Kunst des dreidimensionalen Statements

Transcrição

Kunst des dreidimensionalen Statements
Wissen, was die Mode bewegt.
Nr. 01 | Januar 2015
17, 50 EURO
www.tm-digital.de
Berlin
brisant
Die Mode-Hauptstadt
zwischen Dynamik & Dramatik
2
9
Momentaufnahme
2
8
Momentaufnahme
DIE KUNST DES
DREIDIMENSIONALEN
STATEMENTS
können sie losgelöst voneinander für
erfolgreiche Standkonzepte stehen?
Gäbe es auf einer Messe nur einen einzigen
Messestand, dann würde sicher die Warenpräsentation als Standkonzept ausreichen.
Eine Messe oder Messehalle spiegelt jedoch
in der Regel ein Stück Markt wider, sodass
natürlich jeder Hersteller ‚glänzen‘ möchte
und sicherlich mit Emotionen und Erlebniswelten auf sich aufmerksam machen kann.
bontempo für Pierre Cardin
Gerade die Synergien, aus denen sich die
Details ergeben, machen den Unterschied
Räume sind unsere Realität. Sie zählen neben der Zeit, so die Designer der Erfolgsmarke
Team by Wellis, zu den kostbarsten Gütern, die dem Menschen zur Verfügung stehen.
Weil Räume unsere Gefühle modellieren und unseren Gefühlen Raum geben. Justus
Dahinden, emeritierter Professor der TU Wien, hat den Raum als das zentrale Problem der
Architektur beschrieben, da dieser „Mensch an Leib und Seele gesund erhalten“ muss. Dabei
kann Raum vieles sein: Schutz, Erlebnis, Botschaft, Illusion. Immer jedoch: Emotion.
zum Mitbewerber aus.
Wie hat sich die Markenpräsentation
gewandelt? Mein Eindruck ist, dass emotionaler Messebau zunehmend an Relevanz gewinnt.
Ich würde eher von einem Auf und Ab
sprechen. Meiner Meinung nach hängt die
Carsten Heppke
Text und Interviews
Yvonne Egberink
bontempo für Roy Robson
fische Zielgruppen. Wenn die Messeland-
Wenn der BTE im Rahmen seiner Herbstsit-
schaft als Shop-Konzept. Das ‚Erlebnis‘ Messe,
ßere Rolle, da sich im Laufe der Jahre viele
zung „mehr Emotion in den Handel“ fordert,
speziell innerhalb der Modebranche, wird lei-
Nischen gebildet haben, die es zu verstehen
Wir versuchen ja immer, einen größeren
Zusammenhang herzustellen, anstatt nur auf das
Konsumieren von Ware zu fokussieren. Emotion hat
in der Beziehung zwischen Mensch und Raum schon
immer eine große Rolle gespielt und ist wohl zeitlos.
meint er damit konkret: Den Raum für die
der immer häufiger durch zweckmäßige Flä-
gilt. Wir vergleichen diese Entwicklung mit
Jan Ulmer, Architekt
Präsentation von Ware zu emotionalisieren.
chenbestückung ersetzt. Messe sollte Welten
der Musik, die sich seit den 80er, 90er Jah-
Angesichts unzähliger Präsentationsräume,
schaffen, die dem Einkäufer unter anderem
ren kaum Neuem gewidmet, sondern eher
Entwicklung sehr stark von der Kompetenz
teten Ständen, sondern aus immer wieder
Gibt es aktuell eigentlich einen Trend in
die der Fashion-Welt ab Januar wieder für
auch neue Anregungen für den PoS liefern.
Revivals unterschiedlichster Richtungen
der Messemacher ab.
neuen Erlebnis-Acts und -Areas bestehen
puncto Standdesign?
kurze Zeit zur Verfügung stehen, stellt sich
In erster Linie sollte sich das Retail-Design, das
produziert hat. Ähnliches beobachten wir
sollten. Das ist doch das, was die Messe vom
Optisch würde ich hier keinen Trend sehen.
die Frage, welche Konsequenz diese Forde-
die Markenbotschaft reflektiert, aber im Mes-
auch in der Mode. Entsprechend muss
Erklären Sie das genauer, bitte ...
Showroom-Business erheblich unterschei-
Jedes Unternehmen, jede Marke sollte
rung für das Ausstellungsdesign hat. Wie
sestand widerspiegeln. Dieses Schaffen eines
man sich mit der Entwicklung der Kon-
Ausschlaggebend ist jeweils das gesamte
den kann. Wer sich vonseiten der Indus-
ihren eigenen Weg gehen und diesen dem
werden Markenbotschaften in allen Dimen-
Raumes durch entsprechendes Design, durch
sumentengruppen sehr intensiv befassen.
Messekonzept. Stellt sich eine Messe als rele-
trie und auch des Handels auf einer Messe
Gesamtkonzept anpassen. Die Darstel-
sionen spürbar – vor allem im dreidimensio-
das Mobiliar, die Dekoration und zu guter
vant und interessant für den Einzelhandel
angesprochen fühlt und wiederfindet, wird
lungsweise und Qualität der Inszenierung
nalen Raum? Die Hamburger Markenarchi-
Letzt ein ausgefeiltes Lichtkonzept haben
Echte Räume sollen zum Verweilen einla-
dar, ist auch der Aussteller – zumindest der
dabei sein und sich mit entwickeln.
jedoch wird immer professioneller. Mit
tekten von bontempo sollten es wissen, seit
sicher dazu beigetragen, dass Pierre Cardin
den. Ein Messestand muss zunächst zum
mit entsprechender Marketingstrategie –
mehr als 25 Jahren verwandeln sie Räume
ausgezeichnet wurde.
Betreten verleiten, oder?
gerne bereit, nicht einfach nur flüchtig dabei
Während es vor einigen Jahren noch rele-
Farben und Formen Atmosphäre, Licht,
Ein Messestand ist ja meist viel transpa-
zu sein, sondern zu dem Messebild, in dem
vante Leitmessen und daneben nichts gab,
Stimmung und bewegte Bilder schaffen –
vor allem Emotion.
Recherche
Magdalena Keller
in Aussagen. 2014 wurde das emotionale
schaft es schafft, sich um diese Zielgruppen immer wieder neu zu bemühen, würde
mich das als Einzelhändler in meiner Kompetenz sehr unterstützen. Fern der Modetrends fände ich auch einmal eine Messe
spannend, deren Aussteller nicht in Billiglohnländern produzieren.
Technik kann man theoretisch ganz ohne
Lifestylekonzept ‚Appartment Français‘ für
Wie entstehen Ihre Konzepte, durch die
renter als ein üblicher Raum. Das ist auch
er sich wiederfindet, auf Dauer beizutragen,
scheinen heute immer mehr und neue
Pierre Cardin, an dem die Architekten mit-
Fokussierung auf den Besucher oder auf
gut so. Man präsentiert sich offen und ver-
indem emotionaler und tiefer gehender prä-
Plattformen aus dem Boden zu schießen.
gewirkt hatten, als ‚eindrucksvollster Mes-
die Produktaussage und -ästhetik?
sucht auf diese Weise, die Produkt-, Unter-
sentiert wird. Die Messelandschaft ist sicher
Was beeinflusst diesen Trend?
Aus welchem Holz muss ein guter ‚Stand-
sestand‘ der Panorama Berlin ausgezeich-
Natürlich spielt in erster Linie das Pro-
nehmens- und Novitäten-Aussage zu verei-
noch gefordert, sich für den Einzelhandel
Hier möchte ich noch einmal den Vergleich
Kreateur‘ geschnitzt sein – was sind die
net. Ein Gespräch mit Carsten Heppke,
dukt eine große Rolle. Dessen Trendaus-
nen. Die visuelle Ansprache ist es wohl, die
entsprechend zu sortieren.
zwischen der Entwicklung der Mode – und
drei wichtigsten Kompetenzen?
Geschäftsführung bontempo.
sage und Kernbotschaft sind die Basis
dann zum Betreten animiert. Ob verweilt
damit der Messen – und der Musik bemü-
Erstens Mut, auch einmal Dinge zu wagen,
für unsere Ideen. Auf dieser Grundlage
wird, bestimmt der Service der Stand-Crew
In welche Richtung wird sich das Ganze
hen: Natürlich gibt es den Mainstream.
die überraschen, ohne den Zeitgeist zu
Carsten Heppke, was macht diesen Mes-
versuchen wir, uns in den Kunden oder
maßgeblich mit.
entwickeln?
Aber beides, Mode und Musiktrends, beste-
übersehen. Zweitens Stil, das ist quasi
seauftritt so außergewöhnlich?
die Zielgruppe hineinzuversetzen, deren
Sicher wird die Sortierung der Messe-
hen heute zum großen Teil aus abgewan-
genetisch bedingt, und last, but not least
Die Grundidee des ‚Appartement Français‘ ist
Anspruch gerecht zu werden. Dabei spielt
Bilden Warenpräsentation und Marken-
landschaft eine große Rolle spielen, wobei
delten Comebacks. Diese brauchen ihre
der Sinn für Entertainment und Erlebnis.
letztendlich die Darstellung der Markenbot-
die Zielgruppendefinition eine immer grö-
botschaft zwangsläufig Synergien, oder
deren Konzepte nicht nur aus vermie-
eigenen Welten und haben ganz spezi-
w w w.tm- digital.de
w w w.bontempo.de
w w w.tm- digital.de
3
1
Momentaufnahme
3
0
Momentaufnahme
Jan Ulmer von Jan Ulmer Architekten hat
einen klaren Designanspruch.
Die Art der Raumfolge spielt eine wichtige Rolle – die
>>
Wie emotionalisiert man temporäre Räume?
Simon Damböck, Atelier
Damböck, antwortet
auf die Frage, wie man
Messestände mit Emotion
auflädt.
Choreografie sozusagen: Einblicke, Ausblicke – die Relation
zwischen Innen und Außen.
„Mit Effekten und psychologischen
Deutscher Pavillon Indien
>>
Handgriffen kann ein temporärer
Folgt gutes Standdesign der Form, der Funktion oder beidem?
Raum emotional aufgeladen
Sicher beidem, vor allem geht es uns jedoch um den Raum und
werden, ohne dass der Besucher
die Bewegung darin, um die Verräumlichung der klassischen
vordergründig erkennt, wieso bei
Tresensituation. Die Barriere zwischen Verkauf und Kauf
ihm eine Gefühlsregung entsteht. Die
soll geöffnet werden, das Display wird zur begehbaren
Kombination aller verwendeten Effekte
Atelier Damböck für Cazal Eyewear
Raumskulptur.
Produkt oder Message?
Uns interessiert das Sowohl-als-auch mehr als das Entwederoder. Eine Intervention sollte auf möglichst vielen Ebenen
funktionieren und lesbar sein.
w w w.janulmer.de
Messestand Bundesarchitektenkammer
Simon Damböck
Gutes Standdesign folgt im
Wesentlichen der MarketingZielsetzung. Gutes Standdesign muss
daher nicht unbedingt gute Gestaltung
oder gute Architektur sein. Es gibt
sehr effektvolle Stände, die den
klassischen Regeln widersprechen.
ergibt die gewünschte Manipulation.
Das Besondere am temporären Raum
ist dabei die Multisensualität – es ist
möglich, alle Sinnesorgane parallel
zu bespielen. Das geht ausschließlich
in der Live-Kommunikation, kein
anderes Marketinginstrument kann
dies. Man emotionalisiert temporäre
Räume also durch die gezielte und
kombinierte Beeinflussung mehrerer
Wahrnehmungskanäle.“
w w w.damboeck.de
JG: Bei Projekten aus dem Bereich der Markenkommunikation stellt die gewünschte
Transformation eines Markenbildes ganz
>>
andere Ansprüche an die gestalterische
Konzeption. Parallelen bei Ausstellungsund Store-Design sind sicher die narrativen
Aspekte einer heutigen Shopgestaltung, das
‚Ins-rechte-Licht-Setzen‘ der Exponate.
Flip Sellin & Jochen Gringmuth
FS: Für uns ist die Gestaltung eines Messestandes reizvoll, weil wir gemeinsam mit
dem Kunden etwas Neues testen können.
Die Bereitschaft, ein Markenbild auch einmal anders zu akzentuieren, ist in diesem
>>
Flip Sellin und Jochen
Gringmuth, Inhaber COORDINATION, über Parallelen
von Messe- und Store-Design.
Messen werden sich für Marken zu
experimentellen ‚Real-size‘-Testlabors
entwickeln, um so direktes Feedback
aus dem jeweiligen Markt zu bekommen
und Strategien entsprechend fein
abzustimmen. Trends, die heute
auf Trade Shows erkundet werden,
können auf die Retail-Konzepte von
morgen appliziert werden. Messen
dienen also als Testplattform für
Einzelhändlererfahrungen und
diktieren zukünftiges Kaufverhalten.
Raphael Henry, Brandstorm
Brandstorm für Shinola
Brandstorm für Shinola
Raphael Henry, Founder & Creative
Director Brandstorm, sieht in Messen
‚Real-size‘-Testlabors.
Kontext oft größer, da der Fokus auf dem
„Unter dem Motto ‚Made in Detroit‘ haben wir zum Launch
Saisonalen und dem Erlebnis des Events
der US-Brand Shinola die glorreichen Tage des amerikanischen
liegt.
Industriezeitalters in die Messepräsenz übersetzt: Mit einer von
w w w.coordinat ion-berlin.com
der Industriearchitektur entlehnten Struktur aus Ziegelsteinen
und Stahl kombiniert das Konzept Funktion mit Vintage und
COORDINATION für Nike
Foto: Nike by diephotodesigner.de
w w w.tm- digital.de
COORDINATION für Roy Robson
Foto: Roy Robson by Nava-Rapacchietta
Warum COORDINATION gerne für
zeitgenössischen Elementen. Eigens designte Deckenlampen
die Fashionwelt arbeitet, lesen Sie im
lenken das Licht und schaffen ein modernes, einladendes
ausführlichen Doppel-Interview auf
Markenuniversum.“
www.tm-digital.de.
w w w.thebrandstor m.com
w w w.tm- digital.de