Sozial-Info 10-2005 Erste Rechtsprechung zum SGB II

Transcrição

Sozial-Info 10-2005 Erste Rechtsprechung zum SGB II
Info-Service
der Abteilung Sozialpolitik (Bundesverband)
Nr. 10 02/2005
Inhalt
Erste Rechtsprechung zum SGB II
Partnereinkommen – Heizkosten bei Eigenheimen – Härtefallzuschuss
Gut zwei Monate nach Inkrafttreten des SGB II gibt es bereits erste gerichtliche Entscheidungen. Hierbei handelt es sich um Beschlüsse im einstweiligen Rechtsschutz. Obgleich
die Hauptsacheverfahren noch ausstehen, enthalten die Beschlüsse rechtlich durchaus
interessante Ausführungen, die für die Beratungspraxis von Bedeutung sein könnten.
I.
SG Düsseldorf: Verfassungswidrigkeit wegen Partnereinkommens?
Eine ehemalige Sozialhilfebezieherin beantragte im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen des SGB
II. Die Arbeitsagentur hatte Leistungen des SGB II mit der Begründung abgelehnt, die Antragsstellerin lebe in
einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft. Zum Beweis trug sie vor, dass man bei einer Außenprüfung in der
Wohnung der Antragstellerin ein Doppelbett vorgefunden und einen Mann in Unterhose angetroffen habe.
Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf verpflichtete die Arbeitsagentur, der Antragstellerin bis
zur Entscheidung in der Hauptsache Leistungen des SGB II zu gewähren. Zur Begründung führte das SG aus, dass die Arbeitsagentur das Vorliegen einer eheähnlichen
Lebensgemeinschaft nicht hinreichend geprüft habe. Denn nach höchstrichterlicher
Rechtsprechung setzte eine eheähnliche Lebensgemeinschaft nicht nur eine Wohn- und
Wirtschaftsgemeinschaft zwischen Mann und Frau voraus, sondern auch eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft.
Für eine eheähnliche Lebensgemeinschaft müssten über die bloße häusliche und wirtschaftliche Gemeinschaft hinaus zwischen Mann und Frau auch so enge Bindungen
bestehen, dass von ihnen ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des
Lebens erwartet werden kann. Für das Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft – so das SG – reiche nicht aus, wenn die Antragsstellerin mindestens
zeitweise mit einem Mann in einem Doppelbett schlafe. Vielmehr seien im vorliegenden
Fall auch Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass keine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft gegeben sei.
Im Übrigen trug das SG verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Anrechnung des
Partnereinkommens bei eheähnlichen Lebensgemeinschaften (§ 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe b SGB II) vor. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
könne eine „nichteheliche Lebensgemeinschaft“ nur zwischen Mann und Frau begründet
werden. Die Arbeitsagentur wende den Begriff der eheähnlichen Lebensgemeinschaft in
ihren Durchführungsvorschriften daher auch nur auf heterosexuelle Paare an. Bei homosexuellen Paaren finde eine Anrechnung des Partnereinkommens nur statt, wenn sie eine
eingetragene Lebenspartnerschaft geschlossen hätten (§ 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe c SGB
Herausgeber: Sozialverband Deutschland e.V. – Bundesverband, Abteilung Sozialpolitik –
Stralauer Straße 63, 10179 Berlin, Tel. 030/72 62 22 – 122, Fax – 328, www.sovd.de
Redaktion: Ass. jur. Ragnar Hoenig ([email protected])
Seite 1 von 4
Sozial - Info
Nr. 10 02/2005
II). Hierdurch würden eheähnliche Lebensgemeinschaften von Mann und Frau gegenüber
nicht eingetragenen homosexuellen Lebenspartnerschaften willkürlich benachteiligt. Dies
sei heute nicht mehr hinnehmbar, da sich auch homosexuelle Lebensgemeinschaften als
„sozialer Typus“ herausgebildet hätten.
(SG Düsseldorf, Aktenzeichen: S 35 SO 28/05 ER)
SoVD:
Der Beschluss des SG Düsseldorf hat großes Echo in den Medien gefunden.
Nach Rechtsauffassung der Abteilung Sozialpolitik ist in diesem Beschluss jedoch nur der Aufruf an die Träger der Leistungen des SGB II zu sehen, die Voraussetzungen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft genau zu prüfen.
Denn die „eheähnlichen Lebensgemeinschaft“ im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3
Buchstabe b SGB II hat zwei Voraussetzungen:
1. Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft und
2. Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft
Ob das SG seine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Ungleichbehandlung von hetero- bzw. homosexuellen „nichtehelichen“ Lebensgemeinschaften
dem Bundesverfassungsgericht vorlegen wird, dürfte sich wohl erst im Hauptsacheverfahren herausstellen.
II.
SG Aurich: angemessene Heizkosten bei Eigenheimen
Ein Arbeitslosengeld II-Bezieher beantragte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Übernahme der
tatsächlichen Heizkosten. Er ist Eigentümer eines selbst bewohnten Einfamilienhauses. Die Wohnfläche des
Einfamilienhauses übersteigt zwar die angemessene Größe für Mietwohnungen (45 – 50 qm), nicht aber die
angemessene Größe für Eigenheime (120 qm), so dass das Einfamilienhaus als Schonvermögen auch nicht
angerechnet wurde. Die Heizkosten wurden von dem Leistungsträger jedoch nicht in voller Höhe übernommen, sondern auf das angemessene Niveau für eine Mietwohnung von 50 qm reduziert.
Das SG Aurich verpflichtete den Leistungsträger, die Heizkosten in tatsächlicher Höhe zu
übernehmen. Zur Begründung führte das SG aus, eine Beschränkung der tatsächlichen
Wohnfläche auf die als angemessen angesehene Fläche von 50 qm scheitere im vorliegenden Fall daran, dass es sich um ein selbst bewohntes Eigenheim handele, das die
Voraussetzungen für Schonvermögen nach § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II erfülle und dessen
Verwertung daher nicht verlangt werden dürfe.
Um einen Wertungswiderspruch zwischen den Vermögensanrechnungsvorschriften (§
12 SGB II) einerseits und den Bestimmungen über die Berechnung der Unterkunftskosten
(§ 22 SGB II) zu verhindern, dürfe bei den angemessenen Heizkosten für Eigenheime
nicht auf die angemessene Größe von Mietwohnungen abgestellt werden. Die Angemessenheit der Heizkosten für ein anrechnungsfreies Eigenheim sei vielmehr grundsätzlich
unter Berücksichtigung der tatsächlichen Wohnfläche zu prüfen. Wenn der Gesetzgeber
das Eigentum eines Arbeitslosen vor der Verwertung schütze, sei dies mit der zwingenden
Konsequenz verbunden, dass das Objekt auch angemessen bewohnbar sein und unter
anderem auch beheizt werden müsse. Eine Unangemessenheit der geltend gemachten
Sozialverband Deutschland e.V. – Bundesverband, Abteilung Sozialpolitik – (www.sovd.de)
Für Rückfragen: Ass. jur. Ragnar Hoenig ([email protected])
Stralauer Straße 63, 10179 Berlin, Tel. 030/72 62 22 – 122, Fax – 328
Seite 2 von 4
Sozial - Info
Nr. 10 02/2005
tatsächlichen Heizkosten konnte das SG auch dann nicht erkennen, wenn man sie in ein
Verhältnis zur tatsächlichen Wohnfläche des Eigenheims setzt.
(SG Aurich, Aktenzeichen: S 15 AS 3/05 ER)
SoVD:
Der Beschluss des SG Aurich schafft Rechtssicherheit für viele Arbeitslosengeld II-Bezieher, die in einem anrechnungsfreien Eigenheim oder in einer anrechnungsfreien Eigentumswohnung leben.
Wenn der Gesetzgeber die Entscheidung trifft, selbst bewohnte Eigenheime und
Eigentumswohnungen bis zu einer gewissen Größe von der Vermögensanrechnung frei zu stellen, dann muss sich die Angemessenheit der Unterkunftsund Heizkosten (§ 22 SGB II) grundsätzlich auch nach dem Angemessenheitsbegriff für das Schonvermögen (§ 12 SGB II) richten.
Denn ansonsten würden die Vorschriften über das Schonvermögen unterlaufen und viele Arbeitslosengeld II-Bezieher mit selbst bewohnten Eigenheimen
oder Eigentumswohnungen faktisch gezwungen, ihr geschütztes Vermögen zu
verwerten.
III. SG Saarland:
„Ein-Cent-Regelung“ statt „Härtefallzuschuss“
Der Antragsteller begehrte im einstweiligen Rechtsschutz unter anderem die vorläufige Zahlung seiner
Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung. Sein Antrag auf Arbeitslosengeld II wurde zuvor mit
der Begründung abgelehnt, dass er wegen der Anrechnung des Einkommens seiner nichtehelichen Lebensgefährtin nicht hilfebedürftig sei.
Das SG Saarland entschied mit Beschluss vom 28. Januar 2005, dass dem Antragsteller
bis zur Entscheidung in der Hauptsache Arbeitslosengeld II in Höhe von einem Cent
monatlich zu gewähren sei. Zur Begründung führte das SG aus, dass zu den Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II auch der Kranken-, Pflege- und
Rentenversicherungsschutz gehöre und bei der Bedarfsermittlung berücksichtigt
werden müsse. Bei der Gegenüberstellung des Hilfebedarfs für den notwendigen Lebensunterhalt und des berücksichtigungsfähigen Einkommens und Vermögens seien auch der
Kranken-, Pflege- und Rentenversicherungsschutz in die Berechnung einzustellen.
Schon bei Berücksichtigung nur der Kranken- und Pflegeversicherung reiche das überschießende Einkommen der Lebensgefährtin des Antragsstellers nicht aus, um den
monatlichen Beitrag zu einer freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung zu tragen. Der
Antragssteller sei daher – nach summarischer Prüfung – hilfebedürftig und habe Anspruch
auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.
Das SG sprach dem Antragsteller indes nicht den „Härtefallzuschuss“ (Sozial-Info Nr.
04 01/2005) zu, sondern Arbeitslosengeld in der Mindesthöhe von einem Cent monatlich
mit der Folge, dass er in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung pflichtversichert
wird. Der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit am 17. Januar 2005 angeordnete „Härtefallzuschuss“ durch analoge Anwendung des § 26 SGB II begegnet nach
Auffassung des SG verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn die Leistungen der GrundsiSozialverband Deutschland e.V. – Bundesverband, Abteilung Sozialpolitik – (www.sovd.de)
Für Rückfragen: Ass. jur. Ragnar Hoenig ([email protected])
Stralauer Straße 63, 10179 Berlin, Tel. 030/72 62 22 – 122, Fax – 328
Seite 3 von 4
Sozial - Info
Nr. 10 02/2005
cherung für Arbeitsuchende sollen ein „soziokulturelles Existenzminimum“ absichern, auf
das ein verfassungsrechtlich verbürgter Rechtsanspruch bestehe. Dies erfordere, dass die
Leistungsgewährung mit hinreichender Bestimmtheit durch ein förmliches Gesetz geregelt
wird. Die analoge Anwendung des § 26 SGB II genügt nach Auffassung des SG diesen
Anforderungen nicht.
Die analoge Anwendung des § 26 SGB II setzt eine Regelungslücke voraus. Eine Regelungslücke vermochte das SG indes nicht zu erkennen, da die Problematik des fehlenden
Sozialversicherungsschutzes bei Nichtleistungsbeziehern in nicht ehelichen Lebensgemeinschaften schon seit längerem bekannt sei. Da der Gesetzgeber im SGB II keine
besondere Regelung getroffen habe, sei davon auszugehen, dass er diese Fälle mit den
vorhandenen Regelungen des SGB II habe regeln wollen und daher Arbeitslosengeld II
in der Mindesthöhe von einem Cent zu gewähren sei.
(SG Saarland, Aktenzeichen: S 21 ER 1/05 AS)
SoVD:
Der Beschluss des SG Saarland enthält nach Rechtsauffassung der Abteilung
Sozialpolitik eine wichtige Aussage: Kranken-, Pflege-, und Rentenversicherungsschutz gehören zu den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts! Es dürfen also nicht nur „stur“ die Regelleistungen einschließlich der Leistungen für Unterkunft und Heizung mit dem Einkommen und
Vermögen verglichen werden.
Die vom SG favorierte „1-Cent-Regelung“ ist für viele, die aufgrund der Einkommensanrechnung in nicht ehelichen Lebensgemeinschaften bislang keine
Leistungen des SGB II erhalten haben, die günstigere Lösung. Denn die „1-CentRegelung“ bedeutet für sie die Pflichtversicherung in der Kranken-, Pflege- und
Rentenversicherung. Der „Härtefallzuschuss“ ermöglicht ihnen lediglich eine
freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung.
Der Beschluss des SG könnte weit reichende Folgen bei Ehen haben, die
auf Grund der Einkommensanrechnung keine Leistungen des SGB II erhalten.
Denn hier ist zwar der Kranken- und Pflegeversicherungsschutz durch die Familienversicherung gewährleistet, nicht aber der Rentenversicherungsschutz!
Das SG lässt indes offen, wie bei den nicht versicherten Sozialgeld-Beziehern
in nicht ehelichen Lebensgemeinschaften zu verfahren ist. Hier hilft die „1-CentRegelung“ nicht. Denn wegen der vollen Erwerbsminderung können sie kein
Arbeitslosengeld II und damit auch kein Pflichtversicherungsschutz beanspruchen. Hier bleibt es bei einer Regellücke!
Bei Fragen wenden Sie sich an
Ihre SoVD-Beratungsstelle:
Sozialverband Deutschland e.V. – Bundesverband, Abteilung Sozialpolitik – (www.sovd.de)
Für Rückfragen: Ass. jur. Ragnar Hoenig ([email protected])
Stralauer Straße 63, 10179 Berlin, Tel. 030/72 62 22 – 122, Fax – 328
Seite 4 von 4