Kriegschirurgische Versorgung von Gefäßverletzungen der
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Kriegschirurgische Versorgung von Gefäßverletzungen der
Gefässchirurgie Zeitschrift für vaskuläre und endovaskuläre Medizin Elektronischer Sonderdruck für D. Hinck Ein Service von Springer Medizin Gefässchirurgie 2011 · 16:93–99 · DOI 10.1007/s00772-010-0789-7 © Springer-Verlag 2011 zur nichtkommerziellen Nutzung auf der privaten Homepage und Institutssite des Autors D. Hinck · F. Gatzka · E.S. Debus Kriegschirurgische Versorgung von Gefäßverletzungen der Extremitäten Amerikanische Erfahrungen aus dem Irak und Afghanistan www.Gefaesschirurgie.springer.de Leitthema Gefässchirurgie 2011 · 16:93–99 DOI 10.1007/s00772-010-0789-7 Online publiziert: 30. Januar 2011 © Springer-Verlag 2011 D. Hinck1 · F. Gatzka1 · E.S. Debus2 1 Abteilung für Allgemein-, Thorax- und Viszeralchirurgie, Sektion Gefäßchirurgie, Bundeswehrkrankenhaus Hamburg 2 Klinik und Poliklinik für Gefäßmedizin, Universitäres Herzzentrum, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg Kriegschirurgische Versorgung von Gefäßverletzungen der Extremitäten Amerikanische Erfahrungen aus dem Irak und Afghanistan Im Verlauf der letzten Jahrzehnte wurden stetig Anstrengungen unternommen, um die Versorgung von Kriegsverwundeten zu verbessern. Fortschritte in der zivilen Versorgung von Polytraumatisierten wurden in der sanitätsdienstlichen Versorgung der Militärs etabliert und unter Einsatzbedingungen erfolgreich eingesetzt. Soldaten sind durch eine weiterentwickelte Ausrüstung am Kopf, am Hals und thorakoabdominell besser vor Verletzungen geschützt. Ungeschützt gegen Waffenwirkung verbleiben jedoch weiterhin die Extremitäten, bei deren Verletzung 10–15% der Betroffenen den Verblutungstod erleiden. Im Zuge der Konflikte Operation Iraqi Freedom (OIF) im Irak und Operation Enduring Freedom (OEF) in Afghanistan wurden bis zum Stichtag am 18.10.2010 40641 amerikanische Soldaten/-innen verwundet [41]. Behandlungsbedürftige Gefäßverletzungen lagen in 4,4–7% der Fälle der zu versorgenden Verwundeten vor [10, 25, 28, 35]. Aufgrund der weiterentwickelten persönlichen Schutzausstattung ist der Soldat am Kopf, Hals und thorakoabdominell besser vor Verletzungen und Tod geschützt. Bezeichnend ist die Abnahme der Case- fatality- (CF-)Rate (CFR; Rate an Verwundeten und getöteten Soldaten) sowie die Abnahme der Killed-in-action- (KIA-)Rate (. Tab. 1). Ungeschützt gegen die Waffenwirkung verbleiben jedoch weiterhin die Extremitäten. Durch den besseren Körperschutz nimmt die Schwere der peripheren Verwundungen zu, die überlebt werden. Dennoch erliegen ca. 10–15% der Betroffenen von Extremitätenverwundungen dem Verblutungstod [37]. >10–15% der Betroffenen von Extremitätenverwundungen erliegen dem Verblutungstod Die nun vorliegenden Daten aus den Konflikten OIF und OEF zeigen erste Erfolge in der Abnahme des Verblutungstodes bei Extremitätenverletzungen. [7, 11, 23, 24]. Fortschritte in der zivilen Versorgung von Polytraumatisierten („damage control surgery” (DCS), rekombinanter Faktor VIIa, tragbare Sonographiegeräte, Tourniquet, V.A.C.®-Therapie usw.) wurden in der sanitätsdienstlichen Versorgung der Militärs etabliert und unter Einsatzbedingungen erfolgreich eingesetzt [2, 4, 15, 26]. Weg des Verwundeten Eine frühzeitige erste chirurgische Versorgung („golden hour“) wird durch den kampfliniennahen Einsatz von „Forward Surgical Teams“ (FST, Echelon II) sichergestellt [7, 9]. Dort werden im Sinne der DCS lebensrettende und -stabilisierende chirurgische Eingriffe durchgeführt. Die „vascular damage control surgery“ beinhaltet das Erkennen der Gefäßverletzung, die Kontrolle der Blutung und die Wiederherstellung der Perfusion der betroffenen Extremität, in den meisten Fällen durch den Einsatz von temporären vaskulären Shunts [35]. Nach Stabilisierung des Zustands des Verwundeten folgt der Transport in eine höherwertige Einrichtung, z. B. ein „Combat Support Hospital“ (CSH, Echolon III), Tab. 1 CF-, KIA- und DOW-Rate amerikanischer Soldaten im 2. Weltkrieg, im Vietnamkonflikt und während OIF und OEF [16] „Case fatality rate“ (CFR) „Killed in action“ (KIA) „Died of wounds“ (DOW) 2. Weltkrieg [%] 19,1 20,2 3,5 Vietnam [%] 15,8 20,0 3,2 OIF/OEF [%] 9,4 13,8 4,8 Gefässchirurgie 2 · 2011 | 93 Leitthema Abb. 1 9 HH-60 Med Evac „Black Hawk“ zum Verwundetentransport Abb. 2 8 Soldat mit ballistischer Schutzweste und Helm (grün gekennzeichnete Bereiche) sowie Splitterschutzbrille zur weiteren chirurgischen Versorgung [36]. Durch den zügigen Transport, insbesondere dem luftgebundenen Transport (. Tab. 2 und . Abb. 1) entsteht nunmehr die Situation, dass in die sanitätsdienstlichen Einrichtungen schwerstverwundete Soldaten verbracht werden, die vormals die langen Transportzeiten nicht überlebt hätten. 94 | Gefässchirurgie 2 · 2011 Spiegelbild ist eine höhere Rate an ihren Verwundungen in den sanitätsdienstlichen Einrichtungen versterbenden Soldaten (DOW) (. Tab. 1, [5, 7, 16]). Wie überlebensrelevant die zeitliche Verfügbarkeit erster chirurgischer Versorgung ist, zeigt . Tab. 3. Die erste chirurgische Versorgung innerhalb von 30 Minuten während der Kampfphase (OIF1) durch aufgestellte dislozierte Forward Surgical Teams (FST) bedingte u. a. eine niedrigere Rate an ihren Verletzungen erliegenden Soldaten (DOW) als in der sich anschließenden Sicherungsphase (OIF 2) mit deutlich längeren Transportzeiten (59 min). Ursächlich für die längere Transportzeit war die flächendeckende Rücknahme der FST-Einrichtungen [5]. Obwohl sich durch die verbesserte persönliche Schutzausstattung schwere Verletzungen im thorakoabdominellen Bereich reduzieren, verbleibt weiterhin die Problematik der ungeschützten oberen und unteren Extremitäten (. Abb. 2). In den vorherigen Konflikten waren bei Verwundungen in bis zu 75% der Fälle die Extremitäten betroffen, in 15% der Fälle mit letalen Folgen [1, 8, 11, 18, 30, 37]. Auch in den Konflikten OIF/OEF stellen sich die Extremitäten als häufigste Verwundungslokalisation dar (. Abb. 7, [23]). Insbesondere Splittereinwirkungen durch „explosive devices“ verursachen eine Kombination aus penetrierenden und stumpfen Verletzungen mit konsekutiven Gefäßverletzungen, Frakturen und Verbrennungen. Die chirurgischen Versorgungen dieser Verwundungen stehen mit mehr als 50% der durchgeführten Prozeduren an erster Stelle [5, 6, 11, 14, 15, 23]. Von 10.463 ausgewerteten Verwundeten, die in sanitätsdienstlichen Einrichtungen der ECHELON-II- (FST) und ECHELON-III-Ebene (CSH) versorgt worden waren, hatten 499 (4,8%) eine Gefäßverletzung. Eine Extremitätenverwundung lag in 70–88% der Fälle vor. Die obere Extremität war in 20–38% und die untere Extremität in 49–75% betroffen (. Tab. 4 und 5). Insgesamt wurden 307 gefäßchirurgische Versorgungen der oberen und unteren Extremität durchgeführt. [10, 25, 28, 35]. Die gefäßchirurgische Verletzung wurde durch eine klinische Untersuchung und nach Möglichkeit mit einer Doppler-/Duplexuntersuchung der betroffenen Extremität diagnostiziert. In Echelon-III-Einrichtungen war zusätzlich die Möglichkeit der Angiographie und/oder der Computertomographie vorhanden [33]. Nach dem Entschluss zur Versorgung der Gefäßverletzung an den Extremitäten sind zwei Optionen denkbar. FVersuch der Extremitätenrettung mit Gefäßrekonstruktion. Zusammenfassung · Abstract F„Vascular damage control surgery“ unter Einsatz von temporären GefäßShunts und Tourniquets. Primäre Amputationen sind in Anbetracht der Schwere der Verwundungen, in der Regel eine Kombination aus Fraktur, Nervenverletzung und extensivem Weichteilverlust, dennoch weiterhin unumgänglich (. Abb. 3). Schwieriger ist der Entschluss bei nicht so eindeutiger Wundsituation (. Abb. 4). Wenig hilfreich zur Beurteilung der Rettung bzw. zum Entschluss einer Amputation unter kriegschirurgischen Bedingungen ist die Erhebung des Mangled Extremity Severity Score (MESS) wie er von Starnes et al. [33] angeregt wird und ab einen MESS-Wert von ≥7 die Amputation empfiehlt [21]. Der mediane MESS-Wert der gefäßversorgten Verwundeten in einem Kollektiv von Taller et al. [35] betrug 8 Punkte (Spanne 5–10 Punkte) ohne eine folgende sekundäre Amputation. Sind primäre als auch sekundäre Amputationen erforderlich, sollte der Amputationsstumpf zur erleichterten Prothesenversorgung so lang wie möglich belassen werden. Versorgung von Gefäßverletzungen Die Versorgung von Gefäßverletzungen im Sinne einer Damage-control-Versorgung ist definiert als: FKontrolle der Blutung, Fzügige Herstellung der Reperfusion der betroffenen Extremität und anschließende FPrävention eines Kompartmentsyndroms. Kontrolle der Blutung Die Kontrolle der Blutung erfolgt durch den erstversorgenden Soldaten in Form der Anlage eines Tourniquets oder Druckverbands sowie einer mögliche Applikation von Hämostyptika (HemCon®, Celox®, QuickClot®) (. Abb. 5). Gefässchirurgie 2011 · 16:93–99 DOI 10.1007/s00772-010-0789-7 © Springer-Verlag 2011 D. Hinck · F. Gatzka · E.S. Debus Kriegschirurgische Versorgung von Gefäßverletzungen der Extremitäten. Amerikanische Erfahrungen aus dem Irak und Afghanistan Zusammenfassung Die sanitätsdienstliche Versorgung von verwundeten Soldaten ist eine Herausforderung an Mensch und Material. Waren es in der Vergangenheit Erfahrungen aus den Kriegen, die in die zivile Versorgung implementiert wurden, sind es nun zivile Erfahrungen, die in die unwirtliche Umgebung eines Kriegs einfließen. Es sind insbesondere die durch wirkungsstärkere Munition und Splittereinwirkung bei gleichzeitig verbesserter persönlicher Schutzausstattung des Soldaten verursachten desaströsen Extremitätenverletzungen chirurgisch zu versorgen, die vormals aufgrund zentraler Verletzungen nicht überlebt wurden. In 50–75% der Fälle sind die Extremitäten des Soldaten betroffen. 15% der Soldaten erleiden den Verblutungstod. In einem großen Prozentsatz kann eine Blutung mittels Tourniquet, direktem Druck oder durch Einsatz anderer externer Hämostyptika soweit versorgt werden, dass ein Transport zur ersten chirurgischen Versorgungseinrichtung erfolgen kann. In dieser sind in 4,4–7% der Fälle Ge- fäßverletzungen umgehend chirurgisch zu behandeln, um das Leben des Soldaten oder die betroffene Extremität zu retten. War es im Ersten und Zweiten Weltkrieg die routinemäßige Ligatur des Gefässes, hat sich über die vergangenen Konflikte eine gefäßchirurgische Versorgung etabliert. Operation Iraqi Freedom (OIF) und Operation Enduring Freedom (OEF) bieten erstmals seit dem Vietnamkonflikt die Möglichkeit der Registererfassung von Gefäßverletzungen, das Evaluieren der chirurgischen Versorgungsstrategie bei Gefäßverletzungen unter widrigen Bedingungen und ggf. der Änderung derselben. Ziel des folgenden Artikels ist es, dem Leser die Versorgung von Gefäßverletzungen an oberer und unterer Extremität anhand der amerikanischen Erfahrungen aus OEF/OIF nahe zu bringen. Schlüsselwörter Kriegschirurgie · Gefäßverletzung · Damage control surgery · OIF/OEF · Verwundetenversorgung Surgical combat treatment of vascular injuries to the extremities. American experiences from Iraq and Afghanistan Abstract Delivery of combat health support means a challenge for personnel and material. Past military conflicts have provided lessons for civilian surgical practice, whereas nowadays civilian experiences influence military surgical practice in the austere environment of today’s battlefield. Due to high explosives, ammunition and high-velocity missiles and also improved body armor, military surgeons have to deal with devasting extremity trauma, which has not been seen routinely in former conflicts because survival was not possible due to core injuries. Extremity injuries represent 50–75% of all injuries sustained by soldiers and 15% of wounded soldiers die of exsanguination from extremity wounds. The bleeding from some of these injuries can be arrested by a tourniquet, direct pressure and/or hemostatic dressing application in the field allowing for casualty evacuation. Nevertheless, 4.4–7% of all injuries need definitive vascular surgical treatment because of ongoing life and limbthreatening hemorrhaging and ischemia. From routine ligation of vascular injuries in World Wars I and II surgeons adapted to principles of in-theater repair of arterial and venous injuries in Korea and Vietnam. Operation Iraqi Freedom (OIF) and Operation Enduring Freedom (OEF) provided the first opportunities since Vietnam for the development of a registry of vascular injuries, the re-evaluation of established vascular surgical principles under austere conditions and adaptation where necessary. The aim of the following article is to provide information on the current management of wartime vascular injuries on the basis of U.S. experiences in the on-going conflicts OIF/OEF. Keywords Vascular surgery · War injuries · Damage control surgery · Combat injury · OIF/OEF Gefässchirurgie 2 · 2011 | 95 Leitthema Tab. 2 Transportzeit amerikanischer Verwundeter zur ersten chirurgischen Versorgung [5, 7, 16] Konflikt 2. Weltkrieg Vietnam OIF/OEF Verwundetentransportzeit 10 h 1–4 h 0,5–2 h Tab. 3 Vergleich von KIA-Rate und DOW-Rate während OIF1 (Kampfphase) und OIF2 (Sicherungsphase) [5] OIF 1 (2003) „Killed in action“ (KIA) 13,5% „Died of wound“ 0,88% (DOW) OIF 2 (2004–2005) 20,2% 5,5% Tab. 4 Häufigkeit der Gefäßverletzung in Abhängigkeit von der Körperregion [10, 25, 28, 35] Lokalisation Extremität insgesamt Obere Extremität Untere Extremität Zervikokranial Thorakoabdominal Häufigkeit [%] 70–88 20,8–38 49–75 7–17 3–13 Herstellung der Reperfusion Temporäre Shuntversorgung von Gefäßen Bei fehlender gefäßchirurgischer Expertise bzw. Versorgungszeit unter Triagebedingungen zeigt sich der Einsatz von Shunts (Argyle, Javid, Sundt) zur temporären Reperfusion der Extremität als sinnvoll [24, 28, 35]. Erste Erfahrungen sind auf Eger et al. Anfang der 1970er zurückzuführen [9]. >Unter Triagebedingungen ist der Einsatz von Shunts zur temporären Reperfusion der Extremität sinnvoll Hier gilt, dass eine Shuntanlage innerhalb von 2 Stunden nach Verwundung erfolgen und weniger als 2 h bis zur definitiven gefäßchirurgischen Versorgung in einer ECHELON-III-Einrichtung in Benutzung sein sollte [28, 35]. Obwohl augenscheinlich einfach, erfordert das Arbeiten mit verschiedenen Shunts ein vorheriges Üben an Präparaten. Heparin sollte in Anbetracht der zu 96 | Gefässchirurgie 2 · 2011 Tab. 5 Häufigkeit der der betroffenen Arterien [10, 25, 35] betroffene Arterie Obere Extremität A. axillaris A. brachialis A. radialis A. ulnaris Untere Extremität A. femaralis communis A. femoralis superficialis A. profunda femoris A. poplitea A. tibialis anterior, A. tibialis posterior, A. fibularis Häufigkeit [%] 2–3,8 2,7–22,6 2,6–17 3,1–7,5 1,9–4,7 9,6–20,7 3,1–9,6 4,1–15,1 3,8–10,9 erwartenden posttraumatischen Koagulopathie nur intraoperativ gegeben werden [12]. Die Offenheitsrate der proximalen Shunts überwiegt die der distalen Shunts (. Tab. 6). Hinsichtlich der Notwendigkeit der Anlage eines distalen Shunts besteht kein Konsens. Sicher ist eine solche Anlage bei einer eingeschränkten klinischen Untersuchbarkeit der Extremität empfehlenswert, bei palpablen Puls und/ oder Dopplersignal über den peripheren Gefäßen aber nicht notwendig [28, 35]. Ligatur te nur eine Extremität amputiert werden [10, 25, 35]. Bei Nachweis eines Pulses mittels klinischer Untersuchung oder mittels Doppleruntersuchung an Unterschenkel oder Unterarm kann die Ligatur von verletzten Arterien erfolgen. In 71 Fällen wurde bei vorhandenem Dopplersignal das verletzte Gefäß am Unterarm (A. radialis/A. ulnaris) oder am Unterschenkel (A. tibialis anterior, A. tibialis posterior, A. fibularis) ligiert. Eine Amputation war in keinem der Fälle notwendig [10, 25, 35]. Gänzlich anders sieht es bei der Ligatur von zentralen Gefäßen der oberen bzw. unteren Extremität aus. Aus dem 2. Weltkrieg berichteten DeBakey et al. [8] von 1639 Ligaturen zentraler Gefäße an oberer und unterer Extremität mit 802 folgenden, sekundären Amputationen (48,9%). Während OEF/OIF wurden 29 zentrale Gefäße an der oberen Extremität (A. axillaris/A. brachialis) und unteren Extremität (A. femoralis communis/A. femoralis superficialis/A. profunda femoris/A. poplitea) unter Notfallsituationen ligiert. Im Unterschied zu DeBakey et al. muss- Rekonstruktion der arteriellen Verletzungen Im 2. Weltkrieg wurden nur 81 Gefäßrekonstruktionen seitens der Amerikaner durchgeführt. In diesem Kollektiv sank die Rate an sekundären Amputationen auf 35,8% [8]. Aus diesen Erfahrungen heraus sah man die Sinnhaftigkeit der Rekonstruktion der arteriellen Strombahn auch unter kriegerischen Bedingungen. Nach den ernüchternden Erfahrungen des 2. Weltkriegs wurde im Koreaund Vietnamkonflikt fortan die arterielle Rekonstruktion favorisiert. Die Gefäßligatur blieb nur noch im Falle der unstillbaren Blutung oder im Zuge einer Triagesituation eine denkbare Option. Schon im Koreakonflikt machte sich dies in einer auf 13% gesunkenen sekundären Amputationsrate nach Gefäßrekonstruktion bemerkbar [19]. In Vietnam wurden auf 1000 zentrale Gefäßverletzungen gerade noch mal 15 Gefäße ligiert. 950 Gefäßverletzungen wurden rekonstruiert. In nur 128 Fällen musste anschließend sekundär amputiert werden (13,5%) [29]. In den vorliegenden Artikeln sank bei OIF/OEF die sekundäre Amputationsrate auf 8,8% [10, 25, 28, 35]. Eine gefäßchirurgische Kompetenz befindet sich in der Regel erst auf ECHELON-III-Ebene. Hier sind zur weiteren Planung der operativen Taktik auch eine Computertomographie der Gefäße, eine Duplexuntersuchung oder eine konventionelle Angiographie möglich [33]. Insgesamt wurden 207 rekonstruierende bzw. interventionelle Prozeduren durchgeführt (. Tab. 7) [10, 25, 35]. Auch unter widrigen Bedingungen war die Verwendung der kontralateralen V. saphena magna zur Rekonstruktion im Sinne von Interponaten oder Bypässen anzustreben. Wo nicht möglich, wurde in einem geringen Prozentsatz zur Interposition bzw. Bypassanlage Kunststoff verwendet (Polytetrafluorethylen, n=7). In Abhängigkeit vom Substanzverlust des Gefäßes (<>2 cm) wurde entweder mittels direkter Gefäßnaht/Patchplastik oder durch Interponat/Bypass die arterielle Strombahn rekonstruiert [10, 25]. Abb. 3 8 Linker Unterschenkel nach Minenexplosion Abb. 4 8 Verletzungsmuster an beiden Unterschenkeln nach Minenexplosion Abb. 6 8 Thermische Wirkung und Splitterwirkung nach Explosion machen eine kontralaterale Bergung von Venenmaterial unmöglich Abb. 5 8 Teile der Sanitätsausstattung des Soldaten (Hämostyptikum, Druckverband, Tourniquet) Waren es durch die mangelnden Erfahrungen bzw. Möglichkeiten der arteriellen Rekonstruktion im 2. Weltkrieg insgesamt nur 81 Rekonstruktionen bei 1774 Gefäßversorgungen [8], änderte sich dies im Koreakonflikt. Bei 304 arteriellen Versorgungen waren es 262 rekonstruierende Verfahren (End-zu-End-Anastomose, direkte Naht, Venen- bzw. Arterien interponat/-bypass) [19]. Im Vietnamkonflikt waren 1000 ausgewertete arterielle Gefäßrekonstruktionen in 464 Fällen End-zu-End-Anastomosen bzw. direkte Nähte und in 466 Fällen Venen-, Arterien- bzw. Protheseninterponate/-bypasse [29]. Bei der Wahl der Art der arteriellen Rekonstruktion ist zu bedenken, dass aufgrund von Hochgeschwindigkeits- Augen 5% Hals 3% Ohren 3% Kopf 8% Gesicht 10% Extremitäten 54% Thorax 6% Abb. 7 7 Verwundungslokalisation in den Konflikten OIF/ OEF [23] Abdomen 11% Gefässchirurgie 2 · 2011 | 97 Leitthema Tab. 6 Shunt-Offenheitsrate in Abhängigkeit von der Lokalisation [28, 35] Lokalisation des Shunts Proximale Extremität Distale Extremität Shunt-Offenheitsrate n [%] 41 91 1 12 Infobox 1 Indikationen zur Fasziotomie in sanitätsdienstlicher Einrichtung. (Mod. nach [33]) FKombinierte arterielle und venöse Verwundung F>4–6 h Evakuierungszeit vor gefäßchir- Tab. 7 Anzahl und Verteilung der rekonstruierenden arteriellen Eingriffe [10, 25, 35] Betroffene Arterie Veneninterponat/ Bypass A. axillaris 1 A. brachialis 28 A. radialis 2 A. ulnaris 2 A. femoralis communis 2 A. femoralis superficialis 28 A. profunda femoris 1 A. poplitea 27 A. tibialis anterior, A. tibia- 7 lis posterior, A. fibularis Gesamt 98 PTFE-Interponat/ Bypass 3 1 3 Ligatur Naht Venenpatch 1 1 6 5 14 2 10 1 2 3 3 6 2 14 1 6 2 18 2 Sonstiges 2 1 7 71 3 18 10 urgischer Rekonstruktion FCrush-Verletzungen FHochgeschwindigkeitstrauma FErfolgte Gefäßrekonstruktion FLigatur von zentraler Arterie oder Vene FIntubierter, komatöser oder sedierter Patient mit Extremitätenverletzung FLaufende Analgesie bei Verwundung der Extremitäten F„Gespanntes“ Muskelkompartiment FProphylaktisch geschossen ein ausgeprägter sekundärer Wundkanal bzw. aufgrund der Splittereinwirkung der explosive devices ein deutlicher Verlust des Weichteilmantels mit zu versorgen ist [13]. Dies erklärt auch den zumeist deletären Verlauf nach Implantation von PTFE-Prothesen. Die wenigen implantierten und sich verschließenden PTFE-Prothesen (n=4) während OIF/ OEF führten stets zu einer notwendigen sekundären Amputation. Die wenigen kriegschirurgischen Erfahrungen mit implantiertem PTFE-Material sind eher ernüchternd. Rich et al. [31] zeigten in ihrer Arbeit anhand von Daten aus dem Vietnamkonflikt den zumeist deletären Verlauf von implantierten PTFE-/Dacron-Prothesen (n=26; 77% [n=20] mit Komplikationen, 31% [n=8] mit sekundären Amputationen). Ausdrücklich wurde darauf hingewiesen, dass Kriegsverwundungen stets kontaminierte Wunden sind und mit entsprechender Problematik behaftet sind. In den folgenden Konflikten wurde fortan Wert auf den Gefäßersatz mit körpereigener Vene gelegt [38]. Problematisch wird es, wenn aufgrund einer ausgeprägten Gewebeverletzung der kontra- 98 | Gefässchirurgie 2 · 2011 lateralen Extremität (. Abb. 6) eine Venenverwendung unmöglich erscheint. Trotz ernüchternder Ergebnisse ist die „temporäre“ PTFE-Implantation hier als Adjunkt im Sinne einer „limb salvage strategy“ zu verstehen. PTFE per se erscheint resistenter gegenüber einer bakteriellen Besiedlung [32, 34]. Aufgrund der erforderlichen Expertise zur Verwendung von PTFE-Prothesen ist dies sicher erst ab ECHELON-III-Ebene sinnvoll [39]. >Der Einsatz von PTFE-Prothesen ist meist mit Komplikationen behaftet und resultiert nicht selten in sekundären Amputationen Über die Konflikte ist ein Trend hin zur Bypass-Interponatanlage zu erkennen. Ob es sich hierbei um einen aggressiveren Behandlungsansatz bei besserer Ausbildung des Chirurgen oder um das geänderte Verletzungsmuster handelt, ist nicht klar. Fasziotomie Es sind keine genauen Daten bzgl. einer sich an die Gefäßrekonstruktion anschließende Fasziotomie sowohl der oberen als auch unteren Extremität zu erheben. So ist auch das Vorgehen während OEF/OIF sehr heterogen. [10, 25, 28, 35]. Im Zuge der Gefäßversorgung von IEDOpfern in Israel war eine Fasziotomie in 50% der Fälle Bestandteil der operativen Versorgung, ohne auf eine Indikation zu sprechen zu kommen [40]. Ähnlich ungenau äußerte sich Razmadze [27] bei der Versorgung von Gefäßverwundungen im georgischen Konflikt. Interessanterweise wurde im Koreakonflikt stets eine Fasziotomie im Anschluss an die operative Versorgung vorgenommen [19], im Vietnamkonflikt nur bei „entsprechender Indikation“ [29]. Generell ist jedoch der liberale Einsatz der Fasziotomie unter der kriegschirurgischen Typologie zu fordern [20]. Indikationen sind in . Infobox 1 aufgelistet. Fazit für die Praxis Der Soldat überlebt die heftigere Waffenwirkung durch seine getragene Schutzausstattung. Eine verbesserte erste Versorgung durch seine Kameraden und ein zügiger Transport in eine erste chirurgisch tätige Sanitätseinrichtung ermöglichen die zeitnahe lebensrettende bzw. – stabilisierende chirurgische Versorgung. Der dort tätige Chirurg hat nunmehr Verwundungen mit größerem Weichteilverlust, aber auch langstreckigen Gefäßverletzungen, Nervenverletzungen und eventuellen Frakturen zu versorgen. Über die Konflikte gelang es durch ständige Verbesserung der Wundversorgung und der Weiterentwicklung der gefäßchirurgischen Fertigkeiten, die sekundäre Amputationsrate bei den betroffenen, zumeist jungen Soldaten zu senken. In der Behandlung der häufigen Gefäßverletzungen von A. brachialis, A. femoralis superficialis und der A. poplitea hat sich die Verwendung der V. saphena magna als überlegen gezeigt. Die wenigen PTFE-Prothesen wurden fast allesamt bei Thrombose oder Infektion gegen Venenmaterial ausgetauscht, nicht selten war im Anschluss an den Verschluss der PTFE-Prothese die sekundäre Amputation notwendig. Im Sinne der „vascular damage control surgery“ ist die Anlage von temporären Shunts ein unverzichtbares Adjunkt bis zur endgültigen rekonstruierenden Versorgung in einer sanitätsdienstlichen Einrichtung mit gefäßchirurgischer Kompetenz. Ergänzt wird die gefäßchirurgische Versorgung durch die Notwendigkeit des ausgiebigen Wunddébridements und der Fasziotomie mit anschließender offener Wundbehandlung. Nicht außer Acht gelassen werden darf die bakterielle Besiedlung der Wunde mit landestypischen, aber uns unbekannten Erregern. Als vorteilhaft hat sich hier die V.A.C.®Therapy durch den Schutz der Wunde und Beschleunigung der Wundheilung erwiesen. Die Gesamtheit der Fortschritte auf dem Gebiet des persönlichen Körperschutzes, der ersten Versorgung am Ort der Verwundung, der Verkürzung der Transportzeit und der zeitnahen (gefäß-)chirurgischen Versorgung haben zur Rettung des verwundeten Soldaten und seiner verwundeten Extremität beigetragen und erleichtern den jungen Soldaten/-innen die medizinische als auch soziale Rehabilitation mit erhaltener gebrauchsfähiger Extremität. Korrespondenzadresse Dr. D. Hinck Abteilung für Allgemein-, Thorax- und Viszeralchirurgie, Sektion Gefäßchirurgie , Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Lesserstr. 180, 22049 Hamburg danielchristianhinck@ bundeswehr.org Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur 1. Bellamy R, Zajtchuk R (1991) The management of ballistic wounds of soft tissue. In: Bellamy RF, Zajtchuk R (eds) Textbook of military medicine: conventional warfare – ballistic, blast and burn injuries, Part 1, vol. 3. 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