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Geomantie und Hauptstadt Berlin Der Reichstag und die Zukunft des Landes Teil 1 Hans-Jörg Müller DIE ARCHITEKTUR DES REICHSTAGES – FORMENKRAFT UND SYMBOLWIRKUNG Vorwort: Während sich die Geomantie heute vornehmlich um Landschafts-, Bau- und Lebensraumoptimierung bemüht, finden in unserer Zeit herausragende Ereignisse mit übergeordneter Bedeutung statt, die geradezu danach drängen, auch geomantisch näher betrachtet zu werden. Eine davon ist der Werdeprozess der neuen Bundeshauptstadt und insbesonders des Reichstages nach der politischen Wende der Wiedervereinigung und sein möglicher Einfluss auf Politik, Wirtschaft und Bewußtseinslage der Gesellschaft. Der Reichstag, in der Bismark-Zeit entstanden, Sitz des deutschen Parlaments, Brennpunkt der nationalsozialistischen Machtergreifung, jetzt wieder zum Sitz des Deutschen Bundestages erkoren, ist schon immer ein Brennpunkt deutscher Nationalgeschichte gewesen, verbunden mit allen Turbulenzen der deutschen Geschichte, mit Hoffnungen wie Niederlagen. Scheidemann rief hier die Republik aus, die rote Fahne der Sowjetunion auf dem Reichstag markierte das Ende des Krieges, Ernst Reuter rief hier sein: "Völker der Welt, schaut auf diese Stadt", hier war die passende Kulisse der Festnacht der Wiedervereinigungsfeier. "Sitz des Deutschen Bundetages ist Berlin". Diese Entscheidung ist nun mittlerweile über 7 Jahre her; am 19. April des letzten Jahres fand die erste Sitzung des gesamtdeutschen Parlaments statt. Die einstigen Bedenken zur Übernahme eines Baues, der schon als "Lesebuch der deutschen Erinnerungen" beschrieben wurde, waren – neben den Umzugskosten, dass Schwere und Tragik der Geschichte übernommen würden und der gesunde Pragmatismus der „Bonner Republik“ verlorenginge. Heute jedoch erweist sich die „Berliner Republik“ als Fortsetzung des Alten ohne Brüche in der Kontinuität; der Reichstag steht völlig frei und souverän da, erhaben jeder Kritik und von der Bevölkerung begeistert angenommen, als Star der neuen Hauptstadtbauten, als Publikumsmagnet. Wie aber wird er als geistiger Fokus des politischen und gesellschaftlichen Bewußtseins heute wirksam ? Welche unbewußten Schichten seiner Realität können uns heute erfassen ? Die Geomantie versucht Antworten: Der Reichstag wird zum Brennpunkt des politischen Bewußtseins Regierungsgebäude repräsentieren die materiellen und geistigen Aspekte eines Staatswesens. Deshalb haben Herrscher aller Zeiten besonderes Augenmerk auf Ihre Regierungsgebäude gelegt und sie nach geomantischen oder geodätischen Richtlinien präzise erstellen lassen. So der berühmte Echnaton, der eine neue Mitte der Welt gründete, der Palast in Peking mit dem Kaiser als lebendige Mitte, Kaiser Karl der Große mit seinen versammelten Weisen, der mit Aachen eine neue Hauptstadt gründete, die sich in ein kosmisch-planetarisches Bezugssystem einfügt. Oder auch die Residenzschlösser der Fürsten, die Philosophie und Geisteskultur in ihre Anlagen woben. Entsprechende Vorgehensweisen fanden beim Reichstagsbau eindeutig nicht Anwendung; umsomehr ist aus der Perspektive der Geomantie zu fragen, ob der Reichstag in seiner heutigen Form für die Zukunft des Landes bedenkliche, angemessene oder gar erfolgsverheißende Einflüsse verspricht. Großraum Berlin Es stellt sich die Frage nach dem geomantischen Einfluß der unmittelbaren Umgebung: Berlin liegt im Nordwesten Deutschlands: die übergeordnete Thematik der Stadt ist deshalb die Auseinandersetzung mit dem Prinzip des "Sozialen", der Qualität menschlicher Beziehungen. Aus dieser axis mundi geomantie und integrale planung 1 Sicht ist zu erwarten, dass die Politik sich zunehmend ihrem klassischen Feld zuwendet, dem Sozialwesen. Tendenzen, Politik als Management des „Standort Deutschland“ zu verstehen, werden sich reduzieren. Wie sich der Osten - die ehemalige DDR - in Deutschlands geographischen Formen abbildet, so bildet sich der Ostteil Berlins in der Hauptstadt ab. Wie Rhein und Donau das Bundesgebiet durchqueren, so tun es Havel und Spree in Berlin formengleich. Auch die Umrisse der vereinigten Deutschland zeigen strukturelle Ähnlichkeiten zu Berlin. Die Stadt liegt folglich in einem das gesamte Land wiederspiegelnden Bezug. Alle Veränderungen in der Stadtgestalt werden auch Einflüsse auf die Qualität des „Gesamtorganismusses Deutschland“ besitzen. Der alte Regierungssitz Bonn, von den Römern gegründet – was noch das ehemalige Kastell veranschaulicht – steht – geomantisch betrachtet – noch unter der Raumsignatur von „Stabilität“, „Materialismus“ und „Wertschöpfung“. Dies ist nun die Gefahr mit dem Wechsel gen Osten, dass diese Werte langfristig verlorengehen und ersetzt werden durch „Materiemissachtung“, “Soziale Ausrichtung“, Erfinderreichtum“; durch eine einseitige Orientierung nach geistig-ethischen Prinzipien. Um hier eine Balance zu erreichen, sollte auf dem „Platz der Republik“ – anstatt des einstigen Bismark-Denkmals - ein Platz mit kraftspeichernder, materiebetonender Qualität realisiert werden. Bauplatz und Umgebungseinflüsse Der Reichstag selbst ist nun nicht an besonderer Stelle erbaut. Die geomantische Mitte Berlins ist die Marienkirche, die Hauptdynamiken der Stadt führen zum Palast der Republik (ehemals Stadtschloss) und zum "Alex". Die Beziehung des Reichstages zur gesellschaftlichen Wirklichkeit des Landes entsteht allein durch die Aufmerksamkeitslenkung seiner Bürger und der Tatsache, dass er zum Sitz des Parlamentes erkoren wurde. Die Bauplatzwahl – geomantisch Symbol für die richtige Plazierung - gestaltete sich außerordentlich schwierig und nahm Jahre in Anspruch. Ewige Verhandlungen mit Graf Raczynski, dessen Ausstellungshaus für den Neubau geopfert werden sollte, brachten Bismark sogar dazu, Kassel und Braunschweig als mögliche Standorte zu prüfen. Historisch sicher ist, dass Lage und Orientierung zwar auf symbolischen Bezugnahmen fußt (gegenüber dem Reichstag das Bismarkdenkmal), dass aber keine geomantische Betrachtung - und sei es, dass sie indirekt eingeflossen wäre, stattfand. Wir können also bei der Untersuchung der aktuellen und zukünftigen Wirksamkeit nur ganz auf die Phänomene Geschichte als Zeiger der Ortsprinzipen und die Kräftekonstellationen der architektonische Gestalt gründen. Der verworfene Stein ist zum Eckstein geworden Zur Zeit der Baugründung lag der Baugrund knapp ausserhalb der historischen Mauer von Berlin. Auch die Sektorengrenze, die "Mauer" ging später haarscharf an der Ostseite des Gebäudes entlang. Und während der Zeit der Teilung geriet der Reichstag vollends in eine Randlage, die ihn fast vergessen ließ. Der Parlamentarismus befand sich zur Zeit seiner Entstehung eindeutig in ebengleicher Randlage, hat sich aber aus der geistigen Dynamik der Neuzeit durchgesetzt. Geomantisch unterstützt war er nicht. Umsomehr ist es heute darauf zu achten, gerade nachdem der Reichstag den Niedergang Weimars wie des “Dritten Reiches“ symbolisiert, dass hier nicht ein durchgehendes Prinzip am Werke ist; dass der Reichtsgag mit seinem Umbau jetzt auch andere Prinzipien repräsentiert und wiederspiegelt, als zu seiner Entstehungszeit. Heutige Umgebungsfaktoren Die Spree versorgt Bau und Parlament mit emotionaler Energie: gestärkt wird der Hang der Politiker, durch gesetzgeberische Maßnahmen gesellschaftliche Impulse zu setzen. So hat sich die SPD gleich zu Regierungsbeginn in einen entsprechenden Aktionismus gestürzt. Der Reichstag wird durch die auffangende und weiterleitende Form der "schwangeren Auster" von Westen genährt. Eingang wie Plenum besitzen ein Maximum an Lebensenergie. Über die ehemalige John-Foster-Duller-Allee fließt zusätzlich dynamische Kraft vom Bellevue, Sitz des Bundespräsindenten herbei. Und: mit der neuen Anlage des Kanzleramtes wird durch die entstehenden Formen die Dynamik der Hauptbahnstrasse zum Reichstag gelenkt. Das dynamische Arbeiten wird für die Parlamentarier gefördert axis mundi geomantie und integrale planung 2 Die seitliche Strasse führt die Energie derart, dass die internationale Wirkung Deutschlands neu betont wird: in Frankreich brach in Frühjahr `99 zeitgleich mit der Reichstagsübernahme eine massive Diskussion über das (angeblich) "neue Deutschland" los ! Resümee: die Umgebung hat einen stärkenden Einfluß auf das Energieniveau des Baues und damit die Leistungsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie. Baukörper und Grundriß Betont ist im Grundriß des Baues die Ost-West-Achse: das bedeutet, dass die geistige Perspektive der Entwicklung des Landes von nun am im Mittelpunkt steht, die wirtschaftlich-materielle Ausrichtung wird als zunehmend untergeordnet erlebt werden. Das Volk im Westen: Impulse der Basisdemokratie werden gestärkt. Das Präsidium im Osten: Dieses Gremien wird aus dem Geistigen impulsiert. Der Bürger bleibt Souverän. Er hat seinen Eingang durch das zentrale westliche Hauptportal. Bereits realisiert war die Ausrichtung nach Himmelsrichtungen. Automatisch erfolgte – radiaethetisch gesehen - die "Ankoppelung" des ersten Großraumgitters, welches “Ordnung“ und “Stabilität“ verleiht. Die Politik wird sich in den Kontext des Bestehenden einordnen. Fosters Neubau: Raumform und neue Demokratie Norman Foster sah sich als Architekt höchsten Anforderungen konfrontiert: er mußte der Politik, den Parlamentariern, der Öffentlichkeit und seinen architektonischen Ansprüchen gleichermaßen genügen. Auch wenn Architekten wie Rogers heute betonen, dass der erste Entwurf der Bessere gewesen wäre, das „Parlament des 20. Jahrhunderts“ erzeugt hätte, haben sie eine wesentliche Dimension vergessen: Die geistige Bedeutung. Gerade in der Auseinandersetzung mit den engagierten Parlamentariern kam ein Strom hinein, der eine Anbindung an gewachsene Bonner Traditionen suchte, der Lösungen – wie die Kuppel – anstrebte, die nicht nur der Ästhetik einer modernen Architektur, sondern sinnerfüllten Formen intuitiv den Weg bahnen sollte, das noch "Unerlöste“ der deutschen Geschichte mitnehmen und transformieren wollte in einem zukunftsweisenden Entwurf. Foster, dem man Kenntnisse in Geomantie und Feng-Shui zuspricht (verheiratet mit einer Asiatin, Bauten in Hong Kong, etc.), hat hier - untypisch für seine Rolle als zeitdominierender Stararchitekt - einen tief künstlerischen Prozeß der Integration all dieser Anforderungen vollzogen, der in seiner Bedeutung wohl noch lange unerkannt bleiben wird. Geschichte annehmen und transformieren Zudem mußte sich die neue Architektur harmonisch mit dem Altbau "konfrontieren": Paul Wallots Bau von 1894 ist in einem synthetischen Nationalstil errichtet. Der sogenannte "Reichsstil" vermischte Romanik, Gotik, Barock und Renaissance mit griechischer Attitüde und einer süddeutschen Kuppelarchitektur, ein architekturphilosophisches Gegenmodel zum Stilbegriff des späteren Dessauer Bauhauses, das die formalen Grundlagen der modernen Architektur schuf. In seinem Konzept integrierte er zugleich Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Dies ist manifestiert in der Höhenstaffelung mit historischen Bau als Basis, Parlament und Kuppel als Kopf, als Ort des "Höheren Selbst" des Baus. So sind beispielsweise die Fragmente der lebendigen Geschichte im Detail erhalten geblieben von Einschusslöchern bis hin zu "Graffities" der einfallenden Rotarmisten. Zu lesen sind heute wieder: "Hitler kaputt" oder "KaukasusBerlin". Die geomantischen Anforderungen an den Reichstagsneubau waren aus meiner Sicht folgende: Das "Alte", die Geschichte aufgreifen, lösen und mit dem Neuen verbinden Einen Raum der Inkarnation schaffen und damit Deutschland inspirativ-geistige Präsenz zurückgeben Weibliche Aspekte, die dem Bau aus patriarchaler Zeit fremd waren, formal und qualitativ integrieren Den Menschen als freien Bürger räumlich aufnehmen und qualitativ unterstützen Das Plenum in ein hohes Energieniveau zu versetzen, dem Parlament einen Raum mit Schutz, stimmiger Struktur und Ausrichtung zu geben axis mundi geomantie und integrale planung 3 Vorweggenommen sei gesagt: es ist ihm gelungen, im geomantischen Sinne eine Lösung zu präsentieren, die alle Grundbedingungen für einen neuen Mittelpunkt - einer inzwischen veränderten und politisch gereiften - Republik erfüllt. Die Evolution des Parlamentsbereiches Wallot hatte das Parlament im Westen des Plenarsaals placiert. Die Repräsentanten des Volkes saßen damit in der traditionellen Himmelsrichtung der untergehenden Sonne, der Richtung der Materie, des weltlichen Lebens, des Volkes - wie in einem Kirchenschiff. Das Präsidium nun im Osten, am Platz des Neuen, der Inspiration, des Geistes. Bezeichnenderweise war genau diese Orientierung in der Zeit der getrennten deutschen Staaten, als der Bau symbolisch leerstand und als politischen Mahnmal diente unter Paul Baumgarten um 180 ° verdreht worden. Jetzt ist die ursprüngliche Ausrichtung wiederhergestellt worden. Eine weitere Neuerung ist die Schaffung eines weiträumigen Parlamentsraumes durch Zusammenlegung von Einzelräumen. Bei Wallot waren Parlament (= Volksvertretung) und Vorhalle (Platz von Skulpturen deutscher Geistesgrößen) zwei gleichwertig betonte Elemente, im Wettstreit miteinander, durch die zwei Räume um die Mitte Zweifel und politische Zwietracht auslösend. Jetzt ist ein Raum im Zentrum. Das fördert die Einheit als Qualität; unterstützt die Verbindung von Regierung und Opposition, auch der Parteien untereinander. Konsens statt Konfrontationspolitik wird die zu erwartende Tendenz sein, wie auch immer dies aus Sicht der bisherigen politischen Kultur bewertet werden wird. Auch die Formenkonstellationen des Parlamentsraumes sind beachtenswert: alle Elemente sind in einer relativen Balance vertreten. Das Feuer, der Geist, das Flammende in der Mitte (der Licht-Konus), WasserErde als Kuppelkreis, die Mitte umrahmend: die Prinzipien Ganzheit, Einheit, Lebendigkeit, Schutz sind damit gegeben. Die Fenster der umgebenden Natursteinwände sind quadratisch, als reines Element Erde schaffen sie Erdbezug, Bodenständigkeit und Realismus. Das reines Element Wasser wird durch die untere Reihe der Rundbogenfenster repräsentiert, die Fluß und Rhythmus schaffen. Mit dem Material, welches sich dem Prinzip angleicht (Feuer durch Spiegel, Erde und Wasser durch Sandstein) und der Lichtgebung erhält der Plenarsaal etwas Basilikahaftes (Heinrich Wefing), was die moderne, aber technisch-profane restliche Architektur aufwertet und dem Raum zusammen mit der Farbgebung einen Hauch von Wärme und Würde verleiht. Formenwirkungen des Plenarsaales Der Plenarsaal ist völlig offen, nur durch Glas zur Außenwelt getrennt. Er wird durch Trennwände von hinten “gehalten“, was Schutz und Ausrichtung verleiht. Es besteht - leider - ein leichter Angriff vom Eingang her auf die hinteren mittigen Stühle der Parlamentarier, heute die Grünen treffend. Wenn auch der Vorraum abgrenzt durch Fenster und eine runde Zwischenwand - aus Glas - die dynamischen Energie seitlich ablenkt, so ist dieser Einfluß doch ernstzunehmen. Letztlich besteht nicht nur ein Angriff auf eine Partei, sondern die Volksvertreter schlechthin durch das Volk ! Langfristig ist also ein beständiger Aggressions-Impuls von Presse und Bevölkerung auf einzelne Bereiche der Politik zu erwarten. Ein elipsoider Körper für das Parlament (zwei Mittelpunkte bedeutet immer zwei Standpunkte einnehmen) und ein Kreissegment für das Präsidium (ein weiterer, außerhalb liegender Mittelpunkt, der die Autonomie des Präsidiums, die Unabhängigkeit vom Parteienwesen unterstützt) ergeben einen sich ergänzenden Dreiklang, der Konfrontationen vermindert bzw. auf der Ebene von Parteien begrenzt sein läßt (Siehe als Beispiel die jüngste Parteispendenaffäre). Das Plenum ist von 12 Säulen umstanden; der Raum steht in einer harmonischen Resonanz, welche die Parlamentarier "Vollendung" in ihrer Arbeit anstreben läßt. Die nicht zu unterschätzenden "Hinterbänkler" werden von den Aussichtstribünen, also vom "Volke" erdrückt. Die Situation kann entstehen, dass man das Parlament "abspecken" möchte: "die tun ja ohnehin nichts". axis mundi geomantie und integrale planung 4 Ein neuer Ort der Kraft Gerade die Kuppel wurde hart erstritten; Foster hatte ja zunächst eine Überdachung geplant - und damit auch den Wettbewerb gewonnen - welche die "Berliner Schnauze" gleich "Tankstellendach" und "Tischtennisplatte" taufte. Schon aus der Philosophie der Gotik heraus wollte der Spanier Santiago Calatrava dem Reichstag eine Kuppel verleihen. Der "Bauherr Demokratie" erhob nachfolgend die Kuppelfrage zum Politikum, welches erst durch eine Mehrheitsentscheidung im Bundestag entschieden werden konnte (die Kuppel war schon zu Bauzeit Streitpunkt, in wahrhaft letzter Minute wurde sie durch Wallot von der Vorhalle auf den Mittelpunkt verschoben). Aus Sicht der Geomantie ist klar: im Konflikt liegt das hohe Potential, welches aber zu einer bestimmten Zeit noch nicht angenommen werden kann. Der Konflikt legt die unbewußten Intentionen frei und schafft damit ein Bewußtsein für die Hintergründe der getroffenen Entscheidung. Ausgerechnet dem massiven Druck der CDU/CSU-Fraktion ist es zu verdanken, dass dieses wesentlichste aller Elemente doch entstand: der Inkarnationsraum, der das Urprinzip des Weiblichen, nämlich Urraum, Gebärraum anzubieten, realisiert. Die Kuppel führt als nun zentrales Symbol in die eigentliche Aufgabe Deuschland´s hinein, geistiger Impulsgeber zu werden (Erfindung, Kultur, Geisteswesen), ermöglicht dem deutschen Volk in Zukunft, Wissens- und Weisheitsträger in toleranter, transparenter, weltoffener Form zu werden, sich andererseits auch zu lösen von einer einseitig technischmentalen Wissenschaftsorientierung (das Ingenieurswesen als Erfolgsfaktor für den Know-How-Export). Foster wiederum ist es zu danken, dass er sich nicht auf die Wiederherstellung der historischen Kuppelform einließ, sondern die jetzige Form erstritt. Die Kuppel Wallots war ein ideologisch geladenes Wahrzeichen bürgerlich-nationalen Machtanspruches gewesen; eine völlige Regression: die "Deckelung" aller Zukunftsimpulse aus dem Geistigen. So ist heute die vielgelobte Kuppel zum Zeichen des "unbestimmten Neuen" (Heinrich Wefing) geworden. Sie ist ästhetisch, ökologisch, symbolisch und geomantisch korrekt, ja überzeugend gestaltet. Das allen offenstehende Kuppelplateau ist nun das, was man einen modernen Kraftort nennen kann. Für mich das unerwartete Geschenk eines Ortes geistiger Heimat inmitten des dezentralen, von den unterschiedlichsten Strömungen impulsierte, von ebenso vielzähligen Genien beeinflußten Berlin. Zentral um die freigehaltenden Mitte liegend, durch welche Licht, aufsteigende Wärme und Lebensenergie strömt, ist es der Gipfelort der Anlage. Ein Ort der Offenheit, aber auch Geborgenheit und Innerlichkeit, ein Ort der Inspiration und Verbundenheit mit Menschen und Geist. Die transparente Kuppel ist zugleich Dachreiter (CHI-Fänger, Anziehungspunkt von Aufmerksamkeit gerade in der Nacht), Wahrzeichen und Korona. Der ganze Baukörper ist nun das Schmuckelement, welches das "Höhere Selbst" der Anlage und damit der Nation ausdrückt (seit den Ägyptern bis zu den europäischen Kaisern ist dies die Funktion der Krone, heute in rudimentärer Form als Hut noch präsent). Die Kuppel schafft mit ihrer Leichtekraft den Ausgleich zum Schweren, zum burgartigen Teil des alten Baukörpers, der Ordnung, Geist des Vergangenen und auch (inzwischen gereinigte) Schwere der Geschichte symbolisiert. Den vier dominanten Ecktürmen - Erde, Machtanspruch, Weltlichkeit entsprechend - wird nun ein Rundelement beigegeben, welches Mittenbildung (klassische Omphalosform der Baukörpers, der im Mittelpunkt des Gesamtbaus liegt), aufstrebende geistige Dynamik (die über Laufstege begehbare Parabolform) und geistige Offenheit durch die Transparenz und Einsichtigkeit vermittelt (die Geisteswelt eines Hitlers hingegen war geschlossen, hermetisch und damit gegen die Moderne, die geistige Freiheit und damit den Humanismus gerichtet). Alle Ängste vor erneuten deutschen Allmachtsphantasien werden hier aufgelöst. Schon jetzt ist sie zum neuen Wahrzeichen Berlins, ja der gesamten "Berliner Republik" geworden, was ihre geomantische Wirksamkeit wesentlich verstärkt. Als YIN-Element im Zentrum schafft die Kuppel Balance, verleiht dem gesamten Staat einen zunehmend weiblichen Aspekt (Die Kuppel wurde schon "Nationalbusen" getauft). Das reine Patriarchat - sicher gut repräsentiert von Adenauer (der Alte), Erhard (Wirtschaftsmacht), Kohl (die leibliche Inkarnation desselben), aber auch Schmidt (nordische Gedankenklarheit verbunden mit Wirtschaftskompetenz) und Brandt (als der Parsival der deutschen Nachkriegspolitik) - wird nun dauerhaft als Herrschaftsprinzip abgelöst und in eine eher integrierte Form überführt. Eine aktuelle Form dieses Impulses ist die axis mundi geomantie und integrale planung 5 Abrechnung mit dem "Denkmal Kohl" und die sicher auch präventiv-schützend eingenommene Haltung des eigentlich zu patriarchalem Gehabe neigenden Schröders, Regierungsarbeit als Moderationsleistung zu etablieren. Seine "Machtworte" als Erfolgsprinzip werden der Vergangenheit angehören müssen, wenn er erfolgreich regieren will. Der Kuppel ist dennoch ein „männliches Element“ beigegeben: der Licht-Konus, der in umgestülpter Form steil zum Zentrum führt ("auf den Punkt kommen"). Der die Kuppel durchdringende Konus (mit 360 Spiegeln) bringt Sonnenlicht in den Plenarsaal (zur Erde), damit die Prinzipien von "Vernunft", "Strahlkraft" und das "Gebende" in den Raum. Der Kuppelbau - ein modernes Lingam-Ioni-Konzept, welches Dynamik, Bewegung und fruchtbringende Ergebnisse von der Politik der kommenden Zeit verspricht. Die nach unten weisende Spitze ist an der letzten Stelle - gottseidank - abgerundet, so dass nur ein leichter "Angriff" auf die Mitte besteht. Die zentralen "Schatten" der Republik werden "unter dem Boden" gehalten und von Lichtkräften beherrscht. Eine moderne Form des "Pfählens", wie es als klassischer geomantischer Akt seit der Seßhaftwerdung menschlicher Kultur besteht, um Geist und Erdkräfte in einen Bezug zu setzen: Lichtgott Apoll vollzieht dies in Delphi, wie im christlichen Kontext der Erzengel Michael den Drachen tötet. Hier ist nun die Lanze in den Bau gedrungen, "berührt", dringt aber nicht verletzend in die Erde. Die Kuppel - Das Volk in der Himmelsleiter Ein ebenso gelungener Wurf ist der Laufsteg zum Gipfel in Form einer sich spiralisierenden Doppelhelix (sie taucht auf, wo gerade aus dem Gemenge von Feng-Shui und westlicher Esoterik sich die Doppelhelix als herausragendes Instrument der Energiesteigerung durchsetzt. Im Sinne der Dynamisierung der vertikalen Kräfte, der Verbindung der Energieflüsse von Oben nach Unten und umgekehrt). Die Idee des "Ganges des Menschen durch die Zeit" entlang der "via sakra" von West nach Ost, wie wir es von der Basilika kennen, wird hier aufgelöst und in eine vertikale Bewegung überführt. Der Mensch selbst steigt auf zum Geistpol und findet anschließend - automatisch - seinen Weg zum Leben zurück. Himmel und Erde - Ideal und Pragmatismus auf der politischen Skala - werden zu einem Ganzen verbunden, ohne in extreme Pole sich zu zerteilen. Denn wir haben sowohl eine lange Phase eines einseitigen Materialismus hinter uns wie den verunglückten (und heute generell bedenklichen) Versuch überlebt, einseitig-esoterischen Impulsen in der Politik Raum zugeben. Eine neues Verhältnis von Ethik, Sozialwesen, wirtschaftlichem Interesse und politischer Bewußtseinsbildung zeichnet sich hier ab. Seit einem Jahr nun strahlt die Kuppel im Sonnenlicht, leuchtet in der Nacht mit den Besuchern als Schatten, die in einem immerwährenden Strom den Auf- und Abstieg zum neuen Gipfel zelebrieren. Die Glashaube, gleich erkennbares und bedeutungsvollstes Zeichen des Neubaus - und damit der neuen politischen Epoche - gleicht einem Kalvarienberg, der beständig sein Innerstes offenbart: eine Himmelsleiter, welche der freie Bürger beschreitet statt der Engel und mythischen Figuren, die sonst die Kuppeln der Welt bevölkern. Überraschend - und mit spielerischer Leichtigkeit - wird hier Demokratie neu erlebbar, neu mit emotionaler Substanz geladen ! "Ich als Mensch und Bürger stehe über der Politik, finde mich im Zentrum wieder, welches ich frei betreten und genießen kann. Mein Sein ist Teil der politischen Wirklichkeit." Ein Ort der Dichter, Denker und Kosmopoliten Nach dem beeindruckenden Rundblick über Berlin auf der Dachterrasse (der dortige Iura-Kalk hebt die Stimmungslage außerordentlich) sind die zum Liegen animierenden Rundsitze auf dem erklommenen Aussichtsplateau auf 40m Höhe im Inneren der Kuppelspitze eine direkte Einladung, zum Himmel zu schauen. Dies im Zentrum einer Anlage, die Bürger besuchen, um sie als profanes politisches Zentrum erlebt zu haben. Als ich selbst das oberste Plateau das erste mal betrat, war ich ergriffen von der offenen, angeregten Atmosphäre, die mich in einen Zustand erregter Freude und geistiger Freiheit versetzte. Das mittige Bankrondell lud mich ein, mich hinzulegen, um den Sternenhimmel zu betrachten (der Reichstag ist gottseidank bis 24 Uhr geöffnet !). Welch einmalige Situation, hier dem Himmel nahe zu sein ! Ganz entspannt entwickelte sich linkerhand ein anregendes Gespräch mit einem unbekannten jungen Mann über die Poesie der Formen, während rechts ein anderer im Handy-Gespräch mit New York vertieft war... axis mundi geomantie und integrale planung 6 Der Himmel über Berlin - Die Kuppel als Inkarnationsraum Die Kuppel ist in der sakralen Architektur immer schon Symbol des Firmaments, des kosmischen Urraumes, der Gebärmutter gewesen. Gleich einem Schädel kann sie einem Geist Raum geben. Radiästhetisch läßt sich diesbezüglich ein über dem Bau stehender Energiekörper wahrnehmen, der über eine Lichtsäule (ESP= Einstrahlender Punkt, vertikales Energiesystem) mit dem Zentrum des "Hohen Hauses" verbunden ist. Eine Seltenheit, eine glückliche Fügung für einen profanen Bau, die nur erklärbar ist durch die Zentralgestalt des Baues wie seine auch zentrale geistige Bedeutung. Bei der Betrachung der Kräftekonstellationen von aussen konnte ich den Geist der Sophia, der göttlichen Weisheit - über dem Bau schwebend - wahrnehmen, erkennbar in ihrer blauen Lichtkorona: die Weisheit, Hüterin des Lebens, des Zyklischen, der schönen Künste und Wissenschaften ist präsent; wenn sich alle gut entwickelt, wird sie sich als Genius verankern im Bau. Der Geist der Sophia als neuer Epochengenius Deutschlands Nach dem - eher kämpferischen, wenn auch gerecht richtenden Erzengel Michael (Prinzip der moralischen Entscheidung, um die Verbindung von "Oben" und "Unten", also von Leben und Geist herzustellen) - und der künstlich erdachten "Germania" ein Landes-Genius nun der sich andeutet, der ein harmonisches, weisheitsvolleres Geschick dieses Landes erhoffen läßt. Die Geomantie der Jetztzeit ist die Kunst Bezeichnend für unseren heutigen Stand in der Geomantie sind die mir bekannt gewordenen Ansätze, die zum Reichstagsneubau entwickelt wurden. Sie reichen von völliger Ignoranz des eigentlich zentralen geomantischen Themas bis zu Ansätzen harmonischer Farbgestaltung oder der Empfehlung, man möge einzelne Wasseradern entstören, die unter dem Bau herfließen. Ganz anders das Projekt "Wrapped Reichstag": Die vordem zusammenhangslose Konzeption der Umhüllung war nun historisch notwendig geworden, um den Bau - ganz im geomantischen Sinne - neu zu prägen, um ihm eine Aura von Poesie, Unschuld und Schönheit zu verleihen. Dazu die Reichstagsjury: "Das Projekt hat eine künstlerische Aussage, die den Reichstag nicht abwertet, sondern ihm eine neue Dimension verleiht: mit der Enthüllung des Reichstagsgebäudes vor dem Umbau zum Bundeshaus wird der Neubeginn in der Geschichte des Baues deutlich gemacht. Das Projekt wird weltweit Aufmerksamkeit und Anerkennung finden und als Zeichen für ein neues, offenes Deutschland stehen." In der Tat: Christo`s Poesie entzauberte den urdeutschen Sumpf aus wilhelminisch-obrigkeitstaatlichem Geist, kleinbürgerlich-deutscher Muffigkeit und nationalsozialistischem Wahn. Das umhüllte Gebäude badete nicht umsonst in einer Woge der Sympathie, das Event wurde wie eine Befreiung empfunden. Das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude nahmen dem Bau tatsächlich die historische Last: die Bewußtseinsfixierung auf das Alte wurde ausgelöscht. Die letzte energetische Reinigung (Sandstein speichert "Patina", veräußerte Lebensenergie) erfolgte dann erst mit den Erschütterungen des Umbaus. Das Gebäude, welches ursprünglich in seiner massiven Klobigkeit und formalen Unsensibilität zu einem Showdown deutscher Untugenden taugte, hat sich nun zu einem neuen Geist emporgeschwungen. Schlußbetrachtung Noch sind nicht alle Faktoren klar: so wird der Ausbau des Aussenraumes als Leiter der Dynamiken in das Gebäude von äußerster Bedeutung sein. Aber jetzt schon kann gesagt werden: Ob nun geomantische Kompetenz oder einfach gute Architektur, ob segensreicher Einfluß während der Kompromisfindungsphase, ob Inspiration eines sicherlich erst noch ganz zu würdigenden Künstlers - der neue Reichstag ist seinem Optimum nahe, was Erlebnißkraft, seine indirekten Einflußnahme auf die Politik, seine höheren Aufgaben für die Gesellschaft betrifft. Ein neuer Ort der Kraft, der erlebbaren Demokratie, der einen Konnex zu weisheitsvollen Impulsgebung schafft, der sichtbar Moderne und Tradition verbindet. Eine segensreiche Mitte des Staatswesens, der Nation. Mit diesem Bau haben wir uns am Ende dieses Jahrhunderts reif gezeigt für das neu zusammenwachsende Europa. Glückwunsch Deutschland ! axis mundi geomantie und integrale planung 7 Der Reichstag ist täglich bis 24. Uhr geöffnet. Eine Muß für jeden Geomanten, jede Geomantin ! Literaturempfehlungen: Michael S. Cullen. Der Reichstag, Parlament, Denkmal, Symbol. Berlin-Brandenburg 1995 Michael S. Cullen. Der Reichstag, Im Spannungsfeld deutscher Geschichte. Berlin-Brandenburg 1999 Christian Bahr. Der neue Bundestag im alten Reichstag. Berlin 1999 Heinrich Wefing. Umbau des Reichstags in Berlin, in: Baumeister 6/1999 Willi Winkler. Das neue Berlin, in: Architektur und Wohnen 3/1999 Günter Peters. Kleine Berliner Baugeschichte, Berlin 1995 axis mundi geomantie und integrale planung 8