Topics Schadenspiegel 2/2014
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Topics Schadenspiegel 2/2014
TOPICS schadenspiegel Das Magazin für Schadenmanager Ausgabe 2/2014 Gefahr aus dem Netz Cyberrisiken nehmen ständig zu. Dadurch drohen Unternehmen vielfältige Schäden, die oft schwer abzuschätzen sind. Seite 6 Haftpflicht Gehirnverletzungen bei Football-Profis Hagelschaden Gibt es ein Änderungsrisiko? Kraftwerksbau Hohe Qualitätsstandards verhindern Schäden Vorwort Liebe Leserinnen und Leser, In diesem Schadenspiegel stehen Cyberrisiken und Cyberschäden im Vordergrund: Datenverlust, Datenmissbrauch und damit verbundene Haftungsfragen. Ein neuer Schadentrend, der bald genauso zum Alltag der Schadenbearbeitung gehören wird wie Geo-Risiken, Autounfälle und Feuerschäden. Für die Versicherungswirtschaft bedeutet dies neue Herausforderungen, denen man nur mit neuartigem Expertenwissen und maßgeschneiderten Lösungen begegnen kann. Daneben bleiben selbstverständlich die traditionellen Risiken wichtig: Hagelstürme in Deutschland haben die Versicherer 2013 viel Geld gekostet. Selbst bei einem solch klassischen Schadenkomplex lassen sich aber neue Akzente ausmachen, etwa wenn Solaranlagen und moderne Wärmedämmung sich spürbar auf die Schwere der angerichteten Schäden auswirken. Hohe Qualitätsstandards beim Bau sind daher unabdingbar. Schließlich genügt manchmal auch schon ein Wandel der Klagementalität, um neuartige Schadenkomplexe entstehen zu lassen. Ein Beispiel hierfür sind die jüngsten Klagen von Profisportlern wegen der Spätfolgen der zahlreichen Gehirnerschütterungen, die sie im Laufe ihrer Sportlerkarriere erlitten haben. Eine anregende Lektüre wünscht Ihnen Tobias Büttner Head of Corporate Claims bei Munich Re NOT IF, BUT HOW Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 1 Mit Hackern auf Tuchfühlung Auf internationalen Hackertreffen wie der „Campus Party“ in São Paulo 2012 tauschen sich sogenannte White-Hat-Hacker über die neuesten Trends aus. Trotz wachsender Sensibilität der Verantwortlichen in den Unternehmen belegen die sich häufenden Schadenfälle den Einfallsreichtum und die kriminelle Energie von Datendieben. 2 Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 6 Inhalt Für Hagelschäden bezahlten deutsche Versicherer im Jahr 2013 Milliarden. Aktuelle Studien zeigen, dass sich der Trend zu schwerem Hagel in Europa und Nordamerika auch künftig fortsetzen wird. 34 Cyberrisiken „Wer ein Unternehmen schädigen will, hat dank Internet gute Chancen“ Ziele und Methoden der Hacker verändern sich unaufhörlich. Ein abgestuftes Sicherheitskonzept hilft, die eigenen Werte zu schützen. 6 Cyberschäden – ein ernst zu nehmendes Risiko Wer sich gegen Cyberattacken zur Wehr setzen will, braucht technischen Schutz und sollte den menschlichen Faktor nicht unterschätzen. 12 Die Verteidigung der digitalen Grenzen Wie Regierungen Unternehmen vor Cyberangriffen schützen wollen. 16 Teure Cyberangriffe im US-Einzelhandel Den Warenhäusern Target und Neiman Marcus wurden massenhaft Kundendaten gestohlen – mit unterschiedlichen Folgen. 18 Der passende Schutz vor Cyberschäden Die Produkte von Hartford Steam Boiler tragen dazu bei, dass Versicherungsnehmer ruhig schlafen können. 24 Footballspieler erkranken nach häufigen Gehirnerschütterungen oft in jungen Jahren an Alzheimer oder Demenz. Auch Eis hockey- und Fußballspieler unterschätzen das Risiko. 26 Haftpflicht K. o. mit Verzögerung Ein gerichtlicher Vergleich der amerikanischen National Football League mit ehemaligen Spielern lässt Ligavertreter und Versicherer aufhorchen. 26 Naturgefahren Schwere Hagelstürme – gibt es ein Änderungsrisiko?34 Große Hagelkörner richteten 2013 in Deutschland schwere Schäden an. Engineering Kritische Schnittstellen Hohe Qualitätsstandards beim Bau von Kraftwerken helfen, Schäden zu vermeiden. 42 Vorwort1 Unternehmensnachrichten4 Rezension15 Kolumne 46 Impressum Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 3 nachrichten Knowledge in dialogue Client seminar programme 2015 social media Industriehaftpflicht Kundenseminare Folgen Sie uns auf Social Media ! Sind Industrieunternehmen unterversichert? Knowledge in dialogue 2015 Schon länger können Leser auf unserer Website Beiträge in Topics Online kommentieren. Doch auch auf diversen Plattformen in den sozialen Medien haben Sie die Möglichkeit, mit Munich Re in Kontakt zu treten: Wir sind aktiv auf Twitter, Facebook, Google+, YouTube, LinkedIn und Xing. Die internationale Arbeitsteilung beeinflusst die Haftungspraxis weltweit. Industrieunfälle und Umwelt skandale werden stärker wahrgenommen und betreffen verschiedene Rechtsordnungen. Einen Überblick über lokale und globale Verantwortlichkeiten zu gewinnen ist schwierig. Mit ihrer neuen Publikation „Employers’ liability for occupational illness and injury – A familiar risk in a changing world” bietet Munich Re eine Übersicht über die unterschiedlichen Varianten der Arbeitgeberhaftung. Eine weitere Publikation mit Fall studien zur Umwelthaftung erscheint in Kürze. Das neue Kundenseminar-Programm „Knowledge in dialogue 2015” ist da. Auch im kommenden Jahr bieten wir unseren internatio nalen Kunden ein umfangreiches Programm an Seminaren und Workshops. Zur Auswahl stehen Angebote zu allen wichtigen Versicherungs sparten wie auch zu speziellen Themenbereichen wie etwa „Financial lines insurance“ oder „Enterprise risk management“. >>Unsere Publikation „Employers’ liability for occupational illness and injury – A familiar risk in a changing world“ können Sie in connect.munichre.com down loaden oder über Ihren Client Manager anfordern. >>Bitte kontaktieren Sie für weitere Informationen Ihren Client Manager. Folgen Sie uns – und verfolgen Sie mit uns die Themen, welche die Assekuranz bewegen: in interessanten Artikeln, spannenden Videos oder ganz aktuell durch „live tweets“ von Firmenveranstaltungen oder Branchenereignissen. >> twitter.com/munichre >> facebook.com/munichre >> youtube.com/user/munichrevideo >> linkedin.com/company/munich-re >> xing.com/companies/munichre >> plus.google.com/ 115897201513788995727 Kurznachrichten Am 24. September 2014 wurde Dieter Berg, Senior Executive für Business Development der Global Marine Partnership, auf der Jahreskonferenz der International Union of Marine Insurance (IUMI) zum neuen IUMI-Präsidenten gewählt. Damit ist erstmals ein Vertreter der Rückver sicherungswirtschaft Präsident der IUMI. Der Internationale Transport-Versicherungs-Verband IUMI wurde 1874 ins Leben gerufen, um die Interessen aller See- und Transportversicherer zu repräsentieren, zu wahren und weiterzuentwickeln. 4 Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 Munich Re Engineering-Newsletter: Unsere Ingenieure begleiten Großprojekte weltweit und unterstützen Kunden mit ihrer technischen Expertise bei der erfolgreichen Umsetzung und darüber hinaus. In unserem neuen kostenlosen E-Mail-Engineering-Newsletter berichten wir für Sie über spannende Engineering-Projekte aus aller Welt. Abonnieren Sie unseren kostenlosen Engineering-Newsletter unter http://www.munichre.com/de/service/ engineering-newsletter/index.html. nachrichten Willkommen zu einer ganz neuen Form des Arbeitens: connect.munichre bietet Ihnen eine sichere Umgebung für die Weiterbildung und Geschäftsentwicklung, die Prozess optimierung und das Knüpfen wertvoller Kontakte. Kommen Sie und sehen Sie sich um! Neue Marketingbroschüre für Kundenportal connect.munichre.com Die neue Marketingbroschüre für connect.munichre zeigt Kunden, wie sie ihre tägliche Zusammenarbeit und den sicheren Datenaustausch durch Projekträume vornehmen können oder ihren UnderwritingProzess durch unsere Risikoprüfungs- und Tarifierungstools wie etwa MIRA und NATHAN beschleunigen können. Der Zugriff auf aktuelle Researchbeiträge, Publika tionen und Policen ist mit connect.munichre ganz einfach und mit dem Flip Viewer noch angenehmer zu lesen. Am eigenen Arbeitsplatz können sich Kunden so bequem über die neuesten Versicherungsnachrichten informieren, durch unsere umfangreichen Fortbildungsangebote an verschiedenen Standorten stöbern oder online an interaktiven Live-Seminaren teilnehmen. Zudem stehen ihnen in einem Archiv jederzeit Aufzeichnungen früherer Webinare zur Verfügung. Die Kontaktaufnahme mit Experten von Munich Re und die Registrierung im Kundenportal sind einfach gestaltet. In der Broschüre findet man dazu alle erforderlichen Details. >>Bitte kontaktieren Sie für weitere Informationen Ihren Client Manager oder besuchen Sie uns online unter connect.munichre Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 5 Cyberrisiken „Wer ein Unternehmen schädigen will, hat dank Internet gute Chancen“ Immer häufiger werden Unternehmen von Cyber angriffen getroffen. Florian Seitner vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz und Michael Hochenrieder vom IT-Sicherheitsdienstleister HvS– Consulting sprachen mit Munich Re über teure Schäden und komplexe Risiken. Michael Lardschneider (Munich Re): In verschiedenen Branchen beobach ten wir verstärkt Cyberangriffe, die hohe Schäden verursachen. Unter nehmen investieren zunehmend in technische Infrastruktur. Schreckt das die Hacker ab? Florian Seitner: Wir erleben derzeit eine starke Professionalisierung der Hacker. Das spiegelt sich auch in einer Arbeitsteilung wider. Knifflige Programmieraufgaben werden wie in der Wirtschaft ausgelagert, ver schiedene Hackergruppierungen arbeiten sowohl für Nachrichten dienste als auch für kriminelle Auf traggeber. Lardschneider: Herr Hochenrieder, als IT-Sicherheitsdienstleister versu chen Sie herauszufinden, wie effektiv die Schutzmaßnahmen Ihrer Kunden sind. Im Rahmen von Schwachstel lenanalysen und Penetrationstests werden Sie beauftragt, die digitalen Kronjuwelen zu stehlen. Wie läuft ein solcher fingierter Angriff ab? Michael Hochenrieder: Wir führen den Angriff gezielt an einer ausge wählten Stelle im Netzwerk aus und beobachten, wie die Sicherheits mitarbeiter und die Systeme darauf reagieren: Wird Alarm geschlagen? Oder können wir uns zwei bis drei Wochen ungestört im Netzwerk bewegen und dabei permanent Daten aus dem Unternehmen absaugen? Den Angriff auf das eigene System empfinden Unternehmen oft als Kriegs erklärung. Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 7 Cyberrisiken Lardschneider: Unternehmen begrei fen zunehmend, dass sie alle im selben Boot sitzen. Um zu verstehen, welche Angriffe erfolgt sind und welche Maßnahmen durchgeführt wurden, ist aber viel gegenseitiges Vertrauen notwendig. Nur langsam entwickeln sich unternehmensüber greifend vertrauensvolle Kreise. Das gilt auch für die Zusammenarbeit mit den IT-Sicherheitsdienstleistern und den Produktherstellern. Wenn zum Beispiel die Gefahr besteht, dass ein Dienstleister auch für die Konkurrenz arbeitet, dann muss das Vertrauen in den Dienstleister sehr hoch und das Arbeitsverhältnis sehr eng sein. Auch die Zusammenarbeit mit dem Verfas sungsschutz ist wichtig. Seitner: Unternehmen können mit uns vertraulich zusammenarbeiten, sie bekommen behördliche Unter stützung bei elektronischen Angriffen, ohne dass das gleich in ein Strafver folgungsverfahren münden muss. Viele Unternehmen schrecken davor zurück, sich an die Polizei zu wenden. Die Polizei muss solche Vorfälle auf grund des Legalitätsprinzips dem Staatsanwalt melden. Als Verfas sungsschutz unterliegen wir diesem Legalitätsprinzip nicht. Wir garantie ren den Unternehmen Vertraulichkeit. Lardschneider: Vergangenes Jahr haben die US-Sicherheitsbehörden 3.000 Unternehmen informiert, dass sie möglicherweise angegriffen wur den. Werden wir diese noch engere Zusammenarbeit künftig auch in Europa und in anderen Regionen sehen? Michael Lardschneider ist Chief Security Officer von Munich Re. Lardschneider: Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht? Werden Angriffe schneller als früher erkannt? Hochenrieder: Nein, leider nicht, im Gegenteil. Es dauert länger, denn die verfügbaren Tools, die für echte Angriffe genutzt werden, sind mittler weile äußerst ausgereift. Das macht es sehr schwer, einen Angreifer mit entsprechend technischem Hinter grundwissen zu erkennen. 8 Seitner: Der Vorteil der Gegenseite ist, dass sie aus ihren Fehlern lernen kann, denn sie bekommt unter Umständen mit, woran ein Angriff gescheitert ist. Beim nächsten Mal wird die Software verbessert und in einem anderen Netzwerk verwendet. Hochenrieder: Letztendlich müssen wir zugeben, dass wir bei diesem Katz-und-Maus-Spiel in der Regel nur zweiter Sieger sind. Denn um zu lernen, muss ein Angriff erfolgt sein. Die Analyse des Angriffs dauert, und währenddessen werden andere Unter nehmen möglicherweise mit einer ähnlichen Technologie attackiert. Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 Seitner: Wenn wir einen Angriff fest stellen oder ein Angriff gemeldet wird, der aufgrund des Angriffs musters mehr als ein Unternehmen betreffen könnte, dann geben wir Sicherheitswarnungen heraus. Darin wird der Angriff anonymisiert so beschrieben, dass jeder möglicher weise Betroffene konkret etwas damit anfangen kann. Viele Unter nehmen haben aufgrund unserer Warnmeldungen Tests durchgeführt, Cyberrisiken Michel Lardschneider im Gespräch mit Michael Hochenrieder und Florian Seitner (v. l.) Durchschnittlich dauert es 260 Tage, bis ein Angriff vom attackierten Unternehmen entdeckt wird. und einige haben dadurch auch Angriffe entdeckt. Diese Fälle können wir dann in unser aktuelles Lagebild aufnehmen. Hochenrieder: Bei den gezielten Angriffen kommen unterschiedliche Methoden zeitgleich zum Einsatz. Durchschnittlich dauert es 260 Tage, bis ein erfolgter Angriff vom atta ckierten Unternehmen überhaupt entdeckt wird. Manchmal bewegen sich Angreifer mehrere Jahre unbe merkt im Firmennetzwerk. Lardschneider: Um das zu vermei den, hilft nur das Zusammenspiel von Technik und Mensch. Technisch kann man viel einschränken, wobei das mitunter den Arbeitsfluss der Mitarbeiter beeinträchtigt. Mitarbei ter haben hierfür Verständnis, wenn sie verstehen, warum bestimmte Funktionen abgeschaltet sind. Auch investieren wir erheblich, um unse ren Mitarbeitern Knowhow zu ver mitteln und deren Bewusstsein für die Thematik zu schärfen. Hochenrieder: Aktuell sehen wir viele Spear-Phishing-Angriffe. Dabei wer den Personen wie mit einem Speer gezielt angegriffen. Dabei fließt kein Blut, sondern vertrauliche Informa tionen. Spear Phishing geschieht beispielsweise über E-Mails, die sich auf Stellenausschreibungen bezie hen. Ein solches Job-Angebot wirkt professionell, der Anhang mit dem Lebenslauf oder die verlinkte Web site sind aber infiziert. Öffnet der Mitarbeiter der Personalabteilung den Anhang, ist die Tür für Hacker offen. Lardschneider: Welche weiteren Schadenszenarien können Sie sich vorstellen? Hochenrieder: Wenn ein Mitbewerber etwa einen Konkurrenten schädigen will, dann könnte er ihm schlichtweg alle Systeme abschalten. Ein solches Vorgehen würde aber schnell festge stellt und das Problem behoben. Viel schwieriger zu erkennen wäre der Angriff, wenn gezielt Finanzdaten manipuliert oder zum Beispiel bei einem Automobilhersteller die Maße für die Fräse nur ganz gering verän dert würden. Es reicht, wenn bei wenigen Zahlen die Kommastelle verschoben oder an ein paar Stellen das Datum verändert wird. Das fällt zunächst nicht auf, hat aber fatale Folgen für das Endprodukt. Wird der Angriff erkannt, muss man sich Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 9 Cyberrisiken fragen, welche Daten noch integer sind. Denn man weiß ja nicht, wie lange der Angreifer im Netz war und wann welche Stellen manipuliert wurden. Und bei einem großen Unter nehmen alle Daten auf Integrität zu prüfen wird sehr komplex und teuer. Seitner: Ich will noch einen Schritt weitergehen. Was passiert, wenn Prozesse einer Produktionsanlage von Angreifern so beeinflusst werden, dass in dem Produkt, etwa einem Medikament, etwas verändert wurde, ohne dass der Hersteller das über haupt merkt? Auch in der Automobil industrie würde erheblicher Schaden durch umfangreiche Rückrufaktionen mit komplizierten Haftungsfragen ent stehen. Michael Hochenrieder ist Geschäfts führer der Sicherheitsberatung HvSConsulting. Wirksamer Schutz gegen Hacker und gute Versicherungslösungen werden künftig für U nternehmen zu einem unschätzbaren Wettbewerbsvorteil werden. Cyber-Allianz-Zentrum Bayern Das Cyber-Allianz-Zentrum (CAZ) im Bayerischen Landesamt für Verfas sungsschutz berät Unternehmen und Forschungseinrichtungen sowie Betrei ber kritischer Infrastruktur (KRITIS) bei der Prävention und Analyse gezielter Cyberangriffe. Es fungiert als vertraulicher Ansprechpartner und zentrale staatliche Steuerungs- und Koordinierungsstelle in den Bereichen Cyber spionage und Cybersabotage. Bei der Analyse der Angriffe arbeitet das CAZ eng mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), dem Bundesamt für Sicherheit in der Informations technik (BSI) und anderen Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder zusammen. Die Ergebnisse werden im CAZ bewertet und intern weiterverar beitet. Neben dem betroffenen Unternehmen erhalten auch andere möglicher weise von einem ähnlichen Angriff betroffene Unternehmen Informationen in anonymisierter Form. 10 Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 Lardschneider: Darüber hinaus gibt es immer häufiger Angriffe, die man als Cyberterrorismus bezeichnen könnte. Seitner: Angriffe dieser Art richten sich primär gegen die Versorgungs infrastruktur. Wenn beispielsweise ein einzelnes Blockheizkraftwerk für ein Neubauviertel angegriffen wird, dann kann der Versorger das viel leicht noch kompensieren. Werden aber mehrere Blockheizkraftwerke mit derselben Steuerungsanlage angegriffen und fallen aus, dann kann das schon systemrelevant sein. Lardschneider: Den Angriff auf das eigene System empfinden Unterneh men als regelrechte Kriegserklärung. Für die Firmen steht mehr als deren Reputation auf dem Spiel. Gerade in der Finanzindustrie werden Kunden immer mehr darauf achten, wie Unternehmen mit ihren Informatio nen umgehen und ob die Unterneh men bereits angegriffen wurden. Für Firmen, die mit vertraulichen Infor mationen umgehen, entsteht daraus aber auch eine große Chance, mit gezielten Maßnahmen und geeigne tem Versicherungsschutz einen Vorteil gegenüber anderen Unter nehmen im Markt zu erlangen. Cyberrisiken Hochenrieder: Unternehmen müssen verstehen, dass sie nicht alles schüt zen können, zumal sich die Angriffs ziele und -methoden ständig ver ändern. Sie benötigen daher ein abgestuftes Sicherheitskonzept, um die essenziellen Werte wirksam zu schützen. Hier muss man genau Kos ten, Nutzen und Risiken abwägen. Dazu gehört auch eine maßgeschnei derte Versicherungsdeckung von Cyberrisiken. Lardschneider: Wie wird sich das Thema Cyberrisiken in den nächsten Jahren entwickeln? Seitner: Militärische Konflikte wer den sich immer mehr in den Cyber space ausweiten, das müssen wir sehr genau beobachten. Auch die Unternehmen und Behörden müssen sich besser aufstellen und eine starke, breite Allianz des Vertrauens schaffen. Nur so lassen sich elektro nische Angriffe schneller erkennen und abwehren. Hochenrieder: Unternehmen müssen flexibel mit der neuen Situation umgehen. Man kann sich nach wie vor schützen, aber dazu wird eine neue Denkweise benötigt. Bisher haben wir immer versucht, hohe Mauern zu bauen. Da wir wissen, dass das heute nicht mehr ausreicht, ist unsere neue Strategie ein Schutz modell nach dem ZwiebelschalenPrinzip. Eine Sensibilisierung der Mitarbeiter und Administratoren für Informationssicherheit und Cyber risiken sowie die Implementierung von Frühwarnsystemen lassen sich recht schnell umsetzen. Maßnahmen wie eine am Schutzbedarf orientierte Segmentierung der Netze, die Ver besserung des Schutzes privilegier ter Kennungen sowie die Identifizie rung, Klassifizierung und Ergreifung besonderer Schutzmaßnahmen für die Kronjuwelen benötigen Zeit, zum Teil mehrere Jahre. Gerade deshalb sollten Unternehmen heute damit anfangen und gleichzeitig in ent sprechende Cyberdeckungen inves tieren, um sich zukunftssicher aufzu stellen. Florian Seitner vom Cyber-AllianzZentrum (CAZ) im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 11 cyberrisiken Cyberschäden – ein ernst zu nehmendes Risiko Die digitale Vernetzung hat nicht nur unser Leben radikal verändert, sondern mit der Cyberkriminalität auch eine neue Form von Straftaten hervorgebracht. Für die Versicherungsbranche eine gute Gelegenheit, neue Lösungen zu entwickeln und einen gesellschaftlichen Beitrag zu mehr Sicherheit zu leisten. von Helga Munger Rechtsverstöße, die über das Internet aus Profitsucht, aus politischen Gründen oder zu Spionagezwecken be gangen werden, stellen ein ernst zu nehmendes Risiko dar. Aufgrund der rasanten Entwicklung von digitalen Technologien und der Tatsache, dass es oft einfacher ist, ein System anzugreifen, als es zu schützen, sind Datenpannen oder Hackerangriffe in gewissem Umfang unvermeidlich. Wenngleich einige Aspekte dieser Risiken neu sein mögen, so ist ein bedeutender und ausschlaggebender Risikofaktor doch altbekannt: der Mensch. Das Versicherungsumfeld Das Beitragsaufkommen für Versicherungen gegen Cyberrisiken wird für 2014 weltweit auf etwa zwei Milliarden US-Dollar geschätzt. Das ist wenig verglichen mit den Kosten in Höhe von 445 Milliarden US-Dollar, die durch Cyberkriminalität schätzungsweise verursacht werden. Angesichts dieser Zahlen stößt die Cyberthematik bei vielen Versicherern auf großes Interesse. Da sich immer mehr Unternehmen der Risiken bewusst sind und nach Lösungen suchen, um die Kosten eines Angriffs kontrollieren und minimieren zu können, verspricht der Markt ein enormes Wachstumspotenzial. Gewiss handelt es sich dabei nicht um völlig neue Deckungsformen. Eine Reihe von Versicherern hat in den vergangenen zehn Jahren bereits viel Erfahrung und Knowhow auf diesem Gebiet gesammelt. Einige konnten sich als flexible Anbieter etablieren: Sie haben ihre Leistungen überarbeitet und bieten nun auf die Bedürfnisse ihrer Kunden zugeschnittene Spezialversicherungen an. Andere sind neu am Markt und richten ihr Angebot auf Nischenprodukte aus. Sie versichern Cyberrisiken für Branchen, die sie von anderen Versicherungssparten her gut kennen. Im Hinblick auf die Schäden kommt es bei beiden Ansätzen darauf an, dass die Kommunikation zwischen der Schadenabteilung und dem Underwriting reibungslos funktioniert. Erst- und Rückversicherer profitieren entscheidend davon, wenn aufkommende Probleme 12 Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 Daten können auf viele verschiedene Arten verloren gehen. Hackerangriffe, das Einschleusen von Schadsoftware oder manipulierte Websites bzw. E-Mails gehören zu den häufigsten Datenpannen. rasch angegangen werden und Konzepte entsprechend angepasst werden können. Cyberschäden Der Schadenverlauf der vergangenen Jahre macht deutlich, dass die bekanntesten, spektakulärsten und kostspieligsten Schäden nach wie vor – aber nicht ausschließlich – in den USA auftreten. Manche Schäden, etwa die jüngsten Hackerangriffe auf den Einzelhändler Target oder das Online-Auktionshaus eBay, sind durch die ausführliche Berichterstattung in den Medien unvermeidlich ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Immer mehr Unternehmen machen sich deshalb Gedanken darüber, wie gut sie selbst in der Lage wären, auf einen Angriff zu reagieren. cyberrisiken Umfang und Komplexität der Vorfälle variieren stark. Sie reichen vom verlorenen Laptop bis hin zu größeren Datenpannen wie zuletzt bei Sony, TJX, Target und eBay. Häufig sind es gar nicht die Opfer selbst, die die Panne als Erste entdecken. Nicht selten werden die Unternehmen von Behörden darüber in Kenntnis ge setzt, dass ein Cyberangriff stattgefunden hat, oder die Unternehmen beobachten ungewöhnliche Geschäftsbewegungen auf den Kundenkonten. Viele der spektakulären Datenpannen machten zudem bereits in Blogs die Runde, bevor das betroffene Unternehmen an die Öffentlichkeit ging. Malware-Angriffe stellen nicht nur für große Einzelhandelsunternehmen ein Problem dar, auch wenn sie für Cyberpiraten ein lukratives Ziel sind. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind ebenfalls gefährdet, wie ein Vorfall beim britischen Versicherer Staysure Insurance gezeigt hat. Staysure, ein im Reiseversicherungssegment auf die Generation der über 50-Jährigen spezialisierter Makler, musste nach einem Angriff 93.389 Kunden kontaktieren. Der Versicherer ging davon aus, dass Hacker möglicherweise sensible Codenummern von den Karten der Versicherungsnehmer entwendet hatten. Glücklicherweise konnte das Unternehmen öffentlich erklären, dass der Schaden über eine entsprechende Versicherung abgedeckt war. Dies ermöglichte eine effektive Bearbeitung der Datenpanne und eine schnelle Kommunikation mit allen relevanten Behörden. Von dem Angriff auf eBay erfuhren die meisten Opfer erst durch die Berichterstattung in den Medien. Das Unternehmen selbst informierte seine Nutzer auf der Website zu einem späteren Zeitpunkt und forderte 233 Millionen Kunden auf, ihre Passwörter zu ändern. eBay legte Wert darauf zu betonen, dass keine Finanz- daten entwendet wurden. Allerdings bestanden eventuell Risiken für Kunden, die dasselbe Passwort für verschiedene Internetdienste verwenden. Die gestohlenen Daten waren von hohem Wert, da sie Anschriften, E-Mail-Adressen, Telefonnummern und Geburtsdaten enthielten. Die Risiken waren deshalb nicht auf das Internet beschränkt, da zahlreiche Banken Telefonbanking anbieten und dabei Anschrift und Geburtsdatum zur Überprüfung nutzen. Auch in der analogen Welt gab es eine Datenpanne, die gegenüber der britischen Datenschutzbehörde (ICO) aktenkundig gemacht wurde: Ein Aktenschrank mit sensiblen Regierungsdokumenten wurde bei einer Secondhand-Möbelauktion versteigert. Ebenso wurde in jüngerer Zeit eine Geldbuße gegen eine Polizeibehörde verhängt, da beim Auszug aus dem Dienstgebäude sensible Vernehmungsaufzeichnungen und vertrauliche Informationen zurückgelassen worden waren. Wenngleich es sich bei Datenpannen dieser Art nur um überschaubare Schäden handelt, lässt sich aus ihnen doch für den Umgang mit CyberDatenpannen lernen. Kommt es zu einem sogenannten Denial-of-ServiceAngriff, der Websites oder Server lahmlegt, sind die Probleme für ein kleineres Unternehmen unter Umständen nur schwer zu überwinden. Einen Internetauftritt samt potenziellen Online-Verkäufen nach derartigen Vorfällen wieder in Gang zu bringen, kann teuer und zeitaufwendig sein. Abhilfe können auf Datenschutz spezialisierte Unternehmen schaffen, die hierfür bereits hervorragende Lösungen anbieten. Die Dienstleistungen umfassen das Bereinigen der Daten und deren Rückführung auf die richtige Website. Dabei kommt es für den Kunden zwar zu einer kurzfristigen Verzögerung, aber der Service wird aufrechterhalten, und die Umsatzverluste und Betriebsunterbrechungskosten halten sich in Grenzen. Jede Datenpanne ist anders Professionelle Angriffe – Hacking oder Malware – Phishing oder Pharming – Absichtliche Preisgabe von Informationen (Mitarbeiter, Auftragnehmer) –Zahlungskartenbetrug Unzureichende Sicherheits- und Zugangskontrollen – Unverschlüsselte Kartendaten (CVC-Code) – Gleichzeitige Nutzung derselben Zugangsdaten – Fehlende System-Updates Auf der Strecke gebliebene Daten – Verlorene Backup-Medien – Verlegung von IT-Anlagen – Unsachgemäße Entsorgung (Papier, Elektronikschrott) Missgeschicke – Unbeabsichtigte Preisgabe von Informationen – Verlust/Diebstahl mobiler Geräte – Diebstahl stationärer Geräte – Datenübertragung auf Geräte von Mitarbeitern Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 13 cyberrisiken Rechtliche Rahmenbedingungen Aktuell ist die Rechtslage komplex und unklar. In Europa gehen die Bemühungen um eine Harmonisierung auf der Grundlage verbindlicher Regelungen für alle Mitgliedsstaaten nur im Schneckentempo voran (siehe Beitrag von Patrick Hill ab Seite 16). Auch in den USA, wo spektakuläre Cyberangriffe weit häufiger auftreten, ist die Rechtslage in den einzelnen Bundesstaaten nicht einheitlich. Häufig wird unterschiedlich definiert, was unter personenbezogenen Daten zu verstehen ist, was dann zu abweichenden Gerichtsentscheidungen führt. Im Ergebnis wird nach wie vor die Auffassung vertreten, dass der Verlust von Daten an sich noch keinen Verstoß darstellt, es sei denn, es wurden spezielle Garantien vereinbart. Die Klägerseite wird diese Auffassung aber voraussichtlich weiterhin anzugreifen versuchen. In den meisten (wenn auch nicht in allen) US-Bundesstaaten sind Datenpannen meldepflichtig. Weniger eindeutig ist, wann überhaupt eine Datenpanne vorliegt. So sind etwa in 29 Staaten verschlüsselte, personenbezogene Daten von der Meldepflicht ausgenommen. Die Offenlegung von Gesundheitsdaten wird als höchst brisant angesehen. Daher löst deren widerrechtliche Herausgabe und Veröffentlichung besonders harte Sanktionen aus, die mit hohen Kosten verbunden sind. Dies verdeutlicht, dass Unternehmen mit erfahrenen und kompetenten Serviceanbietern zusammenarbeiten sollten, die ihnen dabei helfen, die komplexe Problematik zu bewältigen. Die Sensibilität für Cyberrisiken beginnt in der Chefetage Sensibilität ist ein guter Anfang, aber reicht sie aus? In einer kürzlich erfolgten Umfrage unter den 350 größten an der Londoner Börse notierten Unternehmen haben 64 Prozent der befragten Vorstände und Prüfungsausschüsse angegeben, sie nähmen Cyber risiken sehr ernst. Dies mag zunächst positiv klingen. Doch weniger als die Hälfte der befragten Vorstandsvorsitzenden gab an, dass ihrer Einschätzung nach ihren Vorständen hinreichend bewusst sei, welche Folgen eine Datenpanne nach sich ziehen kann. Viele Faktoren für Cyberrisiken werden unmittelbar durch Entscheidungen aus der Chefetage beeinflusst. Dazu gehört die Art der Unternehmensführung genauso wie die Auswahl von Geschäftspartnern und Lieferanten. Die Risiken vergrößern sich, sobald sensible Aufgaben an Dritte ausgelagert werden. Auch wurden bereits Ansprüche gegen Manager geltend gemacht, deren Verhalten womöglich zu einer Datenpanne hätte führen oder diese noch hätte verschärfen können. Gerichtsurteile zu diesen öffentlich bekannt gewordenen Fällen liegen noch nicht vor, aber man sollte den weiteren Verlauf dieser Verfahren aufmerksam verfolgen. Herausforderung und Chance Selbstverständlich erhalten Erst- und Rückversicherer Schadenmeldungen wegen Cyberkriminalität nur von solchen Kunden, die die Risiken erkannt und sich dagegen abgesichert haben. Klar ist auch, dass diese Gruppe überdurchschnittlich risikobewusst ist. Nichtsdestotrotz kann man davon ausgehen, dass die Sensibilisierung für Cyberrisiken generell zunehmen wird. Im Zuge des wachsenden Verständnisses für diese Risiken kann die Versicherungsbranche einen Beitrag leisten, indem sie passgenaue Deckungs konzepte und professionelle Unterstützung anbietet. Neben einer guten Vorbereitung auf den Ernstfall und erhöhter Wachsamkeit im Hinblick auf potenzielle Angriffe ist auch der Einsatz eines professionellen Krisenmanagementteams entscheidend. Es sollte aus EDV-Sicherheitsexperten bestehen, die unmittelbar nach einem Angriff ihre Tätigkeit aufnehmen. Basierend auf unseren bisherigen Schadenerfahrungen lautet die wichtigste Botschaft: Für die Begrenzung von Kosten und Reputationsschäden nach einem Cyber angriff kommt es in erster Linie darauf an, wie schnell und wie gut das Krisenmanagementteam reagiert. Als Experten für Risikomanagement können die Versicherer eine wichtige Rolle im Umgang mit Cyberrisiken übernehmen. Sie unterstützen ihre Kunden und profitieren gleichzeitig von einem wachsenden Markt. Unsere Expertin: Helga Munger ist als Senior Legal Counsel im Bereich Global Clients/North America für Casualty-Schadenfälle tätig. [email protected] 14 Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 Rezension Employers’ Liability and Workers’ Compensation von Ina Ebert In der Studie „Employers’ Liability and Workers’ Compensation” des Wiener European Centre of Tort and Insurance Law (Ectil) behandeln Experten aus den jeweiligen Märkten die Entschädigung von Arbeitnehmern für berufsbedingte Schäden in zwölf Staaten: Deutschland, Frankreich, England, Italien, Dänemark, den Niederlanden, Österreich, Polen, Rumänien, Australien, Japan und den USA. Die verschiedenen nationalen Lösungsmodelle – reine Arbeitgeberhaftung, Kombination von Arbeitgeberhaftung und Workers’ Compensation, (nahezu) vollständige Verlagerung der Entschädigung vom Haftungsrecht in alternative Kompensationssysteme – werden ausführlich erläutert und die jeweiligen Vorzüge und Nachteile herausgearbeitet. Deutlich wird dabei der Wandel der Aufgaben, die jede dieser Formen der Arbeitnehmerentschädigung zu erfüllen hat: Am Anfang stand die Entschädigung verletzter Arbeiter nach Unfällen im Vordergrund. Später gewann die Versorgung von Arbeitnehmern mit berufsbedingten Krankheiten an Bedeutung. Dies warf eine Fülle neuer Probleme auf, von Kausalitäts- und Verjährungsfragen bei Langzeitschäden (bestes Beispiel: Asbestfolgeschäden) über die Konsequenzen einer Insolvenz des Arbeitgebers bis hin zur Abgrenzung der berufsbedingten von den sonstigen psychischen Beeinträchtigungen. Daneben tritt in neuerer Zeit vor allem in den USA, zunehmend aber auch in Europa die Haftung des Arbeitgebers für Diskriminierung, Mobbing und sexuelle Belästigung. Das Buch ist für jeden hilfreich und interessant, der mit der Versicherung von Risiken in diesem Spannungsfeld zwischen Arbeitsrecht, Sozialversicherung und Haftungsrecht befasst ist, auf nationaler Ebene oder auch grenzüberschreitend. Ken Oliphant, Gerhard Wagner (Eds.): „Employers’ Liability and Workers’ Compensation“. De Gruyter Verlag, Berlin/Boston 2012 Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 15 Cyberrisiken Verteidigung der digitalen Grenzen Die Sorge vor Cyberangriffen veranlasst Regierungen und Unternehmen zum Handeln. Sie haben weltweit Initiativen und Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht, damit Daten und Privatsphäre besser geschützt sind. von Patrick Hill Den Cyberspace zu sichern erweist sich als schwierig. Die Architektur des Internets zielt primär darauf ab, Verbindungen zwischen Computern zu erleichtern und nicht sich abzuschotten. Die Konsequenz daraus brachte der britische Premierminister David Cameron folgendermaßen auf den Punkt: „Wir können das Ver einigte Königreich nicht an den Kreidefelsen von Dover verteidigen.“ Deshalb will er 1,1 Milliarden Pfund für den Kampf gegen die „unsichtbaren Feinde“ im Bereich der Cyberkriminalität und des Cyberterroris mus zur Verfügung stellen. Es war der jüngste Schritt der britischen Regierung in ihren Bemühungen, die Cybersicherheit zu verbessern und kritische nationale Infrastruktur vor Cyberangriffen zu schützen. Zuvor hatte die Regierung bereits ihre Initiative „Cyber Essentials Scheme“ auf den Weg gebracht. Sie soll Unternehmen dazu ermuntern, ihre Gefährdung gegenüber Cyberrisiken unter die Lupe zu nehmen und zu verringern. Im November 2014 fand ein Gipfeltreffen mit CEOs der britischen Versicherungswirtschaft statt, zu dem Francis Maude, der für Cybersicherheit zuständige Minister (UK Cyber Security Strategy) eingeladen hatte. Durch die engere Zusammenarbeit zwischen der britischen Regierung und der Assekuranz soll der Markt für Cyberversicherungen wachsen, um Cyber risiken abzufedern. Der Versicherungssektor ist her vorragend positioniert, um das Cyber-Risikomanage ment voranzutreiben und die Kunden zu sensibilisieren, beispielsweise durch gezielte Fragen zu ihren Leitlinien und Prozessen für operationelle Risiken und 16 Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 Datenangriffe. Darüber hinaus erhalten Versicherte nach einem Datendiebstahl sachkundige Beratung und Unterstützung. Banken befürworten Cyberkriegsrat In den USA befürchtet der Finanzsektor, dass die Systeme einem groß angelegten Cyberangriff auf die Infrastruktur möglicherweise nicht gewachsen sind. So könnte etwa ein Angriff auf die Stromnetze den Handel an den Finanzmärkten zum Erliegen bringen, was eine Massenpanik und einen Ansturm auf die Banken zur Folge haben könnte. Um sich vor dieser Gefahr zu schützen, haben die großen US-Banken die Bildung eines Cyberkriegsrats vorgeschlagen. Die Cyberkriegsrhetorik ist ein Eingeständnis, dass Bedrohungen aus dem Internet ebenso katastrophale Folgen haben können wie physische Bedrohungen. Ob sich die Sicherheit durch einen Cyberkriegsrat tatsächlich entscheidend verbessern lässt, muss die Zukunft zeigen. Zumindest rückt die Initiative der Finanzinstitute die Risiken aus dem Cyberspace und die Bedeutung geeigneter Strategien zu ihrer Abwehr ins Licht der Öffentlichkeit. Neue Datenschutzrichtlinie in der EU Die Europäische Union (EU) nimmt das Thema Cybersicherheit ebenfalls sehr ernst. So plant die Kommission, den Datenschutz innerhalb der EU in einer einzigen Rechtsvorschrift, der DatenschutzGrundverordnung, zu vereinheitlichen. Die derzeitige Richtlinie ist nicht mehr auf dem neuesten Stand. Wichtige Aspekte wie die Globalisierung und techno logische Neuerungen in den Bereichen soziale Netz werke und Cloud Computing sind nicht ausreichend Cyberrisiken berücksichtigt. Am 25. Januar 2012 wurde ein Vor schlag für eine Verordnung unterbreitet Im Oktober 2013 nahm das Europäische Parlament einen vom Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Jus tiz und Inneres (LIBE) vorgelegten Entwurf für neue Leitlinien im Datenschutz formell an. Der Entwurf ist ein Kompromiss zwischen Vorschlägen der Kommis sion und Änderungen, die das Europäische Parlament und der Ministerrat gefordert hatten. Nun muss der Europäische Rat, in dem alle 28 EU-Mitgliedstaaten vertreten sind, die Verordnung annehmen. Da sich der Rat noch nicht auf einen gemeinsamen Standpunkt zur Reform des Datenschutzrechts geeinigt hat, ist eine Verabschiedung vor Anfang 2015 unwahrschein lich. Die Verordnung soll nach einer Übergangszeit von zwei Jahren in Kraft treten. Nach den neuen Regelungen findet das EU-Daten schutzrecht künftig auch auf alle Unternehmen welt weit Anwendung, die Daten von EU-Bürgern verarbei ten. Es ist vorgesehen, die Datenschutzvorschriften in der gesamten EU zu harmonisieren und damit nicht europäischen Unternehmen die Einhaltung dieser Bestimmungen zu erleichtern. Der Preis dafür sind strenge Compliance-Vorschriften und drohende hohe Geldbußen von bis zu zwei Prozent des weltweiten Jahresumsatzes oder einer Million Euro. Das Euro päische Parlament hat sogar Geldbußen von bis zu zehn Millionen Euro bzw. fünf Prozent des weltweiten Jahresumsatzes gefordert. Die vorgeschlagenen Änderungen sind mit einigen praktischen Schwierigkeiten verbunden. Um die Vor schriften durchzusetzen und zu überwachen, benö tigen die Europäische Kommission und die örtlichen Datenschutzbehörden ausreichend Ressourcen und Befugnisse. Doch bereits jetzt fehlen Datenschutz experten und Knowhow, neue Vorschriften könnten die Situation verschlimmern. Außerdem ist damit zu rechnen, dass Sprachhürden die Datenschutzbehör den vor Probleme stellen könnten. Deshalb wird der Erfolg der Datenschutz-Grundverordnung davon abhängen, Weiterbildungsangebote im Bereich Daten schutz und Privatsphäre anzubieten. Bei 28 einzelnen Staaten besteht immer das Risiko unterschiedlicher Auslegungen der Vorschriften, was zu Divergenzen beim Datenschutz innerhalb der EU führen könnte. Darüber hinaus ist angesichts der Viel falt an bestehenden Sicherheits- und Datenschutz standards in der EU damit zu rechnen, dass auf einige Mitgliedstaaten erhebliche Veränderungen zukommen. Auch wenn hinter der Datenschutz-Grundverordnung zweifellos eine gute Absicht steht, bevor sie EU-weit in Kraft treten kann, bleibt noch einiges zu tun. Unser Experte: Patrick Hill ist Partner der Londoner Kanzlei der inter nationalen Anwaltssozietät DAC Beachcroft LLP [email protected] Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 17 Cyberrisiken Diebstahl im US-Einzelhandel Mitten im Weihnachtsgeschäft des Jahres 2013 drangen Hacker in die Kaufhauskette Target und in den Luxus-Retailer Neiman Marcus ein. Erbeutet wurden Kredit- und Bankkartendaten von 110 Millionen Kunden. von Nils Diekmann und Andreas Schlayer Die letzte Woche vor Weihnachten gilt für Einzelhandelsketten als die ertragreichste Woche des Jahres. Kunden strömen in die Läden, bezahlt wird mit der Bank- oder Kreditkarte. Am 18. Dezember verbreitet sich im Internet die Nachricht, das Kaufhaus Target sei von Hackern angegriffen worden. Betroffen sei nicht nur eine Filiale, sondern wahrscheinlich alle 1.797 Läden in den USA und 124 in Kanada. Einen Tag später bestätigt Target die Gerüchte. Demnach erbeuteten Hacker zwischen dem 27. November und dem 15. Dezember 2013 über die Kassensysteme Datensätze von etwa 40 Millionen Kredit- und Bankkarten. Gestohlen wurden Kundendaten wie Name, Adresse, Kartennummer, das Ablaufdatum der Karte und auch die verschlüsselten CVS-Codes. Die Täter und das Vorgehen seien noch unbekannt. Die Entdeckung des Schadens Bei Target laufen die beweissichernden Untersuchungen auf Hochtouren. Einen Tag später meldet das Unternehmen, dass zumindest die Sozialversicherungsnummern und Geburtsdaten der Kunden nicht betroffen seien. Zwei Tage nach dieser Meldung ziehen die Banken die ersten Konsequenzen. Am 21. Dezember verkündet JP Morgan Chase, dass nun tägliche Limite auf die Karten der betroffenen Kunden gesetzt und neue Kundenkarten gedruckt werden. Fast drei Wochen später veröffentlicht Target ein Zwischenergebnis der Untersuchungen. Zusätzlich zu den gestohlenen 40 Millionen Kredit- und Bankkartendaten sind weitere 70 Millionen Kundeninformationen wie Namen und Adressen abhandengekommen. Insgesamt erbeuteten Hacker Daten von 110 Millionen Kunden. Während diese Nachricht starke mediale Beachtung findet, fällt eine Meldung des Einzelhändlers Neiman Marcus fast unter den Tisch: Auch die Luxus-Handelskette wurde kurz vor Weihnachten von Kriminellen angegriffen. Zunächst deutet alles auf Filiale der Warenhauskette Target in Westbury, New York, am 23. November 2012 Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 19 Cyberrisiken einen gezielten Angriff derselben Hackergruppe hin. Denn auch hier wurde in die Kassensysteme in 77 von 85 Filialen eingebrochen, und Kredit- sowie Kunden informationen wurden gestohlen. Davon betroffen seien über eine Million Kunden, so das Unternehmen. Die Rekonstruktion des Angriffs Die Angreifer von Neiman Marcus waren offenbar mit Spezialwissen und Geduld ausgestattet. Um nicht erkannt zu werden, arbeiten sich Hacker in kaum wahrnehmbaren Schritten zum Ziel vor. Im internen Netz von Neiman Marcus bewegten sich Hacker etwa acht Monate und verursachten nach Angaben einer Unternehmenssprecherin über diesen Zeitraum rund 60.000 Sicherheitsmeldungen im System. Dennoch vermutete Neiman Marcus keine Angreifer, weil die Warnungen vom internen Kassensystem ausgelöst wurde und keine Beeinträchtigungen festgestellt wurden. Die Angreifer hatten einfach den Namen der Schadsoftware dem Namen des Kassensystems zugeordnet und konnten sich so unbemerkt weiter bewegen. Filiale der Luxus-Handelskette Neiman Marcus in Golden, Colorado, am 23. Januar 2014. In 77 der 85 Filialen wurden Kredit- sowie Kundeninformationen von über einer Million Kunden gestohlen. Die Höhe der Schäden übersteigt die Deckung oft bei Weitem 200 160 170 Gesamtschaden Versicherungsleistung 170 150 120 TJX Companies (2007): 45,6 Millionen gestohlene Kredit- und Bankdaten 80 40 0 30 30 5 TJX Heartland Payment Systems Sony Corp. Zahlen in Millionen US-Dollar Heartland Payment Systems (2007): 130 Millionen Kredit- und Bankdaten erbeutet Sony Corporation (2011): Datendiebstahl von 77 Millionen Benutzern des Playstation Network (PSN) Quelle: U.S. Securities and Exchange Commission 20 Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 Cyberrisiken Die Untersuchen bei Target ergaben, dass sich Hacker den Zugang ins technische System verschafft hatten, indem sie gestohlene Identitäten eines Dienstleisters für Heizungs- und Lüftungssysteme benutzten. Auch wenn der Dienstleister lediglich Zugang zum Abrechnungs- und Auftragsmanagement über das Extranet von Target hatte, machte es eine undichte Stelle im Netzwerk möglich, dass die Hacker ins interne Netz vordringen konnten und letztendlich Schadsoftware, die sogenannte Malware, im Kassensystem platzieren konnten. Die Folgen: Sammelklagen und Gewinneinbußen Seit Anfang Januar 2014 wird Target mit verschiedenen Sammelklagen konfrontiert. Auch Trustwave, der IT-Dienstleister von Target, gerät Ende März ins Visier der Banken. Die beiden Geldinstitute Trustmark National und Green Bank verlangen von Trustwave Schadenersatz in Höhe von 5 Millionen US-Dollar. Der Austausch der Kredit- und Bankkarten der betroffenen Kunden bedeutet hohe Kosten für die Unternehmen. Bis Mitte August 2014 stellten Banken aufgrund des Target-Angriffs ca. 22 Millionen Bank- und Kreditkarten neu aus. Bei durchschnittlichen Beträgen in Höhe von etwa zehn US-Dollar pro Austausch entstehen dafür Kosten von voraussichtlich 220 Millionen US-Dollar. Einige US-Banken versuchen daher, zusätz liche Kosten für den erhöhten Aufwand der Kundenbetreuung von Target einzuklagen. Der Cyberangriff hat auch Auswirkungen auf das Management von Target und auf die Bilanz. Im März verkündete CEO Gregg Steinhafel, dass der Posten des CIO neu besetzt sowie ein Nachfolger für den Chief Information Security Officer gesucht werde. Mitte Mai kündigte Steinhafel dann selbst. Er führte Target 35 Jahre lang. Seine Abfindung lag bei 21,1 Millionen US-Dollar. Wie stark der Cyberangriff die Bilanz beeinträchtigt, lässt sich nicht isoliert betrachten. Doch muss Target für das vierte Quartal 2013 einen 46-prozentigen Gewinnrückgang im Vergleich zum Vorjahresergebnis melden. Die Aktienwerte von Target bewegten sich schon seit Mitte November 2013 nach unten, doch in der Zeit vom 18. Dezember 2013 bis zum 4. Februar 2014 verlor die Aktie über 13 Prozent an Wert. Erst danach stieg der Aktienwert wieder stetig an. Im Quartalsbericht II/2014 weist Target einen Schaden von 148 Millionen Dollar aus, der durch den Cyber angriff verursacht wurde. Ähnliche Angriffe – unterschiedliche Folgen Die beiden Fälle zeigen, dass ein ähnliches Angriffsmuster zu unterschiedlichen Folgen führen kann. Das liegt nicht nur an den verschiedenen technischen Sicherheitsvorkehrungen der Unternehmen, sondern auch an der Verkettung von mitunter unglücklichen Umständen wie dem Meldezeitpunkt des Angriffs. Die Angriffe werden technisch anspruchsvoller Häufigkeit der Angriffe Staatliche Organisationen gegen Industrieunternehmen Hacktivism Notwendiges Knowhow des Angreifers Kapitalverbrechen Staaten gegen Staaten Pranks 419s Frameworks Telefonhacking „Phreaking“ Straftaten Verfügbarkeit hochentwickelter „Angriffswerkzeuge“ und Knowhow des Angreifers Professionalisierung und Motivation der Angreifer über die vergangenen Jahrzehnte: Wurde früher in Systeme eingebrochen, um auf Schwachstellen hin zuweisen, schaden Cyberangriffe heute ganzen Industrien und Volkswirtschaften. Quellen: Munich Re, Symantec, MIT Computerclubs Hacking 1970 1980 1990 20002010 Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 21 Cyberrisiken Das Management, der Vorstand und die Bilanz von Neiman Marcus überstanden den Cyberangriff im Verhältnis zu Target mit wesentlich weniger Schaden. Neiman Marcus meldete im zweiten Quartal 2014, dass der Angriff 4,1 Millionen US-Dollar für juristische Beratungen, kriminaltechnische Untersuchungen, Kundenkommunikation und Kreditüberwachung verursachte. Ein Grund für die relativ geringen Kosten könnte sein, dass sich Neiman Marcus im medialen Windschatten von Target bewegen konnte. Auch hatte der geringere Umfang des Datenverlusts bei Neiman Marcus sicher ebenfalls einen Einfluss auf den Schaden und die Aufmerksamkeit. Der Target-Angriff mit einer viel höheren Anzahl an betroffenen Kunden stand weitaus mehr in der Öffentlichkeit. Obwohl bei beiden Unternehmen das Angriffsziel die Manipulation des Kassensystems war, agierten die Hacker sehr unterschiedlich. Systematisch haben sie sich Zugang zum Netz verschafft und dann auf dem Weg zum Ziel nach und nach indivi duelle Schwachstellen erkannt und ausgenutzt. Trotz massiver technischer Aufrüstung der Sicherheitssysteme müssen Unternehmen mittlerweile immer mit einem erfolgreichen Angriff rechnen und sich gegen die möglichen Schäden absichern. Neuen Studien zufolge entstehen Unternehmen durch Cyberkriminalität jährlich Schäden in Höhe von drei stelligen Milliarden-US-Dollar-Beträgen. Mitte September wurde ein weiterer Cyberangriff im amerikanischen Einzelhandelsbereich bekannt. Diesmal traf es die Baumarktkette Home Depot. Auch hier wurde in das Kassensystem eingebrochen, und 56 Millionen Kartendaten wurden gestohlen. Nach ersten Schätzungen der Geschäftsführung entstehen durch den Angriff Schäden in Höhe von gut 60 Millionen US-Dollar, wovon 27 Millionen US-Dollar von der Versicherung getragen werden. Bedarf an Cyberdeckungen wird steigen Insbesondere das Beispiel von Target mit einer hohen Schadensumme, die zu drei Viertel der Gesamtsumme vom Unternehmen getragen werden musste, signalisiert die Dringlichkeit für separate Deckungen. Statt Cyberrisiken in die regulären Property- und Haftpflicht-Policen einzumischen, sollten sie über eine Cyberdeckung genau an die individuellen Risiken angepasst werden. Viele Cyberdeckungen enthalten Komponenten aus Property und Casualty. Dies ist häufig notwendig, da die einzelnen Komponenten in den meisten Fällen sowohl das Unternehmen direkt (zum Beispiel durch Betriebsunterbrechung) belasten, gleichzeitig aber auch Kosten durch Schadenersatzforderungen entstehen. Die Herausforderung für die Produktgestaltung der Deckung von Cyberrisiken besteht daher darin, die für den Kunden relevanten Risiken und deren Auswir kungen zu erkennen und individuelle Versicherungslösungen zu finden. Unsere Experten: Nils Diekmann ist Underwriter für Cyberrisiken bei Munich Re. [email protected] Andreas Schlayer ist Leiter des Topic Network Information Technology und Underwriter im Bereich Special und Financial Risks bei Munich Re. [email protected] 22 Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 Wissen Sie immer genau, wer für einen Schaden geradestehen muss ? Unsere Reihe „Risk, Liability & Insurance“ beschäftigt sich mit wichtigen Fragen des Haftungsrechts und ihrer Bedeutung für die Versicherungswirtschaft. Dabei werden auch die gesellschaftlichen Einflüsse auf die Versicherungs- und Haftungspraxis behandelt. Die bisher erschienenen Bände liegen nunmehr im neuen Layout vor: – Schwer objektivierbare Krankheiten In englischer Sprache: −−Non-objectifiable diseases −−Compensation for pain and suffering −−Tort law and liability insurance −−Asbestos – Anatomy of a mass tort Die Publikationen erhalten Sie als Download über unser Kundenportal connect.munichre.com oder von Ihrem Client Manager. not if, but how Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 23 Cyberrisiken Der passende Schutz vor Cyberschäden Allein in den USA kam es 2013 zu mehr als 2.000 größeren Vorfällen, die fast 823 Millionen Datensätze gefährdeten. Mit Versicherungen von Hartford Steam Boiler lassen sich zumindest die finanziellen Risiken vermindern. von Kenneth Williams, Hartford Steam Boiler Damit private und gewerbliche Versicherungsnehmer ruhiger schlafen können, bietet Hartford Steam Boiler Inspection and Insurance Company (HSB) für den US-Markt mehrere Versicherungen an, um dem Risiko von Cyberangriffen zu begegnen. auskünfte der Versicherten gesetzt wurden, und wies Kreditauskunfteien an, das betrügerische Konto aus den Kreditauskünften der Versicherten zu löschen. Hilfe bei Identitätsdiebstahl Das Produkt Data Compromise ist auf gewerbliche Kunden zugeschnitten, in deren Verantwortungs bereich personenbezogene Daten verloren gehen, gestohlen oder versehentlich veröffentlicht werden. Dabei ist es unerheblich, ob die Daten elektronisch oder in materieller Form, etwa auf Papier, vorliegen. Die Versicherung kümmert sich beispielsweise um einen IT-Forensiker, der Art und Umfang der Datenschutzverletzung aufdeckt, oder um einen Anwalt zur Rechtsberatung. Gedeckt sind zudem Meldungen an die Kreditauskunfteien des Betroffenen oder PRDienstleistungen. Die Identity Theft Recovery (IDR) unterstützt Opfer von Identitätsdiebstahl bei der Klärung ihres Falls. Die Leistungen umfassen unter anderem die pro fessionelle Identitätswiederherstellung sowie die Erstattung von Anwaltskosten und anderer Auslagen. Von der Versicherung profitierte beispielsweise ein älteres Ehepaar, nachdem es bemerkt hatte, dass die monatlichen Sozialversicherungsschecks nicht auf ihrem Bankkonto eingegangen waren. Ihre Nachfrage bei der Social Security Administration ergab, dass die Schecks auf ein anderes Konto umgeleitet wurden, angeblich auf Anweisung der Versicherten. Da das Ehepaar weder die Umleitung genehmigt noch das betrügerische Konto eröffnet hatte, meldete es den Schaden im Rahmen der IDR-Versicherung. HSB kümmerte sich um einen Anwalt, besorgte einen Experten für Identitätswiederherstellung und riet den Versicherten, Anzeige bei den örtlichen Strafverfolgungsbehörden zu erstatten. Der Anwalt konnte die Empfängerbank schnell davon überzeugen, dass es sich um betrügerische Transaktionen gehandelt hatte, und die Bank erstattete den Versicherten das Geld. Der Experte für Identitätswiederherstellung veranlasste, dass Betrugswarnungen in die Kredit 24 Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 Schutz gewerblicher Kunden Vor Kurzem wickelte HSB einen Schadenfall ab, bei dem einer medizinischen Schreibkraft 120 Patientenakten und ein vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellter Computer aus der Wohnung gestohlen worden waren. Die Patientenakten holte die Sekretärin wöchentlich bei dem versicherten Arzt ab, um sie zu Hause mit dem Computer elektronisch zu erfassen. Da die Sekretärin bei dem Arzt angestellt war, waren die Daten ununterbrochen im Besitz bzw. unter der Kontrolle des Versicherten. Die entwendeten Daten und Unterlagen enthielten unter anderem Namen, Anschriften, Geburtsdaten, Sozialversicherungsnummern, Kontonummern und nach dem Health Insurance Portability and Account ability Act (HIPAA) geschützte Informationen über den Gesundheitszustand der Patienten. HSB ermit- Cyberrisiken telte gemeinsam mit dem Versicherten über ein Backup der Daten die Namen und Anschriften aller 120 Patienten. Damit wurden die Kosten für eine Untersuchung durch einen IT-Forensiker gespart. Im Anschluss unterrichtete und betreute HSB gemeinsam mit einem Experten für Datenrettung und Identitätswiederherstellung die Betroffenen. Unser Schadenabwickler begleitete den Experten, informierte den Arzt regelmäßig über den Fortgang der Schadenabwicklung und erstattete ihm pünktlich seine ver sicherten Kosten. Sechs Monate später konnte HSB den Schadenfall abschließen. Alle gesetzlichen Vorgaben waren erfüllt, die Identitäten der Patienten gesichert, und das Vertrauen in die Arztpraxis war wiederhergestellt. Bedrohung durch Malware Ebenfalls für gewerbliche Kunden wurde CyberOne entwickelt. Die Haftpflichtdeckung wird ausgelöst, wenn sich ein Versicherter Ansprüchen ausgesetzt sieht, die aus der Verbreitung von geschützten Daten Dritter, versehentlicher Verbreitung von Malware oder der unbeabsichtigten Beteiligung an einem Denial- of-Service-Angriff herrühren. Die Versicherung deckt die Kosten für Wiederherstellung oder Neuerstellung von Daten, von Systemen und Software ab. Darüber hinaus können Gewinneinbußen, PR-Aufwendungen, Anwalts-, Gerichts- und Vergleichskosten versichert sein. CyberOne würde beispielsweise bei einem Szenario greifen, bei dem einem gewerblich Versicherten durch eingeschleuste Malware große Datenmengen abhandenkommen. Betroffen sind sowohl Mitarbeiterdaten als auch geschützte Konstruktionsdaten, die im Eigentum von Kunden des Versicherten stehen. Einer dieser Kunden verklagt daraufhin den Versicherten. In diesem Fall würde CyberOne einen Teil der Kosten infolge der Datenschutzverletzung übernehmen. Gedeckt wären etwa die Kosten für Verteidigung und Haftung bei Klagen von Personen oder Unternehmen, deren Daten verletzt wurden. Die wachsende Datenflut und die Vernetzung von Systemen bieten reichlich Möglichkeiten, dass Daten verloren gehen, gestohlen, gehackt oder gar entführt werden. Die meisten Versicherten treffen die notwendigen Maßnahmen, um sich vor solchen Gefahren zu schützen. Sollten diese Maßnahmen einmal versagen, helfen die Cyberrisiko-Produkte von HSB. Unser Experte: Kenneth Williams ist Vice President der Specialty Claims Unit bei der Hartford Steam Boiler Inspection and Insurance Company (HSB). [email protected] Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 25 Haftpflicht K. o. mit Verzögerung Schwere Schläge oder auch nur kleinere Stöße gegen den Kopf können langfristige neurologische Folgen nach sich ziehen. Ein jüngst geschlossener Vergleich der amerikanischen National Football League (NFL) mit ehemaligen Spielern zu Gehirn erschütterungen lässt Ligavertreter, Sportler und Versicherer aufhorchen. von Travis Coleman Keine Sportart in den USA ist so populär wie Football, der einen großen Teil seiner Faszination aus dem extremen Körpereinsatz der Athleten bezieht. Verlet zungen bleiben da nicht aus, und es gibt Spieler, die selbst mit einer schweren Gehirnerschütterung wei terspielen. 2012 wurde von über 4.500 ehemaligen Footballspielern eine Sammelklage gegen die NFL eingereicht, die eine Entschädigung für die Folgen von Gehirnerschütterungen anstrebt. Dies hat zu einer intensiven Berichterstattung in den Medien darüber geführt, wie die NFL auf die Forderungen der Spieler reagiert. Zudem wurde durch die Klagen gegen die NFL die Öffentlichkeit für die Gefahren von Gehirnerschütterungen sensibilisiert, was zu einer Reihe ähnlicher Klagen gegen zahlreiche andere Sportligen und Verbände führte. Weitere Prozesse trotz Vergleich Im August 2013 einigte sich die NFL mit den ehemali gen Spielern auf einen Vergleich über 765 Millionen US-Dollar. Ursprünglich stimmte das Gericht dem Vergleich nicht zu und wies die Parteien an, die sen insbesondere im Hinblick auf die darin gere gelten gedeckelten Entschädigungsleistungen zu überarbeiten. Daraufhin legten die Parteien im Juli 2014 dem Gericht eine revidierte Fassung des Vergleichs über 900 Millionen US-Dollar vor, der für bis zu 20.000 ehemalige Spieler gelten könnte. Darin enthalten ist eine nicht gedeckelte Aus gleichsentschädigung für Spieler mit bestimmten neurologischen Symptomen, nach derzeitigen Schätzungen etwa 675 Millionen US-Dollar. Dieser Anteil des Fonds soll für Zahlungen verwendet werden, die sich nach Faktoren wie Alter und Erkrankung der Spieler richten. Außerdem bein haltet der Vergleich 75 Millionen US-Dollar für ein medizinisches Untersuchungsprogramm, zehn Millionen US-Dollar für Aufklärungszwecke und 112 Millionen US-Dollar für Rechtsanwalts kosten der Kläger. Trotz des gerichtlichen Ver gleichsangebots sind einige Spieler aus der Sammelklage ausgeschert und wollen ihre Klage allein weiterverfolgen. Ein professioneller Footballspieler erleidet im Lauf einer Saison etwa 900 bis 1.500 Stöße gegen seinen Kopf. Die Aufprall geschwindigkeit eines laufenden auf einen stehenden Spieler beträgt dabei bis zu 40 km/h. Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 27 Haftpflicht Neben ehemaligen Profi-Footballspielern reichten im November 2013 frühere Spieler der National Hockey League (NHL) eine ähnliche Sammelklage ein. Die Klagen gegen die NFL und die NHL hatten wohl einen großen Einfluss darauf, wie andere wichtige Sport ligen in den USA mit Gehirnerschütterungen umge hen. Inzwischen wurden auch erste Klagen gegen Organisatoren von College-und Highschool-Mann schaften, Gemeinden, aber auch gegen Hersteller von Sicherheitsausrüstungen, Trainer und medizinisches Personal erhoben. Zunächst waren nur die sogenann ten Kontaktsportarten wie Football und Hockey betroffen. Mittlerweile hat das Thema Gehirnerschüt terungen aufgrund der möglichen ernsten Folgen auch Organisatoren und Eltern von Sportlern in ande ren Sportarten wie Baseball, Basketball und Fußball aufgeschreckt. Abseits des Spielfelds hat das Thema auch das Interesse des US-Verteidigungsministeri ums auf sich gezogen, da viele Soldaten ebenfalls Gehirnerschütterungen erlitten haben. Schon leichte Schläge gefährlich Immer mehr Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass häufige Schläge gegen den Kopf oder Erschütterungen das Gehirn irreparabel schädigen und schwere Folgen für die Gesundheit haben können. Gefährlich sind nicht nur einzelne heftige Schläge gegen den Kopf. Auch die große Zahl an harmloseren Stößen, denen der Kopf eines Football spielers im Lauf seiner Karriere ausgesetzt ist, kann ernsthafte Konsequenzen haben. Gehirnerschütte rungen, oftmals als leichtes Schädel-Hirn-Trauma bezeichnet, können auch nach einem Sturz oder Schlag gegen den Körper auftreten, wenn der Kopf dabei größeren Beschleunigungskräften ausgesetzt ist. Die Hirnflüssigkeit kann ihre dämpfende Wirkung nicht mehr ausreichend entfalten, und das Gehirn prallt gegen den Schädelknochen. Das US-Zentrum für Krankheitsbekämpfung (United States Center for Disease Control, CDC) hat folgende Zahlen zu Verlet zungen und Symptomen veröffentlicht: Nervenzelle eines Gehirns Auswirkungen auf die Nervenzellen Wiederholte Gehirnerschütte rungen führen dazu, dass sich Nervenzellen auflösen. Soge nannte Tau-Proteine, die gesunde Nervenzellen stabilisieren, blei ben in Form von kleinen Haufen zurück. Zellkörper Dreheinwirkung Axon Symptome einer Gehirnerschütterung –Bewusstseinsstörung –Kopfschmerzen – Schwindel, Gleichgewichtsstörungen –Schielen – Unterschiedlich große Pupillen –Krämpfe oder sonstige neurologische Ausfallerscheinungen – Übelkeit und Erbrechen –Bewusstlosigkeit –Wortfindungsstörungen – Erinnerungslücken (Amnesie) – Visuelle Halluzinationen Aufprall mit 150 G Beim American Football muss der Kopf des Spielers bei einem Zusam menstoß mit dem Gegenspieler das bis zu 150-Fache der Erdbeschleuni gung (G) aushalten. Zum Vergleich: Hinter einem Boxhieb stecken 10 bis 20 G. −−Laut Schätzungen der Behörde treten in den USA jährlich 1,6 bis 3,8 Millionen Gehirnerschütterungen auf. −−Fünf bis zehn Prozent der Sportler erleiden während einer Spielsaison eine Gehirnerschütterung. −−Bei weniger als zehn Prozent der sportbedingten Fälle treten Bewusstseinsstörungen wie Ohnmacht oder Lichterscheinungen (Sternchen) auf. −−Football ist die Sportart mit dem höchsten Risiko für Gehirnerschütterungen bei Männern (Risiko 75 Prozent). −−Fußball ist die Sportart mit dem höchsten Risiko für Gehirnerschütterungen bei Frauen (Risiko 50 Prozent). 28 Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 Aufprall Haftpflicht Schädel-Hirn-Trauma Das Gehirn ist gut geschützt. Die harte Schädeldecke hält mechanische Verletzungen ab. Das Hirnwasser und die drei Hirnhäute dämpfen die Auswirkungen von Erschütterungen. Allerdings kommt es bei größerer Gewalteinwirkung zu Gehirn erschütterungen, die allgemein auch als Schädel-Hirn-Trauma (SHT) bezeichnet werden. SHT entstehen häufig bei Unfällen, etwa im Straßenverkehr, im Haushalt oder beim Sport. Sie sind gekennzeichnet durch eine Verletzung des Schädels ein schließlich des Gehirns. Schädeldecke Gehirn Verletztes Blutgefäß Liquor Schädigung Schockwelle Beschädigung im Gehirn Das Gehirn ist in einer Art Flüssig keitskammer gelagert. Ein Sturz oder ein Schlag gegen den Kopf führt auf grund der Trägheit der Gehirnmasse zuerst zu einem Aufprall des Gehirns auf der einen Seite des Schädels und danach, häufig infolge eines Rück pralls, auf der anderen Seite des Schädels. Durch die Erschütterung und den Aufprall werden Millionen Nervenzellen beschädigt, und in den Nervenbahnen führt das zu kleinen Verletzungen. Bei starker Gewaltein wirkung kommt es sogar zum Abriss von Blutgefäßen mit der Folge einer Gehirnblutung. In einer so „erschüt terten“ Nervenzelle bricht die elektri sche Spannung zusammen und die Zelle fällt aus. Im Sinne einer Schutz reaktion schalten sich auch die umlie genden Nervenzellen ab. Je mehr Zellen nicht mehr funktionieren, desto wahrscheinlicher kommt es zu Symp tomen wie Bewusstseinsstörungen, Schwindel und Gedächtnislücken. Bei wiederholten SHT kann es zum Absterben von Nervenzellen kommen. Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 29 Haftpflicht Neue bildgebende Verfahren werden seit Kurzem dazu verwendet, CTE in lebenden Personen nachzuweisen. Das erfolgver sprechendste Verfahren ist die PositronenEmissions-Tomographie (PET), die einen neu entwickelten Marker nutzt ([F18] FDDNP). Der Scan kennzeichnete ein pathologisches Protein im Gehirn, das sogenannte Tau-Protein. Das Protein fand sich in konzentrierter Form in Bereichen, die das Gedächtnis, Gefühle und andere Funktionen steuern – ein Muster, das mit der Verteilung von Tau-Protein in CTEGehirnen übereinstimmt, die nach einer Autopsie untersucht wurden. −−78 Prozent der Gehirnerschütterungen ereignen sich während des Spiels und nicht im Training. −−Einige Studien deuten darauf hin, dass für Frauen die Wahrscheinlichkeit, eine Gehirnerschütterung davonzutragen, doppelt so hoch ist wie für Männer. −−Kopfschmerzen (85 Prozent) und Benommenheit (70 bis 80 Prozent) sind die häufigsten Symptome, die Sportler unmittelbar nach einem Schlag gegen den Kopf nennen. −−Bei rund 47 Prozent der Sportler treten keine Symptome auf. −−Ein professioneller Footballspieler muss im Lauf einer Saison etwa 900 bis 1.500 Stöße gegen sei nen Kopf einstecken. Die Aufprallgeschwindigkeit eines laufenden auf einen stehenden Spieler beträgt dabei bis zu 40 km/h. Zum Vergleich: Der Fausthieb eines Profiboxers ist gut 30 km/h schnell, bei einem hart geschossenen Fußball trifft der Ball mit über 100 km/h auf den Kopf. 30 Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 Die Symptome einer Gehirnerschütterung sind viel fältig, lassen sich jedoch grob in vier Kategorien ein teilen: Beeinträchtigung des Denk-und Erinnerungs vermögens (zum Beispiel Schwierigkeiten, klar zu denken oder sich zu konzentrieren), physische Folgen (zum Beispiel Kopfschmerzen oder Erbrechen), Gefühls-und Stimmungsschwankungen (zum Bei spiel Niedergeschlagenheit oder Reizbarkeit) und abnormes Schlafverhalten (zum Beispiel zu viel oder zu wenig Schlaf). Während sich einige Symptome manchmal sofort zeigen, treten andere erst Tage oder Monate später auf. Die Diagnose Gehirnerschütte rung ist häufig auch deshalb schwierig, weil ein Ver letzter körperlich fit wirken kann, obwohl er durch das Trauma mental beeinträchtigt ist. Forschungsergebnisse zeigen, dass wiederholte Gehirnerschütterungen langfristig ernste Folgen nach sich ziehen können. Dazu gehören die Ausbildung leichter kognitiver Beeinträchtigungen (LKB), die chronisch traumatische Enzephalopathie (CTE) oder das postkommotionelle Syndrom (PCS). In der Klage gegen die NFL führten einige Spieler darüber hinaus Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson oder die Haftpflicht amyotrophe Lateralsklerose (auch bekannt als ALS oder Lou-Gehrig-Syndrom) an, die sie sich durch mehrfache Gehirnerschütterungen zugezogen hät ten. Bei vielen Klägern waren keine Symptome dieser Erkrankungen festzustellen. Sie forderten dennoch eine Entschädigung für medizinische Untersuchun gen, da während ihrer aktiven Zeit in der NFL das Krankheitsrisiko erheblich zugenommen habe. Degeneration des Gehirns CTE wurde bereits in den 1920er-Jahren bei Boxern diagnostiziert. Es handelt sich um ein Trauma, das eine progressive Degeneration des Hirngewebes aus löst. Derartige Veränderungen können Monate, Jahre oder gar Jahrzehnte nach dem letzten Hirntrauma und damit nach Beendigung der aktiven Sportler karriere auftreten. Die Degeneration des Gehirns geht mit Gedächtnisverlust, Verwirrung, gestörtem Urteils vermögen, Impulsstörungen, Aggressionen, Depres sionen und letztlich progressiver Demenz einher. CTE steht darüber hinaus im Verdacht, für eine Reihe von Suiziden ehemaliger NFL-Spieler verantwortlich zu sein. Zwar ist der Zusammenhang zwischen Gehirn erschütterung und Suizid umstritten. Doch nach einer in der Zeitschrift „Brain“ im Dezember 2012 ver öffentlichten Studie ließ sich bei 33 von 34 früheren Profi-Footballspielern, deren Hirngewebe nach dem Tod untersucht wurde, CTE nachweisen. Im Prozess gegen die NFL machten die Kläger gel tend, dass die Ligaverantwortlichen jahrzehntelang über die gefährlichen Auswirkungen von Gehirner schütterungen Bescheid wussten, diese Tatsache vor Trainern, Spielern und der Öffentlichkeit aber ver schwiegen hätten. Des Weiteren legten die Spieler der NFL zur Last, sie habe weder Regeln zur Verringe rung von Kopfverletzungen eingeführt noch Sicher heitsrichtlinien ausgearbeitet, um Spieler nach einer Gehirnerschütterung angemessen zu schützen. Der zwischen der NFL und ihren ehemaligen Spielern erzielte Vergleich ist auf einen Zeitraum von 65 Jah ren ausgelegt. Laut Gerichtsunterlagen hat die NFL zugestimmt, die Kosten für die medizinischen Unter suchungen der ehemaligen Profis, für medizinische Forschungsarbeiten sowie die Prozess-und Verwal tungskosten zwecks Ausarbeitung eines Vergleichs zahlungsprogramms zu übernehmen. Darüber hinaus wurden folgende Entschädigungszahlungen festge legt: −−Personen, die an ALS (Lou-Gehrig-Syndrom), Parkinson, Alzheimer oder einer anderen schweren kognitiven Beeinträchtigung erkranken oder erkrankt sind, erhalten maximal fünf Millionen US-Dollar. −−Bis zu vier Millionen US-Dollar werden fällig, wenn nach dem Tod eine chronisch traumatische Enze phalopathie (CTE) diagnostiziert wird. −−Spieler, die an Demenz erkranken, erhalten bis zu drei Millionen US-Dollar. Während im Profisport die meist hohen Gehälter zumindest für einen gewissen Risikoausgleich sorgen, ist das im amerikanischen College-oder Amateursport nicht der Fall. Der College-Sport hat sich ebenfalls zu einem milliardenschweren Geschäft entwickelt. Doch weil College-Sportler lediglich als Amateure eingestuft sind, bekommen sie kein Gehalt. Stattdessen verwenden die Universitäten die Sport einnahmen zur Finanzierung des Hochschulbetriebs, für die Imagepflege sowie für Sportstipendien. Auch College-Sportler klagen Zuständig für die Organisation des amerikanischen College-Sports ist die National Collegiate Athletic Association (NCAA). Analog zu den Prozessen gegen die Profiligen (zum Beispiel NFL, NHL) haben viele aktive und ehemalige College-Spieler die NCAA ver klagt, um Entschädigungen durchzusetzen. Außer dem streben sie Regeländerungen an, etwa wann es einem Spieler erlaubt ist, nach einem heftigen Zusammenprall oder nach einer Gehirnerschütterung wieder zu spielen. Die NCAA einigte sich mit den Klägern im Sommer 2014 auf einen vorläufigen Vergleich über 70 Millio nen US-Dollar für Vorsorgeuntersuchungen und wei tere fünf Millionen US-Dollar für die Forschung. Vorgesehen war ein über 50 Jahre laufendes medizi nisches Betreuungsprogramm für alle aktiven und ehemaligen NCAA-Sportler sämtlicher Sportarten. Des Weiteren wäre die NCAA verpflichtet, die Colle ges dazu anzuhalten, ihre Richtlinien für den Umgang mit Gehirnerschütterungen zu ändern und Leitlinien für die Rückkehr auf das Spielfeld einzuführen. Millio nen von (früheren) Sportlern könnten von diesem Vergleichsvorschlag profitieren. Im Dezember 2014 verweigerte das Gericht dem Vergleich die Zustim mung, ermutigte die Parteien jedoch, mit den Ver gleichsverhandlungen fortzufahren. Auf Highschool-Ebene findet das Thema Gehirn erschütterungen im Sport ebenfalls zunehmend Beachtung. Schätzungsweise treiben in den USA etwa 35 Millionen Kinder und Jugendliche Sport, davon mehr als sieben Millionen an einer Highschool. Kinder und Jugendliche nehmen jedes Jahr etwa 250.000 Notfallbehandlungen infolge von Hirnver letzungen durch Sport- und Freizeitaktivitäten in Anspruch. Die tatsächliche Zahl von Hirnverletzun gen dürfte höher liegen, weil manchmal keine ärzt liche Hilfe in Anspruch genommen wird oder der Hausarzt die medizinische Versorgung übernimmt, ohne Hinzuziehung eines Krankenhauses. Immer wie der kommt es zu Fällen, in denen junge Sportler nach Gehirnerschütterungen einen bleibenden Schaden davontragen oder an einer Kopfverletzung sterben. Um Schüler, Eltern und Trainer besser über die Symp tome einer Gehirnerschütterung aufzuklären, hat das CDC gemeinsam mit Sportligen, Versicherern und Elterninitiativen auf Websites und in Broschüren eine Reihe von Informationen veröffentlicht. Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 31 Haftpflicht FIFA-Regeln in der Kritik Auch die Justiz muss sich mit den Folgen des High school-Sports befassen. Ende August 2014 wurde vor dem US-Bezirksgericht von Kalifornien eine Sammel klage gegen US-Fußballverbände und den Welt fußballverband FIFA (Fédération Internationale de Football Association) eingereicht. Laut Klageschrift erlitten 2013 nahezu 50.000 Highschool-Fußballspieler in den USA Gehirnerschütterungen. Die Beklagten hätten in Bezug auf Überwachung und Behandlung von Verletzungen nachlässig gehandelt, so der Vorwurf. Weitere Klagen wurden auch gegen Schulamtsbezirke und Trainer angestrengt, die angeblich die Risiken in Verbindung mit Gehirner schütterungen ignoriert haben. Dass auch im Profifußball über kurz oder lang das Thema Gehirnerschütterungen auf der Agenda ste hen wird, hat die Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien deutlich gemacht. Dort kam es zu einigen spektaku lären Fällen: Im Zweikampf mit Englands Raheem Sterling bekam in der Gruppenphase Uruguays Ver teidiger Alvaro Pereira das Knie seines Gegenspielers in vollem Lauf gegen den Kopf und blieb regungslos liegen. Obwohl er vom Spielfeld getragen werden musste und benommen wirkte, verweigerte er die Auswechslung und kehrte auf den Platz zurück. Im Halbfinale gegen die Niederlande prallte der Argenti nier Javier Mascherano in der Luft mit einem Gegen spieler zusammen. Auch er war offenbar zeitweise nicht ganz bei Sinnen, spielte aber weiter. Im Finale schließlich wurde der deutsche Spieler Christoph Kramer von der Schulter seines Gegen spielers mit Wucht am Kopf getroffen. Er spielte 15 Minuten in benommenem Zustand weiter, bevor er ausgewechselt wurde. Im Fall von Pereira warf der Weltverband der Spieler der FIFA vor, diesen nicht hinreichend geschützt zu haben. Die Spielerorgani sation verlangte, dass die FIFA ihre Richtlinien für Gehirnerschütterungen bei Fußballspielen überprüft und mögliche Regeländerungen ausarbeitet. Politik entdeckt das Thema Angesichts der Vielzahl der Klagen und des wachsen den Problembewusstseins hat sich sogar das Weiße Haus des Themas angenommen. Präsident Barack Obama lud am 29. Mai 2014 zu einem Gipfeltreffen zum Thema Gehirnerschütterungen unter dem Motto „Gesunde Kinder, sicherer Sport“. Im Rahmen dieses Treffens wurden folgende Zusagen gemacht: −−Die NCAA und das US-Verteidigungsministerium stellen 30 Millionen US-Dollar für Aufklärung und die bislang umfassendste Studie zu Gehirnerschüt terungen mit bis zu 37.000 College-Sportlern zur Verfügung. 32 Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 −−Die NFL sagte Fördermittel in Höhe von 25 Millio nen US-Dollar über die nächsten drei Jahre zu. Damit sollen die Gründung von Gesundheits-und Sicherheitsforen für Eltern eingerichtet und mehr Fachkräfte der angewandten Sportmedizin, sog. Athletic Trainers, zur Betreuung von Highschool Spielern eingestellt werden. −−Das National Institute of Standards and Technology wird über die nächsten fünf Jahre fünf Millionen US-Dollar investieren, um Materialien zu ent wickeln, die einen besseren Schutz vor Gehirn erschütterungen bieten. Weil manche Ausrüstung angeblich unzureichend oder nicht wie bislang von den Klägern angenommen schützt, geraten auch die Hersteller von Schutz helmen in die Defensive. Zwar wird das Tragen von Helmen empfohlen, um Schädelfrakturen und Hirn prellungen zu vermeiden. Jedoch haben neueste Studien die Grenzen dieser Schutzwirkung aufge zeigt. Das Florida Center for Headache and Sports Neurology kommt zu dem Ergebnis, dass Helme bei seitlichen Schlägen gegen den Kopf, die Gehirner schütterungen auslösen können, nur begrenzt Schutz bieten. Hersteller von Footballhelmen sehen sich in Gerichtsverfahren bereits mit Vorwürfen konfrontiert, sie hätten nachlässig gehandelt und mangelhafte Helme entwickelt, nicht auf die Gefahren hingewie sen und irreführendes Marketing betrieben. Auswirkungen auf Versicherer? Die Auswirkungen von Klagen in Verbindung mit Gehirnerschütterungen betreffen nicht nur Sportler, Sportorganisationen und Hersteller von Sicherheits ausrüstung. Vielmehr sind auch zahlreiche Versiche rer in diesem Zusammenhang zurzeit in Deckungs streitigkeiten mit ihren Versicherungsnehmern (NFL bzw. NHL, Helmhersteller Riddell) verwickelt. In die sen Verfahren soll festgestellt werden, ob und gege benenfalls in welchem Umfang im Hinblick auf derar tige Klagen Versicherungsschutz besteht. So will beispielsweise die NFL klären, ob ihre Verteidigungs kosten im Rahmen der Sammelklage und des Ver gleichs für den Zeitraum von 1968 bis 2012 gedeckt sind. Bestimmte Erkrankungen oder Beeinträchtigungen auf eine bestimmte Gehirnerschütterung zurückzu führen, ist in mehrfacher Hinsicht schwierig, da die Diagnose zum Teil erst viele Jahre nachdem der ehe malige Sportler aufgehört hat, diesen Sport auszu üben, erfolgt. Haftpflicht Die Deckungsstreitigkeiten zwischen der NFL und ihren Versicherern wurden ausgesetzt, bis der Ver gleich im Rahmen der Sammelklage gerichtliche Zustimmung gefunden hat. Sobald die gerichtliche Zustimmung zu dem Vergleich vorliegt, dürften viele dieser Auseinandersetzungen wieder aufgenommen werden. Schließlich wird das Thema Gehirnerschütterungen mit zunehmender Aufmerksamkeit in den Medien auch abseits des Spielfelds Kreise ziehen. Dadurch, dass immer mehr über Kopfverletzungen und deren Folgen bekannt wird, könnten weitere Ansprüche von Verkehrsunfallopfern, verletzten Arbeitnehmern oder vielleicht sogar auch von Soldaten erhoben werden, die sich auf frühere Kopfverletzungen stützen. Kläger, die eine Gehirnerschütterung oder andere Kopfverlet zungen erlitten haben, könnten sich bei ihren Klagen und bei der Höhe der Entschädigungsforderung an den neuesten Forschungsergebnissen und Gerichts urteilen orientieren. Risikomanager und Versiche rungsträger sollten daher genau darauf achten, was ihre Organisationen unternehmen, um Sportler, Arbeitnehmer, Kunden und andere Personengruppen vor möglichen Gehirnerschütterungen zu schützen. >> Weiterführende Informationen: www.cdc.gov/concussion/ http://dvbic.dcoe.mil/dod-worldwide-numbers-tbi www.army.mil/tbi Chronisch traumatische Enzephalopathie (CTE) −−Bei der chronisch traumatischen Enzephalopathie handelt es sich um eine neurodegenerative Erkran kung, die als Spätfolge nach einzelnen oder wieder holten Kopfverletzungen auftritt. Der genaue Mechanismus der CTE ist unbekannt. Die Anzahl oder die Art der Kopfverletzungen, aufgrund derer degenerative Veränderungen des Gehirns ausgelöst werden, ist derzeit unbekannt. −−Es gibt keine Behandlung, und eine definitive Diagnose erfolgt durch Untersuchung des Hirngewebes nach dem Tod. −−Zu den klinischen Manifestationen der CTE gehören unter anderem kognitive Leistungsstörung und neu ropsychologische Symptome (Gedächtnisverlust, Verwirrtheit, eingeschränktes Urteilsvermögen, Impulskontrollstörungen, Aggression, Depression, Angst und Suizidalität). Außerdem werden Parkin sonismus und schließlich fortschreitende Demenz beschrieben. Diese Symptome können Jahre oder gar Jahrzehnte nach dem letzten Hirntrauma bzw. nach Beendigung der aktiven Sportlerkarriere auftreten. −−CTE ist eng mit Sportlern verbunden, die Kontakt sportarten wie Boxen, American Football, Fußball, professionelles Wrestling und Hockey betreiben. Außer der wiederholten Kopfverletzung gehören das Vorhandensein eines bestimmten Genotyps (ApoE3- oder ApoE4-Allel), Wehrdienst und hohes Alter zu den Risikofaktoren. Dr. Alban Senn, Center of Competence Medical UW & Claims Consulting Unser Experte: Travis Coleman ist ein in den USA zugelassener Anwalt und bei Munich Re als Liability Underwriter für Nordamerika für Corporate Insurance Partner tätig. [email protected] Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 33 Naturgefahren Schwere Hagelstürme – gibt es ein Änderungsrisiko? Große Hagelkörner richteten 2013 in Deutschland schwere Schäden an. Aktuelle Studien gehen davon aus, dass mit dem fortschreitenden Klimawandel ein Trend zu intensiven Hagelgewittern verbunden sein wird. von Eberhard Faust und Peter Miesen Besonders schwere Hagelgewitter können Deutsch land treffen, wenn im Verlauf einer weit nach Süden ausladenden, trogartigen Schleife der Höhenströ mung über dem Westen Europas subtropisch warme, feuchte Luft aus dem westlichen Mittelmeerraum und subtropischen Atlantik nordostwärts nach Mittel europa geführt wird. Unter dem Einfluss frontaler Störungen im Wirkungsbereich dieses Trogs ent stehen oft sehr starke Gewitter, die sich mit der nach Nordosten gerichteten Strömung über Deutschland verlagern. Wetterlagen dieser Kategorie herrschten am 27. und 28. Juli sowie am 6. August 2013 vor. Der erste Hagelsturm vom 27. Juli zog entlang eines Korridors Ruhrgebiet – Hannover – Wolfsburg und erreichte Hagelkorn-Durchmesser bis zu ca. acht Zentimeter. Am 28. Juli kam es längs eines Korridors Villingen-Schwenningen – Schwäbisch Hall zu ähnlich großem Hagel. Bei den Hagelstürmen am 6. August in Sachsen und Baden-Württemberg/Bayern wurde schließlich bei Undingen (Schwäbische Alb) ein maxi maler Hagelkorndurchmesser von 14 Zentimetern dokumentiert – Rekord für Deutschland. Besonders größe Hagelkörner kön nen goße Schäden hervorrufen. Zum Beispiel lag der Durchmesser am 6. August in Undingen (Schwäbische Alb), Deutschland, bei bis zu 14 cm. Schäden und Schadentreiber der Unwetter im Sommer 2013 Diese großen Hagelkörner, deren Fallrichtung aufgrund starker Gewitterböen auch eine hori zontal gerichtete Komponente aufwies, sind für die enormen Schäden an Dächern, Fassaden und Fahrzeugen verantwortlich, die in dicht besie deltem Gebiet entstanden. Für die Stürme vom 27. und 28. Juli fielen schon allein 2,8 Milliarden Euro an versichertem Schaden an (3,6 Milliarden Euro insgesamt), die Ereignisse vom 4. bis 6. August trugen nochmals 0,4 Milliarden Euro (0,6 Milliarden Euro insgesamt) bei. Ein wichtiger Schadentreiber bei dem Hagel korridor vom 28. Juli im Südwesten Deutschlands war starker Regen am Folgetag, der durch die zertrümmerten Dachziegel leicht in das Innere der Gebäude eindringen konnte. Auch Photo voltaik- und Solarthermie-Anlagen hielten Hagel körnern von bis zu acht Zentimetern nicht mehr stand. Ein auffälliges Schadenbild, das auf die horizontale Komponente der Fallrichtung der Hagelkörner zurückgeht, kam durch häufig bis auf das Armierungsgewebe abgeschlagenen Putz bei Hauswänden mit Außenwärmedämmung zustande. Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 35 naturgefahren 1 5 2 3 1 Neuere, gut isolierte Fassaden mit dünnem Oberputz waren anfällig für Hagelschäden. 2 Durch zertrümmerte Dachziegel drang Regen leicht ins Innere von Gebäuden ein. 3 In zahlreichen Autolagern gelangte Feuchtig- keit durch zertrümmerte Autoscheiben ins Wageninnere und beschädigte dort die Innenausstattung sowie die Elektrik schwer. 4 4 Standby-Vereinbarungen mit Hallenvermie tern ermöglichen eine rasche und effiziente Schadeninspektion von Kraftfahrzeugen durch die Versicherungen. 5Teile der Lichtreklame, Rollläden und Fassadenelemente wie hier in Reutlingen, Deutschland, wurden durch den Hagel stark beschädigt oder zerstört. 36 Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 naturgefahren Im Rückblick auf die Schadenbilder 2013 sticht die Größe der Hagelkörner und damit die potenziell hohe Aufschlagsenergie heraus. Bei derartigen Wärmeverbundsystemen ist der Ober putz viel dünner als bei älteren Fassaden aufgetragen und der Hagelwiderstand entsprechend niedriger. Weitere typische Schadenbilder an vertikalen Flächen stellten zerstörte Fassadenelemente wie Faserzement schiefer, einfaches Glas bei Leuchtreklamen, zerstörte Rollläden und Sonnenschutzsysteme dar. Betroffen war auch die Transport- und Kraftfahrt versicherung, denn viele Fahrzeuge wurden auf Stell plätzen der Autohäuser und vor allem auf großen Lagerplätzen der Automobilhersteller beschädigt. Am 27. Juli wurden bei einem Automobilhersteller in Wolfsburg mehr als 10.000 Fahrzeuge beschädigt, auch bei Zwickau waren Autolagerplätze mit meh reren Tausend Fahrzeugen betroffen. Ein besonders gravierender Schaden entstand Ende Juli in einem Autolager in Frankreich: Das Wasser, das durch die vom Hagel zerbrochenen Scheiben eindringen konnte, beschädigte die Elektrik sowie die Innenaus stattung der Fahrzeuge, sodass hohe Reparatur kosten anfielen; etwa 80 Prozent der Fahrzeuge erlitten einen Totalschaden. Im generalisierenden Rückblick auf die Schaden bilder 2013 sticht die Größe der Hagelkörner und damit die potenziell hohe kinetische Aufschlags energie heraus, die über dichtem Besiedlungsgebiet große Schäden hervorruft. Die nach dem Initialbruch durch Hagel leichter in Gebäude eindringende Nässe hat den Schaden in mehreren Fällen vergrößert. Hierbei zeigten neu eingedeckte Dächer jedoch eine deutlich höhere Widerstandsfähigkeit als der Alt bestand. Wichtig sind auch beobachtete Trends bei der Schadenempfindlichkeit von Gebäudehüllen und Aufbauten. Bei großem Hagel sind vor allem diese Elemente Schadentreiber: Solarthermie- und PVAnlagen, Außenwärmedämmungen mit geringer Oberputzstärke oder weitere leicht durchschlagbare Fassadenelemente sowie wenig hagelresistente Son nenschutzsysteme und Rollläden. Untersuchungen aus der Schweiz weisen außerdem darauf hin, dass insbesondere bei Bürogebäuden aufgrund von Jalousie systemen und der Verwendung neuer Fassadenmate rialien aus Metall oder Kunststoff die Vulnerabilität über die vergangenen Jahrzehnte angestiegen ist. Das Schadenmanagement der Versicherer, insbeson dere die Notfallpläne für Massenschäden, funktionier ten im Sommer 2013 gut, die Schäden wurden zügig reguliert und die Auszahlungen veranlasst. Die Koor dinierung und der Einsatz der Reparaturkapazitäten (Dachdecker, Gerüstbaubetriebe) liefen in Anbetracht der großen Anzahl von Schäden auf einem eng begrenz ten Raum weitgehend reibungslos ab. Ändert sich die Gefährdung? Die enormen Schäden warfen mit Blick auf das Risiko management die Frage auf, ob sich in Europa neben der Schadenanfälligkeit und den zerstörbaren Werten als dominierbaren Treibern auch die Gefährdung bei schweren Hagelstürmen ändert. Dies wurde in eini gen Studien der vergangenen Jahre zu Norditalien (Trentino), Frankreich und Südwestdeutschland beleuchtet: In Frankreich hat man dafür die 21 Jahre lange Zeit reihe eines Messnetzes aus Hagelimpaktoren genutzt. Ein einzelner Impaktor besteht aus einer zwei Zenti meter starken, 42 mal 30 Zentimeter großen Polysty ren-Platte, die bei Hagelschlag eingebeult wird. Nach Vermessung der Beulen können Korngröße und kine tische Energie der Hagelkörner bestimmt werden. Für ein Feld aus 457 Einheiten im Bereich Atlantik/Pyre näen zeigte sich kein Trend bei der jährlichen Anzahl von Hagelereignissen pro Hagelimpaktor. Allerdings war ein signifikanter Zunahmetrend bei der totalen kinetischen Energie pro Hagelschlag sowie bei der pro Station und Jahr aggregierten totalen kinetischen Energie zu verzeichnen. Diese Zunahmen treten kon zentriert im Frühjahr auf (April/Mai). Der signifikante Trend bei der Hagelintensität liegt in der Größenord nung 70 Prozent im Zeitraum 1989 bis 2009. Eine Einschränkung ist mit der sehr kurzen Zeitreihe von nur zwei Jahrzehnten verbunden (Berthet et al., Atmospheric Research, 2011). Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine ebenfalls auf Hagelimpaktoren beruhende Studie aus Norditalien. Hier wurde für den Zeitraum 1975 bis 2009, also 35 Jahre, für die totale kinetische Energie von extre men Ereignissen (kommen in höchstens zehn Prozent der Fälle vor) eine signifikante Zunahme von ca. Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 37 naturgefahren Ein höheres Risikobewusstsein wäre wünschenswert Dr. Jochen Tenbieg, Leiter Global Claims bei der Allianz SE, erläutert, wie der Versicherer mit großen Naturereignissen umgeht und wie sich die Deckung von Elementarschäden verändern könnte. Schwere Hagelstürme haben die deutschen Versicherer vergangenes Jahr Milliarden gekostet. Die Vielzahl der Schäden innerhalb kürzester Zeit stellte das Schadenmanagement auf eine harte Probe. Was steht nach einem derartigen Ereignis für Sie im Fokus? Das Wichtigste ist festzustellen, dass es uns gelungen ist, unseren Kunden auch in solchen Ausnahmesituationen ein verlässlicher und schnell helfender Partner zu sein. Obwohl Hagel ge wöhnlich nur in räumlich eng begrenz ten Gebieten Schäden anrichtet, kann die zuständige Schadenabteilung die große Zahl an Schadenmeldungen in der Regel nicht allein bewältigen. Des halb müssen wir dafür sorgen, die Last auf mehrere Schultern zu vertei len und entsprechend die Kapazitäten zu vergrößern. Denn auch das normale Geschäft läuft ja ungeachtet des massenhaften Anfalls von Arbeit weiter und soll möglichst wenig beeinträchtigt werden. Dazu müssen wir rasch wissen, mit wie vielen Schäden wir in den Tagen nach dem Ereignis zu rechnen haben. Nur so können wir die hohen Servicestan dards auch im Ausnahmezustand sicherstellen. Die Schätzung nimmt ein Team aus Mitarbeitern der Fach bereiche und Aktuaren vor. Inwieweit kann man sich als Ver sicherer auf so ein Massenereignis vorbereiten? Die Allianz Deutschland hat einen Notfallplan für Massenschäden ent wickelt. Er tritt in Kraft, sobald die Zahl der Schäden und die Größe des Gesamtereignisses bestimmte Schwellenwerte überschreiten. Dann wird je nach Schwere des Ereignisses ein exakt festgelegtes Krisenmanage ment in Gang gesetzt. Schon vor einem möglichen Großereignis erhal ten wir abgestimmt auf die Risiken in unserem Portfolio Wetterwarnungen. Mit Modellsimulationen sind wir in der Lage, die voraussichtlichen Belas tungen durch das Schadenereignis abzuschätzen. Dadurch können wir unsere Mitarbeiter oder Sachver ständigenpartner entsprechend vor bereiten und ermitteln, wo voraus sichtlich zusätzliche Kräfte nötig sind. Im Bereich Kraftfahrt haben wir darüber hinaus Standby-Vereinba rungen mit Vermietern von Hallen getroffen, die uns im Schadenfall als Besichtigungsorte zur Inspektion von beschädigten Fahrzeugen zur Verfügung stehen. Wie individuell kann man in dieser Ausnahmesituation auf Schäden eingehen? Jeder unserer Kunden erwartet zu Recht, individuell nach seinen Bedürfnissen behandelt zu werden. Auch unter dem Aspekt der Schaden begrenzung ergibt eine pauschale Regulierung keinen Sinn. Denn bei Massenschäden passen Reparatur dienstleister ihre Preise häufig kurz fristig an die große Nachfrage an. 38 Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 Dr. Jochen Tenbieg leitet den Bereich Global Claims bei der Allianz SE Holding. Die Qualität des Schadenmanagements und das Aufspüren von Trendthemen gehören zu den Schwerpunkten seiner Tätigkeit. Wenn man hier als Versicherer nicht sehr sorgfältig und vernünftig vor geht, wirkt sich das unmittelbar auf der Schadenaufwandseite aus. Wie bei dem als Münchener Hagel bekannt gewordenen Ereignis erreichte der durchschnittlich regu lierte Schaden ein hohes Niveau, weil man schlecht vorbereitet war und sehr pauschal bei der Beurteilung vorgegangen ist. Heute sind die Ver sicherer auch für derartige Ereig nisse gewappnet und in der Lage, jeden Schaden trotz der großen Anzahl wie einen Einzelschaden zu behandeln. Hat es Sie überrascht, dass in so großem Umfang Schäden an den Fassaden von Häusern aufgetreten sind? Nein. Das ist ein Nebeneffekt der Bemühungen zur energetischen Sanierung von Wohngebäuden. Die nachträglich angebrachten Dämm systeme verfügen in der Regel nur über eine dünne Putzschicht, die bei entsprechender Windstärke bereits von mittleren Hagelkörnern durch schlagen werden kann. Mit zuneh mender Intensität der Ereignisse im Zuge des Klimawandels und der wachsenden Zahl gedämmter Häu ser wird dieses Phänomen künftig weitaus häufiger auftreten. naturgefahren Gebäude werden also anfälliger gegenüber Hagel. Gleiches gilt für Solaranlagen, für die kein wirkungs voller Schutz möglich ist, ohne die Effizienz zu verringern oder die Kosten für die Paneele in die Höhe zu treiben. Obwohl Schäden durch Stürme, Überschwemmungen oder Hagel zunehmen, schätzt die Mehrheit der Deutschen diese Elementargefahren für sich selbst als gering ein. Wie lässt sich das Risikobewusstsein in der Bevölkerung stärken? Wird sich das auf das Pricing der Policen auswirken? Es wäre schön, wenn das Bewusst sein für solche Ereignisse und für den Wert einer Elementarschaden deckung stärker ausgeprägt wäre. Das grundsätzliche Problem dabei ist, dass Flut oder Hagel subjektiv meist als einmalige Ereignisse wahr genommen werden. Objektiv muss man aber inzwischen feststellen, dass unter Umständen zwei Jahr hundertereignisse innerhalb eines Jahrzehnts auftreten. Es ist nicht auszuschließen, dass Gebäudefassaden und Solaranlagen künftig zu preisrelevanten Faktoren werden. Ein damit verbundener höherer Schadenbedarf müsste sich folgerichtig letztlich in der Tarif kalkulation niederschlagen. Darüber hinaus wird der Klimawandel auch die Sturm- und Hagelexponierungen in den Zonierungen für Naturgefahren verschieben. Auch Freiläger von Automobilher stellern wurde 2013 vom Hagel schwer in Mitleidenschaft gezogen. Könnte man die Fahrzeuge dort nicht besser schützen? Wir überlegen immer, wie man Kun den beraten kann, bessere Schutz maßnahmen zu ergreifen. Allerdings muss man bedenken, dass selbst bei der Just-in-Time-Fertigung von Kraftfahrzeugen meist mehrere Tagesproduktionen in Freilagern auf den Abtransport warten. Diese Lager erreichen die Größe mehrerer Fuß ballfelder. Natürlich könnte man eine Überdachung verlangen. Jeder Kunde wird allerdings genau abwägen, ob die Kosten dafür in einem angemes senen Verhältnis stehen. Andere Schutzmöglichkeiten, beispielsweise das Abdecken mit Folie, sind bei schwerem Hagel nahezu wirkungs los. Somit bleibt nur die Möglichkeit, die Freilager an Orten zu errichten, an denen die Natkat-Exponierung mög lichst gering ist. Doch das Wetter ist mittlerweile so unberechenbar ge worden, dass selbst in früher sicheren Gebieten große Schadenereignisse stattfinden. Für diese Fälle sind wir als Versicherer letztlich da. Verlässliche Hagelprognosen sind unmöglich. Ist das sogenannte Impfen der Wolken mit Silberjodid aus Flugzeugen eine Lösung, um die Ausbildung extrem großer Hagel körner zu unterbinden? Es gibt meines Wissens keinen wis senschaftlich empirischen Nachweis für die Wirksamkeit dieser Methode. Das Hauptproblem ist wohl, dass bestimmte Hagellagen mit einem Flugzeug allein nicht in den Griff zu bekommen sind und Maschinen von anderen Standorten auf die Schnelle nicht verfügbar sind. Aber jede geimpfte Gewitterwolke, die ohne Hagelbildung abregnet, ist sicher von Vorteil. Letztlich ist es wahrscheinlich eine Frage, wie die Betroffenheit unmittel bar miterlebt wird. Sobald das Bewusstsein für die Gefahren wächst, steigt auch die Bereitschaft, Ver sicherungsschutz nachzufragen und einen angemessenen Preis hierfür zu bezahlen. Eine gemeinsame Studie von Ver sicherern und Klimaforschern kommt zu dem Ergebnis, dass Sturm- und Hagelschäden in den kommenden Jahrzehnten deutlich zunehmen könnten. Was heißt das für die Ver sicherbarkeit dieser Gefahren? Elementarschäden werden ein ver sicherbares Risiko bleiben. Aller dings wird es mittelfristig sinnvoll sein, auch für Hagel eine exaktere Einteilung in Zonen vorzunehmen, um weiterhin eine risikogerechte Tarifierung sicherzustellen. Ange sichts der erkennbaren Zunahme lokaler Unwetterereignisse in Gebie ten, die früher als unproblematisch galten, wird es aber sicher einige Verschiebungen geben. Ob der Preis für die Deckung konstant bleiben kann, wage ich zu bezweifeln, da der Anteil der Schäden aus Elementar gefahren als Folge des Klimawandels vermutlich steigen wird. Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 39 naturgefahren Projektion von sommerlichen Sturm/Hagel-Schäden nach einer GDV-Studie 1984 bis 2008 Mittlerer Schadensatz Deutschland: 0,034 Promille 2011 bis 2040 Mittlere Änderung: +0,005 (+15 %) 2041 bis 2070 Mittlere Änderung: +0,016 (+47 %) Schadensatz Differenz der Schadensätze Differenz der Schadensätze –0,01 0,00 0,01 0,02 0,03 –0,01 0,00 0,01 0,02 0,03 Projizierte Ände rung des mittleren jährlichen Scha densatzes Sturm/ Hagel im Sommer, bezogen auf 1984 bis 2008 0,00 0,05 0,10 0,15 Projizierte Änderung des sommerlichen Scha densatzes aus Sturm/Hagel (VGV) für die Zeitscheiben 2011 bis 2040 und 2041 bis 2070 gegenüber der Referenzperiode 1984 bis 2008. Die räumlichen Untereinheiten sind durch ähnliche Schadencharakteristika definiert und entsprechen keinen administrativen oder in der Versicherung geläufigen Regionen Quelle: Abschlussbericht zum GDV-Projekt „Auswirkungen des Klimawandels auf die Schadensituation in der Deutschen Versicherungswirtschaft“, Dezember 2011 1,7 Prozent/Jahr beobachtet; über 35 Jahre war das somit eine Zunahme um 59 Prozent (Eccel et al., International Journal of Climatology, 2012). Im Südwesten Deutschlands zeigen sich ebenfalls Zunahmen bei Hageltagen, konvektiver Gewitter energie für schwere Ereignisse und weiteren gewit terrelevanten Variablen (Kunz et al., International Journal of Climatology, 2009). Obgleich diese verschiedenen Studien auf der meteo rologischen Seite jeweils unterschiedliche atmosphä rische Parameter betrachten, gab es zuletzt auch die These, dass höhere Feuchtewerte in der bodennahen Atmosphäre als ein ganz wesentlicher Treiber hinter diesen Veränderungen in Europa stehen könnte (Mohr und Kunz, Atmospheric Research, 2013). Eine immer wärmer werdende Atmosphäre kann auch eine größere Menge an Wasserdampf aufnehmen, und zwar ca. +7 Prozent per 1 °C Temperaturzunahme im wasserdampfgesättigten Milieu. Wasserdampfhaltige Luft steigt in konvektiven Prozessen der Gewitter bildung auf, da sie spezifisch leichter als trockenere Umgebungsluft ist. 40 Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 Solche sich in einzelnen Teilgebieten nördlich, südlich und westlich der Alpen abzeichnende Zunahmen bei der Gewitterintensität stehen neben vergleichbaren Beobachtungen in anderen Regionen der Erde. In den USA wurde eine Zunahme der Jahr-zu-Jahr-Variabilität von substanziellen normalisierten Schäden aus Schwergewittern im Zeitraum 1970 bis 2009 beob achtet, die mit einer entsprechenden Zunahme der Variabilität bei den meteorologisch messbaren Situa tionen mit Schwergewitterneigung einhergeht. Ent sprechend einem holistischen Ansatz wurden die Schäden über die Gefahren Hagel, Tornado, Gewitter böen und Sturzflut aggregiert (Sander et al., Weather, Climate, and Society, 2013). Für den mitteleuropäischen Raum liegen bereits erste Studien mit Projektionen zukünftiger versicherter Schäden aus sommerlichen (Hagel-)Gewittern unter fortgesetztem Klimawandel vor. Für landwirtschaftliche Versicherungen in den Niederlanden wurden Schaden zunahmen aus Hagel im Bereich 25 bis 29 Prozent bei outdoor faming insurance und 116 bis 134 Prozent bei greenhouse horticulture insurance für +1 °C Tempera turzunahme projiziert. Für eine Zunahme um +2 °C liegen die Schadenzunahmen bei 49 bis 58 Prozent beziehungsweise 219 bis 269 Prozent, sofern die Bestände unverändert bleiben (Botzen et al., Resource and Energy Economics, 2010). naturgefahren In einem Projekt des Gesamtverbandes der Deut schen Versicherer (GDV) gemeinsam mit Klima forschungseinrichtungen wurde beim jährlichen Schadensatz der Wohngebäudeversicherung aus sommerlichen Unwettern, die durch Hagel dominiert sind, für die Periode 2011 bis 2040 eine Zunahme um 15 Prozent gegenüber der Referenzperiode 1984 bis 2008 projiziert, für die Periode 2041 bis 2070 eine Zunahme um 47 Prozent (Gerstengarbe et al., 2013). Zu einem damit konsistenten Ergebnis kam auch eine klimamodellbasierte Studie von Sander, 2010, nach der Schwergewitter unter dem fortgesetzten Klima wandel etwas seltener, aber bei Auslösung intensiver ausfallen werden. Fasst man alle heute verfügbaren Informationen der diversen Studien zusammen, so ist eine Fortschrei bung des in einigen Gebieten Europas bereits heute vorherrschenden Trends zu intensiveren Hagelgewit tern unter fortgesetztem Klimawandel sehr nahe liegend. Für Nordamerika wurde durch klimamodell basierte Studien ebenfalls bereits gezeigt, dass die Anzahl an Situationen mit Schwergewitterneigung unter fortgesetztem Klimawandel deutlich ansteigen wird. Ein naheliegender, in einigen Projektionsstudien bereits aufgezeigter Hintergrund für diese Häufung ist die auf der Nordhemisphäre weit verbreitete Zunahme der bodennahen Feuchte. Diese hängt zusammen mit zunehmender Evaporation sich erwärmender Ozean oberflächen und mit der anwachsenden Feuchtehalte kapazität der Luftmassen, die aus dem Temperatur anstieg resultiert. Für die zukünftigen Änderungen der Gewitteraktivität unter dem Klimawandel stellt der kürzlich erschienene Fünfte Sachstandbericht des Weltklimarats fest: „Generell gesehen legen die Ergebnisse für alle bisher erforschten Gebiete der Welt einen Trend hin zu Umweltbedingungen nahe, in denen mehr schwere Gewitter auftreten können, aber die kleine Zahl der dazu vorhandenen Studien lässt eine Einschätzung der Wahrscheinlichkeit dieser Veränderung nicht zu.“ (IPCC, WG I, 2013, S.1078). Die Baumaterialien müssen widerstandsfähiger werden Da neben möglichen ungünstigen Veränderungen auf der Gefährdungsseite vor allem auch die Schadenan fälligkeit bestimmter Gebäudeteile wie Solaranlagen oder Fassadenelemente zunimmt, unterstützt die Versicherungswirtschaft Einrichtungen zur Verbesse rung der Widerstandsfähigkeit von Baumaterialien und Gebäudehüllen. Eine dieser Initiativen in Europa ist das Elementarschutzregister Hagel (Präventions stiftung der Kantonalen Gebäudeversicherungen in der Schweiz), durch das der Hagelwiderstand ver schiedener Materialien, die bei Gebäudehüllen ver wendet werden, ermittelt wird. Eine weitere Initiative ist das Forschungszentrum des Insurance Institute for Business & Home Safety (IBHS) in South Carolina, USA (www.disastersafety. org), das experimentelle Untersuchungen zur Wider standsfähigkeit diverser Gebäudehüllen und Materia lien gegenüber Wind und Hagel durchführt. Nach den aktuellen Schadenerfahrungen, unter anderem im Sommer 2013 in Deutschland, und den klimawissen schaftlichen Erkenntnissen erscheint es sehr wichtig, den Blick auf diese Gefahr zu schärfen, die getrieben durch ungünstige Veränderungen bei Exposure, Vulne rabilität und Naturgefahr zukünftig in Teilen Europas und Nordamerikas weiter zunehmen wird. Unsere Experten: Dr. Eberhard Faust ist leitender Fachexperte für Naturgefahren im Bereich Geo Risks Research/ Corporate Climate Centre bei Munich Re. [email protected] Peter Miesen ist Senior Consul tant für meteorologische Risiken im Bereich Corporate Under writing. Er entwickelt und testet Sturmmodelle und nimmt Schadenschätzungen nach großen Sturmereignissen vor. [email protected] Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 41 engineering Kritische Schnittstellen Der Bau von Kraftwerken ist eine komplexe Angelegenheit, bei der hohe Qualitätsstandards eingehalten werden müssen. Aktuelle Schäden verdeutlichen, welche Risiken lauern, wenn unterschiedlich erfahrene Vertragspartner an Planung, Bau und Abnahme der zahlreichen Komponenten beteiligt sind. von Marc-Tell Feißt und Michael Gibbons Bei Großprojekten wie dem Kraftwerksbau kommt der Qualitätssicherung eine entscheidende Bedeu tung zu. Nur so ist gewährleistet, dass sämtliche Komponenten, die von verschiedenen Subunter nehmern stammen, einwandfrei funktionieren und zusammenpassen. Dies gilt nicht nur für die Haupt komponenten, sondern auch für Hilfs- und Reserve systeme wie etwa für die Notstromversorgung. Schwierige Koordination Prinzipiell hat ein Kraftwerksbetreiber beim Bau einer Anlage folgende Möglichkeiten: Entweder er beauf tragt einen Einzelanbieter bzw. ein Konsortium von Firmen und erhält im Rahmen eines Komplettkaufs eine schlüsselfertige Anlage. In diesem Fall obliegt die Qualitätssicherung der betrauten Firma bzw. dem Konsortialführer des Projekts. Alternativ besteht die Möglichkeit, die Einzelkomponenten des Kraftwerks in Eigenregie zu beschaffen oder von unterschiedli chen Fremdfirmen erstellen zu lassen. Dem Vorteil eines günstigeren Einkaufs steht dann allerdings der erhebliche Aufwand gegenüber, die Einzelgewerke an den Schnittstellen zu koordinieren. Diese Aufgabe erfordert viel Erfahrung sowie ein ausgeprägtes Ver ständnis für die Funktionsweise des Kraftwerks. Gewöhnlich unterliegt der Bau von Großanlagen internationalen Qualitätsstandards. Die Vorschriften sehen Bau- und Abnahmeprüfungen für die einzelnen Projektelemente vor. Dabei wird bescheinigt, ob die Komponenten wie in den Planungsunterlagen fest gelegt verbaut wurden. Die Abnahme findet statt, sobald ein einzelnes System – etwa die Kondensatoder Speisewasserversorgung, die Entwässerung oder die elektrische Anbindung der mechanischen Komponenten – baulich fertiggestellt ist. Sofern die Prüfung keine Mängel ergibt, erfolgt im nächsten Prozessschritt die Übergabe an die Inbetriebsetzung. Die Inbetriebsetzung stellt somit ein wesentliches Ele ment in der Qualitätssicherung dar. Sie ist der Nach weis, dass das System den verfahrenstechnischen Ansprüchen genügt. 42 Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 Tests decken Schwachstellen auf Sind alle Einzelsysteme hinsichtlich ihrer Funktions fähigkeit abgenommen, muss die Gesamtanlage für die Endabnahme noch unterschiedliche Tests bestehen. Dazu gehören Sicherheitsprüfungen wie die erzwun gene Notabschaltung der Hauptkomponenten durch Simulation von Fehlermeldungen oder aber auch der Lastabwurf der Anlage auf Eigenbedarf (automatische Umschaltung auf Eigenbedarfsleistung), die Simula tion eines Schwarzfalls (Zusammenbruch des Versor gungsnetzes) oder der Neustart der Anlage nach Totalausfall/Schwarzfall. Die Tests sollen gewähr leisten, dass alle Systeme wie in der Planung vorge sehen arbeiten und die sicherheitstechnischen Anfor derungen erfüllt sind. Mögliche Schwachstellen, die aus Planungsfehlern oder mangelhafter Ausführung resultieren, lassen sich so rechtzeitig beheben. Welche Risiken lauern, wenn unterschiedlich erfah rene Vertragspartner an einem Projekt beteiligt sind, zeigen jüngst aufgetretene Schadenfälle. So kam es bei einem Gas-und-Dampf-Kombikraftwerk (GuDKraftwerk) gleich zu zwei Schäden im zweistelligen Millionenbereich, weil die elektrische Notstromver sorgung fehlerhaft konstruiert war. Der erste Schaden ereignete sich während der Inbetriebsetzung, als ein Mitarbeiter irrtümlich einen elektrischen Schalter betätigte. Dadurch kam es zu einem Kurzschluss, zunächst im Wechselstromkreis und anschließend im Gleichstromkreis der Notstromversorgung, zu dem das Steuersystem der Turbine, die Reservebatterien und die Notschmierölpumpe gehörten. Weil die Not schmierölpumpe nicht mit den Batteriebänken fest verdrahtet, sondern über einen Schaltkreis, abhängig vom digitalen Kontrollsystem, verbunden war, ist diese nicht wie von der Schutzsystematik erfordert angelaufen, und es kam demnach zu einem folgen schweren Schaden. Während die Turbine ordnungs gemäß abschaltete, liefen die Lager beim Auslaufen des Rotors mangels Schmierung heiß. Eine teure Überholung des Turbinenläufers und eine längere Betriebsunterbrechung waren die Folge. engineering Technologien und Einrichtungen, die reibungslos zusammenspielen müssen, über eine große Fläche verteilt. Damit ist diese Art von Kraftwerk anfällig für Konstruktions- und Ausführungsfehler, wenn das ausführende Unternehmen nicht über die nötige Erfahrung ver fügt oder das Baugeschehen nicht ordnungsgemäß koordiniert wird. CSP Power Plant 6 Uhr 9 Uhr 12 Uhr 15 Uhr 18 Uhr 21 Uhr 24 Uhr 3 Uhr Dampfturbine 6 Uhr Generator „heißer“ Salztank Kühlturm „kalter“ Salztank Solarfeld Speichersystem Powerblock Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 43 engineering Weiterer Stromausfall legt Anlage lahm Zum zweiten Schaden an gleicher Turbine und elek trischer Anlage kam es knapp zwei Jahre später, als ein Blitzeinschlag in der externen Hauptleitung Spannungsspitzen (Transienten) im Wechselstrom kreis der Anlage verursachte. Die Folge waren wider sprüchliche Signale im digitalen Kontrollsystem (DCS) und an dem Steuersystem der Turbine, die in einen erneuten Totalausfall des Wechsel- und Gleich stromkreises mündete. Da die Notschmierölpumpe immer noch vom digitalen Kontrollsystem abhängig war und demzufolge erneut nicht startete wie ange fordert, nahm der Turbinenläufer wiederholt Schaden, gefolgt von Betriebsunterbrechung. Sachverständige ermittelten mehrere Planungs mängel in den Steuerkreisen des DCS-Lieferanten. So wurden Vorgaben des Turbinenherstellers nicht eingehalten sowie die wechselseitige Abhängigkeit der Wechsel- und Gleichstromkreise und die Abhän gigkeit der Reservesysteme vom DCS nicht beachtet. Am schwersten wog jedoch, dass die Notschmieröl pumpe nicht fest verdrahtet an die Batteriebänke angeschlossen war. Beide Schäden waren hauptsäch lich auf die fehlerhafte Konstruktion und Ausführung von Grundkomponenten der Reservesysteme zurück zuführen. Fragenkatalog zur Risikobeurteilung von Kraftwerksprojekten Wie erfahren sind das Konsortium, der Betreiber bzw. der OEM (Liste von Referenzprojekten)? Besteht erheblicher Kostendruck, weil sich die wirtschaftlichen Rahmenbedin- gungen oder die Finanzlage bei einem Konsortiummitglied/dem Hauptunter- nehmer verändert haben? Wie wird die Verbindung von Schnitt- stellen zwischen den verschiedenen Subunternehmern sichergestellt? Welche Qualitätsstandards werden für die Projektausführung – einschließlich Abnahmeprüfung und Inbetriebsetzung der Hauptkomponenten – verwendet? Sind erhebliche Abweichungen von den Plänen und Empfehlungen des OEM vorgesehen? Wie erfahren sind die für Hilfs- und Reservesysteme verantwortlichen Subunternehmer? Beim Kraftwerksbau müssen viele großflächig verteilte Komponenten im Zusammenspiel funktionieren. Schon ein kleiner Ausfall an einer Stelle kann Störungen und erhebliche Schäden an anderen Stellen des Kraftwerks auslösen. 44 Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 engineering Wasserschlag beschädigt Turbine In einem anderen Fall trat in einem thermischen Solarkraftwerk (Concentrated Solar Power oder CSPKraftwerk) während der Übergangszeit zwischen der Nachhaftung aus der Bauleistungsversicherung und der Betriebsversicherung ein Schaden an einer Dampfturbine auf. Techniker entdeckten während einer Routinewartung, dass mehrere Rotorblätter der Niederdruckturbine unregelmäßig verbogen oder verdreht waren. Als wahrscheinlichste Ursache wur den ein oder mehrere Wasserschläge ermittelt, die auf einen unzureichenden Kondensatabfluss aus der Turbine zurückzuführen sind. Gerade in CSP-Kraft werken ist eine sorgfältige Kondensatableitung wich tig, weil die Turbinen häufig an- und abfahren. Das passiert immer dann, wenn die gespeicherte Wärme energie verbraucht ist (zum Beispiel in der Nacht) und sich somit die Dampfzustände ändern. Nach Meinung der Sachverständigen dürften bauliche und betriebliche Faktoren gleichermaßen zu dem Schaden beigetragen haben. Dem Betrieb zuzuordnen waren das Fehlen von Prozessen, mit denen man die Kondensatsammelbehälter überwacht und manuell hätte entleeren können, sowie die mangelnde Kon trolle des Dampfzustands durch das Bedienpersonal. Konstruktions- bzw. baubedingt waren fehlende Rück schlagventile, nicht eingebrachtes Gefälle an Abfluss leitungen und falsches Anschließen von Abflusslei tungen mit unterschiedlichem Querschnitt während der Bauphase. Fazit Entscheidend für das Schadenrisiko ist, wie erfahren Auftragnehmer und Subunternehmer mit der allge meinen Kraftwerkstechnologie sind. Schon kleinere Fehler an Reserve- oder Hilfssystemen können schwerwiegende Schäden an Hauptkomponenten nach sich ziehen. Bei einer Risikobeurteilung sollte der Underwriter daher unbedingt klären, ob die aus führenden Firmen ausreichend Expertise mit der Planung und dem Bau von Kraftwerken vorweisen können. Ein weiterer kritischer Punkt sind die Schnitt stellen zu den diversen Gewerken der Subunter nehmen. Damit die Gesamtanlage reibungslos funk tioniert, muss sichergestellt sein, dass die verschiedenen Systeme auch im Zusammenspiel einwandfrei laufen. Hier sollte man ebenfalls auf die nötige Erfah rung und das Knowhow der Verantwortlichen achten. Unumgänglich ist zudem, dass der führende Ver sicherer/Rückversicherer das Risiko während des gesamten Projekts begleitet. Dabei sollten die Bauund Inbetriebsetzungsprogramme sowie der Zeitplan laufend überprüft werden. Wenngleich letztlich mehrere Faktoren den Schaden auslösten, waren die fehlerhafte Konstruktion und Ausführung wichtiger Hilfssysteme von entscheiden der Bedeutung. Darüber hinaus traten bei dem Projekt weitere kleine und mittelgroße Schäden an höchst unterschiedlichen Maschinen- und Anlageninfrastruk turen auf, deren Ursache in einer Kombination aus Konstruktions- und Ausführungsfehlern, im Kosten druck sowie in der mangelnden Erfahrung mit der relativ neuen CSP-Technologie lag. Unsere Experten: Marc-Tell Feißt ist Dipl. Ing. (FH) Maschinenbau und spezialisiert auf Kraftwerksrisiken (Bau und Betrieb). Er ist bei Munich Re in München als Underwriter im Geschäftsbereich Global Clients/North America tätig. [email protected] Michael Gibbons ist als Senior Schadenjurist in der Schaden abteilung Property Claims Management für Global Clients/ North America verantwortlich für das Schadenmanagement bei großen Technik-, Kraftwerks- und allgemeinen Industrieschäden [email protected] Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 45 kolumne Folgen der Internationalisierung von Schadenszenarien Tobias Büttner, Head of Corporate Claims bei Munich Re [email protected] Nicht nur Cyberrisiken zeigen, wie es durch moderne Technologien immer leichter wird, mit immer weniger Aufwand weltweit immer schwerere Schäden auszulösen. Auch die erhöhte – geschäftlich oder privat motivierte – Mobilität von immer mehr Menschen führt in Verbindung mit moderner Technik dazu, dass altbekannte, aber bislang personell oder regional begrenzte Schadenereignisse eine ganz neue Dimension annehmen können. Schon wiederholt wurde an dieser Stelle auf die Folgen der zunehmenden Internationalisierung vieler Schadenszenarien hingewiesen, vor allem im Hinblick auf die Haftpflichtversicherung. Weltweiter Handel und Tourismus, grenzübergreifender Verbraucherschutz, Forum shopping und global agierende Klägeranwälte sind nur einige der Phänomene, die diese Entwicklung prägen. In diesem Jahr standen zwei auf besonders spektakuläre Weise grenzüberschreitende Schadenereignisse im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit von Öffentlichkeit und Medien: das Verschwinden der MH370 auf dem Flug von Kuala Lumpur nach Beijing im März und der Abschuss der in Amsterdam gestarteten MH17 über der Ukraine im Juli 2014. Die Begleitumstände beider Fälle unterscheiden sich deutlich. Dennoch belegen beide gleichermaßen die hohe Bedeutung, die internationalen Abkommen und 46 der weltweiten Kooperation zwischen Staaten, Versicherern und Versicherten zukommt. Daneben werfen beide Schadenereignisse aber auch eine Reihe wichtiger Rechtsfragen auf. Bei dem verschwundenen Flugzeug (MH370) der Malaysia Airlines betreffen diese vor allem die immensen Kosten für die teuerste – bislang vergebliche – Suchaktion in der Geschichte der Luftfahrt: In welchem Umfang sind in einem solchen Fall Search & Rescue-Maßnahmen geboten? Wie sind die hierfür erforderlichen Kosten auf die betroffenen Staaten, die Fluggesellschaften und ihre verschiedenen Versicherer zu verteilen, zumal wenn vielleicht nie geklärt wird, wodurch das Schadenereignis ausgelöst wurde? Hinzu kommt, dass die Unsicherheit über die Unfallursache und den Unfallort auch die Klärung der für Rechts streitigkeiten zuständigen Gerichtsbarkeit und des dabei anwendbaren Rechts erschweren dürfte. Der Absturz des Flugzeugs (MH17) der Malaysia Airlines über der Ukraine verdeutlicht dagegen, wie leicht mittlerweile eigentlich regional begrenzte politische Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen zur Schädigung auch von Zivil personen aus weit entfernt liegenden Regionen führen können. Haftungsrechtliche Unklarheiten ergeben sich dabei vor allem hinsichtlich der Anwendbarkeit der Haftungsbeschränkungen und Beweislastregelungen in Art. 21 des Montrealer Übereinkommens von 1999 auf die Haftung der Fluggesellschaften. Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 Diese stellen einerseits auf ein Verschulden der Fluggesellschaft ab, etwa durch die Wahl der Flugroute, andererseits auf die ausschließliche, schuldhafte Verursachung des Absturzes durch einen Dritten. Bei der Entschädigung der Angehörigen der Opfer beider Flugunglücke zeigt sich darüber hinaus einmal mehr, welche weit reichenden Konsequenzen die Zusammensetzung der Passagiere für die Entschädigungshöhe hat. Dabei beruhen die Unterschiede nicht nur auf Alter und Nationalität der Opfer. Vielmehr wirkt sich etwa auch der Zweck der Reise aus, da bei privat veranlassten Reisen oft ganze Familien ausgelöscht werden, während es sich bei Flügen, die hauptsächlich von Geschäftsreisenden genutzt werden, überwiegend um allein reisende Besserverdiener handelt, die häufig unterhaltsberechtigte Angehörige hinterlassen. © 2014 Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Königinstraße 107 80802 München Telefon: +49 89 38 91-0 Telefax: +49 89 39 90 56 www.munichre.com Verantwortlich für den Inhalt Claims Management & Consulting: Dr. Tobias Büttner, Prof. Dr. Ina Ebert Naturgefahren: Prof. Dr. Peter Höppe Marine: Olaf Köberl Raumfahrt: Dr. Achim Enzian Schaden: Dr. Paolo Bussolera, Dr. Stefan Klein, Arno Studener, Dr. Eberhard Witthoff Redaktion Corinna Moormann Group Communications (Anschrift wie oben) Telefon: +49 89 38 91-47 29 Telefax: +49 89 38 91-7 47 29 [email protected] Anmerkung der Redaktion In Veröffentlichungen von Munich Re verwenden wir in der Regel aus Gründen des Leseflusses die männliche Form von Personenbezeichnungen. Damit sind grundsätzlich – sofern inhaltlich zutreffend – Frauen und Männer gemeint. Bildnachweis Titelbild: Thomas Peter/Reuters/Corbis S. 1: Gerhard Blank S. 2: Stringer/Brazil/Reuters/Corbis S. 3 links: picture alliance/blickwinkel/A. Held S. 3 rechts: Tim Clayton/30163924B/Corbis S. 5, 29: Illustration KircherBurkhardt S. 6: Lee Jae Won/Reuters S. 8–11: Orla Conolly S. 12: picture alliance/Joker S. 14, 22, 32, 41, 45: Foto Meinen S. 15: Plainpicture/George Hammerstein S. 17: DAC Beachcroft LLP S. 18: Shannon Stapleton/Reuters/Corbis S. 20: Rick Wilking/Reuters/Corbis S. 25: Hartford Steam Boiler S. 26: Rich Kane/Icon Sportswire S. 34: picture alliance/dpa S. 36: Peter Miesen S. 38: Allianz Se S. 46: Kevin Sprouls Druck Gotteswinter und Aumaier GmbH Joseph-Dollinger-Bogen 22 80807 München Weitere Hefte sind gegen eine Schutzgebühr von 8 € erhältlich. Ihre Bestellung schicken Sie bitte an [email protected] Nachdruck ohne Genehmigung nicht gestattet. ISSN 0940-8878 >>Lesen Sie „Topics Schadenspiegel“, wo immer Sie wollen: Melden Sie sich auf unserer Homepage für unseren kostenlosen Newsletter an und erhalten Sie unseren „Topics Schadenspiegel“ (deutsch oder englisch) schnell und aktuell in elektronischer Form. www.munichre.com/de/schadenspiegel Sie finden uns auch unter: twitter.com/munichre facebook.com/munichre plus.google.com/115897201513788995727 youtube.com/user/munichrevideo linkedin.com/company/munich-re xing.com/companies/munichre Munich Re Topics Schadenspiegel 2/2014 47 © 2014 Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Königinstraße 107, 80802 München Bestellnummer 302-08481 Not if, but how