Politische Farce der PJ-Abtrünnigen

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Politische Farce der PJ-Abtrünnigen
Donnerstag, 21. April 2011
121. Jahrgang Nr. 31.820
Politische Farce der PJ-Abtrünnigen
Eduardo Duhalde steigt bei den Vor-Vorwahlen aus
Buenos Aires (AT/mc) – Peinlichrung dessen einen Vergleich mit dem
keit und politische Farce. Dies sind die
Sport: Niemals habe jemand gewonWörter, mit denen man wohl am besnen, der nicht auf dem Spielfeld erten beschreibt, was derzeit im Lager
schienen sei. Für Duhalde und seine
der abtrünnigen Peronisten vor sich
Gefolgsleute hat die jüngste Abstimgeht: Waren die anberaumten Vor-Vormung nicht den geringsten Wert. Zwar
wahlen zwischen Ex-Präsident Eduarsagte Duhalde, er werde die Entscheido Duhalde und dem San Luis-Goudung des Schiedsgerichts (Adolfo Roverneur Alberto Rodríguez Saá
dríguez Saá, Ramón Puerta und Juan
ohnehin schon fragwürdig, weil ambiCarlos Romero) abwarten. Doch politionierte PJ-Dissidenten wie Felipe
tische Beobachter gehen davon aus,
Solá und Mario Das Neves angekündass der Ex-Präsident bereits seinen eidigt hatten, erst bei den verbindlichen
genen Weg verfolge und mit der Par“offenen Internwahlen” im August in
tei “Unión Popular” in die “offenen Indie Kandidatenkür eingreifen zu wolternwahlen” am 14. August ziehen
len, so sind sie jetzt vollends zur Farwolle. Dabei plane er, auch mit andece geworden. Denn kurz vor der Abren oppositionellen Kräften wie dem
Warf beleidigt die Brocken hin: Eduardo Duhalde.
stimmung in den Provinzen Santiago
Radikalismus, dem Macri-Lager, den
del Estero, Catamarca und Tucumán erklärte Duhalde, nicht antre- Sozialisten und der GEN-Partei zusammenzuarbeiten. Der ehemaliten zu wollen, und zog sich mit seinen Gefolgsleuten zurück.
ge Staatspräsident sprach davon, dass die Vor-Vorwahlen der abtrünGrund dafür waren Unstimmigkeiten zwischen den beiden zur nigen Peronisten schließlich zu einer peinlichen Blamage geworden
Wahl stehenden Politikern, wo genau gewählt wird. Während Rodrí- seien. Eine durchaus zutreffende Einschätzung.
guez Saá lediglich in den Provinzhauptstädten abstimmen lassen
wollte, forderte Duhalde, dass in allen Städten mit über 30.000 Einwohnern Wahlurnen aufgestellt würden. Rodríguez Saá habe mit seinem Ansinnen die Regeln ändern wollen, so der verärgerte Ex-PräsiBuenos Aires (AT/mc) – Es ist nur noch ein halbes Jahr bis zu
dent, als er seinen Rückzug begründete. Dabei hatte er noch die ersden Wahlen – da machen sich politische “Wohltaten” besonders
ten beiden Internwahlen gegen Rodríguez Saá in Buenos Aires sogut. Dies mag sich Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner
wie im Nordosten des Landes gewonnen. Dieser ließ die Wahlen in
gedacht haben, als sie am Montag bei ihrem ersten Auftritt seit
Santiago del Estero, Catamarca und Tucumán am Sonntag dennoch
ihren Blutdruckproblemen gleich mehrere soziale Verbesserunstattfinden und konnte so einen klaren Sieg gegen Duhalde einfahgen ankündigte. Besonders freuen können sich demnach die Rentren: 15.897 zu 497 Stimmen lautete das eindeutige Resultat. Dies
ner - jedenfalls diejenigen, die Mitglieder in der staatlichen Renwürde 60 Wahlmänner für Rodríguez Saá bedeuten, der ankündigte,
tenkasse PAMI sind. Ihnen werden ab sofort größere Preisnachauch die nächsten geplanten Abstimmungen in fünf weiteren Regiolasse bei Medikamenten gewährt. Arzneien, die bislang zu 40
nen des Landes abhalten lassen zu wollen.
Prozent von der Rentenkasse übernommen wurden, werden nun
Der Gouverneur von San Luis sieht sich durch das Verhalten seizu 50 Prozent finanziert. Bei Medikamenten, die bisher zu 70
nes Widersachers bereits als Sieger und bemühte zur UntermaueProzent subventioniert wurden, steigt der Zuschuss nun auf 80
Prozent. Außerdem verkündete die Präsidentin ein neues Abkommen zwischen der Fluggesellschaft Aerolíneas Argentinas und der
staatlichen Rentenkasse. Es sieht Gratisflüge für PAMI-Mitglieder vor, die vom Programm “Sozialer Tourismus” Gebrauch maSchindlers Erbe
chen. Die Flugdistanz muss länger als 700 Kilometer sein. Das
Argentinien ...................................................................... 2
Angebot sieht derzeit Reisen nach Chapadmalal, Embalce de Río
Einsteins Spuren
Tercero, San Pedro de Colalao, Uspallata und Rosario de la Frontera vor.
Ausflüge & Reisen ........................................................... 7
Auch werdende Mütter können von Cristinas Geberlaune proTierra Santa-Park
fitieren. So wird das Kindergeld (Asignación Universal) in Höhe
Hüben & Drüben .............................................................. 9
von monatlich 220 Pesos nun auch an Schwangere ab der zwölfDruck vom Staat
ten Woche gezahlt. Des Weiteren kündigte die Präsidentin ein
Wirtschaftsübersicht ...................................................... 17
Programm zur Pneumokokken-Impfung an.
Cristina in Geberlaune
Inhalt
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Donnerstag, 21. April 2011
“Es geht mir um Gerechtigkeit”
Erika Rosenbergs Kampf im Namen von Emilie Schindler
Buenos Aires (AT/mc/dpa) - “Es geht mir nicht um Geld, sondern
um den letzten Willen einer Frau, die Juden gerettet hat.” Die Feststellung ist Erika Rosenberg wichtig. Ihr Kampf im Namen von Emilie
Schindler, der einstigen Ehefrau des weltbekannten Juden-Retters
Oskar Schindler, zieht sich nun schon seit Jahren hin. Doch in den
jüngsten Monaten wurde die in Buenos Aires lebende Publizistin
mit besonderen Herausforderungen und Rückschlägen konfrontiert.
Schließlich schickt sich derzeit in New York der MemorabilienHändler Gary J. Zimet an, im Internet ein Orginal von Oskar Schindlers Listen zum Kauf anzubieten. Auf jenen sind die 801 männlichen
Namen der Juden notiert, die der Fabrikant und seine Ehefrau während des Holocausts vor der Vernichtung durch die Nazis bewahrten. Preis für die 14 Seiten: Drei Millionen Dollar. Die Blätter mit
den Namen der 297 gerettenen Frauen fehlen. Der Verkäufer gab an,
das historische Material, das vor allem durch Steven Spielbergs KinoWelterfolg “Schindlers Liste” (1993) berühmt wurde, stamme aus
der Familie von Schindlers Buchhalter Itzhak Stern.
“Das ist absolut absurd, dass die Liste nun für Millionen verkauft
wird – und Emilie musste in Armut leben und sterben”, empört sich
Erika Rosenberg, die Leben und Wirken der Eheleute Schindler in
separaten Biografien festhielt. Vor einem New Yorker Gericht musste sie sich kürzlich geschlagen geben bei dem Versuch, den Verkauf
zu untersagen. Für eine Revisionsklage fehlen ihr im Moment die
finanziellen Mittel. Der betreffende Memorabilien-Händler ist
jedenfalls keine unumstrittene Person. Jetzt erhielt die Publizistin
von ihrem Anwalt die Information, dass gegen Zimet wohl auch im
Zusammenhang mit dem Nachlass von John Lennon juristisch vorgegangen werde.
Rosenberg, Tochter von aus Deutschland emigrierten Juden, lernte Emilie Schindler im Jahr 1990 durch ein Interview kennen. Daraus
entwickelte sich eine Freundschaft. Emilie war 1949 mit ihrem Mann
nach Argentinien gekommen. Während Oskar Schindler nach acht
Jahren nach Deutschland zurückkehrte, blieb seine Frau im Großraum Buenos Aires. Das Argentinische Tageblatt berichtete in den
60er Jahren über sie und verhalf ihr zu einem bescheidenen Auskommen. Die Ehe zu Oskar Schindler wurde formal nicht aufgelöst,
sodass Emilie nach dem Tod ihres Mannes im Jahre 1974 zu dessen
Erbin wurde. Die kinderlose Emilie bestimmte ihrerseits Erika Rosenberg als ihre Erbin, die sich somit seit dem Tod der Erblasserin
im Jahre 2001 um den Nachlass kümmert.
Im Kern geht es dabei vor allem um den Wunsch Emilie Schindlers, dass die Originaldokumente von Oskar Schindler in einem deutschen Museum einer breiten Öffentlichkeit zugänglich werden. Doch
dies gestaltete sich von Anfang an schwierig. Lange galten die Dokumente als verschollen, ehe Ende der 90er Jahre in Hildesheim auf
dem Dachboden der letzten Geliebten von Oskar Schindler ein Koffer mit Schriftstücken und Fotos gefunden wurde. Darunter auch die
originalen Listen. Aber der Inhalt des Koffers ging nicht nach Buenos Aires zu Emilie Schindler, sondern zur “Stuttgarter Zeitung”.
Diese ließ das Material vom Bundesarchiv in Koblenz sichten, brachte
eine Artikelserie zum Thema und schickte den Koffer schließlich an
die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Emilie Schindler erhielt Kopien und nach einem Vergleich mit der Zeitung 25.000
DM (wegen der Verwendung der Dokumente zu Publikationszwecken). Die Originaldokumente blieben in Israel, wurden bislang aber
nicht in der Yad Vashem-Ausstellung gezeigt – lediglich auf deren
Internet-Seiten, wie Rosenberg enttäuscht berichtet.
Die Publizistin hat bereits einiges unternommen, um die Israelis
Foto: mc
Erika Rosenberg mit Kopien der Schindler-Listen.
zu bewegen, das Material deutschen Museen zur Verfügung zu stellen. Doch bislang vergebens. Die Antwortschreiben der israelischen
Behörden waren ernüchternd: “Niemand fühlt sich zuständig”, beschreibt Rosenberg. Doch noch will sie sich nicht geschlagen geben.
Sie erwägt juristische Schritte gegen Yad Vashem, gegebenenfalls
vor internationalen Gerichtshöfen.
Zwar richtete das Bonner ”Haus der Geschichte” 2001 eine Dauerausstellung zu Emilie Schindler und deren Rolle bei der JudenRettung ein. Doch insgesamt sieht Rosenberg das Wirken der Fabrikanten-Gattin als nicht ausreichend gewürdigt an. So sei sie (anders
als ihr Mann) in Yad Vashem bislang nicht mit einem Baum an der
“Allee der Gerechten unter den Völkern” gewürdigt worden. Dabei
habe auch Emilie maßgeblich an der Rettung zahlreicher Juden mitgewirkt. 120 Menschen, die Anfang 1945 aus dem Arbeitslager Golleschau zur Schindler-Fabrik in Brünnlitz (heute Tschechien) kamen,
habe sie maßgeblich vor der Vernichtung bewahrt, so Erika Rosenberg. Ihre Mission will sie in jedem Fall weiter verfolgen: “Ich werde mich weiter um Gerechtigkeit gegenüber Emilie Schindler bemühen.”
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Donnerstag, 21. April 2011
WOCHENÜBERSICHT
Gericht: “Callejeros” schuldig
Verurteilung der Musikband “Callejeros” und Reduzierung des
Strafmaßes für Omar Chabán, den ehemaligen Betreiber der Unglücksdiskothek “Cromañón” - dies sind die wesentlichen Punkte
des Beschlusses, den das Kassationsgericht in Buenos Aires am
gestrigen Mittwoch verkündete. In dem einstigen Tanzlokal waren
am 30. Dezember 2004 194 Menschen ums Leben gekommen, nachdem beim Auftritt der “Callejeros” bengalische Lichter gezündet
wurden und daraus ein Brand resultierte. In erster Instanz (2009)
wurden die Musiker, die ihre Fans zur Anzündung der Kerzen animiert haben sollen, freigesprochen. Die Richter der Berufungsinstanz sahen nun aber den Tatbestand der fahrlässigen Brandstiftung mit Todesfolge als gegeben an. Zur Festlegung des genauen
Strafmaßes ist die Angelegenheit nun an die Vorinstanz zurückverwiesen worden. Mit einer Verringerung seiner bisher 20-jährigen
Strafe darf Omar Chabán rechnen, der vor allem wegen des verschlossenen Notausgangs und der Überfüllung der Diskothek in
den Fall hineingezogen wurde. Das Berufungsgericht ist nun aber
der Auffassung, dass sich der Diskobetreiber nicht der vorsätzlichen, sondern lediglich der fahrlässigen Brandstiftung schuldig
gemacht habe. Das Gericht ordnete die Räumung der Gedenkstätte
an, die Angehörige der Opfer an der Straße “Bartolomé Mitre” errichtet hatten. Sie behinderte den Verkehr.
Capitanich bestätigt
Klare Sache bei den Peronisten im Chaco: Mit einer Zustimmung von 90 Prozent setzten sich der amtierende Gouverneur Jorge Milton Capitanich und sein Vize Juan Carlos Bacileff Ivanoff
bei der Internwahl der Justizialistischen Partei (PJ) durch. Somit
werden die beiden am 18. September für die Peronisten bei den
Provinzwahlen ins Rennen gehen. Capitanichs Widersacher Fabio
Biancalani, der ebenfalls dem Kirchner-Flügel angehört, erreichte
gerade einmal vier Prozent der Stimmen. Insgesamt nahmen an der
Wahl rund 25 Prozent der 570.000 Wahlberechtigten im Chaco teil.
Der Urnengang stand auch Nicht-Parteimitgliedern offen. Bei der
peronistischen Kandidatenkür in der Provinzhauptstadt Resistencia setzte sich Gustavo Martínez durch. Er wird im September dann
die radikale Amtsinhaberin Aída Ayala herausfordern.
Flitzerblitzer
Davon können Autofahrer in Deutschland nur träumen: Während dort Messgeräte für Geschwindigkeitsüberschreitungen versteckt aufgestellt werden, damit sich die Raser möglichst nicht dar-
auf einstellen können, wird dies in der Provinz Buenos Aires ganz
anders gehandhabt. Gab es bislang schon Schilder, die 300 Meter
vor dem Messgerät aufgestellt wurden, so ordnete nun die Provinzregierung von Gouverneur Daniel Scio-li an, dass die Hinweise
bereits im Abstand von 500 Metern installiert werden sollen. So
können sich dann die Autofahrer zeitig auf die “Blitzer” einstellen
und – gegebenenfalls – die Geschwindigkeit drosseln. Des Weiteren gab die Provinzregierung auf ihrer Internetseite
www.gob.gba.gov.ar die genauen Positionen der insgesamt 55 Messgeräte bekannt. Autofahrern, die sich trotz dieser “Vorwarnungen”
dennoch blitzen lassen, werden Strafzettel und Beweisfoto postalisch zugesandt. Der Strafkatalog sieht Geldbußen zwischen 750
und 2500 Pesos vor.
“Fall Siemens” eingestellt
Der deutsche Großkonzern Siemens hat eine Sorge weniger: So
entschied jetzt der argentinische Bundesrichter Ariel Lijo, die Ermittlungen gegen das Unternehmen wegen angeblicher Schmiergelder einzustellen. Diese sollten von führenden Siemens-Managern im Jahr 2006 an argentinische Beamte gezahlt worden seien,
um den Zuschlag beim Bau zweier thermo-elektrischer Kraftwerke
in Rosario und Campana zu erhalten. Nach Jahren der Ermittlungen sei die Justiz nun aber zu dem Schluss gekommen, dass es keine ausreichende Hinweise gebe, die den in der Anklage erhobenen
Verdacht erhärteten.
Rabbiner kandidiert
Der umstrittene jüdische Rabbiner Sergio Bergman hat bekanntgegeben, für das Amt des Regierenden Bürgermeisters in Buenos
Aires kandidieren zu wollen. Dies verkündete der religiöse Politiker im “Hotel Panamericano” in Gegenwart des (noch) amtierenden Bürgermeisters Mauricio Macri, dem er politisch nahe steht.
“Ich habe die Entscheidung getroffen, mich einzubringen und in
die Pflicht nehmen zu lassen. Ich habe den Schritt vom Protest zum
Vorschlag gemacht”, so Bergman. Programmatisch sagte er: “Argentinien hat seine moralischen Reserven erschöpft. Wir müssen
zum Recht zurückkehren, in dessen Rahmen wir wahrhaft frei sind”.
Bergman wird politisch dem rechten Lager zugeordnet. Er gilt als
Gegner des Kirchner-Peronismus und war vor rund zwei Jahren
einer der Hauptorganisatoren des Marsches für mehr Sicherheit,
bei dem er den inzwischen verstorbenen Ex-Präsidenten Néstor
Kirchner mit dem römischen Kaiser Nero verglich.
(AT/mc)
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Donnerstag, 21. April 2011
Internwahlen
M
it der Verkündung der drei letzten Ausführungsdekrete am
vergangenen Freitag beginnt der Endspurt für die Umsetzung der Reform des Wahlgesetzes mittels obligatorischen,
simultanen und offenen Internwahlen, die von Regierungssprechern
als Primärwahlen (in USA „primaries“, hier „elecciones primarias“) wie in den Vereinigten Staaten genannt werden. Diese Dekrete
waren längst erwartet worden, nachdem die Regierung im Vorjahr
mit anderen Dekreten die Ausführung des Wahlgesetzes vorbereitet hatte. Sprecher der Opposition hatten seit Wochen die Verzögerung der letzten Ausführunsdekrete beanstandet.
Es geht in der Sache um drei Themen. Einmal werden die sogenannten Sammellisten verbrieft, Spanisch ursprünglich genannt
„listas colectoras“ und laut letzter Sprachregelung „listas de adhesión“. Solche Kandidatenlisten von Provinz- oder lokalen Parteien können als Präsidentschafts- oder als Gouverneurskandidaten
in der Provinz Buenos Aires andere Kandidaten als die der Partei
ihrer Listen vorstellen. Im Klartext ging es um die Kandidatur der
Präsidentin Cristina Kirchner als Spitze der Listen anderer Parteien als der „Front für den Sieg“ der Regierung. Das schließt auch
die Kandidaten für nationale Senatoren und Deputierten ein. Der
Streitfall betrifft den Politiker Martín Sabatella in der Provinz
Buenos Aires, der mit einer eigenen Partei als Kandidat für das
Gouverneursamt der Provinz Buenos Aires gegen Gouverneur
Daniel Scioli, der seine Wiederwahl betreibt, antritt. Er wollte
freilich die Kandidaten für den Nationalkongress selber bestimmen, muss sich aber dem neuen Dekret beugen. Diese Kandidaten
bestellt die Regierung bzw. die Partei unter Cristina Kirchner, die
im Fall ihrer Wiederwahl die Mehrheiten in beiden Kammern sehr
interessieren. Im Übrigen hat es schon früher Sammellisten, zumal
in Gemeinden mit Lokalparteien ohne eigene Kandidaten für die
Provinz und nationalen Regierungsämter gegeben.
Sehr umstritten ist hingegen das Dekret, in dem die Zuteilung
der Fernsehpropaganda geregelt wird. Die Hälfte wird zu gleichen
Teilen allen zugelassenen Parteien erteilt, die andere Hälfte im Verhältnis zu den Stimmen in der letzten Wahl. Dadurch werden auch
die kleinen Parteien berücksichtigt, wiewohl die großen Parteien
begünstigt werden. Dieses Zuteilungssystem wurde von der Opposition nicht beanstandet, die moniert, dass die Regierung unbeschadet der Zuteilung munter weiter ihre eigenen Leistungen im
Fernsehen und anderen Medien verkündet und das nicht als Wahlpropaganda einstuft. Die Ausstrahlung aller Fussballspiele der ersten Liga jeweils simultan in drei Fernsehkanälen erlaubt der Re-
gierung, hier unterschwellige Wahlpropaganda zu betreiben, die
auf dem Bildschirm während der Übertragung der Spiele erscheint.
Die Regierung behauptet freilich, dass das keine Wahlpropaganda
sei, sondern nur die Schilderung ihrer Regierungsleistungen,
insbesondere Staatszuschüsse für Bauten und allerlei Subventionen. Die Opposition fühlt sich zu Recht diskriminiert, weil sie gegen diese massive Regierungspropaganda nicht ankommt.
Das letzte Dekret bezieht sich auf die Farben der Wahlzettel.
Jeder Partei wird eine Farbe zugewiesen, die sie von anderen Parteien unterscheidet, wobei im Fall von Sammellisten zwei Farben
erscheinen.
Für die kommenden Internwahlen vom 14. August müssen alle
Kandidaten für Präsident und Vizepräsident mit Stimmen gekürt
werden, sofern sie mindestens 1,5 Prozent aller abgegebenen Stimmen erhalten. Auch Präsidentin Cristina Kirchner, sofern sie ihre
Kandidatur gelegentlich formell verkündet, muss in den Internwahlen antreten, freilich möglicherweise ohne Gegenkandidat.
Gleiches gilt für Ricardo Alfonsín, nachdem der UCR-Vorstand
ihn als offiziellen Kandidaten gekürt hat. In der Internwahl tritt er
gegen Senator Ernesto Sanz an. Für beide großen Parteien, Justizalisten und Radikale, erscheint die Schwelle von 1,5 Prozent
keinesfalls als Hindernis, wohl aber für Kandidaten kleiner Parteien.
Das neue Wahlgesetz ist seit anderthalb Jahren in Kraft. Trotzdem wissen zahllose wahlberechtigte Bürger/innen immer noch
nicht, dass sie am 14. August zu den Internwahlen antreten müssen, als ob es eine nationale Wahl wäre, denn die Interwahlen sind
obligatorisch, anders als in USA, wo sie freiwillig sind. Internwahlen sind normalerweise in gestandenen Demokratien Sache der
Parteien, so dass Parteifremde nicht mitmischen. Deshalb empfinden parteifremde Argentinier die Wahlpflicht als Zumutung, dass
sie am 14. August antreten müssen und einen Kandidaten wählen
sollen, gleich welcher Partei. Gelegentlich wird es sich freilich
herumsprechen, dass der Wahlgang obligatorisch ist. Erst dann wird
sich die Meinung bilden, welchen Kandidaten welcher Partei die
Parteilosen, immerhin geschätzte 21 Millionen von 27,5 Millionen Wahlberechtigten, bevorzugen. Bisherige Umfragen sagen diesbezüglich gar nichts aus, für wen sich die Wähler in welcher Partei
entscheiden werden. Erst wenn der Wahlkampf für die Internwahlen auf Touren läuft, etwa im Juli, werden sich die Meinungen über
die Kandidaten für die Präsidentschaft und die Vizepräsidentschaft
bilden. Vorerst sind nur wenige im Rennen.
In schlechter Verfassung
Von Stefan Kuhn
W
o anderen Nationen eine simple Präambel reicht, braucht
Ungarn ein nationales Bekenntnis, das dann auch noch in
allen Amtsstuben hängen wird. Würde man den zwei DinA-4-Seiten langen Einleitungstext der am Dienstag vom ungarischen
Parlament verabschiedeten Verfassung einem Psychologen vorlegen,
würden wohl Worte wie Geltungsdrang oder mangelndes Selbstbewusstsein auftauchen. Historiker hätten wahrscheinlich ein Déjà-VuErlebnis, Verfassungsrechtler dürften mit dem schwülstigen Pathos
wenig anfangen können.
In Ungarn werden sie das auch nicht nötig haben, die Rolle des
Verfassungsgerichtes wurde in der neuen Verfassung eingeschränkt.
Über Haushaltsfragen darf das Oberste Gericht beispielsweise gar
nicht urteilen. Das, obwohl eine Staatsschuldenbegrenzung in das
neue Werk aufgenommen wurde. Die künftigen Verfassungsrichter
werden vom Parlament mit Zweidrittelmehrheit auf zwölf Jahre gewählt. So eine Mehrheit haben Ministerpräsident Viktor Orbans FIDESZ-Partei und ihr christdemokratischer Koalitionspartner. Bis
2024 wird das Verfassungsgericht wohl aus nationalkonservativen
Richtern bestehen. Für Orban & Co ist das eine gute Rückversicherung, für eventuelle Oppositionszeiten.
Die Rolle des Staatsoberhauptes wird in der neuen Verfassung
gestärkt, allerdings nicht in bedenklicher Weise. Er hat mehr Rechte
als der deutsche Bundespräsident, ist Oberbefehlshaber der Armee
und kann das Parlament unter einfacheren Bedingungen auflösen.
Für künftige Regierungen könnte das unangenehm sein. Derzeit ist
Orbans Parteikollege Pal Schmitt Staats-oberhaupt. Die deutschspra(Fortsetzung auf Seite 5)
Seite 5
Donnerstag, 21. April 2011
(Fortsetzung von Seite 4)
chige Zeitung Pester Lloyd bezeichnet ihn als „Orbans Stempelkissen“. Es wird spekuliert, dass Orban den Job für sich selbst designen
hat lassen. Einmal im höchsten Staatsamt, würde der streitbare Politiker Gesetze sicher nicht einfach abzeichnen.
Die teilweise harsche Kritik in Europa an der neuen Verfassung
ist übertrieben, aber dennoch hilfreich. Die Verfassung ist schlecht,
aber es ist gut, dass man mahnt, denn Orban führt nichts Gutes im
Schilde. Er will ein FIDESZ-Ungarn und hat dies mit seinem Mediengesetz bereits vorexerziert. Es ist lediglich durch Druck aus Brüssel entschärft worden. Allerdings zeigt das Mediengesetz auch, dass
schon die alte Verfassung missbraucht werden konnte. Der einzige
Unterschied: Regulierungsbehörden, wie sie Orban zur Kontrolle der
Presse geschaffen hat, haben jetzt Verfassungsrang. Mit dem neuen
Grundgesetz kann man sicher noch mehr Unfug treiben, aber der
wird sich hoffentlich in Grenzen halten, wenn Orban weiß, dass er
beobachtet wird.
Andere Artikel, die die Verantwortung für die Auslandsungarn und
deren Wahlrecht festschreiben, mögen in Ungarns Nachbarländern
Rumänien und Slowakei sauer aufstoßen. Aber das historische GroßUngarn spukt sicher nur in den Köpfen einiger Ultra-Nationalisten
herum. Auch Auslandsitaliener oder -spanier, etwa in Argentinien
oder Deutschland, haben ein Wahlrecht in ihrem Heimatland. Da ist
zu viel Hysterie im Spiel.
Auch in Ungarn selbst gibt es viel Kritik, obwohl sich die öffentlichen Proteste in Grenzen halten. Zur Demonstration vor der Verabschiedung fanden sich am Montag nur 5000 Menschen ein. Die Gegner sind im Recht. Hier drückt eine Regierung dem Land ihren Stempel auf. Sie hat die Gunst der Stunde, ihre Zweidrittelmehrheit, genutzt und ihr politisches Credo zum Grundgesetz gemacht. Das mag
zwar demokratisch sein, es ist aber auch unethisch. Vor allem die
Präambel. Die Einleitung einer Verfassung sollte einen Basiskonsens wiedergeben, das ungarische „Nationale Bekenntnis“ dagegen
ist ein Schlag gegen religiöse, ethnische und sexuelle Minderheiten.
Wenn man einem Volk solch ein „Glaubensbekenntnis“ aufzwingen
will, sollte man wenigstens den Mut haben, sich einem Referendum
zu stellen.
Randglossen
W
ie kleine Jungens haben sich die beiden Kandidaten der Vorwahl der föderalen Peronisten, Eduardo Duhalde und Alberto Rodríguez Sáa am Vortag ihrer dritten Internwahl in den Provinzen Tucumán, Catamarca und Santiago del Estero gestritten.
Es ging um die Wahllokale, die laut Duhalde nicht nur in den drei
Provinzhauptstädten, sondern auch in Städten mit mehr als 30.000
Einwohnern errichtet werden sollten, wogegen Rodríguez Sáa sich
auf die Hauptstädte beschränkte. Nachdem keine Einigung erzielt
werden konnte, zogen sich Duhalde und seine Vertreter, genannt
„fiscales“, zurück und Rodríguez Sá gewann die Wahl mit nur
15.000 Stimmen. Den Sachverhalt über die Wahllokale hätten beide Politiker freilich vor dieser Internwahl klären müssen. Verblieben ist laut Duhalde eine Blamage („papelón“).
D
ie Jugendbewegung genannt La Cámpora, die die Regierung von Cristina Kirchner unterstützt, hat sich in Salta
auf das politisch glitschtige Terrain der Wahlen mit eigenem
Kandidaten gewagt, allerdings nicht für Gouverneur oder
andere provinzielle Wahlposten, sondern bescheiden auf ein
Bürgermeisteramt in Cafayate. Ihr Kandidat Voss belegte in
dem Rennen nur den vierten Platz. Entweder kannten die
Bürger dieser Kleinstadt den Kandidaten nicht genug oder
sie misstrauten der La Cámpora. Auf jeden Fall endete der
Versuch, sich als stimmenhaschende Partei zu profilieren, mit
einer eklatanten Niederlage. Eine Sache ist offenbar die Betreibung nationaler Politik mit Günstlingen und Staatsgeldern
und eine ganz andere sind die Stimmen der Bürger/innen in
geheimen Wahlen.
E
in Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf
der Welt. Das ist schon wahr, denn „der wahre Freund zeigt
sich erst in der Not“, von denen natürlich „Tausende auf ein Lot“
gehen. Libyens Revolutionsführer Gaddafi ist derzeit in solch einer Situation. Sein italienischer Intimus Silvio Berlusconi hat ihm
den Rücken gekehrt. Es ist schon bitter, wenn dich deine Freunde
nicht mehr kennen. Doch da taucht plötzlich der frühere spanische
Ministerpräsident José María Aznar auf, kritisiert die Nato-Angriffe auf Libyen und gibt ein klares Bekenntnis: „Gaddafi ist ein
extravaganter Freund, aber er ist ein Freund.“ Das ist verwirrend,
denn Aznar ist auch ein Freund des früheren US-Präsidenten George
W. Bush, der wiederum ein Feind Gaddafis ist.
D
er politische Lehrsatz „Der Feind meines Feindes ist mein
Freund“ wird hier ad absurdum geführt. Aznar, der zusammen mit seinem Freund Bush in den Krieg gegen den irakischen
Diktator Saddam Hussein gezogen ist, wird im Falle des Diktators Gaddafi zum Pazifisten. Gibt es einen Unterschied zwischen
einem Iraker, der sein Volk unterdrückt, und einem Libyer, der
mit Protesten ebenso umgeht? Vielleicht liegt es ja an dem edlen
Araberhengst, den Gaddafi dem damaligen spanischen Premier
geschenkt hat. „Zeige mir deine Freunde, und ich sage dir, wer du
bist“, könnte man hier einwenden, aber Männerfreundschaften
in der Politik sind eine komplizierte Angelegenheit. Putin und
Schröder sind gute Freunde, Berlusconi und Putin ebenfalls.
Schröder und Berlusconi können sich nicht riechen. Für Berlusconi gilt immerhin ein Satz: „Wenn man solche Freunde hat,
braucht man keine Feinde mehr.“ Gaddafi wird dem zustimmen...
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Donnerstag, 21. April 2011
Fußball - Torneo Clausura 2011
Tabelle
10. Spieltag (15. - 18. April)
Freitag: Quilmes - Newell´s: 3-1.
Samstag: San Lorenzo - Lanús: 1-1 ; Racing - Independiente: 2-0; All Boys - Huracán: 3-1 und Godoy
Cruz (Mdza.) - Argentinos: 1-0.
Sonntag: Olimpo - Estudiantes: 2-2; Boca - Tigre: 33; Colón - Vélez: 1-1 und Gimnasia - River: 0-0.
Montag: Banfield - Arsenal: 1-0.
Mittwoch (Nachholspiel vom 6. Spieltag): Vélez San Lorenzo: 2-0.
11. Spieltag (23. - 25. April)
Samstag: 14 Uhr: Newell´s - Banfield; 16.10 Uhr:
Vélez - Quilmes; 18.10 Uhr: Estudiantes (LP) - Colón
(Santa Fé); 18.20 Uhr: Independiente - All Boys und
20.20 Uhr: River - Godoy Cruz (Mdza.).
Sonntag: 14 Uhr: Arsenal - Gimnasia (LP) ; 16 Uhr:
Tigre - San Lorenzo; 18.10 Uhr: Huracán - Boca; und
20.15 Uhr: Argentinos Juniors - Racing.
Montag: 20.10 Uhr: Lanús - Olimpo.
Abstieg
Verein
Pkte.
Spiele Durchschnitt
River .................. 134 ......... 105 ............1,276
Independiente .... 134 ......... 105 ............1,276
Tigre ................... 131 ......... 105 ............1,248
Olimpo (BB) ........ 35 ........... 29 ............1,207
Huracán ............. 122 ......... 105 ............1,162
Gimnasia (LP) ... 117 ......... 105 ............1,114
Quilmes ................ 25 ........... 29 ............0,862
Relegation Direkter Abstieg
Torschützen
D. Stracqualursi (Tigre) ..................................... 8
J. Cámpora (Huracán) ........................................ 7
T. Gutierrez (Racing) ......................................... 6
E. Fuertes (Colón); E. Maggiolo (Olimpo); D. Valeri
(Lanús) und J. Neira (Gimnasia) .......................... 5
Pl.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
Verein
Pkte. Sp. G.
U. V.
Tore
Diff.
Vélez ......................... 21 ..... 10 .... 6 ..... 3 ..... 1 ........ 17:8 ....... +9
River .......................... 19 ..... 10 .... 5 ..... 4 ..... 1 .......... 9:4 ....... +5
Olimpo (BB) ............. 17 ..... 10 .... 5 ..... 2 ..... 3 ...... 19:14 ....... +5
Estudiantes ................ 17 ..... 10 .... 5 ..... 2 ..... 3 ........ 12:7 ....... +5
Godoy Cruz (Mdza.) . 17 ..... 10 .... 5 ..... 2 ..... 3 ...... 18:15 ....... +3
Racing ....................... 16 ..... 10 .... 5 ..... 1 ..... 4 ...... 15:12 ....... +3
San Lorenzo .............. 14 ..... 10 .... 4 ..... 3 ..... 3 ........ 11:8 ....... +3
Lanús ......................... 15 ..... 10 .... 4 ..... 3 ..... 3 ...... 14:10 ....... +4
Argentinos ................. 15 ..... 10 .... 3 ..... 6 ..... 1 .......... 8:4 ....... +4
Banfield .................... 15 ..... 10 .... 4 ..... 3 ..... 3 ...... 11:11 ..........0
Colón de Santa Fe ..... 14 ..... 10 .... 4 ..... 2 ..... 4 ...... 12:15 ........ -3
Independiente ............ 13 ..... 10 .... 3 ..... 4 ..... 3 ...... 13:11 ....... +2
Tigre .......................... 12 ..... 10 .... 3 ..... 3 ..... 4 ...... 12:14 ........ -2
Huracán ..................... 11 ..... 10 .... 2 ..... 5 ..... 3 ...... 13:16 ........ -3
Boca .......................... 11 ..... 10 .... 3 ..... 2 ..... 5 ........ 8:14 ........ -6
All Boys .................... 11 ..... 10 .... 3 ..... 2 ..... 5 ........ 6:12 ........ -6
Arsenal ...................... 10 ..... 10 .... 2 ..... 4 ..... 4 ...... 12:14 ........ -2
Gimnasia ................... 10 ..... 10 .... 2 ..... 4 ..... 4 ........ 9:13 ........ -4
Quilmes ....................... 6 ..... 10 .... 1 ..... 3 ..... 6 ........ 9:14 ........ -5
Newell`s ...................... 5 ..... 10 .... 1 ..... 2 ..... 7 ...... 10:22 ...... -12
Copa Sudamericana 2011
Verein
Pkte.
Spiele.
Tor Diff.
Vélez ...................................................... 64 ................ 29 ............. +33
Estudiantes ............................................. 62 ................ 29 ............. +29
River Plate ............................................. 50 ................ 29 ............... +8
Godoy Cruz ........................................... 46 ................ 29 ............. +10
Racing .................................................... 45 ................ 29 ............. +10
Lanús ..................................................... 43 ................ 29 ................ -1
Arsenal ................................................... 42 ................ 29 ............... +1
Colón de Santa Fe .................................. 40 ................ 29 .............. -11
Argentinos ............................................. 39 ................ 29 ............... +5
San Lorenzo ........................................... 39 ................ 29 ............... +2
Qualifiziert
Seite 7
Donnerstag, 21. April 2011
Ausflüge und Reisen
Auf Einsteins Spuren in Argentinien
Der Mann, dessen Weltformel ab 1905 den Begriff von Materie,
Raum und Zeit in eine neue Perspektive rückte, der 1921 die Nobelprämie jedoch nicht für seine spezielle Relativitätstheorie, sondern
für die ebenfalls nobelpreiswürdige Deutung des photoelektrischen
Effekts erhielt, weilte drei Jahre nach dem Empfang seiner Auszeichnung auch in Argentinien.
Eine Episode, fast ausgelöscht, aber dennoch nicht ganz vergessen.
Die Anwesenheit des damals 46-jährigen Albert Einstein erstreckte
sich vom 25. März 1925 bis Ende April und umfasste nicht nur zahlreiche Vorträge und Empfänge in Buenos Aires, sondern auch Besuche von La Plata, Córdoba und des damals in seiner Hochblüte stehenden Eden Hotels in La Falda. Einstein reiste in Begleitung seiner
Cousine und zweiten Ehefrau Elsa.
Während seines Aufenthaltes in Buenos Aires (laut seinen Tagebuchnotizen “eine bequeme Stadt, aber langweilig; Gazellenaugen,
mit Grazie, doch abgeschmackt. Luxus, Oberflächlichkeit”), wo er
an Bord der Cap Polonio eintraf und ihn die Vertreter der ihn einladenden Universität von Buenos Aires, der Morgenzeitung “La Prensa” sowie der Sociedad Hebraica empfingen, wohnte der illustre Gast
in der Residenz des renommierten deutsch-jüdischen Geschäftmannes (Immobilien und Papier) Bruno Wasserman.
Schier unglaublich: ungeachtet der verstrichenen Zeitspanne ist
die Residenz der Wassermans, wie Dr. Roberto Alemann, Herausgeber dieser Zeitung, auf Anhieb richtig vermutete, noch tel quel erhalten. Sie steht an einem der schönsten Orte von Buenos Aires, an den
Barrancas de Belgrano, Villanueva Ecke Zabala, grad gegenüber der
Universidad de Belgrano (UB). Seit damals kaum verändert, ist die
Villa heute Sitz der Botschaft von Australien. Seit kurzem erinnert
dort eine Marmorplakette an jenes historische
Ereignis.
Wie Einstein später
zu seinem ArgentinienBesuch bemerkte, war er
schließlich durch den
ganzen Wirbel erschöpft.
Insgesamt zwölf Vorträge in Hochschulen und
Vereinen, Empfänge von
der begeisterten deutschjüdischen Gemeinde
(dazumal noch weitgeGedenktafel am
hend ohne jegliche
Tor der Botschaft.
wechelseitige Diskrimi-
Das Eden Hotel in La Falda heute, für Besucher geöffnet.
nierung), Besuche wie in der neuen Druckerei von “La Prensa”, dann
weiter Referate an den Unis von La Plata und Córdoba - ein kaum zu
bewältigendes Pensum, wobei jedoch der hohe Gast, wie die Presse
beobachtete, auf alle Fragen freundlich und ausführlich antwortete.
Nicht nur Physik stand auf der Themenliste, auch Philosophie und
der Paneuropäismus. Abgeordnete mehrerer Empfangskomitees waren ihm sogar bis Montevideo entgegengefahren und eskortierten
ihn auf dem letzten Teil der Reise.
Während seines vierwöchigen Aufenthaltes in Argentinien fungierte Professor Mauricio Nirenstein als Adlater Einsteins. Nirenstein, Rechtsanwalt und Philosoph, publizierte einige Zeit später einen Artikel, der Einsteins nie gehaltene Konferenz in Buenos Aires
zum Gegenstand hatte, basierend auf einem unveröffentlichten Manuskript, das Einstein während seiner Überfahrt mit der Cap Polonio
verfasst hatte.
Dass die Residenz der Familie Wasserman fast unverändert bis in
unsere Tage überlebt hat, ist geradezu verwunderlich. Denn das dreistöckige Gebäude steht auf einem knapp zweitausend Quadratmeter
großen Terrain, für das sich so mancher Immobilienmakler die Lippen lecken würde. Doch wie gesagt ist dank glücklicher Umstände
die Villa erhalten geblieben, ein in jeder Hinsicht angemessenes
(Fortsetzung auf Seite 8)
Seite 8
Donnerstag, 21. April 2011
(Fortsetzung von Seite XX)
Anwesen für die diplomatische Niederlassung des sechsten Kontinents.
Auf der Rückreise nach Europa hielt Einstein noch drei Konferenzen in Montevideo ab und weitere in Rio de Janeiro, zumeist in
französisch und teilweise, eher privat, deutsch - nicht ohne mit seinen Ausführungen auch Widerspruch zu erwecken, wie etwa in Brasilien, wo “O Jornal” von einer “imaginären Relativitätstheorie”
sprach.
In den frühen siebziger Jahren fand wieder ein Besuch Einsteins
in Buenos Aires statt, und zwar der seines älteren Sohnes Hans Albert, von Beruf Bauingenieur. Seine kurze Anwesenheit in Argentinien ging allerdings nicht über einen Empfang in der nordamerikanischen Botschaft hinaus.
Marlú
Die ehemalige Residenz de Familia Bruno Wasserman,
jetzt australische Botschaft.
Auto und Motor
Argentinier ziehen Schaltgetriebe vor
Gemäß Erhebungen der lokaden USA folgende Anekdote
len Kraftfahrzeugbranche ziehen
verbürgt ist: Zwei Gangster
90 Prozent der argentinischen
überfielen eine Bank, der Dritte
Autofahrer ein Schaltgetriebe
hatte den Auftrag, den Ganovern
den automatischen Drehmoein Auto mit laufendem Motor
mentwandlern vor.
vor die Türe hinzustellen. Das
Womöglich sind unsere Autat er auch, doch vergebens vertomobilisten ins Spielen und
suchten die Banditen, auf und
Werkeln zu verliebt und ziehen
davon zu fahren, denn keiner
die Handschaltung dem gemächvon beiden wusste mit einem
lichen Fahren mit dem HydraSchaltgetriebe (und Kupplung!)
matic vor. In Deutschland ist es
umzugehen.
Eben: Wie kompliziert ist
übrigens auch nicht viel anders.
doch für den Anfänger das KoorNahezu erfolglos bieten in
dinieren von Kupplung, Gaspejüngster Zeit die argentinischen
dal und Handschaltung! Ein AlpKfz-Hersteller in ihrer Modelltraum für so viele Fahrschüler.
palette Automatik-Versionen an,
Hingegen gibt es in den Vereinigin der Hoffnung, dass sich bei
ten Staaten seit Anfang der 40er
dem zunehmend dichteren Stadtverkehr neue Käufer dem schaltJahre, als die ersten hydraulischen Getriebe aufkamen, prakfreien Fahren zuwenden - doch
tisch nichts anderes als kuppFünfgang per Schalthebel ist und
lungslose Automatikgetriebe.
bleibt Trumpf. VW und Toyota
Die ersten Hydramatic-Drehhaben eben erst Automatik-Momomentwandler wurden eigentdelle in ihr Programm aufgelich für Panzer entwickelt, aber
nommen, doch bisher geht der
fast zeitgleich in Autos eingebaut,
Verkauf nur schleppend.
Fertigung von Automatikgetriebe bei VW in Córdoba.
begünstigt durch zwei Umstände:
Das hängt wohl teils auch damit zusammen, dass Experten zufolge nur den wenigsten Fahrern weil die Triebwerke groß und kräftig (ein Automatikgetriebe fraß
die Vorteile des Automatikbetriebes geläufig sind. Hier geht es ähn- seinerzeit noch eine ansehnliche Menge von PS) und die Benzinpreise
lich wie beim Fernsehen zu: wer einmal Farbe gesehen hat, will nie extrem niedrig waren. In Europa hingegen konnte in den zumeist
mehr Schwarzweiß gucken. In diesem Fall: wer je mit Automatik schwachbrüstigen Modellen keine Automatik verwendet werden. Aber
gefahren ist, der will nie mehr schalten. Das geht so weit, dass aus es spielen eben auch psychologische Gründe, wie bei uns, mit.
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Auferstehung mit Zuckerwatte
Der religiöse Themenpark Tierra Santa ist so etwas wie ein “Disneyland” für Gläubige
Von Sabrina Scholz
Buenos Aires - Vor dem Eingang zum “Heiligen Land” in Buenos
Aires werden die Besucher von einem römischen Statthalter in Plastik-Rüstung, einer Frau mit Schleier und einem Esel aus Gips begrüßt. Oben drüber ziehen Passagierjets im Tiefflug hinweg, denn
der Park liegt in der Einflugschneise zum Inlandsflughafen Jorge
Newbery. Zwischen den historischen Figuren wartet an diesem Nachmittag eine Gruppe von ungefähr 30 Menschen. Ein Mann erhebt
sein Megafon und stimmt scheppernd ein Kirchenlied an, die Gruppe singt mit. Es sind Mitglieder der Gemeinde Pa-rroquia Cristo Rey
aus Buenos Aires. Die 19-jährige Ayelén Palacio gehört zu ihnen, sie
erzählt: “Mit dem Besuch des Parks bereiten wir uns auf Ostern vor.”
Vor der Gruppe liegen sieben Hektar bunte Bibel- und Kirchengeschichte. “Das Heilige Land” sieht aus wie ein Dorf in einem Religionsbuch für Kinder: Cremefarbene Häuschen im Stil des alten
Jerusalems - kleine Bauten mit Flachdächern, größere mit goldenen
Kuppeln, dazwischen Torbögen, dunkelgrün angemalte künstliche
Begrüßung vom römischen Statthalter:
Palmen und weiße Kieswege. Über Ostern erwarten die Betreiber
Tierra Santa erwartet zu Ostern Hochbetrieb.
etwa 35.000 Besucher.
Erste Station auf dem Weg durch den Park ist die Schöpfung. In “Auferstehung” versammeln sich viele Besucher am Fuß des Hüeiner etwas muffig riechenden Höhle wird in 15 Minuten mit Bil- gels, bekreuzigen sich, andere küssen ein Kreuz um ihren Hals. Für
dern, bunten Lichtstrahlen und Musik die biblische Schöpfungsge- Ayelén ist dieses Schauspiel der Höhepunkt ihres Besuchs.
schichte erzählt. “Que lindo”, “Wie schön”, raunen viele der ZuDie meisten Besucher kommen in der Osterzeit in das “Heilige
schauer. In der ersten Reihe sitzen Kinder mit offenem Mund, dahinter Land”. Besonderes Angebot an diesen Tagen sind aufwendige InsEltern und Großmütter. Auch Ayelén hat ihre “abuela” dabei. Sie sei zenierungen der Ostergeschichte: Schauspieler stellen das Letzte
83 Jahre alt, erzählt sie stolz.
Abendmahl, den Kreuzweg und die Kreuzigung nach.
Nach der Erschaffung der Welt schlendern die Besucher durch
Solche Vorführungen zu Ostern haben in ganz Argentinien - wie
das kleine Dorf. Vergangenheit und Gegenwart vermischen sich. Hier in anderen Teilen der spanischsprachigen Welt - eine lange TraditiMutter Teresa, dort eine Nachbildung der Klagemauer in Jerusalem, on. Zu den Klassikern zählt auch die sogenannte “Verbrennung des
in deren Fugen die Besucher wie beim Original kleine Zettel mit Judas”, bei der eine große Figur, die Judas darstellen soll, durch
Gebeten stecken können, dazwischen grüßt sogar eine Gandhi-Fi- Feuerwerkskörper über den Köpfen der Zuschauer verbrannt wird.
gur. Eine Kapelle spielt orientalische Musik im römischen Palast,
Neu hingegen ist der erste Kreuzweg unter Wasser, den es im Süden
eine Bauchtänzerin fürs Ambiente darf auch nicht fehlen, Kinder mit Argentiniens in Puerto Madryn in der Provinz Chubut gibt. Ein Priesrosa Zuckerwatte rennen vorbei.
ter im Tauchanzug hält mit anderen Tauchern unter Wasser einen
Auf einem künstlichen Hügel am Rande des Dorfes ist die Kreu- Kreuzweg ab, der an den Strand des Ortes übertragen wird.
zigungsszenerie nachgestellt - mit lebensgroßen Figuren. Auf der anAyelén wird wie der Großteil der gläubigen Argentinier die Osderen Seite des weißen Berges erhebt sich alle zwei Stunden eine terwoche im Kreise ihrer Familie in ihrer Gemeinde verbringen. Sie
18-Meter große strahlend weiße Jesusfigur gen Himmel. Sie dreht hat bereits einen festen Plan, welche Gottesdienste sie dann besusich ein paar Minuten und verschwindet dann wieder im Berg. Zur chen will. In Gedanken wird sie dann im “Heiligen Land” sein. (dpa)
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Donnerstag, 21. April 2011
Labyrinth aus Marktständen
La Salada in Buenos Aires ist der größte illegale Markt Südamerikas
Von Lisa Rauschenberger
Buenos Aires - Lucinda ist müde. Seit mehr als 24 Stunden ist sie
auf den Beinen. Ihren Stand mit Babykleidung hat sie am Vortag
gegen 18 Uhr aufgebaut. Jetzt, am späten Nachmittag am Sonntag,
wird es Zeit für sie, einzupacken. Ein ganz normaler Arbeitstag auf
der Salada. Die Geschäfte werden vor allem nachts gemacht, bis zum
Morgengrauen brummt es in den Markthallen wie in einem Bienenstock.
Busladungen von Menschen aus ganz Argentinien, aber auch aus
den Nachbarstaaten Brasilien, Paraguay und Chile, werden jeden
Sonntag und Mittwoch in das ärmliche Viertel in der Provinz Buenos Aires gekarrt. Es sind vor allem Einzelhändler, die auf der Salada für ihren kleinen Laden einkaufen. Denn die Preise sind niedrig.
So niedrig, dass sich die Mammuttour nach Buenos Aires lohnt.
Die Salada ist der größte illegale Markt Südamerikas. Seit im Jahr
Trucho-Markt La Salada:
1991 bolivianische Einwanderer begannen, in einer verwaisten BaDie Geschäfte werden vor allem nachts gemacht.
deanstalt aus Peróns Zeiten importierte Kleidung und bolivianisches
Essen zu verkaufen, sind die Verkäufe auf der Salada förmlich ex- da einkauft, weiß, dass er hier gefälschte Produkte finden wird”, finplodiert. Drei Firmen teilen sich heute die riesigen Markthallen, det sie. “Wir sind arm, wie sollen wir mit fünf, sechs Kindern denn
daneben gibt es hunderte Stände im Freien, an der sogenannten “Ri- Originale bezahlen?” Sie ärgert sich höchstens über die Geschäftebera” am Ufer des Riachuelo. Dieser informelle Markt lebt von den macherei der Standbesitzer, die die Mieten in die Höhe treiben. “Leute
Menschenmassen, die zwei Mal pro Woche zur Salada strömen. Hier wie Castillo verdienen und wir rackern Tag und Nacht, um unsere
sind die Waren noch billiger als in den Hallen.
Kinder sattzukriegen.”
Rund zehn Millionen Dollar Umsatz werden auf der Salada pro
Die Billigpreise auf der Salada zahlen andere mit harter Arbeit.
Woche gemacht. Und das vor allem mit gefälschten Markenproduk- In zahllosen Sweatshops im Großraum Buenos Aires rattern die Nähten, Kleidung, CDs und DVDs zu Spottpreisen. “Hier bekommt man maschinen Tag und Nacht. Nach Angaben der staatlichen Statistikeine gefälschte Adidas-Hose locker für 40 Pesos (7 Euro). Das Ori- behörde INDEC arbeiten 71 Prozent der Beschäftigten in der Textilginal kostet bestimmt 300 Pesos”, schätzt Lucinda. Seit 2009 hat die industrie unter “informellen” Bedingungen. Viele der Werkstätten
Salada sogar ihren eigenen Internetauftritt, inklusive Online-Verkauf. sind illegal, die Näher oft Einwanderer aus den armen NachbarlänVor kurzem hat Ronald Kirk, Handelsvertreter der Vereinigten dern Bolivien und Peru. Sie schuften dort unter sklavenähnlichen
Staaten, die Salada als Epizentrum des Betrugs bezeichnet und de- Bedingungen, für einen Hungerlohn.
ren “unlautere Praktiken” angeprangert. Auf einer Art weltweiten
“Die Arbeiter wohnen in den Werkstätten und arbeiten dort oft 16
Rankingliste des Pirateriehandels steht die Salada neben Riesenmärk- bis 18 Stunden pro Tag”, sagt Lucas Schaerer von der Kooperative
ten in Russland, Indien und der Ukraine ganz oben.
La Alameda, die die Ausbeutung in den Nähbetrieben beenden will.
Als Reaktion auf diesen zweifelhaften Rekord hat Jorge Castillo, “Allein in der Hauptstadt existieren fast 3000 dieser illegalen WerkVerwalter des Marktes Punta Mogote und Sprachrohr der Salada in stätten und rund drei Mal so viele im Großraum Buenos Aires.” Es
der Öffentlichkeit, in der nationalen Presse zugegeben, dass etwa 40 ist kein Geheimnis, dass ein großer Teil der Kleidung auf der Salada
Prozent der Waren auf der Salada gefälschte Markenartikel seien. aus diesen Sweatshops stammt. Aber auf der Salada ist es der Preis,
Betrug am Kunden? Lucinda schüttelt den Kopf. “Wer auf der Sala- der zählt. (dpa)
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Donnerstag, 21. April 2011
Buchmesse in Buenos Aires
Aus Deutschland kommt Diedrich Diederichsen
Buenos Aires (dpa/AT) - Unter
lich könne Vargas Llosa auf der
dem Motto “Eine Stadt offen für die
Buchmesse sprechen.
Welt der Bücher” hat am Mittwoch
Aus Deutschland ist der Kulturdie 37. Internationale Buchmesse
und Literaturkritiker Diedrich Dievon Buenos Aires begonnen. Die
derichsen dabei. Er stellt am 24.4.
Veranstalter erwarten bis zum 9.
um 18.30 Uhr sein jüngstes in ArMai etwa eine Million Besucher.
gentinien erschienenes Buch vor.
Mit rund 45.500 Quadratmetern FläWeitere Autoren auf der Messe sind
che und 1500 Ausstellern aus 42
der Chilene Jorge Edwards, die meLändern ist die Bücherschau nach
xikanische Schriftstellerin Margo
Angaben der Veranstalter die größGlantz sowie die Spanier Rosa
te ihrer Art in der spanischsprachiMontero und Antonio Muñoz Moligen Welt.
na. Vertreter der Frankfurter BuchAuch viele Schriftsteller werden
messe sowie des Goethe-Instituts
vor Ort sein. Schon vorab gab es
und der deutschen Botschaft inforDiskussionen über die Teilnahme
mieren über deutsche Literatur und
von Literaturnobelpreisträger Mario
Verlage.
Deutscher Tag: Diedrich Diederichsen
Vargas Llosa. Eine Gruppe regieBuchmesse-Direktorin Gabriela
wird im Victoria Ocampo-Saal sprechen.
Adamo sagte der Nachrichtenagenrungsnaher Intellektueller forderte,
seine geplante Rede abzusagen. Der bekennende Liberale Vargas tur dpa, Ziel sei es, die Messe noch stärker international bekanntzuLlosa ist für seine harsche Kritik an linken Regierungen bekannt machen und weiter für Verleger und Händler zu öffnen. Argentinien,
und hatte auch die peronistische Regierung von Präsidentin Cristi- im vergangenen Jahr Gastland der Frankfurter Buchmesse, gilt aufna Kirchner scharf kritisiert. Kirchner selbst wies jedoch auf das grund seines florierenden Buchmarktes traditionell als Leseland.
Ort: La Rural, Av. Sarmiento 2704. Info: www.el-libro.org.ar.
Recht der freien Meinungsäußerung hin und betonte, selbstverständ-
Positive BAFICI-Bilanz
Independent-Filmfest ging am Sonntag zu Ende / Preis für “At Ellen’s Age”
Von Isabelle Opel
Buenos Aires (AT) - 300.000 Personen, 10%
Der deutsche Beitrag “At Ellen’s Age” von
mehr als im Vorjahr, haben am diesjährigen 13.
Pia Marais mit der Französin Jeanne Balibar als
Independent-Filmfestival Bafici teilgenommen.
Protagonistin war für den internationalen Wett210.000 Eintrittskarten wurden verkauft, 1083
bewerb ausgewählt worden und gewann den Preis
Mal wurden die Kinosaaltüren für die FilmproBeste Schauspielerin. Balibar verkörpert in dem
jektionen geöffnet. 438 Filme wurden gezeigt,
Film auf faszinierende Weise eine Frau in einer
teilweise drei bis vier Mal an unterschiedlichen
Lebenskrise (siehe auch Seite 11). Die Griechin
Tagen und Orten. 300 Schauspieler, Regisseure,
Athina Rachel Tsangari bekam für “Attenberg”
Produzenten und Filmkritiker waren eingeladen
den Preis als Beste Regisseurin.
und reisten von allen fünf Kontinenten an.
Unter den 113 argentinischen Filmbeiträgen
Es war ein kunterbunt gemischtes Fest der
war die Jury sich einig, dass Santiago Mitre für
Kulturen mit interessanten Beiträgen und Begeg“El estudiante” den Sonderpreis mehr als vernungen. Die Verkaufszahlen wurden auch dank
dient hat. Bester Film im nationalen Wettbewerb
der Filme in 3D und den Vorführungen unter freiwurde “La carrera del animal“ von Nicolás Grosem Himmel in die Höhe getrieben. Auch dieses
so, bester Regisseur war Román Cárdenas mit
Jahr nahmen zahlreiche Personen an Sonderver“Las Piedras“, und bester Schauspieler Jorge Jeanstaltungen, wie etwa Seminaren, Pressekonfelinek aus Uruguay mit “La vida útil“. Für die beste
renzen, Vorträgen und Präsentationen teil. Sergio
Fotografie im Film “Hoy no tuve miedo“ ging
Wolf, Bafici-Artdirektor, sagte der Zeitung Clarín
der Preis an Iván Fund und Eduardo Crespo.
Jeanne Balibar (“At Ellen’s
am Sonntag, dem letzter Tag des Bafici, in eiIn der Sektion “Cine del futuro“ wurde “VerAge”) wurde als beste
nem Interview, dass das Festival im Ganzen ein
ano de Goliat“ von Nicolás Pereda zum besten
Schauspielerin geehrt.
Erfolg war.
Film gewählt.
Am Samstagmittag hatte bereits die Preisverleihung stattgefunUnter den 100 internationalem Kurzfilmen können sich Benjaden. Bester Film im internationalen Wettbewerb wurde “Qu’ils re- min Naishtat (“El juego“), Vladimir Durán (“Soy tan feliz“) und
posent en révolte (des figures des guerres)” von Sylvain George, ein Gastón Margolin und Martín Margenfeld (“La fiesta de casamienFilm über die illegale Immigration von Afrikanern nach Europa. Bes- to“) über ihre Auszeichnungen freuen. Der deutsche Dokumentarter argentinischer Film im internationalen Wettbewerb wurde “Ya- film “Kick in Iran” von Fatima Geza Abdollahyan erhielt eine Ertasto” von Hermes Paralluelo.
wähnung der UNICEF.
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Donnerstag, 21. April 2011
Argentinien in Köln
Drei Porteño-Galerien auf Art Cologne / Schopflocher-Lesung bei Lempertz
Von David Schneider
“Viva Colonia” heißt die inoffizielle Hymne von Köln. In ihr rühmt
sich die Stadt multikulturell und in jeder Hinsicht aktuell zu sein.
Offenbar nicht ganz zu unrecht. Im Zuge der Kunstmesse Art Cologne (13.-17. April) entdeckte die Domstadt ihre Zuneigung für argentinische Gegenwartskunst.
Mit Maman Fine Art, Ignacio Liprandi und Chez Vautier/Cosmocosa stellten erstmals argentinische Galerien auf der bedeutenden
europäischen Kunstmesse aus. Die Schau zeigte insgesamt 18 argentinische Künstler, darunter Schwergewichte wie Guillermo Kuitca und Alberto Heredia.
“Südamerika zählt zu einem der schnell wachsenden Märkte”, erläuterte Messechef Daniel Hug. Persönlich schätze er vor allem die
Vielfalt der Kunstpositionen, die Argentinien in den letzten fünf Jahrzehnten hervorgebracht habe.
Unterstützt wurden die drei Galerien vom Kulturministerium der
Stadt Buenos Aires. “Denn derartige Veranstaltungen fördern die Bekanntheit argentinischer Kunst und den Kulturaustausch zwischen
Köln und Buenos Aires”, so der zuständige Minister Hernán Lombardi - ehemals Mitglied im Kabinett de la Rúa.
Doch auch unabhängig von Art Cologne und behördlichen Bemühungen scheint sich die Kölner Kunstszene für das künstlerische
Potential Argentiniens zu interessieren. Scharfsinnig, feinsinnig und
wohltuend uneitel nennt das Nachrichtenmagazin “Der Spiegel” den
Erzählstil von Robert Schopflocher.
An seinem achtundachtzigsten Geburtstag las der jüdische
Deutsch-Argentinier rund eineinhalb Stunden im traditionsreichen
Auktionshaus Lempertz. “Weit von wo” lautet der Titel der Autobiographie, in der Schopflocher aus seinem Leben zwischen drei Welten berichtet.
Deutschland, Argentinien und der jüdische Glauben nennt er seine Heimaten. Flucht, Emigration und die Suche nach neuen Pers-
Empfang für die Argentinier (v.l.): Wilhelm Luxem (Direktor Hotel
Excelsior Ernst), Amparo Díscoli (Cosmocosa, Buenos Aires),
Botschafter Victorio Taccetti, Cristina Sommer (Projektleitung
Buenos Aires), Dr. Konrad Schmidt-Werthern (Kulturamtsleiter
Köln), Hernán Lombardi (Kulturminister Buenos Aires), Dr. Eva
Bürgermeister (Vorsitzende des Ausschusses für Kunst und
Kultur Köln), Daniel Hug (Direktor Art Cologne), Daniel Maman
(Maman Fine Arts, Buenos Aires).
pektiven waren die Themen, mit denen er das Kölner Publikum in
seinen Bann zog. Äußerungen zur aktuellen politischen Lage in Argentinien ließ Schopflocher sich an diesem Abend nicht entlocken.
Stattdessen erzählte er von seiner zweiten großen Leidenschaft,
dem Expressionismus. Zumindest in diesem Jahr hat er es mit seinen
Bildern nicht mehr auf die Art Cologne geschafft. Aber vielleicht
gibt es ja bald einen der dort ausgestellten Argentinier im Kunsthaus
Lempertz unterm Hammer.
LATEINAMERIKANISCHE WIRTSCHAFT
Der deutsche Versandhandelsriese Otto will nach Brasilien expandieren. «Derzeit verhandeln unsere Juristen die Verträge mit einem Partnerunternehmen, das wir mehrheitlich übernehmen wollen»,
sagte Otto-Chef Hans-Otto Schrader der «WirtschaftsWoche». Von
Anfang an wolle das Hamburger Unternehmen in Brasilien mit mehreren Marken antreten und «versuchen, sehr schnell eine führende
Position im Online-Geschäft einzunehmen». Auch für das Tochterunternehmen Manufactum erwäge der Konzern eine Expansion. Der
Konzern erzielte 2010/11 ein Umsatzwachstum von 12,5% auf E 11,4
Mrd. (dpa)
***
Brasilien nahm im März umgerechnet u$s 44,73 Mrd. an nati-
onalen Steuern ein, 9,7% mehr als im Vorjahr, teilte das Steueramt mit.
***
Der Konzern des brasilianischen Unternehmers Eike Batista
(der gemäss der Zeitschrift „Forbes“ der achtreichste Mann der
Welt ist) hat an einem Tag, dem Montag letzter Woche, zwischen
u$s 6,5 und u$s 7 Mrd. an Wert eingebüsst. Dies war die direkte
Folge eines negativen Berichtes der Firma D&M über die Erdölreserven des Lagers OGX (auf dem Meeresgrund). Das hat auch die
Börsenkurse der Unternehmen LLX (Logistik), PortX (Häfenbetreibung), OSX (Werften) und MPW (Energie) gedrückt, die alle zum
Konzern gehören.
ARGENTINISCHE WIRTSCHAFT
Der Dollarkurs schloss am Dienstag zu $ 4,10, 0,61% über dem
Stand von vor einer Woche und um 2,24% über Ende 2010. Der
Rofex-Terminkurs lag zum 30.6.11 bei $ 4,129, zum 30.9.11 bei $
4,222 und zum 30.12.11 bei $ 4,35. Der Kurs per Ende März 2012
lag um 10,71% über dem Tageskurs.
***
Der Merval-Aktienindex der Börse von Buenos Aires lag am
Dienstag um 2,04% unter dem Dienstag der Vorwoche. Im Laufe
des Jahres 2011 ist der Merval-Index um 5,43% gefallen.
***
Die meisten Staatspapiere zeigten in dieser Woche eine negative Tendenz. Die Par-Bonds in Pesos fielen innerhalb einer Woche
um 2,4% (-11,96% seit Ende 2010). Discount-Bonds in Pesos fielen
um 0,59% (bzw. -10,97%), Boden 2014 stiegen um 0,63% (bzw.
+3,45%), Boden 2012 fielen um 0,2% (bzw. +1,46%) und Boden
2013 blieben unverändert (bzw. +1,83%).
***
Die Währungsreserven der ZB betrugen zum 8.4.11 u$s 51,54
Donnerstag, 21. April 2011
Mrd., 0,47% mehr als vor einer Woche und 1,16% unter Ende
2010.
***
Gold wurde letzte Woche in Buenos Aires (Banco Cuidad) bei
18 Karat zu $ 128,32 pro Gramm gehandelt (vergangenen Donnerstag: $ 125,88) und bei 24 Karat zu $ 194,60 (vergangenen
Donnerstag: $ 191,00).
***
Im März wurden 63.692 Motorräder in das entsprechende Register eingetragen, 52% mehr als im gleichen Vorjahresmonat,
teilt der Verband der Kfz-Agenturen ACARA mit. Im 1. Quartal
2011 waren es 193.906 Einheiten, 78% mehr als im Vorjahr. Die Zunahme ist zum grössten Teil echt, aber zum Teil auch auf die Tatsache
zurückzuführen, dass jetzt alle Modelle eingetragen werden müssen,
während letztes Jahr dies bei den den kleineren nicht der Fall war.
Somit wurden viele bestehende Motorräder in den ersten Monaten
2011 registriert.
***
Der Streik der Erdölarbeiter in der Provinz Santa Cruz dauert schon 21 Tage und konnte bisher vom Arbeitsministerium nicht
gelöst werden. Obwohl 120 Delegierte der Arbeitnehmer die vorgeschlagene Lohnzulage angenommen hatten, wurde dies in einer Versammlung abgelehnt. Dies gefährdet die Versorgung mit Benzin und
Diesel-treibstoff, wobei die Unternehmen (YPF, Shell, Esso und Petrobrás) zunächst Lagerbestände einsetzen. Das Arbeitsministerium
hatte eine Lohnerhöhung von 10% ab März 2011 beschlossen, plus
Zahlung in Raten ab 2012 eines Betrages von $ 25.000. Die rebellierenden Arbeiter fordern ein neues Arbeitsabkommen mit einer Angleichung der Löhne an die höheren, die bestimmte Unternehmen
zahlen. Sie weisen darauf hin, dass eine bestimmte Tätigkeit in YPF
mit $ 8.000 monatlich entlöhnt wird, in anderen Unternehmen jedoch
mit bis zu $ 12.000. Ohnehin verdienen die Erdölarbeiter schon viel
mehr als in anderen Branchen, was einen Demonstrationseffekt hat
und Gewerkschaftsdruck auf patagonische Unternehmen im allgemeinen mit sich bringt.
***
Binnenhandelssekretär Guillermo Moreno hat in einer Zusammenkunft mit den Vertretern der Verbände der Pharmaindustrie
gefordert, dass die einzelnen Unternehmen ihre Importe von Medikamenten und Produkten für deren Herstellung mit Exporten
ausgleichen. Die Industrie weist gesamthaft (2010) Importe in Höhe
von u$s 1,5 Mrd. und Exporte von u$s 650 Mio. auf. Moreno sagte,
die Unternehmen hätten vier Möglichkeiten: 1. Erhöhung der Exporte; 2. Verringerung der Importe; 3. Exporte anderer Produkte, über
Unternehmen die mit dem Pharmaunternehmen verbunden sind; 4.
Kapitalbeiträge für Investitionen.
***
Der Konzern der Rindfleischexporteure ABC forderte von der
Regierung Beistand für die Überwindung der tiefen Krise, die
gegewärtig besteht. 32 Schlachthöfe seien geschlossen worden und
8.000 Arbeitplätze seien verloren gegangen. 2010 seien insgesamt
11,8 Mio. Rinder geschlachtet worden, gegen 18 Mio. 2009. Der
Export sei 2010 gegenüber 2009 um 54% zurückgegangen. Gegenwärtig werde der Export nur tropfenweise zugelassen. Binnennhandelssekretär Moreno hemmt den Export, um zu verhindern, dass das
interne Angebot weiter sinkt und die Preise noch mehr steigen.
***
Das BIP verzeichnet im März eine interanuelle Zunahme von
6,6% und im 1. Quartal eine von 7,2%, so die Consulting-Firma
Orlando Ferreres & Partner. Laut dieser Berechnung hat somit im
März eine Verlangsamung des Aufschwungs eingesetzt.
***
In einer Zusammenkunft des Staatssekretärs für Viehwirt-
Seite 13
schaft, Lorenzo Basso, mit dem Vertreter des Verbandes „Federación Agraria“, Eduardo Buzzi, und Vertretern der Schlachthöfe, die Schweinefleisch und Wurstwaren erzeugen, haben letztere sich verpflichtet, weniger Schweinefleisch aus Brasilien zu
importieren und mehr Schweine von lokalen Landwirten zu kaufen. Die Federación Agraria hatte mit einer Sperre der Brücke Rosario-Victoria gedroht. Im 1. Bimester 2011 lagen die Importe von
Schweinefleisch um 107% über dem Vorjahr. Der Fall ist schwer verständlich, da die lokalen Schweinezüchter eine indirekte Subvention
erhalten, da die Futtermittel, vornehmlich Sojabohne und Mais wegen der hohen Exportzölle im Inland Preise haben, die stark unter
den internatio-nalen liegen. Wie weit in Brasilien, wo keine Exportzölle bestehen, eine verkappte Subvention besteht, wurde nicht mitgeteilt.
***
Die ZB teilt mit, dass die Bankkredite für den Privatsektor
Ende Februar um 2,4% über Ende Januar und um ganze 44%
über Ende Februar 2010 lagen. Die Depositen (einschliesslich der
staatlichen) nahmen in einem Monat um 1,7% und in einem Jahr um
40,3% zu.
***
Die privaten Berechnung der Zunahme der Konsumentenpreise
für März weichen stark von den 0,8% ab, die das Statistische
Amt (INDEC) bekanntgegeben hat. Die Zunahmen der einzelnen
Consulting-Firmen sind folgende: M-Bein & Partner: 1,8%; Ecolatina: 1,9%; Ledesma: 2%; Graciela Bevacqua: 2%; Finsoport: 2,2%.
In Santa Fé hat das Studienzentrum Cesyac eine Zunahme von 5,7%
ermittelt, und in Tierra del Fuego ist das Statistische Amt der Provinz
auf eine Zunahme von 4,3% gelangt.
***
Die Verkaufszahlen von Gebrauchtwagen sind im März um
5,37% gegenüber dem März des Vorjahres auf 138.707 Einheiten gestiegen, so die Kammer des Autohandels (CCA). Im Vergleich zu den ersten beiden Monaten 2011 fällt der Anstieg allerdings
gering aus. Im Januar hatte der interanuelle Anstieg noch 20% und im
Februar gar 28% betragen. Das 1. Quartal schließt mit einem Plus
von 17,2%. Für jedes neue verkaufte Kfz wurden im März leicht über
zwei gebrauchte verkauft, weil sich eine Kette bildet, bei der Inhaber
gebrauchter Wagen einen ebenfalls gebrauchten, aber neuer, kaufen.
***
Die Industrie verzeichnet im März 2011 ein interanuelles
Wachstum von 9,2%, wobei auch das 1. Quartal um 9,2% über
dem Vorjahr liegt, so die Consulting-Firma Orlando Ferreres &
Partner. Im 1. Quartal verzeichnet die Sparte Maschinen und Anlagen eine Zunahme von 21,9%, Grundmetallindustrien eine von 20,1%,
Nahrungsmittel eine von 16,5% und nicht metallische Erze eine von
15,8%. Am anderen Extrem weist die Zigarettenindustrie eine Abnahme von 10,1% aus, die Erdölraffinerien eine von 6,1% und die
Sparte Chemie und landwirtschaftliche Chemikalien eine von 1,8%.
Bei Kunststoffen fand keine Veränderung statt, Papier und Zellstoff
stieg um 1,8%, Pharmaprodukte um 4,5%, Textilien um 6,8% und
Getränke um 7,4%. Die Entwicklung war somit nicht einheitlich.
Gesamthaft dauerte jedoch die sehr gute Konjunktur im 1. Quartal
an.
***
Die Regierung rechnet damit, die Zahl der Direktoren bei den
21 Aktiengesellschaften, in denen sie schon mit einem Direktor
vertreten ist, um bis zu 50% (also 10 bis 11 Direktoren) zu erhöhen. Von diesen sollen 7 noch in diesem Monat ernannt werden.
***
Im 1. Bimester 2011 nahmen die eigenen Einnahmen der Provinzen und der Bundeshauptstadt im interanuellen Vergleich um
fast 50% zu, berichtet die Stiftung „Fundación Mediterranea“.
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In der Bundeshauptstadt betrug die Zunahme 46,7%, in der Provinz
Buenos Aires 29,7%, in Córdoba um 33,2%, in Santa Fé um 50,5%
und in Mendoza um 16%. Von den Einnahmen entfallen bei diesen 5
Provinzen 73,5% auf die Bruttoumsatzsteuer, 8,1% auf die Stempelsteuer, 7,5% auf die Immobiliensteuer und 6,5% auf die Kfz-Steuer.
***
Das Phänomen der Entfernung der warmen Strömung des Pazifischen Ozeans, die „La Niña“ genannt wird, von der südamerikanischen Küste nach Westen, hat nachgelassen und wirkt nicht
mehr. Ende 2010 hatte dies zur Dürre in Argentinien geführt, die
jedoch von kurzer Dauer war. Dies ergeben Studien privater Meteorologen. Für Argentinien sollte es somit dieses Jahr normale Regenfälle geben, was eine hohe Ernte für die Periode 2011/12 in Aussicht
stellt.
***
Eine Studie der Regionalen Gruppen zum Erfahrungsaustausch in der Landwirtschaft (CREA) besagt, dass ein Viertel
der Sojaernte 2009/10 in die Produktion von Biodiesel geflossen
ist. Die argentinischen Biodieselproduzenten haben ihre Produktion
seit 2006 um 2250% ausgebaut. Nächstes Jahr werde die Produktionskapazität der Branche die 3 Mio. t übersteigen, so CREA. Damit
wäre Argentinien der drittgrößte Produktionsstandort weltweit - hinter Deutschland und Spanien.
***
Die Wirtschaftsleistung vom Februar, gemessen durch den
EMAE-Index des Statistischen Amtes (INDEC) lag um 8,7% über
dem Vorjahresniveau. Vergleicht man die ersten beiden Monate der
Jahre 2011 und 2010 betrug der Anstieg 9,1%.
***
Die Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen der Fischerei in Mar del Plata haben sich auf eine 30prozentige Lohnerhöhung geeinigt. Die Vereinbarung sieht vor, dass ein Plus von 18%
rückwirkend zum März gezahlt wird, zum 1.7. weitere 6% und die
restlichen 6% im November hinzukommen. Der seit vergangener
Woche andauernde Streik wurde aufgehoben.
***
Die Unidad de Información Financiera (UIF) - die argentinische Behörde im Kampf gegen die Geldwäsche - hat ihre eigene
Resolution UIF 39/2011 aus dem Februar für 180 Tage außer Kraft
gesetzt. Kritik aus den betroffenen Branchen und Unternehmen hatte
zu viele offene Fragen an der Verfügung aufgeworfen. Jetzt soll eine
interdisziplinäre Kommission innerhalb der Frist die Umsetzung der
Resolution erörtern. Die Verfügung fordert von den Exporteuren,
Importeuren, Logistikunternehmen und Zollbehörden detaillierte Präventiv- und Kontrollmaßnahmen im Kampf gegen die Geldwäsche.
So werden die Akteure aufgefordert, u.a. einen Geldwäschebeauftragten zu ernennen, Anti-Geldwäsche-Handbücher auszuarbeiten,
diverse Analyse- und Dokumentationsregister zur Erfassung verdächtiger Vorkommnisse zu führen und die Mitarbeiter regelmäßig in diesem Bereich fortzubilden. José Sbatella, der das Amt leitet, verwies
darauf, dass die Maßnahmen auf expliziten Vorgaben der internationalen GAFI-Behörde an Argentinien basierten.
Geschäftsnachrichten
Claro
Der Besitzer der Mobilfunkmarke Claro, der Mexikaner Carlos Slim,
wird in den kommenden 2 Jahren ca. u$s 1,5 Mrd. in den argentinischen Markt investieren. Das meldet Planungsminister Julio De Vido
von seiner Reise nach Mexiko. Slim werde die Investition Präsidentin
Cristina Kirchner Mitte des nächsten Monats persönlich bestätigen.
André Maggi
Die brasilianische Unternehmensgruppe André Maggi, einer der
größten Sojaproduzenten und -händler der Welt, gründet eine argentinische Vertretung. Unter dem Namen Amaggi Argentina wollen die
Brasilianer in den hiesigen Agrarexportmarkt einsteigen. André
Maggi hat seinen Hauptsitz in Mato Grosso, beschäftigt 3.500 Mitarbeiter und unterhält 40 Silos, 3 Mühlen, 3 Verladeterminals, eine
Flotte von 100 Schiffen sowie eigene Wasserkraftwerke.
BMW
Der deutsche Autobauer BMW hat auf den argentinischen Import-stopp reagiert und 240 der ca. 1.000 Automobile, die seit Februar am Zoll in Zárate festgehalten wurden, wieder verschifft, die
nach anderen lateinamerikanischen Ländern exportiert werden.
Darunter befanden sich die ersten Mini Countryman und die neue
Generation der BMW X3. Außerdem hat das deutsche Stammhaus
alle anstehenden Lieferungen nach Argentinien unterbrochen. Dennoch wird mit der Regierung über eine Lösung verhandelt. Insgesamt
waren 3.000 Luxusautos - vor allem deutscher Hersteller - von dem
überraschend beschlossenen Einfuhrstopp betroffen. Die argentinische Regierung versucht mit dieser Maßnahme, die Autohersteller
zu mehr Exporten zu nötigen. Für BMW, die keine eigene Produktionsstätten in Argentinien hat, ist es nur auf Umwegen möglich, die
Importe mit Exporten auszugleichen, etwa wie es Porsche getan hat,
das den Import mit Weinlieferungen ausgleicht, die von einem Un-
ternehmen stammen, das dem lokalen Konzessionär der Marke gehört. BMW ist auf dem argentinischen Markt gut eingeführt und hat
ein treues Publikum.
Conarsa
Diese Firma, deren größter Aktio-när mit 70% Anteil der ehemalige Präsident des Industrieverbandes UIA, Héctor Méndez, ist (gut
20% halten italienische Anteilseigner, der Rest Argentinier), hat eine
strategische Allianz mit der französischen Plastic Omnium und der
spanischen Ros Roca geschlossen. Zusammen wollen sie den regionalen Markt für die Sammlung von Hausmüll erschließen und große
Plastikmülltonnen in Argentinien herstellen und in der Region vertreiben. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Argentinien, Brasilien, Chile
und Uruguay. Conarsa wird seine Marktkenntnisse einbringen, während die Europäer u.a. Maschinen, Werkzeuge und Gußformen für
Plastiktonnen stellen. Plastic Omnium ist der Weltmarktführer in der
Produktion von Mülltonnen und beliefert 3.000 Städte weltweit. Ros
Roca produziert Maschinen für die Müllabfuhr und unterhält u.a.
Fabriken in Brasilien und Mexiko. Die argentinische Conarsa ihrerseits besteht aus den Unternehmenssparten Städtische Müllabfuhr,
Plastikbehälter für die Landwirtschaft sowie Kunststoffteile für die
Automobilproduktion (unter dem Firmennamen Concord). Méndez
gibt die Anschubinvestition mit $ 60 Mio. an. Außerdem kauft Conarsa von den Kooperationspartnern Maschinen für seine Sparten
Landwirtschaft und Autozulieferung.
Edenor
Mit einer Investition von u$s 45 Mio. stellt der Energieversorger
Edenor neue Hochspannungsleitungen in der Bundeshauptstadt fertig. Die neuen Leitungen verbinden die Verteilungsstellen in Puerto
Nuevo, Colegiales und Malaver. Das Projekt ist Teil eines Investitionsprogramms, das neue Kapazitäten von 600 MW schaffen soll.
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Banco Macro
Die Macro-Bank hat den Architekten César Pelli mit dem Bau
ihres neuen Unternehmenssitzes beauftragt. Blickfang des neuen Sitzes wird ein 130 m hoher Büroturm sein, der auf einem 5.000 qm
großen Grundstück in Catalinas Norte entstehen soll. Rund u$s 100
Mio. investiert die Bank in das Bauprojekt. Der Architekt Pelli stammt
aus Tucuman und hat sich in der Welt mit großen Bauprojekten wie
den Petronas-Türmen in Kuala Lumpur, dem World Financial Center in New York und dem International Finance Center in Hongkong
einen Namen gemacht. In Buenos Aires hat er u.a. den Büroturm
von YPF in Puerto Madero entworfen.
ser Busse verkauft werden. Eaton ist ein internationaler Konzern mit
Fokus auf Technologien der Stromerzeugung und -verteilung sowie
von Steuerungssystemen und Antrieben jeglicher Art. So ist das Eaton Hybrid System (HEV) bereits heute in Omnibussen in Singapur,
Australien, Polen, USA und Mexiko im Einsatz. Tatsa seinerseits ist
der erste integrierte Fabrikant Lateinamerikas von Hybridbussen. Die
Firma, die von der argentinischen Cometrans S.A. kontrolliert wird,
besitzt in San Martin (Provinz Buenos Aires) sowie in Fort Valley
(Georgia, USA) Fabriken und ist an einer weiteren Produktionsanlage in Uruguay beteiligt.
Audi
Peugeot
Dieser französische Autobauer hat am Dienstag auf der Autoschau
in Shanghai sein erstes Modell vorgestellt, das vollständig in Zusammenarbeit mit dem China Tech Center Shanghai für den chinesischen Markt entwickelt worden ist. Der Peugeot SxC ist ein so genannter „Cross-over“, der Merkmale mehrerer Autokategorien (Geländewagen, Limousine, Coupé) miteinander verbindet. Angetrieben
wird er von einem Hybridmotor.
Tatsa und Eaton
Die argentinische Tatsa und der US-Konzern Eaton sind eine strategische Allianz bei der Produktion und Vermarktung von Omnibussen mit Hybridantrieb eingegangen. Nach 5 Monaten gemeinsamer
Forschungsarbeit ist die Kooperation so weit, dass zunächst 5 Prototypen in Argentinien gefertigt werden können. Die Motoren der
Omnibusse werden von einem parallelen Hybridantrieb aus elektrischem Strom und Dieselkraftstoff angetrieben und reduzieren so den
CO2-Ausstoss gegenüber herkömmlichen Bussen um bis zu 40%.
Die Entwicklung war von der Clinton-Stiftung unterstützt worden,
welche die Erforschung umweltfreundlicher Technologien fördert.
Insgesamt u$s 100 Mio. werden Tatsa und Eaton am Ende in das
Projekt investiert haben. In den nächsten 10 Jahren sollen 1.500 die-
Audi Argentina ist zum 4. Mal in Folge Sponsor der „Gran Carrera de Salta“. Die namhafte Rallye für klassische Autos findet vom
27.4. bis 30.4. in den pittoresken Landschaften von Salta und Jujuy
statt. Die deutsche Premiummarke nutzt die Gelegenheit, um der argentinischen Öffentlichkeit sein neues Modell Audi A7 Sportback
vorzustellen.
Finning Argentina
Finning Argentina, die lokale Vertretung des Baumaschinenherstellers Caterpillar, wird neue Verteilerzentren für Ersatzteile in den
Städten Córdoba, Neuquén und Mendoza errichten. 100 neue Arbeitsplätze
werden
so
entstehen.
Die
Investitionssumme umfasst u$s 14 Mio.
Cepas Argentinas
Dieses Unternehmen, das sich der Getränkeherstellung widmet,
hat die Weinkellerei Bodegas Orfila gekauft, die der deutschen Wartsteiner gehörte, die vor einigen Monaten ihre Biermarke Isenbeck
an die US-Firma Sab Mittler abgestossen hatte. Mit diesem Zukauf
will Cepas Argentinas den Umsatz von Alkoholgetränken auf 12 Mio.
Kisten verdoppeln. Die Firma ist durch folgende Marken bekannt:
Gancia, Gancia One, Terma, Pronto Shake und Dr. Lemon.
Wenn der Keynesianismus zu Ende geht
Der britische Ökonom John Maynard Keynes hat die Wirtschaftswissenschaft mit seinem 1935 erschienenen Buch, „Die allgemeine
Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ auf den Kopf
gestellt. Er widerlegte die allgemein geltende Auffassung, dass das
Geld eine passive Bedeutung habe (man sprach vom Geldschleier)
und trat für eine aktive monetäre Politik ein. Die Staatshaushalte
sollten sich auf mehrere Jahre erstrecken, so dass in Rezessionszeiten Defizite in Kauf genommen werden, die dann in Perioden guter
Konjunktur mit Überschüssen ausgeglichen werden. Keynes wies
darauf hin, dass in Krisenzeiten die sogenannte „Liquiditätsfalle“
auf diese Weise überwunden werden müsse. Sie besteht darin, dass
die Banken flüssig sind, weil sie keine Möglichkeit haben, das Geld
mit einer gewissen Sicherheit auszuleihen, wobei auch die Unternehmen in diesen Perioden zurückhaltend sind und keine Kredite
aufnehmen, weil keine ausreichende Nachfrage für ihre Produkte
besteht. Infolgedessen müsse der Staat einspringen, die überschüssige Liquidität aufnehmen und öffentliche Investitionen durchführen.
Dieses Rezept wurde, ohne sich dabei auf Keynes zu berufen, schon
in den 30er Jahren mit Erfolg in den USA von Roosevelt im Rahmen
des „New Deal“ angewendet, nachher durch die Aufrüstung noch
viel stärker, und auch in Deutschland durch den Bau der Autobahnen
und die Kriegsvorbereitung.
Die Nachkriegszeit war allgemein vom keynesianischen Gedankengut geprägt. Dabei gingen die meisten Staaten jedoch so weit,
dem Staat auch in Zeiten guter Konjunktur ein Defizit (und eine ent-
sprechende Zunahme der Staatsverschuldung) aufzubürden, was
Keynes nicht befürwortet hatte. In der Finanzkrise von 2008/09 trat
dies besonders stark auf. Die Staaten, die ohnehin schon hohe Defizite aufwiesen, verschuldeten sich stark, um den Zusammenbruch
von Banken u.a. Unternehmen zu verhindern, die Rezession zu mildern und die Erholung zu erleichtern und zu fördern. Das Rezept
war allgemein erfolgreich, so dass eine Krise wie die der 30er Jahre
(die Keynes zum Nachdenken veranlasst hatte) vermieden wurde.
Alles sehr schön, da trotz dieser aktiven Geldpolitik inflationäre
Folgen vermieden wurden. Die Zunahme der Konsumentenpreise,
die eingetreten ist, wurde durch höhere Preise von Erdöl, Rohstoffen im Allgemeinen und Lebensmitteln im Besonderen hervorgerufen, was vornehmlich auf die stark gestiegene und weiter wachsende
Nachfrage von China u.a. Schwellenländern zurückzuführen ist.
Die Staatsverschuldung hat in den Industriestaaten gefährlich zugenommen. Griechenland, Irland, Portugal und eventuell auch Spanien, Italien und Grossbritannien, stehen am Rande des Defaults. In
den USA liegt die Staatsverschuldung schon nahe an 100% des Bruttoinlandsproduktes, und nimmt weiter zu, da weiter ein hohes Defizit
besteht. In Japan liegt die Staatsverschuldung mehr als doppelt hoch
wie das BIP, was ganz verrückt ist. Das teuflische an dieser Entwicklung ist, dass gelegentlich die Banken und diejenigen, die Geld anlegen, es für zu riskant halten, Papiere von hochverschuldeten Staaten
(Fortsetzung auf Seite 16)
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(Fortsetzung von Seite 15)
zu kaufen, und wenn, nur zu höheren Zinsen, womit das Defizitproblem noch akuter wird. Bei einer Staatsverschuldung von 100% des
BIP bedeutet jeder Punkt, um den die Zinsen zunehmen, einen Defizitpunkt mehr im Haushalt.
Es ist klar, dass sich dieser Keynesianismus seinem Ende zuneigt.
Doch dabei stellt sich für die Regierungen das Problem, dass dies
mit einer Rezession verbunden sein könnte, die sie nicht kontrollieren können. Dabei taucht das Gespenst der 30er Jahre auf, und davor
zittern die Regierungschefs und die Verantwortlichen für die Wirtschafts- und Finanzpolitik. Angenommen, die USA raffen sich auf,
um das Budgetdefizit auszumerzen, so bedeutet das auf der einen
Seite ein höherer Steuerdruck, und auf der anderen Seite weniger
Staatsausgaben, also weniger Staatsinvestitionen und weniger Sozialausgaben. Beides wirkt rezessiv, und eine Rezession führt sofort
zu geringeren Steuereinnahmen und verschärft das Problem. Eigentlich müsste sogar ein Überschuss erwirtschaftet werden, was dann
noch rezessiver wirkt.
Auf der anderen Seite sind die Banken nach der Krise vorsichtiger geworden. Der Ökonom Robert Samuelson (Sohn des Nobelpreisträgers Paul S.) wies unlängst in einem Artikel darauf hin, dass
eine übervorsichtige Haltung der Banken als Folge der Finanzkrise,
besonders innovative Unternehmen betreffe, die höhere Risiken übernehmen, und sich somit direkt auf Konjunkur und Wachstum auswirke. Die „Liquiditätsfalle“ von Keynes droht erneut. Aber die Regierungen können jetzt das überschüssige Geld nicht aufnehmen, weil
sie schon zu stark verschuldet sind.
Diese gefährliche Lage zwingt die Wirtschaftler zu einem gründlichen Überdenken ihrer Vorstellungen. Konkret lautet eine erste
Frage, wie man erreichen kann, dass die Privatwirtschaft den Staat
als Grossinvestor ersetzt. Eine Möglichkeit besteht in Privatisierungen, wie sie jetzt in Griechenland in Angriff genommen werden. Die
USA haben bisher kaum privatisiert, wie es Grossbritannien u.a. Staaten getan haben. Sie könnten z.B. Überlandstrassen, Kraftwerke u.a.
Objekte privatisieren, und dies an Neuinvestitionen binden. Sofern
hier Konzessoinen gewährt werden, deren Bedingungen eingehalten
werden (nicht wie in Argentinien), handelt es sich um sichere Anlagen, die sich gut finanzieren lassen.
Gleichzeitig muss man stärker an Effizienzfortschritte und Einsatz neuer Technologien als Wachstumsmotoren denken. Der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter (der im gleichen Jahr wie
Keynes, 1884, geboren wurde, das auch das Todesjahr von Karl Marx
ist) hat schon in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts bei
der wirtschaftlichen Dynamik die Unternehmertätigkeit in den Vordergrund gestellt. Die ständigen Neuerungen seien die Grundlage
der Unternehmensgewinne und des wirtschaftlichen Wachstums.
Inzwischen ist die Welt dank der technologischen Revolution, die in
den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte
(konzentriert auf Telefonie, Computer-Technologie und Biogenetik),
jedoch weiter andauert, sozusagen schumpeterianisch geworden. Produktivitätsfortschritte und technologische Neuerungen finden am laufenden Band statt. Wenn man die Konjunktur und das Wachstum auf
diesem Gedanken aufbaut, dann kommen Privatisierungen sehr gelegen, die abgesehen von Investitionen mit einem Effizienzfortschritt
verbunden sind. Auch ist bei einer auf diesem Konzept aufgebauten
Wirtschaftspolitik eine grössere Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt
notwendig.
Die Problematik, die die Erschöpfung der bestehenden Politik des
„deficit-spending“ (In Worten von Keynes) aufwirft, ist gewiss nicht
einfach. Doch wenn jetzt keine Lösungen entworfen und in die Praxis umgesetzt werden, dann kommt es zu einem Punkt, in dem eine
tiefe Krise viel mehr erzwingt, unter dramatischen Umständen, die
jetzt vermieden werden können. Haben die Industriestaaten aus der
Erfahrung Griechenlands gelernt?
(AT/jea)
Staatsfinanzen im März mit höherem Defizit
Im März 2011 weisen die Finanzen des
Nationalstaates ein echtes (als finanziell bezeichnetes) Defizit von $ 1,31 Mrd. aus, gegen ein Defizit von $ 1,2 Mrd. im gleichen
Vorjahresmonat. Das Defizit ist in Wirklichkeit jedoch um $ 2,1 Mrd. höher, da dieser
Betrag als Gewinn der ZB abgehoben wurde, wobei dieser Gewinn jedoch im Wesen
rein buchmässig ist, da er durch die Abwertung entsteht, die den Betrag der Devisenreserven, in Pesos ausgedrückt, erhöht. Das
gehört in das Kapital der „krea-tiven Buchhaltung“. Im März des Vorjahres wurden $
1,5 Mrd. von der ZB abgehoben, die auch
zum ausgewiesenen Defizit hinzukommen.
Das 1. Quartal schliesst somit mit einem
Defizit von $ 348 Mio. ab, gegen ein Defizit von $ 1,06 Mrd. in der gleichen Vorjahresperiode. Ohne den ZB-Gewinn wären
diese Defizite wesentlich höher.
Das Schatzamt verzeichnet im März einen primären Überschuss (bei dem Zinsen,
die der Staat auf seine Schulden zahlt, nicht
als Ausgaben gebucht werden) von $ 1,3
Mrd., gegen $ 1,21 Mrd. im Vorjahr. Auch
bei dieser Rechnung werden Abhebungen
von ZB-Gewinnen als echte Mittel gebucht.
Im 1. Quartal betrug der primäre Überschuss
$ 4,84 Mrd., gegen $ 3,46 Mrd. im Vorjahr.
Ohne das ZB-Geld wäre der primäre Überschuss dieses Jahr geringer als im Vorjahr
gewesen. Ausserdem wurden im 1. Quartal
$ 846 Mio. als Einnahmen gebucht, die aus
dem Sonderfonds der ANSeS stammen. Im
Vorjahr waren aus dieser Quelle $ 1,89 Mrd.
überwiesen worden. Diese Rendite des Sonderfonds sollte jedoch zu dem Fonds addiert
werden, da dieser im Wesen den Rentnern
gehört, statt dem Schatzamt überwiesen zu
werden. Die Zahlung von Zinsen betrug im
März $ 2,44 Mrd., verglichen mit $ 2,42 Mrd.
im gleichen Vorjahresmonat.
Die laufenden Ausgaben erreichten im
März $ 28,85 Mrd., 30% mehr als im Vorjahr. Die Kapitalausgaben betrugen $ 4,85
Mrd., 22% über dem Vorjahr. Die Zunahme
der Ausgaben beruht besonders auf der Einführung der Subvention für minderjährige
Kinder und der Zunahme der Subventionen
für Strom und städtischem Personentransport. Abgesehen davon wirken sich die Gehaltserhöhungen von Beamten und die Erhöhung der Zahl derselben aus. Schliesslich ist das Rentensystem indexiert worden,
so dass eine Zunahme der Ausgaben für
diesen Zweck stattfindet, die etwa der wirklichen Inflation entspricht. Bei den Ausgaben des Nationalstaates entfallen $ 10,51
Mrd., gleich 36,42% der Gesamtausgaben,
auf Renten und soziale Subventionen. Die
Kapitalausgaben sind weiterhin stark durch
Zuwendungen für die Fertigstellung von
Atucha II beeinflusst. Andererseits stellt die
Fertigstellung von Yacyretá jetzt eine Erleichterung dar.
Die laufenden Einnahmen betrugen $
28,85 Mrd., zu denen noch $ 2,53 Mrd. hinzukommen, die auf das Gesundheitsinstitut
für Rentner (PAMI) und verschiedene Treuhandfonds entfallen. Gegenüber März 2010,
als die laufenden Einnahmen $ 24 Mrd. betrugen, fand eine Zunahme von 20% statt.
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Grunddaten des Rentensystems
Pensionen, Hinterbliebenenrenten und Gnadenrenten (die im Begriff Renten zusammengefasst werden), sowie die Zahlung der Lohnzulagen für Familienangehörige, die Arbeitslosensubventionen und
die Kindergelder werden über das nationale Amt für soziale Sicherheit ANSeS (Administración Nacional de la Seguridad Social) bezahlt. Die Eintreibung der Beiträge erfolgt über das Steueramt, das
der AFIP unterstellt ist.
Die grundsätzlichen Daten über die ANSeS sind folgende:
Das Gesamtbudget der ANSeS beträgt dieses Jahr $ 160,95 Mrd.,
was 38% der gesamten Ausgaben (einschliesslich Investitionen) des
Nationalstaates entspricht.
Die ANSeS verfügt ausserdem über einen Garantiefonds, der aus
den Anlagen besteht, die von den privaten Rentenkassen übernommen wurden, obwohl sie den zukünftigen Rentner gehörten. Dieser
Fonds ist seit der Übernahme, die Ende 2008 erfolgte, um 86% auf $
182,6 Mrd. gestiegen. Der Fonds soll theoretisch die Zahlung der
Renten sichern, wenn die vorgesehenen Einnahmequellen nicht ausreichen sollten. Er wird jedoch nicht für die Zahlung von Schulden
der ANSeS gegenüber Rentnern verwendet, bei denen es zum grossen Teil Gerichtsurteile gibt, auch des Obersten Gerichtshofes, die
die Zahlung anordnen, die jedoch nicht befolgt werden. Würde der
Fonds für die Zahlung der Berichtigung von Renten gemäss BadaroUrteil bei allen Rentnern eingesetzt, die Klage vor Gericht eingereicht haben, würde er wohl nicht ausreichen.
Vom Fonds sind 54,7% in Staatspapieren angelegt. Bei der Übernahme betrug der Anteil 59,5%. Weitere 12,1% bestehen aus Aktien
von Privatunternehmen. Dazu kommt noch ein Anteil von 10,3%,
der in Fristdepositen bei Banken angelegt ist, ein weiterer von 10,9%,
der für Finanzierung von öffentlichen Infrastrukturprojekten eingesetzt wurde, dann einer von 6,3% in Bargeld und Bankdepositen und
einer von 5,7% in verschiedenen Anlagen. Der Wert des Fonds ist
einmal durch Zinsen und Dividenden und dann durch Wertzuwachs
von Aktien u.a. Wertpapieren gestiegen.
Von den gesamten laufenden Einnahmen der ANSeS entfielen im
1. Bimester 2011 $ 17,82 Mrd. auf Beiträge auf Löhne und Gehälter,
die vom Arbeitgeber und -nehmer gezahlt werden. Weitere $ 11,52
Mrd. entfielen auf Anteile am Steuererlös. Das Pensionierungssystem war früher ein geschlossenes System, bei dem die aktive Bevölkerung für die passive aufkam, wobei die Gleichung etwa aufging.
Seit über zwei Jahrzehnten musste die Staatskasse zunehmend einspringen, mit Mitteln aus normalen Steuereinnahmen.
Die Zahl der Rentner stieg von insgesamt 3,2 Mio. im Jahr 2008
auf jetzt 5,6 Mio. Das war eine Folge der Aufnahme in das System
von Personen, die die Altersgrenze überschritten hatten, jedoch die
Beiträge nicht oder nur teilweise gezahlt hatten. Auf diese Weise
deckt das System jetzt um die 90% der Menschen im pensionsfähigem Alter, während es vorher nur 55% waren.
Ausserdem wurde der ANSeS letztes Jahr noch die Zahlung von Subventionen für schätzungsweise etwa 4 Mio. Familien mit insgesamt
über 3,5 Mio. Kindern im schulpflichtigen Alter aufgebürdet.
Auf jeden Rentner kommen 1,5 Beitragenden. 2005 waren es noch
2,1. In Mexico und Chile, und auch im Durchschnitt der OECDStaaten, liegt das Verhältnis bei 3,1 Beitragenden pro Rentner.
Die Bevölkerung mit einem Alter von über 65 Jahren macht in
Argentinien 10,8% der Gesamtbevölkerung aus. Schätzungen von
Fachleuten der ANSeS gelangen für 2050 auf 18,7%. Sofern die
Pensionen im Verhältnis zu den Löhnen und Gehältern nicht gesenkt
werden (gegenwärtig liegen sie unter 50%), müssen die Einnahmen
erhöht werden, entweder durch mehr Beitragende (Erhöhung der
aktiven Bevölkerung und weniger Schwarzarbeit) oder durch höhere Beiträge oder einen höheren Betrag aus normalen Steuereinnahmen, oder einer Mischung all dieser Faktoren.
WIRTSCHAFTSÜBERSICHT
Der zunehmende staatliche
Einfluss auf Grossunternehmen
Néstor Kirchner hat von vorne herein Grossunternehmen, ganz
besonders diejenigen, die öffentliche Dienste betreiben, unter Druck
gestellt, und seine Gattin Cristina setzt diese Politik nach seinem
Tode konsequent fort, auch wenn der Ton freundlicher geworden ist.
Die Kirchners und die Ideologen, die sie beeinflussen und zum Teil,
(wie Präsidialsekretär Carlos Zannini) direkt mit der Präsidentin (und
vorher mit NK) zusammenarbeiten, vertreten die Auffassung, dass
die Grossunternehmen so weit wie möglich staatlich gelenkt und auf
alle Fälle bei ihrem Verhalten (und somit nicht nur in formellen Aspekten) kontrolliert werden müssen, da sie sonst ihre angeblich marktbeherrschende Marktposition zum Schaden der Konsumenten ausnutzen und allerlei Bosheiten machen. Auch Cristina K. spricht immer
vom „konzentrierten Kapital“ und betont die Notwendigkeit der staatlichen Präsenz, da nach ihrer Ansicht der Markt mangelhaft funktioniert und von diesen Unternehmern zu ihrem Nutzen gelenkt wird.
Die Weisheit, die seinerzeit Adam Smith, der Vater der Wirtschaftswissenschaft, äusserte, dass die Verfolgung des Eigennutzes durch
die Unternehmer schliesslich dem Gemeinwohl dient, ist für die
Kirchners und ihre Mannschaft liberale Ketzerei.
Diese Auffassung geht auf die Ideologie der Montonero-Terroristen zurück, denen die Kirchners, auch Sicherheitsministerin Garré
u.a. Regierungsmitglieder, in den 70er Jahren sehr nahe standen. Die
Monto-neros traten für eine kommunistische Struktur wie in Jugoslawien unter Tito ein, bei der grosse und mittlere Unternehmen sich
in staatlichem Besitz befanden, jedoch kleine privat verblieben. Über
die Grenze zwischen grossen und mittleren Unternehmen kann man
sich dabei streiten, doch das kommt ohnehin erst an zweiter Stelle.
Die verschiedenen Einflussmodalitäten
Die Kirchners und ihre Kumpanen haben jedoch inzwischen gemerkt, dass dieses Schema in der heutigen Welt kaum möglich ist und
auf alle Fälle auch politisch sehr konfliktiv sein würde. Somit haben
sie das Konzept aufgeweicht und gehen mit folgenden Methoden vor:
Direkte Anweisungen und Massnahmen bezüglich Preisen, Exporten und Importen. Das geschieht über Höchstpreise, Exportkontingente und auch über Importhemmungen. Es wird meistens faktisch
verfügt, wobei sich diese Regierung, und besonders Binnenhandelssekretär Moreno (der im Grunde als Wirtschaftsminister fungiert)
wenig Sorgen um die Legalität dieser Eingriffe macht. Wer sich den
Befehlen widersetzt, wird verfolgt.
Bei Betreibern öffentlicher Dienste ist die Rahmenordnung bei Seite gelassen worden, die den Konzessionsverträgen zu Grunde lag.
(Fortsetzung auf Seite 18)
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(Fortsetzung von Seite 17)
Tarife und andere Aspekte, die von Regierungsentscheidungen abhängen, werden willkürlich festgesetzt. In einigen Fällen wurden die
Konzessionen einseitig aufgehoben und die Betreibung dem Staat
übertragen. So war es besonders bei „Aguas Argentinas“, das die Wasserversorgung in der Bundeshauptstadt und Umgebung betrieb (und
einen gigantischen Fortschritt gegenüber dem vorangehenden Staatsunternehmen „Obras Sanitarias“ erreichte), ebenfalls bei der Post und
bei einigen Strecken der Vororteisenbahnen. Schliesslich wurde auch
„Aerolineas Argentinas“ rückverstaatlicht. Alle Betreiber öffentlicher
Dienste empfinden dies als eine Bedrohung und wagen somit nicht,
den Vertragsbruch der Regierung vor Gericht anzuzeigen. Einige haben Klagen beim Weltbankschiedsgericht iCSID (auf spanisch CIADI) eingereicht, wobei die Regierung dann den Rückzug der Klagen
als Bedingung für Tarifanpassungen fordert. In anderen Fällen, wie
den U-Bahnen und den Vororteisenbahnen, wurden die Konzessionäre zu reinen Betreibern gemacht, so dass Investitionen, für die sie
früher verantwortlich waren, jetzt auf den Staat entfallen. Das bezieht sich vornehmlich auf Waggons, bei denen die privaten Betreiber es verstanden, sehr billig zu kaufen (wie bei den gebrauchten
Waggons, die in der D-Linie der U-Bahn eingesetzt wurden, die in
Japan gekauft wurden und sehr gut sind). Seit der Änderung der Spielregeln wurden keine neuen U-Bahn-Waggons gekauft.
In einigen Fällen geht die Regierung direkt gegen Privatunternehmen vor, so bei der Zeitungspapierfabrik „Papel Prensa“, die mehrheitlich den Verlagen der Zeitungen „Clarín“ und „La Nación“ gehört. Zum Glück ist die Regierung hier nicht erfolgreich, da die Richter im allgemeinen nicht bereit sind, einen offenen Bruch der Rechtsordnung zu gestatten. Doch der Konflikt dauert an und wirkt störend.
„Papel Prensa“ beliefert nicht nur die zwei grossen genannten Zeitungen, sondern auch andere (insgesamt um die 170), wobei der Import von Zeitungspapier zollfrei ist, so dass auch Papier importiert
wird, das jedoch teurer ist. Ebenfalls geht der K-Staat gegen den ClarínKonzern vor, um ihn beim Fernsehgeschäft zu schädigen. Die in ihrem Wesen totalitären Kirchner-Regierungen dulden eben keine Oppositionszeitungen. Auch gegen Shell ist die Regierung direkt vorgegangen, mit einem von NK angeordneten Boykott der Tankstellen
(der von „piqueteros“ vollzogen wurde), weil die Firma den Benzinpreis um 2,35% angehoben hatte, nachdem der Preis für Rohöl (das
das Unternehmen am Markt kauft) um über 10% gestiegen war. Shell
hat über 80 Prozesse gegen die Regierung, wegen ungerechtfertiger
Bussen u.a. Dingen.
In einigen Fällen haben die Kirchners über befreundete Unternehmer, die als Strohmänner verdächtigt sind, Unternehmen ganz oder
zum Teil übernommen. Marcelo Mindlin konnte Unternehmen des
Strombereiches zu Schleuderpreisen kaufen, die vorher durch niedrige Tarife entwertet worden waren. Der bedeutendste Fall ist der von
YPF, bei dem die spanische Muttergesellschaft Repsol-YPF der Familie Eskenazi 15% des Kapitals verkauft hat, wobei der Kaufbetrag
in Raten mit den Dividenden der gekauften Aktien gezahlt wird. Ausserdem wurde der neue Minderheitsaktionär Enrique Eskenazi zum
Vizepräsidenten und sein Sohn Sebastián zum Geschäftsführer ernannt, was einen direkten Einfluss auf das Unternehmen darstellt, der
weit über die Kapitalbeteiligung hinausgeht. So etwas ist nicht üblich. Es handelt sich um ein Geschenk, das wohl erpresst worden ist.
Die Frage, die sich hier stellt, ist die, wem das geschenkte Kapital
wirklich gehört. Denn Repsol-YPF hatte bestimmt keinen Grund, um
einen ziemlich unbekannten Herrn Eskenazi (der früher hoher Beamter von Bunge & Born war, und danach die Baufirma Petersen und
die Provinzbanken von Santa Cruz und Santa Fé für symbolische
Beträge übernahm) so grosszügig zu behandeln. Der Vorstand von
Repsol-YPF in Spanien hätte bestimmt Mühe, seinen Aktionären dieses eigenartige Geschäft zu erklären.
Zu
all dem ist jetzt noch die direkte Beeinflussung von Unternehmen über die Kapitalbeteiligungen aufgekommen, die die ANSeS dank
der Übernahme der Anlagen der privaten Rentenfonds hat.
Und nicht zuletzt kommen jetzt noch die Gewerkschaften, die über
ihren Spitzenverband CGT, geleitet von Hugo Moyano, eine Gewinnbeteiligung von 10% und Vertretung im Direktorium fordern.
Ebenfalls fordert der einflussreiche CGT-Anwalt und Deputierter,
Héctor Recalde, dass das Versorgungsgesetz aus dem Jahr 1974 wieder
in Kraft tritt. Dieses totalitäre Gesetz wurde 1991 per Dekret in seiner Wirkung ausser Kraft gesetzt, was dann im Haushaltsgesetz von
1994 bestätigt wurde. Binnenhandelssekretär G. Moreno hat dennoch
versucht, das Gesetz anzuwenden, aber die Richter haben gegen ihn
entschieden, so besonders im Fall von Shell, die die Beschlüsse von
Moreno beanstandet hatte. Recalde schlägt jetzt ein Gesetz vor, dessen Text in einem einzigen Artkel besteht, durch den das Dekret 2.284/
92, das durch Gesetz 24.307 bestätigt wurde, ausser Kraft gesetzt
wird. Das Versorgungsgesetz erlaubt der Regierung die Festsetzung
von Höchstpreisen und/oder Bruttogewinnmargen, auch ein Unternehmen zu zwingen, die Fabrikation und den Vertrieb nicht zu unterbrechen (auch wenn dabei Verluste entstehen), den Export zu verringern oder zu verbieten, wenn es die Deckung des Binnenkonsums
erfordert, und auch eine zeitlich beschränkte direkte Übernahme eines Unternehmens. Verletzungen des Gesetzes werden mit bis zu 4
Jahren Haft bestraft. Es ist ein absolut totalitäres Gesetz, das im Wesen verfassungswidrig ist, mit dem die Regierung (und konkret Guillermo Moreno) Privatunternehmen total beherrschen und sie sogar
zum Konkurs führen kann. Ebenfalls kann das Gesetz für eine kalte
Verstaatlichung eingesetzt werden. Die Erfahrungen mit der Anwendung dieses Gesetzes unter Isabel Perón sind gewiss beunruhigend.
Es ist anzunehmen, dass diese Initiative von Recalde nicht durchkommt; doch wenn Cristina Kirchner die Wahlen gewinnt, sollte man
diese Möglichkeit nicht ausschliessen.
Die Ernennung
von Direktoren durch die ANSeS
Bei der Ernennung von Direktoren, die die ANSeS-Aktien vertreten, ist schon in zwei Fällen, nämlich Molinos Rio de la Plata und
Siderar (Techint-Konzern) ein Streit entbrannt, nachdem die Klausel per Notstandsdekret aufgehoben wurde, die das Stimmrecht der
ANSeS auf 5% des Kapitals begrenzt, auch wenn der effektive Anteil höher ist. Es geht hier um folgendes: 1971 wurde das Handelsgesetzbuch dahingehend geändert, dass die Aktionäre ihr Stimmrecht
kumulativ ausüben können, so dass sie nicht für oder gegen eine
komplette Liste stimmen, die meistens von der Kontrollgruppe aufgestellt wird. Das wurde zum Schutz der Minderheitsaktionäre eingeführt. So sind z.B. bei fünf Vorstandsmitgliedern 20% des Kapitals notwendig, um einen Direktor zu ernennen. Je grösser die Zahl
der Direktoren ist, umso weniger Stimmen braucht man, um einen
Direktor zu ernennen.
Die ANSeS gelangt in den meisten der 42 Unternehmen, von denen sie Aktien hält, zu einem Anteil, der nicht für einen Direktor
ausreicht. Doch bei Siderar hätte theoretisch die Zahl der ANSeS
Direktoren jetzt von einem auf drei erhöht werden können. Das wurde beanstandet, weil die ANSeS sich (vor dem neuen Notstandsdekret) nur mit 5% des Kapitals gemeldet hatte, statt den vollen Anteil
von 27,97% einzutragen. Das Notstandsdekret kam somit zu spät.
Die nationale Wertpapierkommission hat daraufhin diese Generalversammlung beanstandet und eine neue gefordert. Doch der Siderarvorstand meinte, die Wertpapierkommission habe keine Befugnisse,
um so etwas zu beschliessen. Voraussichtlich kommt es zu einem
Prozess, und die Justiz wird entscheiden müssen. Inzwischen bleibt
es bei einem ANSeS-Direktor, wobei Siderar jedoch auch nicht mit
(Fortsetzung auf Seite 19)
Seite 19
Donnerstag, 21. April 2011
(Fortsetzung von Seite 18)
dem einverstanden ist, den die Regierung ernannt hat, der keine Voraussetzungen für die effektive Ausübung dieses Amtes aufweist.
Da die Zahl der Vorstandssmitglieder vom Direktorium bestimmt
wird, kann diese eventuell auch so weit verringert werden, dass der
Anteil in keinem Fall ausreicht. Es besteht die Gefahr, dass die Regierung das Gesetz jetzt ändert, so dass auch Direktoren ernannt
werden, wenn der Kapitalanteil eigentlich nicht ausreicht.
Diego Bossio, Generaldirektor der ANSeS, erklärte, die Unternehmer hätten nichts zu befürchten, da der Staat hier schliesslich das
gleiche Interesse hat wie die privaten Aktionäre, und an guten Gewinnen und hohen Dividenden interessiert sei. Indessen besteht hier
ein subtiler Unterschied: die ANSeS interessiert sich vornehmlich
für Bardividenden, während viele Unternehmen in einem Land ohne
Kapitalmarkt die Gewinne einbehalten und bestenfalls Dividenden
in Aktien auschütten, um ihre Investitionen zu finanzieren. Allein, es
kann auch umgekehrt sein. Am Freitag stand bei Siderar die Ausschüttung von $ 1,55 Mrd. zu Diskussion, nachdem nur $ 400 bis $
500 Mio. erwartet wurden. Die Kontrolgruppe u.a. Minderheitsaktionäre stimmten dafür und der ANSeS-Direktor dagegen, womit er
seinen Chef, D. Bossio, dementierte.
Die politische Motivation
Die Politik der Einflussnahme auf Grossunternehmen hat nicht
nur eine ideologische Wurzel, sondern auch eine politische. Als der
Staat eine grosse Anzahl von Unternehmen betrieb, konnte die Regierung zunächst insgesamt über hundert Direktoren ernennen, wobei dann noch allerlei Beamte ernannt wurden. YPF zählte 1990, vor
der Privatisierung, mit einer Belegschaft von 54.000 Personen, die
dann von José Estenssoro 1991/92 auf 6.000 verringert wurde, bei
gleichzeitiger Produktionszunahme. Danach stieg die Zahl wegen
Zukäufen auf etwa 10.000. Unter staatlicher Leitung diente YPF in
grosszügiger Weise für politisch bedingte Ernennungen. Bei den anderen Staatsunternehmen war es ähnlich. Die Privatisierungen führten insgesamt zu über 200.000 Entlassungen von überflüssigen Arbeitnehmern. Man muss es Menem anerkennen, dass er die Interessen von Wirtschaft und Gesellschaft denen der Politik voranstellte,
als all diese Posten verschwanden. Das haben ihm viele Politiker
seiner Partei übel genommen, die dann 2003 zu Kirchner übergingen.
Jetzt will die Regierung wieder Posten schaffen, wobei dabei an
erster Stelle Mitglieder der regierungshörigen Gruppe „La Cámpora“ in Frage kommen. Wer also hier aktiv in der Politik mitmacht,
bei Kundgebungen anwesend ist und auch sonst etwas für die Partei
tut, der kann eventuell mit einem gutbezahlten Direktoriumsposten
in einem Unternehmen rechnen. Bei der hohen jugendlichen Arbeitslosigkeit, die gegenwärtig besteht, besonders bei Akademikern, und
der Schwierigkeit, eine einigermassen gut bezahlte Stelle zu erhalten, lockt dies bestimmt viele Menschen an, auch wenn sie eigentlich wenig an Politik interessiert sind und gar nicht wissen, um was
es politisch geht. „La Campora“ vegetierte, bis einige Mitglieder hohe
Regierungsposten erhielten und andere jetzt für Direktoriumsposten
vorgeschlagen werden. Jetzt ist „La Cámpora“ gross geworden.
Für die Wirtschaft ist der zunehmende direkte Einfluss der Regie-
rung ein Störungsfaktor erster
Ordnung, der besonders Investitionen hemmt. Denn, wer investiert, will auch bestimmen können, was mit seinem Unternehmen geschieht. Wenn die Regierung mitmischt, dann wird alles
politisiert, und das Unternehmen
leidet darunter. Und die Gesamtwirtschaft auch.
Bei dieser Entwicklung frägt
man sich, ob dies schliesslich
nicht doch in einer direkten Verstaatlichung endet, wie in Venezuela, wo schon ganze Bereiche, wie
Stahl, Zement u.a. verstaatlicht wurden. Chávez hat nicht sofort verstaatlicht, sondern erst nach einigen Jahren, nachdem er seine Macht
politisch konsoldiert hat, wobei es ihm bei diesen neuen Staatsunternehmen sehr schlecht geht. Der Staat ist in Venezuela ein noch viel
unfähigerer Verwalter als in Argentinien. Besonders das Erdölunternehmen PdeVSA ist eine Kalamität, was nicht voll zum Vorschein
kommt, weil Venezuela riesige Erdöllager in geringer Tiefe hat, so
dass die Ausbeutungskosten gering sind, und Erdöl hauptsächlich
nach den USA liefert, so dass auch die Transportkosten niedrig liegen. Das vom Techint-Konzern enteignete Stahlwerk Sidor ist seit
der Verstaatlichung mit kaum einem Drittel der Kapazitätsauslastung tätig und erwirtschaftet hohe Verluste.
Die argentinische Regierung kann nach und nach bei vielen Unternehmen, besonders denjenigen, die öffentliche Dienste betreiben,
Bedingungen schaffen, die die Entwicklung derselben, besonders Investitionen, unmöglich machen, so dass die Unternehmen stagnieren
und verkommen. Das kann dann als Argument verwendet werden,
um sie zu verstaatlichen. So war es schon einmal in Argentinien, mit
Eisenbahnen, Kraftwerkbetreibern u.a. Unter Néstor Kirchner wurde schon auf diese Art und Weise bei „Aguas Argentinas“ vorgegangen. Die Tarife wurden niedrig gehalten, und dann wurde dem Unternehmen vorgeworfen, dass es nicht genug investiere. Das wurde
als Begründung für die „Notwendigkeit“ der Verstaatlichung angegeben, wobei eine Schuld von u$s 700 Mio. mit ausländischen Banken, die für die Finanzierung vorangehender Investitionen aufgenommen worden war, bis heute unbezahlt blieb. Wenn somit jetzt der
Staat einem Unternehmen verhindert, normal zu wirtschaften und
Gewinne zu erhalten, dann wird voraussichtlich der Zugang zum
Kapital- und Kreditmarkt versiegen. Danach genügt ein kleiner Schritt
für eine Verstaatlichung. Man sollte somit nicht ausschliessen, dass
all die Formen der Beeinflussung von Grossunternehmen schliesslich so enden. Wie weit sich die einzelnen Regierungsmitglieder,
angefangen mit der Präsidentin, darüber bewusst sind, sei dahingestellt. Für die linken Ideologen in und um die Regierung dürfte der
Fall jedoch klar sein.
PERSONALNACHRICHTEN
Todesfälle
Matilde Joos De Stocker, am 15.4. und Dra. Renate Isabel
Bergner, 74, am 17.4.