Friedv olles Brumm in der Sc hneelandsch
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Friedv olles Brumm in der Sc hneelandsch
8 TECHNIK URAL M 75 WJUGA Fahrbericht Hinter dem Ural ticken die Uhren anders. Um das zu erleben, braucht man nicht nach Sibirien zu reisen. Es genügt, ein sibirisches Gespann zu fahren. Text: Rolf Lüthi Bilder: Fränzi Göggel, Lüthi I ch fahre mit einem 80er auf der Autobahn und werde laufend überholt. Einen 100er könnt ich rausquetschen, doch mehr als 90 wären auf Dauer schlecht für den Motor, der gleichmütig brummt und meine Füsse wärmt. Aber es muss nicht schneller gehen. Das kindische Gehetze Westeuropas ist sibirischer Gelassenheit gewichen. Ich werde auch so ankommen. Etwas später vielleicht. Ganz entspannt. Es ist eine andere Welt, aus der dieses Gespann zu uns entsandt wurde, und es ist ein völlig anderes Fahrgefühl, das man auf diesem Fahrzeug geniesst, das in Irbit, einer Stadt hinter dem Ural, gebaut wird. Der Fahrer nimmt Platz auf einem Schwingsattel, der Beifahrer klettert in die geräumige Blechgondel. Einen Kickstarter gibt es weiterhin, mit dem sich der 750er Boxer dank zahmer Verdichtung gut antreten lässt. In der Regel nimmt man den Elektrostarter, 06_MSSD_008_Techn 8 und man zieht den Chokeknopf nur am linken Vergaser. Der rechts ist schlechter zugänglich, und zum Zurückstellen müsste man den Gasgriff loslassen. Auf den ersten Kilometern spotzt der Motor bei leichter Öffnung des Gasgriffs manchmal, könnte an der Abstimmung für Euro 3 liegen. Eine Hürde, welche die Ural mit japanischen Vergasern, Sekundärluftsystem, Katpatronen in den Krümmern und modifizierten Zylinderköpfen schafft. Ist der Motor warmgefahren, brummt er friedvoll vor sich hin. Gutmütig-träge hängt er am Gas und beeinflusst mit seinem Charakter auch jenen des Fahrers. Kurzentschlossene Sprints, etwa zum Überholen, kann man vergessen. Beschleunigen, das braucht seine Zeit, die Gänge müssen massvoll ausgedreht werden, dann wird bedächtig geschaltet, auf dass keine Kratzgeräusche die entspannende Fahrt stören. Runterschalten geht nur Friedvo in der Sc h Dnepr und Ural sind nicht BMW, und de Nur zur Klärung: BMW-Kopien waren die Dnepr MT 12 oder Ural M 72, die der seitengesteuerten BMW R 71 entsprachen. Was danach kam, die Dnepr MT 65 oder die Ural M 62, sind eigenständige Konstruktionen mit OHV-Boxer. Es wird ja auch niemand behaupten, eine Suzuki GSX-R 1000 sei die Kopie der Yamaha R1 (oder umgekehrt), weil beide einen Reihen-Vierzylindermotor haben. Im Dnepr-Werk in Kiew (Ukraine) wird seit drei Jahren nicht mehr produziert. Sollten irgendwo Dnepr neueren Jahrgangs angeboten werden, handelt es sich um Restbestände, die aus Ersatzteilen zusammengestiefelt und mit halbseidenen Papieren versehen wurden. Der chinesische Chang Jiang, quasi der dritte Bruder von Dnepr und Ural, wurde von 1995 bis 2006 von der Firma Egli Motorradtechnik in die Schweiz importiert, dann trat Euro 3 in Kraft, und der Import musste eingestellt werden. Die Ural-Fabrik befindet sich in Irbit, östlich des Ural-Gebirgszuges, der die Grenze Russland-Sibirien und Europa-Asien bildet. Dorthin wurde das Werk verlegt, als die Deutschen im Zweiten Weltkrieg vor Moskau standen. In den Gebäuden einer Brauerei errichteten die Russen mitten im Krieg ein Motorradwerk, das aus Alu- und Eisenbarren, gewonnen in Sibirien, geländegängige Gespanne fertigte. Nach dem Krieg wurde weiter produziert, für die Armee und den zivilen Heimmarkt. Ein Gespann, das ist in Russland noch heute das Fahrzeug der Bauern und Handwerker, die damit bei schwierigen Strassen- und Wegzuständen ihre Transporte erledigen. Den Produktionshöchststand erreichte Ural 1991, als 132 000 Maschinen hergestellt wurden. Von 16.03.2009 17:15:18 Ir w S D R 1 u Z Im N z K d V a A m F g in 6/2009 MOTO SPORT SCHWEIZ WWW.MOTOSPORT.CH 9 TECHNISCHE DATEN URAL M 75 WJUGA 1 2 3 1 Vielleicht etwas optimistisch, aber noch gehts voran: Wir pflügen querfeldein durch schweren Sulzschnee. 2 Vielleicht nicht narrensicher vollgasfest – deshalb sollten Narren so was besser nicht kaufen. 3 Auf Dauer ziemlich hart, aber mit Winterkleidung oder Velohosen gehts. 4 Gelenkwelle zum Beiwagenrad, Gummipuffer für Komfort im Beiboot. volles Brummen c hneelandschaft nd der dritte Bruder heisst Chang Jiang i Irbits 50 000 Einwohnern arbeiteten 10 000 bei Ural. Drei Millionen Dnepr und Ural wurden insgesamt produziert, zu Hunderttausenden laufen sie noch heute. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist alles anders. Der zuvor zusammen mit Dnepr und Ish praktisch im Monopol belieferte Heimmarkt brach komplett weg. Die Russen wollen ausländische Autos. 1000 Gespanne wurden 2008 noch gebaut, zu 100 % für den Export. 205 Menschen arbeiten bei Ural. Das Werk gehört russischen und amerikanischen Investoren. Die Qualität wurde dank ausländischer Zulieferer für Zündung, Vergaser, Alternator, Zahnräder und Lenkerarmaturen verbessert. Importeur für die Schweiz ist seit 1999 die Dnepr-Ural GmbH von Karin und Paul Niederöst in Oberägeri ZG. Pro Jahr werden mithilfe eines kleinen Händlernetzes zwischen 15 und 20 Ural verkauft, überwiegend Gespanne. Jedes Fahrzeug wird von Karin und Paul vor der Auslieferung gefahren, geprüft und eingestellt. 2008 bestand die Europa-Niederlassung von Harry Schwaighofer mithilfe von Claus Holweg (einst Vater des V2 von KTM) den WMTC-Zyklus, der als Pendant zum ECE-Prozedere für Euro 3 anerkannt ist. Aufatmen kann man nach dieser Hürde nicht: Ural hat mit der im Kommunismus masslos aufgeblähten russischen Bürokratie zu kämpfen und sieht sich erpresserischen Forderungen mafiöser Organisationen ausgesetzt. Die Produktion konnte im vergangenen Jahr die Nachfrage nicht decken, die Kosten steigen. Paul schätzt, dass derzeit insgesamt rund 900 Dnepr/Ural/Chang Jiang-Motorräder in der Schweiz laufen. lü 06_MSSD_009_Techn 9 Motor Luftgekühlter Zweizylinder-Boxermotor. OHV, 2 Ventile pro Zylinder. Gleichdruckvergaser, elektronische Zündung. Nasssumpfschmierung. Elektround Kickstarter. Bohrung×Hub 78 × 78 mm Gesamthubraum 745 cm3 Vergaser-ø 22 mm Verdichtungsverhältnis 8,6:1 Leistungsdaten max. Leistung 39 PS (29 kW) bei 5600/min max. Drehmoment 5,3 mkg (52 Nm) bei 4000/min Kraftübertragung Zweischeiben-Trockenkupplung. Vierganggetriebe mit Rückwärtsgang. Kardanantrieb mit zuschaltbarem Beiwagenantrieb. Fahrwerk Doppelschleifenrahmen aus Stahlrohr. Vorne Schwinggabel mit 2 Federbeinen, hinten Schwinge mit 2 Federbeinen, Beiwagen gezogene Schwinge mit 1 Federbein. Federweg vorn 80 mm hinten 80 mm Beiwagen 80 mm Räder Drahtspeichenräder mit Stahlfelgen, Schlauchreifen. Felge vorn, hinten, Beiwagen 2.15×19 Reifendimension vorn 4.00-19 hinten, Beiwagen 4.20-19 Bremsen Vorne Scheibenbremse, Vierkolbenzange. Hinten und Beiwagen SimplexTrommelbremse. Bremsscheiben-ø vorn 298 mm Bremstrommel-ø hinten, Beiwagen 224 mm Abmessungen und Gewichte Radstand 1550 mm Spurweite 1165 mm Sitzhöhe 785 mm Tankinhalt/dav. Reserve 16 l/2,5 l 8,7 l Testverbrauch / 100 km Leergewicht fahrfertig vollgetankt 358 kg zul. Gesamtgewicht 610 kg Anhängelast 166 kg Preis Gefahrenes Sondermodell «Wjuga» Fr. 18 550.–, inkl. MwSt. und NK. Tourist (ohne Beiwagenantrieb) Fr. 16 960.–, Sportsman (Beiwagenantrieb) Fr. 17 880.–, Ranger (Beiwagenantrieb, div. Extras, Tarnlackierung) Fr. 18 880.–. Zwei Jahre Garantie. CH-Import, Info Dnepr-Ural GmbH 6315 Oberägeri, Tel. 041 750 33 39 ➥ www.dnepr-ural.ch www.ural-motorcycles.com 4 mit kräftig Zwischengas. So nebenbei noch schnell einen anderen Gang reinsteppen, das geht hier nicht. Praxiserprobt bis ins Detail Dafür gibt es einen Rückwärtsgang und einen Beiwagenantrieb, beide mechanisch geschaltet. Der Beiwagenantrieb ist nicht wie bei der Schwestermarke Dnepr mit einem Differenzial versehen, sondern ein starrer Durchtrieb. Das kleine Hebelchen muss also vor verschneiten Steigungen oder Schlammpassagen umgelegt werden. Da ackert man sich, mit Stollenreifen auf den angetriebenen Rädern, beachtliche Steigungen hoch. Auf Untergrund mit beschränkter Haftung bleibt das Gespann gut lenkbar. Limitierend ist an Steigungen eher die Zugkraft des Motors denn die Traktion. Das liegt aber auch daran, dass der Boxermotor 16.03.2009 17:15:30 MOTOGP: LAGUNA SECA AUF DER RENNSTRECKE SIND WIR ZUHAUSE. D I E N E U E M OTO R S P O RT�Z E I T S C H R I F T. J E D E N D I E N STAG N E U ! Rennberichte, Interviews und Hintergrundstorys aus der ganzen Welt des Motorsports. Mit SPEEDWEEK sind Sie hautnah dabei. News aus Formel 1, DTM, WRC, Moto-GP, Superbike-WM, Motocross, Red Bull Air Race u.v.a. bringen das Oktan im Blut zum Brodeln. 06_MSSD_010_Inser 10 W W W. S P E E DW E E K M AG A Z I N .C O M 13.03.2009 10:45:33 TECHNIK ➥ 6/2009 MOTO SPORT SCHWEIZ WWW.MOTOSPORT.CH 11 URAL M 75 WJUGA 1 2 1 Sieht toll aus im Schnee: Das gefahrene Sondermodell Wjuga (Schneesturm) entspricht technisch der Sportsman – und ist ausverkauft. 2 Kräftige Scheibenbremse vorne – beruhigend bei 610 kg Gesamtgewicht und mittelprächtigen Trommelbremsen hinten und am Beiwagen. 3 Gebaut im fernen Sibirien. 4 Wir fahren, bis wir feststecken und feststellen, dass wir uns im Rückwärtsgang nicht aus der Affäre ziehen können. Da kommt ein freundlicher Harley-Fahrer daher und reisst uns raus mit seiner 53er Panhead. gemächlich-traktionsstark zieht. Auf Asphalt muss der Beiwagenantrieb ausgeschaltet werden, das Gespann zieht sonst kaum lenkbar geradeaus. Lobenswert ist der Praxisbezug sibirischer Ingenieure: Im Kofferraum des Beiwagens gibt es eine Luftpumpe und eine grosse Werkzeugrolle, die bei Reparaturen auch als Unterlage (zum Draufknien und als Teileablage) dienen kann. Zum Ausbuddeln des Gespanns wird ein Spaten mitgeliefert, ein Reservekanister ist die Rettung bei leer gefahrenem Tank, und 3 mit dem Suchscheinwerfer kann der Beifahrer bei Sturm und Nacht bei der Suche nach dem richtigen Weg helfen. Da haben Leute die Ausstattung zusammengestellt, die selbst schon ungemütliche Situationen gemeistert haben. Zierblenden aus verchromtem Plastik oder Karbonimitat findet man an der Wjuga nicht. Nur Benzin nachfüllen Es ist ein gediegenes Fahren: Chauffeur wie Beifahrer geniessen auf der Wjuga guten Windschutz, das Beiboot ist komfortabel geräumig. Die russischen Stollenreifen künden auf Asphalt ihren Grenzbereich gutmütig an, halten aber nicht ewig. Ja, die Frage nach der Zuverlässigkeit. Makellos ist der Ruf russischer Erzeugnisse nicht, doch wir können da nichts beisteuern. Als Testgespann stellte uns Eugen Eichmann aus Tann ZH seine Wjuga zur Verfügung. Eugen holte sein neues Gespann am 6. Januar dieses Jahres in Oberägeri ab. Als wir es am 21. Februar übernahmen, standen 2185 km auf dem Tacho. Wir erhöhen innerhalb von zwei Wochen auf 2925 km, wobei wir nur Benzin nachfüllen und Öl kontrollieren. Eigentlich nicht verwunderlich bei zwei Jahren Garantie. Sicher ist am Gespann Salzfrass zu sehen. Der Winter war aber gerade im Januar und im Februar ausserordentlich kalt, es wurde viel Salz gestreut. Wir wagen zu behaupten, dass ein Töff aus europäischer oder japanischer Fertigung nicht besser aussähe. ■ 4 06_MSSD_011_Techn 11 16.03.2009 17:15:40