Themenheft Risikofaktor Luft
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Themenheft Risikofaktor Luft
Schadenspiegel 1/2008 Bestellnummer 302-05654 Münchener Rück Munich Re Group © 2008 Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Königinstraße 107 80802 München 1/2008, 51. Jahrgang Schäden und Schadenverhütung Schadenspiegel Themenheft Risikofaktor Luft Deutsch Editorial © 2008 Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Königinstraße 107 80802 München Risikofaktor Luft Stürmisch, zerstörerisch, gefährlich. Jutta Püschel Unternehmenskommunikation (Anschrift wie oben) Telefon: +49 (89) 38 91-57 58 Telefax: +49 (89) 38 91-7 57 58 E-Mail: [email protected] Bildnachweis Titelbild: picture-alliance/dpa S. 2, 3: MR-Archiv S. 6: AP/Huntington Herald-Press/ Andrew Hancock S. 10: U.S. Chemical Safety & Hazard Investigation Board, Washington D.C. 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Schwarz, München, Loser/mediacolors, Sascha Schuermann/ddp, Tannen Maury/AFP/ Getty Images S. 33: 2005 NOAA /Getty Images S. 35, 36: Marte Rebollar/AFP/Getty Images S. 38, 40, 43: Maritime and Coastguard Agency, Southampton, Hampshire S. 44: Andanson James/Corbis Sygma S. 45 von links nach rechts: Robert Nickelsberg/Time Life Pictures/Getty Images, Modrow/laif, AP Photo/Anat Givon S. 46 von links nach rechts: Heeb/laif, Getty Images/Tim Graham, Barry Lewis/Alamy S. 47 von links nach rechts: Gabriel Bouys/ AFP/Getty Images, Getty Images/Paula Bronstein, picture-alliance/dpa S. 48 von links nach rechts: Chris Niedenthal/ Time Life Pictures/Getty Images, Peter Scholey/Alamy, picture-alliance/dpa S. 49 von links nach rechts: picture-alliance/ Uwe S. 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Aufsichtsrat Dr. Hans-Jürgen Schinzler (Vorsitzender), Herbert Bach (stellvertretender Vorsitzender), Hans-Georg Appel, Holger Emmert, Ulrich Hartmann, Dr. Rainer Janßen, Prof. Dr. Henning Kagermann, Prof. Dr. Hubert Markl, Wolfgang Mayrhuber, Kerstin Michl, Prof. Karel Van Miert, Ingrid Müller, Prof. Dr. Heinrich v. Pierer, Dr. Bernd Pischetsrieder, Dr. Jürgen Schimetschek, Dr. Albrecht Schmidt, Dr. Ron Sommer, Wolfgang Stögbauer, Josef Süßl, Judy Võ Liebe Leserinnen, liebe Leser, Telefon: +49 (89) 38 91-0 Telefax: +49 (89) 39 90 56 http://www.munichre.com bewegte Luft kommt die Versicherungswirtschaft teuer: Stürme verwüsten ganze Landstriche und richten Schäden in MilliardenEuro-Höhe an. In unserem Spezial „Wetterphänomen Sturm“ haben wir für Sie alles Wissenswerte rund um die Elementargefahr zusammengestellt. Wir zeigen Ihnen die Schadensituation nach Hurrikan Wilma, der 2004 im mexikanischen Ferienparadies Yucatán wütete. Besonders heikel war hier die Regulierung der Betriebsunterbrechungsschäden. Und: Wie aufwendig die Bergung eines Containerschiffs sein kann, verdeutlicht das Beispiel der MSC Napoli – sie havarierte 2007 während des Wintersturms Kyrill. Verantwortlich für den Inhalt Claims Management & Consulting: Nicholas Roenneberg Geo Risks Research/Corporate Climate Centre: Prof. Dr. Peter Höppe Marine: Thomas Artmann Risk, Liability & Insurance: Christian Lahnstein Schaden: Dr. Paolo Bussolera, Arno Studener, Dr. Eberhard Witthoff Space: Philip Ruari McDougall Doch der „Risikofaktor Luft“ geht über die reine Sturmgefahr hinaus. Stichwort Luftverunreinigung: Von den Umweltmedien Luft, Boden und Wasser beeinflusst die Luft unser körperliches Wohlbefinden besonders intensiv. Wie verhält es sich mit Aufwendungen für asbestverursachte Berufskrankheiten oder imissionsbedingte Atemwegserkrankungen? Und: Ist Luft der Freund der Luftfahrt oder vielmehr ein unkalkulierbares Risiko? Im Interview mit einem Piloten und Aviation-Underwriter klären wir, wie gefährlich turbulente Luftbewegungen für den Flugverkehr wirklich sind. Luft kann auch Feuer fangen: So berichten unsere Autoren im vierten und letzten Themenheft der Reihe „Wasser, Feuer, Erde, Luft“ über die Explosionsgefahr brennbarer Stäube. Außerdem über die Notwendigkeit reiner Luft bei der Halbleiterproduktion oder über eine defekte Windenergieanlage, deren Rotor ungebremst immer schneller drehte, bis ein Rotorblatt abknickte. Schließlich finden Sie in dieser Ausgabe auch unseren Rückblick auf die Großschäden 2007. Wie gefällt Ihnen das Heft? Schreiben Sie uns doch unter: [email protected] Redaktion Daniela Pürzer Unternehmenskommunikation (Anschrift wie oben) Telefon: +49 (89) 38 91-93 84 Telefax: +49 (89) 38 91-7 93 84 E-Mail: [email protected] Ihr Schadenspiegel-Team ISSN 0940-8878 Auf www.munichre.com können Sie im Publikationsportal alle Schadenspiegel-Ausgaben seit 2000 bestellen oder als PDF herunterladen. Die Zeitschrift erscheint in zwangloser Folge. Nachdruck ohne Genehmigung nicht gestattet. Inhalt Erneuerbare Energien Nichts dreht sich mehr: Defekte Windenergieanlage Ein Rotorblatt knickt und wird um die Gondel gewickelt. Seite 2 Brandrisiko Staubexplosionen – wenn die Luft Feuer fängt Brennbare Stäube gefährden die Industrie. Seite 6 Im Interview Luftfahrtrisiken Scherwind und Wirbelschleppen Moderne Technik macht Luftfahrtrisiken beherrschbar. Seite 14 Umweltrisiko Luftverunreinigung und Haftung Gesundheitsbelastungen durch Asbest und Emissionen. Seite 44 Spezialrisiko Reine Luft bei der Halbleiterproduktion Warum Brandschutz in der Branche so wichtig ist. Seite 50 Spezial: Wetterphänomen Sturm Stürme – weltweit bedeutendste Elementargefahr Schadenprävention heißt auch, windfest zu bauen. Seite 19 Hurrikan Wilma – Regulierung von Betriebsunterbrechungsschäden Wie werden Entschädigungszahlungen berechnet? Seite 32 Wintersturm Kyrill – die MSC Napoli Schwierige Bergung von Schiff und Container. Seite 38 Großschäden 2007 Brände, Flugzeugunglücke, Naturkatastrophen Seite 54 Leserbriefe Seite 57 Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 1 Erneuerbare Energien Nichts dreht sich mehr: Defekte Windenergieanlage Mehr als vier Monate verstrichen, bis sich ein weit reichender Fehler, der bei Servicearbeiten an einer 2,5-MW-Windenergieanlage begangen wurde, zu einem spektakulären Schaden ausweitete. Wie so oft war menschliches Versagen die Ursache. Der Betrieb der Anlage wurde nicht nur jäh unterbrochen – er machte langwierige und umfangreiche Reparaturen erforderlich. Autoren Winrich Krupp, Markus von Stumberg, beide München Ein spektakulärer Anblick: Das Rotorblatt der Windenergieanlage wurde um den Stahlturm gewickelt. Menschliches Versagen und technische Mängel führten zu diesem Schaden. 2 Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 Erneuerbare Energien Die Anlage ist Teil einer Windfarm, in der zwanzig Windenergieanlagen im Verbund zusammengeschlossen sind. Etwa ein Jahr lang arbeiteten alle Anlagen ohne bemerkenswerte Auffälligkeiten. So ergab auch ein routinemäßiger Serviceeinsatz des Herstellers keine Beanstandungen. Jedoch: Bei den Wartungsarbeiten an einer der 2,5-MWAnlagen wurde ein folgenschwerer Fehler begangen – der zunächst noch unentdeckt blieb. Der Schaden Erst vier Monate später führte das unglückliche Zusammentreffen mit weiteren Fahrlässigkeiten und widrigen Begleitumständen zum Schaden. Was war geschehen? Die automatische Überwachungsanlage des Windparks erfasste am Schadentag eine Störung in dem Hochspannungs-Erdkabel, das den Windpark mit einer etwa 10 km entfernten Umspannstation verband. Wie für einen solchen Fall vorgesehen, löste sie automatisch das Herunterfahren aller Windenergieanlagen und die elektrische Trennung vom Netz aus. Dazu drehten Stellmotoren die Rotorblätter der Anlagen in die sogenannte Segelstellung. Die seitlich angeströmten Blätter bieten auf diese Weise dem Wind nur noch die geringst mögliche Angriffsfläche, und die Rotoren kommen zum Stehen. Zusätzlich wurden Rotorbremsen aktiviert, um den Stillstand zu sichern. Doch nur neunzehn der zwanzig Windenergieanlagen folgten der vorgesehenen Routine zum koordinierten Stopp. Eine führte die automatisierte Sequenz nicht aus. Im Gegenteil: Vom Stromnetz getrennt und somit ungebremst, drehte ihr Rotor immer schneller, bis eines der drei Rotorblätter den Druck- und Fliehkräften schließlich nicht mehr standhalten konnte: Das rund 38 m lange glasfaserverstärkte Kunststoffblatt knickte ab und wurde um die Gondel gewickelt, die sich an der Spitze des rund 80 m hohen Stahlturms befindet. Doch damit nicht genug: Die große Unwucht durch den sich weiter drehenden Rotor und die daraus resultierenden Kräfte und Drehmomente wurden durch den Turm der Anlage in das Fundament aus Stahlbeton weitergeleitet. Während der Stahlturm durch die vergleichsweise hohe Elastizität des Werkstoffs praktisch unbeschädigt blieb, stellte man später im Betonfundament zahlreiche Risse fest. Die Schäden waren dort so stark, dass ein vollständiger Abtrag und Wiederaufbau nötig wurde. Risse im Beton ließen keine Wahl: Das Fundament der Anlage musste abgetragen und neu wiederaufgebaut werden. Auch den Rotor mit den zwei verbliebenen Rotorblättern musste man komplett austauschen. Dagegen konnte die Gondel – in ihr befinden sich Generator und Getriebe inklusive der Rotorlagerung – repariert werden. Fazit: Neben einem Sachschaden von rund 2 Millionen € fiel die Anlage für mehrere Monate aus. Die Ursache Betreiber wie auch Hersteller war es gleichermaßen wichtig, der Schadenursache sofort und genau auf den Grund zu gehen – nicht zuletzt, um einen weiteren gleich gelagerten Vorfall auszuschließen. Nach Auswertung aller aufgezeichneten Betriebsdaten, der Serviceprotokolle, der Anlagensoftware und weiteren Untersuchungen vor Ort als auch im Werk des Herstellers ergab sich zweifelsohne: Bei den Wartungsarbeiten, die dem Schaden vorausgegangen waren, wurden Alarme zur Überwachung der Anlage vorübergehend außer Kraft gesetzt und nach Abschluss der Arbeiten fehlerhafterweise nicht mehr reaktiviert. Die weit reichenden Konsequenzen dieses Fehlers: Eine Tief-Entladung des netzunabhängigen Batteriesystems, das die Stellmotoren der Rotorblatt-Anstellung mit Energie versorgen sollte, blieb unerkannt. Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 3 Erneuerbare Energien Tab. 1 Bauteile einer Windenergieanlage – und deren häufigste Schadenursachen Lager und Wellen Abnutzung Ermüdung/Risse Generator Wicklungsschäden Unsymmetrien Überhitzung/Brand Getriebe Abnutzung Zähne Versatz Überlastung Exzentrizität Schmiermittel Als Ursache der Tief-Entladung stellte sich zum einen ein fehlerhafter Schleifring heraus, dessen Aufgabe es ist, das Batterie-Ladegerät mit Strom zu versorgen. Hinzu kam ein korrodierter Kontakt im Kabelsystem des Ladegeräts. Als Folge war die automatische Anlagensteuerung nicht mehr in der Lage, die Rotorblätter während des Stromausfalls in Segelstellung zu bringen. Rotorblätter Blitzschlag Eisansatz Ermüdung/Risse Unwucht Aus Erfahrung klug Turm Resonanzen Ermüdung/Risse Quelle: Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV), Berlin Abb.1 Top-5-Länder: Installierte Leistung 2007 Deutschland 22 247 MW USA 16 818 MW Spanien 15 145 MW Indien 8 000 MW China 6 050 MW 0 5 000 10 000 15 000 Klarer Spitzenreiter: Weltweit führt Deutschland mit einer installierten Gesamtleistung von 22 247 MW am Markt der Windenergie. Künftig kann sich auch die Weiterentwicklung des Offshore-Segments positiv auf den durch Wind erzeugten Energieanteil auswirken. Quelle: Global Wind Energy Council (GWEC), Brüssel 4 Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 20 000 MW Mit einem vollständig aktivierten Sicherheitssystem hätte die Steuerung alle technischen Mängel erkannt und die Anlage rechtzeitig außer Betrieb genommen. Ausschlaggebend für die beschädigte Windenergieanlage waren daher eindeutig die außer Kraft gesetzten Alarme. Immerhin: Der Hersteller der Windenergieanlage reagierte mit einer Reihe von Maßnahmen vorbildlich. Von nun an durchläuft das Wartungspersonal nochmals verbesserte Schulungsmaßnahmen. Besonderen Wert legt man seitdem auf vertiefte Kenntnisse über Funktion und Bedeutung der Sicherheitssysteme. Eine Softwareänderung der Überwachungsanlage verhindert künftig, dass sich besonders wichtige Alarme abschalten lassen, etwa in Bezug auf Überdrehzahl, Schwingungen, Temperaturen und Batterie-Ladezustand. Zusätzliche Sicherheit bieten verschärfte Passwortkontrollen sowie stark eingeschränkte Berechtigungsstufen in der Betriebssoftware, die nun notwendig sind, um Überwachungs- und Sicherheitseinrichtungen zu umgehen. Nicht zuletzt wird seither die volle Funktionsfähigkeit der Überwachungsanlage täglich automatisch über Datenfernabfrage überprüft. Fazit Fest steht: Der manuelle Eingriff in Überwachungsund Steuerungssysteme technischer Anlagen – ob bei Inbetriebnahme oder während der späteren Betriebsphase – stellt für deren Sicherheit stets eine enorme Gefahr dar. Wo es im Einzelfall unvermeidbar ist, solche Systeme zu deaktivieren, erfordert dies größte Sorgfalt, Kenntnis und Zuverlässigkeit des verantwortlichen Personals. Denn häufig führt gerade diese Ausnahmesituation zu enormen Schäden. Erneuerbare Energien Windbranche im Aufwind Doch das Schadenpotenzial steigt Rotorfeststellbremse Schadenspiegel-Team Getriebe Elektrische Schaltanlage und Regelsystem Rotornabe, Welle und Stellwerk Gondel Generator Rotorachse Rotorblatt Turm Fundament Transformator Grafik: Münchener Rück Abb. 2 Schematischer Aufbau einer Windenergieanlage Mithilfe von Rotoren wandelt die Anlage Windenergie in mechanische Rotationsenergie um. Wo früher Windmühlen diese Energie für rein mechanische Anwendungen direkt nutzten, treibt man damit heute Generatoren an, um elektrische Energie zu erzeugen. In der EU drehen sich derzeit Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von über 48 000 MW. Damit ist der europäische Markt in den vergangenen 5 Jahren um rund 300 % gewachsen. Der starke Wettbewerb unter den Herstellern ließ nicht nur die Zahl der Anlagen kontinuierlich steigen, sondern auch die Turbinen wurden im Laufe der Zeit immer größer und leistungsfähiger. Betrug etwa 1992 die durchschnittlich installierte Leistung einer Anlage in Europa weniger als 200 kW, so waren es bei den neuinstallierten Anlagen 2006 rund 1 800 kW. Für die Assekuranz bedeutet Windkraft ein riskantes Geschäft: Defekte Getriebe, überhitzte Generatoren und verschlissene Lager – Materialermüdung und mangelnde Zuverlässigkeit bei Service und Wartung sind die Hauptursachen für Schäden. Je leistungsfähiger die Anlagen werden, desto schadenanfälliger sind sie auch. Hinzu kommt: In der noch jungen Branche gibt es erst seit wenigen Jahren praktische Erfahrungswerte. Bereits jetzt ist aber klar, dass Regulierungskosten für Maschinen- und Maschinen-Betriebsunterbrechungs-Versicherungen von Windenergieanlagen in den nächsten Jahren kontinuierlich steigen werden. Um das Ausmaß der Schäden möglichst gering zu halten, muss nicht nur mehr Zeit in Entwicklung und Erprobung neuer Anlagen investiert werden, es sind auch höhere Qualitätsstandards für Fertigung, Wartung und Reparatur nötig. Nach einer exakten und umfassenden Risikobewertung müssen die Versicherer daher auf Vorbeugung und Schadenvermeidung setzen: Wartungs- und Instandhaltungsklauseln sollten fester Bestandteil jedes Versicherungsvertrags sein. Darin muss unter anderem festgehalten werden, in welchen Abständen die wesentlichen Anlagenkomponenten ausgetauscht bzw. überholt werden. In der sogenannten Gondel befinden sich auf der liegenden Rotorachse Rotornabe, Getriebe und Generator. Die Gondel wird der Windrichtung nachgeführt und stellt sicher, dass sich der Rotor den Windbedingungen optimal anpassen kann. Übrigens: Erst ab einer bestimmten Geschwindigkeit des Winds – der sogenannten Anlaufwindgeschwindigkeit – ist der Betrieb einer Windenergieanlage technisch und wirtschaftlich sinnvoll. Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 5 Brandrisiko Staubexplosionen – wenn die Luft Feuer fängt Schätzungsweise ereignet sich in Europa täglich eine Staubexplosion. Gefahr besteht grundsätzlich – wie eine aktuelle Studie aus den USA zeigt – in allen Industrieanlagen, in denen brennbare Stäube vorkommen, vorausgesetzt, deren Konzentration in der Luft stimmt und es gibt eine Zündquelle. Versicherer kostet diese explosive Mischung Millionen Euro. Autor Dr. Alfons Maier, München Großbrand beim Automobilzulieferer Hayes Lemmerz International: Einer Aluminiumstaubexplosion folgte ein Feuerball mit enormer Brandentwicklung. 6 Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 Brandrisiko Es gilt: Brennbare Stäube sind umso explosiver, je kleiner und feiner verteilt die Partikel in der Luft sind. Als Zündquelle reicht eine kleine elektrische Entladung, ausgelöst zum Beispiel durch das Ziehen eines Steckers oder ein heißes Metallteil, aus. Staubexplosionen in der Agrarindustrie, USA Die Staubexplosionsstatistik der US-amerikanischen Agrarindustrie erfasst: Besonders die holz-, kunststoff- und metallverarbeitende Industrie sowie Chemie-, Papier-, Agrar-, Futtermittel- und Nahrungsmittelindustrie kennen das Risiko der Staubexplosion und versuchen daher, durch Prävention solche Ereignisse zu verhindern. Viele Anlagen produzieren über Jahre hinweg ohne Schaden. – 192 Explosionen von 1957 bis 1975 mit Schäden von 55 Millionen US$, – 490 Explosionen in den Jahren 1900 bis 1956 mit Schäden von rund 70 Millionen US$, – 202 Ereignisse von 1979 bis 1988 mit Schäden von 169 Millionen US$, – 1996 bis 2005 zählte man 106 Explosionen mit Schäden von rund 163 Millionen US$. Statistiken zu Staubexplosionsschäden Bekannt für große Schäden und eine gewisse Schadenhäufigkeit sind trotz aller Vorkehrungen hauptsächlich die Agrar- und Nahrungsmittelindustrie. Zwar ereignen sich auch in anderen Industrien immer wieder einzelne Großschäden, aussagekräftige Statistiken aber werden hier nur für bestimmte Bereiche oder Industriezweige und auch nur für einzelne Länder erstellt und gepflegt. Sie sind meist kaum miteinander zu vergleichen, weil man Quellen heranzieht, die sich in Bezeichnung und Zusammenstellung der Stäube, Anlagentypen und Zündquellen unterscheiden. Staubexplosionen in der Agrarindustrie oder durch Kohlenstaub, etwa im Bergbau, sind dagegen überwiegend gut erfasst. Das bedeutet: etwa ein Ereignis pro Monat. Wobei die Anzahl der jährlichen Ereignisse zwischen 6 und 18 und die Höhe der Einzelschäden zwischen etwa 4 und 56 Millionen US$ schwanken. Als langjähriger Trend ist erkennbar: Staubexplosionen in der Agrarindustrie treten vorwiegend in Elevatoren (z. B. Ketten- oder Becherelevatoren als Förderanlagen für Getreide) in Futtermittel- und Mehlmühlen sowie in Siloanlagen auf. Dokumentation Staubexplosionen, Deutschland Für Deutschland wertete das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung über einen Zeitraum von etwa 25 Jahren bis einschließlich 1995 in verschiedenen Industriebereichen 599 Staubexplosionen aus. Was ist eine Staubexplosion ? Bei einer Staubexplosion entzündet sich eine Mischung aus Staubpartikeln in der Luft: Die Partikel müssen aus brennbarem Material bestehen, kleiner als etwa 500 µm sein, und ihre Konzentration in der Luft muss zwischen der unteren Explosionsgrenze (UEG) und der oberen Explosionsgrenze (OEG) liegen. Beispielsweise liegt für viele Nahrungsmittelstäube die UEG zwischen 30 und 60 g/m3, die OEG bei 2 bis 6 kg/m3. Außerdem müssen Sauerstoff und eine Zündquelle, die ausreichend Energie liefert, vorhanden sein. Man unterscheidet zwischen primären und sekundären Staubexplosionen. Von einer primären Staubexplosion spricht man, wenn sich eine Staubsuspension etwa in einem Container, Raum oder Anlagenteil entzündet und explodiert. Eine sekundäre Staubexplosion liegt vor, wenn am Boden oder auf anderen Oberflächen abgelagerter Staub durch die primäre Explosion aufwirbelt und sich entzündet. Es folgt eine Kettenreaktion: Die Druckwelle der sekundären Staubexplosion kann weitere Staubablagerungen aufwirbeln, die erneut in Staubexplosionen verpuffen. Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 7 Brandrisiko Rückblick: Große Staubexplosionen in der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie Die erste dokumentierte Staubexplosion ereignete sich 1785 in einem Lagerhaus für Mehl im italienischen Turin. Seitdem haben die Explosionen nichts von ihrer Häufigkeit und Zerstörungskraft verloren: 1977 kamen in den USA bei fünf Staubexplosionen in Getreidesilo-Anlagen 59 Personen ums Leben, 49 wurden verletzt. 1997 starben bei einer Explosion in einem Getreidesilo in Blaye, Frankreich, zwölf Menschen, der Sach- und Betriebsunterbrechungsschaden belief sich auf etwa 23 Millionen €. Von 44 Silozellen blieben nur 16 in ihrer ursprünglich geometrischen Struktur erhalten. Aus Sicherheitsgründen musste jedoch auch der verbleibende Rest der Anlage gesprengt werden. 14 Tote, 17 Verletzte und ein Sachschaden von umgerechnet über 50 Millionen € waren die Folgen einer Mehlstaubexplosion 1979 in der Bremer Rolandmühle, Deutschland. Im gleichen Jahr traf es eine Futtermittelfabrik in Lérida, Spanien. Die Bilanz: 10 Tote und eine schwer beschädigte Getreidesilo-Anlage. 1998 explodierte in Haysville, Kansas, USA, in einer großen Getreidesilo-Anlage ein Staub-Luft-Gemisch: 7 Tote, 10 Verletzte, ein geschätzter Sach- und BU-Schaden von mehreren Millionen US$. Allein die Kosten für Rettungs-, Lösch- und Folgemaßnahmen beliefen sich auf rund 850 000 US$. Obwohl die Konstruktion von Getreidesilos im Laufe der Jahre deutlich verbessert wurde, ereignen sich Explosionen weiter mit beunruhigender Regelmäßigkeit. mit 3 Toten und 7 Verletzten. Nur einen Monat später war wiederum ein Hafenterminal betroffen, diesmal in Paranaguá, Brasilien. Bilanz hier: Totalschaden an einer Lagerhalle. Die Wucht der Explosion schleuderte rund 300 kg schwere Betonteile mehrere hundert Meter weit, Dachteile sogar bis zu 1 km. Das Getreide brannte annähernd 3 Wochen lang. 2002 zerstörte eine Staubexplosion, die sich während der Beladung eines Schiffs mit Soja im Hafen von San Lorenzo, Argentinien, ereignete, den gesamten Terminal. 3 Menschen starben, 19 wurden verletzt. Im Hafen von Puerto General San Martín, Argentinien, kam es 2001 an einem Terminal zu einer schweren Staubexplosion in einer Siloanlage Abb. 1 Anteil der am häufigsten betroffenen Anlagen in den Staubgruppen Die Gesamtübersicht zeigt: Silos/Bunker sind die Anlagen, in denen sich am häufigsten Staubexplosionen ereignen. Vor allem in den Staubgruppen Holz und Kohle haben sie mit 34,7 % und 22,2 % den größten Anteil. Staubgruppen 19,4 % Gesamtübersicht Silos/Bunker Holz/Holzprodukte Silos/Bunker Papier Mahlanlagen Kohle/Torf Silos/Bunker Nahrungs- und Futtermittel Förderanlagen/Elevatoren Kunststoffe Mischanlagen Metalle Entstaubungsanlagen/Abscheider Sonstige Mahlanlagen 0 34,7 % 25 % 22,2 % 26,9 % 15,4 % 44,1 % 18,6 % 10 20 30 40 50 Anteil in % 8 Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 Brandrisiko Eine Übersicht der am häufigsten betroffenen Anlagen in den einzelnen Staubgruppen (Holz/ Holzprodukte, Papier, Kohle/Torf, Nahrungs- und Futtermittel, Kunststoffe, Metalle und Sonstige) zeigt Abb. 1. Die Zündquellen, die am häufigsten in den einzelnen Staubgruppen auftraten, sind die mechanischen (siehe auch Abb. 2). Neue Erkenntnisse: „Combustible Dust Hazard Study“ Die „Combustible Dust Hazard Study“ des U.S. Chemical Safety and Hazard Investigation Board (CSB) aus dem Jahr 2006 fasst nun erstmals Schäden aus verschiedenen Industriezweigen in einer Untersuchung zusammen. Sie zeigt: Explosionsgefahr besteht in allen Industrien, in denen brennbare Stäube vorkommen. Untersucht wurden neben der Nahrungsmittelindustrie die Bereiche Gummi, Metall, Holz, Pharmazeutik, Plastik, Farben und Beschichtungen, synthetisch organische Chemie und andere Industrien, für die es teilweise keine umfassenden Sicherheitsvorschriften der Occupational Safety and Health Administration (OSHA) gibt. Die Agrarindustrie und den Kohlebergbau bezog man nicht ein, weil hier die Sicherheitsvorschriften „Grain Handling Facilities and Standards“ und „Mine Health and Safety Act Regulation“ gelten. Einrichtungen wie Krankenhäuser, Militär, Forschungsinstitute sowie der Bereich Transport blieben ebenfalls unberücksichtigt. Für 1980 bis 2005 listet die Studie 281 größere Staubexplosionen mit 119 Toten und 718 Verletzten auf. Das zeigt: Für die Industrie sind Staubexplosionen ein großes Sicherheitsproblem. Verletzte und Tote registrierte man bei immerhin 71 % der Schadenfälle in verschiedenen Industriezweigen. Die Explosionen ereigneten sich in 44 Bundesstaaten. Dabei waren unterschiedliche Materialien beteiligt. Man zählte eine durchschnittliche Häufigkeit von 10 Staubexplosionsereignissen pro Jahr in diesem Zeitraum. Die Industriezweige Nahrungsmittel (25 %), Holz (15 %), Chemie (12 %) und Metall (8 %) verzeichneten mehr als die Hälfte der Ereignisse. Für die Staubexplosionen verantwortlich waren: Holzstäube (24 %), Nahrungsmittelstäube (23 %), Metallstäube (20 %) und Plastikstäube (14 %). Abb. 2 Anteil der am häufigsten aufgetretenen Zündquellen in den Staubgruppen Die Abbildung verdeutlicht, welche Zündquellen in den einzelnen Staubgruppen am häufigsten vorkommen. Die „mechanischen Zündquellen“ haben außer in der Staubgruppe Kohle/Torf den größten Anteil. Staubgruppen Gesamtübersicht Mechanische Zündquellen Holz/Holzprodukte Mechanische Zündquellen Papier Mechanische Zündquellen Kohle/Torf Glimmnest Nahrungs- und Futtermittel Mechanische Zündquellen Kunststoffe 32,7 % 35,9 % 50 % 25,4 % 35 % Mechanische Zündquellen 29,2 % Elektrostatische Entladung Metalle Sonstige 30,8 % 49,4 % Mechanische Zündquellen Mechanische Zündquellen 23,7 % Elektrostatische Entladung 23,7 % 0 10 20 30 40 50 Quelle Abb. 1 und Abb. 2: Jeske, Arno; Beck, Hartmut: Dokumentation Staubexplosionen – Analyse und Einzelfalldarstellung, Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG) (Hrsg.), St. Augustin, BIA-Report 11/1997. Anteil in % Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 9 Brandrisiko Polyethylenstaub explodierte bei West Pharmaceutical Services, Inc. Die Produktionsanlage für pharmazeutische Produkte wurde vollständig zerstört. Eine Serie von PhenolharzStaubexplosionen verwüstete die Produktion von CTA Acoustics, Inc. Mangelhafte Sauberkeit war einer der Gründe, warum sich der Harzstaub entzünden konnte. 10 Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 Brandrisiko Schadenbeispiele Drei große Staubexplosionen in den USA aus dem Jahr 2003 mit insgesamt 14 Toten und 81 Verletzten waren mit ein Grund, warum das CSB die „Combustible Dust Hazard Study“ durchführte. Anhand dieser untersuchten Schadenfälle lassen sich einige typische Faktoren herausfiltern, die zu Explosionsschäden führen. West Pharmaceutical Services, Inc. Polyethylenstaub war die Ursache für die Explosion bei West Pharmaceutical Services, Inc., Kinston, North Carolina, am 29. Januar 2003, bei der 6 Menschen starben und das Werk vollständig zerstört wurde. Das Unternehmen produzierte an diesem Standort pharmazeutische Produkte aus Gummi: Im Produktionsprozess tauchte man Gummistreifen in eine Polyethylenpulver-Flüssigkeits-Mischung und trocknete sie anschließend an der Luft, dabei wurde feiner Polyethylenstaub freigesetzt. Aufgrund der hohen Hygieneanforderungen an pharmazeutische Betriebe wurde der Produktionsbereich regelmäßig gereinigt. Allerdings sammelte sich brennbarer, feiner Plastikstaub oberhalb der abgehängten Decke an und entzündete sich mit einer nachfolgenden Staubexplosion. Einige Mitarbeiter wussten zwar von den Ablagerungen, man hatte sie jedoch nicht für die Gefahren einer Staubexplosion sensibilisiert. Auch das Sicherheitsdatenblatt, das Material Safety Data Sheet für die Polyethylenmischung, enthielt keine Warnung vor möglichen Staubexplosionen. Und: Der Sicherheitsreview-Prozess des Unternehmens berücksichtigte für diesen Produktionsschritt die Explosionsgefahr nicht. Die OSHA, die lokale Brandbehörde, Versicherungs- und Hygieneexperten hatten den Betrieb besichtigt, die Staubexplosionsgefahr aber letztlich nicht erkannt. Daher waren die elektrischen Leitungen im Deckenbereich auch nicht entsprechend der Gefährdung ausgelegt. Das CSB folgert: Die Explosion hätte verhindert oder in ihren Auswirkungen reduziert werden können, wenn die Standards für brennbaren Staub der National Fire Protection Association eingehalten worden wären. Der versicherte Schaden betrug nach Presseberichten insgesamt 41 Millionen US$ (Sach: 32 Millionen US$, BU: 9 Millionen US$). Weitere Kosten im Millionenbereich ergaben sich für West Pharmaceutical Services, Inc. vor allem aus Versicherungsselbstbehalt, Untersuchungs-, Anwalts- und Umweltkosten. CTA Acoustics, Inc. Eine Staubexplosionsserie ereignete sich am 20. Februar 2003 bei CTA Acoustics, Inc., die in Corbin, Kentucky, Isolations- und Dämmmaterial für die Automobilindustrie herstellt. Die Bilanz: 7 Tote, 37 Verletzte und eine zerstörte Produktionsanlage. Während der Herstellung imprägnierte man Fiberglasmatten mit Phenolharzen. Am Tag der Explosion stand ein Härteofen aufgrund eines Temperaturproblems offen. Vermutlich wirbelten Arbeiter, die den Produktionsbereich in der Nähe des Ofens säuberten, brennbare Harzstäube auf, die sich sofort entzündeten. Laut CSB trugen sehr wahrscheinlich Anlagendesign, Arbeitspraktiken und Probleme bei Ordnung und Sauberkeit zu dieser Staubexplosion bei. Das Produktionsgebäude war zudem nicht dafür ausgelegt, sekundäre Explosionen zu minimieren: beispielsweise durch eine Reduzierung flacher Oberflächen, auf denen sich Staub ablagern kann, oder die Errichtung von Brandwänden zur Trennung einzelner Produktionsbereiche. Das CSB ermittelte außerdem: Das Sicherheitsdatenblatt, das für das verwendete Harz vorliegt, verdeutlichte die Staubexplosionsgefahr nicht ausreichend. Ferner hatten die zuständigen Behörden keine Auflagen wegen Staubexplosionsgefahren erlassen und die Brandschutzbehörde hatte den Betrieb nicht besichtigt. Auch der Versicherer erkannte die Explosionsgefahr des Phenolharzstaubs nicht. Auch hier folgert das CSB: Wären in Bezug auf Ordnung und Sauberkeit sowie Brand- und Explosionsbarrieren die Standards der National Fire Protection Association umgesetzt worden, hätten die Explosionen verhindert oder minimiert werden können. Ein Geschworenengericht lastete laut Presseberichten dem Harzlieferanten nach langwierigen Verhandlungen die Hauptverantwortung für die Explosion an und verurteilte ihn zu einer Entschädigungsleistung von rund 123 Millionen US$ an CTA Acoustics, Inc. Begründung: Der Lieferant hatte keine ausreichenden Sicherheitsvorschriften für den Umgang mit dem Harz zur Verfügung gestellt und nicht auf die Explosionsgefährdung hingewiesen. Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 11 Brandrisiko Hayes Lemmerz International Zum dritten Großschaden kam es am 29. Oktober 2003 in Huntington, Indiana: Hier explodierte Aluminiumstaub. Ein Mitarbeiter wurde getötet, mehrere wurden verletzt. Die Explosion fand in dem Bereich der Produktion statt, der zur Herstellung von Aluminiumguss und Aluminiumlegierungen für Fahrzeugfelgen dient: Aluminiumschrott wird zerkleinert, weiter im Verarbeitungsbereich transportiert und getrocknet, anschließend landet das Aluminium im Schmelzofen. Während das Material transportiert wird und anschließend trocknet, gelangt brennbarer Aluminiumstaub in die Luft. Diesen sammelte man in einem Staubabscheider (Filteranlage). Vermutlich explodierte der Staub dort. Wahrscheinlich ist, dass der Abscheider nicht ausreichend belüftet oder gereinigt worden war, außerdem lag er zu nahe am Verarbeitungsbereich. Die Explosion setzte sich durch die Abluftkanäle fort, und: Im Bereich des Ofens brach ein großer Feuerball aus. Das CSB stellte fest: Das Staubabscheidesystem war nicht staubexplosionssicher ausgelegt, auch wurde nicht berücksichtigt, dass Staubexplosionen möglicherweise durch die Abluftkanäle weitergeleitet werden können. Hinzu kam: Als das Unternehmen das Schrottverarbeitungs- und Staubabscheidesystem in ihre bestehende Gesamtanlage einbaute, setzte man keine „Management of change procedures“ um. Diese hätten möglicherweise die Gefahr verdeutlicht. Darüber hinaus hatte man den Staub nicht entfernt, der sich auf der Trägerstruktur der Produktionshalle abgelagert hatte. Er verursachte eine sekundäre Explosion, die das Dach der Halle zerstörte. Ferner hatte man die Mitarbeiter zum Thema „Staubexplosionsgefahren durch Aluminiumstaub“ nicht geschult, und Behörden hatten während früherer Betriebsbesichtigungen keine Staubexplosionsgefahren aufgezeigt. Leider kam auch hier das CSB zu dem Schluss: Wären die Standards für brennbare Metalle der National Fire Protection Association eingehalten worden, hätte die Explosion verhindert oder zumindest minimiert werden können. Übrigens: Das CSB empfiehlt zum Thema Aluminiumstaub weiterführende Forschungen, um in der Aluminiumindustrie langfristig einen besseren Staubexplosionsschutz für Staubabscheider zu erreichen. Ergebnisse: „Combustible Dust Hazard Study“ Bei allen drei Großschäden hätten die jeweiligen Standards der National Fire Protection Association eingehalten werden müssen. Nur dann sind die Sicherheitsmaßnahmen ausreichend, um das Risiko einer Staubexplosion zu verringern oder gar auszuschließen. Nicht nur bei diesen drei Großschäden, sondern bei anderen der vom CSB untersuchten Fälle führten unter anderem folgende Faktoren zu Schäden: – Facility-Management, behördliche Stellen, Arbeitsschutz- und Gesundheitsexperten sowie Versicherungen identifizierten keine Staubexplosionsgefahren oder empfahlen keine entsprechenden Schutzmaßnahmen. – Ordnung und Sauberkeit waren unzureichend. In den meisten Produktionsanlagen hatte sich potenziell gefährlicher, brennbarer Staub gesammelt. – Staubfilter waren nicht ausreichend gegen Staubexplosionen ausgelegt oder nicht ausreichend gewartet worden. – Die Produktionsprozesse wurden ohne ausreichende Überprüfung der möglichen Gefahren verändert. Bemerkenswert ist laut CSB, dass sich nur etwa die Hälfte der Sicherheitsdatenblätter für bekannte brennbare Materialien eignet, um Anwender oder Mitarbeiter über Staubexplosionsgefahren ausreichend zu informieren. Und: Von 140 Sicherheitsdatenblättern für brennbare Stäube enthielt beinahe die Hälfte (41 %) keine Staubexplosionswarnung. Nur sieben verwiesen auf entsprechende Standards der National Fire Protection Association zur Verhütung von Staubexplosionen. Das CSB spricht in der Studie auch eine Reihe von Empfehlungen aus. Diese nahmen die zuständigen Behörden teilweise bereits auf. Zu hoffen bleibt, dass ihre Umsetzung sukzessive zu einem verbesserten Staubexplosionsschutz in der Industrie führt. 12 Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 Brandrisiko Fazit Beim Risiko Staubexplosion standen in der Assekuranz bislang vor allem Großschäden in der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie im Mittelpunkt des Interesses. Die aktuelle Studie des CSB verdeutlicht jedoch, dass alle Industriezweige, in denen brennbare Stäube vorkommen, gleichsam gefährdet sind. Das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, die aktuelle „Combustible Dust Hazard Study“ des U.S. Chemical Safety and Hazard Investigation Board und die Schadenerfahrung der Münchener Rück belegen: Die Risikofaktoren, die zu Staubexplosionen führen, sind international ähnlich. Im Sinne einer wirksamen Schadenvorsorge sollten sie künftig vermehrt Beachtung finden, ansonsten sind weiterhin Tote, Verletzte und hohe Sach- und BU-Schäden zu befürchten. Wie aktuell das Thema „brennbare Stäube“ ist, zeigt die verheerende Explosion – vermutlich von Zuckerstaub – bei der Imperial Sugar Company in Port Wentworth, Georgia, USA, am 7. Februar 2008: 12 Menschen kamen ums Leben, mehrere wurden schwer verletzt. Der Schaden ist erheblich. Für die Münchener Rück steht fest: Unternehmen, Behörden und Versicherungen müssen noch mehr als bisher forcieren, dass Staubexplosionsrisiken in der Industrie identifiziert, kontrolliert und minimiert werden. Quellen Jeske, Arno; Beck, Hartmut: Dokumentation Staubexplosionen – Analyse und Einzelfalldarstellung, Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG) (Hrsg.), St. Augustin, BIA-Report 11/1997. Schoeff, Robert W.: U.S. Agricultural Dust Explosion Statistics, Kansas State University in cooperation with FGIS-USDA, 20. März 2006. U.S. Chemical Safety and Hazard Investigation Board (Hrsg.): Investigation Report – Combustible Dust Hazard Study, Report-No. 2006-H-1, November 2006. Weiterführende Informationen Das BGIA-Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung bietet unter www.dguv.de/bgia/de die GESTIS-STAUB-EX Datenbank. Als Grundlage zum sicheren Handhaben brennbarer Stäube und zum Projektieren von Schutzmaßnahmen gegen Staubexplosionen in stauberzeugenden und -verarbeitenden Anlagen sind hier wichtige Brenn- und Explosionskenngrößen von über 4 000 Staubproben aus nahezu allen Branchen zusammengestellt. Aktueller Explosionsschaden: In der Produktionsanlage eines US-amerikanischen Zuckerherstellers war vermutlich Zuckerstaub explodiert. Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 13 Luftfahrtrisiken Scherwind und Wirbelschleppen „Luft ist der Freund der Luftfahrt“, entgegnet Thomas Endriß, Aviation-Underwriter und Pilot, als wir ihn nach dem Risikofaktor Luft im Flugverkehr fragen. Doch wir haken nach: „Was ist mit Scherwind, Wirbelschleppen und Luftlöchern?“ Im Interview Thomas Endriß, München Das größte Risiko in der Luftfahrt ist menschliches Versagen. Wind wird nur gefährlich, wenn er unerwartet, zum Beispiel als Scherwind, auftritt. 14 Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 Luftfahrtrisiken Endriß: Scherwinde und Wirbelschleppen können zwar zu Problemen führen, Hauptrisiko für die Luftfahrt ist und bleibt jedoch menschliches Versagen. Menschen täuschen sich, ziehen falsche Rückschlüsse, treffen falsche Entscheidungen – davor kann die beste Technologie nicht schützen. Meist sind es auch nicht einzelne Ursachen, die zu einem Schaden oder einem Unfall führen, sondern vielmehr eine Kette von Ereignissen. Schadenspiegel: Wie gefährlich sind Scherwinde? Endriß: Sie sind nur gefährlich, wenn sie unerwartet auftreten. Scherwind – englisch: wind shear – bedeutet, dass sich die Windrichtung in kürzester Zeit ändert, etwa während eines Gewitters. Davor schützen aber „wind shear detection systems“, die seit etwa acht Jahren in Flugzeugen eingesetzt werden. Ein Radar misst die Dichte der Luft – und sobald anormale Druckverhältnisse herrschen, wird akustisch gewarnt. Moderne Systeme können die drohende Gefahr durch drehende Winde sogar grafisch darstellen. Übrigens verfügen die meisten Flughäfen, auf denen häufig Scherwinde auftreten, über solche Sicherheitsvorkehrungen. Schadenspiegel: Und wie muss ein Pilot dann handeln? Endriß: Ganz einfach: Beim Landeanflug schneller anfliegen, also mit einer höheren Restgeschwindigkeit. Denn wo immer es möglich ist, landet man gegen den Wind. Wenn ein Flugzeug nun bereits Landegeschwindigkeit hat – sagen wir rund 160 km/h – und bei 20 km/h Gegenwind kurz davor ist aufzusetzen, wird seine Geschwindigkeit relativ zur Luftbewegung schlagartig langsamer, sobald sich der Wind auf beispielsweise 20 km/h Rückenwind dreht. Die Konsequenz: Die Maschine stürzt ab, weil kein Auftrieb mehr vorhanden ist. Schadenspiegel: Und beim Start des Flugzeugs? Endriß: Beim Start kann der Pilot Scherwinde entweder abwarten oder mithilfe moderner Technologie einfach umfliegen. Die Flugsicherung oder auch die Cockpitinstrumente liefern ihm dazu sogenannte Vektoren, die ihn um die Gefahrenzone leiten. Übrigens: Während des Reiseflugs sind Scherwinde zumeist nicht gefährlich. Ein durchschnittlicher Passagierjet fliegt beispielsweise mit 850 bis 880 km/h, wenn sich die Windgeschwindigkeit dann um 100 km/h ändert, wird die Maschine lediglich etwas langsamer oder schneller. Die Passagiere merken – außer einem mehr oder weniger unangenehmen Schütteln der Maschine – überhaupt nichts. Schadenspiegel: Die Technik macht Scherwinde also beherrschbar. Haben Sie Beispiele, wo es trotzdem zum Unglück kam? Endriß: Es gibt glücklicherweise nur wenige. Ein Unglück passierte am 2. August 2005 am Toronto Pearson International Airport in Kanada: Eine AirFrance-Maschine, ein neuer Airbus A340, befand sich während einer weitläufigen Gewitterfront zusammen mit vielen anderen Maschinen im Anflug auf Toronto. Diese flogen Warteschleifen, der Pilot des A340 entschied zu landen, flog aber deutlich zu schnell an. Vermutlich wollte er vermeiden, dass die Maschine aufgrund drehender Gewitterböen zu langsam wird. Was ja, wie eben erläutert, theoretisch auch korrekt ist. Nur: Der Rückenwind war längst nicht so stark wie vermutet. Die Maschine setzte daher viel zu spät auf und konnte auf der nassen Landebahn nicht mehr stoppen. Sie rollte 200 m weiter in einen Graben, brach auseinander und ging in Flammen auf. Zum Glück konnten sich alle Passagiere retten – es gab nur ein paar Leicht- und Mittelschwerverletzte. Schadenspiegel: Was wieder die entscheidende Rolle der Piloten verdeutlicht. Wie wichtig ist Ihnen deren Ausbildung bei der Beurteilung einer Fluggesellschaft? Endriß: Sehr wichtig. Da die Anzahl der Risiken bei weltweit etwa 600 Fluggesellschaften stark begrenzt ist, hat bei uns in erster Linie der persönliche Kontakt einen hohen Stellenwert. So sehen wir uns zusammen mit den Riskmanagern der Fluglinien deren Flugtrainingscenter sowie die Simulatoren an. Außerdem wollen wir wissen, wie das Flugtraining organisiert ist. Aber wir sprechen auch über Zahlen und darüber, wie sich die jeweilige Flotte entwickeln will, etwa weg von alten Flugzeugen und hin zu Topmodellen mit modernster Cockpittechnologie. Und natürlich besichtigen wir die Flugzeuge und Wartungseinrichtungen. Wie sieht der Hangar aus – ist er sauber oder liegen Gegenstände herum? Schadenspiegel: Und welche Mitarbeiter der Münchener Rück beurteilen die Fluglinien? Endriß: Bei uns haben die Underwriter unterschiedliche Qualifikationen, die in der Summe unser Expertenwissen ergeben: vom Versicherungskaufmann mit Pilotenschein und Wartungslizenz über die Luftfahrtingenieurin bis hin zum Juristen. Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 15 Luftfahrtrisiken Schema einer Starkwind und Hagel produzierenden Gewitterzelle im Querschnitt. Die Pfeile in Orange zeigen die Luftströmungen an, die schwarzen dünnen Pfeile markieren mögliche Bahnen von Hagelkörnern. Entlang der Böenlinie können Sturmschäden und Scherwinde auftreten. Abb. 1 Windentwicklung bei Gewitter Höhe (km) Zugrichtung Tropopause 10 –40 °C Aufwindzone 5 0 °C Aufwindzone Abwindzone 10 8 Regen 6 4 2 0 Hagel 2 4 6 8 Endriß: Natürlich, besonders wenn wir eine Fluglinie noch nicht gut kennen. Aber auch wenn wir wissen, dass bestimmte Flughäfen angeflogen werden, die für Scherwinde bekannt sind. Allerdings haben fast alle Fluglinien inzwischen „wind shear detection systems“. Schadenspiegel: Für welche Flughäfen ist es denn besonders wichtig? Endriß: Berühmt-berüchtigt ist etwa der Dallas Fort Worth International Airport in Texas, USA. Auch auf dem Denver International Airport in Colorado, USA, kann Scherwind entstehen, weil es in den Rocky Mountains ein ähnliches Wetterphänomen gibt wie in den bayerischen Alpen: den Föhn. Außerdem sind alle Gebiete betroffen, in denen starke Niederschläge in kurzer Zeit auftreten. Das ist vor allem im Fernen Osten der Fall, bei Flughäfen in Singapur, Malaysia und Indonesien. Schadenspiegel: Was ist mit einem Flughafen wie Santa Catarina auf der portugiesischen Insel Madeira? Die Landebahn, teilweise auf Pfeilern errichtet, liegt dort an einem Steilhang direkt am Meer. Endriß: Dieser Flughafen ist extrem schwierig anzufliegen. Aufgrund seiner Lage im Südosten der bergigen Insel kommt der Wind nämlich „aus der falschen Richtung“ – aus Nordost bis Nordwest. Durch die Luftmassen, die über den Berg geleitet werden, der direkt neben der Landebahn liegt, entstehen Luftwirbel: Der Wind bildet quasi einen Luftrotor, genau dort wo sich die Landebahn befindet. Der Flughafen hatte zudem bis vor einiger Zeit nur eine relativ kurze Piste – mit höherer Geschwindigkeit anzufliegen war daher nicht Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 km Böenlinie Schadenspiegel: Noch einmal zurück zu den Scherwinden: Fragen Sie auch nach, ob die genannten Frühwarnsysteme an Bord sind? 16 10 Quelle: Grafik in Anlehnung an Kurz, Manfred: Synoptische Meteorologie, Deutscher Wetterdienst (Hrsg.), Offenbach am Main, 1990 möglich. 2000 verlängerte man aber Start- und Landebahn, wenn auch mit einigen Schwierigkeiten. Hat nicht sogar der Schadenspiegel über diesen Fall berichtet? Schadenspiegel: Ja, in Heft 2/2000: Es hatten sich Risse in den Pfeilern gebildet. Der versicherte Schaden betrug immerhin rund 1,4 Millionen €. Endriß: Auch mit dieser verlängerten Start- und Landebahn dürfen den Flughafen aber nur Piloten anfliegen, die ein spezielles Training am Simulator durchlaufen haben. Die Lufthansa beispielsweise schreibt dies zweimal im Jahr vor. Schadenspiegel: Andere Frage – was genau sind eigentlich Wirbelschleppen? Endriß: Wirbelschleppen entstehen am hinteren Ende der Tragflächen eines Flugzeugs. Man muss sich das so vorstellen: Die Form der Flügel beschleunigt die Luft, die über ihnen strömt. Dadurch entsteht Unterdruck – das ist der Auftrieb. Die Luft, die unter den Tragflächen hindurchströmt, wird weniger beschleunigt. Trifft nun die beschleunigte Luft der Tragflächenoberseite wieder auf die der Unterseite, entstehen Luftwirbel. An den Flügelspitzen bilden sich dann Verwirbelungen, die sich wie kleine Tornados drehen und sich mit größer werdender Entfernung immer weiter ausdehnen. Schadenspiegel: Ähnlich wie die Ringe, die ent stehen, wenn man einen Stein ins Wasser wirft? Endriß: Genau. Aber Wirbelschleppen erzeugen auch Luftwiderstand. Daher gibt es neuerdings immer öfter sogenannte Winglets an den Tragflächenspitzen: kleine, nach oben gebogene Flächenstücke. Die sind nicht aus optischen Gründen da. Winglets verringern vielmehr den Luftwiderstand, man benötigt daher weniger Energie und letztlich weniger Kerosin. Luftfahrtrisiken Schadenspiegel: Sind Wirbelschleppen eine Gefahr für den Flugverkehr? Schadenspiegel: Also am Ende doch wieder menschliches Versagen? Endriß: Nicht für das Flugzeug, das die Wirbelschleppen erzeugt, aber für ein nachfolgendes. Und besonders in der Start- oder Steigflugphase, da ein Flugzeug dort viel langsamer ist als während des Reiseflugs. Dadurch wird es auch anfälliger für Wirbelschleppen, die während des normalen Reiseflugs kein Problem darstellen. Das einzige mir bekannte schwere Unglück, das passierte, weil eine Maschine in die Wirbelschleppen einer zuvor gestarteten geriet, ist der Absturz eines Airbus A300 der American Airlines über dem New Yorker Stadtteil Queens am 12. November 2001. Endriß: In der Tat. Die Wirbelschleppen haben den Absturz nicht verursacht. Auch die Staffelung der Flugzeuge beim Start ist nicht unterschritten worden. Es war schlicht das ungünstige Zusammenspiel von Wetter, Wirbelschleppen und der falschen Reaktion des Piloten. Schadenspiegel: Was war geschehen? Endriß: Da es ein sonniger, windstiller Tag war, blieben die Wirbelschleppen „stehen“ und wurden nicht vom Wind verblasen, wie es sonst üblich ist. Weil alle Flugzeuge beim Abflug Standardrouten einhalten müssen, etwa um Lärmschutzvorschriften zu genügen, flog der Airbus A300 exakt die gleiche Route wie eine vor ihm gestartete Maschine. Nur ein wenig niedriger. Dadurch geriet er in die Wirbelschleppen und rollte extrem zur Seite. Für solche Situationen gibt es zwar die Anweisung des Herstellers, ausschließlich das Querruder zu betätigen – der Pilot hat aber vermutlich instinktiv versucht, mit dem Seitenruder gegenzusteuern. Das war allerdings nicht dafür ausgelegt, eine solche Last aufzunehmen – es brach. Das Flugzeug war nicht mehr steuerbar, stürzte ab und alle Insassen kamen ums Leben. Abb. 2 Wirbelschleppen Schadenspiegel: Noch eine letzte Frage – was hat es denn mit Luftlöchern auf sich? Endriß: Dieses Wort amüsiert mich. Luft ist ständig in Bewegung – von der Sonne erwärmte Luft steigt nach oben, abgekühlte Luft, zum Beispiel im Schatten von Wolken, sinkt nach unten. Um in diesen ständig wechselnden Bedingungen mit einem Flugzeug die Höhe zu halten, muss man den Luftbewegungen entgegensteuern. Fliegen Sie aber nun von einem sonnigen in einen schattigen Abschnitt, steigt die Luft plötzlich nicht mehr, und die Maschine sackt ab. Das alles passiert relativ schnell, und aufgrund der Massenträgheit hebt es Sie als Passagier kurzzeitig aus dem Sitz. Es fühlt sich an, als ob man in ein Loch fällt. Schadenspiegel: Aber deswegen ist noch kein Flugzeug vom Himmel gefallen? Endriß: Nein. Und es hat auch nichts mit Turbulenzen zu tun, diese äußern sich eher als Wackeln des Flugzeugs. Trotzdem empfehle ich sowohl als Pilot als auch als Fluggast: Wenn man Sie auffordert, den Sicherheitsgurt anzulegen, dann tun Sie das bitte. So kann Ihnen auch bei stärkeren Turbulenzen oder „Luftlöchern“ nichts passieren. Wirbelschleppen bilden sich am hinteren Ende der Tragflächen. Die Verwirbelungen an den Flügelspitzen drehen sich wie kleine Tornados und dehnen sich mit größer werdender Entfernung immer weiter aus. Gefährlich können sie besonders in der Start- oder Steigflugphase für ein nachfolgendes Flugzeug werden. Grafik: Münchener Rück Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 17 Spezial: Wetterphänomen Sturm Mehrsteht als nur ein laues LüftHier Blindtext, hier chen:Blindtext, Wind ist die schadensteht hier steht trächtigste aller ElementarBlindtext. gefahren turbulente Stürme Hier steht–Blindtext, hier hinterlassen weltweit ihre steht Blindtext, hier steht Spuren. Hier steht BlindBlindtext. text, hier steht Blindtext, hier steht Blindtext. Spezial: Wetterphänomen Sturm Alle reden vom Wetter – aber was wissen wir über den Wind? Wie entsteht er und wie kann man Sturmschäden an Gebäuden wirkungsvoll vorbeugen? Lesen Sie, welche Zerstörungen ein Hurrikan in touristischen Gebieten anrichten kann oder was passiert, wenn ein Containerschiff in einen Wintersturm gerät. Außerdem: Verheerende Sturmkatastrophen weltweit – eine Chronologie von 1970 bis 2007. 18 Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 Spezial: Wetterphänomen Sturm Stürme – weltweit bedeutendste Elementargefahr Autor Ernst Rauch, München Winterstürme Daria, Lothar und Kyrill in Europa, Taifun Mireille in Japan, Hurrikan Andrew und Hurrikan Katrina in den USA: Nur einige Beispiele großer Sturmkatastrophen, die in den vergangenen Jahren ganze Landstriche verwüstet, Wälder und Küstenorte zerstört und Schäden in Milliarden-Euro-Höhe angerichtet haben. Häufigkeit und Dimension der Schäden rüttelten weltweit die Versicherungswirtschaft auf. Stürme sind die bedeutendste Elementargefahr der letzten Jahrzehnte – gemessen an der Häufigkeit von Schadenereignissen, an der Gesamtfläche der betroffenen Gebiete und vor allem am Schadenausmaß. So musste die Versicherungswirtschaft immer höhere Sturmschäden tragen: Rund 79 % der 370 Milliarden US$ (Werte von 2007), welche die Assekuranz von 1950 bis 2007 für große Naturkatastrophen zahlen musste, entfielen auf diese Naturgefahr (siehe Abb. 1). Was wissen wir über den Wind? Meteorologische Beobachtungen von Sturmereignissen werden bereits seit Jahrhunderten dokumentiert – fast so lange, wie es geschriebene Geschichte gibt. Dagegen existieren instrumentelle Messwerte von Windfeldern mit ihrer rund 100-jährigen Geschichte erst relativ kurz. Da Windfelder zudem sehr empfindlich auf die Rauhigkeit einer Region – Topografie, Bewuchs, Bebauung – reagieren, kann man sie über längere Beobachtungsperioden nur in den seltensten Fällen miteinander vergleichen. Einer der Gründe, warum es bisher nur für wenige Gebiete aussagekräftige Windstatistiken bzw. Sturm-Gefährdungszonierungen gibt. Hinzu kommt: In gebirgigen Gegenden können topografische Einflüsse, etwa Flusstäler, die Sturmgefährdung auf kleinstem Raum extrem verändern. Das meteorologische RoutineMessnetz ist aber meist zu grobmaschig, um auch lokale Veränderungen im Windfeld oder kleinräumige Sturmphänomene wie Tornados und Gewitterböen zu erfassen. Abb. 1 Große Naturkatastrophen 1950–2007: Weltweite Verteilung der versicherten Schäden 4% 7% 10 % 79 % Wetterbedingte Ereignisse Sturm Überschwemmung Geologisch bedingte Ereignisse Erdbeben, Tsunami, Vulkanausbruch Temperaturextreme Grafik: Münchener Rück Einsamer Spitzenreiter: Stürme waren in der Vergangenheit die bedeutendste Elementargefahr für die Assekuranz – noch vor Erdbeben, Vulkanausbrüchen oder Überschwemmungen. Dafür sind sowohl ihre Schadenhäufigkeit als auch ihr Schadenausmaß und nicht zuletzt die hohe Versicherungsdichte gegen die Sturmgefahr verantwortlich zu machen. Schnell wie der Wind Windbeobachtungen bergen noch ein weiteres Problem: Die Geschwindigkeit des Winds nimmt mit der Höhe über Grund stetig zu – und folgt dabei in der Regel dem Potenzgesetz. Sie reagiert jedoch auch stark auf die Rauhigkeit der Erdoberfläche. Kurz: Je glatter die Oberfläche, desto weniger wird die Strömung gebremst. Daher sind Windgeschwindigkeiten über dem Meer durchschnittlich wesentlich höher als über einer bewachsenen Oberfläche oder einer Großstadt. Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 19 Spezial: Wetterphänomen Sturm Da die Höhe, in welcher der Wind gemessen wird, eine so entscheidende Rolle spielt, hat die World Meteorological Organization international vereinbart, zu Vergleichszwecken eine Standardreferenzhöhe von 10 m über Grund zu verwenden. liegt das Verhältnis aus Böengeschwindigkeit und Mittelwind, der sogenannte Böenfaktor, zwischen 1,2 und 1,5. In sehr rauem Gelände können aber auch Werte größer 2 erreicht werden. Die Sturmstärke nach der Beaufortskala bezieht sich stets auf den 10-minütigen Mittelwert. Turbulente Risikobewertung Um das Sturmrisiko bestmöglich zu bewerten, benötigt die Assekuranz jedoch weitere Informationen. So ist ein wesentlicher Parameter für das Schadenausmaß die Dauer der Windeinwirkung: Viele Schäden ergeben sich erst als Folge einer Vielzahl von „Windangriffen“, sogenannten Lastwechselfällen, die Material ermüden und schließlich brechen lassen. Neben Geschwindigkeit und Dauer ist auch die Richtung des Winds ausschlaggebend. Bläst er aus stark unterschiedlichen Richtungen, kann dies das Schadenausmaß deutlich beeinflussen: Denn Bäume mit ihrem Wurzelwerk oder Bauwerke mit ihrer Lastenauslegung sind darauf nicht eingestellt. Der Wind ist turbulent. Kurzzeitige Böen erreichen – verglichen mit dem Mittelwert – wesentlich höhere Windgeschwindigkeiten. Normalerweise Hurrikane erhalten ihre Energie aus der Verdunstung von warmem Oberflächenwasser. Die Darstellung zeigt, wie warme Luft im zentralen Wolkenwall des Hurrikans aufsteigt (1). Hier kommt es zur stärksten Kondensation von Wasserdampf und damit auch zu extremen Niederschlägen. Dagegen kühlt die Luft außerhalb des Wolkenwalls (2) sowie im sogenannten Auge (3) – in einer wind- und niederschlagsfreien Zone 3 4 1 Schauer Starkregen mind. 27 °C Grafik: Münchener Rück 20 Stürme: von tropisch bis winterlich Meteorologisch lassen sich Stürme im Wesentlichen in vier Klassen unterteilen: tropische Wirbelstürme, außertropische Stürme (Winterstürme), regionale Stürme (auch: Monsunstürme) sowie lokale Stürme (Tornado, Gewitter/Hagel). Die exemplarischen Zugbahnen sowie Entstehungsorte der verschiedenen Sturmtypen verdeutlicht unsere Grafik „Weltkarte der Stürme“ auf den Seiten 28–29. im Zentrum des Hurrikans – ab und fließt zurück. Beim Einströmen über der Meeresoberfläche (4) nimmt sie erneut Wärme und Feuchtigkeit auf – die atmosphärische Wärmemaschine wird weiter angeheizt. Über Land verliert das System ohne neue Wasserdampfzufuhr und durch die einsetzende Bodenreibung jedoch schnell an Energie. Abb. 2 Querschnitt durch einen tropischen Wirbelsturm (Hurrikan) 2 Nicht zuletzt: Aufgrund der turbulenten Natur des Winds schwankt auch die in ihm enthaltene kinetische Energie sehr stark. Diese Eigenschaft wird als Energiespektrum des Winds bezeichnet und entscheidet über Schäden an Bäumen und schwingungsfähigen Bauwerken, insbesondere Brücken, Türmen oder Kaminen. Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 Spezial: Wetterphänomen Sturm Tropischer Wirbelsturm Wenn tropische Wirbelstürme Orkanstärke (Beaufort 12, d. h. 118 km/h) erreichen, nennt man sie im Atlantik und Nordostpazifik Hurrikan, im Indischen Ozean, im Seegebiet vor Australien oder im Südpazifik Zyklon und im Nordwestpazifik Taifun. Unterhalb der Orkanstärke, also im Bereich von 62–117 km/h (Beaufort 8–11), werden sie tropische Stürme genannt. Sie können sich über große Gebiete erstrecken – und das mit Windgeschwindigkeiten über 250 km/h, in Einzelfällen sogar über 300 km/h. Besonders Küstengebiete und Inseln im Bereich von 10–40° nördlicher und südlicher geografischer Breite sind betroffen. Der Durchmesser des Sturmfelds liegt meist bei 100–500 km. Landeinwärts werden die tropischen Wirbelstürme rasch schwächer, was vor allem an der Reibung der Landoberfläche und der verminderten Energiezufuhr durch Wasserdampf liegt. Und dennoch: Da sich die über dem warmen Meer aufgenommenen gewaltigen Wassermassen bevorzugt im Luv (der dem Wind zugekehrten Seite) von Gebirgen ausregnen, können extreme Überschwemmungen und Hangrutschungen die Folgen sein – auch weit im Landesinneren. Zur Entstehung eines tropischen Wirbelsturms siehe auch Abb. 2. Tropische Wirbelstürme haben in vielen Küstenregionen mit ihrer oftmals hohen Wertedichte, dem hohen Freizeitwert und der damit verbundenen Zuwanderung ein außerordentlich großes Katastrophenpotenzial. Die Versicherungswirtschaft bekam dies erst 2005 wieder einmal deutlich zu spüren: Hurrikan Katrina verursachte versicherte Originalschäden von rund 62 Milliarden US$. Außertropischer Sturm (Wintersturm) Außertropische Stürme unterscheiden sich von tropischen nicht nur durch die Entstehungsgebiete und Zugbahnen, sondern vor allem auch durch ihre Intensität und geografische Ausdehnung. Sie entstehen im Übergangsbereich zwischen subtropischen und polaren Klimazonen (etwa 35–70° nördlicher und südlicher geografischer Breite). Wo polare Kaltluftausbrüche auf subtropische Warmluftmassen treffen, bilden sich großräumige Tiefdruckwirbel. Die Sturmintensität innerhalb dieser Verwirbelungen steigt dabei proportional mit dem Temperaturunterschied der beiden Luftmassen an. Sie ist im Spätherbst und Winter am größten, wenn die Meere noch warm, die polare Luft aber bereits kalt ist – daher auch die Bezeichnung Wintersturm. Zur Entstehung siehe Abb. 3. Zwischen polarer Kaltluft im Norden und subtropischer Warmluft im Süden bildet sich eine sogenannte Luftmassengrenze. Die schwerere Kaltluft setzt sich bodennah nach Süden in Bewegung. Im Gegenzug schiebt sich in höheren Luftschichten die Warmluft nach Norden vor. Folge: Im Zentrum der Verwirbelung fällt der Druck. Die schnellere Kaltluft holt die Warmluft ein, beide vermischen sich – es kommt zur Wirbelbildung. Abb. 3 Entwicklung eines außertropischen Sturmtiefs (Wintersturm) L L L L H = Hochdruckgebiet H H L = Tiefdruckgebiet H H Kaltfront Warmfront Grafik: Münchener Rück Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 21 Spezial: Wetterphänomen Sturm Die maximalen Windgeschwindigkeiten liegen bei 140–200 km/h, in exponierten Küstenlagen und auf höheren Bergen können Winterstürme aber auch Werte weit über 250 km/h erreichen. Das Sturmfeld der außertropischen Stürme kann dabei bis zu 2 000 km breit werden. Auch beim regionalen Sturm sind die Windgeschwindigkeiten umso höher, je größer Temperaturdifferenz und Fallhöhe sind. Überlagert zusätzlich eine großräumige Strömung die Fallwinde in der gleichen Richtung, sind Geschwindigkeiten bis zu 200 km/h möglich. Eis- und Schneestürme (Blizzards) sind weitere Varianten der außertropischen Stürme. Ihre potenziellen Schäden durch Eis- oder Schneedruck können – ähnlich wie bei den anderen außertropischen Stürmen, wo hohe Windgeschwindigkeiten die Hauptschadenursache sind – Schäden im ein- bis zweistelligen Milliarden-Euro-Bereich verursachen. Die bekanntesten Vertreter regionaler Stürme sind die Bora an der dalmatinischen Adriaküste, warme Winde wie der Föhn in den Alpen, der Mistral im unteren Rhonetal oder der Chinook in den Rocky Mountains. Doch solche Fallwinde können in allen Gebirgsregionen der Welt vorkommen, insbesondere am Rand gemäßigter Klimazonen. Ihre Entstehung ist so eng an die jeweilige Topografie gekoppelt, dass sie regelmäßig an denselben Orten mit derselben Windrichtung auftreten. Ein Eissturm, der 1951 vom 28. Januar bis zum 4. Februar anhielt, überzog riesige Gebiete in den USA – von den Neuenglandstaaten bis Texas – mit einer bis zu 10 cm dicken Eisschicht. Bezogen auf seine geografische Ausdehnung war dies vermutlich der größte Eissturm des 20. Jahrhunderts. Regionaler Sturm und Monsunsturm Regionale und Monsunstürme sind meteorologisch überwiegend der Gruppe der orografischen Stürme (Fallwinde) zuzuordnen. Ihnen ist gemein, dass sie durch Hebung der Luftmassen auf der Leeseite, der Wind abgewandten Seite von Gebirgen, entstehen. Dabei kühlt sich die Luft ab, kondensiert bei Überschreitung der Feuchtigkeitssättigung aus – was zum Teil starke Niederschläge zur Folge hat – und stürzt vom Gebirgskamm oder von den Passhöhen in die Täler hinunter. Am intensivsten sind diese Windsysteme allerdings am Rande der Antarktis und Grönlands: Hier stürzt die extrem kalte Luft der zentralen Hochflächen in engen Gletschertälern auf Meereshöhe hinab – teilweise um mehr als 3 000 m. Die Folge: Sie erreicht dabei häufig und über lange Zeiträume hinweg Orkanstärke. Ein eigenständiges Sturmphänomen regionaler Ausdehnung ist der Monsunsturm. Die große Landfläche Asiens saugt, wenn sie sich im Frühund Hochsommer unter der fast senkrecht stehenden Sonne aufheizt, warme und feuchte Luftmassen aus dem Indischen und Pazifischen Ozean an. Übrigens: Ohne diese Zirkulation wären der gesamte indische Subkontinent und auch angrenzende Gebiete unbewohnbare Wüsten. Phänomen Böenwalze: Vor einem Gewitter wird die von der Sonne erwärmte Luft leichter und steigt nach oben. Auf ihrem Weg kühlt sie ab, Wasserdampf kondensiert und Wolken bilden sich – die jetzt wieder schwerere Kaltluft sinkt schließlich ab. Fällt sie sehr schnell, wird sie als Böenwalze sichtbar. Die nach unten durchhängenden Wolkenteile kennzeichnen dabei das „Durchsacken“ der kälteren, feuchteren Luft in die wärmere, trockenere Luftschicht darunter. 22 Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 Spezial: Wetterphänomen Sturm Abb. 4 Die Entstehung eines lokalen Sturms (Tornado) Kalte, trockene Luft Feuchtwarme Luft Tornados sind die Windsysteme mit den höchsten Windgeschwindigkeiten. Sie entstehen immer dann, wenn in der Atmosphäre starke vertikale Luftbewegungen auftreten – und sind daher stets an intensive Gewitterzellen gekoppelt. Die schematische Darstellung verdeutlicht Strömungsprozesse innerhalb eines Tornados und in seinem Umfeld. Vor allem die herabstürzende kalte, trockene Luft auf die darunterliegende feuchtwarme verstärkt die Wirbelbildung. Grafik: Münchener Rück Lokale Stürme (Tornado, Gewitter/Hagel) Gewitter sind die Folge vertikaler Umwälzungen in der Atmosphäre. Kalte, schwerere Luft sinkt ab und lässt die davorliegende Warmluft aufsteigen. Vor allem bei Gewittern, die an einer Kaltfront entstehen, strömt die Luft aus mehreren Kilometern zur Erdoberfläche herab und schießt zungenförmig unter die vorhandene Warmluft. Es kommt zum typischen Böenkopf oder der Böenwalze, siehe Bild Seite 22. Wie bei den orografischen Stürmen wandelt sich hier potenzielle in kinetische Energie um. Besonders heftig sind Böen immer dann, wenn sich im Gewitter starker Regen oder Hagel bildet. Durch den Niederschlag kühlt sich auch die umgebende Luft ab und wird schließlich mitgerissen. In Bodennähe biegt der Luftstrom in die Horizontale um und lenkt damit auch Regentropfen oder Hagelkörner auf eine schräge Flugbahn – teilweise um mehr als 45° gegen die Vertikale. Tornados – sehr kleinräumige Sturmsysteme – entstehen innerhalb starker Gewittergebiete, wenn sich kalte, trockene Luft über warme und feuchte Luftmassen schiebt. Die Kaltluft kann bei entsprechenden Temperaturgegensätzen heftig und strudelartig herabstürzen – ähnlich dem Effekt, wenn man eine Flasche schnell entleert. Am Rande des Strudels ersetzt die emporgerissene Warmluft herabstürzende Kaltluft, kondensiert und macht so den Wirbel nach außen sichtbar – was Abb. 4 verdeutlicht. führt dies ebenfalls zur Abkühlung und durch die Feuchtigkeitsübersättigung zur Tröpfchen- und Wolkenbildung. Ähnlich wie beim tropischen Wirbelsturm bestimmt in der Regel die Erddrehung die Rotation des Tornadorüssels. So drehen sich Tornados auf der Südhalbkugel im Uhrzeigersinn und auf der Nordhalbkugel entgegen dem Uhrzeigersinn. Vereinzelt sind aber auch gegenläufige Drehungen dokumentiert. Die Breite des Tornadorüssels liegt durchschnittlich bei rund 100 m, die mittlere Zuglänge bei einigen Kilometern. Allerdings wurden auch schon mehr als 1 000 m breite Tornados und Zuglängen bis zu 300 km beobachtet. Am Rande des Rüssels schätzt man die maximal möglichen Windgeschwindigkeiten auf über 500 km/h – die höchsten Geschwindigkeiten aller existierenden Sturmarten. Die meisten Tornados haben jedoch durchschnittliche Windgeschwindigkeiten von etwas über 100 km/h. Weltweit kommen diese Stürme vor allem im Bereich von 20–60° nördlicher und südlicher geografischer Breite vor. Wie beim tropischen Wirbelsturm gibt es auch für den Tornado weitere Bezeichnungen: Man spricht in Japan vom Tatsumaki und in Deutschland von der Trombe. Wasserhose bzw. Waterspout nennt man ihn dann, wenn er über Wasserflächen entsteht. Oft kommt es aber auch im Kern des Tornadoschlauchs zur Kondensation: Fällt der Luftdruck schlagartig um bis zu 10 % unter den Normalwert, Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 23 Spezial: Wetterphänomen Sturm Abb. 5 Vom Wind umströmt Druck Sog Wind Luftwirbel Grafik: Münchener Rück Wie stark der Wind Dächer und Fassaden von Gebäuden beschädigen kann, verdeutlicht dieses Motel in Oklahoma City, nachdem es 2003 von einem Tornado getroffen wurde. Verantwortlich für die Schäden sind Druck- und Sogkräfte, aber auch die Luftverwirbelungen, die sich gerade an Ecken und Kanten eines Baukörpers im Luftfeld bilden – vergleiche Abb. 5. 24 Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 Wind ist bewegte Luft. Steht ihm ein Gebäude im Weg, umströmt er es. An der dem Wind zugewandten Seite entsteht Staudruck, an der dem Wind abgewandten Sog. Dabei bilden sich an Ecken und Kanten Luftwirbel, deren Druck- oder Sogkräfte um ein Vielfaches höher sein können. Die Wirbel hängen in ihrer Größe, Frequenz und Intensität außer von der Windgeschwindigkeit auch von der Form des umströmten Körpers ab. Generell gilt: Je unregelmäßiger das Gebäude, desto stärker ist die Wirbelbildung. Spezial: Wetterphänomen Sturm Ruhe vor dem Sturm: Jetzt vorbeugen! Die beste Methode, Sturmschäden mittel- und langfristig zu reduzieren oder gar zu verhindern, ist, Bauwerke und ihre Komponenten windfester zu machen. Dazu gehört auch, Infrastruktureinrichtungen wie Brücken oder Verkehrsmittel (Stichwort: Aerodynamik von Fahrzeugen) entsprechend anzupassen. Zur Schadenminderung müssen alle Bauwerkskomponenten so bemessen werden, dass sie Zusatzlasten standhalten, die sich bei einem Sturm mit der sogenannten Auslegungswindgeschwindigkeit ergeben. Dabei sind sowohl statische als auch dynamische Kräfte zu berücksichtigen: Tatsächlich wirken auf ein Gebäude während eines Sturms höchst instationäre, in Stärke und Richtung ständig wechselnde Strömungen, wie Abb. 5 erkennen lässt. Um langfristig Sturmschäden an Dächern zu vermeiden, sind folgende Maßnahmen sinnvoll: – Bei einer flächig ausgebildeten Dachhaut (etwa Wellblech): Verschraubung an der tragenden Konstruktion. Ansonsten flexible Befestigung der einzelnen Dachelemente bzw. Dachziegel. – Verankerung der Dachkonstruktion im Mauerwerk mithilfe von Mauerankern, Schrauben und Metallbändern. Einfache Nägel sind hierfür ungeeignet. – Gebäude-Aerodynamik: Man sollte zu flache oder zu steile Dächer bzw. zu große Dachüberstände vermeiden. So verringern sich auch die Druckund Sogkräfte des Winds. – Gärtnerische Pflege: Ausreichender Abstand schützt das Gebäude vor Sturmschäden durch umgeknickte Bäume. Schlechtes Wetter braucht gute Architektur Der Wind wirkt nicht nur einseitig – auch die Gebäude selbst beeinflussen die Windströmung. So verstärken die Luftwirbel, die sich von Ecken und Kanten der Bauwerke ablösen, wiederum die Lasten auf das Bauwerk. Auch das Resonanzverhalten des Gebäudes spielt eine Rolle. Handelt es sich um einen wenig gedämpften, elastischen Körper, können sich schon bei relativ niedrigen Windgeschwindigkeiten starke Schwingungen entwickeln. Aus dem Trend, Bauwerke immer größer und leichter zu machen, entstanden auch immer schwingungsanfälligere Konstruktionen. Welche vorbeugenden Maßnahmen können diese schadenträchtige Entwicklung abschwächen oder gar stoppen? Dazu einige typische Schadenursachen mit jeweils möglichen Vorsorgemaßnahmen: Dächer Dächer sind der Gebäudeteil, der am häufigsten von Sturmschäden betroffen ist. Gründe dafür: – Sinnvolle Vorratshaltung: Ersatzdachplatten oder Folien ermöglichen im Schadenfall eine schnelle Reparatur und bieten einen (zumindest temporären) Nässeschutz. Außenwände, Fassaden Die Außenwände von Gebäuden werden in der Regel nur bei besonders starken Sturmereignissen beschädigt. Allerdings zeigt sich, dass sich durch die Verwendung teurer und gleichzeitig sehr empfindlicher Wandverkleidungen auch Schäden an den Außenwänden häufen. Anders als bei herkömmlich gemauerten oder verputzten Fassaden, hat der Wind hier leichtes Spiel. Durchaus eine besorgniserregende Entwicklung. Dabei ist es egal, ob es sich um Isolierung gegen Wärmeverlust bzw. eindringende Nässe mit aufgeklebten oder aufgeschraubten Stoffen, Metall- oder Pressstoffplatten oder um ganze Fassaden aus Leichtmetall oder Kunststoff handelt. Mögliche Vorsorgemaßnahmen, um Schäden an Außenwänden und Fassaden vorzubeugen: – Die Windgeschwindigkeit nimmt mit der Höhe zu. – Stabile Verankerung von Isolierungs- und Fassadenelementen im Tragwerk des Gebäudes. – An scharfen bzw. überstehenden Dachkanten bilden sich Windverwirbelungen. – Weiche Fassadenmaterialien sollten in hagelgefährdeten Gebieten generell vermieden werden. – Dächer, Kamine, Dach- und Antennenaufbauten usw. sind oft nur unzureichend im Tragwerk des Gebäudes verankert und/oder werden mangelhaft instand gehalten. – Großflächige Glaselemente müssen stets flexibel aufgehängt sein. – Das Bauwerk sollte stabil im Fundament verankert sein. Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 25 Spezial: Wetterphänomen Sturm Sturmsicheres Bauen: Weiterführende Informationen und Regelungen Deutschland Abgesehen von der unten erwähnten DIN-Reihe 1055 existieren in Deutschland bisher keine verbindlichen Normen oder Vorschriften, um Sturmschäden an Gebäuden vorzubeugen. Die bauaufsichtlich eingeführte DIN 1055-4 „Windlasten“ beschreibt die Einwirkung von Windlasten auf Bauwerke, deren Bauteile und Anbauten und regelt Berechnungsverfahren. Weitere nationale Dokumente dieser Reihe wie auch Eurocode 1 „Einwirkungen-Windlasten“ sind zu finden unter der Internetadresse www.eurocode-online.de Die VdS Schadenverhütung GmbH, hat das Merkblatt „Sturm – eine Gefahr für bauliche Anlagen. Planungs- und Ausführungshinweise zur Schadenverhütung“ herausgegeben. Es ist gegen eine geringe Gebühr unter der NR. 2389 erhältlich. www.vds.de USA Für die USA hat die American Society of Civil Engineers bauliche Anforderungen zum Schutz vor Elementargefahren unter „Minimum Design Loads for Buildings and Other Structures“ als ASCE-Standard No. 7-05 eingeführt. www.asce.org Weltweit Das monatliche „Journal of Wind Engineering and Industrial Aerodynamics“ der International Association for Wind Engineering wendet sich weltweit gleichermaßen an Architekten, Bauingenieure und Meteorologen. Zu beziehen ist die Publikation unter ISSN: 0167-6105. Gerade für den „Florida Building Code“ – die Bauvorschriften des von Hurrikanen besonders betroffenen US-Bundesstaats – wurden nach den verheerenden Hurrikansaisonen der vergangenen Jahre etliche Ergänzungen eingefügt. www.floridabuilding.org Die American Association for Wind Engineering bietet auf ihrer Website mehrere Publikationen zum Thema Wind und windsicheres Bauen. Dazu gehören neben baulichen Richtlinien und Normen auch Veröffentlichungen über Windenergie oder zur Risikoeinschätzung von Hurrikanen. www.aawe.org Bewegliches gegen schlechtes Wetter schützen Gerüste, Kräne Gerüste und Kräne sind typische sturmgefährdete, temporäre Bauten, ebenso Traglufthallen (Hallen ohne Traggerüst, die durch Überdruck stabil sind) und Zelte. Gerade hier wird die so wichtige Verankerung im Boden oftmals nicht ausreichend beachtet. Die Folge: Nicht nur Gerüst oder Kran werden bei einem Sturm schwer beschädigt, es kommt auch zu Schäden in der näheren Umgebung, an geparkten Autos oder an anderen Gebäuden im Sturzbereich. Häufig werden dabei auch Menschen verletzt. Es bestehen folgende Möglichkeiten, Schäden vorzubeugen: – Ob bei Neubau oder Reparatur: eine sichere Verankerung der Gerüste an den Bauwerken. – Austausch abgenutzter, korrodierter oder sonstiger unsicherer Anlagenteile – sowie deren regelmäßige Kontrollen. – Bei Kränen, die auf Schienen laufen: sichere Verankerung des Fahrgestells mit Bolzen und Laschen auf dem Schienenfundament. – Bei Turmdrehkränen sollte man die Ausleger entriegeln, um sie flexibel in den Wind ausrichten zu können. – Generell bei Kränen: Tragfähigkeit des Untergrunds prüfen, vor allem mit Blick auf die stark einseitige Belastung bei Sturm. Notfalls ist es erforderlich, sie mit einer Seilabspannung zu sichern. 26 Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 Spezial: Wetterphänomen Sturm Kraftfahrzeuge, Wohnanhänger Gerade im Autokaskobereich ist die Versicherungswirtschaft bei jedem signifikanten Sturmereignis von umfangreichen Schäden betroffen. Die Summe der Kfz-Kaskoschäden beträgt in Regionen mit hoher Sach-Versicherungsdichte häufig 5–10 % des versicherten Gesamtschadens. Auf sich erst entwickelnden, neuen Märkten kann dieser Anteil auch deutlich höher sein. Schäden entstehen vor allem durch umstürzende Bäume oder herabfallende Äste, Dachplatten oder Fassadenteile. So kann man vorbeugen: – bei Sturm oder Unwetterwarnung: Fahrzeuge in Garagen unterstellen – bei Gefahr starker Sturmböen: besonders exponierte Straßenabschnitte und Brücken für große Lastwagen und Wohnanhänger sperren – auf Campingplätzen: Wohnanhänger mit Abspannungen sichern – in hagelexponierten Gebieten: Autolager mit Hagelnetzen schützen – generell: Schäden schnell reparieren, um Korrosion und andere Folgeschäden zu vermeiden Durch vorsorgende Maßnahmen lassen sich Sturmschäden erheblich reduzieren oder sogar verhindern. Die wirksamste Prävention jedoch ist, Infrastruktureinrichtungen sowie alle Bauwerke samt ihrer einzelnen Komponenten bereits im Vorfeld windresistent zu planen. Landnutzungsbeschränkungen für stark exponierte Gebiete, etwa in unmittelbarer Küstennähe, kommt ebenfalls eine besondere Bedeutung zu. Stürmischen Zeiten entgegen Fest steht: Ob Hurrikane in den USA oder Winterstürme in Europa – Schäden aus Sturmereignissen werden weltweit ansteigen. Die erwarteten Schäden in Abhängigkeit ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit verdeutlicht Abb. 6 eindrucksvoll. Wie kommt es zu diesem Anstieg? Verantwortlich zu machen sind die zunehmende Wertedichte, aber auch die Veränderungen von Wettermustern durch die globale Erwärmung der Atmosphäre. Dabei gibt es kaum eine Versicherungssparte, die ein derart hohes Schadenpotenzial (bezogen auf ein einzelnes Schadenereignis) birgt wie die Sturmversicherung. Versicherungsbedingungen haben einen nicht unerheblichen Einfluss auf das Verhalten von Öffentlichkeit, Industrie und Behörden, daher ist es nicht zuletzt auch die Aufgabe der Assekuranz, sich für einen effektiveren Schutz einzusetzen. Welche Maßnahmen im Einzelfall geeignet sind, welche Preise und Bedingungen das Risiko adäquat abdecken – all dies gilt es zu klären. Gerade die Zeit der „Ruhe vor dem Sturm“ bietet die passende Gelegenheit, sich auf eine sich ändernde Risikosituation einzustellen – wenn es bereits stürmt, ist es wieder einmal zu spät. Abb. 6 Stürme weltweit: erwartete Schäden in Abhängigkeit ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit US$ Mrd. 300 250 200 150 100 50 100 200 Hurrikan USA 300 400 Sturm Europa 500 600 700 800 900 1 000 Jahre (Wiederkehrperiode) Betrachtet man die zu erwartenden Schäden in Abhängigkeit der Eintrittswahrscheinlichkeit bzw. Wiederkehrperiode, wird deutlich, dass Hurrikane auf dem US-amerikanischen Kontinent die teuerste Sturmgefahr darstellen. Was zum einen an ihren über große Flächen potenziell sehr hohen Windgeschwindigkeit liegt, zum anderen an der Konzentration von Werten in Küstenregionen der USA, etwa der Golf- bzw. Südostküste (z. B. Florida). Beide Faktoren sind weder in Europa noch in Japan in dieser Kombination gegeben. Taifun Japan Quelle: Münchener Rück Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 27 Spezial: Wetterphänomen Sturm Weltkarte der Stürme: von tropisch bis winterlich Lokaler Sturm (Tornado) 40°N Außertropischer Sturm (Wintersturm) Außertropischer Sturm (Wintersturm) Tropischer Wirbelsturm (Hurrikan) 0° 40°S Außertropische Stürme (Hauptzugbahnen) Tropische Stürme (Hauptzugbahnen) Tornados (Hauptvorkommen) Außertropischer Sturm (Wintersturm) Beaufort-Skala Tropischer Wirbelsturm (Hurrikan, Taifun, Zyklon) Saffir-Simpson-Hurrikan-Skala m/s km/h mph Knoten Stärke m/s km/h mph Knoten Stärke 0–0,2 0–1 0–1 0–1 0 32,7–42,6 118–153 73–95 64–82 1 0,3–1,5 1–5 1–3 1–3 1 42,7–49,5 154–177 96–110 83–96 2 1,6–3,3 6–11 4–7 4–6 2 49,6–58,5 178–209 111–130 97–113 3 3,4–5,4 12–19 8–12 7–10 3 58,6–69,4 210–249 131–155 114–134 4 5,5–7,9 20–28 13–18 11–15 4 69,5– 250– 156– 135– 5 8,0–10,7 29–38 19–24 16–21 5 10,8–13,8 39–49 25–31 22–27 6 13,9–17,1 50–61 32–38 28–33 7 17,2–20,7 62–74 39–46 34–40 8 20,8–24,4 75–88 47–54 41–47 9 m/s km/h mph Knoten Stärke 24,5–28,4 89–102 55–63 48–55 10 25,0–34,5 90–124 56–77 47–67 1 28,5–32,6 103–117 64–72 56–63 11 34,6–47,0 125–169 78–105 68–91 2 32,7– 118– 73– 64– 12 47,1–62,3 170–224 106–139 92–121 3 62,4–77,6 225–279 140–173 122–150 4 280– 174– 151– 5 Australian-Tropical-Cyclone-Severity-Skala 77,7– 28 Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 Spezial: Wetterphänomen Sturm Exemplarische Zugbahnen der verschiedenen Sturmtypen: Tropische Wirbelstürme entwickeln sich meist im tropischen und subtropischen Atlantik oder Pazifik und ziehen im späteren Verlauf auf das Festland. Winterstürme dagegen bewegen sich als Tiefdruckwirbel im Übergangsbereich zwischen polarer Kaltluft und den subtropischen Warmluftmassen. Die verheerenden Tornados treten sehr kleinräumig auf – ihr Durchmesser reicht von wenigen dutzend bis hin zu mehreren hundert Metern. Zur Klassifikation der Sturmtypen werden aufgrund ihrer unterschiedlichen Windgeschwindigkeiten individuelle Messskalen benötigt. Bedeutende historische Sturmereignisse: 40°N Tropischer Wirbelsturm (Taifun) Tropische Wirbelstürme 1970 Zyklon/Sturmflut, Bangladesch 1974 Zyklon Tracy, Australien 1983 Hurrikan Alicia, USA 1991 Zyklon/Sturmflut, Bangladesch 1991 Taifun Mireille, Japan 1992 Hurrikan Andrew, USA 1998 Zyklon 03A, Indien 1998 Hurrikan Mitch, Mittelamerika 2005 Hurrikan Katrina, USA Außertropische Stürme (Winterstürme) 1976 Wintersturm Capella, Europa 1990 Winterstürme Daria, Vivian, Wiebke, Europa 1999 Winterstürme Anatol, Martin und Lothar, Europa 2007 Wintersturm Kyrill, Europa 0° Lokale Stürme (Tornados, Gewitter/Hagel) 1984 Hagelsturm, Deutschland 2003 Tornadoserie, USA Tropischer Wirbelsturm (Zyklon) 40°S Grafik: Münchener Rück Lokaler Sturm (Tornado) TORRO-Skala Fujita-Tornado-Skala m/s km/h mph Knoten Stärke m/s km/h mph 17–24 61–86 39–54 33–47 0 17,8–32,4 64–116 40–72 35–63 0 25–32 87–115 55–72 48–63 1 32,5–50,2 117–180 73–112 64–97 1 33–41 116–147 73–92 64–80 2 50,3–70,3 181–253 113–157 98–136 2 42–51 148–184 93–114 81–100 3 70,4–92,2 254–332 158–206 137–179 3 52–61 185–220 115–136 101–119 4 92,3–116,3 333–418 207–260 180–226 4 62–72 221–259 137–160 120–140 5 116,4–142,3 419–512 261–318 227–276 5 73–83 260–299 161–186 141–162 6 142,4–169,4 513–610 319–379 277–329 6 84–95 300–342 187–212 163–185 7 8 96–107 343–385 213–240 186–208 108–120 386–432 241–269 209–233 9 121–134 433–482 270–299 234–260 10 0 km/h 100 km/h 200 km/h 300 km/h 400 km/h Knoten Stärke 500 km/h Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 29 Spezial: Wetterphänomen Sturm Chronologie der verheerendsten Stürme von 1970 bis 2007 (alle Schadensummen in Originalwerten) Tropische Wirbelstürme 1970 Zyklon/Sturmflut, Bangladesch In Bangladesch sterben im November 1970 beim bislang tödlichsten Wirbelsturm rund eine halbe Million Menschen. Nach der Katastrophe werden Notunterkünfte ausgebaut und Frühwarnsysteme verbessert. 1974 Zyklon Tracy, Australien Ein Weihnachtsfest, das den Australiern in schrecklicher Erinnerung bleiben wird: Zyklon Tracy verwüstet am 24. und 25. Dezember 1974 große Teile Darwins, der nördlichsten Stadt des Kontinents. 1983 Hurrikan Alicia, USA Alicia verursacht im August 1983 den ersten Sturmschaden jenseits der Milliardengrenze: 3 Milliarden US$ Gesamtschaden, davon 1,5 Milliarden versichert. Und erstmals macht das National Hurricane Center Angaben zur LandfallWahrscheinlichkeit: ein Meilenstein der Sturmvorhersage. 1991 Zyklon/Sturmflut, Bangladesch Gut 20 Jahre nach der Katastrophe von 1970 wird Bangladesch erneut von einem schweren Sturm heimgesucht: Fast 10 % der Gesamtbevölkerung werden im April 1991 durch einen Zyklon mit Windstärken von bis zu 250 km/h obdachlos. 1991 Taifun Mireille, Japan Massive Gebäude- und Ernteschäden sind die Folge, als Mireille im September 1991 über Japan zieht. Mit versicherten Schäden von 7 Milliarden US$ ist es für die Assekuranz der teuerste Sturm in der Geschichte Japans. 1992 Hurrikan Andrew, USA Mit 17 Milliarden US$ bis dato der größte Versicherungsschaden weltweit. Für eine Reihe von Erstversicherern auch das letzte Schadenereignis: Sie mussten nach Andrew Insolvenz anmelden. 1998 Zyklon 03A, Indien 03A ist im Juni 1998 einer der stärksten Zyklone in Indien seit 25 Jahren – mit 1,7 Milliarden US$ ist er auch der teuerste Sturm Indiens aller Zeiten. Der Grund dafür sind die vielen betroffenen Industrieanlagen: Raffinerien, Tanks, Häfen und Windfarmen. 1998 Hurrikan Mitch, Mittelamerika Mitch ist im Oktober/November 1998 der traurige Höhepunkt einer überaus aktiven Hurrikansaison im Atlantik – die Zahl der Todesopfer ist die höchste seit über 200 Jahren: 9 700 Menschen in Mittelamerika verlieren ihr Leben. Hauptsächlich betroffen sind Honduras und Nicaragua. 2005 Hurrikan Katrina, USA Hurrikan Katrina verwüstet im August 2005 Teile der Golfküste und die Stadt New Orleans. Mit 125 Milliarden US$ entsteht der höchste Gesamtschaden aller Zeiten durch einen Hurrikan. Auch der versicherte Schaden von 62 Milliarden US$ setzt eine neue Rekordmarke – Katrina wird für die Assekuranz zum bislang teuersten Sturm. 30 Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 Spezial: Wetterphänomen Sturm Außertropische Stürme Lokale Stürme 1976 Wintersturm Capella, Europa Sturmflut, Deichbrüche, Schneeverwehungen. Wintersturm Capella hinterlässt im Januar 1976 1,5 Millionen geknickte Bäume und rund 600 Millionen € versicherten Gesamtschaden. 1990 Winterstürme Daria, Vivian, Wiebke, Europa Im milden Winter 1990 zieht eine Sturmserie über Europa. Mit 4,4 Milliarden € ist Daria der bis dato höchste versicherte Orkanschaden – erstmals wird zu diesem Zeitpunkt auch der Zusammenhang zwischen Extremereignissen und der Klimaänderung thematisiert. 1984 Hagelsturm, Deutschland Am 12. Juli 1984 richtet ein Hagelsturm mit rund 1,5 Milliarden € den volkswirtschaftlich größten Hagelschaden in Deutschland an, wovon nur etwa die Hälfte versichert ist. Der 300 km lange Hagelzug mit Körnern in Tennisballgröße trifft vor allem München. 1999 Winterstürme Anatol, Martin und Lothar, Europa Unter dem Titel „Dezemberstürme“ wachsen sich die drei Orkane zu einer immensen Naturkatastrophe aus. Allein Lothar zerstört über 100 Millionen Bäume. Weil sich das Wissen über Eintrittswahrscheinlichkeiten großer Sturmschäden in Europa mittlerweile verbessert hatte, trifft Lothar die Assekuranz trotz seiner Schadensumme von 5,9 Milliarden € nicht unerwartet. 2007 Wintersturm Kyrill, Europa Große Teile West-, Mittel- sowie Gebiete Osteuropas sind vom 18. bis 20. Januar 2007 von Kyrill betroffen: Zeitweilig ist die Stromversorgung für über eine Million Menschen unterbrochen. Flüge werden gestrichen, Fährverbindungen und Bahnverkehr eingestellt und etliche Straßen gesperrt. Der versicherte Schaden: 4,5 Milliarden €. 2003 Tornadoserie, USA Im Mai 2003 registrieren Meteorologen in den USA mit 562 Tornados einen neuen Rekord. In mehreren Bezirken in Kansas und Missouri wird der Notstand ausgerufen. Die Schneisen der Zerstörung, welche die Wirbelstürme hinterlassen, sind teilweise bis zu 400 m breit. Die Assekuranz trifft es mit 3,2 Milliarden US$. Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 31 Spezial: Wetterphänomen Sturm Hurrikan Wilma – Regulierung von Betriebsunterbrechungsschäden Autoren Richard Gross, Cunningham Lindsey, México SA de CV, Mexiko-Stadt, Josef Probst, München Eine Betriebsunterbrechungsversicherung soll Versicherungsnehmer nach einem Schaden so stellen, als hätte er sich nicht ereignet. Diese einfache Aussage birgt in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten, wie das Beispiel des Hurrikans Wilma zeigt: Mit rund 1,75 Milliarden US$ ver ursachte der Wirbelsturm die größten versicherten Katastrophenschäden in der Geschichte Mexikos. Am 21. Oktober 2005 traf Hurrikan Wilma auf die Insel Cozumel vor der Ostküste der mexikanischen Halbinsel Yucatán. 48 Stunden lang ließ er nicht von der Region ab und verursachte auf Cozumel sowie entlang der Riviera Maya bis hinauf zur Stadt Cancún große Schäden. Nachdem der Sturm in Richtung Florida abgezogen war, zeigte sich das Ausmaß der Katastrophe: Viele touristische Einrichtungen und Hotels waren schwer beschädigt. Hauptschadenmerkmale waren eingedrückte Fensterfronten, zerstörte Dächer sowie korrosives Salzwasser, das in die beschädigten Gebäude eindrang. Das augenfälligste Zeichen der Verwüstung: Der feine helle Sand, für den die Strände Cancúns berühmt sind, war fast vollständig verschwunden; ein Phänomen, das zuletzt 1988 nach Hurrikan Gilbert beobachtet wurde – damals allerdings weniger stark ausgeprägt. Wilma verursachte die größten versicherten Katastrophenschäden in der Geschichte Mexikos: insgesamt rund 1,75 Milliarden US$. Erst- und Rückversicherer sahen sich einer komplexen Schadensituation gegenüber: Wilma hatte in einer Region gewütet, die nur vier Monate zuvor bereits Hurrikan Emily getroffen hatte. Viele Schäden an Hotels und touristischer Infrastruktur waren noch nicht vollständig behoben, als der neue Wirbelsturm das Gebiet traf. Daher war es häufig sehr schwer zu entscheiden, welche Schäden auf sein Konto gingen. Insbesondere bei der Berechnung von Betriebsunterbrechungsentschädigungen kam es zu großen Überschneidungen. Viele Hotels in Cancún bemühten sich, den Betrieb innerhalb kürzester Zeit wieder aufzunehmen. Sie hatten anfangs damit zu kämpfen, dass qualifizierte Handwerker und Baumaterialien fehlten. Diejenigen Hoteleigentümer, die nach ihren Erfahrungen mit Hurrikan Gilbert eine BU-Versicherung abgeschlossen hatten, erkannten, dass es Monate dauern würde, bis wieder so viele Urlauber wie zuvor in die Region kämen. Daher nutzten viele Abb. 1 Ferienparadies Yucatán Tizimín Cancún a Mérida er aM ay Valladolid Ri vi Yucatán Campeche Campeche Grafik: Münchener Rück 32 Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 Quintana Roo Cozumel Die 600 km lange und 450 km breite Halbinsel Yucatán trennt den Golf von Mexiko vom Karibischen Meer. Sie liegt nur wenige Meter über Meeresniveau. Seit den 70er-Jahren hat sich ihre östliche Küste, die Riviera Maya, in ein Ferienparadies verwandelt. Der Hauptort Cancún wurde zu einem Touristenmagneten mit derzeit über 24 000 Hotelzimmern. Häuser großer internationaler Ketten finden sich überwiegend entlang des Boulevard Kukulkán auf einem schmalen Landstreifen mit feinen hellen Sandstränden. Spezial: Wetterphänomen Sturm Hurrikan Wilma trifft auf die mexikanischen Halbinsel Yucatán. In nur 15 Stunden war aus einem harmlosen Tropensturm der stärkste Hurrikan seit Beginn der Aufzeichnungen 1851 geworden. Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 33 Spezial: Wetterphänomen Sturm Abb. 2 Zugbahn des Hurrikans Wilma SS: Saffir-Simpson-Hurrikanskala Windgeschwindigkeit in km/h • Dallas •Houston• New Orleans • Miami • Mexiko-Stadt Tropischer Sturm (< 118 km/h) SS1 (118–153 km/h) SS2 (154–177 km/h) SS3 (178–209 km/h) SS4 (210–249 km/h) SS5 (≥ 250 km/h) • Guatemala-Stadt Grafik: Münchener Rück Nach Katrina und Rita war Wilma 2005 bereits der 21. tropische Wirbelsturm und der 13. Hurrikan – so viele gab es nicht einmal in den Rekordjahren 1933 und 1969. Mit Spitzenböen von bis zu 350 km/h raste er über das offene Meer, der Luftdruck in seinem Kern sank auf bis zu 882 hPa – das hatte man im Atlantik noch nie zuvor beobachtet. Wilma entstand südwestlich von Jamaika und zog über die Karibik in nordwestlicher Richtung auf die Nordspitze Yucatáns zu. Der Wirbelsturm hatte etwa die Größe Deutschlands, als er am 21. Oktober 2005 mit mittleren Windgeschwindigkeiten von 230 km/h auf die Insel Cozumel vor der Ostküste Yucatáns traf. Kurios: Wegen der geringen Zuggeschwindigkeit des Hurrikans von Hoteliers die Gelegenheit und führten umfangreiche Umbau- und Erneuerungsmaßnahmen durch. In einigen Fällen wurden Anlagen sogar komplett umgestaltet und unter neuem Namen wieder eröffnet. Schadenbearbeitung Bei Wilma war es für die Versicherer oftmals mühsam, die Kosten für Umbaumaßnahmen von den Reparaturkosten der Hurrikanschäden abzugrenzen. Noch schwieriger war es festzustellen, welche dieser Schäden Teil einer versicherten Betriebsunterbrechung waren. Dafür ist nur relevant, wie lange die Reparaturen dauern, nicht aber die für die zusätzlichen Umbauten aufgewendete Zeit. Einige Hotelbetreiber argumentierten, dass die Umbauarbeiten gleichzeitig mit den Schadenreparaturen durchgeführt wurden und sich die Betriebsunterbrechung dadurch nicht verlängert habe. Für größere Umbau- bzw. Umgestaltungsmaßnahmen traf das jedoch nicht zu. 34 Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 nur rund 6 km/h befand sich Cozumel etwa zwei Stunden lang unter dem etwa 50 km breiten Auge des Sturms – bei Sonnenschein und Windstille. Da Menschen unmittelbar gefährdet waren, starteten mexikanische Behörden einen umfangreichen Evakuierungsplan. Urlauber, denen es nicht gelang, die Region rechtzeitig zu verlassen, suchten in den zahlreichen Schutzunterkünften Zuflucht. Noch problematischer war, wie der tatsächliche Ertragsausfall berechnet werden sollte, den die BU-Versicherung deckt. Das Verfahren, das hier üblicherweise angewendet wird, vergleicht die während der Betriebsunterbrechung erwarteten Einnahmen mit denen des Vorjahreszeitraums. Mögliche saisonale Abweichungen gegenüber den Vorjahren werden herausgerechnet. Versicherer können so feststellen, was sich im Vergleich zu den Vorjahren möglicherweise einnahmemindernd auswirkt und somit die Erstattungsleistung verringert – etwa der Attraktivitätsverlust einer Region (loss of attraction). Mindereinnahmen, die dadurch entstehen, decken BU-Versicherungen nicht. Vielmehr ist ein Sachschaden an eigenem Hab und Gut Voraussetzung dafür, dass eine BU-Police greift. Dies gilt allerdings nicht für den Verlust des attraktiven Sandstrands, auf den einige Versicherungsnehmer hinwiesen. Denn der ist mexikanisches Staatseigentum. Spezial: Wetterphänomen Sturm Geschädigte hingegen können das, was sich auf ihr Geschäft auswirkt, in die Kalkulation der Entschädigungsleistung einbeziehen. Ein Beispiel ist der Steigerungstrend, den die meisten Hoteleigentümer bei ihren prognostizierten Einnahmen zur Berechnung der BU-Schäden berücksichtigten. Bei Wilma schätzten sie die zu erwartenden Einnahmen und Übernachtungszahlen auf der Grundlage historischer Daten. Dabei rechneten sie mit ein, dass Cancún in den letzten Jahren immer mehr Touristen hatte. Besonders die wachsende Zahl einheimischer Gäste in der Nebensaison führte dazu, dass sich Haupt- und Nebensaison bei der Hotelbelegung sehr stark angeglichen hatten. Die operativen Mindereinnahmen der Hotels berechneten sich aus der Differenz von hypothetischen und tatsächlichen Umsätzen. Um die versicherte Schadenhöhe festzustellen, multiplizierte man den Einnahmeausfall mit einem Bruttogewinnfaktor. Einige internationale Schadenregulierungsfirmen argumentierten gegen einen solchen Steigerungstrend: Sie versuchten, durch einen Korrekturfaktor, der die geringere touristische Attraktivität Cancúns infolge des Hurrikans widerspiegeln sollte, die prognostizierten Einnahmen auf ein realistisches Niveau zu senken. Denn angesichts der Situation in Cancún nach Wilma war klar, dass selbst ein völlig unbeschädigtes Hotel nach dem Sturm kaum Einnahmen auf dem alten Niveau erzielen würde – ganz zu schweigen von den projizierten Steigerungen. Der Grund: Die Medien hatten ausführlich über die zerstörten Strände berichtet. Außerdem waren zahlreiche touristische Einrichtungen (Wasserparks, Bars, Nachtclubs und Restaurants) beschädigt. Wie bereits oben beschrieben, deckt eine BU-Police nicht Mindereinnahmen, die ein derartiger Attraktivitätsverlust verursacht. Der feine Sand, für den die Strände Cancúns bekannt sind, ist nach Hurrikan Wilma völlig verschwunden (Bild oben). Etwa ein halbes Jahr nach der Verwüstung kann der Strand wieder touristisch genutzt werden (Bild unten). Bei der Überprüfung der Vorjahreseinnahmen und -übernachtungen von Hotels in Cancún stellte sich zudem heraus, dass bereits im September 2004 das Geschäft deutlich zurückgegangen war – allein wegen der Befürchtungen, dass Hurrikan Jeanne die Stadt treffen könnte, was jedoch nicht der Fall war. Wenn bereits die Angst vor einem Hurrikan Umsatzeinbußen bei Hotels zur Folge haben konnte, wäre bei einer tatsächlichen Verwüstung der Region zu erwarten gewesen, dass der Rückgang noch deutlicher ist – auch wenn die betreffenden Hotels von unmittelbaren Schäden verschont geblieben wären. Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 35 Spezial: Wetterphänomen Sturm Besondere Aspekte bei BU-Policen – Auslegung des Policenwortlauts Das Grundprinzip der BU-Deckungen ist, dass sie an eine Sachdeckung gekoppelt sind, die ihnen zugrunde liegt. Bei der Auslegung der BU-Wordings kommt es allerdings häufig zu Meinungsverschiedenheiten und Konflikten – gerade bei größeren, kostspieligen Schäden. Das gilt insbesondere für Märkte, auf denen diese Deckungsform noch nicht so bekannt ist. Bei einem Streitfall verschärft sich dieses Problem, wenn – es in der jeweiligen lokalen Rechtsprechung keine oder nur wenige Vergleichsfälle gibt, an denen man sich orientieren kann. – keine verlässlichen, bewährten Policentexte verwendet werden. – Märkte/Länder mit besonders verbraucherfreundlicher Gerichtsbarkeit konfrontiert sind. Zu den oft unrealistischen Schadenforderungen kommt nicht selten, dass Rechtsberater bestehende oder vermeintliche Lücken in den Policenbedingungen nutzen, um eine maximale Erstattungsleistung herauszuholen. Bei gerichtsanhängigen Fällen ist dann wiederum mit Entscheidungen von Richtern zu rechnen, die in dieser speziellen Materie eher wenig Erfahrung haben. Diese Aspekte können sehr wichtig sein und sollten bei der Risikobeurteilung und der Akzeptpolitik berücksichtigt werden. Die BU-Versicherungssumme sollte individuell und hinreichend genau für jedes Einzelrisiko ermittelt werden. Abgesehen von eingeschränkten Deckungen (z. B. allein für Fixkosten oder Deckungen ausschließlich für Mehrkosten) sollte die Versicherungssumme daher den betrieblichen Bruttogewinn (Fixkosten plus Nettogewinn) widerspiegeln. Der Versicherungsnehmer sollte über den Umfang und die Möglichkeiten, die seine BU-Deckung bietet, besonders gut informiert sein. Versicherungsnehmer, Versicherer und Makler sollten sich idealerweise von vornherein über das Vorgehen im Schadenfall klar sein, Aktionen und Schadenminderungsmaßnahmen planen und potenzielle, kompetente Schadengutachter bestimmen. Dies hilft im Schadenfall nicht nur, schnell zu reagieren, sondern auch potenzielle Konflikte gar nicht erst entstehen zu lassen. Unstrittig ist, dass insbesondere bei BUDeckungen ein enges kooperatives Verhältnis zwischen den Parteien präventiv schadenmindernd wirken kann und sollte. 36 Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 Das Einkaufzentrum „La Isla“ nach Hurrikan Wilma (Bild oben) – schwer beschädigt. Etwa ein Jahr später ist das Zentrum wieder aufgebaut (Bild unten). Spezial: Wetterphänomen Sturm Statistiken zu Wilma zeigten tatsächlich, dass im Vergleich zu früheren Jahren deutlich weniger Gäste am internationalen Flughafen Cancún eintrafen und die Übernachtungszahlen selbst bei Hotels, die keine oder nur geringfügige Schäden aufwiesen, insgesamt zurückgingen (Abb. 3). Angesichts solcher Daten sahen es einige Schadenregulierer letztlich als gerechtfertigt an, bei der Ermittlung der BU-Entschädigung einen Korrekturfaktor anzusetzen. Das stieß bei vielen Versicherungsnehmern auf erbitterten Widerstand. Auch bei einigen mexikanischen Versicherern fand das Argument wenig Zustimmung. Also korrigierte man bei der Mehrzahl der BU-Schäden letztlich nicht und regulierte viele Schäden noch vor Ablauf der Haftzeit auf der Basis von Hochrechnungen. Sowohl dem Schadenregulierer als auch dem Versicherer und dem Makler muss von vornherein klar sein, wie eine mögliche Entschädigung bei einem BU-Schadenfall berechnet wird. Unklare Vertragsformulierungen machen den Schadenregulierungsprozess tendenziell unnötig kompliziert und konfliktträchtig. Die Konsequenz: Versicherer müssen häufig Schadenzahlungen leisten, die über das hinausgehen, was bei Vertragsabschluss beabsichtigt war. Weiterführende Informationen Informationen zum Thema bietet auch unsere Broschüre „Schadenmanagement bei Naturkatastrophen – Erfahrungen, Analysen, Aktionspläne“, die sie auf unserer Homepage www.munichre.com als PDF herunterladen oder bestellen können. Fazit Oftmals unklare Vertragsformulierungen erschwerten die Bemühungen erheblich, die Schäden gemäß dem Grundgedanken und Zweck der BUDeckung zu regulieren. Viele Versicherer sahen sich sogar gezwungen, Entschädigungsforderungen zu akzeptieren, die ihrer Meinung nach über die eigentliche Leistungspflicht hinausgingen. Das zeigt: Will man BU versichern, ist es wichtig, dass die Policen eindeutig formuliert sind. Schließlich hat man es hier oft mit äußerst komplexen Sachverhalten zu tun, bei denen viele Faktoren hineinspielen und sich möglicherweise gegenseitig beeinflussen. Abb. 3 Hotelbelegungen in Cancún 2003–2007 Prozent 100 80 60 40 20 0 Jan. Feb. 2003 März April 2004 Mai Juni Juli 2005 Quelle: Cunningham Lindsey México SA de CV, Mexiko-Stadt Aug. 2006 Sept. Okt. 2007 Nov. Dez. Deutlich erkennbar: Hurrikan Wilma ließ die Belegungszahlen zu Beginn der Hochsaison im Oktober 2005 einbrechen. Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 37 Havarie im Ärmelkanal: Die MSC Napoli nach dem Wintersturm Kyrill. Schiff und Ladung – über 2 000 Container – müssen sicher geborgen werden. Spezial: Wetterphänomen Sturm Wintersturm Kyrill – die MSC Napoli Autorin Vera Maria Schneider, München Stürme sind mit ihrer Urgewalt eines der großen Risiken für die Seeschifffahrt. Sie kosten die Versicherer hohe Millionenbeträge. Die Haftungsfragen zu klären ist dabei oft mindestens so komplex wie manche der aufwendigen Bergungsaktionen. Der Seenotruf der MSC Napoli ging am 18. Januar 2007 um 10.30 Uhr ein. Sie war in den Wintersturm Kyrill geraten. Die zuständige Küstenwache begriff schnell, dass ein langer und schwieriger Einsatz bevorstand: Denn die havarierte MSC Napoli war ein 275 m langes, 37 m breites Containerschiff (53 409 BRZ), beladen mit 2 318 Containern. Einige enthielten Gefahrgut. Wenige Stunden zuvor hatte die MSC Napoli den Hafen von Antwerpen verlassen, um an Portugal vorbei nach Südafrika zu fahren. An der engsten Stelle des Ärmelkanals geriet das mit einem Kaskowert von 45 Millionen US$ versicherte Schiff in den Wintersturm Kyrill, einen der heftigsten Winterstürme über Nordeuropa im Jahr 2007. Das Schiff geriet in Seenot – Wasser drang in den Maschinenraum ein. Die MSC Napoli war manövrierunfähig. 38 Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 Gemeinsam starteten britische und französische Küstenwachen eine Rettungsaktion. Vier Hubschrauber, zwei Schlepper und ein Seenotrettungskreuzer versuchten, das havarierte Schiff zu retten. Bei zwölf Meter hohen Wellen und Windböen von über 110 km/h wurde zunächst die Besatzung per Seilwinde an Bord der Hubschrauber gebracht und dann an Land geflogen. Ein französischer Schlepper zog die MSC Napoli in Richtung Portland. Dieser Hafen schien am besten geeignet, um den Frachter aufzunehmen. Doch die Risse vergrößerten sich, der Rumpf drohte auseinanderzubrechen. Die Maritime and Coastguard Agency (MCA) entschied daher, das Schiff vor der Küste von Devon in der Nähe von Sidmouth in der Lyme Bay auf Grund zu setzen. Damit sollte die Wahrscheinlichkeit von Umweltschäden durch austretendes Schweröl gesenkt und ein Auseinanderbrechen des Schiffs verhindert werden. In der seichten Bucht schien es zudem am einfachsten, möglichst viele der Container zu bergen – was später tatsächlich gelang. Spezial: Wetterphänomen Sturm Containerschiffe Extreme Beanspruchung Containerschiffe sollen so profitabel wie möglich sein. Unter dem Druck wirtschaftlicher Erwägungen wächst die Ladekapazität mit jeder neuen Schiffsgeneration. Moderne Schiffe stapeln bis zu acht Schichten Container auf Deck, rund zehn Lagen verschwinden im Schiffsbauch. Schon heute sind Schiffe in Fahrt, die über 10 000 TEU laden können, neue mit bis zu 15 000 TEU sind bereits in Planung. Die exponierten Container auf Deck bilden eine hohe und breite, fast durchgängige Metallfront, die überkommendem Wasser und stürmischen Böen eine riesige Angriffsfläche bietet. Schon in ruhigem Fahrwasser sind die Containerschiffe und ihre Ladung hohen Beschleunigungs- und Bremskräften ausgesetzt. Bei rauer See und starkem Wind verstärken sie sich erheblich. Das Material von Schiff und Ladung wird dabei stark beansprucht. Natürlich sind Schiffe grundsätzlich so konstruiert, dass sie den „perils of the sea“ (Seegefahren) ohne Weiteres standhalten können. Trotzdem tragen die Wetterbedingungen bei vielen Unglücken zur Schadenursache bei. Oft spielen mehrere Faktoren zusammen: Sturm, Material(vor)schäden und menschliches Versagen führen letztlich zum Schadenereignis. Zeitweise drückte der anhaltende Sturm das nun auf Grund liegende Schiff in eine Steuerbordschlagseite von bis zu 35°. Mehr als 110 Container gingen über Bord. Knapp 100 davon spülte das Meer an Land. Die Bilder von Plünderern gingen um die Welt. Erst durch weiträumige Absperrungen bekam die Polizei die Situation unter Kontrolle. Währenddessen kämpften die Berger weiter um das Schiff und seine Ladung. Die rund 3 500 t Öl aus den Tanks der MSC Napoli wurden in ein Tankschiff gepumpt. Gleichzeitig begann man, die Container mithilfe eines gecharterten, mit Schwerlastkränen ausgestatteten Pontons zu löschen. Die Container, die von der MSC Napoli gerettet wurden, schlug man auf ein Container-Shuttle-Schiff, das sie in den Hafen von Portland transportierte. Durch Abpumpen und Löschen der Ladung stabilisierten die Berger den Frachter in einer Neigung von rund 10°. Ein Landungsschiff sammelte unterdessen die angespülten Container. An der Küste musste ein Behelfshafen mit Lagerplätzen und Containerreinigungsanlagen eingerichtet werden. Allgemeiner Trend zur Kostensteigerung Mit steigenden Schiffs- und Ladungswerten erhöht sich auch das Risiko im Schadenfall. Während Totalverluste eher rückläufig sind, werden Teilschäden immer teurer. Nicht nur Schiff und Ladung sind wesentliche Schadenbeträge, sondern häufig auch ihre Bergung. Ein Beispiel aus dem ersten Quartal 2007 für aufwendige Bergungs- bzw. Rettungsversuche und damit hohe Schadenbelastungen über den eigentlichen Kaskowert ist das Baggerschiff W. D. Fairway, das am 8. März vor der chinesischen Küste mit dem Containerschiff MSC Joanna kollidierte. Versicherungswert: über 150 Millionen US$. Im Fall der Mighty Servant 3, eines Halbtauchers, dauerte die Bergung mehrere Monate und kostete die Versicherer zweistellige Millionenbeträge. Das Schiff war am 6. Dezember 2006 vor der Küste Luandas, Angola, gesunken und wurde aus 52 m Tiefe geholt. Dazu wurde es mit komprimierter Luft befüllt und mithilfe eines Krans geborgen. Hohe Bergungskosten dürften auch für die New Flame entstehen, einen Schüttgutfrachter, der am 22. Dezember 2006 vor Gibraltar nach einer Kollision auf Grund lief und auch mit mehreren Versuchen nicht wieder flottgemacht werden konnte. Schließlich musste er mit einem aufwendigen Schneidverfahren in zwei Teile zerlegt werden. Eines der Teile liegt wegen widriger Wetterbedingungen noch immer vor Ort und wartet auf Bergung. Der Frachter Pasha Bulker, der am 8. Juli 2007 als eines von mehreren Schiffen vor Newcastle, Australien, in stürmischem Wetter auf Grund lief, konnte erst nach mehr als zwei Monaten und einigen Versuchen wieder flott gemacht werden. Er musste dann allerdings bis nach Asien ins Trockendock geschleppt werden. Die meisten dieser Bergungen gehen schnell in zweistellige Millionenbeträge. Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 39 Spezial: Wetterphänomen Sturm MSC Napoli – entstandener Schaden Die Bergung der MSC Napoli ist ein prominentes Beispiel für den allgemeinen Trend zur Kostensteigerung bei Schiffsbergungen, denn so gut diese im Ergebnis – zumindest was die Waren betrifft – auch verlief, die International Group of P&I Clubs (Zusammenschluss der Protection-&-IndemnityVersicherer) trafen hohe Kosten. Sie liegen weit über dem, was bisher als „üblich“ bezeichnet werden konnte. Zur Kostenexplosion bei der MSC Napoli trug bei, dass die Bergung ein langwieriges Unterfangen war. Zunächst war lange unklar, ob das Schiff als Totalverlust oder als konstruktiver Totalverlust (constructive total loss, CTL) zu bewerten ist. Nach Untersuchungen der beauftragten Gutachter gelangten die Versicherer zu dem Schluss, dass tatsächlich ein CTL vorliegt. Ging man im ersten Halbjahr 2007 noch davon aus, dass man die MSC Napoli würde abschleppen können, zeigte sich im Laufe der Bergungsaktion, dass sie in einem Stück nicht von ihrem Lageplatz zu entfernen war. Sie wurde deshalb im Sommer 2007 in zwei Teile gesprengt, die einzeln der Verwertung zugeführt werden. Auch im Hinblick auf die Waren gibt es bei einem Schadenereignis wie dem der MSC Napoli nur langsam Klarheit: Inwieweit die Ladung beschädigt wurde, ist bis heute noch nicht in allen Fällen geklärt. Da jeder Container geöffnet und separat untersucht werden muss, braucht es viel Zeit, um die Warenschäden zu evaluieren. Nicht immer findet sich der Empfänger oder Absender der Ware, oder nicht immer will er gefunden werden, da er möglicherweise Kosten für Entsorgung und/oder Bergung tragen muss. Spektakuläre Bergung: Vor der Küste von Devon bereitet sich ein Ponton mit Schwerlastkränen vor – er wird die Ladung aufnehmen. Die Berger schaffen es, das Schiff mit einer Neigung von 10° zu stabilisieren. 40 Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 Spezial: Wetterphänomen Sturm Herausforderung für die Zukunft Nun stellt man sich nicht nur bei der MCA, die den „Napoli-Fall“ betreute, sondern auch in der Schifffahrtswelt die Frage, ob eine Bergung von Schiff und Ladung wie bei der MSC Napoli bei einem der großen, neuen Containerschiffe überhaupt realisierbar wäre. Wäre eine Herausforderung dieser Größenordnung mit den heute vorhandenen Ausrüstungen und Arbeitskräften zu bewältigen? Nach Angaben der MCA gibt es zurzeit beispielweise keine Kräne entsprechender Größe, die unter ähnlich widrigen Umständen eingesetzt werden könnten. Und selbst wenn es sie geben würde, was wäre, wenn ein solches Riesencontainerschiff dort in Seenot geriete, wo Equipment, Arbeitskräfte und Infrastruktur fern sind? Diese Fragen werden in den nächsten Jahren ein aktuelles Thema bleiben. Adäquate Lösungen werden die Zusammenarbeit der gesamten Industrie erfordern. – Für die P&I-Clubs/Versicherer stellt sich die Frage: Lässt sich die Haftung der Eigner/Charterer gegenüber Forderungen limitieren – zum Beispiel nach dem Londoner Abkommen von 1976 (Convention on Limitation of Liability for Maritime Claims)? Die Anwendbarkeit der entsprechenden Rechtsgrundlagen für die Limitierung richtet sich nach der jeweiligen Rechtsordnung. Verschiedene Länder haben unterschiedliche Vereinbarungen umgesetzt bzw. ratifiziert. Auch die Möglichkeiten, die Limitierungen zu durchbrechen, richten sich nach der geltenden Rechtsordnung. Darüber hinaus wird der Verfrachter (Eigner/ Charterer) per Gesetz anwendbare Haftungsbeschränkungen prüfen, zum Beispiel ob die Hagueoder Hague-Visby-Rules2 anzuwenden sind oder nicht. Wenn eine gesetzliche Haftungsbeschränkung vorliegt, trifft den Versicherungsnehmer bzw. den Versicherer auch nur die Haftung in dieser (begrenzten) Höhe. Faktische und rechtliche Hintergründe Die Versicherer Am Beispiel der MSC Napoli lassen sich nicht nur die komplexen faktischen Probleme, sondern auch die rechtlichen Fragen bei Schäden dieser Größenordnung illustrieren. Die Unfallursache ist dabei von besonderer Bedeutung: Sie ist die Grundlage für die Klärung der meisten Haftungsfragen. – Kaskoversicherer werden versuchen zu klären, dass tatsächlich eine versicherte Seegefahr Ursache des Unglücks war. Die Beweislast dafür, dass andere Faktoren als Ursache infrage kommen, trägt der Versicherer. Fehlende Seetüchtigkeit des Schiffs oder Obliegenheitsverletzungen des Versicherungsnehmers können die Haftung ausschließen. – Warenversicherer sehen hohe Forderungen für die Bergung der Container auf sich zukommen. Sie werden prüfen, ob sie Regress gegen den Verfrachter anstrengen können. Bei einer erklärten Havarie grosse werden sie prüfen, ob sie ihren Havarie-grosse-Beitrag1 vermeiden können. Hier kommt es unter anderem auf die Transportbedingungen an, die zugrunde liegen. 1 Die Havarie grosse regelt im Grundsatz die Verteilung außergewöhnlicher Kosten zwischen Schiff und Ladung, die durch eine Rettung aus gemeinsamer Gefahr anfallen. Diese Kosten entstehen entweder direkt durch Aufwendungen (z. B. Schlepplohn) oder durch bewusst mit Rettungsmaßnahmen von der Schiffsführung herbeigeführten oder geduldeten Schäden am Schiff und/oder seiner Ladung (z. B. Seewurf von Decksladung). Bergungskosten machen oft einen großen Teil der Gesamtbelastung der Kasko- oder bei Wrackbeseitigung der P&I-Versicherer aus. Bei den meisten größeren Schiffsunglücken werden heute Spezialisten und Hightech-Ausrüstungen eingesetzt. Details der Schiffsbergung können oft erst festgelegt werden, wenn das Schiff entladen ist, und richten sich unter anderem nach den gesetzlichen und behördlichen Vorgaben. Ziel ist meist, das Schiff an einen sicheren Ort zu bringen oder vor Ort zu sichern. Zu den am häufigsten in Anspruch genommenen Diensten der Bergungsunternehmen gehören Schleppdienste und Refloating (Wiederflottmachen). Ist der erste Bergungsversuch nicht erfolgreich, folgen oft weitere. Auch gesunkene Schiffe müssen teilweise geborgen werden, um Gefahren für andere Schiffe auszuschließen oder um Umweltgesichtspunkten Rechnung zu tragen. Sie sind manchmal Folge behördlicher Anordnungen. Lässt sich ein auf Grund liegendes Schiff nicht mehr flott machen, um es in einen Hafen oder ein Dock zu schleppen, kann es in Teilen entsorgt oder unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen versenkt werden. 2 Internationale Übereinkommen, die einheitliche Haftungsregelungen und -limitierungen des Verfrachters gegenüber dem Befrachter (shipper) regeln. Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 41 Spezial: Wetterphänomen Sturm Rechtliche Grundlagen der Bergung Auf internationaler Ebene wurde das Recht der Bergung erstmals im Bergungsübereinkommen von 1910 („Übereinkommen zur einheitlichen Feststellung von Regeln über die Hilfsleistung und Bergung in Seenot“) normiert und später in nationales Recht umgesetzt. Die Entlohnung des Bergers ging ursprünglich weltweit vom Grundsatz der Erfolgsvergütung aus – es galt das „no cure, no pay“-Prinzip. Die Höhe der Bezahlung richtete sich grundsätzlich nach der Höhe der geretteten Werte. Waren die Bemühungen vergeblich, erhielt der Berger nach diesem Prinzip keine Entlohnung. Das galt zum Beispiel für die Rettung von Mannschaftsmitgliedern eines sinkenden Schiffs. Große Öltankerhavarien in den 70er- und 80erJahren und der politische Wille, mehr Umweltbelange bei der Schiffsbergung zu berücksichtigen, führten zu Neuerungen im internationalen Bergungsrecht. Der Berger sollte mehr Anreize erhalten, die Umweltverschmutzung im Zusammenhang mit havarierten Schiffen zu bekämpfen. Besonders in Situationen, die dem Berger sonst wenig Anlass boten, aktiv zu werden – etwa wenn die Chancen auf Rettung der Ladung und die Bezahlung gering waren oder die Bergung eines verhältnismäßig wertlosen Schiffs kompliziert war. Das „Internationale Übereinkommen von 1989 über Bergung“ (Bergungsübereinkommen 1989) modifizierte erstmals den „no cure, no pay“Grundsatz. Lloyd’s-Markt und Industrie nahmen die neuen Regelungen umgehend an und arbeiteten sie in das Lloyd’s Standard Form of Salvage Agreement (auch: Lloyd’s Open Form, kurz LOF) ein. Dieses ist auch heute noch die für Bergungen am meisten genutzte Vertragsform. Artikel 13 des Übereinkommens formulierte im Wesentlichen den „no cure, no pay“-Ansatz neu, indem er unter anderem das Verhindern einer Ölverschmutzung als einen relevanten Faktor für die Berechnung des Bergerlohns benennt. Eine der wichtigsten Neuerungen fand sich in Artikel 14: Danach kann der Berger unter bestimmten Voraussetzungen 42 Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 über den Bergelohn hinaus die Zahlung einer Sondervergütung verlangen, wenn die Standardentlohnung nicht ausreichend ist und es sich um einen Fall mit möglicher Umweltverschmutzung handelt. In der praktischen Anwendung warf Artikel 14 jedoch zahlreiche Fragen auf, zum Beispiel bei der Berechnung der Sondervergütung und ihrer Höhe. Vertreter der Versicherungsindustrie und der International Salvage Union einigten sich daher 1999 auf die SCOPIC-Klausel (Special Compensation P&I Clause), die als Zusatz zum LOF-Formular genutzt werden kann. Sie ermöglicht eine praktikable und standardisierte Berechnung der Sondervergütung des Bergungsunternehmens und setzt Tarife für Personal und Ausrüstung fest. Die Wahl zwischen Artikel 13 und SCOPIC-Abrechnung ist nicht immer unproblematisch für den Berger: Er profitiert nur von SCOPIC, wenn diese Kosten die Entlohnung nach Artikel 13 übersteigen. Können sich die Parteien nicht über die Bergungskosten einigen, entscheidet das Schiedsgericht. Während in der Regel Kaskoversicherer die Bergungskosten nach Artikel 13 decken, werden die SCOPIC-Kosten grundsätzlich von den P&I-Clubs übernommen. Von dieser Linie kann – je nach Originalbedingungen – auch abgewichen werden. Die Abgrenzung oder Zuordnung kann dann ein Streitpunkt sein. In den letzten Jahren sind die Kosten für Bergungen erheblich gestiegen. Dies ist einer der Gründe, warum die Tarife des SCOPICVergütungssystems zum 1. Juli 2007 um bis zu 25 % erhöht wurden. Spezial: Wetterphänomen Sturm Schiffseigner und Reedereien versuchen dabei, Umweltschäden zu verhindern oder zumindest zu minimieren. Die – auch teilweise – Rettung der Ladung kann ebenso ein Ziel des Vertrags sein wie die Wrackbeseitigung nach der Aufgabe des Schiffs. Während Bergungsaktionen früher ausschließlich auf der Grundlage gesetzlicher Regelungen durchgeführt wurden, schließen Bergungsunternehmen heute meist spezielle Verträge ab. Das Lloyd’s Standard Form of Salvage Agreement ist die wohl bekannteste und am häufigsten genutzte SalvageVereinbarung. Besonders der Teil der Bergungskosten, der über den Sonderzusatz SCOPIC entsteht, ist oft hoch und gleichzeitig nur schwer vorhersehbar. Nachdem die Container geborgen sind, zeigt sich, dass die MSC Napoli nicht in einem Stück vom Lagerplatz entfernt werden kann. Die Entscheidung: Das Schiff wird in zwei Teile gesprengt. Die Einzelteile werden anschließend abgeschleppt und verwertet. Die Berger der MSC Napoli engagierte man offensichtlich nach den Bedingungen des Lloyd’s-Standardformulars LOF 2000 inklusive SCOPIC-Klausel für Sondervergütungen. Da die MSC Napoli als CTL gilt, wird grundsätzlich der P&I-Club bzw. die International Group of P&I Clubs die Wrackbeseitigungskosten im zweistelligen Millionenbereich tragen müssen. Der Kasten links bietet einen Überblick über Entwicklungen im Bergungsrecht. Fazit Vor dem Hintergrund dieser zahlreichen faktischen und juristischen Fragen, spektakulärer Kaskoschäden und immer größerer Schiffskonstruktionen – und komplexerer Märkte – ist es wichtig, dass sowohl in der Erst- als auch in der Rückversicherung klar definierte und umrissene Deckungen bestehen. Wie dargestellt, entstehen immer teurere Schadenbeträge, deren Zuordnung zu den verschiedenen Sparten eindeutig möglich sein muss. Transparenz und Kommunikation trotz steigender Komplexität der Sachverhalte werden daher sowohl auf Underwriting- als auch auf Schadenseite immer wichtiger. Dies ermöglicht einerseits bereits im Vorhinein ein adäquates Pricing, andererseits kann die Bearbeitung eines Schadens kundenfreundlich und effizient gestaltet werden. Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 43 Umweltrisiko Umweltrisiko Luftverunreinigung und Haftung Von den Umweltmedien Luft, Boden und Wasser beeinflusst die Luft unser körperliches Wohlbefinden besonders intensiv. In Gebäuden oder im Freien: Wir sind alle ständig davon umgeben – und wo sie zu viel mit Schadstoffen angereichert wird, gerät unsere Gesundheit in Gefahr. Autor Christian Lahnstein, München Tokio, Japan – nachdem Industrieemissionen reduziert wurden, sind auch die Zeiten häufiger Smogalarme vorbei. 44 Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 Umweltrisiko Die Quellen der Luftverunreinigung sind vielfältig. Einige davon sind zivilisationsbedingt, etwa Verkehrs- und Industrieemissionen, Waldbrände, Brandrodungen, Tierhaltung oder Düngemitteleinsatz. Andere dagegen haben natürliche Ursachen wie Vulkanausbrüche oder die Aufwirbelung von Bodenstäuben in Trocken- und Wüstengebieten. – Der Weltverbrauch von Asbest, der sich zwischen 1980 und 2000 halbiert hatte, steigt seit einigen Jahren unerfreulicherweise wieder an. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass heute 125 Millionen Arbeiter beruflichen Asbestrisiken ausgesetzt sind – vor allem auf dem informellen Sektor der Bauwirtschaft mit seinen weitgehend unkontrollierten Arbeitsbedingungen. Arbeitsschutz und Umweltschutz Die von Land zu Land unterschiedlichen Konsequenzen der Asbestproblematik für Haftpflichtversicherer sind Gegenstand des Beitrags „Asbest – ein Überblick“ (Seite 47). Bei den Maßnahmen zur Reinerhaltung der Luft kann zwischen Arbeits- und Umweltschutz unterschieden werden – zwischen Innen- und Außenluft, mit jeweils fließenden Übergängen. Wo die Umwelt früher durch die Entlüftung staubiger Arbeitsplätze zusätzlich belastet wurde, hat sich aus diesen frühen Maßnahmen des Arbeitsschutzes inzwischen auch der Umweltschutz entwickelt. Was die Innenluft betrifft, so ist in Entwicklungsländern bis heute offenes Feuer zum Heizen oder Kochen in schlecht ventilierten Wohnräumen eines der großen Gesundheitsrisiken. Anders in den Industrieländern: Hier stellt Feinstaub ein ungelöstes Problem dar. Umweltbehörden haben das Thema daher genauso auf der Agenda wie europäische Arbeiterunfallversicherer. Asbest – noch immer ein Emerging Risk Überwiegend ein Thema des Arbeitsschutzes ist Asbest. Für die Versicherungswirtschaft ist es aus drei Gründen immer noch ein Emerging Risk: – Durch Latenzzeiten von 10 bis 60 Jahren nimmt die Zahl der Neuerkrankungen aus den Asbestexponierungen vergangener Jahrzehnte weiterhin zu. Umwelthaftung Hier stehen von jeher die meist unversicherten Haftungen daueremittierender Unternehmen im Vordergrund. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts verklagten deutsche Grundbesitzer Industrieunternehmen – zunächst auch erfolgreich. Doch mit zunehmender Industrialisierung galten deren Emissionen als „ortsüblich“ und mussten hingenommen werden. Auch das Problem der grenzüberschreitenden Luftverunreinigung ist seit über 80 Jahren bekannt. Im Trail Smelter-Rechtsstreit von 1928 bis 1941 ging es um Pflanzenschäden im US-Bundesstaat Washington, verursacht durch Schwefeldioxidgase der kanadischen Zink- und Bleiverhüttungsanlage Trail Smelter. Das Schiedsgericht urteilte damals, dass kein Staat der Welt das Recht habe, in einem anderen Staat Schaden anzurichten – auch nicht durch verunreinigte Luft. Trail Smelter musste daher in ihre Anlage investieren, um weitere Schäden in Washington auszuschließen. – Neuerkrankungen werden heute durch bessere medizinische Diagnostik häufiger erkannt und von den Betroffenen durch einen verbesserten Informationsstand vermehrt geltend gemacht. Bangkok, Thailand – jährlich 1 400 Todesfälle durch Luftverschmutzung. Delhi, Indien – Tuk-Tuks und Busse fahren bereits mit Erdgas. Hongkong, Volksrepublik China – Emissionen benachbarter Fabriken belasten die Stadt. Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 45 Umweltrisiko Japanische Verfahren Schlechte Luft Japan liefert besonders interessante, historische wie aktuelle Beispiele für Umwelthaftung bei Luftverunreinigung (siehe dazu Beiträge Seiten 48 und 49). Sie verdeutlichen das Ineinandergreifen von Haftungsrecht und Fondslösungen, aber auch den zunehmend fließenden Übergang zwischen rechtlicher und faktischer, durch Reputationsaspekte beeinflusster Unternehmenshaftung. Je nach Entstehungsort unterscheidet die Weltgesundheitsorganisation bei zivilisationsbedingter Luftverschmutzung zwischen punktueller, linearer und flächendeckender Luftverunreinigung. Etwa durch die punktuellen Emissionen einzelner Industrieanlagen, linear entlang von Autobahnen oder flächendeckend über einem Industriegebiet oder einer Großstadt, wo Luftverunreinigung nicht mehr einzelnen, spezifischen Emissionsquellen zuzuordnen ist. Der Rechtsfall des „Yokkaichi-Asthma“ (Beitrag Seite 48), der Ende der 60er-Jahre petrochemische Unternehmen der Stadt Yokkaichi betraf, ist nur ein Beispiel in der Reihe international beachteter Massenklagen, die im Japan der 50er- und 60er-Jahre strengere umweltrechtliche Regulierung durchzusetzen halfen. Damit konnte sich auch der Anteil von Industrieemissionen an der Luftverunreinigung reduzieren. Infolge der stetigen Zunahme des Individualverkehrs ist jedoch heute in Japan, wie in den meisten Industrieländern, der Straßenverkehr die Hauptquelle belastender Emissionen – trotz verbesserter Technologien. Vor diesem Hintergrund ist das kürzlich beendete Verfahren (Beitrag Seite 49) über die Entschädigung von Asthmaopfern durch Staat, Autohersteller und Transportunternehmen von Interesse. Kairo, Ägypten – Dunstglocke trotz strenger gesetzlicher Auflagen. 46 Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 Kalkutta, Indien – rund 70 % der Einwohner leiden unter Atemwegserkrankungen. London, Großbritannien – seit Februar 2008 gibt es eine Low Emission Zone. Umweltrisiko Asbest – ein Überblick Autorinnen Rita Müller, Marion Schwehr, beide München In den vergangenen 100 Jahren wurden weltweit rund 200 Millionen t Asbestfasern abgebaut und in den unterschiedlichsten Industrien verarbeitet. Während in Australien, den USA und Westeuropa der Verbrauch inzwischen stark zurückgegangen ist, steigt der Konsum in Asien, insbesondere in China, Indien und Thailand: 2005 verarbeiteten die drei Länder zusammen nahezu 1 Million t Asbest – beinahe die Hälfte des weltweiten Verbrauchs. Dabei erfolgt die Verarbeitung von Asbest oft unter unzureichenden Arbeitsbedingungen. So gelten in China immer noch Grenzwerte – Occupational Exposure Limits (OELs) – von 2,0 Fasern/cm³ Luft. In Thailand liegt der OEL sogar bei 5,0 Fasern/ cm³. Zum Vergleich: Die Grenzwerte in westlichen Ländern wurden über die Jahre auf mittlerweile 0,1 Fasern/ cm³ reduziert. Unabhängig davon fehlen Sicherheitskontrollen, vor allem bei den vielen Kleinbetrieben oder Subunternehmen der weitgehend unregulierten informellen Bauwirtschaft. Los Angeles, USA – Emissionen werden reduziert, der Smog über der Stadt lichtet sich. Die gesundheitlichen Folgen manifestieren sich je nach Krankheitsbild mit Latenzzeiten zwischen 10 und 60 Jahren nach der Asbest-Exposition. Laut International Labor Organisation sterben pro Jahr weltweit etwa 100 000 Arbeiter an einer asbestbedingten Krankheit, davon 30 000 am Mesotheliom, einem bösartigen, unheilbaren Tumor am Brustfell, 60 000 an Lungenkrebs und 10 000 an Asbestose. Und die Opferzahlen steigen: In Australien ist ein Anstieg noch bis 2010 zu erwarten, in Westeuropa bis 2015 oder gar bis 2020. Auch in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion und in denen Asiens, die Asbest auch heute noch in großem Umfang und bei steigendem Niveau einsetzen, ist ein Rückgang der Opferzahlen nicht absehbar. Einzig in den USA scheint der Peak seit 2000 überwunden zu sein. In Frankreich entfielen 2003 mit 585 Millionen € sogar knapp die Hälfte aller Aufwendungen für Berufskrankheiten auf die Entschädigung von Asbestkrankheiten. Nach Schätzungen des US-amerikanischen RAND-Instituts wurden in den Vereinigten Staaten für die zivilrechtlichen Haftungen im Zusammenhang mit asbestbedingten Personenschäden seit den frühen 60er-Jahren bis 2002 rund 70 Milliarden US$ geleistet. Der langfristige haftungsrechtliche Gesamtaufwand wird auf 200 Milliarden US$ geschätzt, der Anteil der Versicherer auf 120 Milliarden US$. In Großbritannien schwanken die Schätzungen der sozial- und haftungsrechtlichen Gesamtkosten für asbestbedingte Personenschäden zwischen 15 und 39 Milliarden £. Bislang haben die Haftpflichtversicherer rund 1,3 Milliarden £ an Entschädigungszahlungen geleistet. Kosten der asbestbedingten Personenschäden Die Aufwendungen für asbestverursachte Berufskrankheiten sind weltweit beachtlich: Die deutsche gesetzliche Unfallversicherung hat von 1990 bis 2005 bereits über 3 Milliarden € für die Entschädigung von Asbestkrankheiten ausgegeben, die langfristigen Gesamtaufwendungen werden auf deutlich über 10 Milliarden € geschätzt. 2005 entsprachen die Ausgaben von 350 Millionen € einem Drittel der Entschädigungsleistungen für Berufskrankheiten. Manila, Philippinen – auch hier wird verbleites Benzin bald verboten. Mexiko-Stadt, Mexiko – etablierte einen autofreien Tag pro Woche. Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 47 Umweltrisiko Unterschiedliche Entschädigungssysteme In den meisten Fällen lassen sich die durch Asbeststaub hervorgerufenen Krankheiten auf die berufliche Exponierung zurückführen. Daneben gibt es aber Umweltbelastungen, denen jeder unterliegen kann, verstärkt in dicht besiedelten Industrieländern wie Japan und den Niederlanden, Produktionsländern wie Australien oder Entwicklungsländern mit generell weniger kontrollierten Industrieemissionen. Berufskrankheiten werden unterschiedlich entschädigt. Der Grund: individuell ausgestaltete (weil historisch gewachsene) Sozialversicherungssysteme und ihr Zusammenspiel mit dem Haftungsrecht. In Deutschland ist es die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, die asbestexponierte Arbeitnehmer entschädigt. Der Arbeitgeber genießt ein „Haftungsprivileg“, das heißt, er kann vom Arbeitnehmer nicht zivilrechtlich in Anspruch genommen werden. In Frankreich wurde 2002 ein Fonds eingerichtet, um alle Asbestopfer zu entschädigen – unabhängig von der beruflichen Exponierung. Der Umfang der Regresse gegen haftpflichtige Arbeitgeber und Hersteller ist derzeit noch nicht absehbar. In Großbritannien, das kein Haftungsprivileg kennt, ist es die obligatorische Arbeitgeberhaftpflichtversicherung, welche die Hauptlast der Entschädigung trägt. Daneben existieren eine steuerfinanzierte Arbeiterunfallversicherung und ein Spezialfonds, die eine Basisrente garantieren. Und es steht der ebenfalls steuerfinanzierte, staatliche Gesundheitsdienst zur Verfügung. In der Regel sind es also Arbeitgeber und die hinter ihnen stehenden Versicherungssysteme, die im Zentrum der Entschädigungsansprüche asbestexponierter Arbeitnehmer stehen. In den USA allerdings tragen die Hersteller von Asbest – und damit die Produkthaftpflichtversicherung – die Hauptlast der Entschädigung; die Arbeiterunfallversicherung spielt nur eine geringe Rolle. Yokkaichi-Asthma Autorin Sanae Muraoka, München Ende der 60er- und Anfang der 70erJahre hatten einige Umwelthaftungsprozesse großen Einfluss auf die japanische Umweltpolitik. Während es bei den „Minamata“und „Itai-itai“-Prozessen um Wasserverschmutzung durch Quecksilber und Kadmium ging, behandelte der Yokkaichi-Asthma-Prozess einen Fall massiver Luftverschmutzung. In Yokkaichi wurden nach dem Zweiten Weltkrieg Treibstofflager der Marine an die wachsende petrochemische Industrie verkauft. Rauchund Staubbelastungen führten bei den Einwohnern Ende der 50er-Jahre zu chronischem Asthma und Bronchitis. Im Stadtteil Shiohama, der im Windschatten der Industrieanlagen liegt, litten Anfang der 60er-Jahre 80 % der rund 16 000 Einwohner unter schweren Erkrankungen der Atemwege. Der Grund: Man verwendete preisgünstiges Schweröl aus den USA und dem Nahen Osten, das deutlich mehr Schwefel enthielt als etwa das aus Sumatra oder Russland – mit diesem wäre der Schwefeloxidausstoß um 90 % reduziert worden. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen Wirtschaft Priorität. Moskau, Russland – industrielles Zentrum des Landes. 48 New York, USA – Politiker bemühen sich längst, die Luftqualität zu verbessern. Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 Peking, Volksrepublik China – bei Smog will das IOC olympische Wettbewerbe verschieben. Umweltrisiko 1970 erreichte die Konzentration von Schwefeldioxid in der Luft in Yokkaichi Werte zwischen 1ppm und 2,5ppm – das Zehn- bis Fünfundzwanzigfache des gesetzlichen Grenzwerts von 0,1ppm. Den Zusammenhang zwischen der Schwefeldioxid belastung und den Asthmaerkrankungen zeigte 1963 erstmals der japanische Professor Katsumi Yoshida von der Universität Mie auf. Zwei Jahre später begann die Stadt Yokkaichi, die ärztlichen Behandlungskosten für Betroffene zu übernehmen. Damals wurden zunächst 18 Personen als Yokkaichi-Asthma-Patienten anerkannt, von denen bereits für 14 eine tödliche Diagnose gestellt worden war. In den folgenden Jahren stieg die Zahl der anerkannten Patienten: 1967 waren es 381, 1969 bereits 600. Die Behandlungskosten belasteten zunehmend die städtischen Finanzen. Ab 1970 übernahm die japanische Regierung einen Teil der Kosten für zunächst 464 Patienten. Am 1. September 1967 reichten neun Patienten Klage gegen sechs schadstoffemittierende Großunternehmen ein. Beklagt waren: Das Urteil wurde 1972 gefällt: Das Gericht erkannte die zivilrechtliche Verantwortlichkeit der Unternehmen an und sprach den Geschädigten den geforderten Schadensersatz zu. Die gesamte Entschädigungssumme betrug 88 Millionen ¥ (rund 540 000 €). Die einzelnen Kläger erhielten Beträge zwischen 3,7 und 17 Millionen ¥. Darüber hinaus leisteten Staat und Stadt Schadenersatz aufgrund mangelhafter Prävention. 1973 wurde schließlich ein Rentenanspruch für Umweltopfer im Par-lament durchgesetzt. Ein Fonds gewährleistet die Zahlungen. Er wird vor allem von den Unternehmen finanziert, wobei Betriebe in stark belasteten Gebieten höhere Beiträge leisten. 20 % des Fonds werden von der Kfz-Steuer gedeckt. Der Yokkaichi-Asthma-Prozess und die anderen Umweltprozesse der 60er- und 70er-Jahre trugen zur gegenwärtigen strengeren Regulierung im japanischen Umweltrecht bei. Doch: Unternehmen verlagern inzwischen umweltgefährdende Fabrikanlagen in andere asiatische Länder, in denen die Restriktionen deutlich niedriger sind. – Ishihara (Agrochemikalien) – Chubu Electric Power Company (Wärmekraftwerk) – Showa Yokkaichi (Ölraffinerie) – Mitsubishi Yokkaichi (Ölraffinerie) – Mitsubishi Chemical Yokkaichi – Monsanto Chemical Yokkaichi Qingdao, Volksrepublik China – Wirtschaftswachstum contra Luftverschmutzung. São Paulo, Brasilien – hier fahren rund 25 % aller brasilianischen Pkws. Dieselabgase in Tokio: Entschädigung für Asthmatiker Autorin Sanae Muraoka, München Die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in sogenannten Ballungsräumen – Tendenz steigend. Der größte Ballungsraum der Welt, Tokio-Yokohama, zählt inzwischen über 34 Millionen Einwohner. 1996 verklagten Einwohner Tokios, die als Folge von Luftverunreinigung durch Dieselabgase unter Asthma litten, die Hersteller der Fahrzeuge. Der Rechtsstreit wurde 2007 beendet – mehr als 500 Asthmatiker nahmen den Schlichtungsvorschlag des Obersten Zivilgerichts der Stadt an. Dieser sieht vor, dass die Automobilhersteller insgesamt 7,2 Millionen € als Entschädigung an die Kläger zahlen. Zudem beteiligen sich die Firmen mit knapp 20 Millionen € an einem Fonds, der die Behandlungskosten deckt. Die ebenfalls verklagte japanische Regierung und die Stadt Tokio zahlen zusammen weitere rund 72 Millionen € in den Fonds ein, das Verkehrsunternehmen Metropolitan Expressway Co. beteiligt sich mit 3 Millionen €. Der Schlichtungsvorschlag sieht zudem vor, dass die Stadt Tokio künftig mehr für Stauvermeidung und Überwachung der Luftqualität leisten muss. Schanghai, Volksrepublik China – eine der am stärksten umweltgeschädigten Städte. Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 49 Spezialrisiko Spezialrisiko Reine Luft bei der Halbleiterproduktion Halbleiterhersteller reagieren beim Thema Luft sehr sensibel, denn Computerchips werden im Reinraum produziert. Hier muss die Luft so sauber sein, dass nicht einmal mehr ein Staubkorn schwebt. Was aber, wenn Feuer ausbricht? Autoren Peter Clemenz, Dr. Robert Schmid, beide München Ein Wafer: Nur unter Reinraumbedingungen ist es möglich, auf dieser Siliziumscheibe Hunderte Mikroprozessoren herzustellen. 50 Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 Spezialrisiko Die rasante Entwicklung der Halbleiterindustrie ist ungebrochen, die Leistungsfähigkeit von Mikroprozessoren verdoppelt sich zurzeit etwa alle 18 bis 24 Monate. Halbleiter – extrem leistungsfähige elektronische Schaltkreise – werden mittlerweile im Nanometer-Bereich konzipiert, das heißt, Leiterbahnen sind nur noch 45 nm breit. Erste Versuche, sie auf 32 nm zu reduzieren, laufen bereits. Der Markt für Mikroprozessoren verändert sich extrem schnell, eine Generation veraltet innerhalb von nur 9–12 Monaten. Erfolgreich sind nur Hersteller, die es schaffen, schneller als der Wettbewerb zu sein. Dazu sind immer modernere Fabriken erforderlich, in denen störungsfrei immer leistungsfähigere Chips produziert werden. Doch verirrt sich ein Staubkorn auf die Oberfläche eines Wafers, wirkt es in der Vergrößerung eines Rasterelektronenmikroskops, als hätte ein Meteorit eingeschlagen. Die Folge: Der Computerchip ist unbrauchbar, er würde Daten fehlerhaft verarbeiten. Halbleiterhersteller sind daher besonders daran interessiert, Luftverunreinigung im Umfeld ihrer Produktionsanlagen zu vermeiden – deshalb herrschen Reinraumbedingungen. Die höchste „Reinheitsanforderung“: maximal 10 Partikel der Größe 0,1 µm pro m3 Luft (ISO Class1 nach DIN EN ISO 14644). Zum Vergleich: 1 m3 gewöhnliche Umgebungsluft enthält selten weniger als 40 Millionen Partikel, die größer sind als 0,3 µm. Reinraum – sauberer geht es nicht Extreme Anforderungen an die Luftreinheit wie ISO Class1 nach DIN EN ISO 14644 in Räumen mit vielen tausend Quadratmetern Grundfläche sind eine Besonderheit der Halbleiterindustrie. Daher nennt man diese Art der Fabrikkonstruktion „ballroom design“. Aber auch in der pharmazeutischen Industrie unterliegen beispielsweise Herstellung und Verteilung von Wirkstoffen auf Trägermaterialien strengen Anforderungen an die Luftreinheit – allerdings sind weniger große Flächen betroffen. Die Biotechnologie benötigt ebenfalls reine Räume, etwa bei der Insulinherstellung durch Bakterien. Auch in solchen Produktionsbereichen müssen die hohen Anforderungen erfüllt werden, um zu verhindern, dass fremde Mikroorganismen, die auch durch die Luft übertragen werden können, die Produktion verändern oder reduzieren. Egal wo Reinräume genutzt werden, ob in der Medizintechnik, Chemikalienherstellung, Optik, Mikrosystemtechnik oder in der Lebensmittelherstellung und Verpackung: Eine Kontamination durch Rauch und Ruß kann die Produktion auf lange Zeit unterbrechen und hohe Schäden verursachen. Staubfreie Zone für störungsfreie Produktion Nur wenn diese Luftreinheit auch erreicht wird, kann die Fertigung störungsfrei verlaufen. Unerlaubter Zutritt von außen oder schlicht das Öffnen der falschen Tür (Fenster gibt es aus diesem Grund nicht) können bereits dazu führen, dass die Produktion für mehrere Tage ausfällt und ein finanzieller Schaden in zweistelliger Millionenhöhe entsteht. Die Luft zu reinigen und rein zu halten erreicht man, indem man sie unter Ausschluss von Fremdluft gezielt umwälzt, mehrstufige Filter einsetzt und besonders empfindliche Fertigungsabschnitte zusätzlich kapselt. Ein weiteres Verfahren, das verhindert, dass die gereinigte Luft erneut kontaminiert wird, ergänzt das aufwendige Filtern: Durch sehr hohe Reinheitsgrade der Betriebsmittel, kombiniert mit einem geringen Überdruck gegenüber der Umgebungsluft, können Reinraumbedingungen dauerhaft eingehalten werden. Zudem verhindert Schutzkleidung, dass Mitarbeiter Staub in die Produktion tragen. Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 51 Spezialrisiko Hauptgefahren für die Produktion Der Albtraum jedes Herstellers: eine Störung des Fertigungsprozesses durch Stromausfall oder Feuer. Den Stromausfall kann eine leistungsfähige Notstromversorgung auffangen, die eine Minimalluftbewegung gewährleistet. Der Luftzug reicht dann noch aus, Verunreinigungen von Maschinen und Anlagen fernzuhalten. Erste Schäden, etwa die Unterbrechung bestimmter Prozesse, treten aber hier schon auf. Beispiel: Wafer werden im Thermodiffusionsofen erhitzt, damit sich die Fremdatome gezielt verteilen. Erhitzungsdauer und Temperatur müssen dabei genau eingehalten werden. Fällt der Strom auch nur kurze Zeit aus, ist die kontrollierte Temperaturführung nicht mehr sichergestellt. Ergebnis: Die Substrate (wafer in progress) sind unbrauchbar. Euro-Bereich zur Folge haben. Auch der finanzielle Schaden, den eine Betriebsunterbrechung auslöst, erreicht schnell eine ähnliche Größenordnung. Bis Reparatur, Reinigung und Wiederinbetriebnahme abgeschlossen sind, vergehen unter Umständen Monate. Angesichts der schnellen technologischen Entwicklung kann ein solcher Stillstand sogar dazu führen, dass die Wiederinbetriebnahme unwirtschaftlich wird. Das gilt möglicherweise auch für Produktionseinheiten, die nicht direkt betroffen sind. Die Großschäden der Jahre 1996–2005 (siehe Tab. 1, Seite 53) zeigen, wie stark die Halbleiterindustrie schadenexponiert ist. Eine hohe Wertekonzentration und die besonderen Produktionsbedingungen dieser Branche erlauben ProbableMaximum-Loss-Szenarien von 1–2 Milliarden €. Größere Schäden bis hin zu Großschäden verursacht ein Brand im Reinraum. Typische Brandursachen können sein: Kurzschluss, Schweißarbeiten, Selbstentzündung von Ablagerungen in Abluftkanälen oder Leckage von leicht- oder selbstentflammbaren Flüssigkeiten und Gasen. Ausführlichere Informationen zu Schäden und Statistiken sind nur beschränkt zugänglich. Das liegt zum Teil daran, dass Schäden wie Produktionsgeheimnisse behandelt werden. Hinzu kommt: Weder Erst- noch Rückversicherer dominieren den Markt. Die höheren Temperaturen beschädigen Geräte und Betriebsmittel und können innerhalb weniger Minuten einen Schaden von mehreren Millionen Euro verursachen; doch das ist erst der Anfang. Denn die Thermik und der Luftstrom der Klimaanlage verbreiten den Rauch, der selbst weit entfernte empfindliche und teure Geräte kontaminiert. Im schlimmsten Fall werden die Anlagen so stark beschädigt, dass sie ausgetauscht werden müssen. So kann bereits ein kleines Feuer einen materiellen Schaden im dreistelligen Millionen- Versicherungsaspekte Ein effektives Risikomanagement beginnt in der Halbleiterindustrie wie bei allen großindustriellen Anlagen bereits bei der Planung. Risikomanager aller beteiligten Unternehmen sollten bei der Errichtung eingebunden sein und die Versicherungsaspekte berücksichtigen, die Bau-, Sach- und BU-Deckung während des Betriebs und auch zukünftige Pläne betreffen. Naturkatastrophen wie Erdbeben und Flut dürfen dabei nicht übersehen werden. Abb. 1 Kleine Partikel im Größenvergleich Haar 60 µm Partikel, die kleiner als 10 und größer als 1 µm sind, fallen in die Kategorie Schwebstaub. Reinräume verfügen über Filter, die sogar Viren zurückhalten; im Verhältnis zu Bakterien sind diese so unterschiedlich groß wie Spielzeugautos und Panzer. Staubpartikel 5 µm Rauchpartikel 1 µm Grafik: Münchener Rück 52 Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 Maßstab 1:1 000 Spezialrisiko Neben klaren vertraglichen Formulierungen, um Unstimmigkeiten bei der Schadenregulierung zu minimieren, sind Schadenverhütungsmaßnahmen, insbesondere Brandschutzmaßnahmen, umzusetzen. Halbleiterhersteller, Versicherungsindustrie und Brandschutzorganisationen haben gemeinsame Schutzkonzepte wie den Standard 318 der National Fire Protection Association (Standard for the Protection of Semiconductor Fabrication Facilities) erarbeitet. Kernstücke dieser Konzepte sind – flächendeckende Rauchdetektion durch hochsensitive Rauchmelder im Luftstrom, – schnell auslösende Sprinkleranlagen auf allen Ebenen mit brennbaren Materialien und Zündquellen sowie – weit reichende organisatorische Maßnahmen wie die Einrichtung von Emergency-ResponseTeams und konsequentes Training der Mitarbeiter für alle denkbaren Unfälle. Reine Luft: In den Produktionsbereichen der Halbleiterherstellung strömt die Luft durch Filtersysteme in Decke und Boden. Zusätzlich wird sie mehrmals pro Minute ausgetauscht. Wichtig ist außerdem: Gibt es eine Werksfeuerwehr? Wie sind die lokalen Feuerwehren ausgestattet? Und: Sind die Feuerwehren auf das Risiko vorbereitet? Das spezielle Risiko Halbleiterproduktion – hohe Wertekonzentration und Schadenanfälligkeit – erfordert ein Versicherungsprogramm, das auf den Kunden bzw. das Risiko zugeschnitten ist. Eine Herausforderung für jeden Versicherer. Tab. 1 Großschäden in der Halbleiterindustrie 1996–2005 Schadenjahr Schadenursache Ort Schaden Sach/BU in Millionen US$ 1996 1997 1999 2000 2000 Großbrand Großbrand Erdbeben Großbrand Leckage und Kontaminierung Leckage und Kontaminierung Großbrand Großbrand Hsin Chu, Taiwan Hsin Chu, Taiwan verschiedene, Taiwan Albuquerque, USA Orlando, USA 180 350 300* 200** 40 Temecula, USA 45 Caen, Frankreich Chung Li, Taiwan > 100 rund 240 2000 2003 2005 Quelle: Münchener Rück * Schätzung. ** Rückwirkungsschäden nicht eingerechnet. Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 53 Großschäden 2007 +++ 18.–20. Januar, Europa: Wintersturm Kyrill +++ 25.–30. Juni, Nordostengland, und 20.–23. Juli, Südwestengland und Wales: Überschwemmungen +++ 17. Juli, Niederlande: Brand in einem Produktionswerk für Kältetechnik +++ 17. Juli, Brasilien: Flugzeugabsturz +++ 1. August, USA: Brückeneinsturz +++ 15. August, Peru: Erdbeben. 18.–20. Januar, Europa Wintersturm Kyrill +++ Der Sturm zieht mit Windgeschwindigkeiten von flächendeckend über 100 km/h – in exponierten Berglagen über 200 km/h – über Mitteleuropa. Schwerpunkte sind Deutschland und Großbritannien. Der versicherte Schaden: 4,5 Milliarden €. 25.–30. Juni, Nordostengland, und 20.–23. Juli, Südwestengland und Wales Überschwemmungen +++ Starker und lange anhaltender Regen führt zu Überschwemmungen. Im Juni sind am stärksten Gebiete in Yorkshire und Lincolnshire betroffen, im Juli sind Gloucestershire, Oxfordshire, Worcestershire gebietsweise überschwemmt. Die Association of British Insurers schätzt den versicherten Schaden für die Ereignisse auf je 2,2 Milliarden €. 17. Juli, Niederlande Brand in einem Produktionswerk für Kältetechnik +++ Bei Reparaturarbeiten am Dach gerät die Produktionshalle der Firma KOMA Koeltechnische Industrie B. V. in Brand. Trotz eines massiven Einsatzes der Feuerwehren, sogar aus Deutschland, brennt die Halle völlig nieder. Der Schaden liegt voraussichtlich bei 25,7 Millionen €. 17. Juli, Brasilien Flugzeugabsturz +++ Ein Airbus A320 der Fluglinie TAM rast beim Anflug auf den Congonhas-Flughafen in São Paolo bei regennasser Piste über die Landebahn hinaus, durchbricht die Absperrung und explodiert in einer Tankstelle. 199 Menschen kommen ums Leben. Der versicherte Schaden beträgt nach vorläufiger Reservemeldung 370 Millionen US$. 1. August, USA Brückeneinsturz +++ In Minneapolis bricht im Feierabendverkehr eine Freeway-Brücke über den Mississippi auf einer Länge von 140 m zusammen. Eine Debatte über die US-Infrastruktur beginnt: Ist sie morsch, marode, mangelhaft? 15. August, Peru Erdbeben +++ Ein Erdbeben der Stärke 8,0 zerstört in den Abendstunden zehntausende Häuser in der Region Ica. Fast 600 Menschen kommen ums Leben. 54 Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 Großschäden 2007 +++ 17.–23. August, Karibik, Mexiko: Hurrikan Dean +++ 5. September, Kasachstan: Satellitenabsturz +++ 21. Oktober, Kalifornien, USA: Waldbrände +++ 15. November, Frankreich: Schwerer Unfall bei Airbus +++ 24. November, Deutschland: Großbrand bei einem Automobilzulieferer +++ 7. Dezember 2007, südkoreanische Westküste: Schiffskollision. 17.–23. August, Karibik, Mexiko Hurrikan Dean +++ Dean ist der drittstärkste atlantische Hurrikan, der je das Festland erreicht hat. In Mittelamerika und der Karibik entstehen versicherte Schäden von rund 450 Millionen US$. 5. September, Kasachstan Satellitenabsturz +++ Eine russische Proton-M/Breeze-MRakete, mit dem japanischen Kommunikationssatelliten JCSat 11 an Bord, stürzt in der Nähe von Dzhezkazgan ab. Ursache: Probleme bei der Trennung zwischen 1. und 2. Stufe. Der Satellit war für rund 180 Millionen US$ versichert. 21. Oktober, Kalifornien, USA Waldbrände +++ Schwere Waldbrände vernichten in einer Woche mehr als 200 000 ha Land und zerstören mehr als 2 000 Häuser. Nach Schätzungen von Versicherungsexperten könnte sich der durch die Brände verursachte Sachschaden auf rund 1,1 Milliarden € belaufen. 15. November, Frankreich Schwerer Unfall bei Airbus +++ Bei einem routinemäßigen Turbinentest löst sich der kurz vor der Auslieferung an Etihad-Airways stehende Airbus 340-600 aus seiner Verankerung und rast gegen eine Schallschutzmauer. Glück im Unglück – außer leichten Verletzungen trägt niemand ernsthafte Schäden davon. Die reine Kaskoschadenhöhe liegt bei rund 200 Millionen US$. 24. November, Deutschland Großbrand bei einem Automobilzulieferer +++ Ein Großbrand zerstört eine von vier Produktionshallen des Automobilzulieferers Hella KGaA Hueck & Co. Gefertigt wurden vorwiegend Geräte für die Ersatzteilversorgung, aber auch einige Kleinserienprodukte für die Kfz-Erstausrüstung. Es ist der größte Feuerschaden 2007 in Deutschland und wird die Versicherer mehr als 60 Millionen € kosten. 7. Dezember 2007, südkoreanische Westküste Schiffskollision +++ Kollision zwischen einem Schwimmkran und dem vor Anker liegenden Rohöltanker Hebei Spirit. Mehr als 10 000 t Öl gelangen in das Gelbe Meer und verschmutzen die Küste. Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 55 Autoren dieser Ausgabe 56 Peter Clemenz Schadeningenieur Germany, Asia Pacific and Africa Thomas Endriß Underwriter Aviation Facultative Special and Financial Risks Richard Gross Präsident Cunningham Lindsey México SA de CV, Mexiko-Stadt Winrich Krupp Schadeningenieur Europa und Lateinamerika Christian Lahnstein Referatsleiter Risk, Liability & Insurance, Corporate Underwriting Dr. Alfons Maier Senior-Schadeningenieur Germany, Asia Pacific and Africa Rita Müller Underwriter Europa und Lateinamerika Sanae Muraoka Politologin M. A. Germany, Asia Pacific and Africa Josef Probst Senior-Schadeningenieur Europa und Lateinamerika Ernst Rauch Abteilungsleiter Geo Risks Research/ Corporate Climate Centre Dr. Robert Schmid Underwriter Special and Financial Risks Vera Maria Schneider Schadenjuristin Global Clients/ North America Marion Schwehr Consultant Risk, Liability & Insurance Corporate Underwriting Markus von Stumberg Underwriter Europa und Lateinamerika Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 Leserbriefe Wir können Kritik und Lob vertragen! Was gefällt Ihnen am Schadenspiegel, was können wir besser machen? Hier eine Auswahl an Reaktionen auf frühere Ausgaben. Wie finden Sie das aktuelle Heft? Schreiben Sie uns: [email protected] Ausgabe 2/2007 Wieder einmal darf ich mich als Empfänger des Schadenspiegels bedanken für diese herausragenden Publikationen (aktuell, höchstes Niveau, ausgezeichnete Qualität der Druckstücke) und das Engagement aller Beteiligten. Bitte senden Sie künftig zusätzliche Exemplare an unsere Niederlassungsleiter Konzern bzw. Industrie. Mit freundlichen Grüßen Ulrich Schneider HDI-Gerling Industrie Versicherung AG, Deutschland Schadenspiegel-Team: Gerne kommen wir der Anfrage nach. Übrigens: Der Schadenspiegel kann im Publikationsportal auf www.munichre.com als PDF heruntergeladen werden. Ausgabe 1/2007 Themenheft Risikofaktor Erde Ich bin seit vielen Jahren begeisterter Leser des Schadenspiegels. Die Publikation ist für mich äußerst informativ und nützlich. Bei der Ausgabe 1/2007 ist mir allerdings aufgefallen, dass in der Aufstellung Großschäden und Naturkatastrophen 2006 der Zyklon Larry irrtümlicherweiser mit der australischen Westküste in Verbindung gebracht wurde. Richtig ist jedoch, dass die australische Ostküste von Zyklon Larry betroffen war (die Küstengebiete von Queensland liegen im Osten und Norden Australiens). Ausgabe 2/2006 Themenheft Risikofaktor Feuer Ich habe vor einiger Zeit den Schadenspiegel Risikofaktor Feuer erhalten und mit großem Interesse gelesen. Insbesondere der Beitrag „Spezial: Brandschutz und Schadenverhütung” bietet ausgesprochen gute Informationen zum Thema Sprinkleranlagen – Schutz für Sachwerte und Personen. Könnten Sie mir bitte mitteilen, ob die Underwriter, Ingenieure und Schadenexperten der Münchener Rück weiter gehende Informationen besitzen? Besonders wertvoll wären für mich zusätzliche Informationen zur Schadenerwartung bei Objekten mit und ohne Sprinkleranlage oder Angaben zu den Kosten für den Einbau von Sprinklersystemen. Mit freundlichen Grüßen Brian W. Beeghly Director of Risk Management Nike, Inc., USA Schadenspiegel-Team: Die Experten der Münchener Rück sind der Anfrage natürlich nachgekommen und konnten Nike die gewünschten Informationen liefern. Irfan Choudhry Underwriting Manager Calliden Group Ltd, Australien Schadenspiegel-Team: Hier ist uns tatsächlich ein Fehler unterlaufen: Zyklon Larry hinterließ an Australiens Nord-Ost-Küste seine Spuren. Wir bedanken uns für diesen aufmerksamen Hinweis! Münchener Rück Schadenspiegel 1/2008 57 Editorial © 2008 Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Königinstraße 107 80802 München Risikofaktor Luft Stürmisch, zerstörerisch, gefährlich. Jutta Püschel Unternehmenskommunikation (Anschrift wie oben) Telefon: +49 (89) 38 91-57 58 Telefax: +49 (89) 38 91-7 57 58 E-Mail: [email protected] Bildnachweis Titelbild: picture-alliance/dpa S. 2, 3: MR-Archiv S. 6: AP/Huntington Herald-Press/ Andrew Hancock S. 10: U.S. Chemical Safety & Hazard Investigation Board, Washington D.C. S. 13: AP Photo/Stephen Morton S. 14: Getty Images/John Fiordalisi S. 18: Getty Images/Jim Reed S. 22: MR-Archiv (Possler) S. 24: Getty Images/David McNeese S. 30 von links nach rechts: AP Photo/Staff/ Koundakjian, MR-Archiv, AP Photo, picturealliance/dpa, Getty Images/Junko Kimura, MR-Archiv, MR-Archiv (Rauch), MR-Archiv (Kron), Reuters/Carlos Barria S. 31: von links nach rechts: picture-alliance/ dpa, picture-alliance/dpa, Jürgen A. Schwarz, München, Loser/mediacolors, Sascha Schuermann/ddp, Tannen Maury/AFP/ Getty Images S. 33: 2005 NOAA /Getty Images S. 35, 36: Marte Rebollar/AFP/Getty Images S. 38, 40, 43: Maritime and Coastguard Agency, Southampton, Hampshire S. 44: Andanson James/Corbis Sygma S. 45 von links nach rechts: Robert Nickelsberg/Time Life Pictures/Getty Images, Modrow/laif, AP Photo/Anat Givon S. 46 von links nach rechts: Heeb/laif, Getty Images/Tim Graham, Barry Lewis/Alamy S. 47 von links nach rechts: Gabriel Bouys/ AFP/Getty Images, Getty Images/Paula Bronstein, picture-alliance/dpa S. 48 von links nach rechts: Chris Niedenthal/ Time Life Pictures/Getty Images, Peter Scholey/Alamy, picture-alliance/dpa S. 49 von links nach rechts: picture-alliance/ Uwe S. Meschede, Yann Arthus-Bertrand/ Corbis, Mark Ralston/AFP/Getty Images S. 50, 53: Intel Corporation, Santa Clara, CA S. 54 von links nach rechts: picture-alliance/ dpa, picture-alliance/dpa, picture-alliance/ dpa, AP Photo/Marcelo Min, Mandel Ngan/ AFP/Getty Images, picture-alliance/dpa S. 55 von links nach rechts: picture-alliance/ dpa, Reuters/Reuters TV, picture-alliance/dpa, picture-alliance/maxppp, Lothar Zimmermann, Hamm, picture-alliance/dpa Redaktionsassistenz Michael Domke Unternehmenskommunikation (Anschrift wie oben) Druck Druckerei Fritz Kriechbaumer Wettersteinstraße 12 82024 Taufkirchen/München Anmerkung der Redaktion In Veröffentlichungen der Münchener Rück verwenden wir in der Regel aus Gründen des Leseflusses die männliche Form von Personenbezeichnungen. Damit sind grundsätzlich – sofern inhaltlich zutreffend – Frauen und Männer gemeint. Weitere Hefte sind gegen eine Schutzgebühr von 8 € erhältlich. Ihre Bestellung schicken Sie bitte an [email protected]. Aufsichtsrat Dr. Hans-Jürgen Schinzler (Vorsitzender), Herbert Bach (stellvertretender Vorsitzender), Hans-Georg Appel, Holger Emmert, Ulrich Hartmann, Dr. Rainer Janßen, Prof. Dr. Henning Kagermann, Prof. Dr. Hubert Markl, Wolfgang Mayrhuber, Kerstin Michl, Prof. Karel Van Miert, Ingrid Müller, Prof. Dr. Heinrich v. Pierer, Dr. Bernd Pischetsrieder, Dr. Jürgen Schimetschek, Dr. Albrecht Schmidt, Dr. Ron Sommer, Wolfgang Stögbauer, Josef Süßl, Judy Võ Liebe Leserinnen, liebe Leser, Telefon: +49 (89) 38 91-0 Telefax: +49 (89) 39 90 56 http://www.munichre.com bewegte Luft kommt die Versicherungswirtschaft teuer: Stürme verwüsten ganze Landstriche und richten Schäden in MilliardenEuro-Höhe an. In unserem Spezial „Wetterphänomen Sturm“ haben wir für Sie alles Wissenswerte rund um die Elementargefahr zusammengestellt. Wir zeigen Ihnen die Schadensituation nach Hurrikan Wilma, der 2004 im mexikanischen Ferienparadies Yucatán wütete. Besonders heikel war hier die Regulierung der Betriebsunterbrechungsschäden. Und: Wie aufwendig die Bergung eines Containerschiffs sein kann, verdeutlicht das Beispiel der MSC Napoli – sie havarierte 2007 während des Wintersturms Kyrill. Verantwortlich für den Inhalt Claims Management & Consulting: Nicholas Roenneberg Geo Risks Research/Corporate Climate Centre: Prof. Dr. Peter Höppe Marine: Thomas Artmann Risk, Liability & Insurance: Christian Lahnstein Schaden: Dr. Paolo Bussolera, Arno Studener, Dr. Eberhard Witthoff Space: Philip Ruari McDougall Doch der „Risikofaktor Luft“ geht über die reine Sturmgefahr hinaus. Stichwort Luftverunreinigung: Von den Umweltmedien Luft, Boden und Wasser beeinflusst die Luft unser körperliches Wohlbefinden besonders intensiv. Wie verhält es sich mit Aufwendungen für asbestverursachte Berufskrankheiten oder imissionsbedingte Atemwegserkrankungen? Und: Ist Luft der Freund der Luftfahrt oder vielmehr ein unkalkulierbares Risiko? Im Interview mit einem Piloten und Aviation-Underwriter klären wir, wie gefährlich turbulente Luftbewegungen für den Flugverkehr wirklich sind. Luft kann auch Feuer fangen: So berichten unsere Autoren im vierten und letzten Themenheft der Reihe „Wasser, Feuer, Erde, Luft“ über die Explosionsgefahr brennbarer Stäube. Außerdem über die Notwendigkeit reiner Luft bei der Halbleiterproduktion oder über eine defekte Windenergieanlage, deren Rotor ungebremst immer schneller drehte, bis ein Rotorblatt abknickte. Schließlich finden Sie in dieser Ausgabe auch unseren Rückblick auf die Großschäden 2007. Wie gefällt Ihnen das Heft? Schreiben Sie uns doch unter: [email protected] Redaktion Daniela Pürzer Unternehmenskommunikation (Anschrift wie oben) Telefon: +49 (89) 38 91-93 84 Telefax: +49 (89) 38 91-7 93 84 E-Mail: [email protected] Ihr Schadenspiegel-Team ISSN 0940-8878 Auf www.munichre.com können Sie im Publikationsportal alle Schadenspiegel-Ausgaben seit 2000 bestellen oder als PDF herunterladen. Die Zeitschrift erscheint in zwangloser Folge. Nachdruck ohne Genehmigung nicht gestattet. Schadenspiegel 1/2008 Bestellnummer 302-05654 Münchener Rück Munich Re Group © 2008 Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Königinstraße 107 80802 München 1/2008, 51. Jahrgang Schäden und Schadenverhütung Schadenspiegel Themenheft Risikofaktor Luft Deutsch