Tagesstruktur: Thema: Polittalk
Transcrição
Tagesstruktur: Thema: Polittalk
Zeitschrift von BALANCE | Verein BALANCE – Leben ohne Barrieren | Ausgabe Nr. 59 | 2/2014, Jahrgang 17 Tagesstruktur: Kerzen für die Herzen Thema: Change Wohnen Polittalk: Mag. Gerald Loacker Mag. Helene Jarmer Dr. Franz-Josef Huainig Editorial BALANCER 59, 2/2014 Editorial Von Helga Hiebl Inhalt Vorgestellt 03 Miljana Stevic BALANCE Intern 04 Rudolf Wögerer neuer Vereinsobmann bei BALANCE Veränderung bedeutet Entwicklung, Wachstum und neue Möglichkeiten. Es heißt aber auch, alte Gewohnheiten ablegen und loslassen. Mit dem Anspruch von BALANCE, sich in Richtung einer personenzentrierten Organisation zu entwickeln, haben wir den vor zwei Jahren in der Tagesstruktur begonnenen Weg mit dem Titel „Change!“ (S. 6–9) nun konsequent auf den Wohnbereich ausgedehnt. Und die Veränderungen zeigen sich nicht nur in Workshops, Arbeitsgruppen, Klausuren und klug verfassten Texten, sie sind mittlerweile überall bei BALANCE spürbar und innerhalb der Organisation angekommen. Die NutzerInnen unserer Dienstleistungen bringen sich immer stärker ein, wir fragen uns immer häufiger, bei welchen Arbeitsgruppen welche Personen eingeladen werden sollen, damit die Chance zur Mitsprache gewährleistet ist. MitarbeiterInnen arbeiten immer selbstverständlicher in Projekten, die als Voraussetzung die Einbeziehung von Menschen erfordern. Diese erfolgreiche Entwicklung von BALANCE wäre aber ohne das langjährige Engagement einzelner Personen nicht denkbar. In dieser aktuellen Ausgabe sind zwei wesentliche Aspekte von Veränderung vorhanden: Loslassen und Neubeginn. Einer der Mitarbeiter, die schon am längsten dabei sind, wird in diesem Heft von KollegInnen und BewohnerInnen teils fröhlich, teils wehmütig in die Pension verabschiedet, gleichzeitig wird der noch relativ frisch gewählte Vereinsobmann vorgestellt. Die Zwiespältigkeit bei jeder Veränderung hat uns auch in der Redaktion beschäftigt. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir in Zukunft bei den Kommentaren immer zwei gegensätzliche Aspekte behandeln wollen. Wir beginnen in dieser Ausgabe mit einem Beitrag zur aktuellen Genderdebatte und widmen uns der Frage der Geschlechterrollen. (S. 22) Ich wünsche im Namen der Redaktion schöne spätsommerliche Lesestunden! 06 T hema Workshop-Tag zu Change >> Wohnen 2014 BALANCE Pinnwand 09Menschgeige Von männlichen und weiblichen Stärken AssistentInnen gesucht! Kultursalon Hörbiger Die Fußball WM 2014 Wette BALANCE Wohnen 10Erwin Floh – 26 Jahre bei BALANCE BALANCE Kunst 10Das Bühnenbild zur Performance Menschgeige Tagessstruktur 16 Kerzen für die Herzen 18 I nterbalance Balancer-Polittalk: Gerald Loacker (NEOS) Helene Jarmer (GRÜNE) Franz-Josef Huainigg (ÖVP) 22 Kommentar Geschlechterrollen überschreiten? Die Krone wackelt ... 23 Veranstaltungen Impressum Das Cover dieser Ausgabe zeigt eine Monotypie aus dem Jahr 2012 von Lisi Hinterlechner. Sie ist am 6.01.1950 in Wien geboren und arbeitet seit 2001 bei bild.Balance in Wien: „Ich da gut!“ Foto: A. Berger 2 BALANCER 59, 2/2014 9 Fragen an: Miljana Stevic 1 Ein guter Arbeitstag beginnt … bereits zuhause mit einem guten Kaffee und einer ruhigen halben Stunde ganz für mich. 2 Was lässt dich Berge versetzen? … Meine innere Kraft. 3 Was hält dich in deinem Leben in Meine innere Ruhe und indem ich die Menschen und Dinge so annehme und akzeptiere wie sie sind. Balance? … Vorgestellt mit Behinderungen unterstützen kann! 7 An meinem Job mag ich am mei- dass ich mit so viel verschiedenen Menschen in Kontakt komme, mit BewohnerInnen, Menschen in der Tagesstruktur, MitarbeiterInnen im Büro und mit der Geschäftsführung sten … 8 Rollentausch: Wenn du bei BALANCE Bewohnerin, Tagesstruktur-Teilnehmerin oder in der Zentrale im Büro arbeiten würdest, was sollte eine Reini- 4 Was/wer imponiert dir am mei- Starke eigenständige Persönlichkeiten, die zu ihrer Meinung stehen und sich nicht beeinflussen lassen. sten? … Steckbrief: 33 Jahre alt, verheiratet, 2 Kinder (11 und 9 Jahre), seit 2008 bei BALANCE als Reinigungskraft im Wohnhaus Maxing 2, in der Zentrale und Tagesstruktur ELF und wo immer sie gebraucht wird. 5 Das Schönste an BALANCE ist … Ich bin mit 18 Jahren allein und ohne Familie von Bosnien nach Österreich ausgewandert und habe mittlerweile eine Familie und Arbeit. Dass ich das so gut geschafft habe, darauf bin ich stolz. 6 Das Schönste an den drei WohnStandorten Bernstein, Böckh und Son- dass es so einen Verein wie BALANCE gibt und ich mit meiner Arbeit auch ein wenig Menschen Bildnachweis: H. Hiebl nenhof ist … gungsfachkraft unbedingt können bzw. welche Eigenschaften würdest du dir wünschen? … Sie muss immer lieb sein. (lacht) Ich würde es nicht gerne sehen, wenn jemand in mein Zimmer mit einem grantigen oder bösen Gesicht kommt, aber sie müsste auch kompetent sein und wissen was sie tut! 9 Sonst noch etwas? Was du un- bedingt loswerden möchtest … Ich bin sehr froh, dass das Interview vorbei ist, weil ich doch etwas nervös war, da ich so etwas noch nie gemacht habe. (lacht) Ich bin glücklich, dass ich in der Zeitung vorgestellt werde, es ist mir eine Ehre! 3 4 BALANCER 59, 2/2014 Intern Es lohnt sich hartnäckig zu bleiben! Seit Juni 2014 ist Rudolf Wögerer neuer Vereinsobmann bei BALANCE. In einem Gespräch gibt er über sein Engagement, seine Ziele und Lebenseinstellung Auskunft. Ein Portrait. Von Helga Hiebl Oft ist es gerade das Einfache und Selbstverständliche, was das Leben lebenswert macht. Die Zeit mit Familie und Freunden, Bergwanderungen, Radtouren, gutes Essen und einfach die Natur genießen, beim Erzählen darüber hebt sich die Stimme des gebürtigen Waldviertlers Rudolf Wögerer. Mit freundlicher und ruhiger Miene sitzt er mir gegenüber und beantwortet geduldig meine Fragen. Über die Motivation des Engagements bei BALANCE musste er nicht lange nachdenken, lässt er mich wissen. Die im Berufsleben gemachten Erfahrungen, das daraus resultierende Wissen um die Situation der behinderten Menschen in der Gesellschaft und die Chance, die Weiterentwicklung von Balance mitgestalten zu können, sind Motivation genug! Bildnachweis: H. Hiebl Der Integrationspionier Der zweifache Familienvater Rudolf Wögerer bringt dafür beste Voraussetzungen mit, 40 Jahre war er im Schuldienst tätig, hat Menschen mit Behinderungen als Lehrer begleitet und später als Leiter eines sonderpädagogischen Zentrums Integrationsklassen in der Region (18. Und 19. Bezirk) eingerichtet. Als „ Integrationspionier“ würdigte ihn der damalige Stadtschulratspräsident Kurt Scholz wegen seiner Bemühungen, Menschen mit Behinderungen eine Schulbildung in integrativem Unterricht zu ermöglichen. Für Optimierung der Bildungschancen von Menschen mit Behinderungen, dafür habe er sich sein ganzes aktives Berufsleben eingesetzt und darauf sei er auch sehr stolz. Chancengleichheit endet aber seiner Meinung nach nicht bei der Schulbildung, sondern erstreckt sich auf alle Lebensbereiche. Und dafür lohne es sich, sich auch in der Pension weiter zu engagieren, um uns einer inklusiven Gesellschaft immer mehr anzunähern. „Eine inklusive Gesellschaft ist ein Ziel, auf das wir hoffentlich alle zugehen.“ Der Weg dahin sei allerdings noch weit und verlange eine permanente Anstrengung von uns allen, betont Wögerer. Inklusion sei für ihn erst dann erreicht, wenn wir in allen Lebensbereichen, beginnend im Kindergarten bis in den geriatrischen Bereich hinein ohne Unterschiede, mit oder ohne körperlicher oder intellektueller Beeinträchtigung gemeinsam Leben, Arbeiten und Lernen können. Für BALANCE wünsche er sich, dass das Wort „Inklusion“ in diesem Sinn mit Leben erfüllt werde. Als geglücktes und beeindruckendes Beispiel in den letzten Jahren bei BALANCE sieht er den Weg von Werner Fichtinger, der sich seinen Traum verwirklichte und jetzt einen Arbeitsplatz nach seinem Wunsch in der freien Wirtschaft hat, wenn auch gefördert und gestützt. Viele Menschen im Umfeld von Herrn Fichtinger, BALANCE MitarbeiterInnen, aber auch BALANCE als Organisation haben hier wesentlich dazu beigetragen, dass dies möglich wurde. „Ich denke, dieser Fall zeigt, dass es sich lohnt hartnäckig zu bleiben, auch wenn man nur über lange Umwege zum Ziel kommt! Ich sehe für BALANCE eine Notwendigkeit, solche Schritte weiterhin zu gehen und für jede einzelne KlientIn anzudenken.“ Darum findet er es beeindruckend, wenn Menschen mit Beharrlichkeit und Treue ein Projekt über lange Zeit verfolgen, selbst wenn sich der Erfolg nicht sofort einstellt. Und was er von der Geschichte von BALANCE weiß, gab es auch hier immer Menschen, die die Organisation nach ihrer Grundidee beharrliche weiterentwickelt haben. „BALANCE hat eine enorme Entwicklung seit Gründung durchgemacht. Dazu braucht es eine solide Arbeit auf allen Ebenen“, ist Rudolf Wögerer überzeugt. BALANCER 59, 2/2014 Intern Rudolf Wögerer: Der neue Vorstand: 64 Jahre pensioniert verheiratet 2 erwachsene Kinder Seit 2010 im Vorstand von BALANCE OSR, Dir. Rudolf Wögerer Obmann MinRat Mag. Rotraut Kopper Obmann Stellvertreterin Marianne Kühtreiber Obmann Stellvertreterin Dr. Karl Katary Schriftführer Irmtraut Vaclavic Schriftführer Stellvertreterin Gertrud Bartsch Kassierin SenRat DI Harald Haschke Kassierin Stellvertreter Seit 23. Juni 2014 Obmann Weitere Vorstandsmitglieder: Dipl.-Vw. Herbert Kopper Leo Josef Neudhart SD Edeltraut Frank-Häusler Susanne Pisek MMag. Martin Kopper „Man hat das Gefühl, dass sich hier die Menschen auf Augenhöhe begegnen können“. Foto: A. Berger Das zeige sich auch im Betriebsklima innerhalb der MitarbeiterInnen und in der Kommunikation zwischen den BetreuerInnen und NutzerInnen. Es gefalle ihm besonders, wie wohlwollend und respektvoll miteinander umgegangen werde. Der respektvolle Umgang mit Menschen mit Behinderung auf gleicher Augenhöhe fällt ihm nicht schwer, denn auch privat gehören Menschen mit Behinderungen zu seinem Bekanntenkreis. Viele seiner SchülerInnen melden sich regelmäßig bei ihm, kontaktieren ihn, um ihn um Rat zu fragen oder laden ihn zu besonderen Anlässen ein. „Das sind Kontakte, die oft rund um die Uhr wahrgenommen werden, wenn sie irgendein Anliegen haben, das sich in ihrem Umfeld entwickelt, dann wird telefoniert, oder man trifft sich zum Mittagessen, oder ist zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. Demnächst ist das wieder der Fall“, lächelt Rudolf Wögerer, „Luki feiert seinen 54. Geburtstag!“ Sein persönliches Bild von „Behinderung“ habe sich seiner Erinnerung nach aber bereits in der Volksschulzeit eingeprägt. Ein Schulkollege mit intellektueller Beeinträchtigung besuchte damals die gleiche Klasse. Da es zu dieser Zeit aber noch keine Angebote für Menschen mit Lernschwierigkeiten gab, ließ man diesen aus Mangel an Möglichkeiten einfach mehrmals die ersten Klassen wiederholen. Später konnte er als Hilfsarbeiter in einem Sägewerk arbeiten und so zumindest seinen Lebensunterhalt selbstständig bestreiten. Mit ihm sei er ebenfalls immer noch in Kontakt. „Er ist nun ebenso wie ich in Pension und es geht ihm gut“, erzählt Wögerer. „Ich wünsche mir mehr Sensibilität im Umgang mit Menschen mit „unsichtbaren“ Behinderungen!“ Der Begriff Behinderung umfasst eine Vielzahl von unterschiedlichen Beeinträchtigungen. Für viele ist „der Behinderte“ entweder ein Rollstuhlfahrer oder ein Mensch mit Down-Syndrom. „Ich denke bei dem Wort „Behinderung“ vor allem auch an Menschen mit nicht so augenscheinlichen Behinderungen wie Trisomie 21 oder Rollstuhlbedürftigkeit.“ Diese Menschen würden es seiner Meinung nach besonders schwer haben, weil die gesellschaftliche Akzeptanz gering ist und Therapien und Fördermöglichkeiten oft nicht in wünschenswertem Maß zur Verfügung stehen. Menschen in Rollstühlen sind heute im Straßenbild und in vielen anderen Bereichen beinahe selbstverständlich, obwohl mancherorts noch Barrieren abgebaut werden müssen. Da fand ein Umdenken in der Gesellschaft in den letzten 30 Jahren statt. Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen haben keine Lobby. Die konzentrierte Anspannung löst sich am Ende des Gesprächs. Jetzt nur noch schnell ein paar Fotos machen, bitte ich unseren neuen Obmann. Auch diese Prozedur lässt er geduldig über sich ergehen, gibt sich hilfreich, positioniert sich nach meinen Anweisungen ins bessere Licht. Und während wir über diverse übertrieben gestellte Fotos scherzen, gelingen diese Aufnahmen. 5 6 T hema BALANCER 59, 2/2014 Kein Tag wie jeder andere Workshop-Tag zu CHANGE Wohnen 2014 Von Andrej Rubarth Bild: Bettina Onderka Change war unsere Veranstaltung. Dieser 24. April war unser Tag. 100 Leute sind an diesem Tag im Festsaal des WIFI zusammengekommen. Es gab viele Erlebnisse und Geschichten an diesem Tag. Zwei davon sollen hier im Balancer Platz finden. Dies hier ist meine Geschichte, wie ich den Tag als Organisator und Projektverantwortlicher erlebt habe. Viele andere Geschichten wurden lange noch nach dem Workshop erzählt. Ein großes Foto-Rückschauplakat im Juli hat die Erinnerung noch einmal angestoßen. CHANGE war mehr als nur ein einzelner Tag. Wir haben in der letzten Ausgabe dieser Zeitung schon darüber geschrieben. CHANGE war ein Projekt über mehr als sechs Monate. Viele NutzerInnen und MitarbeiterInnen haben sich beteiligt. Doch heute schreibe ich nicht von Projekt, Theorie und Methode. Heute schreibe ich über meine Erlebnisse, die deutlich machen, was das Konzept hinter CHANGE ist. se begann auch gleich das Reden und Fragen, zu zweit, zu dritt und in großer Runde. 130 Botschaften aus 75 Persönlichen Lagebesprechungen lagen im Saal aus. Alle tauschten Geschichten dazu aus. Wie sie alle ihre Köpfe zusammensteckten: die NutzerInnen, MitarbeiterInnen, Angehörige, Fördergeber, Peer-BeraterInnen, SelbstvertreterInnen, SachwalterInnen, KooperationspartnerInnen und mit Gabriele Mörk (SPÖ) und Birgit Meinhard-Schiebel (Grüne) auch 2 Politikerinnen der Stadt Wien. Eine Wand war plakatiert worden: was gut läuft bei BALANCE. Jetzt wurde besprochen, wo es hakt, was noch nicht gut läuft. Zum Beispiel das Rauchen/Nichtrauchen in den WGs. Die SachwalterInnen, die noch nie gesehen wurden. Das wenige Geld, das für die Freizeit oder den Besuchsdienst nicht reicht. Die Sorgen bei großen Entscheidungen, wie zum Beispiel das Einziehen in eine eigene Wohnung. Die Diskriminierung bei der Bewilligung von Rehabilitationsaufenthalten. Die Kritik, dass NutzerInnen zu wenige Informationen erhalten. Das große Gespräch Das große Miteinander Wo soll ich anfangen? Ich habe das Bild des vollen Saales vor mir. Irgendwie waren alle entspannt und gespannt zugleich. Es gab viele Plaudereien beim Ankommen. Die sechs ModeratorInnen für die Themenkreise kamen früh und fingen gleich mit ihren Flipcharts zu werken an. Gefühlte 1.000 Dinge wurden noch hin- und hergetragen, geklebt, sortiert. Es war ein verschlungener Weg zum Festsaal. Doch Dank unserer Zivis und eines wirksamen Pfeilsystems haben alle gut durch das Labyrinth bis unter das Dach und in den Saal gefunden. Mathias, ein Bewohner der Wohngemeinschaft Goldschlag, hat sich vor die 100 Leute platziert und den Tag eröffnet. Nach telefonischer Anfrage hatte er kurzentschlossen zugesagt. Als es soweit war, zog er die ganze Sache mutig durch. Mit Nervenflattern, aber doch cool. Kurz danach begann schon das Gewusel der Menschen. Jede/r wollte die passende Arbeitsgruppe finden. Ohne Pau- Es gab ein dichtes Stimmengewirr. Es wurde immer schwieriger zu verstehen, was gesagt wurde. Eine Gruppe entschied in der Not, zu improvisieren und sich einen Platz im Stiegenhaus zu suchen. Da war es ruhiger, aber es gab halt ein paar durchlaufende Menschen, die immer um Entschuldigung baten. Das ist zuerst lustig, dann aber auch anstrengend. Aber wir alle sind gewohnt, auf die wechselnden Widrigkeiten des Lebens Antworten zu finden. Wir waren aufmerksam füreinander, organisierten uns alle je nach Situation. Es war wie ein kleines Dorf, wo jede/r weiß, wie es dem/der anderen geht und was gerade Gutes zu tun ist. Wir alle ruderten kräftig durch den anwachsenden Strom der Vorschläge und Ideen. Die ModeratorInnen kamen ins Schwitzen, behielten aber ihre gute Laune und vor allem den Überblick. Sie arbeiteten zum Teil auch in der Mittagspause. Waltraud und Tobias bekamen ein Jausenbrot, weil T hema BALANCER 59, 2/2014 So geht’s sie sich aus dem Berg von Flipcharts und bunten Karten nicht rechtzeitig herausarbeiten konnten. Wenn der Blick verstellt oder die Konzentration weg war, konnte mensch sich auf der Dachterrasse über den Dächern von Wien aufhalten, das Hirn lüften und einen weiten Blick zurückgewinnen. In der Mittagspause haben alle ihren Platz gefunden. Wieder konnten neue Bekanntschaften gemacht werden: Ach DU bist die, welche … Ja, und ICH bin da und dort. Große und kleine Fragen wurden wie nebenbei weiter hin- und hergedreht. Am Nachmittag ging die Arbeit an der Zukunft los. Zukunftsbriefe wurden geschrieben. Karten beschriftet. Collagen kombiniert. Miniprojekte aufgestellt. Aufforderungssätze formuliert. Fünf große weiße Papierkreise waren zu Beginn ein leerer Raum gewesen. Jetzt füllten sich diese Kreise bunt und überbordend. Jede Arbeitsgruppe fand ihren Weg, ihre Ideen darzustellen. Ein gemeinsamer Weg Dann kam der Moment, als die gefüllten fünf Kreise im großen Saal ausgelegt wurden und alle rundherum Platz nahmen. Es war die Zeit der, ich würde sagen, Großen Energie. Durch den großen Kreis saßen alle beieinander und konnten sich ins Gesicht schauen. Mit Blick auf die Ideen aller. SitznachbarInnen, die sich vorher nie gesehen hatten, redeten über ihre Sichtweise auf das Ergebnis und ihren eigenen Beitrag dazu. Es war wieder wie im großen Dorf. Wer seine Meinung hier allen sagen wollte, konnte das tun. Vor allem die NutzerInnen haben gesprochen. Es wurde noch einmal festgehalten, was wir Neues schaffen wollen und was wir aber auch loslassen können. Es war ein wirklich reicher und anstrengender Tag, aber kaum jemand war müde, ganz im Gegenteil. Uns ist gelungen, anders zu sprechen, anders zuzuhören, anders miteinander zu tun. Die Rollen, die wir sonst haben, waren nicht wichtig an diesem Tag. LeiterIn oder NutzerIn, Angehörige oder SelbstvertreterIn, behindert oder nicht behindert, MitarbeiterIn oder Politikerin. Es zählte, was jede/r an Erfahrung teilen wollte. Daraus wuchsen die Ideen und die gegenseitige Wertschätzung. Alle sind einander als BürgerInnen dieser Stadt begegnet, die ein gemeinsames Interesse haben: dem eigenen Leben eine eigene Richtung zu geben und darin gleich unter Gleichen zu sein. Einen Tag lang konnten wir das erleben. Diese Erfahrung wird uns begleiten, wenn wir unsere Dienstleistungen weiterentwickeln, sodass sie eine Bedeutung für das Leben der NutzerInnen haben. Das wird auch so sein, wenn die Hindernisse noch unüberwindbar scheinen. Ich möchte an dieser Stelle auch vielfach Danke sagen: Danke an Ruth, die mich am Morgen so herzlich begrüßte. An Helga, die Äpfel und Blumen besorgt hat und fast alles auf gute Art auf die leichte Schulter nehmen kann. An Mona, die immer wieder gefragt hat, ob sie etwas übernehmen soll. An Markus, der sich aufmerksam um eine Kollegin kümmerte, der es gesundheitlich nicht so gut ging. An Frau Artner vom Bistro für den Transport des Gebäcks und ihre Improvisation. An Michael für seine Begeisterung und sein sofortiges Feedback. An Katharina, für die geometrisch anspruchsvolle Zusammensetzung der 3-Meter-Papier-Kreise. An Karl für den flexiblen Materialtransport. An die beiden Rezeptionisten vom WIFI für die perfekte Unterstützung am Eingang. An Iris für das Anschieben unserer Blutkreisläufe nach dem üppigen Mittagessen durch Action-Gymnastik. An Thomas für seinen Allround-Einsatz als Praktikant. An Cornelia, die unbemerkt zum richtigen Zeitpunkt so nette Sackerln packt, dass alle ModeratorInnen ihre Materialien haben. Im Oktober wird eine Arbeitsgruppe aus NutzerInnen, MitarbeiterInnen und Leitungen die Ideen sichten, ordnen und erste Visionen dazu formulieren. Dann kann BALANCE planen, wie wir das gemeinsam verwirklichen. Und noch etwas haben wir erreicht: Wenn im übernächsten Jahr die Menschen vom Bereich Tagesstruktur ihren nächsten CHANGE-Workshop machen werden, dann werden wohl viele wieder mit dabei sein wollen. 7 8 T hema Editorial / Vor den Vorhang BALANCER 59, 2/2014 Mütter, Sachwalter und Pausentanz Der Workshop aus Sicht von Martin Kopper. Bewohner in der WG Böckh. Von Martin Kopper Ich war im Arbeitskreis „Meine Zukunft planen“. Zwei Mütter waren dort, mit ihren erwachsenen Töchtern. Ich muss sagen, die Einstellung der Mütter hat sich schon verändert in den letzten Jahren. Sie können sich besser in die Probleme ihrer erwachsenen Kinder hineindenken. Ich habe das beobachtet. Bis vor ein paar Jahren haben die Mütter etwas gesagt, und so war’s dann. Die „Kinder“ haben nicht viel dagegenreden können. Das ist jetzt anders, habe ich den Eindruck. Die Einführung, den 1. Teil am Morgen, habe ich leider verpasst. Obwohl ich später gekommen bin und die Lotsen schon weg waren, habe ich selber gut zum Saal gefunden mit meinem E-Rolli. Wenngleich das Gebäude riesig ist, die Beschilderung war gut ausgedacht. Mit zwei Sachwaltern habe ich länger sprechen können. Das hat mich bestärkt, dort eine Ausbildung zu machen. Ich habe ja ein Diplom in Jus, das heißt in Rechtswissenschaften. Vielleicht kann ich einige Personen als Sachwalter begleiten. Seit dem Workshop interessieren mich die Angelegenheiten von BALANCE noch mehr. Dieses ganze Drumherum. Wie die Organisation funktioniert. Iris mit ihrem Pausentanz hat mich sehr überrascht, das war wirklich mitreißend. Auch für Rollifahrer wie mich. Ich hatte übrigens einen sehr speziellen Essensplatz, weil im Lokal kein Platz mehr war wegen der sehr vielen RollifahrerInnen. Das war sehr lustig. Ich saß draußen und habe mich um nix kümmern müssen. Meine Mutter weiß genau, was mir schmeckt und hat mir nur gute Sachen vom Buffet gebracht. Da kann ich nur sagen, das war sehr angenehm. Pinn wand. Diese fünf Arbeitsthemen wurden aus 75 Persönlichen Lagebesprechungen herausgefunden: 1: Ich als Person in der WG. 2: Mit anderen sein. 3: Erleben und Erfahrungen machen. 4: Meine Gesundheit und alle Hilfsmittel, die ich brauche. 5: Mein Leben heute und in Zukunft. Fotogalerie als Rückschau unter: http://www.balance.at/unterstuetztes-wohnen/wie-arbeiten-wir/ change-wohnen-rueckschau Was ist eine Persönliche Lagebesprechung? http://trainingpack.personcentredplanning.eu/index.php/de/ person-centred-review-meeting-de Menschgeige Ein vielbeachteter Auftritt der tanzmontage.Balance fand am 27. Juni 2014 statt. Thema der tänzerischen Bearbeitung mit etlichen humorvollen Elementen unter dem Titel „Menschgeige“ war die performative Umsetzung der für seine Zeit grenzüberschreitenden Musik Antonio Vivaldis. Foto: H.Hiebl BALANCER 59, 2/2014 Leserbrief Von männlichen und weiblichen Stärken zum Kommentar „Die Krone der Schöpfung“ Ausgabe Nr. 58/2014 Mit Neugier begann ich Ihre Lobeshymne auf die Frauen im letzten BALANCER zu lesen. Anfangs war ich noch angetan, bis ich auf Ihr Beispiel aus dem BALANCE-Alltag gestoßen bin, aus dem heraus Sie scheinbar weibliche und scheinbar männliche Verhaltensweisen verallgemeinern und dabei im Anschluss das „Männliche“ – falls es dieses so überhaupt gibt – auch aus meiner Sicht entwerten. Als zehn Jahre für den Wohnpersonalbereich Mitverantwortlicher ist mir das mehr als sauer aufgestoßen! In diesen zehn Jahren habe ich Folgendes bei BALANCE erlebt: Zupackende Männer, Männer, die ihre Grenzen gut kennen und sich nicht überfordern, Männer, die kühlen Kopf bewahren in hysterisierten Situationen, einfühlsame Männer, Männer, die brillante Beiträge in Diskussionen und Auseinandersetzungen bringen, usw. usw. Ja, diese Männer gibt es auch bei BALANCE und sie werden immer mehr. Im Sommer 2014 sind mittlerweile 40% aller MitarbeiterInnen männlich … und das ist gut so! Pinnwand Die Fußball WM 20 Wette 14 er Von Andreas Tetting rt ELF haben VeliAm BALANCE-Stando heuer zur Fußball ja, Judith und Andi startet. Pläne wurWM eine Wet te ge dith war unsere Ju d den gemacht un um Süßigkeiten Helferin. Es wurde Tag auf ein Spiel gewettet und jeden meister wurde. elt und wer am Ende W acht. Alle haben mitgem WM Wet te haben r de n ne Die Siegerin gspreis bekommen einen Über raschun nal-Dress der igi und der war ein Or nalmannschaf t. tio Na n Öster reichische , die OrganisatoAuch Andi und Velija . eschön bekommen ren, haben ein Dank ELF Foto: Tagesstruktur Ich möchte hier noch ergänzen, was ich auch in den letzten 10 Jahren bei BALANCE erlebt habe: Zupackende Frauen, Frauen, die ihre Grenzen gut kennen und sich nicht überfordern, Frauen, die kühlen Kopf bewahren in hysterisierten Situationen, einfühlsame Frauen, Frauen, die brillante Beiträge in Diskussionen und Auseinandersetzungen bringen, usw. usw. Schon die alten Chinesen haben erkannt, dass die große Kraft aus einem Zusammenspiel von „Männlichem“ und „Weiblichem“ entsteht und Conchita Wurst hat das in eindrucksvoller Weise beim diesjährigen Songcontest vorgelebt. Bei einem sich zu einer personenzentrierten Organisation entwickeln wollenden sozialen Dienstleister können wir weder auf „männliche“ noch auf „weibliche“ Stärken verzichten. In der Wahrnehmung der STÄRKEN eines jeden Menschen, der mit BALANCE zu tun hat – egal ob NutzerIn, MitarbeiterIn, Angehörige oder andere – liegt die Kraft, die diese Organisation mit und für alle an ihr Die BALANCE-KlientInnensprecherInnen Teilhabenden entwickeln kann. suchen gegen Aufwandsentschädigung In diesem Sinne lassen Sie uns, (ca. Euro 11,–/h) für ihre Sitzungen wenn überhaupt, dann von DEN (1–2 x im Monat, ca. 2 Stunden) Assistent KRONEN der Schöpfung spreInnen zur Unterstützung bei einfachen chen. Handreichungen, beim Trinken und am WC. Michael Katschnig, Stabstelle Personal AssistentInnen gesucht! Kontakt: Brigitta Wallner E-Mail: [email protected], Tagesstruktur-Standort SoHo 9.00-16.00, T +43-1-209 37 31 9 Kultursalon Hörbiger Am 13. Mai 2014 war BALANCE eingeladen, Produkte im Rahmen des 33. Kultursalon Hörbiger zu präsentieren. Thema des Kultursalons war diesmal der künstlerische Austausch zwischen Wien und Sarajevo. Zwei Fotografinnen aus Wien und zwei Fotografen aus Sarajevo zeigten ihre Werke. Foto: COMPRESS/Koalamedia 10 Wohnen BALANCER 59, 2/2014 Erwin Floh 26 Jahre bei BALANCE Einer der Mitarbeiter, die schon am längsten dabei sind, ist heuer nach 26 Dienstjahren bei BALANCE in den wohlverdienten Ruhestand eingetreten. BALANCE, die BewohnerInnen und KollegInnen geben ihm mit dieser ihm gewidmeten Seite ein persönliches Geschenk mit in die Pension und wünschen alles Gute! Fotos: Harald Großmayer BALANCER 59, 2/2014 Lieber Erwin, du bist zwar nicht mehr so jung – aber wieder so frei wie ein Kleinkind! Genieße die neue Spielzeit! Alles Gute, Kerstin Lieber Erwin! Ich danke dir für alles, und danke, dass du für uns da warst. Ich kenne dich seit 2004 und wir haben eine schöne Zeit mit dir verbracht! Ich wünsche dir viel Freude, viel Spaß und viel Glück. Mach es gut! Wir freuen uns, wenn du uns in Zukunft ein paar Mal besuchen kommst. Liebe Grüße! Sayeste Es war eine schöne Zeit, genieße die Pension, so es geht. Hannes Hi Erwin, du HOOLIGAN! Ich wünsch dir alles Gute in der Pension und bleib so wie du bist. Danke für alles! Alles Gute! ÄNDY der Rocker Die Besten gehen immer als Erste (in Pension)! Lieber Erwin, ich werde deinen Schmäh, deine Geschichten, deine Ehrlichkeit … einfach alles an dir vermissen! Einen Kollegen wie dich werden wir nicht so leicht wieder finden! Wehe dir, du kommst uns nicht oft besuchen!! Marion Lieber Erwin! Ich bin zwar traurig, dass du gehst, doch nun genieß „die Rente“! Schließlich hatte ich mit dir ganz lustige Momente! Lg, Rosi Wohnen Lieber Erwin! Das ist kein Eierschmorrn. Deine Arbeit mit uns war/ist/bleibt vorbildhaft. Roland Ü. Lebe wohl, genieße den Ruhestand! Alles Gute! Michael Ist das Leben nicht hundertmal zu kurz für Langeweile? (Friedrich Nietzsche) In diesem Sinne wünsche ich dir eine schöne Zeit in deiner Pension! Genieße es in vollen Zügen! Richie Hallöchen Flöhchen! Nach deinem krankenstandsreichen Alltag kannst du endlich ausruhen! Musst nicht mehr schuften und hetzen oder dein Leben nach dem Wecker richten. Genieße die Ruhe, Manu Lieber Erwin, Mit dir hat einfach alles Spaß gemacht, vor allem am Telefon haben wir viel gelacht!! Danke Kathi Lieber Erwin, für deinen weiteren Lebensweg alles Gute. Thomas W. Mit dir, Erwin, hatte ich immer sehr viel zu lachen. Mit dir konnte ich auch sehr gut diskutieren und auch Probleme bewältigen. Erwin, du bist für mich ein sehr guter Freund geworden! Danke, Mayer Durch dich weiß ich … ein Auto braucht auch Öl. Durch dich hab ich gelernt … Reifen zu wechseln. Ich weiß heute auch, wie das mit dem Kochen geht. (theoretisch ) Von dir weiß ich, wie man zu einem Haus im Waldviertel kommt, Autos kauft, mit Menschen streitet, bei seiner Meinung bleibt, sich hinterfragt, Kritik annimmt, kreative Lösungen findet, Kompromisse sucht, verzeiht … (na, vielleicht hab ich das nicht von dir), aber für 1.000 andere Dinge: DAUNKSCHEE!! Uschi 11 Teil des Bühnenbilds zur Performance „Menschgeige“, eine Kooperation von tanzmontage.Balance und bild.Balance Wien Fotos: bild.Balance Wien Lisi Hinterlechner, Acryl auf Leinwand, 2014, 250 x 190cm Andrea Mejia Rocha, Acryl auf Leinwand, 2014, 250 x 190cm 14 Tagesstruktur BALANCER 59, 2/2014 BALANCER 59, 2/2014 Tagesstruktur Editorial / Vor den Vorhang Kerzen für die Herzen In der Druck-Wachs-Gruppe werden Kerzen aller Art hergestellt, die einen ganz wichtigen Beitrag für BALANCEVerkaufsstände im und außer Haus darstellen! Fotos: H.Hiebl Von Christian Zuckerstätter 15 16 Tagesstruktur Bei der Vorstellung der BALANCE-Gruppen am Tagesstruktur-Standort Fuchsenfeld gelangen wir hiermit schon zur sechsten Gruppe. In der Druck-Wachs-Gruppe werden insgesamt dreizehn NutzerInnen betreut, von denen einer aber nur einen Tag pro Woche kommt. Die Druck-WachsGruppe ist somit die zahlenmäßig stärkste im Haus. Begleitet werden die vielen NutzerInnen von drei Betreuerinnen plus einem Betreuer, der speziell für eine Rollstuhlfahrerin in der Gruppe zuständig ist. Die Haupttätigkeit der Gruppe ist, wie schon der Überschrift zu entnehmen, das Gießen von Kerzen. Die Aufgaben umfassen im Wesentlichen die Vorbereitung mit allen erforderlichen Arbeitsschritten, das Gießen der Kerzen selbst und die Nachbereitung, insbesondere das Putzen der eingesetzten Hilfsmittel. Alle Arbeitsschritte sind in der Gruppe fix verteilt. Die hergestellten Kerzen haben vielerlei Formen, in erster Linie aber Zylinderform. Zylinderkerzen werden vorwiegend mit Streifen ausgeführt. Das ist aufwändiger, als man bei oberflächlicher Betrachtung meinen könnte, denn jeder Streifen muss extra getrocknet werden und ist somit ein eigener Arbeitsgang!! Eine weitere Art der Produktion ist die Herstellung von Kerzen mittels Ausstechformen. Auf diesem Weg können vielerlei Formen, auch kompliziertere, hergestellt werden, wie zum Beispiel Rauten, Osterhasen, Sterne, verschiedene Weihnachtsmotive … Eine eigene „Schiene“ sind die sogenannten Muffin-Kerzen mit blumenförmigem Grundriss! Weitere Produkte der Druck-Wachs-Gruppe sind: Glaskerzen – für dieses Produkt wird das flüssige Wachs in Gläser gegossen Stabkerzen – deren Herstellung, das „Stabkerzen ziehen“, erfordert einiges Fingerspitzengefühl Duftkerzen – Wachsguss in kleinen Dosen, vor allem für den Weihnachtsmarkt Kerzen in Katzenfutterdosen – eine gute Anwendungsform des Recyclinggedankens Anti-Brumm-Kerzen – Kerzen in verschließbaren Glasbehältern, halten mit ihrem Duft Insekten fern Eine weitere Produktionsform ist der Plattendruck. Dabei werden verschiedenfarbige Wachsstücke mit unterschiedlichsten Formen oder andere kleine Gegenstände in große Wachsplatten eingegossen! Der Plattendruck ist eine sehr aufwändige Produktionsform, die sehr viele Arbeitsschritte erfordert! BALANCER 59, 2/2014 Den werten LeserInnen wird womöglich auch schon aufgefallen sein, was sich viele davor bereits gefragt haben: Hier ist die Rede von Wachs, Wachs, Wachs und Kerzen, Kerzen, Kerzen. Warum nur heißt diese Gruppe „Druck-Wachs“? Nun, der primäre Grund ist, dass die Gruppe früher einmal selbst gedruckt hat. Diese Tätigkeit ist in den letzten Jahren stark in den Hintergrund getreten, abgesehen von gelegentlichen kleinen StempeldruckAufgaben wie etwa dem Bedrucken von Billets oder Stoffen! Zurzeit aber ist auch der Siebdruck wieder in Planung bzw. in Vorbereitung. Das würde eine große neue Aufgaben-Schiene in die Gruppe bringen und zwei zusätzliche Arbeitsschwerpunkte wären: Siebdruck und Stempeldruck! Nun noch ein paar Worte zum Klima in der Gruppe. Das Zusammenarbeiten in der Gruppe verläuft sehr harmonisch. Die Leute kennen einander schon sehr gut und es ist bei allen Tätigkeiten ein höchst angenehmes Miteinander! Gelegentlich werden Versuche unternommen, die „Tagesaufgaben“ durch einzelne NutzerInnen verteilen zu lassen, was sich ebenso gut bewährt hat wie sie durch die Betreuerinnen zu vergeben. Die idealen Produktionszeiten sind – bedingt durch die niedrige Schmelztemperatur von Wachs – im Frühjahr und im Herbst! Das bedarf einer sorgfältigen Planung, weil die Hauptverkaufszeiten genau umgekehrt der Sommer und der Winter sind! Natürlich hauptsächlich im Winter, insbesondere vor Weihnachten, aber mittlerweile auch im Sommer wegen der Nachfrage nach AntiBrumm-Kerzen! Der Verkauf spielt sich in erster Linie auf Märkten, allen voran dem Weihnachts- und dem Adventmarkt, ab. Es gibt aber auch Aufträge, wie zum Beispiel von einem Hotel, der Pfadfinder-Schule oder der Caritas! Tagesstruktur Fotos: H.Hiebl BALANCER 59, 2/2014 17 18 interbalance BALANCER 59, 2/2014 Balancer-Polittalk Gerald Loacker (NEOS), Helene Jarmer (GRÜNE) und Franz-Josef Huainigg, (ÖVP) stehen Rede und Antwort. In dieser Ausgabe stellen wir Ihnen wieder einen Vertreter einer Regierungspartei (ÖVP) und zwei VertreterInnen von Oppositionsparteien vor. In der nächsten Ausgabe folgt dann der letzte Teil unseres Polittalks mit VertreterInnen von nicht im Parlament vertretenen Kleinparteien. Behinderungen sind Querschnittsmaterien: Sie finden sich unter anderem in Bildung, Arbeitsmarkt, Wohnen, Tourismus, Gesundheit und Pflege. Überall gibt es einerseits ernstzunehmende Probleme und andererseits wieder spannende Projekte, über die man mehr wissen möchte. Wir versuchen uns so intensiv wie möglich zu vernetzen und nehmen gerne Anregungen von Seiten Betroffener an, um hier gemeinsam zu arbeiten. Gerald Loacker / NEOS Foto: Parlamentsdirektion/SIMONIS Stellen Sie sich bitte kurz vor, wieso sind Sie Behindertensprecher geworden und wie war der Weg dorthin? Mein Name ist Gerald Loacker, geboren 1973 in Dornbirn/ Vorarlberg. In Wien absolvierte ich ein Rechtswissenschaftsstudium mit anschließender Gerichtspraxis am Oberlandesgericht. Beruflich bin ich seit Jahren im Personalbereich tätig. Seit Oktober 2013 bin ich Abgeordneter zum Nationalrat und im Parlamentsklub der NEOS. Dort bin ich neben meiner Arbeit für Menschen mit Behinderungen auch für die Bereiche Arbeit, Soziales und Integration zuständig. Mein persönlicher Zugang zum Thema Behinderung ist auch durch eigene Erfahrungen geprägt. Nach einem Unfall hatte ich zeitweise nur eine ganz geringe Sehleistung auf einem meiner Augen. Dieser temporäre Verlust der Sehkraft eines Auges hat mir bewusst gemacht, wie im Alltag manches von einem Tag auf den anderen plötzlich anders wird. Bis auf kleine Einschränkungen im mehrdimensionalen Sehen ist die Sehkraft wieder hergestellt – doch erinnere ich mich noch oft an diese Zeit und bin daher sehr interessiert an allen Entwicklungen in diesem Bereich. Was sind die besonderen Herausforderungen an der Arbeit als Behindertensprecher? Nachdem wir erst seit Herbst im Nationalrat sind, liegt eine der größten und auch schönsten Herausforderungen darin, mit Unterstützung durch Betroffene, Expert_ innen und Selbstvertreter_innenorganisationen Wissen zu sammeln und diesen vielfältigen Bereich gut kennenzulernen. Die Themen rund um Menschen mit Warum hinkt Österreich bei der Umsetzung der UN-Konvention für Menschen mit Behinderungen nach? Viele Punkte in der Konvention bedeuten große Einschnitte in österreichische Strukturen. Am Beispiel Bildung etwa sieht man, wie viel noch zu tun ist, ehe von inklusiven Systemen gesprochen werden kann. Einzelne engagierte Projekte zeigen uns vor, in welche Richtung unser Weg führen könnte. NEOS hat im Juni im Nationalrat gemeinsam mit den Grünen und den Regierungsparteien einem Abänderungsantrag zugestimmt, in dem die Sonderpädagogischen Zentren in „Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik“ umbenannt werden. Wir wollen jedoch mehr Tempo bei inklusiven Maßnahmen, die in unseren Augen ein ganz wesentlicher Faktor für ein ganzheitliches Bildungsverständnis und Chancengerechtigkeit darstellt. Gelungene Beispiele wie etwa Reutte in Tirol zeigen, dass Länder hier Pilotprojekte starten können, die zukunftsweisend für alle anderen Bundesländer dienen können. Wie schätzen Sie das aktuelle Regierungsprogramm in Bezug auf Behindertenpolitik ein? Die Regierung hat sich viel vorgenommen, wir werden laufend die Fortschritte bei der Umsetzung des NAP beobachten und mittels parlamentarischer Anfragen und Anträge unsere Vorschläge einbringen. Derzeit befasst uns die Novelle des Bundesbehindertengesetzes. Hier kritisieren wir aktuell den mangelnden Datenschutz und fordern eine Verbesserung beim barrierefreien Zugang zu Gesetzen. Ein weiterer Punkt ist die persönliche Assistenz. Derzeit wird diese im Freizeitbereich von den einzelnen Bundesländern in unterschiedlichen Modellen geregelt. In manchen Bundesländern gibt es sie noch gar nicht. Menschen mit Behinderung müssen sich also immer noch gut überlegen, wo in Österreich sie leben wollen. Ein unhaltbarer Zustand, denn persönliche Assistenz im BALANCER 59, 2/2014 19 BALANCE Beschäftigung Interbalance / 19 Freizeitbereich bedeutet aktive Teilnahme an der Gesellschaft – die in unseren Augen eine unabdingbare Vorbedingung für das Gelingen von inklusivem Zusammenleben ist. ihren eigenen Wegen zu unterstützen und nicht einfach über sie zu bestimmen. Wir wünschen uns chancengerechten Zugang zu Bildung und notwendigen Gesundheitsleistungen und Hilfsmitteln. Was wäre im Wahlprogramm Ihrer Partei besser gewesen als im aktuellen Regierungsprogramm in Bezug auf Behindertenpolitik? In unserem Wahlprogramm haben wir den Bereich „inklusive Bildung“ angesprochen – seitdem arbeiten wir laufend an behindertenpolitischen Positionen. Zurzeit werden in Österreich von verschiedenen Stellen die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen festgestellt. Wie könnte dies in Zukunft besser koordiniert werden, um Synergien und mitunter Einsparungen zu ermöglichen? Wir befassen uns intensiv mit Fragen rund um die effizienten, transparenten und vor allem bürgerfreundlichen Prozesse. Besonders im Bereich Hilfsmittel liegen die Abstände zwischen Einreichung des Antrags, Bewilligung und Klärung der Finanzierung noch viel zu weit auseinander. Hier ist es ganz wichtig, Stellen zusammenzufassen – Mitarbeiter_innen gut zu schulen, Doppelgleisigkeiten in der Verwaltung zu erkennen und sofort zu reduzieren. Der Rechnungshof hat hier viele gute Vorschläge gemacht, die dringend umgesetzt werden sollten. In Bezug auf den Bildungsbereich: Was muss sich ändern, damit behinderte Menschen in Österreich Matura auf normalem Weg, also nicht am zweiten Bildungsweg, machen können? Hier befinden wir uns aktuell in intensivem Austausch mit Expert_innen. Im Parlament wird es dazu eine Spezialdebatte im Unterausschuss des Unterrichtsausschusses geben. Wir hoffen hier auf gute Vorschläge! Was würden Sie sich als Behindertensprecher für die Zukunft der Behindertenpolitik in Österreich wünschen? Selbst zu bestimmen, wo und wie man leben möchte, ist für uns ein zentrales Anliegen und eine Voraussetzung für das Gelingen von inklusiven Modellen. Ziel muss auf jeden Fall sein, betroffene Menschen so lange es geht in Welche Initiativen sehen Sie auf EU-Ebene bezüglich einheitlicher Gesetzgebung zur Inklusion in Europa? Am 1. Juli wurde Angelika Milnar als Mitglied des Europäischen Parlaments in Straßburg angelobt. Wir beobachten und unterstützen somit auch dort Initiativen. wichtige Herausforderung ist es, die Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention in Österreich genau zu beobachten und einzumahnen. Parlamentarische Anfragen und Entschließungsanträge sind dazu wichtige Instrumente. Stellen Sie sich bitte kurz vor, wieso sind Sie Behindertensprecherin geworden und wie war der Weg dorthin? Ich bin als Expertin in eigener Sache und über meine Arbeit im Gehörlosenbund zur Politik gekommen. Was sind die besonderen Herausforderungen an der Arbeit als Behindertensprecherin? Als Behindertensprecherin einer Oppositionspartei sehe ich meine Aufgabe mehr in einer Kontrollfunktion. Eine Wie schätzen Sie das aktuelle Regierungsprogramm in Bezug auf Behindertenpolitik ein? Es ist leider kein ambitioniertes Programm, denn es sind Projekte enthalten, zu denen es schon jahrelange Arbeitsgruppen gibt (persönliche Assistenz, eigenständige Absicherung bei Tätigkeiten in Werkstätten). Es ist nicht klar, wann Foto: Parlamentsdirektion/WILKE Helene Jarmer / Die Grünen Warum hinkt Österreich bei der Umsetzung der UN-Konvention für Menschen mit Behinderungen nach? Ein großes Hindernis bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention liegt in der föderalen Struktur Österreichs, d. h. in Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern. Dies spiegelt sich im Nationalen Aktionsplan Behinderung 2012–2020 wider, an dessen Erstellung sich die Länder nicht beteiligt haben, obwohl große Teile der Behindertenpolitik in Länderkompetenz liegen. Eine Nachverhandlung des NAP mit den Ländern ist deshalb dringend notwendig. 20 interbalance es hier endlich zu Durchbrüchen kommen wird. Positiv ist, dass ein Kritikpunkt der UNO, die Großeinrichtungen, in denen Menschen mit Behinderung noch immer leben müssen, abgebaut werden sollen. Aber auch hier fehlen konkrete Maßnahmen und Stufenpläne. Es soll zwar eine zentrale Anlaufstelle für Hilfsmittel geben, aber die Zersplitterung bei der Zuständigkeit und Finanzierung wird beibehalten. Der Bereich „inklusive Bildung“ wird nicht erwähnt. Ein Staatssekretariat zur zügigen Umsetzung der UN-Konvention wird es leider nicht geben. Was wäre im Wahlprogramm Ihrer Partei besser gewesen als im aktuellen Regierungsprogramm in Bezug auf Behindertenpolitik? Das Wahlprogramm der Grünen enthielt z. B. auch die Erhöhung der Ausgleichszahlungen für Unternehmen, die die Behinderteneinstellungspflicht nicht einhalten, einen Rechtsanspruch auf Beseitigung und Unterlassung von Barrieren bzw. Diskriminierungen im Behindertengleichstellungsgesetz oder die jährliche Wertanpassung des Pflegegeldes. Foto: Parlamentsdirektion/SIMONIS In Bezug auf den Bildungsbereich: Was muss sich ändern, damit behinderte Menschen in Österreich Matura auf normalem Weg, also nicht am zweiten Bildungsweg, machen können? Ich setze mich klar für die Abschaffung der Sonderschulen ein. Jedes Kind soll unabhängig von Behinderungen oder Förderbedarf die beste Unterstützung an der Schule bekommen. Südtirol hat den Weg schon vor 30 Jahren erfolgreich eingeschlagen. Es ist eine Herausforderung für das System, aber es ist umsetzbar, wenn die Ressourcen statt in Sonderschulen in die individuelle Förderung der SchülerInnen gesteckt werden. Die neue Zentralmatura ist übrigens schon so gestaltet, dass SchülerInnen mit Behinderungen daran teilnehmen können. Aber die Hürden auf dem Weg zur Matura sind noch sehr hoch. Derzeit wird leider bei der Inklusion Franz-Joseph Huainigg / ÖVP BALANCER 59, 2/2014 gespart, das macht es für Eltern besonders schwierig, von ihrem Recht auf Beschulung der Kinder und Jugendlichen mit Förderbedarf in allgemeinen Schulen Gebrauch zu machen. Was würden Sie sich als Behindertensprecherin für die Zukunft der Behindertenpolitik in Österreich wünschen? Ich würde mir wünschen, dass die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen endlich in den Köpfen der Menschen ankommt, dass alle Gesetze auf ihre Barrierefreiheit hin überprüft und angepasst werden und dass Menschen mit Behinderungen ein gleichberechtigtes Leben mitten in der Gesellschaft führen können. Zurzeit werden in Österreich von verschiedenen Stellen die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen festgestellt. Wie könnte dies in Zukunft besser koordiniert werden, um Synergien und mitunter Einsparungen zu ermöglichen? Regelungen, die derzeit bundesländerweise verschieden sind, müssen bundeseinheitlich geregelt werden, z. B. die persönliche Assistenz oder die Regelungen für barrierefreies Bauen. Derzeit gibt es je nach Sozialversicherungsträger und Bundesland eine völlig unterschiedliche Genehmigungspraxis für viele Angelegenheiten, z. B. die Bewilligung von Hilfsmitteln, und Betroffene werden im Kreis geschickt. Es sollte endlich eine einzige Anlaufstelle für Hilfsmittelansuchen geben (One-Stop-Shop-Prinzip). Welche Initiativen sehen Sie auf EU-Ebene bezüglich einheitlicher Gesetzgebung zur Inklusion in Europa? Die EU hat 2010 eine „Europäische Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen 2010–2020: Erneuertes Engagement für ein barrierefreies Europa“ verabschiedet. Auch die EU hat die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert! Stellen Sie sich bitte kurz vor, wieso sind Sie Behindertensprecher geworden und wie war der Weg dorthin? Als ich mit sieben Jahren in die Schule hätte kommen sollen, wollte mich aufgrund meiner Behinderung der Schuldirektor nicht aufnehmen. Meine Eltern waren aber hartnäckig und eine Lehrerin erklärte sich schließlich bereit, es einmal mit mir zu versuchen. Später setzte ich mich selbst für schulische Integration und ein selbstbestimmtes Leben ein. Durch mein Engagement wurde ich 2002 vom damaligen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat gefragt, ob ich für den Nationalrat kandidieren möchte. Da es mir wichtig erscheint, dass behinderte Menschen selbst ihre Anliegen in der Politik vertreten, habe ich mich zur Kandidatur entschlossen. Seit 2002 bin ich mit kurzen Unterbrechungen Abgeordneter zum Nationalrat BALANCER 59, 2/2014 und ÖVP-Sprecher für Menschen mit Behinderungen, seit 2013 zusätzlich ÖVP-Sprecher für Entwicklungszusammenarbeit (EZA). Was sind die besonderen Herausforderungen an der Arbeit als Behindertensprecher? Bewusstseinsbildung und die Beseitigung von Diskriminierungen! Barrieren müssen in den Gesetzen, aber vor allem auch in den Köpfen abgebaut werden. Meine KollegInnen im Parlament sehen täglich, wie ich mit meiner Behinderung und der Unterstützung durch Persönliche Assistenz lebe. Im Laufe der Zeit ist die Unsicherheit in der Arbeit miteinander verschwunden. Während sonst im Plenarsaal manchmal große Unruhe herrscht, hören sie mir aufmerksam zu, wenn ich mit vergleichsweise leiser Stimme eine Rede halte. Warum hinkt Österreich bei der Umsetzung der UN-Konvention für Menschen mit Behinderungen nach? Ich finde nicht, dass Österreich im Vergleich etwa zu Deutschland nachhinkt. Ich gebe aber zu, dass noch viel getan werden muss. Die UN-Konvention ist dabei die wichtigste Zielsetzung der Behindertenpolitik. In den letzten Jahren konnte ein Paradigmenwechsel – weg von Almosen, Fürsorge und Mitleid hin zu Gleichberechtigung, Inklusion und selbstbestimmtem Leben – angestoßen werden. Durch das Behindertengleichstellungsgesetz wurde in den letzten 10 Jahren viel für Barrierefreiheit in Verkehrsmitteln, öffentlichen Gebäuden und Medien getan. Auch die Österreichische Gebärdensprache ist als Minderheitensprache verfassungsrechtlich verankert. Die gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen wird Schritt für Schritt umgesetzt, das ist ein Prozess, der uns Tag für Tag vor neue Herausforderungen stellt. Besonders schwierig sind Veränderungen im Bildungssystem hin zur schulischen Inklusion. Wie schätzen Sie das aktuelle Regierungsprogramm in Bezug auf Behindertenpolitik ein? Es sind einige wichtige Punkte enthalten, etwa die Verbesserung der Hilfsmittelversorgung, die Fortführung des Pflegefonds oder ein/e Selbstvertreter/in im Bundesbehindertenbeirat. Besonders hervorheben möchte ich auch das Pilotprojekt zur „Unterstützten Entscheidungsfindung“. Die Sachwalterschaft muss neu geordnet werden, weg von drohender Entmündigung hin zu einer Unterstützung auf Augenhöhe. Wichtig ist mir zudem, dass die Würde am Ende des Lebens mit dem Verbot der Tötung auf Verlangen verfassungsrechtlich verankert wird. Dazu wird eine Enquete-Kommission ins Leben gerufen, die bis Jahresende in drei bis vier Enqueten gesetzliche Maßnahmen zum Ausbau von Hospizund Palliativmedizin vorschlagen wird. Wichtig ist mir, dass die aktive Sterbehilfe in Österreich verboten bleibt. Wenn wir also das Regierungsprogramm umsetzen, wird es wesentliche Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen geben. 21 BALANCE Beschäftigung Interbalance / 21 Was wäre im Wahlprogramm Ihrer Partei besser gewesen als im aktuellen Regierungsprogramm in Bezug auf Behindertenpolitik? Zum Glück findet sich vieles aus meinem Wahlprogramm im Regierungsprogramm wieder: Barrierefreiheit, Hilfsmittelversorgung, Menschenwürde und selbstbestimmtes Leben. Wichtig ist mir auch, dass die Persönliche Assistenz bundesweit einheitlich geregelt und finanziert wird. Das soll, nach Zusage des Sozialministers, im Zuge des nächsten Finanzausgleiches mit den Ländern passieren. In Bezug auf den Bildungsbereich: Was muss sich ändern, damit behinderte Menschen in Österreich Matura auf normalem Weg, also nicht am zweiten Bildungsweg, machen können? Umsetzung der schulischen Inklusion! Es muss zum Regelfall werden, dass Kinder mit Behinderung die Regelschule besuchen. Die Sonderschule führt in eine Bildungssackgasse. Natürlich wird nicht jeder behinderte Mensch die Matura machen können, aber jeder Jugendliche mit Behinderung soll entsprechend seinen Fähigkeiten gefordert und gefördert werden. Was würden Sie sich als Behindertensprecher für die Zukunft der Behindertenpolitik in Österreich wünschen? Zum Beispiel, dass jede Partei eine/n selbst behinderte/n Abgeordnete/n als Behindertensprecher/in hat. Derzeit haben das von den aktuellen Parlamentsparteien nur ÖVP, Grüne und FPÖ – nicht SPÖ, NEOS und Team Stronach. Zurzeit werden in Österreich von verschiedenen Stellen die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen festgestellt. Wie könnte dies in Zukunft besser koordiniert werden, um Synergien und mitunter Einsparungen zu ermöglichen? Wie das funktioniert, haben wir in der letzten Legislaturperiode durch die Reform des Pflegegeldes gezeigt. Es gab über 200 Stellen, die die Einstufungen vorgenommen haben, jetzt gibt es nur noch 9. Nahezu alle pflegebedürftigen Menschen werden einheitlich durch den Bund eingestuft. Ähnliche Verwaltungsreformen braucht es auch in anderen Bereichen. Welche Initiativen sehen Sie auf EU-Ebene bezüglich einheitlicher Gesetzgebung zur Inklusion in Europa? Die EU hat die UN-Konvention ebenso ratifiziert und es wird derzeit ein Monitoringverfahren entwickelt. Das Sozial- und Bildungssystem wird von den Nationen gestaltet und nimmt dadurch Rücksicht auf regionale Bedürfnisse. Es ist aber wichtig, dass es EU-weit einheitliche Grundsätze gibt, die auf nationaler Ebene verpflichtend umgesetzt werden müssen. 22 Kommentar BALANCER 59, 2/2014 Kommentar Geschlechterrollen überschreiten? Die Krone wackelt ... CONTRA Von Christian Zuckerstätter Auf meinen Kommentar in der letzten Ausgabe mit dem Titel „Die Krone der Schöpfung“ erwartete ich einen großen Proteststurm vor allem von männlichen Lesern. Dieser Sturm fiel zwar eher als laues Lüfterl aus, jedoch genau im erwarteten Wortlaut, nämlich – summa summarum – „die Fraun san’ a net besser ...“ Auch dazu hab ich mir einiges überlegt. Am Ende des vorigen Kommentares sprach ich folgenden Wunsch aus: bitte, ihr lieben Männer, schaut’s euch was von den Frauen ab!! Ihr könnt’s viiiel von ihnen lernen, wirklich!!! Leider aber ist es genau umgekehrt: Um sich in der „Welt der Männer“ behaupten zu können, kopieren viel zu viele Frauen die Methoden der Männer. Mit folgendem Ergebnis: Anstatt dass Frauen ihre Emotionalität und ihren Intellekt einsetzen, um damit der Gewaltbereitschaft der Männer entgegenzuwirken, imitieren viele die Wege der Männer und es regiert im übertragenen Sinn das „Faustrecht“ – das Recht des Stärkeren, von Frau und Mann gemeinsam getragen!! ... schade, schade!! Um zu vermeiden, dass ich mit Worten wie „Gewalt- bereitschaft“ und „Faustrecht“ einen falschen Eindruck erwecke, möchte ich noch Folgendes klarstellen: natürlich fällt darunter im Extremfall auch physische Gewalt, in den allermeisten Fällen jedoch ist dies eine rein „rhetorische Gewalt“! Diese Form der Gewalt tut mir allerdings auch sehr, sehr weh!! Ich erlebe das leider so gut wie täglich bei meinen Fahrten mit der U-Bahn oder der Straßenbahn. Ja, und beim Schimpfen oder beim Beschweren über dieses und jenes schlagen Frauen ihre männlichen „Konkurrenten“ bei weitem … Darum richte ich diesmal meine dringende Bitte an die Frauen: Bitte besinnt euch auf die Stärken, die euch als Frauen zum starken Geschlecht machen … und schwächt euch nicht selbst und die ganze Gesellschaft insgesamt, indem ihr versucht, die vermeintlichen Stärken eurer männlichen Artgenossen nachzuahmen!! Bitte, bitte, ihr tut damit euch selbst und uns allen einen riesengroßen Gefallen! PRO Von Jürgen Plank Transvestiten, Transsexuelle, Transgender – das Ge- schlecht ist heute auch eine Frage der Selbstzuschreibung und nicht nur eine von der Natur gegebene Tatsache. Androgyne Models und Popstars wie David Bowie, Michael Jackson oder Lady Gaga haben die Grenzen zwischen Mann und Frau längst aufgeweicht. Nicht nur für ihresgleichen, sondern auch für Conchita Normalwurst gilt: JedeR kann heute alles sein, er/sie muss sich nur entscheiden. Oder nicht einmal das: Die Auflösung der Geschlechterrollen ist eine der letzten Freiheiten in einer reglementierten Einheitswurst-Welt – Freiheit, die nicht einmal eine Entscheidung verlangt. Denn Conchita Wurst ist halb Mann und halb Frau und bricht gleich zwei Mal mit Geschlechtszuschreibungen: Erstens indem er sich als Frau verkleidet, zweitens indem sie als Frau ein männliches Geschlechtsmerkmal (Bart) trägt. Eine brillante Idee, denn so singt Conchita uns zu: Ich bin alles, was ihr wollt! Auch ihr könnt alles sein! Ich bin nur eine Projektionsfläche – ob ich Mann oder Frau bin, ist von mir bestimmt und wurst! Und dass es egal ist, bestimme ebenfalls ich selbst! So wird Conchita Wurst vielleicht zu einer Vorkämpferin in einem neuen Kampf um Gleichberechtigung: Im Kampf um die freie Wahl der individuellen Geschlechterrolle. Freilich: Ein sich outender Transvestit im Tor einer ProfiFußballmannschaft würde anno 2014 ausgeschlossen werden und als sich John Browne, der CEO eines internationalen Ölkonzerns, nicht einmal als transgender, sondern „nur“ als schwul geoutet hat, war es um seine Karriere schlecht bestellt. Conchita Wurst hat also noch jede Menge in punkto freie Geschlechtswahl zu tun und bekommt überraschend Unterstützung aus Übersee: In einer Region im Süden des prüden Mexikos leben Männer in Frauenkleidern ihre gesellschaftlich anerkannte Rolle als „drittes Geschlecht“. Auch in Thailand und Laos werden androgyne Männer zu so genannten Ladyboys. Conchita selbst verwandelt sich jeden Morgen und hat vor kurzem gemeint, sie würde es gut finden, am Abend wieder ein Mann zu sein. Vielleicht sogar ein Mann mit Dreitagesbart. Wenn nicht: Das Gras im Gesicht kann man auch aufmalen. BALANCER 59, 2/2014 Veranstaltungen Veranstaltungen: Balance-Fußballturnier Wann: Sonntag, 14. September 2014, 10:00-18:00 ASKOE SPENADLWIESE, Prater Impressum Wo: Medieninhaber, Herausgeber, Verleger: Wechselstube im AU Verein BALANCE – Leben ohne Barrieren, 1130 Wien, Hochheimgasse 1, Wann: Donnerstag, 4. September bis Samstag Versand: Tagesstruktur-Standort 20. September 2014, 11:00-18:00 Eröffnung: Do, 4. September 2014, 18:00 mit Livemusik, bild.Balance Vernissage Lesung: Do 11. September 2014, 18:00 Ende mit Frühschoppen und Livemusik: Sa, 20. September 2014 Wo: viennau Brunnengasse 76 1160 Wien Grafische Gestaltung: Frau Ober Handwerkstätten – bild.Balance KünstlerInnen – Mitgliedern der Band Haltestelle T 01/8048733-8105, F DW 8050 E-Mail: [email protected] Internet: www.balance.at Chefredaktion: Mag. Helga Hiebl Redaktion: David Galko, Iris Kopera, MMag. Martin Kopper, Mag. Jürgen Plank, Cornelia Renoldner, Mag. Andrej Rubarth, Andreas Tettinger und Christian Zuckerstätter Fuchsenfeld Begegnung – Präsentation – Verkauf mit Menschen von BALANCE- Redaktionsadresse: Zeitschrift Balancer, und befreundeten DesignerInnen wie stammbäumchen – hannanaht – fairytailors Hochheimgasse 1, 1130 Wien, T 01/ 804 87 33-8105, E-Mail: [email protected] – Kellerwerk – Thomas Poganitsch – Johannes Lerch – Kaffeehaus am Ring – violettsays – Liliaswelt Erscheinungsweise: 1/4-jährlich Erscheinungsort: Wien Offenlegung nach § 25 Mediengesetz: Eigentümer: BALANCE, gemeinnütziger, überparteilicher, nicht-konfessioneller Verein. Vorstand: DOSR, Dir. Rudolf Wögerer, Obmann; MinRat Mag. Rotraut Kopper, Obmann Stellevrtreterin; Marianne Kühtreiber, Obmann Stellvertreterin; WECHSELSTUBE... Dr. Karl Katary, Schriftführer; Irmtraut Vaclavic, Schriftführer Stellvertreterin; Gertrud Bartsch, Kassierin; SenRat DI Harald Haschke, Kassierin Stellvertreter; Dipl.-Vw. Herbert Kopper; Leo Josef Neudhart; SD Edeltraut Frank-Häusler; 1160, Brunnengasse 76 www.viennau.com DO 4. September 2014 bis SA 20. September 2014 11:00 Uhr bis 18:00 Uhr Geschäftsführung: Marion Ondricek, Vernissage insider & outsider art Blattlinie: Der „Balancer“ berichtet als Wo: Susanne Pisek; MMag. Martin Kopper Mona Schuch Fach- und Vereinszeitschrift über die Aktivitäten von BALANCE, bekennt sich zu dessen Leitbild und thematisiert besonders relevante Themen und Ereignisse, die Menschen mit Behinderungen betreffen. Der „Balancer“ Wann: Samstag, 4. Oktober 2014 galerie3 Alter Platz 25 9020 Klagenfurt Werke von Shpresa Krasnici , Franz Wedl und Iris Kopera Mit einer Performance von Iris Kopera 7 der Bundesverfassung, nach welchem Work & Shop gleichberechtigt und ohne Diskriminierung Wo: folgt inhaltlich dem Bekenntnis des Art. es ein Grundrecht aller Menschen ist, zu leben. Als Grundvoraussetzung für Integration werden Selbstbestimmung und Selbsttätigkeit der BALANCE-KlientInnen und Integrationsbedürfnisse und -bemühungen unterstützt. Gemäß diesem Anspruch setzt sich das Redaktionsteam des „Balancers“ zu gleichen Teilen aus KlientInnen und MitarbeiterInnen zusammen. Wann: Freitag, 14. November Tagesstruktur-Standort SoHo Viktor-Kaplan-Straße 6-8 1220 Wien Fachkräfte leiten an, handwerkliche Tätigkeiten kennen zu lernen. Die hergestellten Produkte können anschließend mit nach Hausen genommen werden. Anmeldung unter T 01/209 37 31, [email protected] 23 BALANCE Design und Handwerk Rexglaskerzen: 8cm 8cm Unsere praktischen Rexglaskerzen sind die ideale Begleitung für laue Sommerabende auf der Terrasse und im Garten. Durch das wiederverschließbare Glas sind sie perfekt gegen Wind und Wetter geschützt. Erhältlich sind die Kerzen in verschieden Düften, auch gegen Gelsen und ohne Duft. Alle in den verschiedensten Farben. www.balance.at zu beziehen im WERKVERKAUF: MO-DO 8.30-15.30 Uhr Fuchsenfeld SoHo Laden Fockygasse 52 Viktor Kaplan Str. 6-8 1120 Wien 1220 Wien 01/ 817 93 44-13 01/209 37 31 FR 8.30-12.00 Uhr Verein BALANCE – Leben ohne Barrieren Österreichische Post AG / Raiffeisen Landesbank NÖ-Wien AG GZ: 08Z037718S Hochheimgasse 1, A-1130 Wien Konto-Nr. 07 479 868 BLZ 32000 Nr. 59, 2/2014, Jahrgang 17 Verlagspostamt 1130 Wien Erscheinungsort Wien Sponsoring.Post