Forschungsschwerpunkt psychoanalytisch
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Forschungsschwerpunkt psychoanalytisch
Forschungsschwerpunkt psychoanalytisch-ethnologische Katastrophenforschung Die Katastrophenforschung boomt, im deutschsprachigen genauso wie im internationalen Kontext, und das in einer Vielzahl natur- und geisteswissenschaftlicher Disziplinen. Die Verbindung psychoanalytischer mit ethnologischen Fragestellungen ist indes ein Desiderat, und das nicht zuletzt, weil zwei Wissenschaften miteinander verbunden werden, die scheinbar oder anscheinend aus gegensätzlichen Traditionen gespeist werden, nämlich der „essentialistischen“ Psychoanalyse und der „konstruktivistischen“ Ethnologie. Übersehen wird dabei, dass ähnliche Interessen vorliegen, nämlich das scheinbar Alltägliche einer Interpretation zugänglich zu machen. Das hat Bedeutung für die Katastrophenforschung, indem der Fokus auf mentale Befindlichkeiten Betroffener gelegt wird, um den bewussten und unbewussten Umgang mit Desastern sowie kausale Erklärungsmuster und intentionale Bedürfnisse genauer zu verstehen. Psychoanalytisch-ethnologische Forschung ist nicht gleichbedeutend mit Ethnopsychoanalyse, denn diese möchte mithilfe der Psychoanalyse Kulturen erforschen, während jene ein gleichrangiges Miteinander beider Disziplinen anstrebt und dabei auch auf Methoden der volkskundlichen Erzählforschung zurückgreift, indem zum Beispiel Volkserzählungen, allem voran Volkssagen, als Ausdruck mentaler Befindlichkeiten interpretiert werden. Das ist unter anderem deswegen sinnvoll, weil Desaster oftmals regressive Prozesse im Individuum in Gang setzen, die bis auf die magische Stufe der Ontogenese zurückgehen. Außerdem wird „Psychoanalyse“ hier in einem weiteren Sinn verstanden, nämlich als Synonym für „Psychodynamische Theorien“, womit nicht nur die Theorie Sigmund Freuds und ihre Weiterentwicklungen gemeint sind, sondern auch die Theorien von Alfred Adler und Carl Gustav Jung. Dissertationsthemen: Für Dissertationen bieten sich Katastrophen an, die bereits einige Zeit zurückliegen, sodass man in Erfahrung bringen kann, ob und inwieweit das Ereignis verarbeitet worden ist. Um eine Verbindung zwischen psychoanalytischen und ethnologischen Fragestellungen zu erreichen, sollen vor allem kleinräumige Regionen untersucht werden, in denen man qualitative Forschungen mit Einheimischen vornehmen kann. Aus human- und geisteswissenschaftlicher Perspektive kaum untersucht, aber äußerst interessant sind Kontaminationsdesaster, also Gebiete, die durch ehemalige Industrieansiedlungen verseucht worden sind. Oftmals ist im wahrsten Sinn des Wortes „Gras über die Sache“ gewachsen, aber die Einheimischen wissen, dass der „schöne Schein“ trügen kann – eine ideale Projektionsfläche für unbewusste Phantasien. Für die im Folgenden genannten Feldforschungen im Ausland sind circa ein bis drei Wochen Aufenthalt einzuplanen (für 15 bis 20 Interviews). Hier einige Themenvorschläge: 4.1 Grubenunglück von Lassing/Steiermark (1998) [Thema ist vergeben] 4.2 Hochwasser August 2002 im Donauraum, z.B. Kamptal/Waldviertel 4.3 Hochwasser August 2002 im Müglitztal/Sachsen (BRD) 4.4 Sturmflut vom 17.2.1962 auf den Halligen/Nordfriesland 1 4.5 Ash Wednesday Storm 1962, Outer Banks/North Carolina (USA) (Aschermittwochsflut von 1962 auf der schmalen Inselkette der Outer Banks vor der amerikanischen Ostküste) 4.6 Flugtag-Katastrophe Rammstein/Rheinland-Pfalz (BRD) (1988) 4.7 Altstandort „Industriegelände Moosbierbaum – Teilfläche Nord“ in der Gemeinde Zwentendorf, Kontaminationsdesaster (Informationen findet man im Internet unter Umweltbundesamt.at N Altlasten) 4.8 Ehemalige Fischer-Deponie in Theresienfeld bei Wiener Neustadt, Kontaminationsdesaster (Informationen findet man im Internet unter Umweltbundesamt.at N Altlasten) 4.9 Uranbergbau Wismut (ehem. DDR), Kontaminationsdesaster 4.10 Dioxin-Katastrophe von Seveso/Italien (1976), Kontaminationsdesaster Gemeinschaftsprojekte in Vorbereitung: 3.1 Interpretation von Interviews mit Betroffenen der Lawinenkatastrophe von Galtür aus der Sicht verschiedener Therapieschulen und der Kulturwissenschaft. Interpretation qualitativer Interviews mit Betroffenen der Lawinenkatastrophe von Galtür aus psychotherapie- und kulturwissenschaftlicher Sicht. Es sollen Gemeinsamkeiten und Unterschiede verschiedener Psychotherapieschulen (behavioristisch, humanistisch, psychodynamisch) herausgearbeitet und gefragt werden, inwieweit die Ergebnisse als Bausteine zur Etablierung der Psychotherapiewissenschaft dienlich sein können. Gleichzeitig soll durch die Verbindung mit kulturwissenschaftlichen Beiträgen (Ethnologie, volkskundliche Erzählforschung, Oral History) auf Synergieeffekte hingewiesen werden, um deutlich zu machen, dass psychotherapiewissenschaftliche und kulturwissenschaftliche Perspektiven einander bereichern und gemeinsam zu einem erweiterten Blickwinkel beitragen können. Eine Buchpublikation ist für das Jahr 2012 vorgesehen. 3.2 Die Lawinenkatastrophe von Blons im Großen Walsertal 1954. Psychoanalytischethnologische Feldforschung. Es handelt sich um ein Gemeinschaftsprojekt der Abteilung Doktoratsstudium PTW an der SFU (Univ.-Prof. DDr. Bernd Rieken) mit der Abteilung Kulturanthropologie/Volkskunde des Instituts für Germanistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Univ.-Prof. Dr. Michael Simon. Das Projekt ist einerseits als Vergleichsstudie zu Galtür geplant, andererseits als Methodenbuch hinsichtlich der Unterschiede und Synergieeffekte bei ethnologischen und psychoanalytischen Feldforschungen, die in der Regel wegen abweichender theoretischer Vorgaben (Stichwort Konstruktivismus versus Essentialismus) getrennte Wege gehen. Die Feldforschung hat im Oktober 2009 stattgefunden, eine gemeinsame Buchpublikation wird es voraussichtlich 2012 geben. Folgende Arbeiten liegen bisher vor: Monografien: 1.1 Rieken, Bernd: „Nordsee ist Mordsee“. Sturmfluten und ihre Bedeutung für die Mentalitätsgeschichte der Friesen. Münster, New York: Waxmann 2005 (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands, Bd. 83; Nordfriisk Instituut, Nr. 186) (zugleich 2 Wien, Univ., Habilitationsschrift Europäische Ethnologie/Volkskunde 2004) [456 S.]. Inhalt: An den Flachküsten der südlichen Nordsee zu siedeln, war schon immer ein gefährliches Unterfangen. Seit der letzten Eiszeit steigt der Meeresspiegel unaufhörlich, und die vorherrschenden Winde aus Nordwest treiben bei schweren Stürmen die „Mordsee“ in die Höhe. Die Angst vor verheerenden Sturmfluten ist daher ein bestimmendes Merkmal der friesischen Mentalitätsgeschichte und als Struktur von langer Dauer in der populären Überlieferung nachweisbar. Die Arbeit ist historisch angelegt, doch geht es nicht in erster Linie um eine präzise Darlegung dessen, was geschehen ist, sondern darum, anschaulich zu machen, wie die Friesen Sturmfluten bewältigt und erklärt haben. Dazu wird auf mentalitätsgeschichtliche und psychodynamische sowie entwicklungspsychologische Ansätze Bezug genommen. Diese machen unter anderem deutlich, dass die in der historischen Katastrophenforschung aufgestellte Behauptung, im Zuge der Aufklärung wären mythisch-irrationale Vorstellungen über die Ursache von Desastern überwunden worden, nicht haltbar ist. Nach einem Abriss der naturgeschichtlichen Entwicklung und Besiedlungsgeschichte der südlichen Nordseeküste werden Geschichten über die Herkunft der Friesen und über die Entstehung der legendären Friesischen Freiheit des Mittelalters behandelt, welche im kollektiven Gedächtnis bewahrt worden sind. Den Schwerpunkt des Buches bilden Erzählungen und Berichte über Sturmflutkatastrophen: Der Bogen reicht von sagenhaften Mutmaßungen zum einstigen Durchbruch des Ärmelkanals über die großen „Manndränken“ des Mittelalters und der Neuzeit bis zu den Sturmfluten von 1962 und 1976. Das Buch schließt mit einem Kapitel zum globalen Klimawandel, der die Gemüter in der Gegenwart erregt. Ergänzend werden die öffentlichen Reaktionen auf die Tsunami-Katastrophe im Indischen Ozean vom 26.12.2004 mit den Bewältigungsmustern der Sturmfluten verglichen. 1.2 Rieken, Bernd: Schatten über Galtür? Gespräche mit Einheimischen über die Lawine von 1999. Ein Beitrag zur Katastrophenforschung. Münster, New York: Waxmann 2010 [215 S.]. Inhalt: Am 23. Februar 1999 verwüstete eine Lawine Ortsteile von Galtür (Paznauntal, Tirol), die seit Jahrhunderten als sicher galten und in der grünen Zone lagen. Neben zahllosen Verletzten forderte die Katastrophe 31 Menschenleben, davon 25 Urlaubsgäste und sechs Einheimische. Weil ein derartiges Geschehen Spuren in den Dorfbewohnern hinterlassen haben muss, wurde im Rahmen einer psychoanalytisch-ethnologischen Feldforschung der Frage nachgegangen, ob und inwieweit die Einheimischen das Desaster verarbeitet haben. Der Autor kam zu überraschenden Ergebnissen, die sich weder in den Mainstream der Psychotraumatologie und Psychoanalyse noch in den der Ethnologie recht einfügen. 3 Aufsätze: 2.1 Rieken, Bernd: Vom Nutzen volkskundlich-historischer Zugänge für die Katastrophenforschung: New Orleans 2005. In: Hartmann, Andreas, Silke Meyer, Ruth E. Mohrmann (Hg.): Historizität. Vom Umgang mit Geschichte (Hochschultagung „Historizität als Aufgabe und Perspektive“ der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde vom 21.– 23.September 2006 in Münster). Münster u.a.: Waxmann 2007, S. 149–162. 2.2 Rieken, Bernd: Angst vor dem Meer. Sturmfluten aus Sicht der volkskundlichhistorischen Katastrophenforschung. In: Volkskunde in Rheinland-Pfalz, Bd. 22 (2007), Schwerpunktthema Katastrophenforschung, S. 23–48. 2.3 Borderline oder der Deich als Grenze. Psychoanalytische und kulturgeschichtliche Aspekte der friesischen Mentalitätsgeschichte. In: Hengartner, Thomas, Johannes Moser (Hg.): Grenzen und Differenzen. Zur Macht sozialer und kultureller Grenzziehungen (35. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde, Dresden, 25.–28. September 2005). Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2007, S. 705–712. 2.4 Rieken, Bernd: Der „blanke Hans“ und die Friesen. Sturmfluten und ihre Bedeutung für die Mentalitätsgeschichte. In: Nordfriesisches Jahrbuch 43 (2008), S. 115–132. 2.5 Rieken, Bernd: Wütendes Wasser, bedrohliche Berge. Naturkatastrophen in der populären Überlieferung am Beispiel südliche Nordseeküste und Hochalpen. In: Psenner, Roland, Reinhard Lackner, Maria Walcher (Hg.): Ist es der Sindtfluss? Kulturelle Strategien & Reflexionen zur Prävention und Bewältigung von Naturgefahren. Innsbruck: innsbruck university press 2008 (alpine space – man & environment, vol. 4; Schriftenreihe Ötztal-Archiv, Bd. 23), S. 97–117. 2.6 Rieken, Bernd: Klimawandel, Kulturerbe und Angst. Volkskundlich-psychologische Zugänge zu einem brisanten Thema. In: Berger Karl C., Margot Schindler, Ingo Schneider (Hg.): Erb.gut? Kulturelles Erbe in Wissenschaft und Gesellschaft. Referate der 25. Österreichischen Volkskundetagung 2007 in Innsbruck, Wien 2009 (= Buchreihe der Österreichischen Zeitschrift für Volkskunde, Neue Serie, Band 23), S. 359–366. 2.7 Rieken, Bernd: Wiederentdeckung des teleologischen Denkens? Der anthropogene Klimawandel aus ethnologisch-psychologischer und wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive. In: Voss, Martin (Hg.): Der Klimawandel. Sozialwissenschaftliche Perspektiven. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010, S. 301–312. 2.8 Rieken, Bernd: Die Lawine von Galtür und der Risikodiskurs. In: Jahrbuch für europäische Sicherheitspolitik 2009/2010, S. 99–104. 2.9 Rieken, Bernd: Die Lawinenkatastrophe von Galtür. Über mentale Bewältigungsmechanismen beim Siedeln am „Rande der Welt“. In: zoll+ | Österreichische Textedition für Landschaft und Freiraum Nr. 16, 2010, S. 73–77 4