Der Paradiesvogel
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Der Paradiesvogel
Der Paradiesvogel cw. Es gibt Kunstschaffende, welche regelmässig Kontroversen auslösen, wenn sie ein Album veröffentlichen oder auf Tour gehen. Dass ein Hitparadenliebling wie Nelly Furtado solche mit ihrem dritten Album „Loose“ auch auslösen kann, ist auf den ersten Blick erstaunlich, auf den zweiten Blick nur konsequent. Das Studium von einschlägigen Foren, wo sich Fans untereinander austauschen, und ein Rundgang durch die Presse lassen einen erahnen, dass um Nelly Furtado ein Glaubenskrieg ausgebrochen ist. Es fehlt eigentlich nur noch die Drohung mit dem Bezzlebuben: die einen beanspruchen sie für ein naives Mädchen auf dem Pfad der gesitteten FolkloreMusik und bewerten ihren Experimentiergeist als Anbiederung an den trendigen R’n’B. Und die anderen ärgern sich über diesen Fundamentalismus und wollen nie mehr zurück zu den luftig leichten Stücken ihrer Anfangszeit. Das war im Jahre 2001, als Nelly Furtado die Platte „Whoa, Nelly“ veröffentlichte. Die damals 23-jährige Kanadierin portugiesischer Abstammung pflanzte sich ohne grosse Medienkampagne mit wenigen Stücken in die Gehörgänge und feierte Auszeichnungen am Laufmeter. Und in Welthits wie „I’m like a bird“ oder „Turn off the light“ schlummert tatsächlich eine fast träumerische, unbekümmerte Unschuld, in den Texten ist davon aber wenig zu hören. Sie berichten zwar von feinfühliger Zärtlichkeit, aber in Wahrheit erzählen sie knallharte Geschichten von Trennungsdramatik. Ausserdem lebt das Werk, das man, wenn man will, auch als Folklore-Pop bezeichnen kann, vom modernen digitalen Rahmen. Nelly Furtado setzte schon von Beginn weg auf moderne Samples und zeitgemässe Grooves, auf elektrisches Geblubber („Baby Girl“), Hip-Hop-Rhythmen („Shit... On The Radio“) und Rap-Gesang („I Will Make U Cry“). Und: auch wenn sie für das Album-Cover im Stile der 70-Jahre im Gras liegt und einen für diese Epoche typischen Schrifttyp wählte – sie trug schon damals Designer-Jeans. Dass Nelly Furtado auch die ernste Seite des Lebens besingt, sollte seither also bekannt sein. Dennoch wurde die zweite Veröffentli- Welche Farbe hat mein Schatten? Antwort: d) Der direkt im Sonnenlicht liegende Teil des Schnees hat die Farbe der Sonne: gelb-weiss. Der Schnee im eigenen Schatten erhält kein direktes Sonnenlicht, sondern wird mit Licht vom blauen Himmel beleuchtet. 24 TAXI Nr. 44 chung „Folklore“ widersprüchlich aufgenommen und just auf diese Schattenseite hingewiesen. Nelly in Moll? Dabei trug sie auf dem Album-Cover nicht nur eine Kapuzenjacke, sondern auch eine bunte Federboa-Bordüre. Die Fröhlichkeit war der eben Mutter gewordenen Musikerin aber keineswegs gewichen, schliesslich steuerte sie zum Beispiel „Força“ als offiziellen Titelsong der Fussball-Europameisterschaft 2004 in Portugal bei. Auch eine Integrationsfigur Letzten Sommer nun erschien „Loose“, und vielleicht förderte dieser Öffentlichkeitserreger die Kontroversen um die musikalische Ausrichtung von Nelly Furtado, auf jeden Fall steht das Werk heute immer noch in den Top 10 der Hitparade. Der Auftakt jedenfalls war – zugegeben – ein Steilpass: Die erste Hitparadenauskopplung „Maneater“ grüsst mit harten futuristischen Beats und einer Nelly Furtado im dazu gehörigen Video als lasziven Vamp. Der Text spricht von Ausbeutung, und wiederum hat sie es geschafft, eine klare Botschaft auf die Tanzfläche zu bringen. Das Album insgesamt ist die konsequente Fortsetzung einer Künstlerin im Format einer Nelly Furtado, welche uneingeschränkt ihren Weg geht und dies so ausdrückt: „Loose zeigt ganz deutlich, wie ich bin, wenn ich loslasse. Mich gehen lasse. Es zeigt, wer ich bin, wenn ich vor kreativer Energie regelrecht platze“. Die Platte umfasst denn auch ein breites Spektrum an musikalischem Ausdrucksvermögen, ein noch etwas breiteres wie bislang. Die zweite Single „Promiscuous“ fiel enorm technoid aus und „All good things“, die aktuelle Radionummer, kann locker als Versöhnungssong zu vergangenen Zeiten durchgehen. Dennoch kann das Ganze auch Anlass zu Kontrover- sen geben: Einerseits kann eine Musikerin wie Nelly Furtado als Vorbild und Integrationsfigur wirken, weil sie ihren eigenen Weg geht und ihre Souveränität auch dann nicht verliert, wenn sie künstlerische Kompetenz an ihre Produzenten abgibt. Andererseits aber wird der bunte Jahrmarkt von Hip-Hop, Pop und Latin zu wenig von einem kittenden roten Faden zusammen gehalten und er verliert schnell an wahrnehmbarer Identität und deutlichem Wiedererkennungswert. Vorerst kommt sie auf kurze Europa-Tour, dies (gerüchteweise, aus relativ guten Quellen) mit Chris Martin von Coldplay und mehrere Opening-Acts. Nelly Furtado, Loose (Geffen/Universal) Live am 2. März, in Winterthur (Eishalle Deutweg) Bremsweg Antwort: d) Ein Auto anzuhalten ist wie einen Stein nach oben in die Luft zu werfen. Auf das Auto wirkt eine konstante, von den Bremsen gelieferte Bremskraft. Auf den Stein wirkt die konstante, von der Erdanziehung gelieferte Schwerkraft. Um zu wissen, wie ein nach oben geworfener Stein reagiert, mache man einen Kinofilm eines herabfallenden Steins und lasse diesen im Kopf rückwärts laufen. Um die Geschwindigkeit eines herabfallenden Steines zu verdoppeln, muss man die Fallzeit verdoppeln, wobei die Falltiefe dann viermal so gross wird. Das heisst, wenn man den Stein mit doppelter Geschwindigkeit hochwirft, steigt er viermal so hoch bis zum Halt auf dem Gipfelpunkt. Das Auto fährt also mit 40 km/h, dann ist sein Bremsweg viermal so gross wie bei 20 km/h. Wenn man die Geschwindigkeit eines Autos verdoppelt, verdoppelt sich Inserat die Bremszeit, doch der Bremsweg ist gar viermal so gross - und der Bremsweg und nicht die Bremszeit entscheidet, ob Sie auf etwas prallen oder nicht.