Mitbestimmungsrecht bei der Anordnung von Rufbereitschaft

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Mitbestimmungsrecht bei der Anordnung von Rufbereitschaft
VG Saarland v. 2.8.2012 – 9 K 88/12
Mitbestimmungsrecht bei der Anordnung von Rufbereitschaft
Jedenfalls nach dem Saarländischen Personalvertretungsrecht steht dem Personalrat ein
Mitbestimmungsrecht bei der Anordnung von Rufbereitschaft zu. Gleiches gilt auch für die
Personalvertretungsgesetze des Bundes und der Länder, obwohl sie den Begriff „Rufbereitschaft“ nicht
ausdrücklich verwenden.
(Leitsätze der Schriftleitung)
VG Saarland, Beschluss v. 2.8.2012 – 9 K 88/12 – (n.rkr.)
Zum Sachverhalt
Zwischen dem Antragsteller und der Beteiligten ist streitig, ob eine Mitbestimmung des Antragstellers
bei der Anordnung von Rufbereitschaft durch die Beteiligte besteht.
In einem regelmäßigen Besprechungstermin mit dem Antragsteller am 23.11.2011 wurde vom
Antragsteller die Mitbestimmung zur Anordnung von Rufbereitschaft angesprochen und in der
Erörterung mit der Beteiligten problematisiert. Der Antragsteller forderte hierzu stadtinterne
Regelungen insbesondere zur Frage, wie lange vorher Rufbereitschaft anzuordnen sei, wer
herangezogen werde und welche Ausnahmen bestünden. Aus einem dem Antragsteller zur Kenntnis
gegebenen Vermerk der Beteiligten vom 14.12.2011 geht hervor, dass die rechtliche Prüfung ergeben
habe, dass nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte kein Mitbestimmungsrecht des
Personalrats bei der Rufbereitschaft bestehe. Dennoch werde der Personalrat über die Ausgestaltung
der Rufbereitschaft in den betroffenen Bereichen vorab informiert werden mit dem Ziel, Einvernehmen
herzustellen, wobei die Letztentscheidung allerdings bei der Beteiligten verbleiben solle. Für die
Rufbereitschaft im Stadtamt 50 zum Unterbringungsgesetz würden die Dienstpläne für die kommenden
beiden Monate bekanntgegeben und an den Personalrat weitergeleitet.
Der Auffassung, dass es an einem Mitbestimmungsrecht für die Rufbereitschaft fehle, trat der
Antragsteller mit Schreiben vom 22.12.2011 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die „Rufbereitschaft
nach dem UBG beim StA 50“ (Amt für soziale Angelegenheiten) im Einzelnen entgegen, woraufhin die
Beteiligte durch ihr Personal- und Organisationsamt mit Schreiben vom 27.12.2011 verdeutlichte, dass
sie abschließend an ihrer Auffassung festhalte. Bei dieser Auffassung blieb die Beteiligte auch, nachdem
der Antragsteller die gutachterliche Äußerung seines nunmehrigen Prozessbevollmächtigten vom
04.01.2012, mit der das Bestehen eines Mitbestimmungsrechtes insbesondere unter Heranziehung des
Beschlusses des HessVGH vom 29.09.2011, 22 A 73/11.PV, sowie des Bundesarbeitsgerichts vom
21.12.1982, 1 ABR 14/81, und unter Hinweis auf den Umstand, dass das Bundesverwaltungsgericht in
seinem Beschluss vom 23.06.2007, 6 P 7.06, die Frage einer Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung,
in der die Rufbereitschaft jedenfalls nach dem Bundespersonalvertretungsgesetz und vergleichbare
Regelungen
in
den
Personalvertretungsgesetzen
einzelner
Bundesländer
als
nicht
mitbestimmungspflichtig angesehen worden ist, offen gelassen hat, bestätigt wird, eingeholt und ihr
vorgelegt hatte. Mit Schreiben vom 20.02.2011 teilte der Antragsteller der Beteiligten daraufhin mit,
dass er in seiner Sitzung am selben Tag beschlossen habe, die Frage eines Mitbestimmungsrechtes
gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 1 SPersVG im Hinblick auf die Anordnung von Rufbereitschaft einer gerichtlichen
Entscheidung zuzuführen.
Am 02.02.2012 leitete der Antragsteller das vorliegende Beschlussverfahren ein und machte zur
Begründung im wesentlichen geltend, die Beteiligten vertrete zu Unrecht die Ansicht, dass die
Anordnung der Rufbereitschaft nicht der Mitbestimmung des Personalrats unterliege. Nach § 78 Abs. 1
Nr. 1 SPersVG habe der Personalrat mitzubestimmen über Dauer, Beginn und Ende der täglichen
Arbeitszeit einschließlich der Pausen, Festsetzung von Kurz- oder Mehrarbeit sowie Anrechnung der
Pausen und Dienstbereitschaften und alle sonstigen die Dienstdauer beeinflussenden allgemeinen
Regelungen. Die Anordnung von Rufbereitschaft erfülle diesen Mitbestimmungstatbestand, wie dies aus
der Entscheidung des HessVGH vom 29.09.2011, 22 A 73/11 PV, dessen Begründung vollinhaltlich in
Bezug genommen werde, hervorgehe. Auf der Grundlage des Mitbestimmungstatbestands des § 74 Abs.
1 Nr. 9 Hessisches Personalvertretungsgesetz (HPVG) sei dort ausgeführt worden, dass die Anordnung
von Rufbereitschaft für den Winterdienst als Arbeitszeit im Sinne dieser Vorschrift anzusehen sei. Nach
dieser Regelung beziehe sich die Mitbestimmung auf Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und der
Pausen sowie die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage. Davon ausgehend habe der
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HessVGH sich auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 21.12.1982, 1 ABR 14/81,
zu § 87 Abs. 1 Nr. 2 Betriebsverfassungsgesetz, die wortgleich mit der hessischen Regelung sei, bezogen
Dort habe das Bundesarbeitsgericht ausgeführt, dass das aus § 87 Abs. 1 Nr. 2
Betriebsverfassungsgesetz abzuleitende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates auch die Aufstellung
eines sogenannten Rufbereitschaftsplans umfasse. Das Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Lage der
Arbeitszeit solle gewährleisten, dass die Interessen der Arbeitnehmer an der Lage der für sie
verbindlichen Arbeitszeit zur Geltung gebracht werden könne. Die Lage der Arbeitszeit berühre die
Interessen der Arbeitnehmer in erheblicher Weise. Durch Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit
werde gleichzeitig die Freizeit des Arbeitnehmers zeitlich fixiert; es werde festgelegt, welche Zeiten ihm
für die Gestaltung seines Privatlebens zur Verfügung stünden. Von daher sei es gerechtfertigt, auch
Rufbereitschaftszeiten als Arbeitszeit jedenfalls im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 2
Betriebsverfassungsgesetz anzusehen. Sei der Arbeitsnehmer zur Rufbereitschaft verpflichtet, so sei er
dadurch in der Gestaltung seiner Freizeit beschränkt. Er müsse seinen Aufenthaltsort so wählen, dass er
für den Arbeitgeber jederzeit erreichbar sei. Das bedinge in gewissem Umfang eine vorausschauende
Planung der Freizeit, von der abzuweichen nicht ohne weitere möglich sei. Auch wenn der Arbeitnehmer
in der Wahl seines Aufenthaltsorts grundsätzlich frei sei, folge aus dem Sinn und Zweck der
Rufbereitschaft doch, dass der jeweilige Aufenthaltsort noch in angemessener Entfernung zum
Arbeitsort liege, solle der Arbeitnehmer im Bedarfsfalle seine Arbeit unverzüglich aufnehmen können.
Damit sei der Arbeitnehmer an der Lage seiner Rufbereitschaftszeiten grundsätzlich ebenso interessiert,
wie an der Lage seiner Arbeitszeit. Es sei daher gerechtfertigt und geboten, Rufbereitschaftszeiten den
Zeiten der Arbeitszeit im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 2 Betriebsverfassungsgesetz gleichzustellen
unabhängig davon, wie solche Zeiten arbeits- oder vergütungsrechtlich zu bewerten seien. Der
Betriebsrat habe daher auch mitzubestimmen über Beginn und Ende von Rufbereitschaftszeiten und die
Verteilung solcher Zeiten auf die einzelnen Wochentage.
Zu dieser Problematik habe das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 26.04.1988, 6 P
19.86, PersR 1988, 186, entschieden, ohne vorher die Sache gemäß § 2 Abs. 1 RsprEinhG dem
Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes vorzulegen, und dazu ausgeführt, der Senat
halte daran fest, dass die Anordnung von Rufbereitschaft deshalb nicht der Mitbestimmung des
Personalrats unterfalle, weil die Zeit einer Rufbereitschaft keine Arbeitszeit sei, und die Anordnung
daher nicht „Dauer, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit“ im Sinne des § 75 Abs. 1 Nr. 1
Niedersächsisches Personalvertretungsgesetz betreffe. Es sei zwar richtig, dass die Rufbereitschaft mit
einer Einschränkung der Möglichkeiten des Beschäftigten verbunden sei, seine Freizeit nach Belieben zu
gestalten. Er müsse in dieser Zeit bereit sein, auf Abruf die Arbeit aufzunehmen, das heißt er müsse
arbeitsfähig und vom Arbeitgeber jederzeit erreichbar sein. Diese Einschränkung der Freizeitgestaltung
führe jedoch nicht dazu, dass die Zeit der Rufbereitschaft als solche als Arbeitszeit anzusehen sei.
Demgegenüber überzeuge die auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gestützte
Argumentation des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs. Im Gegensatz zur Begründung des
Bundesverwaltungsgericht sei zum Einen die Wahl des Aufenthaltsortes auch bei der Rufbereitschaft
nicht frei, weil sich der Arbeitnehmer in der Nähe seines Arbeitsplatzes aufhalten müsse, um auf Abruf
die Arbeit aufzunehmen. Zum Andern unterstehe der Arbeitnehmer bei der Rufbereitschaft bedingt dem
Direktionsrecht des Arbeitgebers, ohne auf den Eintritt der Bedingung Einfluss zu haben. Der
Arbeitnehmer habe während der Rufbereitschaft keine frei verfügbare und gestaltbare Freizeit, sondern
sei potentiell arbeitspflichtig und nur eingeschränkt in der Lage, soziale Kontakte zu pflegen oder zum
Beispiel ehrenamtlichen Verpflichtungen nachzukommen, weil eine verlässliche Terminplanung im
Privatbereich durch die Anordnung einer Rufbereitschaft unmöglich gemacht werde. Die
Unterscheidung von Arbeits- und Rufbereitschaft im Hinblick auf die Mitwirkungsmöglichkeiten der
Personalvertretung erscheine deshalb als lebensfremd. Es könne keine Rede davon sein, dass der
Arbeitnehmer während seiner Rufbereitschaft den Aufenthaltsort grundsätzlich frei wählen könne,
während dieser bei der Arbeitsbereitschaft durch den Arbeitgeber festgelegt werde, wie das
Bundesverwaltungsgericht zur Begründung ausführe. Der Vollständigkeit halber sei weiter darauf
hinzuweisen, dass das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 23.06.2007, 6 P 7.06,
NVwZ – RR 2008, 119, ausdrücklich offen gelassen habe, ob der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts unter Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung für Angehörige des
öffentlichen Dienstes grundsätzlich zu folgen sei. Bedenke man noch, dass der
Mitbestimmungstatbestand des Saarländischen Personalvertretungsgesetzes weiter gehe als der des
Hessischen Personalvertretungsgesetzes, werde man erst Recht zu dem Ergebnis kommen müssen, dass
die Anordnung der Rufbereitschaft der Mitbestimmung des Personalrats bedürfe.
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Der Antragsteller beantragt, festzustellen, dass die als Rufbereitschaft bezeichnet Anweisung beim Amt
für soziale Angelegenheiten für Maßnahmen nach dem Unterbringungsgesetz durch die Beteiligte dem
Mitbestimmungsrecht des Antragstellers gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 1 SPersVG unterliegt.
Die Beteiligte beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
Zur Begründung beruft sie sich darauf, dass die Anordnung der Rufbereitschaft nicht der
Mitbestimmung unterliege. Das Saarländische Personalvertretungsgesetz enthalte keine ausdrückliche
Regelung, wonach der Personalrat bei der Anordnung der Rufbereitschaft zu beteiligen wäre.
Anknüpfungspunkte für die Beantwortung der aufgeworfenen Fragestellungen im Gesetz seien die
Regelung in § 78 Abs. 1 Nr. 1 SPersVG, wonach Dauer, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit
einschließlich der Pausen, Festsetzung von Kurz- oder Mehrarbeit sowie Anrechnung der Pausen und
Dienstbereitschaft und alle sonstigen die Dienstdauer beeinflussenden allgemeinen Regelungen der
Mitbestimmung des Antragstellers unterfalle, und der Beteiligungstatbestand des § 78 Abs. 2 SPersVG,
wonach sich die Mitbestimmung auf die Grundsätze über die Aufstellung der Dienstpläne beschränke,
wenn für gewisse Angehörige der Dienststelle die tägliche Arbeitszeit nach Erfordernissen, die die
Dienststelle nicht voraussehen könne, unregelmäßig und kurzfristig festgesetzt werden müsse.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei Rufbereitschaft keine
Arbeitszeit sondern Ruhezeit. Nur die tatsächliche Arbeitsleistung innerhalb der Ruhezeit sei Arbeitszeit.
Deshalb sei nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts die Anordnung von Rufbereitschaft nicht
mitbestimmungspflichtig. Dies folge daraus, dass der Beginn der Arbeitszeit nicht von der Anordnung
der Rufbereitschaft abhänge, sondern erst von einer besonderen Weisung der Dienststelle, dem
„fernmündlichen Abruf zum Einsatzort“. Erfolge dieser Abruf nicht, weil es keine Notwendigkeit des
Einsatzes gebe, ergebe sich während der Rufbereitschaft keine Arbeitszeit. Dies gelte auch dann, wenn
für die Rufbereitschaft Dienstpläne aufgestellt würden. Auch das Mitbestimmungsrecht bei
Grundsätzen zur Aufstellung von Dienstplänen greife nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts
nur dann, wenn durch Dienstpläne Beginne, Ende und Dauer der Arbeitszeit geregelt würden, was bei
Dienstplänen für Rufbereitschaft nicht der Fall sei. Damit stehe die Auffassung in der Kommentierung
von Aufhauser/u.a. zum Saarländischen Personalvertretungsgesetz, wonach die Rufbereitschaft der
Dienstbereitschaft zuzurechnen sei, im ausdrücklichen Widerspruch zur höchstrichterlichen
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
Ein Mitbestimmungsrecht resultiere auch nicht aus der Formulierung in § 78 Abs. 2 SPersVG, weil diese
sich auf alle sonstigen die Dienstdauer beeinflussenden allgemeinen Regelungen beziehe. Zu der
wortgleichen Regelung im Hessischen Personalvertretungsgesetz habe das Bundesverwaltungsgericht
in seiner Entscheidung vom 30.01.1996, 6 PV 50.93, ausgeführt, dass die Dienstdauer nicht mit der
Arbeitszeit gleichzusetzen sei. Eine die Dienstdauer beeinflussende Regelung könne somit auch dann
vorliegen, wenn sie keine Regelung der Arbeitszeit enthalte. Das Bundesverwaltungsgericht habe jedoch
klargestellt, dass die Anordnung der Rufbereitschaft als solche auch die Dienstdauer nicht beeinflusse,
da weder die festgelegte Dienstzeit in den einzelnen Arbeitszeiten noch die konkrete zeitliche
Dienstverpflichtung innerhalb dieses Zeitrahmens beeinflusst werde. In einer neueren Entscheidung
vom 23.08.2007, 6 P 7.06, lasse das Bundesverwaltungsgericht angesichts der die Mitbestimmung bei
der Rufbereitschaft nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 Betriebsverfassungsgesetz bejahenden Entscheidung des
Bundesarbeitsgerichts dahinstehen, ob dessen Rechtsprechung unter Aufgabe der bisherigen
Senatsrechtsprechung für Angehörige des öffentlichen Dienstes grundsätzlich zu folgen sei. Eine
Aufgabe der ständigen Rechtsprechung sei indes bisher nicht erfolgt.
Soweit sich der Antragsteller auf die Entscheidung des HessVGH vom 29.09.2011 beziehe, bringe diese
Entscheidung keine Argumente, die nicht auch dem Bundesverwaltungsgericht bei seinen
Entscheidungen bekannt gewesen seien. Es möge durchaus Argumente geben, auch die Rufbereitschaft
und nicht nur die Arbeitsbereitschaft der Mitbestimmung zu unterwerfen. Der saarländische
Gesetzgeber habe dies – auch bei der Neuregelung vom 19.11.2008 – aber nicht getan. Weiterhin
unterlägen nur Regelungen, die die Arbeitszeit beträfen, der Mitbestimmung.
Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen
Verwaltungsunterlagen der Beteiligten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug
genommen.
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Aus den Gründen
Vorab ist klarzustellen, dass sich der Feststellungsantrag des Antragstellers auf die bei der Beteiligten
kontinuierlich praktizierten Maßnahmen der „Rufbereitschaft bezüglich Unterbringungsmaßnahmen
nach dem Unterbringungsgesetz (UBG)“ im Amt für soziale Angelegenheiten bezieht und aus der
Anordnung der Beteiligten vom 22.06.2012 aktuell für den Zeitraum zwischen dem 30.06.2012 und dem
26.08.2012 hervorgeht. Im Hinblick auf diese bereits im vorgerichtlichen Schriftverkehr problematisierte
Maßnahme beim Stadtamt 50 (vgl. das Schreiben des Antragstellers vom 22.12.2011 an das Stadtamt
11 und die E-Mail des Stadtamtes 11 vom 14.12.2011, Bl. 6, 4 BA) versteht die Kammer bei verständiger
Würdigung den ausdrücklich hierauf bezogenen Antrag des Antragstellers in der mündlichen
Verhandlung als Klarstellung des in der Antragsschrift vom 01.02.2012 gestellten, allgemein auf die
„Anordnung von Rufbereitschaft“ gerichteten Antrags.
Der so verstandene Antrag ist ungeachtet des Umstandes, dass die Beteiligte nach ihren unbestrittenen
Angaben den Antragsteller über die Anordnung von Rufbereitschaft vorab informiert mit dem Ziel,
Einvernehmen herzustellen, sich aber die Letztentscheidung vorbehält (vgl. die u.a. E-Mail vom
14.12.2011, Bl. 3 BA), zulässig, da diese Form der Beteiligung des Antragstellers hinter der von ihm
begehrten Mitbestimmung auf der Grundlage von § 78 Abs. 1 Nr. 1 SPersVG zurückbleibt und damit ein
Rechtsschutzinteresse besteht, zulässig und nach Maßgabe des klargestellten Antrags auch begründet.
Zu Recht macht der Antragsteller geltend, dass ihm das von der Beteiligten verweigerte
Mitbestimmungsrecht nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 SPersVG bei der Anordnung von „Rufbereitschaft bezüglich
Unterbringungsmaßnahmen nach dem Unterbringungsgesetz (UBG)“, wie sie die Beteiligte ständig –
für den Zeitraum um die mündliche Verhandlung der Kammer mit Anordnung vom 22.06.2012 - verfügt,
vorbehaltlich einer hier nicht abschließend zu prüfenden Letztentscheidungsbefugnis der
Einigungsstelle im Mitbestimmungsverfahren nach §§ 73, 75 SPersVG uneingeschränkt zusteht. Im
Einzelnen ergibt sich dies aus folgenden Erwägungen:
Nachdem die Beteiligte im Unterschied zu den Dienstbereitschaften davon ausgeht, dass
Rufbereitschaften nicht von der Mitbestimmung nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 SPersVG erfasst werden, spricht
der abschließende Hinweis in der dem Verfahren zugrunde liegenden Anordnung, wie sie aktuell im
Schreiben vom 22.06.2012 getroffen worden ist, dafür, dass es sich bei der Anordnung ungeachtet der
dortigen Verwendung des Wortes „Rufbereitschaft“ eigentlich um die Anordnung von Dienst handelt.
Dort wird „abschließend ... nochmals darauf hingewiesen, dass die Mitarbeiter nur in Eilfällen und
ausschließlich während der Rufbereitschaft von 10.00 Uhr bis 12.00 Uhr im Dienst sind.“ Aus der
Verwendung der Worte „von 10.00 Uhr bis 12.00 Uhr im Dienst“ lässt sich schließen, dass die Beteiligte
für diesen Zeitraum von Dienstzeit ausgeht und damit die Arbeitszeit der jeweiligen Beschäftigten
unmittelbar angesprochen ist. Die Erwähnung von „Eilfällen“ stellt dabei nicht zwingend eine
Einschränkung dar, weil in der festgelegten Zeit an die jeweiligen Beschäftigten telefonisch
herangetragene Lebenssachverhalte regelmäßig auch der Prüfung im Rahmen der für die Betroffenen
einschneidenden Befugnisse nach dem Unterbringungsgesetz bedürfen, ob es sich wirklich um Eilfälle
handelt. Die dem Schreiben zu entnehmende, möglicherweise missverständliche Wortwahl bedarf hier
indes keiner die Entscheidung alleine tragenden abschließenden Bewertung.
Denn auch dann, wenn abweichend von diesem Verständnis der o.a. Formulierungen im Schreiben vom
22.06.2012 von der Anordnung von Rufbereitschaft ausgegangen wird, ist diese nach dem
Saarländischen Personalvertretungsgesetz mitbestimmungspflichtig.
Rechtsgrundlage für den von dem Antragsteller geltend gemachten Anspruch ist § 78 Abs. 1 Nr. 1
SPersVG. Nach § 78 Abs. 1 SPersVG hat der Personalrat mitzubestimmen in den dort aufgeführten
Angelegenheiten, solange nicht eine gesetzliche oder tarifliche Regelung für die jeweiligen
Angelegenheiten besteht. Für die vorliegend fragliche arbeitszeitliche bzw. dienstzeitliche Regelungen
betreffende Anordnung bestehen über die allgemeinen tariflichen Arbeitszeitregelungen und die
Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes sowie der Arbeitszeitverordnung, die allgemein zu beachten sind,
hinaus keine speziellen, die Rufbereitschaft betreffenden Regelungen bei der Beteiligten. In ihrem
Bereich sind daher mitbestimmungspflichtige Maßnahmen unter Beachtung von § 78 Abs. 1 Nr. 1
SPersVG möglich, wobei Personalrat und Dienststelle auch entsprechende Dienstvereinbarungen treffen
können und dem Antragsteller - soweit der Mitbestimmungstatbestand reicht - auch ein Initiativrecht
auf der Grundlage von § 73 Abs. 2 SPersVG zusteht.
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Der Mitbestimmungstatbestand nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 SPersVG bezieht sich auf „Dauer, Beginn und
Ende der täglichen Arbeitszeit, wozu ausweislich des in der Vorschrift verwendeten Wortes
„einschließlich“ die Pausen, die Festsetzung von Kurz- oder Mehrarbeit sowie die Anrechnung der
Pausen und Dienstbereitschaften und „alle sonstigen die Dienstdauer beeinflussenden allgemeinen
Regelungen“ gehören. Aus der Verwendung der Begriffe „Dauer, Beginn und Ende der täglichen
Arbeitszeit“ wird deutlich, dass diese sich auf „die tägliche Arbeitszeit“ beziehenden Worte ersichtlich
auf eine umfassende Beteiligung an den arbeitszeitlichen Regelungen innerhalb der Dienststelle
abzielen. Das der Vorschrift ausdrücklich zu entnehmende Merkmal der „Dauer“ der täglichen
Arbeitszeit wird bereits durch das Begriffspaar „Beginn und Ende“ der täglichen Arbeitszeit bestimmt
und in den Mitbestimmungstatbestand einbezogen. Sieht man in dem ungeachtet dessen verwendeten
Begriff der „Dauer“ nicht lediglich eine - an sich nicht erforderliche - Doppelung der Einbeziehung der
zeitlichen Dimension der täglich zu erbringenden Arbeitspflicht, ist der vom Gesetzgeber gewählten
ausdrücklichen Nennung der Dauer jedenfalls die Tendenz zur umfassenden Einräumung des
Mitbestimmungsrechts für die Personalvertretung abzuleiten. Diese Tendenz wird vollends bestätigt
durch das weitere Tatbestandsmerkmal: „alle sonstigen die Dienstdauer beeinflussenden allgemeinen
Regelungen.“ Mit ihm räumt der Gesetzgeber bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift dem Personalrat
eine umfassende Mitbestimmungsposition ein, die eine Begrenzung alleine in den Fällen des § 78 Abs. 2
SPersVG findet.
Mit der so getroffenen Regelung hat er alle diejenigen allgemeinen Regelungen, die über die der
Formulierung vorausgehenden Aufzählung von die tägliche Arbeitszeit bestimmenden
Tatbestandsmerkmalen hinausgehen, in die Mitbestimmung einbezogen, sofern sie sonst Einfluss auf
die Dienstdauer haben. Weiter fällt hierzu auf, dass der Gesetzeswortlaut in diesem Zusammenhang
nicht alleine auf die Dauer der täglichen Arbeitszeit sondern auf die „Dienstdauer“ abstellt und damit
einen weitergehenden Begriff als den der konkreten Arbeitszeit anspricht. Der Begriff der Dienstdauer
bezieht sich, wenn er nicht mit dem der Arbeitszeit gleichgesetzt wird, wozu angesichts der
Verwendung der beiden unterschiedlichen Begriffe in derselben Norm kein Anlass besteht, auf die dem
betroffenen Beschäftigten obliegende Dienstverpflichtung im umfassenden Sinn bei seiner Tätigkeit im
öffentlichen Dienst (vgl. hierzu § 4 SPersVG). Wird dieses Verständnis zugrunde gelegt, erschließt sich
ohne Weiteres, dass der hier fragliche Mitbestimmungstatbestand sich zugleich auf Rufbereitschaften
bezieht, auch wenn diese selbst nicht zur Arbeitszeit gezählt werden. Wird als zur Dienstdauer gehörend
auch das Bereithalten zur jederzeitigen Ausübung der Dienstpflicht innerhalb der Rufbereitschaftszeit
verstanden, gehört die Rufbereitschaft zu denjenigen Maßnahmen, die geeignet sind, die Dienstdauer
zu beeinflussen. Dem entspricht es, dass mit der Anordnung von Rufbereitschaft für einen bestimmten
Zeitraum zugleich der Beginn der täglichen Arbeitszeit innerhalb der Rufbereitschaftszeit jedenfalls
bedingt festgesetzt und damit auch der Beginn der Dauer der Arbeitszeit festgelegt wird. Muss der
Beschäftigte nämlich in dieser Zeit jederzeit mit dem „Ruf“ des Dienststellenleiters rechnen, bestimmt
dieser den Beginn der Arbeitszeit, wenn der „Ruf“ erfolgt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die
Rufbereitschaft der Erfüllung der Aufgaben der Dienststelle dient und diese zugleich angeordnet ist,
weil der Dienststellenleiter mit dem jederzeitigen Erfordernis der Arbeitsaufnahme rechnet bzw.
rechnen muss.
Diesem aus dem Wortlaut der Vorschrift abgeleiteten Befund entspricht die Feststellung im Beschluss
des OVG Saarland vom 15.02.2001, 5 W 2/00, AS 29, 160, 163, nach der § 78 Abs. 1 Nr. 1 SPersVG „soweit
es um innerdienstliche Maßnahmen der Arbeitszeitverteilung geht, weitreichend alle“ die Dienstdauer
beeinflussenden allgemeinen Regelungen umfasst. Zwar ist darüber hinaus dem Beschluss keine
weitergehende Auslegung der Vorschrift zu entnehmen; dennoch geht das Oberverwaltungsgericht
offensichtlich von einer umfassenden („weitreichend alle“) Regelung aus. Dem entspricht auch der Blick
auf den historischen Normzweck an Hand der Gesetzesmaterialien, dem die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts bei der Gesetzesauslegung besonderen Stellenwert beimisst (vgl. dazu etwa
BVerfG, NJW 2012, 669, 671, und Fleischer, NJW 2012, 2087, m. w. N.).
Der Begründung des Gesetzentwurfes der CDU-Landtagsfraktion vom 06.04.1972, LT-Drucks. 6/827, S.
47, ist nämlich zu entnehmen, dass der Entwurf insgesamt zum Ziel hat „ein Personalvertretungsrecht
zu schaffen, das den Erfordernissen der modernen Leistungsgesellschaft entspricht.“ Weiterhin wird
ausgehend von dieser gesetzgeberischen Grundentscheidung betont, in dem Entwurf werde „die
Stellung der Personalräte erheblich gestärkt“ und der Mitbestimmungskatalog „so ausgeweitet, dass
eine echte Partnerschaft zwischen Dienstherrn und Belegschaft garantiert“ sei.
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Kann mithin nicht übersehen werden, dass die Anordnung von Rufbereitschaft - zumindest was den
Beginn der täglichen Arbeitszeit betrifft - als allgemeine Regelung die Dienstdauer beeinflusst, ist davon
auszugehen, dass der Mitbestimmungstatbestand zugleich auch die Rufbereitschaften neben den
Dienstbereitschaften umfasst. Die Definitionen der Dienstbereitschaft und der Rufbereitschaft beziehen
sich sämtlich auf Anordnungen des Arbeitgebers, die die Bereitschaft, den Dienst aufzunehmen,
außerhalb der regulären Arbeitszeit betreffen. Gemäß § 7 Abs. 3 TVöD/TV-L leisten Beschäftigte
Dienstbereitschaft, die sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an
einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufhalten, um im Bedarfsfalle die Arbeit aufzunehmen.
Rufbereitschaft leisten gemäß Abs. 4 der jeweiligen Vorschrift Beschäftigte, die sich auf Anordnung des
Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer dem Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle
aufhalten, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen. Sie wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass
Beschäftigte vom Arbeitgeber mit einem Mobiltelefon oder einem vergleichbaren technischen
Hilfsmittel ausgestattet sind. Für Beamtinnen und Beamte gilt nach § 9 Arbeitszeitverordnung (AZVO)
vom 18.05.1999, Amtsbl. 1999, 854 (letzte Änderung: Amtsbl. 2006, 174), dass Rufbereitschaft dann
gegeben ist, wenn sich die Beamtin oder der Beamte außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit in der
Wohnung, an einem anderen anzugebenden Ort oder über Funk (z.B. Funkrufempfänger, Funktelefon)
jederzeit erreichbar bereithalten muss, um auf Abruf den Dienst aufzunehmen. Diese dem Absatz 1 der
Vorschrift zu entnehmende Regelung wird ergänzt durch die in den Absätzen 2 und 3 enthaltenen
Regelungen über den Ausgleich der „Zeit der Rufbereitschaft“ durch Freizeit, wobei dieser Ausgleich für
die Rufbereitschaftszeit lediglich zu einem Teil gewährt wird und - zu einem anderen Teil - auch die Zeit
in der Rufbereitschaft über Funk trifft. Ebenso sind dort Regelungen getroffen für den Fall einer
zusätzlichen Anrechnung als Rufbereitschaft bzw. Nichtberücksichtigung einer Inanspruchnahme durch
Rufbereitschaft von nicht mehr als 32 Stunden.
Insbesondere die letztgenannte beamtenrechtliche Regelung verdeutlicht, dass die arbeitszeitrechtliche
Regelung die Anrechnung von Ausgleichszeiten durch Freizeit ermöglicht und sich diese
Ausgleichszeiten nicht alleine auf diejenigen Zeiten beziehen, in denen innerhalb der
Rufbereitschaftszeit Arbeitszeit anfällt, sondern auf die Zeit der Rufbereitschaft insgesamt. Daher sind
die Regelungen zu beachten, die sowohl die Dienstdauer als auch die Dauer der täglichen Arbeitszeit im
Sinne von § 78 Abs. 1 Nr. 1 SPersVG zu beeinflussen geeignet sind. All das spricht angesichts des weiten
Beteiligungsbegriffes
des
Saarländischen
Personalvertretungsgesetzes
für
ein
volles
Mitbestimmungsrecht des Antragstellers bei der Anordnung von Rufbereitschaft. Alleine der Hinweis
auf die definitorischen Unterschiede von Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft steht dem nicht
entgegen, da hieraus eine Begrenzung der Beteiligung des Personalrates nach dem Saarländischen
Personalvertretungsgesetz nicht abzuleiten ist. Sowohl die beamtenrechtlichen Arbeitszeitregelungen
als auch die Definitionen von Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft in § 7 Abs. 3 und 4 TVöD/TV-L
sagen nämlich noch nichts darüber aus, ob der Mitbestimmungstatbestand ausgeschlossen ist, weil die
Rufbereitschaft auf Zeiten außerhalb der Arbeitszeit begrenzt ist. Die dortigen Regelungen betreffen
nämlich die Arbeitszeit an sich und nicht diejenigen Faktoren, die, wie dies die saarländische
personalvertretungsrechtliche Regelung in den Blick nimmt, Dauer, Beginn und Ende also auch die Lage
der Arbeitszeit innerhalb der Freizeit zu beeinflussen vermögen. Ebenso wenig steht der hier
gefundenen Bewertung entgegen, dass das Arbeitszeitgesetz die Rufbereitschaft arbeitszeitrechtlich
nicht als Arbeitszeit zählt (vgl. dazu Dörring/Kutzki (Hrsg.), TVöD-Kommentar, 2007, § 7 AT Rdnr. 32),
zumal gemäß § 19 ArbZG durch die zuständige Dienstbehörde bei Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben
im öffentlichen Dienst, soweit keine tarifvertragliche Regelung besteht, die für Beamte geltenden
Bestimmungen über die Arbeitszeit auf die Arbeitnehmer übertragen werden können und insoweit die
§§ 3 bis 13 ArbZG keine Anwendung finden.
Einer Mitbestimmung des Antragstellers bei der hier fraglichen Rufbereitschaft steht auch die von der
Beteiligten für ihre Auffassung herangezogene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
wonach im Unterschied zur Auffassung des Bundesarbeitsgerichts Rufbereitschaft nicht zur Arbeitszeit
gehört, nicht entgegen. Hierzu ist vorab klarzustellen, dass nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts ( vgl. den Beschluss vom 16.11.1999, 6 P 9/98, zitiert nach juris, Rdn. 21).
Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft je nach Abfassung der gesetzlichen Beteiligungskataloge in den
einzelnen Personalvertretungsgesetzen durchaus zu den mitbestimmungspflichtigen Maßnahmen
gehören können. Dazu wird ausgeführt, dass in den Fällen, in denen das Bundesverwaltungsgericht bei
der Anordnung von Rufbereitschaft ein Mitbestimmungsrecht des Personalrates verneint habe, dies in
Anwendung und Auslegung des jeweiligen Katalogtatbestandes geschehen sei und eine generelle
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Aussage des Inhalts, bei Rufbereitschaft scheide ein Mitbestimmungsrecht ungeachtet der jeweiligen
einschlägigen Normierung in jedem Falle aus, damit nicht verbunden gewesen sei. Hieraus folgt
einerseits, dass es auf die unterschiedliche Definition von Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst, was
die personalvertretungsrechtliche Fragestellung anbelangt, nicht entscheidend ankommt. Weiter folgt
daraus, dass die von der Beteiligten herangezogene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
(vgl. die Beschlüsse vom 01.06.1987, 6 P 8.85, vom 02.09.1988, 6 P 23.86 und vom 26.04.1988, 6 P 19.86,
zitiert nach juris) sich auf die Regelungen im Bundespersonalvertretungsgesetz bzw. im
Niedersächsischen Personalvertretungsgesetz beziehen, die mit der Regelung in § 78 Abs. 1 Nr. 1
SPersVG nicht vergleichbar sind, weil sie jedenfalls die dort enthaltene Klausel, dass „alle sonstigen die
Dienstdauer beeinflussenden allgemeinen Regelungen“ als mitbestimmungsbegründendes
Tatbestandsmerkmal zu berücksichtigen ist, gerade nicht enthalten. Daher unterscheiden sich die
gesetzlichen Regelungen grundlegend und kann diese Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
für die Auslegung der hier fraglichen Regelung des Saarländischen Personalvertretungsgesetzes gerade
nicht herangezogen werden.
Einschlägig ist indes die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.01.1996 (6 P 50.93, zitiert
nach juris, zu § 74 Abs. 1 Nr. 9 Hessisches Personalvertretungsgesetz vom 24.03.1988), wie sie bis zum
26.10.2005 gültig war (vgl. juris) und ebenfalls das Tatbestandsmerkmal „und alle sonstigen die
Dienstdauer beeinflussenden allgemeinen Regelungen“ enthalten hat, ohne allerdings vor die Worte
„Beginn und Ende“ das Wort „Dauer“ zu setzen, in der diese Regelung als eine Art Auffangtatbestand
ausgelegt wird. In jener Entscheidung ist dazu weiter dargelegt, dass der Begriff der Dienstdauer, der im
Arbeitszeitrecht unbekannt sei, nicht mit dem der Arbeitszeit gleichzusetzen sei. Die Arbeitszeit sei in
§ 2 Abs. 1 Satz 1 ArbZG als Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit, ohne Ruhepausen, definiert.
Dagegen sei der Begriff der Dienstdauer in der hessischen Vorschrift zum einen mit dem Dienstzeitraum
gleichzusetzen, in dem die Dienststelle den Beschäftigten zur Dienstleistung geöffnet sei, d.h. die durch
die Festsetzung von Beginn und Ende sowie die mögliche Anordnung von Mehrarbeit, Überstunden oder
Kurzarbeit bestimmte Dienstzeit an den einzelnen Tagen, und zum anderen die konkrete zeitliche
Dienstleistungsverpflichtung der einzelnen Beschäftigten innerhalb dieses Zeitraums, einschließlich der
auf sie anzurechnenden Pausen und Zeiten der Dienstbereitschaft. Davon ausgehend sei die Regelung
über die Ausgestaltung der Rufbereitschaft deshalb gemäß § 74 Abs. 1 Nr. 9 HessPersVG a.F.
mitbestimmungspflichtig, weil sie die Dienstdauer beeinflusse. Nach dem Wortlaut und nach Sinn und
Zweck dieses Mitbestimmungstatbestandes sei es nicht erforderlich, dass durch die Anordnung der
Rufbereitschaft die Dienstdauer unmittelbar geregelt werde. Es reiche aus, wenn sie mittelbar
Auswirkung auf die Dienstdauer habe. Dies ergebe sich aus dem Begriff der Beeinflussung. Er besage,
dass jede allgemeine Regelung mitbestimmungspflichtig sei, die Auswirkungen auf die Dienstdauer im
weitesten Sinne habe. Wenn die anderen in dieser Vorschrift aufgeführten Tatbestände, nämlich
„Beginn und Ende der Arbeitszeit“, „allgemeine Regelung zur Festsetzung von Kurz- und Mehrarbeit“,
„Anrechnung der Pausen und Dienstbereiten“, den Inhalt in den Umfang des Mitbestimmungsrechts
genau und abschließend erfassten, sei der Begriff „alle sonstigen die Dienstdauer beeinflussenden
allgemeinen Regelungen“ offensichtlich als Auffangtatbestand für alle allgemeinen Regelungen der
Dienststelle gedacht, die im weitesten Sinne Auswirkung auf die Dienstdauer haben könnten und die
nicht von den vorangehenden, in § 74 Abs. 1 Nr. 9 HessPersVG a.F. aufgeführten
Mitbestimmungstatbeständen erfasst seien. Der Gesetzgeber habe offensichtlich bewusst eine
umfassendere Regelung treffen wollen, als in § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG, der den letztgenannten Passus
nicht enthalte.
Daraus ist zu folgern, dass die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bezogen auf
vergleichbare Regelungen, wie der des Saarländischen Personalvertretungsgesetzes ebenfalls für die
oben gefundene Auslegung spricht. Soweit in jener Entscheidung darüber hinaus a. a. O., juris, Rdn. 32
ff. dargelegt wird, dass eine die Dienstdauer beeinflussende Regelung nur dann bestehe, wenn für die
Rufbereitschaft ein Freizeitausgleich gewährt werde bzw. eine Beeinflussung der Dienstdauer nicht
gegeben sei, wenn die Rufbereitschaft mit einer Überstundenvergütung für diese Zeit verbunden sei,
steht dies dem gefundenen Ergebnis bezogen auf das Saarländische Personalvertretungsgesetz nicht
entgegen.
Gemäß den Erkenntnissen in der mündlichen Verhandlung der Kammer ist hier fallbezogen davon
auszugehen, dass die Anordnung der Rufbereitschaft selbst weder einen Freizeitausgleich noch eine
Überstundenvergütung auslöst und nur dann, wenn innerhalb der Rufbereitschaftszeit eine
Inanspruchnahme des Rufbereitschaft leistenden Beschäftigten tatsächlich erfolgt, der Ausgleich für die
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VG Saarland v. 2.8.2012 – 9 K 88/12
erst dann von der Beteiligten angenommenen Arbeitszeit über das Arbeitszeitkonto des jeweiligen
Beschäftigten im Rahmen der praktizierten gleitenden Arbeitszeit erfolgt. Nimmt man dies in den Blick,
steht jedenfalls die aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hervorgehende Ablehnung
der Einbeziehung von Rufbereitschaft in den Auffangtatbestand auf der Grundlage der o.a. hessischen
Regelung der Annahme des Mitbestimmungsrechts nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 SPersVG nicht entgegen, da
im vorliegenden Fall jedenfalls Freizeitausgleich und keine Überstundenvergütung zu gewähren ist. Im
Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die fragliche saarländische Regelung, wie oben dargelegt, über die
jener Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde liegende, inzwischen außer Kraft gesetzte
hessische Regelung hinausgeht.
Selbst wenn der so gefundenen Auslegung des § 78 Abs. 1 Nr. 1 SPersVG durch die Kammer nicht gefolgt
wird, sprechen jedenfalls die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (vgl. das Urteil vom 21.12.1982,
1 ABR 14/81, BAGE 41, 200 und des HessVGH, vgl. den Beschluss vom 29.09.2011, 22 A 73/11. PV, juris),
die zur geänderten Fassung des Hessischen Personalvertretungsgesetzes, in der der fragliche
Auffangtatbestand inzwischen gestrichen worden ist, nach Auffassung der Kammer für das Bestehen
eines Mitbestimmungsrechtes auch bei der Rufbereitschaft. Die dortigen, im vorliegenden Verfahren
von den Verfahrensbeteiligten vorgetragenen bzw. problematisierten Gründe überzeugen die Kammer
und sprechen für die Einbeziehung der Anordnung der Rufbereitschaft in den
Mitbestimmungstatbestand bei sozialen Angelegenheiten bezogen auf Arbeitszeit bzw. Freizeit der
Beschäftigten. Insbesondere der Auffassung des HessVGH, wonach die Wahl des Aufenthaltsortes auch
bei der Rufbereitschaft nicht frei sei, weil sich der Arbeitnehmer in der Nähe seines Arbeitsplatzes
aufhalten müsse, um überhaupt auf Abruf seine Arbeit aufnehmen zu können, sprechen für dieses
Ergebnis. Es ist nämlich offensichtlich, dass mit der Rufbereitschaft die frei verfügbare und gestaltbare
Freizeit eingeschränkt wird, weil eine verlässliche und freie Terminplanung im privaten Bereich
zumindest partiell unmöglich gemacht wird. Das gilt auch dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – die
Rufbereitschaft nur für zwei Stunden am Tag besteht. Auch dadurch wird die freie Planbarkeit der
Freizeit – u. U. für den ganzen Tag – beeinträchtigt. Das gilt weiter unter Berücksichtigung des
Umstandes, dass der Rufbereitschaft leistende Arbeitnehmer telefonisch erreichbar ist und unter
Umständen seine Arbeitspflicht auch telefonisch oder mit sonstigen Hilfsmitteln von zu Hause aus oder
auch von unterwegs nachkommen kann, etwa wenn die Rufbereitschaft sich darauf beschränkt,
telefonische Anweisungen zu geben; bei vernünftiger Betrachtung ist dies aber eher die Ausnahme und
nicht der typische Fall, wie sich die Dienststellenleitung Rufbereitschaft und Ausübung der dienstlichen
Tätigkeit nach einem in dieser Zeit ergangenen Ruf vorstellen kann und muss. Die vom Beschäftigten
verlangte Arbeitstätigkeit soll vielmehr so ausgeübt werden, als würde sich der Arbeitnehmer am
Arbeitsort befinden. Dazu gehört es, dass auch dann, wenn grundsätzlich telefonische Erledigung
möglich sein sollte, ein Rückgriff auf Akten oder technische Kommunikationsmöglichkeiten, wie sie nur
in der Dienststelle selbst vorhanden sind, erforderlich sein kann. Gerade am hier aufgeworfenen Fall der
Rufbereitschaft für Entscheidungen nach dem Unterbringungsgesetz wird dies besonders deutlich, da
diese die Prüfung der an die Unterbringungsbehörde herangetragenen Umstände ebenso erfordert, wie
eine rechtsverbindliche Entscheidung bzw. Antragstellung bei Gericht. Wenn sich dies im Einzelfall auf
eine telefonische Erledigung, etwa im Falle, dass die Einleitung einer Unterbringungsmaßnahme nicht
als erforderlich angesehen wird, beschränkt, erfordert ein gesetzeskonformes verantwortliches
Vorgehen regelmäßig die Präsenz des betreffenden Beschäftigten am oder in erreichbarer Nähe zum
Dienstort, damit er jederzeit von der Dienststelle aus tätig werden kann. Ist die Rufbereitschaft
demnach im vorliegenden Fall entscheidend dadurch geprägt, dass mit ihr eine Einschränkung der
Freizeitmöglichkeiten verbunden ist, kann ihr eine Beeinflussung der Dienstzeit im Sinne des Gesetzes
nicht abgesprochen werden. Zweck der Mitbestimmung des Personalrats bei Arbeitszeitregelungen ist
es nämlich, die Interessen der Beschäftigten auch an der Festlegung der Freizeit für die Gestaltung ihres
Privatlebens zur Geltung zu bringen (vgl. Altvater/Baden/Kröll/Lemcke/Peiseler, BPersVG, 7. Auflage
2011, § 75 Rdn. 118, m. w. N.).
Dabei ist zu berücksichtigen, dass, wie dargelegt, der saarländische Gesetzgeber mit seinen Regelungen
eine echte Partnerschaft zwischen Dienstherrn und Belegschaft sicherstellen wollte. Da die gesetzlichen
Regelungen danach den Erfordernissen der modernen Leistungsgesellschaft Raum bieten sollen,
gewinnt auch eine Beeinflussung des Freizeitwertes durch die Dienstdauer beeinflussende Maßnahmen
entscheidende Bedeutung, zumal seit Erlass des Gesetzes im Jahre 1972 und in Folge der
zwischenzeitlichen Entwicklung der in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich genannten „modernen
Leistungsgesellschaft“ (etwa in ihrer Ausprägung als Konsumgesellschaft) sowohl der Freizeitwert als
auch die erweiterten Möglichkeiten der Freizeitgestaltung (bis hin zu kurzfristig buchbaren
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VG Saarland v. 2.8.2012 – 9 K 88/12
Tagesflugreisen ins Ausland) erheblichen Stellenwert erlangt haben. Bei allem ist auch zu
berücksichtigen, dass der saarländische Gesetzgeber in Kenntnis der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts
zur
vergleichbaren
früheren
Regelungen
im
Hessischen
Personalvertretungsgesetz und auch im Hamburgischen Personalvertretungsgesetz (vgl. den Beschluss
vom 08.07.2003, 6 P 5.03, juris -Rdn. 11) auch angesichts mehrfacher zwischenzeitlicher Änderungen
des Saarländischen Personalvertretungsgesetzes die zugrunde liegende Vorschrift unverändert
beibehalten hat.
Das demnach festzustellende Mitbestimmungsrecht des Antragstellers wird auch nicht durch § 78
Abs. 2 SPersVG eingeschränkt, da die dortige Regelung voraussetzt, dass die tägliche Arbeitszeit nach
Erfordernissen, die die Dienststelle nicht voraussehen kann, unregelmäßig und kurzfristig festgesetzt
werden muss. Nur in diesem Falle beschränkt sich die Mitbestimmung auf die Grundsätze über die
Aufstellung der Dienstpläne. Dies ist hinsichtlich der hier fraglichen Regelung für die Zwecke des
Unterbringungsgesetzes indes nicht der Fall, da „Unterbringungsfälle“ erfahrungsgemäß jederzeit auch
an dienstfreien Tagen auftreten können und somit voraussehbar sind, auch wenn ihr tatsächlicher
Eintritt bei jedweder Rufbereitschaft nicht vorhergesagt werden kann. Dennoch sind hierauf bezogene
Arbeitszeitregelungen von ihrer Notwendigkeit her, Vorsorge für diese Fälle zu treffen, voraussehbar
und - wie die zugrunde liegende Anordnung der Beteiligten zeigt - planbar mit der Folge, dass die dem
Absatz 2 zu entnehmende Regelung hier nicht eingreift.
Was schließlich die von der Beteiligten reklamierte Letztentscheidungsbefugnis anbelangt, bedarf die
Frage, ob das Erfordernis der demokratischen Legitimierung hoheitlichen Handelns hier zu einer
Einschränkung des Mitbestimmungsrechts des Antragstellers führt, (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom
28.03.2001, 6 P 4/00, juris – Rdn. 32 ff. und die dortigen Fallgruppen) hier keiner Erörterung, da die
Fragestellung im Hinblick auf § 75 Abs. 4 und 5 SPersVG erst in einem eingeleiteten
Mitbestimmungsverfahren bezogen auf die Berechtigung der Einigungsstelle zur verbindlichen
Entscheidung relevant wird (vgl. dazu den Beschluss der Kammer vom 22.09.2009, 9 K 432/09). Nach
allem ist dem Antrag zu entsprechen.
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