Interview als PDF - Migrationsrat Berlin
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Interview als PDF - Migrationsrat Berlin
Oury Jalloh, das war Mord! Am 7. Januar 2005 verbrannte Oury Jalloh an Händen und Füßen gefesselt auf einer feuerfesten Matratze im Keller eines Dessauer Polizeireviers. Zwei Jahre nach der Ermordung Ourys fand der erste Prozess gegen zwei Polizeibeamte am Landgericht Dessau-Roßlau statt. Die Anklage lautete Körperverletzung mit Todesfolge und fahrlässige Tötung durch Unterlassung. Wie die Initiative und internationale Prozessbeobachter_innen bereits während der ersten Verhandlungstage vermutet hatten, wurden beide Angeklagten im Dezember 2008 frei gesprochen. Da die Anklage auf der These beruhte, Oury Jalloh habe sich selbst umgebracht, ging es in dem Prozess lediglich darum, ob den Polizist_innen eine Mitschuld nachzuweisen sei. Auf die Wahrheit jedoch, wer Oury Jalloh umgebracht hat, warten die Familie und seine Freunde noch immer. Von Anfang an wurden die Aktivist_innen der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh kriminalisiert. Die Räumlichkeiten, in denen sie sich trafen, wurden mehrere Male durchsucht, Aktivist_innen eingeschüchtert und des Drogenhandels bezichtigt. Nichtsdestotrotz ließ sich die Initiative nicht zum Schweigen bringen, sie zogen bis vor den Bundesgerichtshof (BGH). Die vorsitzende Richterin des BGH, Ingeborg Tepperwien, äußerte damals gegenüber der Taz, dass bei der Dessauer Polizei mangelnde Aufklärungsbereitschaft in diesem Fall vorliege und hob das erste Urteil auf. Der Fall wird nun seit dem 12. Januar 2011 vor dem Landgericht Magdeburg hinsichtlich des Dienstgruppenleiters Andreas Schubert neu verhandelt. Sechs Jahre nach dem Tod von Oury Jalloh hat also der Revisionsprozess in Magdeburg begonnen. Das Verfahren erinnert vielerorts an den zur Farce verkommenen ersten Prozess: Auch in diesem Prozess präsentieren die vorgeladenen Polizeibeamt_innen neben offenkundig einstudierten und wenig aussagekräftigen Antworten eine fadenscheinige kollektive Amnesie auf detaillierte und offenbar nicht-antizipierte Rückfragen. Bis heute ist ungeklärt, warum Oury Jalloh am 7. Januar 2005 von der Polizei in Dessau festgenommen wurde. Wie ein Feuerzeug in seine Zelle gelangen konnte, obwohl er doch zuvor gründlich durchsucht worden ist? Und wie ein an Händen und Füßen gefesselter Mensch eine schwer entflammbare Matratze in Brand setzen konnte? Am 7. Januar 2012 kam es bei der jährlich stattfindenden Gedenkdemonstration an die Ermordung Oury Jallohs zu einem massiven Einsatz von Pfefferspray, Schlägen und Tritten von Seiten der Polizei. Der Mitbegründer der Initiative Mouctar Bah musste bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert werden, nachdem er von mehreren Polizisten zu Boden gerissen und geschlagen wurde.1 1 siehe dazu auch die Pressemitteilung vom 09.Januar 2012 „Rassistische Polizeigewalt gegen Demonstrant_innen in Dessau“ Am 16. und 21. Januar marschierten hunderte von Menschen mit Parolen wie „Deutschland den Deutschen“ und „kriminelle Ausländer raus“ – von der Polizei ungestört – vor das Dessauer Polizeirevier. Zur gleichen Zeit kam es zu Brandanschlägen, u.a. auf das Dessauer Polizeirevier sowie auf ein Auto in Halle. Jedes Mal wurde daneben die Parole „Oury Jalloh, das war Mord!“ gesprüht. Allem Anschein nach handelt es sich bei diesen Anschlägen einfach um weiterere Versuche Aktivis_innen der Initiative zu kriminalisieren. Der Verbrennungsmord an Oury Jalloh ist einer der grausamsten Fälle rassistischer Polizeigewalt in Deutschland, genauso wie die Vertuschungs- und Verschleierungsversuche im letzten und im nun noch laufenden Prozess gegen den Dienstgruppenleiter Schubert glänzende Beispiele für den in Deutschland herrschenden institutionellen Rassismus sind. Nach dem äußerst brutalen Vorgehen der Polizeibeamt_innen gegenüber friedlichen Demonstrant_innen am 7. Januar 2012 in Dessau und den verstärkten Repressionen und Einschüchterungsversuche gegenüber Aktivist_innen der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, wird uns zum wiederholten Mal deutlich vor Augen geführt, wie der deutsche Staat zu Rassismus, insbesondere den institutionalisierten Rassismus im eigenen Land steht. Die Existenz von Rassismus wird in Deutschland von Seiten der Politik gerne verleugnet. Eher werde von diffamierenden, verschleiernden Phänomenen ich “Fremdenfeindlichkeit oder Rechtsextremismus gesprochen Rassismus wird – wenn überhaupt- als eine Randerscheinung wahrgenommen, die bestimmten Gruppen der Bevölkerung zuzuordnen ist und vorzugsweise in den neuen Bundesländer vorortet wird. Dass sich Rassismus „von Oben“ in der Gesellschaft widerspiegelt und rassistische Denkstrukturen der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft dadurch genährt und potenziert werden, wird dabei völlig außer Acht gelassen. Wenn dies öffentlich zum Thema gemacht wird und damit der Staat und seine Institutionen angegriffen werden - so wie im Falle der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh - wird vehement versucht diese Bestrebungen einzudämmen und zwar mit allen Mitteln. Iris Rajanayagam hat für den Migrationsrat Berlin Brandenburg mit Mouctar Bah und zwei weiteren Aktivist_innen der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, Abraham Habtemariam und Nadine Saeed. gesprochen. „Es ist nicht im Sinne des Landes Sachsen-Anhalt in Richtung Mord zu recherchieren.“ Iris Rajanayagam: Am 19.01. war der letzte Gerichtstermin im Revisionsprozess um die Aufklärung des Mordes von Oury Jalloh. Erneut wird der Dienstgruppenleiter Andreas Schubert angeklagt, welcher im ersten Prozessverlauf freigesprochen wurde. Wie ist eure Einschätzung zum Verlauf der Verhandlung an diesem Tag und was habt ihr momentan für ein Gefühl dazu?2 2 Für mehr Informationen zum Prozess und zur Initiative in Gedenken an Oury Jalloh: http://initiativeouryjalloh.wordpress.com/ oder Migrationsrat Berlin & Brandenburg e.V. (2011) : „Institutioneller Rassismus. Ein Plädoyer für deutschlandweite Aktionspläne gegen Rassismus und ethnische Diskriminierung.“ 1. Ausgabe, Berlin. Nadine Saeed: Zum Prozess sage ich kurz etwas. Wir befinden uns jetzt in der letzten Phase des Revisionsprozesses. Die Anklage gegen Schubert lautete anfangs „Körperverletzung mit Todesfolge“, weil er zu spät in den Gewahrsamsbereich gegangen ist [als klar wurde, dass Oury Jalloh Hilfe benötigt]. Die Richterin hatte Ende letzten Jahres einen rechtlichen Hinweis an die Verteidigung gegeben und war der Meinung, dass die Ingewahrsamnahme von Oury Jalloh rechtswidrig war. Die Beamten, die ihn an dem Morgen von der Straße geholt haben, hätten das eigentlich gar nicht gedurft und alles was dann folgte war rechtswidrig. Deswegen ist die Anklage gegen Andreas Schubert jetzt „Körperverletzung mit Todesfolge“ und „fahrlässiger Tötung“. Vom Gefühl her ist es so, dass wir denken, dass Andreas Schubert schuldig gesprochen wird, weil das Gericht sich schon davon überzeugt hat. Sonst hätten sie die Anklageschrift nicht ausgeweitet. Das heißt aber nicht, dass wir damit zufrieden sein werden. Denn wenn er schuldig gesprochen wird, heißt das einfach nur, dass er sich falsch verhalten hat, aber es ist nichts darüber ausgesagt, wer ihn ermordet hat, also wer Oury Jalloh angezündet hat. Darüber wird nicht verhandelt und Andreas Schubert droht dann eine Bewährungsstrafe, das war's und da haben wir ein sehr schlechtes Gefühl zu. Die Anwältin hat also gesagt, dass die Ingewahrsamnahme rechtswidrig war. Wie war genau die Begründung? N. S.: Die Polizeibeamten sind morgens zu Oury Jalloh gekommen und haben ihn nach seinem Ausweis gefragt. Daraufhin hat dieser immer wieder gefragt: „Warum?“. In dem Moment, als sie eintrafen, hat er weder jemanden belästigt, noch stellte er eine Gefahr für die Bevölkerung dar. Sie hätten ihn einfach nur nach Hause fahren können bzw. ihn nach Hause schicken sollen. Der Revisionsprozess soll voraussichtlich bis Mitte März laufen. Mensch könnte denken, dass dies eventuell einen kleinen Erfolg für euch darstellt. Jedoch ist Schubert, wie du schon gerade erwähnt hast, lediglich der „Körperverletzung mit Todesfolge“ beschuldigt. Jetzt zwar noch mit dem Zusatz der „fahrlässigen Tötung“, es ist jedoch nicht eine Anklage auf Mord. Wie habt ihr anfänglich auf diese Anklage reagiert bzw. auf die aktuelle revidierte Version? Du hattest gesagt, dass ihr nicht zufrieden seid. Könntet ihr noch mehr dazu sagen, wie ihr als Initiative im Moment damit umgeht, dass es zwar eine Anklage gibt, die aber nicht dem entspricht, was ihr fordert. Mouctar Bah: Wie wir damit umgehen ist einfach so: wir kämpfen immer noch und wir setzen immer noch unsere Zeichen. Wir hoffen, dass eine Anklage wegen Mord erhoben wird. Es liegt dadurch natürlich viel Arbeit vor uns, aber was wir in Magdeburg mitbekommen haben ist, dass auch viel erreicht worden ist. Wir wissen z.B. jetzt, welche Beamt_innen am Tag der Ermordung um 11:30 Uhr bei Oury Jalloh waren. Das waren u.a. Herr Merz und Herr Scheibe3. Außerdem wissen wir, dass diese ihn auch gründlich untersucht haben und, dass seine Hosentaschen leer waren [es befand sich kein Feuerzeug darin], was der Zeuge Herr Bock bestätigt hat. Und es gibt noch einen Punkt, der mir jetzt auffällt oder aufgefallen ist: Als wir die Ortsbesichtigung in Dessau gemacht haben, habe ich Herrn Schubert gefragt: „Wo stand Herr Merz als du aus dem Keller wieder hoch kamst?“ Und er hat gesagt: „Hier“. [M.B. zeigt direkt vor sich]. Das zeigt, dass Herr Merz wirklich unten gewesen ist, weil der Weg zwischen der Zelle in der Oury Jalloh lag bis zu dem Punkt an dem Herr Merz, nach Schuberts Worten gestanden hatte, nicht mehr als zehn Sekunden betragen kann. Dies weiß 3 Die Polizeibeamten Merz und Scheibe haben Oury Jalloh am Morgen des 7. Januars 2005 in Gewahrsam genommen. das Gericht sowie unsere Anwält_innen. Das sind die Sachen, die wir in Magdeburg mitbekommen haben und wir hoffen und denken, dass irgendwann eine Anklage auf Mord erhoben wird. Abraham Habtemariam: Das Hauptproblem bei der ganzen Geschichte ist, dass von vornherein nie eine Untersuchung angefangen wurde, welche die Selbstmordtheorie ins Wanken hätte bringen können. Und das ist es, was uns denken lässt, dass die Selbstmordtheorie, die sofort im Revier, direkt am Tatort entstanden ist - und zwar um den Mord zu verschleiern - mittlerweile bei den oberen Gerichten Zustimmung gefunden hat. Es ist so, dass diese Theorie von der Kammer Magdeburg akzeptiert wird und dass alle wissenschaftliche Arbeiten und Forschungen nicht in Richtung Mord gehen sollten. Dies wurde ausdrücklich von der Dessauer und der Magdeburger Kammer betont. Es ist nicht im Sinne des Landes Sachsen-Anhalt in Richtung Mord zu recherchieren. Obwohl so viel dafür spricht, dass ein Selbstmord gar nicht möglich war. N. S.: Ich glaube, das Wichtigste ist, dass das Innenministerium die Untersuchungsaufträge an die Stendaler Kripo weitergeleitet hat, und dass das Brandgutachten, das medizinische Gutachten und alle sonstigen Gutachten in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium entstanden sind. Dies ist jetzt im Revisionsprozess herausgekommen. Die hatten allerdings Angst, dass wenn herauskommt, dass in einem Bundesland wie Sachsen-Anhalt, das eh schon die höchste Rate an Rechtsextremismus aufweist, Menschen wegen ihrer Hautfarbe oder ihres sozialen Status, wie im Falle Mario Bichtemanns, der 2002 in der gleichen Zelle ermordet wurde,4 getötet werden, dann hätte das einen riesigen Skandal gegeben. Und wie kam heraus, dass das alles in Absprache mit dem Innenministerium lief? N.S.: Durch Zeugenaussagen. Was für Zeugen waren das? N.S.: Fabisch von der Stendaler Kripo und der Brandgutgutachter. „Sie versuchen uns jetzt einfach auch öffentlich zu kriminalisieren“ Ihr habt ja schon gesagt, dass es euch um „Mord“ geht. Die Verwendung genau dieses Satzes „Oury Jalloh, das war Mord“ - wurde am 7. Gedenktag an den Tod Oury Jallohs [7. Januar 2012] von den Dessauer Polizeibeamt_innen u.a. als Legitimierung vorgeschoben, um auf brutalste und aggressivste Weise gegen die friedlich demonstrierenden Menschen vorzugehen, bzw. diese einzuschüchtern und zu demütigen. Es wurde Pfefferspray eingesetzt und du Mouctar musstest sogar mit zwei anderen Mitaktivisten ins Krankenhaus eingeliefert werden. Könntet ihr noch mal kurz die Ereignisse dieses Tages von eurer Perspektive aus schildern? 4 Im Jahr 2002 starb der Obdachlose Mario Bichtemann in derselben Zelle wie Oury Jalloh an einem Schädelbasisbruch. Die Ursachen blieben bis heute ungeklärt. Auch an diesem Tag war der agierende Dienstgruppenleiter Andreas Schubert. M.B.: Von meiner Seite würde ich das so schildern: Zwei Tage vor dem 7. Januar 2012 kamen zwei Beamte in meinen Laden,5 die versucht haben mich einzuschüchtern. Sie drohten mir damit, dass die Benutzung des Wortes „Mord“ eine Straftat darstellen würde. Ich habe klipp und klar gesagt: „Wir werden das Wort benutzen, da es vom Landgericht Naumburg dazu schon ein Urteil gibt“ und da hat einer der Beamten gesagt, dass möchte er gerne sehen, worauf ich erwidert habe: „Ja, wenn sie zur Demo kommen, dann werde ich es Ihnen gerne übergeben.“ Ich habe schon vor Beginn der Demo gemerkt, und dies habe ich auch meinen Kollegen gesagt: „Dieses Jahr wird nicht wie die anderen Jahre. Die Polizist_innen sind sehr aggressiv, ich merke wie nervös sie sind.“ Das habe ich u.a. auch daran fest gemacht, wie sie auf die Kolleg_innen von der FIB und The Voice (Refugee) Forum herangetreten sind, als diese am Dessauer Hauptbahnhof ankamen. Sie haben sie bedrängt und versucht sie zusammenzuschlagen. Ganz kurz eine Zwischenfrage: Waren die Polizeibeamten uniformiert oder in Zivil, als sie zwei Tage vor der Demonstration zu dir gekommen sind? M. B.: Sie waren in Zivil. Und hatten sie so etwas wie eine amtliche Mitteilung o.ä. dabei? M. B.: Sie hatten überhaupt nichts dabei. Sie haben sich mit den Worten vorgestellt, sie seien jetzt meine Ansprechpartner und nicht diejenigen, die ich zwei Tage zuvor beim Kooperationsgespräch im Ordnungsamt gesehen hatte. Ich glaube, nach diesem Kooperationsgespräch haben sie entschieden andere Polizist_innen mit mir sprechen und mich begleiten zu lassen. Und daraufhin sind dann gleich die Beamten zu mir gekommen um mich einzuschüchtern. A. H.: Ich habe gesehen, dass Mouctar das Schreiben von Naumburg bei der Demo bei sich hatte. N. S.: Wir haben es allerdings nicht ausgehändigt. Nur vorgezeigt. A. H.: Genau. Es ist also vor Ort 100 Prozent belegt worden, dass es nicht illegal ist „Das war Mord“ zu skandieren. Den neuen Polizeipräsident Schieber, schätzen wir so ein, dass er relativ selbstständig gehandelt hat und sich gesagt hat: „Den zeigen wir's jetzt erst mal, schüchtern sie ein, schlagen sie, gucken, ob das dann abflaut“. Sechs Jahre lang hat uns Findeisen, der Justizier des Polizeireviers in Dessau begleitet, d.h. die Demos sowie die Kooperationsgespräche. Und jetzt ist er weg mit der Begründung, er hätte den Polizeipräsidenten falsch beraten. Diese Gedenkdemo hat nun zum siebten Mal in Dessau stattgefunden. Habt ihr im Laufe der letzten Jahre schon einmal ein solches Verhalten von Seiten der Polizei erlebt? Was ist eurer Ansicht nach der Grund hierfür? Steht das Verhalten der Polizei eventuell auch im Zusammenhang mit dem Verlauf des Prozesses? Es gab u.a. die Theorie, dass es bis zu diesem Zeitpunkt im Bezug auf den Verlauf des Prozesses eher schlecht für die Initiative aussah und, dass die Polizeibeamt_innen aus diesem Grund glaubten eine Art Freischein zu haben, sich so 5 Mouctar Bah besitzt in Dessau ein Internetcafe. aggressiv und brutal zu verhalten. A. H.: Wir sind der Meinung, dass die Kammer Magdeburg Signale ausgesendet hat. Die Signale waren ganz klar. Das fängt schon bei dem T-Shirt-Verbot an. Eine Kammer sagt zu uns, das T-Shirt sei legal bzw. der Slogan [“Oury Jalloh das war Mord“] auf dem T-Shirt sei legal und dann kommen wir zum Magdeburger Gericht und die sagen das T-Shirt sei in den Gerichtsräumen nicht erlaubt. Das ist eine klare Zeichensetzung und Beeinflussung. Für die Beamt_innen war das eine Legitimierung, denn sie konnten sich bei der Demo auf das Verbot des Magdeburger Gerichts berufen und sagen: “Dort durftet ihr die T-Shirts auch nicht tragen!“ Und das ist das, was dieses Jahr anders war. N. S.: Auch in Magdeburg, vor zwei Monaten, gab es nach der Demo Auseinandersetzungen. Als die meisten Menschen schon weg waren, wollte die Polizei Musik beschlagnahmen, weil wir angeblich illegale Lieder gespielt hätten. Das Ganze ist eine Kriminalisierungsgeschichte. Ich würde auch gar nicht sagen, dass der Prozess für uns so schlecht aussah, sondern im Gegenteil, es sah ganz gut aus. Dass die Kriminalisierung der Initiative im Nachhinein noch weiterläuft, die Molotowcocktails und die Autos die brennen6 usw., das kann schon damit zusammenhängen, dass es gezielt von Findeisen so eingefädelt wurde. Sie hatten nämlich erst mal gesagt, wir hätten uns als Demonstrant_innenen aggressiv verhalten, aber sie sind damit nicht durchgekommen, weil sie die entsprechenden Bilder einfach nicht liefern konnten. Weswegen es auch keine Bilder im Innenausschuss gab, als es dann dort thematisiert wurde. O.k. Aber es fällt mir gerade dennoch schwer, aus dem Gesagten herauszufiltern, was eurer Meinung nach der Grund für das aggressive Vorgehen der Polizist_innen am 7. Januar in Dessau war... N. S.: Ich glaube das Ganze hat eine andere Dimension angenommen. Diese Repressionen gegen Mouctar und andere Mitaktivist_innen in Dessau, die gab es schon seit Beginn der Initiative. Genauso wie die rassistische Atmosphäre, die von den Dessauer Bürger_innen und der Polizei geschaffen wird, schon lange existiert. Ich bin auf jeden Fall der Meinung, dass das Verhalten der Polizei definitiv was mit dem Prozess zu tun hat. Ich bin auch der Meinung, dass wir durch die Recherche, die wir gemacht haben und die Anforderung, die wir an unsere Anwält_innen gestellt haben, die damalige Polizeipräsidentin Brigitte Scherber-Schmidt vorzuladen sowie Mitarbeiter_innen des Innenministeriums, um herauszufinden wer den Auftrag gegeben hat, wann und warum - dass wir dadurch in eine Ebene eingedrungen sind, in denen die essentiellen Entscheidungen getroffen wurden, und das spielt meiner Ansicht nach eine große Rolle. Ich glaube jetzt haben sie schlichtweg Angst. „[…] sie gucken tatsächlich nach, ob du Geld für Anwaltskosten hast, ob du Verwandte oder Freunde hast und je weniger du in der Gesellschaft angekommen bist, umso besser für sie, umso besser können sie dich demütigen, verletzen oder gar umbringen, ohne dass jemand nachfragt.“ 6 Für Details s.: http://initiativeouryjalloh.wordpress.com. A. H.: Und wenn du dir die ganzen anderen Todesfälle durch Polizeihand anguckst... Bichtermann ist ja ein super Beispiel dafür, dass die Polizist_innen eine Taktik haben, wie sie sich ihre Opfer suchen. Das heißt, sie gucken tatsächlich nach, ob du Geld für Anwaltskosten hast, ob du Verwandte oder Freunde hast und je weniger du in der Gesellschaft angekommen bist, umso besser für sie, umso besser können sie dich demütigen, verletzen oder gar umbringen, ohne dass jemand nachfragt. Und da sind sie sehr überrascht gewesen, was Oury Jalloh angeht. Denn sie haben bei ihm von vornherein gewusst, dass er keine Verwandten hat, dass er im Prinzip niemanden hier hat, und dass er durch die Situation mit seinem Kind7 teilweise psychisch angeschlagen war. Ich glaube sie haben auf Grund dieses Wissens oder dieser Vorannahmen geglaubt, sie könnten mit Oury Jalloh umgehen wie sie wollten, ihn sogar ermorden, ohne sich die Finger zu verbrennen. Ich denke auch, wenn es Oury Jalloh alleine gewesen wäre, der in dieser Zelle ermordet wurde, hätten wir es schwerer gehabt. Aber auf Grund der Tatsache, dass da schon zwei andere Morde stattgefunden haben, mit gefälschten Dokumenten und falschen Eintragungen, wurde es uns womöglich ein Stück weit erleichtert mit dem Fall so weit zu kommen. Was die Kriminalisierung angeht, sind wir auch nicht sicher wie weit sie gehen werden. Methoden gibt es reichlich. Ob sie versuchen, dich psychisch krank zu machen z.B. durch Verfolgung oder dich vergiften….es ist alles möglich und nichts ist auszuschließen. Das wäre meine nächste Frage gewesen. Es finden ja schon lange, und jetzt im Vorlauf der Demonstration verstärkt, gezielte Repressions-, Einschüchterungs- und Kriminalisierungsversuche von Seiten der Dessauer Polizei gegenüber Aktivist_innen der Initiative statt. [Von der Gewerkschaft der Polizei Sachsen-Anhalt wurde die Initiative als schamlos bezeichnet und sie droht damit der Initiative „die Grenzen aufzuzeigen“.] Die Repressionsversuche haben nach dem 7.01.2012 weiter an Härte zugenommen. Mouctar, du wurdest von Polizeibeamt_innen verfolgt, als du deinen Sohn in die Kita gebracht hast und zwei Polizeibeamt_innen waren, wie auch bei dir vor der Demonstration, in Zivil und ohne amtliche Mitteilung, in der Wohnung eines eurer Mitaktivisten und haben versucht ihn einzuschüchtern. Um nur zwei aktuelle Beispiele zu nennen. Wie geht ihr als Initiative mit diesen Repressionen und Einschüchterungsversuche um. Habt ihr in der Hinsicht eine bestimmte Strategie? Oder versucht ihr euch einfach zu sagen: „wir lassen uns nicht einschüchtern und das war’s“? M. B.: Genau das versuchen wir uns zu sagen. Ich denke, dass Einschüchterung eine von ihren Strategien ist, die Leute zu schikanieren. Es gibt noch mehr Fälle von Mitaktivis_innen, die von der Polizei verfolgt wurden und ich denke, wir müssen einfach ruhig bleiben. Die Lage in Dessau hat sich im Nachspiel der Demonstration erheblich zugespitzt. Unter anderem gab es einen Molotowcocktail-Anschlag gegen das Dessauer Polizeirevier und an dessen Wände wurde der Satz: „Oury Jalloh das war Mord“ geschrieben. Natürlich wurden sofort die Täter_innen in den Reihen der Aktivist_innen der Initiative vermutet, obwohl solch ein Vorgehen der Initiative in keiner Weise ähnlich sieht. Könntet ihr dazu auch kurz etwas sagen? M. B.: Für uns ist die Sache lächerlich. Sie versuchen uns jetzt einfach auch öffentlich zu kriminalisieren 7 Oury Jallohs Kind wurde auf Grund von rassistischen Ressentiments der weißen deutschen Familie seines Kindes gegen seine Einwilligung zur Adoption freigegeben. Oury Jalloh hatte versucht, um sein Kind zu kämpfen, blieb jedoch erfolglos. N. S.: Ich denke, sie versuchen uns so stark zu kriminalisieren, dass sie uns wegsperren können. A. H.: Außerdem ist das Dessauer Polizeirevier rundum Videoüberwacht und du kannst dir sicher sein, wenn wir tatsächlich die Täter_innen gewesen wären, hätten sie uns längst belangt. „Wenn mensch politische Arbeit macht, ist es grundsätzlich immer schwer am gleichen Strang zu ziehen. Aber was uns enttäuscht hat ist, dass wir als Menschen, gerade wenn es um Leben und Tod geht, nicht in der Lage sind gemeinsam an einer Sache zu arbeiten.“ Im Laufe der Jahre habt ihr als Initiative mit vielen verschiedenen Einzelpersonen, Gruppen Organisationen und NROs zusammengearbeitet bzw. kooperiert. Kam es bei dieser Zusammenarbeit auch zu Konflikten zwischen den verschiedenen Gruppen (Personen) oder innerhalb der Initiative selbst? M. B.: Wir arbeiten natürlich mit vielen Leuten zusammen und sind darüber auch glücklich. Wir finden es zwar bedauerlich, dass manche nicht so lange geblieben sind. Aber auf der anderen Seite ist es für uns selbstverständlich, dass Leute kommen und gehen. Diese Arbeit erfordert viel Kraft und Energie und wir haben die Erfahrung gemacht, dass diejenigen die sich wirklich intensiv mit dem Fall beschäftigen wollen oder selbst betroffen sind, bis jetzt geblieben sind. Aber die Unterstützung von verschiedenen Seiten war für uns im Laufe der Jahre sehr wichtig und ohne diese hätten wir es glaube ich nicht geschafft. Also ihr seid auch offen dafür mit den unterschiedlichsten Gruppen und Organisationen zusammenzuarbeiten? Ich stelle diese Frage, da ich aus meiner eigenen politischen Arbeit und Erfahrung als PoC weiß, dass häufig, wenn es um Rassismus geht, die Zusammenarbeit mit der deutschen weißen „Linken“ nicht immer reibungslos verläuft. Und da wollte ich wissen, ob ihr da auch Probleme gehabt habt oder ob die Zusammenarbeit vorwiegend konstruktiv war? A. H.: Wenn mensch politische Arbeit macht, ist es grundsätzlich immer schwer am gleichen Strang zu ziehen. Aber was uns enttäuscht hat ist, dass wir als Menschen, gerade wenn es um Leben und Tod geht, nicht in der Lage sind gemeinsam an einer Sache zu arbeiten. Ein Kritikpunkt, den ich auch nicht von uns als Initiative abweisen möchte. „Institutionellen Rassismus haben wir sicherlich schon alle persönlich erlebt, […]“ Der Mord an Oury Jalloh steht für euch symbolisch für so viele andere Fälle von rassistischer Polizeigewalt in Deutschland und ist mit einer der grausamsten (aber nicht der einzige) Mord. Der Verlauf des Prozesses wiederum, ist ein glänzendes Beispiel für den in Deutschland herrschenden institutionellen Rassismus. Würdet ihr das auch so sehen? A. H.: Institutionellen Rassismus haben wir sicherlich schon alle persönlich erlebt, aber seit der Gründung der Initiative erleben wir ihn vor allem an der Person Mouctars. Das fängt bei der Polizei an und geht über das Ordnungsamt bis in die Gerichte. N. S.: Ich finde, das ist die reinste Form von institutionellen Rassismus. Alles was in dem Gerichtsgebäude passiert, ist die ganze Macht des Staates, und zwar in seiner reinsten Auslebung. Es befällt einen dann eine gewisse Ohnmacht, da wir kaum agieren können und immer gezwungen sind zu reagieren. Wir können uns im Gerichtssaal nicht frei äußern, ohne sofort aufs härteste verwarnt zu werden, während die Poliziebeamt_innen im Zeugenstand sitzen und lügen und ihnen nichts angedroht wird. Und am Ende verlassen sie einfach grinsend den Raum. A. H.: Im Prinzip würde ich behaupten, dass jeder Mensch, der in Deutschland lebt und nicht als so genannter „Bio-Deutscher“ gilt, institutionellen Rassismus am eigenen Leib erlebt hat. Auch wenn er versucht klar zu kommen, zu arbeiten etc. Das kann ich von mir sagen, das kann ich von den Menschen sagen, die ich während der Arbeit in der Initiative kennen gelernt habe, das kann ich über die Leute sagen, die ich vorher gekannt habe. Gleiches gilt für meine Eltern. Das kann ich über jede_n sagen, die_der irgendwann in Deutschland angekommen ist. Und zwar weil du, wenn du hier ankommst als erstes die Institutionen kennen lernst, und die spiegeln die Gesellschaft wider und dementsprechend ist dann auch dein Verhalten. Du gehst in die Gesellschaft mit dieser Einschüchterung, mit dieser Angst. Wenn ich kurz von mir erzählen darf: Der erste Satz, den meine Mutter zu mir gesagt hat, als wir zum ersten Mal in Deutschland gemeinsam spazieren gegangen sind, war: „Hier in Deutschland ist jeder ein Polizist und ihr fasst nichts an.“ Das war die Einführung in Deutschland. Damit sind wir aufgewachsen. „Je mehr Europa zusammenrückt und sich abschottet, umso mehr werden wir, die sich zur Wehr setzen sich begegnen und dank der Technik ist auch eine rege Kommunikation zwischen uns möglich.“ Das wäre zwar ein sehr schöner Abschluss, aber eine Frage hätte ich noch. Rassistische Polizeigewalt, Alltagsrassismus sowie institutioneller Rassismus sind ja Phänomene, die nicht auf Deutschland beschränkt sind. Wie sieht es, in Hinblick hierauf, bei der Initiative mit einer Erweiterung der Zusammenarbeit auf einer internationalen Ebene aus? M. B.: Wir erhalten im Moment sehr viele Anfragen. Wir haben bis jetzt mit den Aktivist_innen des Uhuru Movements zusammengearbeitet. Das sind vor allem Menschen aus den USA und UK. Bei der Unabhängigen Internationalen Kommission8 war ein Mensch aus UK anwesend, der uns an viele britische Organisationen vermittelt hat. 2009 hatte ich bei der Durban-Untersuchungskonferenz in Genf die Möglichkeit von rassistischer Polizeigewalt in Deutschland und in dem Zusammenhang von der Ermordung Oury Jallohs, dem Prozess und der Arbeit der Initiative berichten zu können. Ich hoffe, dass ich spätestens dieses Jahr wieder die Möglichkeit haben werde dort anwesend zu sein. A. H.: Es ist auch ein gewisser Automatismus zu spüren. Das heißt, je mehr Europa zusammenrückt, je mehr die Länder ihre Gesetze und Vorgehensweisen aneinander anpassen, desto mehr erleben Menschen dasselbe wie wir. Oder anders gesagt, erleben wir das, was Menschen in Paris oder Moskau auch erleben. Je mehr Europa zusammenrückt und sich abschottet, umso mehr werden wir, die sich zur Wehr setzen sich begegnen und dank der Technik ist auch eine rege Kommunikation zwischen uns möglich. Wir haben es sogar geschafft, über ein Theaterstück, die Geschichte von Oury Jalloh nach Afrika und zwar nach Mali, zu tragen9. Das Wichtige dabei ist, dass das Stück in Afrika, wogegen sich Europa u.a. abschottet, aufgeführt wurde, und das regt das Publikum an, darüber nachzudenken, wo sie hingehen, mit wem sie reden, wie Gruppen sich zusammen tun können, z.B. von Menschen, die abgeschoben wurden. Es kann ja passieren, dass du aus dem Senegal kommst und nach Mali deportiert wirst und dann sitzt du da mit Leuten, denen das gleiche widerfahren ist. Und die Menschen, denen wir dort begegnet sind, sind denke ich Menschen, die die Geschichten weiter tragen, sich vernetzen und die Kontakte nach Europa nutzen können. Und das ist wiederum etwas, was wir als Initiative auch nutzen können bzw. nutzen wollen. 8 9 Für Details s.: http://initiativeouryjalloh.wordpress.com/2011/05/13/erklarung-der-internationalen unabhangigen-kommission-oury-jalloh/ Näheres hierzu unter: http://www.afrique-europe-interact.net Die Urteilsverkündung im laufenden Revisionsprozess wird voraussichtlich am 13.03.2012 erfolgen (dieser Termin könnte sich jedoch eventuell nach hinten verschieben, näheres kann in diesem Fall der Webseite: http ://initiativeouryjalloh.wordpress.com entnommen werden.) Die Initiative bittet alle Aktivist_innen an diesem Tag am Landgericht Magdeburg ihre Unterstützung zu zeigen oder nach ihren Möglichkeiten und kreativem Potenzial, in ihren eigenen Städten Aktionen für diesen Tag vorzubereiten bzw. durchzuführen. Das Gespräch führte Iris Rajanayagam Berlin, Februar 2012