.127 0.049 opduration 0.025 0.136 0.265 -0.054 -0.156 0.272 -0.195 -0.072 totalduration 0.126 0.199 0.355 0.074 -0.128 0.291 -0.186 0.069 clmaxspeed -0.057 0.090 0.045 0.043 0.056 -0.043 -0.003 0.008 opmaxspeed -0.155 0.146 0.019 0.141 0.209 -0.125 0.128 0.064 stdtotaldur 0.132 0.179 0.313 0.113 -0.091 0.247 -0.140 0.110 stdclspeed -0.164 -0.070 -0.241 0.025 0.177 -0.265 0.175 0.005 stdclmaxspeed -0.024 0.036 -0.100 0.132 0.182 -0.221 0.161 0.120 224 ANHANG – 15.1 AUSWERTUNG 1 WERT PRO VP PRO EMOTION Tab. 15.1.2: Bivariate Produkt-Moment- Korrelationen aller physiologischen Kennwerte(1 Wert pro Vp pro Emotion, 57 Vpn). Erweiterte Version von Tab. 9.3.6 (S.156) mit allen ermittelten physiologischen Variablen. Für Erläuterung der Variablennamen s. signalweise Abschnitte von Kap.8.2, S.126 und 8.3 S.131. Grau schraffierte Zellen: Korrelation verschiedener Kennwerte des selben Signals; ausgegraute Werte: nicht-signifikant, normal gedruckte Werte: signifikant auf dem 5%-Niveau, fett gedruckte Werte: signifikant auf dem 1%-Niveau. EMuJoy EDA Gesichtsmuskelaktivität (EMG) Herzaktivität (EKG) Valenz Arousal Level Amp freq max.amp corrug orbic. zygom. IBI HR SDNN Valenz 1.000 -.584 .116 -.098 .087 -.048 -.432 .394 .401 -.027 .031 .163 .025 Arousal -.584 1.000 .026 .223 .075 .222 .240 -.016 -.044 .096 -.091 -.120 -.066 EDL .116 .026 1.000 .321 .306 .435 -.099 .529 .168 -.169 .182 .208 -.058 EDRsamp -.098 .223 .321 1.000 .109 .909 .021 .270 .101 -.052 .066 .089 -.056 EDRsfreq .087 .075 .306 .109 1.000 .252 -.073 .314 .276 -.149 .155 .142 -.006 EDRsampmax -.048 .222 .435 .909 .252 1.000 .000 .427 .150 -.071 .080 .113 -.037 -.432 .240 -.099 .021 -.073 .000 1.000 -.196 -.209 .077 -.080 -.083 .055 .394 -.016 .529 .270 .314 .427 -.196 1.000 .604 -.110 .117 .232 .015 EMGLszy .401 -.044 .168 .101 .276 .150 -.209 .604 1.000 -.138 .144 .205 -.001 IBI -.027 .096 -.169 -.052 -.149 -.071 .077 -.110 -.138 1.000 -.993 -.263 .304 HR .031 -.091 .182 .066 .155 .080 -.080 .117 .144 -.993 1.000 .305 -.286 SDNN .163 -.120 .208 .089 .142 .113 -.083 .232 .205 -.263 .305 1.000 .473 MSD .025 -.066 -.058 -.056 -.006 -.037 .055 .015 -.001 .304 -.286 .473 1.000 interval .292 -.275 .129 -.013 -.045 -.050 -.140 .186 .105 .025 -.028 .157 .073 Amplitude .085 -.037 .158 .133 .204 .212 -.016 .229 .193 -.237 .234 .154 -.007 Duration .022 -.111 .010 .017 .067 .051 .000 -.009 .011 -.259 .256 .186 .077 .165 .084 .327 .241 .306 .358 -.011 .520 .376 -.075 .074 -.008 -.143 .246 .017 .400 .214 .295 .367 -.018 .653 .452 -.154 .154 .115 -.075 stdduration -.068 -.138 -.174 -.103 -.139 -.137 -.018 -.315 -.224 -.119 .123 .101 .122 stdmaxspeed .168 .052 .358 .123 .186 .237 .049 .588 .375 -.059 .056 .083 -.042 stdspeed .084 .133 .284 .171 .212 .245 .069 .470 .308 .036 -.044 -.070 -.120 intervall .023 .120 -.003 .019 .023 .070 .065 .051 -.012 .292 -.303 -.148 -.014 clamp .001 -.063 -.017 -.044 -.058 -.036 .073 -.102 -.030 -.323 .337 .144 -.057 opamp -.064 -.032 .019 .022 .008 .034 .083 -.069 -.028 -.347 .358 .125 -.092 clduration .103 -.161 -.008 -.044 -.090 .014 -.078 .063 .024 -.128 .126 .214 .135 opduration .074 -.169 .018 -.083 -.100 -.063 -.020 -.033 -.041 -.243 .244 .102 -.078 .220 EMGLsco EMG EMGLsor EKG Hautleitfähigkeit (EDA-Level & EDRs) speed Sakk Maxspeed Blink delay MSD .004 -.001 -.017 -.060 .062 -.017 -.040 .041 .007 .111 -.105 .144 totalduration .086 -.143 .011 -.057 -.033 .027 -.057 .086 .016 -.142 .142 .236 .146 clmaxspeed -.036 .034 -.003 -.022 -.029 -.035 .149 -.034 .038 -.225 .240 .068 -.101 opmaxspeed -.156 .137 .067 .116 .182 .144 .208 -.011 -.002 -.172 .180 .012 -.098 stdtotaldur .113 -.137 .023 -.048 -.008 .049 -.092 .141 .034 -.064 .062 .215 .162 stdclspeed -.129 .173 .013 .055 .050 .015 .196 -.052 -.006 -.007 .016 -.135 -.162 stdclmaxspeed -.063 .117 .050 .047 .026 .018 .144 .070 .087 -.036 .049 .011 -.070 225 ANHANG – 15.2 AUSWERTUNG 10-SEKUNDEN-ZEITFENSTER 15.2 Auswertung 10-Sekunden-Zeitfenster Tab. 15.2.1: Bivariate Produkt-Moment-Korrelationen der physiologischen Maße mit den Valenz- und Arousalratings für die in 10-Sekunden-Fenstern ausgewerteten Filmclips (n=57 Vpn). Erweiterte Version von Tab. 9.4.3 (S.170) mit allen ermittelten physiologischen Variablen. EMuJoy= kontinuierliche Selbstbewertung; Sakk=Sakkadenkennwerte; Blink=Lidschlagkennwerte; Für Erläuterung der Variablennamen s. signalweise Abschnitte von Kap.8.2, S.126 und 8.3 S.131. Grau schraffierte Zellen: Korrelation verschiedener Kennwerte des selben Signals; ausgegraute Werte: nicht-signifikant, normal gedruckte Werte: signifikant auf dem 5%-Niveau, fett gedruckte Werte: signifikant auf dem 1%-Niveau. Das Signifikanzniveau variiert je nach Signal (Anzahl gültige VP, s. Tab. 9.4.2 S.160) leicht. EMuJoy EDA EMG EKG Sakk Blink EDA EMG EKG Valenz Arousal Level corrug orbic. zygom. IBI HR SDNN MSD Valenz 1.000 -.341 .043 -.357 .344 .379 .036 -.035 .084 .043 Arousal -.341 1.000 .089 .099 .011 -.019 -.092 .101 .010 .004 EDL .043 .089 1.000 -.037 .388 .130 -.157 .177 .114 .058 EMGLsco -.357 .099 -.037 1.000 -.105 -.140 -.015 .006 -.058 -.003 EMGLsor .344 .011 .388 -.105 1.000 .616 -.153 .170 .167 .082 EMGLszy .379 -.019 .130 -.140 .616 1.000 -.141 .152 .130 .038 IBI .036 -.092 -.157 -.015 -.153 -.141 1.000 -.990 -.062 .240 -.205 HR -.035 .101 .177 .006 .170 .152 -.990 1.000 .115 SDNN .084 .010 .114 -.058 .167 .130 -.062 .115 1.000 .634 MSD .043 .004 .058 -.003 .082 .038 .240 -.205 .634 1.000 -.022 interval -.008 .000 -.011 .015 .094 .043 .078 -.073 -.039 Amplitude .037 .008 .135 -.031 .152 .136 -.125 .127 .076 .019 Duration -.063 .004 .024 .000 -.041 -.006 -.116 .111 .060 .025 speed .229 .001 .228 -.068 .480 .383 -.104 .114 .067 -.001 Maxspeed .247 -.006 .271 -.021 .568 .446 -.151 .162 .100 .015 stdduration -.151 -.002 -.132 .022 -.295 -.183 -.028 .017 -.004 .012 stdmaxspeed .179 .005 .239 .039 .511 .319 -.093 .103 .080 .026 stdspeed .196 .006 .212 .008 .480 .306 -.046 .056 .040 .196 intervall .013 .075 -.055 .046 -.047 -.037 .170 -.174 -.088 -.009 clamp .000 -.022 .040 .019 -.050 -.018 -.149 .155 .067 -.020 opamp .020 -.012 .051 .032 .001 .041 -.130 .140 .069 -.004 clduration .078 -.065 -.051 -.082 .038 .044 -.003 .002 .063 .014 opduration .007 -.025 -.005 .028 .022 .065 -.062 .063 .067 -.014 delay .059 .027 -.054 -.027 .052 .071 .051 -.056 .027 .063 totalduration .063 -.046 -.057 -.069 .041 .043 -.015 .013 .062 .016 clmaxspeed .025 .030 .065 .056 .053 .042 -.051 .061 .036 .047 opmaxspeed .043 -.019 .077 .094 .061 .052 -.090 .098 .017 -.003 .027 stdtotaldur .079 -.046 -.069 -.087 .064 .061 .013 -.017 .053 stdclspeed -.057 .044 .058 .098 -.021 -.033 -.007 .011 -.040 .007 stdclmaxspeed .026 .046 .074 .046 .121 .083 .028 -.020 .002 .071 226 ANHANG – 15.3 AUSWERTUNG 1 WERT PRO VP PRO EMOTION, EMG HERAUSPARTIALISIERT 15.3 Auswertung 1 Wert pro VP pro Emotion, EMG herauspartialisiert Tab. 15.3.1: Partialkorrelationen aller physiologischen Kennwerte(1 Wert pro Vp pro Emotion, 57 Vpn) analog zu Tab. 9.3.6 (S.156). Für Erläuterung der Variablennamen s. signalweise Abschnitte von Kap.8.2, S.126 und 8.3 S.131. Grau schraffierte Zellen: Korrelation verschiedener Kennwerte des selben Signals; Ausgegraute Werte: nicht-signifikant, normal gedruckte Werte: signifikant auf dem 5%-Niveau, fett gedruckte Werte: signifikant auf dem 1%-Niveau. Alle Kennwerte baseline-korrigiert; EMuJoy Valenz EDA EKG Sakk Blink Hautleitfähigkeit (EDA-Level & EDRs) Herzaktivität (EKG) Arousal Level Amp freq max.amp IBI HR SDNN MSD Valenz 1.000 -.607 -.087 -.209 -.075 -.223 .062 -.061 .056 .051 Arousal -.607 1.000 .037 .224 .092 .239 .082 -.077 -.112 -.083 EDL -.087 .037 1.000 .209 .206 .251 -.156 .167 .126 -.082 EDRsamp -.209 .224 .209 1.000 .037 .912 -.035 .047 .037 -.068 EDRsfreq -.075 .092 .206 .037 1.000 .157 -.113 .116 .066 -.010 EDRsampmax -.223 .239 .251 .912 .157 1.000 -.045 .052 .032 -.055 IBI .062 .082 -.156 -.035 -.113 -.045 1.000 -.992 -.239 .306 HR -.061 -.077 .167 .047 .116 .052 -.992 1.000 .281 -.288 SDNN .056 -.112 .126 .037 .066 .032 -.239 .281 1.000 .488 MSD .051 -.083 -.082 -.068 -.010 -.055 .306 -.288 .488 1.000 interval .229 -.261 .034 -.061 -.111 -.143 .049 -.055 .119 .079 Amplitude -.008 -.042 .063 .080 .137 .141 -.216 .212 .103 -.012 Duration .026 -.114 .023 .021 .072 .064 -.262 .258 .193 .077 speed -.031 .087 .097 .124 .169 .185 -.018 .013 -.162 -.185 Maxspeed .023 .003 .113 .050 .117 .135 -.110 .104 -.054 -.123 stdduration .047 -.136 -.021 -.018 -.040 -.004 -.165 .171 .192 .139 stdmaxspeed -.070 .122 .061 .044 .075 .048 .097 -.111 -.211 -.157 stdspeed -.017 .028 .083 -.059 -.002 -.032 .000 -.009 -.066 -.076 intervall .045 .106 -.048 -.003 .014 .041 .295 -.306 -.160 -.020 clamp .065 -.080 .056 -.019 -.032 .010 -.341 .355 .173 -.059 opamp -.018 -.052 .074 .039 .030 .068 -.363 .375 .147 -.095 clduration .072 -.150 -.055 -.061 -.115 -.012 -.122 .120 .206 .139 opduration .100 -.169 .036 -.078 -.092 -.058 -.251 .253 .115 -.076 delay -.024 .007 -.052 -.074 .055 -.040 .116 -.111 .140 .222 totalduration .056 -.138 -.053 -.085 -.058 -.015 -.138 .137 .227 .148 clmaxspeed .018 -.001 .039 -.019 -.029 -.024 -.235 .251 .078 -.111 opmaxspeed -.100 .091 .095 .112 .200 .155 -.188 .198 .021 -.113 stdtotaldur .057 -.126 -.079 -.092 -.048 -.018 -.052 .050 .194 .167 stdclspeed -.062 .135 .061 .063 .068 .033 -.019 .029 -.127 -.176 stdclmaxspeed -.056 .085 .032 .023 -.002 -.018 -.032 .044 -.005 -.082 227 ANHANG – 15.4 AUSWERTUNG 10-SEKUNDEN-ZEITFENSTER, EMG HERAUSPARTIALISIERT 15.4 Auswertung 10-Sekunden-Zeitfenster, EMG herauspartialisiert Tab. 15.4.1 Partialkorrelationen der physiologischen Maße mit den Valenz- und Arousalratings für die in 10-Sekunden-Fenstern ausgewerteten Filmclips (n=57 Vpn) analog zu Tab. 9.4.3 (S.170). EMuJoy= kontinuierliche Selbstbewertung; Sakk=Sakkadenkennwerte; Blink=Lidschlagkennwerte; Für Erläuterung der Variablennamen s. signalweise Abschnitte von Kap.8.2, S.126 und 8.3 S.131. Grau schraffierte Zellen: Korrelation verschiedener Kennwerte des selben Signals; ausgegraute Werte: nicht-signifikant, normal gedruckte Werte: signifikant auf dem 5%-Niveau, fett gedruckte Werte: signifikant auf dem 1%-Niveau. Das Signifikanzniveau variiert je nach Signal (Anzahl gültige VP, s. Tab. 9.4.2 S.160) leicht. EMuJoy Valenz EDA EKG Sakk Blink EDA Arousal Level EKG IBI HR SDNN MSD Valenz 1.000 -.358 -.081 .106 -.115 .009 .023 Arousal -.358 1.000 .090 -.091 .100 .013 .003 EDL -.081 .090 1.000 -.118 .134 .060 .026 IBI .106 -.091 -.118 1.000 -.990 -.037 .256 HR -.115 .100 .134 -.990 1.000 .088 -.223 SDNN .009 .013 .060 -.037 .088 1.000 .633 MSD .023 .003 .026 .256 -.223 .633 1.000 interval -.034 -.004 -.055 .094 -.091 -.055 -.030 Amplitude -.035 .009 .093 -.102 .101 .050 .008 Duration -.064 .006 .048 -.123 .119 .067 .029 speed .052 .000 .073 -.028 .031 -.020 -.044 Maxspeed .058 -.016 .093 -.068 .071 .004 -.037 stdduration -.064 .002 -.021 -.078 .071 .048 .038 stdmaxspeed .062 -.005 .035 .035 -.033 -.045 -.039 stdspeed .042 -.011 .054 -.013 .016 -.002 -.019 intervall .050 .071 -.041 .167 -.170 -.079 -.006 clamp .022 -.022 .068 -.158 .166 .077 -.016 opamp .023 -.014 .064 -.127 .138 .070 -.003 clduration .042 -.057 -.069 .001 -.004 .054 .012 opduration -.004 -.027 -.005 -.054 .055 .063 -.015 .060 delay .030 .030 -.074 .063 -.068 .017 totalduration .029 -.040 -.077 -.010 .007 .053 .014 clmaxspeed .027 .024 .052 -.040 .050 .030 .043 opmaxspeed .057 -.030 .063 -.077 .085 .010 -.008 stdtotaldur .033 -.038 -.101 .022 -.027 .039 .022 stdclspeed -.019 .034 .070 -.008 .013 -.033 .008 stdclmaxspeed .001 .040 .032 .051 -.045 -.017 .062 228 ANHANG – 15.4 AUSWERTUNG 10-SEKUNDEN-ZEITFENSTER, EMG HERAUSPARTIALISIERT Tab. 15.4.2: Partialkorrelationen der peripherphysiologischen Maße mit den Valenz- und Arousalratings für die in 10Sekunden-Fenster ausgewerteten Filmclips(n=57 Vpn), aufgeschlüsselt nach Zielemotion analog zu Tab. 9.4.4 (S.171), zusätzlich noch um den Einfluss der Gesichtsmuskelaktivität bereinigt. EMuJoy= kontinuierliche Selbstbewertung; Sakk=Sakkadenkennwerte; Blink=Lidschlagkennwerte; Für Erläuterung der Variablennamen s. signalweise Abschnitte von Kap.8.2, S.126 und 8.3 S.131. Grau schraffierte Zellen: Korrelation verschiedener Kennwerte des selben Signals; ausge-graute Werte = nicht-signifikant, normal gedruckte Werte: signifikant auf dem 5%-Niveau, fett gedruckte Werte: signifikant auf dem 1%-Niveau. Das Signifikanzniveau variiert je nach Signal (Anzahl gültige VP, s. Tab. 9.4.2, S.160) und Zielemotion (Anzahl Zeitfenster beim zugehörigen Films) leicht. Valenzrating (ohne Arousal) EMu Joy EDA E K G S a k k B l i n k Valenz Arousalrating (ohne Valenz) Freude Trauer Ekel Wut Angst 1 1 1 1 1 Arousal Freude Trauer Ekel Wut Angst 1 1 1 1 1 EDL -.023 .089 .138 .108 -.059 -.086 .093 .131 -.032 .076 IBI .228 .159 -.095 .049 .109 .044 .018 -.084 .044 -.117 HR -.227 -.177 .083 -.058 -.110 -.038 -.021 .072 -.027 .125 SDNN -.065 -.044 .017 -.007 .062 .149 .118 -.089 -.026 -.064 MSD .007 .039 .025 -.039 .100 .102 .041 -.049 -.030 .022 interval .224 -.027 -.013 -.065 -.119 -.033 .007 -.001 .017 -.081 stdduration -.043 -.099 -.014 -.105 .127 .059 -.031 .056 -.163 .017 stdspeed .021 .074 .016 .085 -.124 -.060 .032 -.067 .137 .015 stdmaxspeed .044 .017 .117 .031 -.073 .016 -.010 .059 .064 .012 intervall -.008 .119 .043 .009 .121 -.029 .174 .036 .004 .194 stdtotaldur .041 -.190 .111 -.140 .154 .008 .144 .167 -.216 .009 stdclspeed .001 .125 -.121 .056 -.072 -.036 -.087 -.192 .167 -.063 stdclmaxspeed -.019 .129 -.161 .062 .011 -.063 .066 -.128 .209 -.008 229