IFK_art: Von Foto-Rückseiten und Foto
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IFK_art: Von Foto-Rückseiten und Foto
IFK_art: Von Foto-Rückseiten und Foto-Kleidern Zu Arbeiten von Sissi Farassat Gisela Steinlechner Wenn Menschen miteinander Fotos betrachten, wird fast immer dazu gesprochen: Wer ist zu sehen, wo war das und wann, und wie komisch man aussieht und wer der hübsche Mann ist und ob dieser Baum noch im Garten steht ... Auch wenn die auf dem Foto abgelichteten Personen und Dinge allen bekannt sind, werden sie beim Namen genannt, wird ihr Wiedererkennen durch das Aussprechen des Namens rituell bestätigt und gefeiert. Wir vergewissern uns gegenseitig, dass wir dasselbe sehen, und wir bringen das Gesehene in einen grobmaschigen Zusammenhang, den wir durch Erinnerungen, Assoziationen und Bruchstücke von Erzählungen improvisieren. Manchmal werden solche Kommentare bereits mit den Fotos mitgeliefert, etwa als Bildunterschriften im Album oder als Notate auf der Rückseite von Fotografien. Wer spricht hier, könnte man fragen, und zu welchem Zweck? Es ist längst nicht immer die Person, die die Fotos aufgenommen hat, und es geht auch nicht ausschließlich um Identifizierung und Archivierung. Manchmal lesen sich die Kommentare wie ein nachgetragenes Drehbuch zu den Bildern oder wie die Zwischentitel in einem Stummfilm – eine fiktive Tonspur, deren Beziehung zum Bild nicht immer so eindeutig 1 ist, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Mein erster Geburtstag, steht da, oder Ausflug auf den Hirschkogel oder Brüderlein und Schwesterlein. Obwohl sich solche Bildlegenden häufig auf private und intime Zusammenhänge beziehen, geht es dabei weniger um Authentizität als um ein diskursives Einverständnis darüber, wie eine bestimmte, zum Bild gewordene Situation, Geste oder Szene zu benennen ist. Der Satz „Bitte recht freundlich“, mit Tinte auf die Rückseite einer kleinen SWFotografie eines Knaben geschrieben, ist in diesem Sinne als ein Rahmen des Bildes zu verstehen, der den individuellen Moment in einem kollektiven Passepartout verortet. Die Inschrift verweist auf das „Gesellschaftsspiel“1 des Fotografierens in einem bestimmten zeitlichen und kulturellen Zusammenhang: Man lächelt freundlich, wenn man fotografiert wird, man verwandelt sich „bereits im voraus zum Bild“2, auch die Kinder werden dazu angehalten. Dem fertigen Bild wird der Stempel dieser kollektiven Übereinkunft noch einmal aufgedrückt – auf die Rückseite, wo sich manchmal auch der Stempel des Fotoateliers befindet und meistens das Logo des Filmherstellers. AgfaLupex ist hier zu lesen und, mit Bleistift geschrieben, die Zahl 144 (vermutlich eine Nummerierung der Filmentwicklungsfirma); am unteren Bildrand steht, wieder mit Tinte geschrieben: Mai 1944. Der freundlich lächelnde Knabe ist also offenkundig Teil einer im Frühjahr 1944 aufgenommenen Bildserie. Alle diese Schrift-Spuren, Markierungen und Stempel, die hier hinterlassen wurden, erinnern daran, dass das Bild, das wir in Händen halten, nicht einfach materialisierte Erinnerung ist, sondern etwas Gemachtes, das verschiedene Produktions- und Interpretationszusammenhänge durchlaufen hat. In der Vergangenheit waren es oft die Frauen, die das Einräumen und „Identifizieren“ der privaten Fotos übernahmen. Sie signierten den Bilder-Vorrat, der ihnen von diversen Familienereignissen, Ausflügen und übermütigen Stimmungen in die Hände fiel, mit bürokratischen oder launigen Kommentaren aus dem Off. Und dabei erweist sich die Rückseite der Bilder als eine Einschreibefläche, auf der die Sätze mitunter ins Vieldeutige kippen: Ich spiel nicht mehr mit hat dann sie gesagt, steht auf einem Bild vom Juni 1944 zu lesen. Vorne sieht man drei Kinder im Gras sitzen. Die Fotografin Sissi Farassat beschäftigt sich ebenfalls mit den Rückseiten von Fotografien. Die Signaturen, die sie dort ablegt, sind jedoch anderer Art: Es sind die materiellen Spuren ihrer handwerklichen, besser gesagt handarbeiterischen Auseinandersetzung mit dem Medium des Bildes. Sissi Farassat bestickt Oberflächen von z.T. großformatigen Fotografien mit glänzenden Pailletten. Es ist dies eine langwierige, minutiöse Arbeit mit Nadel und Faden; einzelne Umrisslinien oder ganze Areale des Bildes werden dicht mit den kleinen glänzenden Sternen besiedelt. Es ist, als hätten die Fotografien glamouröse Kleider angelegt. Ihre Oberfläche ist durch die Pailletten hundertfach gebrochen, sie erscheint – je nach Blickwinkel und Lichtverhältnissen – schuppenartig, irrlichternd, dann wieder wie ein zarter Schleier. Indem das Sternenkleid 1 Vgl. Roland Barthes, Die helle Kammer. Bemerkung zur Photographie, Frankfurt a. Main 1985, S. 20: „ich gehe auf das Gesellschaftsspiel ein, ich posiere, weiß, daß ich es tue, will, daß ihr es wißt, und doch soll diese zusätzliche Botschaft nicht im mindesten das kostbare Wesen meiner Individualität verfälschen [...]“. 2 Vgl. ebenda, S. 19. 2 auf manchen Fotos den Hintergrund großflächig bedeckt und buchstäblich ausblendet, werden einzelne ausgesparte Figuren hervorgehoben, zugleich scheint sich ihre Substanz zu verflüchtigen, ins Schemenhafte hinüberzugleiten. Die Frage nach dem Ort des Erscheinens der Bilder stellt sich hier auf eine neue, überraschende Art. Im Gegensatz zu anderen fotokünstlerischen Bearbeitungen wie der Collage, der Handkolorierung oder Übermalung, ist das Nähen oder Sticken ein Verfahren, das die Bildoberfläche vielfach perforiert: eine sanfte, kontemplative Woodoo-Praktik, die zwischen der imaginären Erscheinung und der physischen Wirklichkeit des Bildes vielfache Verknüpfungen herstellt. Einerseits spielt diese Form der Bearbeitung mit der Oberfläche des fotografischen Bildes, indem sie sie in viele kleine Partikel aufspaltet und bricht, zum anderen dringt sie aber auch auf dessen Rückseite vor. Dort sind die Pailletten mit kreuz und quer verlaufenden Fäden verankert, dort findet das repräsentative Glitzerkleid der Oberfläche sein handarbeiterisches Gegenstück in einer sperrigen Stickschrift, die das Bild in eine Textur rückübersetzt. Sissi Farassats Foto-Nähkunst mag eigensinnig und in ihrer Zeitaufwendigkeit anachronistisch erscheinen, doch berührt und reflektiert sie wesentliche Aspekte der Wahrnehmung und der Ästhetik des fotografischen Bildes. Etwa was die Lichtregie betrifft, die ja nicht nur eine Frage der Aufnahmetechnik und -bedingungen ist, sondern die auch für die Rezeption der ausgearbeiteten Bilder ein wesentliche Rolle spielt: je nach Glanzeffekt des verwendeten Fotopapiers, aber auch abhängig von der Größe des Bildes, vom Ort seiner Präsentation, den dort herrschenden Lichtverhältnissen, dem Standort des Betrachters und nicht zuletzt davon, ob das Foto hinter Glas gesetzt ist. Hinter Glas abgeschirmte Fotografien sind vielfachen Spiegelungen und Lichtbrechungen ausgesetzt, andererseits ist ihre Oberfläche wie versiegelt und der unmittelbare Blick-Kontakt mir ihr unterbunden. Auch mit ihren Pailletten-Teppichen setzt Sissi Farassat den Fotos zusätzliche Glanzlichter auf, doch bringt sie damit auch körperliche und haptische Qualitäten in den visuellen Raum ein. Neue, ungewohnte Schauräume entstehen auf diese Art. Mit ihrem Glitzern und den irisierenden Farben erinnern die Pailletten-Bilder an prunkvolle Gemächer, aber auch an die Glitterwelt von Disco und Filmrevuen – dem gegenüber steht oft die „Gewöhnlichkeit“ oder Intimität der Sujets. Häufig bearbeitet Sissi Farassat Selbstporträts, Aufnahmen von Familienmitgliedern und Freunden, oder auch von Fremden auf der Straße. Die Stick-Arbeit an einem Foto, die sich über Tage und Wochen hinziehen kann, ist somit auch eine Auseinandersetzung mit persönlichen Bilder- und Beziehungswelten. Die vielen Stiche, mit denen der Faden zwischen der Vorder- und Rückseite des Bildes hin- und hergeführt wird, lassen es porös und verletzlich werden, zugleich haben die Fäden einen verdichtenden Effekt, sie puppen die Fotografie gleichsam ein. Zwischen diesen Polen bewegt sich auch Erinnerungsarbeit: wir bewahren Bilder und Eindrücke, indem wir sie durchlässig halten und sie im Imaginären spielen lassen. Ein anderer von Sissi Farassat thematisierter Aspekt des fotografischen Bildes ist der Rahmen. Bei alten Foto-Ausarbeitungen wurde ein solcher oft mitgeliefert, als weiße, rundgezackte Umrandung; Porträtfotos wurden mittels Schablonen oder Passepartouts gerahmt, wobei man das Oval des Gesichts gerne im Oval des Bildausschnitts zitierte. 3 Bei Farassat verlagern sich die Rahmen bzw. der Gestus des Rahmens in das Bildgeschehen hinein, indem etwa eine Raumlinie oder ein Körperumriss mit Pailletten nachgezeichnet und dadurch hervorgehoben wird. Oder es wird der ganze paillettenbesetzte Hintergrund einer Figur zu deren festlichem Rahmen. Doch sind die so entstehenden Konturen nie scharf gezeichnet, aus der Nähe wirken sie wie angeknabbert, die Dinge und besonders die Körper werden von der Gloriole aus Sternen nicht nur ausgezeichnet, sondern auch bedrängt. Die den Fotos nachträglich aufgesetzten Glanzlichter haben somit eine durchaus ambivalente Wirkung – ähnlich wie die preziösen oder kitschigen Zierrahmen und Dekors, mit denen wir die Fotografien von Angehörigen, Heiligen, Ahnen und Liebsten schmücken. So ein Rahmen kann wie ein kleiner Schrein sein, in dem das Bildnis als ein Relikt oder Fetisch verehrt wird, oder wie ein Schutzpanzer, der mit dem Bild auch die abgebildete Person versiegeln und vor Veränderungen bewahren soll. Manchmal ist so ein Rahmen auch nur eine kleine Arabeske, ein vieldeutiges oder zärtliches Wort, das jemand auf die Rückseite einer Fotografie gekritzelt hat. Vielleicht waren wir das selbst und erkennen uns nur mehr in den Schriftzügen wieder, während uns der Text fremd wie ein Roman geworden ist oder es begegnet uns eine unbekannte Person, deren Namen und Geschichte wir nicht kennen, mit der wir jedoch unversehens den intimen Blick auf eine Fotografie teilen. Gisela Steinlechner, geb. 1961, Dr. phil., ist Kulturwissenschafterin, Kuratorin und im Wintersemester 2006/2007 IFK_Research Fellow. Sissi Farassat, geboren 1969 in Teheran, Fotografin, lebt seit 1978 in Wien, Herausgeberin der Foto-Zeitschrift Sioseh. Dieser Text erschien erstmals in der Zeitschrift „Fotogeschichte“, Heft 87, 2003. Aus technischen Gründen mussten die Abbildungen zum Beitrag weggelassen werden. http://www.fotogeschichte.info/ 4