Die Kunst, kein Egoist zu sein
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Die Kunst, kein Egoist zu sein
-1- Die Kunst, kein Egoist zu sein IMpuls XLV - 12.05.2013 - Pastor Frank Mader Klein-Oscar fiel von der Schaukel und tat sich ganz doll weh. Kam Anna-Sophia vorbei und ging einfach weiter. Kam Lukas-Benedict vorbei und ging einfach weiter. Kam Charlotte-Johanna vorbei und ging einfach weiter. Und dann kam der kleine Achmed vorbei, der aus der Neubausiedlung am anderen Ende der Stadt. Und der half Klein-Oscar, gab ihm ein Pflaster, nahm ihn in die Arme und tröstete ihn.1 Dies ist die Kurzversion des Barmherzigen Samariters. Eine sehr bekannte Geschichte. Und sie hat schon manches bewirkt. Gerade bei uns in Deutschland. Denkt an die Hilfsorganisation, die sich dieses Gleichnis auf ihre Fahnen geschrieben hat. In der letzten Woche noch bin ich in Giengen beim ASB, beim Arbeiter Samariter Bund, an der Haustür vorbeigefahren. Sie feiern in diesem Jahr ihr 125-jähriges Bestehen. Franz Müntefering soll demnächst ihr neuer Vorsitzender werden. - Es ist im Jahr 1888. Die Unfallzahlen in Fabriken, Bergwerken und auf Baustellen sind extrem hoch. Jedes Jahr kostet das „Schlachtfeld der Arbeit“ zigtausend Menschen das Leben. Das wollen sechs Berliner Zimmerleute nicht länger akzeptieren. Sie rufen zu einem „Erste Hilfe-Kurs“ auf und legen damit den Grundstein für den Arbeiter-Samariter-Bund. Mit der Kirche hatten die im Übrigen nicht viel am Hut. Der Arbeiter Samariter Bund wurde sogar in Konkurrenz zu Diakonie und Caritas gegründet.2 Doch die Geschichte vom Barmherzigen Samariter fanden sie gut. Sie hat sie angerührt. Sie haben sie sich zum Vorbild genommen. Diese biblische Geschichte hat also etwas bewegt. Ein „Samariter“ hat für uns heute einen guten Klang. Ein Samariter ist einer, der hilft. Einer, der nicht wegschaut. Als Jesus diese Geschichte erzählt hat, da war das ganz anders. Da waren die Samariter in Israel Außenseiter, Fremde, Ausländer. Leute, die nicht die richtige Herkunft, nicht die richtige Religion, nicht den richtigen Lebensstil hatten. Samariter war damals ein Schimpfwort, wie heute Polacke oder Nigger. Und dieser eine Samariter aus der Geschichte war ganz bestimmt kein Christ, aber auch kein Egoist. Er war so etwas wie der kleine Achmed aus der Neubausiedlung. Es sind oft die kleinen Dinge, an denen man Egoisten erkennt: Rücksichtslos sorgen sie dafür, dass sie das bekommen, was sie gerade wollen. Dabei ist ihnen egal, ob andere dafür zurückstecken müssen. Im Supermarkt an der Kasse drängeln sie sich vor. Auf dem schmalen Bürgersteig gehen sie keinen Zentimeter beiseite. 1 http://www.predigtpreis.de/predigtdatenbank/newsletter/article/predigt-ueber-lukas-1025-37-1.html ; aufgesucht am 11.04.2013 2 Ulrich Körtner: Ethik des Helfens; in Theologische Beitr.6/2003; S.315ff. -2- Hinter ihrem Ellenbogen-Einsatz stehen oft Minderwertigkeitsgefühle. Psychologen sagen uns: „Die Egoisten haben die Einstellung: Ich brauche unbedingt dieses und jenes, sonst bin ich nichts wert“. Häufig haben Egoisten einfach nur Angst davor zu kurz zu kommen. In vielen Fällen haben sie „nie gelernt, sich in andere einzufühlen….3 Der Musiker Falco singt: Die ganze Welt dreht sich um mich, denn ich bin nur ein Egoist - der Mensch, der mir am nächsten ist, bin ich, ich bin ein Egoist. Als erstes möchte ich in meiner Predigt Gründe nennen, weshalb man an der Not anderer vorbeizulaufen kann. Zweitens etwas zu der Kunst der Barmherzigkeit sagen Und als Drittes noch etwas sagen zur Barmherzigkeit Jesu. 1. Gründe um nicht zu helfen Die Egoisten sind in diesem Gleichnis schnell ausgemacht. Es sind die beiden, die vorbeilaufen: Priester und Levit. Modernisiert sind das der Theologieprofessor und der Pastor. Quasi die, von denen man von Hause aus keinen Egoismus erwartet. Jetzt gibt es unter uns, wenn ich recht sehe, keinen Theologieprofessor und nur wenige Pastoren☺. Dass Jesus für sein Gleichnis diese Leute gewählt hat, ist dem geschuldet, dass er die Dinge gerne drastisch macht. - Ja, diese Geschichte kann man kirchenkritisch lesen: Haben wir als einzelne Christen die Not an Diakonie, Caritas und Samariterbund delegiert? Wir sagen: Das sollen die machen, die das besser können. Die Linderung der Not in unserem Land ist doch organisiert. - Damit sind wir dann raus. Die Eingestressten unter uns fügen noch reflexartig hinzu: Wann sollen wir uns denn auch noch um andere kümmern? Ich erinnere mich. Ich war um die 20. Es war in meinem Heimatdorf, als ich einen wenig Jüngeren unterwegs aufgegabelt habe. Er hat so ausgesehen, als wäre er unter die Räuber gefallen. Später hat sich herausgestellt: Seine Freundin hatte ihn verlassen. Das hatte er nur schwer verkraftet. So ist er durch die Gegend gefahren, im Schwarzwald gelandet, sich vor lauter Kummer versucht das Leben zu nehmen. Weil er hungrig war, habe ich ihn zu einer Pizza eingeladen und abends spät noch mit nach Hause gebracht; meine Mutter geweckt und ihm ein Bett organisiert. Einige Tage haben wir ihn bei uns beherbergt. Am anderen Tag uns nach einer Arbeit für ihn erkundigt, ihm Schuhe besorgt. Schlussendlich ist er wieder ins Ruhrgebiet zurück. – Worum es mir geht: Ich befürchte, ich würde das heute nicht mehr machen. Erlaubt mir, dass ich in Eurer Anwesenheit mit mir ins Gericht gehe: Ich bin ein Spießer geworden. Ich habe mich in meinem Leben so was von 3 http://www.focus.de/wissen/mensch/egoismus/psychologie_aid_26199.html; aufgesucht 20.04.2013 -3- eingerichtet. Auch könnte ich ganz schnell viele wichtige Aufgaben vorschieben und mich damit entschuldigen, was ich alles Wichtiges tue. - Ich meine: Der Priester und der Levit hatten doch sicher ihre Termine und Aufgaben. Es gibt gute Gründe um vorbeizulaufen. – Sie waren auf dem Weg von Jericho nach Jerusalem – also zu einer wirklich wichtigen Arbeit am Tempel. Ihre Arbeit hat sie gefordert. Womöglich hatten sie es zudem noch eilig. Und siie dachten bestimmt: Hinter uns wird sicher gleich jemand kommen, der sich kümmert. Als ob Jesus die Strategien unserer Erklärungsversuche kennt, hat er den Priester und Leviten nicht von Jericho nach Jerusalem, sondern von Jerusalem nach Jericho laufen lassen. Ihr mögt sagen, was macht das für einen Unterschied. Einen Gewaltigen: Die beiden Egos gingen nicht zu ihrer Arbeit, sie kamen von ihrer Arbeit. Für mich lerne ich an dieser Geschichte: Wenn es um die Barmherzigkeit geht, kann ich mein getaktetes Leben, die viele Arbeit und die wenige Zeit nicht vorschieben. Jesus nimmt mir meine vorgeschobenen Gründe aus der Hand. Er erlaubt mir nicht mich herauszureden, wenn es um die Barmherzigkeit geht. Keiner von uns will in einer erbarmungslosen Welt leben. Keiner will in einer gnadenlosen Gesellschaft existieren. Nein, das ist meine Schuld, dass ich vorbeilaufe. Und die Not, die ich auf meinem Weg sehe, kann ich nicht nur an andere wegdelegieren. Das geht mich was an. Jesus sagt: Geh heute hier raus und mach es wie Achmed. Geh heute hier raus und mach es wie die sechs Zimmerleute in Berlin, oder wie der Samariter auf dem Weg von Jerusalem nach Jericho. Tu dasselbe. 2. Die Kunst der Barmherzigkeit Als ich den Jugendlichen damals aufgelesen habe, bin ich mit dem Auto nicht deshalb durch das Dorf gefahren, um „unter die Räuber gefallene“ aufzulesen. Es war wie ein innerer Impuls, der mich angesprochen hat: Halt an! Schau nach ihm! Setz dich neben ihn auf die Parkbank! Er ist jetzt dein Nächster, auch wenn er dir fremd ist. – Diesen Impuls habe ich mir nicht gewünscht. Er ist an mir geschehen. Ich kam mir wie geleitet vor. Das hat mit Gottes Art zu tun: Dass er uns immer wieder Mal einen „unter die Räuber“ Gekommenen über den Weg schickt. Dass er uns einen Nächsten zeigt. Dass er mir einen an meinen Weg legt, den er für mich vorgesehen hat. Wenn das geschieht, wird es spannend: Merke ich das? Sehe ich es? Werde ich das an mich heranlassen? Rühren sich Gefühle des Mitleids und der Barmherzigkeit in mir? - Oder prallt es egoistisch an mir ab, weil ich dafür keinen Termin oder keinen Nerv mehr hab? Menschlich ist beides: Hinschauen und Wegschauen. -4- Barmherzig ist4, wer ein Herz hat für die Elenden und Unglücklichen. Wenn Jesus sich der Menschen erbarmt, dann steht dort das Wort splanchnizomai. Es meint „mit den Gefühlen dabei sein“, dem Mitleid Platz geben. Achmed hatte mit Klein-Oscar, der von der Schaukel gefallen war, Mitleid. Der Samariter war barmherzig mit dem Niedergeprügelten auf dem Weg. Nächste, und das ist überraschend in dieser Geschichte, können mir sogar Fremde sein. Doch bevor jemand mit anderen barmherzig sein kann, muss er lernen, mit sich selbst barmherzig umzugehen. Barmherzig mit sich selbst sein, heißt gut mit sich umgehen können, nicht gegen sich wüten. Sich auch nicht ständig mit Vorsätzen überfordern, sondern zunächst einmal: ein Herz haben für sich. Dafür wie ich geworden bin. Ein Herz haben für das Schwache in mir. Manche haben einen unbarmherzigen Richter in sich zu Besuch. Der bestraft sie, wenn sie seinen Forderungen nicht entsprechen. Und der setzt ihnen zu. Erst wenn wir mit uns barmherzig umgehen, können wir auch barmherzig gegenüber anderen sein. Und natürlich gilt das auch: Barmherzig sein, kann ich nicht grenzenlos. Es braucht für die unter uns, die das ganz toll sind, auch einen Schutz. Sonst überfordern sie sich. Jesus erzählt die Geschichte so, dass der Samariter den Verwundeten bis zur nächsten Herberge bringt. Das ist zur Entlastung gesagt: Wir können nicht alle Wunden heilen. Wir können nicht für alle da sein. Aber wir können ein Stück Weges begleiten. Das können wir. Mir ist das heute Morgen sehr wichtig: Jesus erzählt dieses Gleichnis nicht, damit wir eine Leistung der Barmherzigkeit erbringen. Auch nicht, um uns ein schlechtes Gewissen zu machen. Auch nicht, damit wir uns preußisch pflichtbewusst verhalten. Es geht um etwas viel Einfacheres, um etwas viel Wichtigeres: Es geht um die Begegnung eines Menschen, der helfen kann, mit einem Menschen, der Hilfe braucht. Die Hilfe und Unterstützung entsteht am Nächsten, in der nächsten konkreten Situation. Nachher vielleicht, oder morgen. So schlicht ist das, und zugleich so herausfordernd. Es geht um die Begegnung eines Menschen, der helfen kann, mit einem Menschen, der Hilfe braucht. Barmherzigkeit hat viele Gesichter. Es kann die Hilfe in den Mantel sein, oder gleich ein ganzer Lebensstil der Barmherzigkeit. So ist das bei den Kleinen Schwestern Jesu – einer weltweiten Gemeinschaft, zu denen 1400 Schwestern in 70 Länder gehören.5 Myriam ist eine von ihnen. Sie lebt in Halle-Silberhöhe. Ihr Kloster ist eine Wohnung in einem unsanierten Plattenbaustadt. Im Treppenhaus kommt sie an halbnackten Kindern vorbei und 4 5 Gedanken von Anselm Grün: „50 Engel für das Jahr““; S.137-139 „Doch, es muss sein!“; in: Brennpunkt Gemeinde 6/2013; S.235ff. -5- den Hinweisen zur Schabenbekämpfung und der Warnung vor Rattengift. Sie ist 40 Jahre alt, schwingt sich auf ein klappriges Herrenrad und fährt zur Arbeit. Sie trägt das blaue Gewand und das dunkle Holzkreuz mit dem aufgesetzten Herz um den Hals. Später wird sie ihr Gewand ablegen und für 4.40 € hinter einer Rezeption im Krankenhaus stehen. Viele Kolleginnen wissen nichts von ihrer Berufung. Sie arbeitet Teilzeit, damit genug Zeit bleibt für das Ordensleben. Die drei Kleinen Schwestern in der WG in Halle, haben sich für dieses Leben bei den Ärmsten in Deutschland entschieden. Sie suchen Gott, beten für Nachbarn, hören Kindern zu, um die sich sonst niemand kümmert. Sie leben keinen Glauben nach außen, sondern eine Suche nach innen. Für ihren Glauben ist ihnen wichtig: „Das Dasein in der Schwäche, in Vertrauen und ohne Angst vor den Menschen.“ Myriam lebt seit 10 Jahren in Halle-Silberhöhe in der Plattenbausiedlung. Sie tut das um Jesu und um des Evangeliums willen. Sie lebt ihre Berufung - die der gelebten Barmherzigkeit. (Die Kunst der Barmherzigkeit) 3. Über die Barmherzigkeit Jesu Kein einziger von uns kommt durch sein Leben ganz ohne Spuren, ohne Verletzungen, ohne Kränkungen. Jesus erzählt diese Geschichte von einem namenlosen Menschen, der hilflos am Straßenrand liegt. Er ist unter die Räuber gefallen. Dieser Namenlose steht für uns. Und darum sagt uns Jesus mit diesem Gleichnis, mit seinem ganzen Leben und Sterben: Da ist einer, der Erbarmen mit dir hat. Es gibt einen, der sein Leben aufs Spiel gesetzt, es gegeben hat, um dich zu heilen und zu retten. Jesus sagt: Der bin ich für Dich. Seit den ersten Jahrhunderten haben Christen im barmherzigen Samariter Jesus selber gesehen. Er kommt als barmherziger Samariter zu uns, die wir unter die Räuber gefallen sind. Auf dem Glasfenster einer großen Kathedrale in Frankreich ist das super anschaulich dargestellt.6 Da sieht man im ersten Bild zuerst Jesus, der die Geschichte erzählt. Im zweiten Bild sieht man den Samariter, wie er den Verletzten auf seinen Esel lädt. Der Samariter hat genau dasselbe Gesicht wie Jesus. Er zieht los und bringt Menschen, die am Wegrand liegen, nach Hause, in sein Reich. Jesus ist unser barmherziger Samariter, wenn widrige Lebensumstände uns zu Räubern werden. Er hört unser Seufzen und unser Gebet. Er ist für uns da, wenn wir unter den Folgen unserer eigenen Taten leiden. Er ist für uns da, wenn wir unser Glück ohne Gott suchen. Er lädt uns auf seinen Esel und bringt uns in die Herberge, in sein Reich, zurück in den Frieden mit Gott. Dieses Gleichnis hat Jesus damals einem erzählt, der ihm eine Frage gestellt hatte. Er fragte: Was muss ich tun, damit ich das ewige Leben bekomme? Damit ich also jetzt 6 Hanna Stettler; in: Theol. Betr. 1/2009; S.4 -6- und auch, wenn ich einmal sterbe, im Reich Gottes leben darf? Was muss ich dafür tun? Jesus hat ihm geantwortet: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, mit ganzer Hingabe, mit aller deiner Kraft und mit deinem ganzen Verstand! Und: Du sollst deine Mitmenschen lieben wie dich selbst!“ Bist Du damit einig? Wenn ja, dann sage mit mir - AMEN.