Gesundheitsbezogene Lebensqualität und soziale Unterstützung
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Gesundheitsbezogene Lebensqualität und soziale Unterstützung
Christina Archonti1 Robert D'Amelio2 Tobias Klein2 Hans-Joachim Schäfers3 Gerhard W. Sybrecht4 Heinrike Wilkens4 Gesundheitsbezogene Lebensqualität und soziale Unterstützung bei Patienten auf der Warteliste und nach einer Lungentransplantation Zusammenfassung Abstract Hintergrund: Ziel der vorliegenden Studie war die Evaluation der subjektiven Lebensqualität bei Patienten vor und nach Lungentransplantation unter Berücksichtigung der wahrgenommenen sozialen Beziehungen. Methoden: Bei Patienten auf der Warteliste zur Lungentransplantation (n = 19) und Patienten 5 ± 47 Monate nach erfolgter Transplantation (n = 20) wurden Daten zur Lebensqualität (SF-36), Depressivität (BDI) sowie zur erlebten sozialen Unterstützung (F-SOZU) erhoben. Ergebnisse: Zwischen Patienten auf der Warteliste und nach Lungentransplantation bestehen signifikante Unterschiede in Bezug auf alle SF-36-Skalen, die mit dem körperlichen Funktionsniveau assoziiert sind. Die beiden Gruppen unterscheiden sich nicht in der Depressivität und der Zahl der als unterstützend erlebten Personen. Die erlebte Unterstützung korreliert negativ mit Depressivität. Die Anzahl der als Belastung erlebten Beziehungen war bei transplantierten Frauen signifikant erhöht. Schlussfolgerung: Soziale Unterstützung korreliert bei allen Patienten positiv mit der Lebensqualität und negativ mit Depressivität. Die Wahrnehmung positiver Beziehungen reduziert das Risiko einer psychischen Beeinträchtigung. Die Ergebnisse könnten jedoch auch auf unterschiedliche Bewältigungsmuster in Abhängigkeit von der affektiven Beeinträchtigung hinweisen. Background: The present study was carried out to assess quality of life, level of depression and perceived social support of patients on the waiting list and after a lung transplantation. Methods: 19 patients on the waiting list for lung transplantation and 20 patients 5 ± 47 months after transplantation were enrolled in the study. Quality of life was measured by the SF-36 Health Survey, the level of depression with Beck Depression Inventory (BDI) and the perceived social support with the questionnaire for social support (F-SOZU). Results: Significant differences were observed in indicators regarding physical functioning, rolephysical, vitality, health perception and social functioning. Both groups showed equal levels of depression and their number of perceived support persons. The perceived support correlates negatively with the level of depression. Transplanted women reported significant more burdensome relationships when compared to transplanted men. Conclusion: The effects of lung transplantation are shown best in all indexes of SF-36 associated with physical functioning. In both groups social support is positively correlated with the quality of life and negatively correlated with the level of depression. Perceived positive relationships reduces the risk of psychological disturbance. However, the results may also point to a different coping pattern for patients with a low level of depression. Key words Lung transplantation ´ quality of life ´ social support Institutsangaben Medizinische und Klinische Psychologie, Universitätskliniken des Saarlandes, Homburg/Saar 2 Nerven- und Poliklinik, Universitätskliniken des Saarlandes, Homburg/Saar 3 Abteilung Thorax- und Herz-, Gefäûchirurgie, Universitätskliniken des Saarlandes, Homburg/Saar 4 Medizinische Klinik und Poliklinik Innere Medizin V (Pneumologie), Universitätskliniken des Saarlandes, Homburg/Saar 1 Korrespondenzadresse Dipl.-Psych. Christina Archonti ´ Medizinische und Klinische Psychologie ´ Universitätskliniken Homburg/Saar ´ Kirrberger Straûe ´ 66421 Homburg ´ E-mail: [email protected] Eingegangen: 26. März 2003 ´ Angenommen: 3. Juli 2003 Bibliografie Psychother Psych Med 2004; 54: 17 ± 22 Georg Thieme Verlag Stuttgart ´ New York ´ ISSN 0937-2032 ´ DOI 10.1055/s-2003-812589 Originalarbeit Physical Quality of Life and Social Support in Patients on the Waiting List and After a Lung Transplantation 17 Einleitung Die Lungentransplantation stellt bei Vorliegen einer progredienten, terminalen Lungenerkrankung eine mittlerweile etablierte Therapieoption zur Lebenserhaltung dar [1 ± 4]. Die perioperative Letalität konnte durch die Weiterentwicklung chirurgischer und intensivmedizinischer Techniken und durch Optimierung der Immunsuppression deutlich reduziert und eine postoperative 1-Jahres-Überlebensrate von 70 ± 80 % erzielt werden [3, 5, 6]. Originalarbeit Die verbesserte Prognose nach Transplantation hat zu einer zunehmenden Erweiterung der Indikation geführt, so dass mehr Patienten1 von dieser Methode profitieren können und eine immer längere Wartezeit vermerkt werden muss [7, 4]. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) wurden in Deutschland im Jahre 2001 139 Lungentransplantationen durchgeführt. Doppelt so hoch war im gleichen Zeitraum die Zahl der Neuanmeldungen, so dass ein Groûteil der Patienten nicht mit einem Spenderorgan versorgt werden konnte und auf der Warteliste verbleiben musste. Längere Wartezeiten gehen mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko einher und erhöhen auch die psychische Belastung für den einzelnen Patienten und seine Angehörigen. Die Ungewissheit über den Zeitpunkt der Operation unterscheidet die Organtransplantationen von anderen, elektiven Eingriffen [8 ± 11]. Hinzu kommen die Belastungen, die durch die fortgeschrittene Lungeninsuffizienz bedingt sind und die zu einer bedeutsamen Veränderung der Lebensumstände, zunehmenden Einschränkungen im Alltag und Einbuûen in der subjektiven Lebensqualität des Patienten führen [12]. 18 Das Ziel der vorliegenden Studie war die Evaluation der subjektiven Lebensqualität und Depressivität bei gelisteten Patienten und Transplantierten in Bezug auf die wahrgenommenen sozialen Beziehungen. Material und Methoden In die Untersuchung aufgenommen wurden n = 65 Patienten, die sich auf der Warteliste zur Lungentransplantation befanden (n = 30) oder bereits transplantiert waren (n = 35). Ausgeschlossen waren alle Patienten unter 18 Jahren (n = 3), Patienten, deren Transplantation nicht mindestens drei Monate zurücklag (n = 2) sowie jene, denen aufgrund ihres Gesundheitszustandes eine Teilnahme an der Studie nicht mehr zugemutet werden konnte (n = 2). Vier Patienten verstarben während des Erhebungszeitraums. Zum Einsatz kamen folgende Messinstrumente: die deutsche Version des SF-36-Health-Survey [27], Beck-Depressions-Inventar (BDI) [28] sowie der Fragebogen zur sozialen Unterstützung (F-SOZU) [29]. Nach den o. g. Kriterien wurden alle Patienten auf der Warteliste sowie nach erfolgreich durchgeführter Lungentransplantation angeschrieben, über die Hintergründe der Studie informiert und um die Teilnahme an der Erhebung gebeten. Die Befragung war freiwillig und Patienten, die sich nicht dazu entschlieûen konnten, den Fragebogen zurückzuschicken, wurden nicht erneut angeschrieben. Psychische Störungen kommen in dieser Patientengruppe häufig vor [13 ± 15]. Der Verlust sozialer Verstärker, etwa durch Berentung und andere soziale Belastungen, wirken sich neben der Dauer der Erkrankung besonders ungünstig aus [16]. An der Untersuchung teilgenommen haben insgesamt n = 39 Patienten, davon 19 auf der Warteliste (WL) zur ein- oder beidseitigen Lungentransplantation und 20 nach erfolgter Transplantation (TPL). Die Rücklaufquote lag bei 60 %. Präoperative Depressivität und mangelnde soziale Unterstützung beeinträchtigen nicht nur das Befinden der Patienten vor Transplantation, sondern gelten auch als Risikofaktoren für das Überleben nach erfolgtem Eingriff [17 ± 19]. Sie gelten neben der körperlichen Leistungsfähigkeit als Prädiktoren für den langfristigen Verlauf nach Transplantation [18, 20 ± 22]. Die Daten zur Lungenfunktion wurden den Untersuchungsberichten der regelmäûigen Vorstellung bzw. den Kontrollterminen von gelisteten Patienten und Transplantierten entnommen. Es kann demnach aus der Literatur erschlossen werden, dass der Faktor ¹soziale Unterstützungª für das Befinden und die Befindlichkeit nach Transplantation von entscheidender Bedeutung ist. Es ist hierbei zu berücksichtigen, dass die Belastungen der Wartezeit und die Folgen der Transplantation sich auch auf das soziale Netzwerk des Patienten, bestehend aus Familie, Angehörigen und Freunden, auswirken können [23 ± 26]. Dies kann im Extremfall dazu führen, dass Familienmitglieder nicht in der Lage sind, dem Patienten die erforderliche Unterstützung zuteil werden zu lassen. Demografische Daten Der Altersdurchschnitt der Patienten auf der WL lag bei M = 44 Jahren (27 ± 59, 10) und nach TPL bei M = 48 Jahren (25 ± 64, 12). Die durchschnittliche Wartezeit zum Zeitpunkt der Untersuchung betrug 12,5 Monate (2 ± 36, 11,3), die durchschnittliche Zeit nach erfolgter Transplantation lag bei 23,2 Monaten (5 ± 47, 13,4). 1 Hiermit sind explizit Patienten beiderlei Geschlechts gemeint. Auf eine Nennung beider Geschlechtsformen wird aus stilistischen Gründen verzichtet. Ergebnisse In der WL waren 12 (63 %) Frauen und 7 (37 %) Männer, in der Gruppe der Transplantierten war das Verhältnis 12 (60 %) zu 8 (40 %). Tab. 1 gibt einen Überblick über die Alters- und Geschlechtsverteilung sowie über den Familienstand und beruflichen Status bei Wartelistepatienten und Transplantierten. Archonti C et al. Gesundheitsbezogene Lebensqualität und ¼ Psychother Psych Med 2004; 54: 17 ± 22 Tab. 1 Alter in Jahren Frauen Männer Transplantierte M = 44 ( 10) n = 12 (63 %) n = 7 (37 %) M = 48 ( 12) n = 12 (60 %) n = 8 (40 %) ± n = 2 (10 %) n = 2 (10 %) n = 15 (80 %) n = 2 (10 %) n = 1 ( 5 %) n = 1 ( 5 %) n = 16 (80 %) n = 3 (16 %) n = 12 (63 %) n = 4 (21 %) n = 1 ( 5 %) n = 16 (80 %) n = 3 (15 %) beruflicher Status voll erwerbstätig in Teilzeit beschäftigt in eigenem Betrieb tätig in Rente Familienstand ledig verheiratet/feste Partnerschaft geschieden/verwitwet Tab. 2 LE CF LF PPH gesamt Warteliste 11 5 2 1 19 Transplantierte 9 3 5 3 20 LE = Lungenemphysem; CF = zystische Fibrose; LF = Lungenfibrose; PPH = primäre pulmonale Hypertonie Grunderkrankungen Die Grunderkrankung, aufgrund derer die Indikation zur Lungentransplantation gestellt werden musste, ist in Tab. 2 aufgeführt. Es werden die Daten der 39 an der Erhebung partizipierenden Patienten aufgelistet. Wie der Tab. 3 zu entnehmen ist, bilden Patienten mit Lungenemphysem die anteilmäûig gröûte Gruppe sowohl vor als auch nach einer Lungentransplantation. Patienten mit Lungenfibrose und zystischer Fibrose (Mukoviszidose) bilden zwei weitere Hauptgruppen mit der Indikation zur Lungentransplantation. Psychometrische und medizinische Daten Die transplantierten Patienten weisen erwartungsgemäû in allen Parametern der atemmechanischen Funktionsgröûen deutlich bessere Werte auf (FEV1: WL 28,0 16,7 % Soll vs. TPL 64,6 32,2 % Soll). In den Subskalen emotionale Rollenfunktion und psychisches Wohlbefinden des SF-36 lassen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Patientengruppen feststellen. Die Skalenmittelwerte sind in Tab. 3 wiedergegeben. Hinsichtlich der Einschätzung der Depressivität (BDI) zeigen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Patienten auf der Warteliste und den bereits transplantierten Teilnehmern. Bei der WL kann mit einem durchschnittlichen Summenwert von 11 (3 ± 24 6) eine leichte Ausprägung der Depressivität festgestellt werden, während die Gruppe TPL mit einem Durchschnittswert von 10 (0 ± 41 9) insgesamt als klinisch unauffällig einzustufen ist. Die hohe Streuung in der Gruppe der Transplantierten weist auf recht hohe interindividuelle Unterschiede in der Belastung dieser Patienten durch depressive Symptome hin. In Bezug auf die soziale Unterstützung (F-SOZU) lassen sich die Patientengruppen nicht voneinander differenzieren (s. Tab. 4). In beiden Gruppen ist eine annähernd gleich groûe Zahl der als unterstützend erlebten Personen festzustellen (WL 5 3, TPL 5 2). Es lassen sich ebenfalls keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf die Anzahl der als Belastung erlebten Personen feststellen (WL 1 1, TPL 1 1). In allen Skalen der sozialen Unterstützung (emotionale und praktische Unterstützung, soziale Integration) entsprechen die Angaben der Patienten zudem denen einer repräsentativen gesunden Population. Signifikante Geschlechtsunterschiede können lediglich in der TPL-Gruppe in Hinblick auf die Wahrnehmung der sozialen Belastungen (F-SOZU) festgestellt werden. Die Anzahl der als Belastung erlebten Beziehungen ist bei Frauen signifikant erhöht (Männer 0,00 vs. Frauen 1 0,45, p < 0,05). Tab. 3 Skalenmittelwerte des SF-36 für Subgruppen Skala Warteliste Transplantierte chronisch Lungenkranke (Bronchitis, Asthma)1 gesunde Referenzgruppe2 SF-36 körperliche Funktionsfähigkeit 17,89 ( 17,10) 58,95 ( 33,65) 69,88 ( 26,60) 88,95 ( 17,61) SF-36 körperliche Rollenfunktion 10,59 ( 24,99) 48,44 ( 44,22) 60,62 ( 40,48) 87,49 ( 27,69) SF-36 körperliche Schmerzen 70,39 ( 33,75) 56,60 ( 34,09) 64,61 ( 29,74) 78,90 ( 28,05) SF-36 allgemeine Gesundheit 29,50 ( 16,43) 49,43 ( 24,74) 51,58 ( 21,50) 68,00 ( 18,88) SF-36 Vitalität 38,61 ( 17,56) 54,47 ( 17,63) 52,98 ( 21,07) 64,13 ( 16,47) SF-36 soziale Funktionsfähigkeit 51,40 ( 29,67) 75,65 ( 32,40) 80,35 ( 23,49) 89,36 ( 17,34) SF-36 emotionale Rollenfunktion 71,11 ( 45,20) 89,60 ( 23,45) 81,75 ( 33,98) 91,51 ( 22,76) SF-36 psychisches Wohlbefinden 69,11 ( 19,34) 70,60 ( 18,82) 66,75 ( 19,08) 73,66 ( 15,55) 1 Originalarbeit Warteliste Die Ergebnisse aus dem SF-36 zeigen in mehreren Subskalen deutliche Unterschiede zwischen den Patientengruppen, die auf ein erheblich besseres Funktionsniveau nach erfolgter Transplantation hinweisen. Die transplantierten Patienten haben bessere Werte in den Bereichen: körperliche Funktionsfähigkeit (p < 0,001), körperliche Rollenfunktion (p = 0,001), Vitalität (p = 0,01), allgemeine Gesundheitswahrnehmung (p < 0,01) und soziale Funktionsfähigkeit (p < 0,05). Alter 49,27 ( 19,57) 63,1 % Frauen nach Bullinger u. Kirchberger [27], 2 Altersgruppe 41 ± 50 nach Bullinger u. Kirchberger [27] Archonti C et al. Gesundheitsbezogene Lebensqualität und ¼ Psychother Psych Med 2004; 54: 17 ± 22 19 Tab. 4 Soziale Unterstützung: Skalenmittelwerte des F-SOZU Warteliste Transplantierte emotionale Unterstützung (EU) 3,83 ( 1,18) 4,34 ( 0,48) 4,16 ( 0,67) praktische Unterstützung (PU) 4,07 ( 1,50) 4,40 ( 0,45) 4,08 ( 0,72) soziale Integration (SI) 3,76 ( 1,23) 4,00 ( 0,73) 3,85 ( 0,67) soziale Belastung 1,65 ( 0,85) 1,70 ( 0,54) 2,19 ( 0,72) Nennung unterstützender Personen 5,10 ( 3,10) 4,80 ( 2,10) 2,64 ( 1,44) Nennung belastender Personen 0,94 ( 1,30) 0,65 ( 1,30) 0,55 ( 0,69) 1 Alter 43,9 ( 17,4) nach Sommer u. Fydrich [29] Originalarbeit Zur univariaten Betrachtung von Zusammenhängen wurden Korrelationen zwischen den genannten Variablen in der Gesamtstichprobe berechnet. Dabei korreliert die wahrgenommene soziale Unterstützung mit einigen Skalen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (SF-36) sowie mit dem Ausmaû der Depressivität. Die wahrgenommene soziale Unterstützung korreliert positiv mit den Skalen ¹Vitalitätª (r = 0, 9, p < 0,01), soziale Funktionsfähigkeit (r = 0,39, p < 0,05) und psychisches Wohlbefinden (r = 0,39, p < 0,05). Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Depressivität und der wahrgenommenen sozialen Unterstützung lässt sich ein positiver Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen sozialen Belastung (F-SOZU) und Depressivität (BDI) (r = 0,54, p < 0,01) sowie eine negative Korrelation zwischen dem Ausmaû der Depressivität und der erlebten sozialen Unterstützung (r = ± 0,45, p = 0,01) feststellen. 20 repräsentative Gruppe1 Skala Diskussion In dieser Querschnittstudie wurde die gesundheitsbezogene Lebensqualität und soziale Unterstützung bei gelisteten und lungentransplantierten Patienten erfasst. Hinsichtlich der demografischen Daten ist diese Stichprobe in Alter und Geschlechtsverteilung mit anderen Erhebungen vergleichbar. Die häufigste Erkrankungsgruppe bilden Patienten mit Lungenemphysem (unterschiedlicher Genese), gefolgt von Patienten mit fibrosierenden Erkrankungen. Auch diese Verteilung entspricht der anderer Erhebungen [2, 30 ± 32]. Wie bereits in vorausgehenden Untersuchungen [12, 30, 31, 33, 34], lassen sich zwischen Patienten auf der Warteliste und Transplantierten deutliche Unterschiede in Bezug auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität beschreiben. Es lassen sich hochsignifikante Unterschiede zwischen Patienten vor und nach Transplantation in den Bereichen feststellen, die mit den Lungenfunktionsparametern und dem damit einhergehenden Ausmaû der körperlichen Funktionsfähigkeit korreliert sind. Die Patienten auf der Warteliste sind in ihrem Alltag und der Verrichtung alltäglichster Aktivitäten in sehr hohem Maû beeinträchtigt, wohingegen die Patienten nach Transplantation im Schnitt ein etwa mittleres Aktivitätsniveau und mittlere Beeinträchtigung erleben. Im Vergleich zu chronisch Kranken mit asthmatischen Erkrankungen, Bronchitis u. ä. weist diese Stichprobe bei weit fortgeschrittener Erkrankung vor Transplantation ein reduziertes Funktionsniveau auf [27], wobei sich im individuellen Verlauf zeigt, dass nach einer Lungentransplantation auch das Niveau einer gesunden Referenzgruppe erreicht werden kann. Bemerkenswert ist, dass sich transplantierte Patienten in den Subskalen des SF-36 psychisches Wohlbefinden und emotionale Rollenfunktion nicht von einer gesunden Referenzgruppe unterscheiden lassen und Wartelistepatienten ebenfalls über ein recht hohes Maû an psychischem Wohlbefinden und einer krankheitsbedingt geringen psychischen und sozialen Beeinträchtigung im Alltag berichten (vgl. Tab. 3). In Bezug auf depressive Störungen können beide klinische Gruppen im Mittel als psychisch wenig belastet dargestellt werden. Die Differenzierung nach den Summenscores, gemäû BDI, verdeutlicht jedoch, dass in der vorliegenden Stichprobe nahezu 16 % der Patienten auf der Warteliste und etwa 10 % der Transplantierten einen Summenscore von über 18 haben, was auf eine klinisch bedeutsame Depressivität hindeutet. Berücksichtigt man die leichten bis mittelgradigen Ausprägungen, können bei etwa einem Drittel (36,9 %) der Patienten vor Transplantation und 21 % nach erfolgter Transplantation depressive Verstimmungen unterschiedlichen Ausmaûes ausgemacht werden. Diese Daten bestätigen auch die Zahlen aus der Literatur, nach denen diese Patienten insgesamt eine psychisch recht stabile Gruppe darstellen, im Vergleich zur Normalbevölkerung jedoch in einem deutlich höheren Maû an psychischen Beeinträchtigungen leiden [15, 21, 35 ± 38]. Darüber hinaus verdeutlichen die psychometrischen Messdaten, dass Patienten, die im Verlauf der Erkrankung aufgrund inadäquater Verarbeitungsmechanismen oder dysfunktionaler Krankheitsbewältigung eine depressive Symptomatik entwickeln, durch geeignete psychotherapeutische Interventionen unterstützt werden müssen, um eine Reduktion der affektiven Beeinträchtigung zu erzielen. Maûnahmen, die bei dieser Patientengruppe zu einer Verbesserung des psychischen Befindens führen können, sind an anderer Stelle beschrieben [11, 39, 40]. Diese Diskrepanz zwischen einem hohen körperlichen Beschwerdemaû einerseits und einer im Mittel geringen psychischen Beeinträchtigung andererseits, wurde in vergleichbaren Untersuchungen bei Nieren- und Lebertransplantationen Archonti C et al. Gesundheitsbezogene Lebensqualität und ¼ Psychother Psych Med 2004; 54: 17 ± 22 festgestellt [41 ± 43]. Dieses ¹Zufriedenheitsparadoxonª [42] kann durch veränderte Erwartungshaltungen erklärt werden, die im Verlauf der Erkrankung auftreten. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass einem geringen bis mittleren Rückzugsverhalten im Krankheitsverlauf eine gewisse Funktionalität zugesprochen werden kann, da hiermit Entlastung durch Vermeiden belastender Beziehungen einerseits und Mobilisierung der als unterstützend erlebten sozialen Beziehungen andererseits erreicht werden können. Zu ähnlichen Ergebnissen hinsichtlich der Funktionalität einer geringen Depressivität und niedrigen Angstwerten kamen auch Woodman et al. (1999) [37] und Burker et al. (2000) [44]. Dieses auffällig hohe Maû an erlebter sozialer Unterstützung könnte auch durch Selektionseffekte erklärt werden, dergestalt, dass Patienten, die nur eine geringe Unterstützung durch ihre Umwelt erleben, sich gegen die Aufnahme auf die Warteliste und Durchführung der Transplantation entscheiden. Der deutliche Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen sozialen Unterstützung und Depressivität stellt ein Ergebnis dar, das aufgrund der Befundlage aus der Literatur über soziale Unterstützung und Befinden [45, 46] nicht überrascht. Auch die vorliegenden Daten unterstreichen die Bedeutung der sozialen Unterstützung auf das Befinden im Verlauf der Wartezeit auf eine Organtransplantation sowie in der Zeit nach durchgeführter Lungentransplantation. Die erlebte Unterstützung korreliert positiv mit der Lebensqualität und negativ mit depressiven Verstimmungen. Unterstützend erlebte Beziehungen tragen zur Adaptation an die Erkrankung und Transplantation bei und reduzieren das Risiko einer psychischen Beeinträchtigung. Man kann jedoch auch annehmen, dass Individuen mit geringer ausgeprägter Depressivität trotz z. T. hoher funktionaler Einschränkungen durch ihre körperliche Erkrankung aktive Bewältigungsmaûnahmen anwenden und gezielter nach (neuen) unterstützenden Möglichkeiten und sozialen Verstärkern suchen. Zur Optimierung bestehender psychotherapeutischer Interventionen für belastete Patienten in der Transplantationsmedizin ist zu klären, ob das sehr hohe Maû der erlebten sozialen Unterstützung als Folge kognitiver Neubewertungen bereits existierender Sozialkontakte zu sehen ist, welche Art der Unterstützung von den Patienten als hilfreich erlebt wird und auf welche Weise diese möglicherweise zu einer Reduzierung affektiver und anderer psychischer Beeinträchtigungen beiträgt. Literatur 1 Abbey S, Farrow S. Group therapy and organ transplantation. Int J Group Psychother 1998; 48: 163 ± 185 2 Lanuza DM, Levaiver CA, Farcas GA. Research on the quality of life of lung transplant candidates and recipients: An integrative review. 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Gesundheitsbezogene Lebensqualität und ¼ Psychother Psych Med 2004; 54: 17 ± 22 Originalarbeit In Bezug auf die wahrgenommenen sozialen Beziehungen (F-SOZU) konnte ein erstaunlich geringes Maû der als belastend erlebten Beziehungen und eine im Vergleich zur Referenzgruppe deutlich höhere Zahl der als unterstützend erlebten Beziehungen bei Patienten vor und nach Transplantation festgestellt werden (vgl. Tab. 4). Dies deutet an, dass bei Lungentransplantierten und Patienten auf der Warteliste ein ebenso hohes Maû der Zufriedenheit hinsichtlich der sozialen Unterstützung erlebt wird, wie dies bereits bei anderen Patientengruppen berichtet wurde [42, 43]. Hierbei ist insbesondere in der Gruppe der Wartelistepatienten zu berücksichtigen, dass dieses hohe Maû der erlebten Unterstützung trotz der sehr starken Einschränkungen in der Mobilität und damit auch eingeschränkten Teilnahme an sozialen Aktivitäten erreicht wird. Möglicherweise zeigt sich hierin die Tendenz der Patienten, soziale Beziehungen, die als wichtigste Ressource zur Bewältigung der prä- und postoperativen Belastungen genannt wird, gezielt zu suchen und sich damit primär an die Personen aus ihrer Umgebung zu wenden, von denen sie ein höheres Ausmaû an Verständnis und Unterstützung erwarten. Nach der Transplantation wird z. B. auch das Pflegeteam als wichtige Quelle sozialer Unterstützung hinzugezählt [15]. Der hier angedeutete Einfluss von sozialer Unterstützung und sozialer Belastung als wichtige intervenierende Variable in der Krankheitsbewältigung von Patienten vor und nach Lungentransplantation ist in weiteren Untersuchungen zu spezifizieren. 21 19 Originalarbeit 22 Grady KL, Jalowiec A, White-Williams C. Predictors of quality of life in patients at one year after heart transplantation. J Heart Lung Transplant 1999; 18: 202 ± 210 20 Bunzel B. Herztransplantation: psychosoziale Grundlagen und Forschungsergebnisse zur Lebensqualität. 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