Dynamo Dresden - Faszination Fankurve
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Dynamo Dresden - Faszination Fankurve
Fan-Szene „Das Herz hängt am alten Stadion“ Foto: Veit Pätzug „Die Leute im Stadion ziehen wieder richtig mit“ Zwei Jahre hat Veit Pätzug in der Fanszene von Dynamo Dresden recherchiert. Seine Beobachtungen hat er nun in einem Buch veröffentlicht. Stadionwelt: Wie kam es zu der Idee zu diesem Buch? Pätzug: Zuerst war es eigentlich lediglich eine Idee für meine Diplomarbeit als Grak-Designer. Ich habe mir das Thema selbst gestellt, weil ich selbst aus Dresden komme und mich immer schon für die Szene interessiert habe. Vom Zeitpunkt der Idee bis zur Veröffentlichung hat das alles zweieinhalb Jahre gedauert. Stadionwelt: Du bist also selbst DynamoFan? Welche Kontakte in die Szene hattest du am Anfang? Pätzug: Ich bin jetzt 33 und mit zwölf Jahren das erste Mal zum Fußball gegangen. Da hat es mich gepackt, seitdem hängt das Herz an Dynamo. Aber ich war im16 mer eher mit Leuten aus dem Freundeskreis da, nicht mit Kreisen, die als Szene im engeren Sinne zu beschreiben wären. 1995, im Abstiegsjahr, haben mich Dynamo-Hools vermöbelt; ich sah damals noch etwas anders aus und hatte längere Haare. Da bin ich erst mal ein paar Jahre nicht mehr hingegangen. Als es trotz Oberliga wieder richtig Rock’n’Roll gab, eine Euphorie unter den Unentwegten, die dem Verein die Treue halten, bin ich auch wieder hin. Stadionwelt: Und wie verlief die Kontaktaufnahme mit der Szene für das Buchprojekt? Pätzug: Das war eine der größten Hürden überhaupt. Es hat ein, zwei Monate ge- dauert, bis ich an die Ultras Dynamo heran kam. Da bestand zunächst Ablehnung gegenüber „irgend so’nem Presse-Heinz“, der was über sie machen will. Die hatten schon schlechte Erfahrungen mit der Presse gemacht. Ich wollte es aber wissen und bin über Freunde in eine Freizeitfußballmannschaft gekommen, die gegen die Ultras Dynamo spielten. Da haben wir uns also ordentlich in die Knochen getreten – und nach dem Spiel saßen wir uns gegenüber. Es stellte sich heraus, dass die alles Mögliche über mich recherchiert hatten! Das Interesse war also da, sie wollten nur wissen, ob ich okay bin. Beim nächsten Auswärtsspiel war ich dann gleich dabei. Stadionwelt: Und über die UD bist du dann in den Kontakt mit anderen Teilen der Szene getreten? Pätzug: Ja, die Ultras meinten, sie könnten auch nicht über alles etwas erzählen, gerade über die DDR-Zeiten und die 90er. Sie empfahlen mich dann an die Älteren weiter. Das war dann easy. Man trank ein Pils zusammen, und als die ersten Mollen gezischt waren, ergaben sich erstklassige Gespräche. Die fanden es toll, dass endlich jemand echtes Interesse an der Szene hat. Die hatten Sachen zu erzählen…! Ich habe zwar alles festgehalten, aber Vieles durfte dann am Ende doch nicht geschrieben werden. Allerdings vieles von den Ultras auch nicht … Stadionwelt: Bist du auch auf Ablehnung gestoßen? Pätzug: Ja, ich vermute, beim Verein selber. Anfangs hatte ich die Unterstützung, vor allem in Form von Arbeitskarten, sodass ich mich im Stadion frei bewegen und fotograeren konnte. Als sich aber herauskristallisierte, dass es um „die Szene“ im Speziellen ging, ist der Draht zum Verein gerissen – auch von meiner Seite. Sie wollten oder konnten dann auch nicht mehr ihren Namen und ihr Signet hergeben für ein Produkt, das dem Verhältnis mit den Sponsoren schaden könnte. Im Shop wird das Buch jetzt aber sehr ordentlich verkauft; es gibt da einen Deal: Der Verlag spendet einen Anteil des Gewinns an die Dynamo-Jugend, also an den Förderverein Zukunft Dynamo e.V. Stadionwelt: Hat sich, nachdem die Sache intensiv wurde, die Ausrichtung deiner Buchidee geändert? Pätzug: Das war ein echter Prozess, am Ende hat mich dann selbst überrascht, was dabei herausgekommen ist. Am Anfang war es Blindug, ich war da ganz naiv herangegangen. Ich wollte einfach nur etwas über eine unverwechselbare Fankultur bringen. Dann kam eins zum anderen, es hat mich dann selber auch ein bisschen verändert. Stadionwelt: Das Buch hat eine starke Ausrichtung auf Gewalt – hat sich diese Stadionwelt April/Mai 2006 Fan-Szene Tendenz erst während der Recherche ergeben? Pätzug: Ich empnde das nicht so, auch ist längst nicht die gesamte Fanszene gewaltorientiert. Jedenfalls war bald klar, dass es nicht möglich ist, über die Gesamtheit der Dynamo-Fans fair zu schreiben. Die größte Anziehungskraft ging für mich einfach von der radikalen Fanszene aus, und der Art, wie sie sich immer wieder rechtsfreie Räume im gesellschaftlichen System schafft. Früher habe ich selbst bei der Antifa den Widerstand geprobt; in der Szene von Dynamo hat mich einfach dieses selbstbestimmte Scheißen auf Legitimation und Gesetz fasziniert – das sicher zum Teil mit einem ganz anderen Ansatz geschah, als ich es kannte. Stadionwelt: In wie fern ist dein Buch ein Spiegelbild der Dynamo-Szene? Pätzug: Ich weise auch im Vorwort des Buches ganz explizit darauf hin, dass es nur einen kleinen Teil der gesamten Szene darstellt. Der harte Kern der Kategorie, die richtig zur Sache geht, besteht vielleicht aus 200 bis 300 Leuten. Aber in Dresden ist der Sympathisierungseffekt immens ausgeprägt. Wenn es irgendwo Stress gibt, mit wem auch immer, sind da ganz schnell 1.500 zur Stelle, die sofort loslegen würden. Stadionwelt: In wie fern hat sich in dieser Zeit deine eigene Einstellung geändert? Pätzug: Gute Frage… Nein, mein Verhältnis zur Gewalt hat sich nicht geändert. Sie hat mich immer abgeschreckt, und das ist immer noch so. Aber die Dynamik und diese rasante Geschwindigkeit, diese Power, die die Leute an den Tag legen, fasziniert mich schon. Stadionwelt: Wie waren die Reaktionen aus der Szene auf das Buch? Pätzug: Die Szene ist ganz, ganz vielschichtig. Da gibt es Linke, Studenten, Banker, Asis und natürlich auch einige Rechte. Dementsprechend viele unterschiedliche Haltungen gibt es gegenüber Dresden zu Gast in Plauen: „Habt Ihr keinen Hunger?“, riefen die Dynamo-Anhänger dem Buch. Positiv fanden aber alle, dass es endlich dieses Buch über die Szene gibt. Die Ultra-Szene ist gesplittet; da gibt es linksalternative Ansätze, und bei diesen Leuten kamen die politischen Statements gut an, andere haben sie abgelehnt. Einigen hat der Klappentext, in dem Dynamo als rechter Verein rüberkommt, gar nicht gefallen. Im Großen und Ganzen ist die Meinung sehr positiv, es ist gut „unter der schwarz-gelben Sonne gelandet“. Stadionwelt: Und die Reaktionen aus den weiteren Teilen der Szene? Pätzug: Vorwürfe in Richtung Gewaltverherrlichung kamen unter anderem von Seiten des Fanprojekts. Dazu kann ich nur sagen: „Wer Gewalt herrlich ndet, wird sie im Buch natürlich nden, andere wird sie erschrecken.“ Ich wollte nur dokumentieren, nicht kommentieren. Stadionwelt: Der Verein war vermutlich auch nicht sehr erfreut… Pätzug: Da kam nie ein ofzielles Statement, auch auf der ofziellen DynamoHomepage kam nie ein Hinweis auf das Buch. Ein Spieler hat mir erzählt, man n- Veit Pätzug Veit Pätzug ist 33 Jahre alt, lebt mit seiner Frau und seiner Tochter in Dresden und arbeitet freischaffend als Grafik-Designer und Journalist. Schwarzer Hals, gelbe Zähne „Schwarzer Hals, gelbe Zähne“ bietet auf rund 240 Seiten einen tiefen Einblick in die Fanszene von Dynamo Dresden. Das Buch ist zum Preis von 19,90 Euro im StadionweltShop unter www.stadionwelt.de erhältlich. Bestellungen sind auch telefonisch unter (0 22 32) 57 72-0 möglich. Veit Pätzug Foto: S. Füssel Stadionwelt April/Mai 2006 Foto: René Dathe de es nicht förderlich für das Image des Vereins. Wobei viele Fans meinen, dass die Spieler auch nicht immer förderlich für das Image des Vereins sind… Auch in den Medien ist nicht groß was publiziert worden, so läuft die Bekanntmachung größtenteils übers Hörensagen. Obwohl ich ja gerade ‘ne Rezi in der ZEIT-Beilage hatte – da musste ich vor Freude vormittags gleich mal ein Pils nehmen. Stadionwelt: Du hast für das Buch auch mit der Polizei zusammengearbeitet, wie ist das abgelaufen? Pätzug: Erstaunlich! Zuerst dachte ich, die wollen mir nur Wissen über die Szene absaugen. Das war natürlich tabu, in den Texten ist ja auch alles anonymisiert – und alles von den Fans autorisiert. Die Polizei hatte natürlich tolle Bilder in ihren Antworten, aber da haben die sich gründlich selbst korrigiert. Letzten Endes fand es die Polizei gut, eine Gegendarstellung bringen zu können, die haben ja natürlich auch alle Skripte von den Interviews zur Freigabe bekommen. Nur hat es Wochen gedauert, bis die sich geeinigt hatten, was ich schreiben darf. Das war Seitens der Ultras nicht unähnlich. Stadionwelt: Worin siehst du die Besonderheiten der Dresdener Szene im Vergleich mit anderen? Pätzug: Besonders auffällig war die Zeit, als der Verein abgestürzt war, aber in der Oberliga Nordost 3.000 Leute auswärts mitkamen und richtig Rummel machten. Es ist ein spezisches Ost-Ding, aber bei Dynamo besonders stark ausgeprägt, dass die Fans aus verschiedenen Gründen mittlerweile überall leben und die Szene so in der ganzen Republik vertreten ist. So kommen dann zum Beispiel mal tausende Dynamo-Fans in Bochum an einem Dienstagabend zusammen. Das ist eklatant. Und eine weitere Besonderheit ist der gute Support. Ganz wertvoll nde ich, dass Dyna17 Fan-Szene mo auswärts als kompakte Masse auftritt, die sich nicht die Butter vom Brot nehmen lässt, während intern sehr viel diskutiert wird – im Internet, aber auch körperlich. Stadionwelt: Nach dem Aufstieg in die zweite Liga hat Dynamo einen Boom erlebt, jetzt sieht es eher schwierig aus. Wie hat sich das auf die Szene ausgewirkt? Pätzug: Es hat sich beinahe gesundend ausgewirkt. Viele Leute, die nach dem Aufstieg wieder im Stadion waren, hatten in der Zwischenzeit nichts mitbekommen. So entstanden Diskrepanzen besonders zwischen den Ultras und Anderen. In der Regionalliga waren zwar nicht so viele im Stadion, aber alle haben gerockt. Zwischenzeitlich gab es dann schon mal Stress mit denen, die nicht mitmachten. Dynamo hat etwas abgebaut, aber die Leute, die jetzt noch ins Stadion gehen, ziehen wieder richtig mit. Ein ganz breiter Konsens besteht in der Ablehnung der Kommerzialisierung. Da drehen die Leute hier durch. Stadionwelt: Wie ist dann die Haltung gegenüber einem neuen Stadion? Pätzug: Auf jeden Fall soll das Stadion bleiben, wo es ist. Viele wollen auch keinen zweiten Rang, sondern eine ganz einfache Schüssel. Viele haben Angst vor dem Neuen, das Herz hängt am alten Stadion. Auch wenn es gegenwärtig verdreckt und muffelig ist: Es hat Flair. Stadionwelt: Mit dem Aufstieg befand sich Dresden plötzlich wieder im Rampenlicht – und die Medien hatten ein neues Sinnbild für Fußballgewalt. Welcher Trend diesbezüglich ist derzeit in der Szene festzustellen? „Hooligan-Gipfel“: Dynamo - VfB Leipzig 18 Saison 2003/2004: 10.000 Dynamo-Fans feiern in Uerdingen den Aufstieg Pätzug: Ende 2005 waren aktuell ca. 280 Stadionverbote wirksam. Die wirken sich aus. Die Polizeipräsenz ist in Dresden sehr hoch, und so gehen einige nur noch zu den Spielen der zweiten Mannschaft. Das hat sich schon negativ auf den Support niedergeschlagen. Diese bunte, kreative Szene gibt es auf keinen Fall mehr. Der Dresdener Ruf einer gewaltbereiten Szene muss meiner Meinung nach relativiert werden. So viele Vorfälle gab es nun auch nicht. Dresden hat zwar eine stattliche C-Kategorie, aber die tritt kaum noch beim Fußball auf. Die Ultraszene hat von sich aus Konsequenzen gezogen und gesagt: Wenn es dem Verein so sehr schadet, dann wird im Dresdener Stadion auch nicht mehr gezündelt. Wenn doch etwas vorkommt, dürften kaum die Ultras Dynamo als Gruppe dahinter stehen, sondern Einzelpersonen. Foto: Jürgen Clauß Foto: Stadionwelt Stadionwelt: Wie schätzt du die Einstellung zu politischen Dingen in der Szene ein? Pätzug: Das wird gerade heiß diskutiert im Forum und allgemein. Im Grunde ist das mit der Politik aber ein bisschen abgeaut. Es gibt natürlich Polen-Kontakte, dort ist ja vieles sehr nationalistisch, was schon abfärbt auf einige. Aber richtig krass drauf ist nur ein kleiner Teil. Der große Teil bemüht sich, das Ganze neutral zu halten. Als ich mit dem Buch anng, was fast drei Jahre her ist, waren die Ultras Dynamo eher eine links-alternative Szene. Das ist aber in meinen Augen kaputt. Stadionwelt: Wie ist dein Ausblick auf die Zukunft der Dresdener Szene? Pätzug: Ich denke, dass im Osten generell alles gesellschaftspolitische Ursprünge hat. Der Stadt Dresden an sich geht es gut, obwohl natürlich trotzdem zu viele keine Arbeit haben, aber die Szene kommt aus einem gigantischen Umfeld. Daher wird es in den nächsten Jahren immer eine Trotz- und Gewaltszene geben. Eine selbstbestimmte, kreative und aggressive Szene nde ich reizvoll. Das hat Ausnahmestellung und sollte erhalten bleiben. Stadionwelt: Stimmt es, dass du auch an einem Buch über die Szene von Lok Leipzig beteiligt bist? Pätzug: Ja. Ein Lokist hatte Kontakt zu mir aufgenommen. Er fand das Buch gut und fragte mich, ob ich ihm mal das Cover schicken kann, weil er das Buch im Stadionheft rezensieren wollte. Ich fragte ihn dann, ob es von seiner Seite Interesse zu einem ähnlich gelagerten Projekt über Lok gäbe. Die Sache kommt nach Lage der Dinge zustande und die Arbeit soll demnächst beginnen. Mein Verleger fand die Idee auch super. Der Vorteil ist diesmal, dass alle Kontakte ins „Hinterland“ der Szene bestehen und er schon Vorarbeit im lokeigenen Fanzine leisten konnte. Die Materialfülle an Interviewmöglichkeiten, Dokumenten und Bildern ist jedenfalls vorhanden. Mein Part wären konzeptionelle Dinge sowie die Gestaltung.� �� Stefan Diener / Ingo Partecke Stadionwelt April/Mai 2006