TIEFSEE

Transcrição

TIEFSEE
Die Tiefsee –
ein fremder Planet auf unserer Erde.
Auftakt zur Reihe marewissen: anschaulich
erzählt und bestechend schön illustriert
Aristoteles war nicht der Einzige, der glaubte, in der Tiefe sei
nichts als Wasser – der Irrtum hielt sich bis weit ins &.. Jahrhun-
DAGMAR RÖH RLICH
TI E FSE E
Von schwarzen Rauchern und
blinkenden Fischen
dert. Heute weiß man: Die Tiefsee ist der größte Lebensraum
der Erde, und er ist bevölkert von seltsamen Kreaturen, von
finsteren Horrormäulern, geflügelten Kraken und leuchtenden
Bakterien. Im ersten Band der Reihe marewissen erzählt die
renommierte Wissenschaftsjournalistin Dagmar Röhrlich von
den Wundern und Geheimnissen dieser schwarzen, lichtlosen
Welt.
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Die deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese
Dagmar Röhrlich, geboren &.*+ in Aachen, studierte Geologie
Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
und arbeitet als freie Wissenschaftsjournalistin. Für ihre
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
Arbeiten im Rundfunk und in den Printmedien hat sie etliche
unter http://dnb.ddb.de abrufbar.
renommierte Auszeichnungen erhalten, darunter den
»Georg-von-Holtzbrinck-Preis« für Wissenschaftsjournalismus
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&.... Zuletzt erschienen von ihr Evolution auf der Achterbahn
© '%&% by mareverlag, Hamburg
oder Warum wir Menschen unsere Existenz einem Vulkan-
DAGMAR
RÖH R LIC H
ausbruch verdanken '%%+ und Die Spur des Menschen oder
Dagmar Röhrlich
Was die Erde alles aushalten muss '%%.. Dagmar Röhrlich
Von schwarzen Rauchern und blinkenden Fischen
lebt in Köln.
TI E FSE E
marewissen Band &: TIEFSEE
ca. ((% Seiten, mit zahlreichen Illustrationen von Jan Feindt
Jan Feindt, geboren &.,* in Lüneburg, studierte Illustration
Halbleineneinband,
unter Yirmi Pinkus in Tel Aviv / Israel. Er lebt und arbeitet seit
Von schwarzen
Rauchern und
'%%' als freiberuflicher Illustrator in Berlin. Seine Arbeiten
blinkenden
Fischen
erschienen unter
anderem im amerikanischen Rolling Stone,
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in Wired, Dazed and Confused und in der New York Times.
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Mit Illustrationen von Jan Feindt
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Uhr
Sent digna facilit praesectem duipism odigna faccum alit venibh
eugue con ut in vel dolorem ea feugue erosto do con henit lut inciliquis duis nonullan utatumsan exer accummod dunt lam ero dit
velit aliquipis nim am quat vel ut la conse modolor tionulluptat aci
eugait aliquat niam, velis alit ipis ea con henis nim volor illa feugait
irit, conum quat vel ing et velenibh eugait, vel ullaore consed dio
od mincinc iliquisl incilisse mod doloreet, velit prat.
DA S I S T E I N E B L I N D S C H R I F T
lut utpatum adip ex euguera esting enibh elent ver si bla feu feum
nim veriurem iriurem velit, quamcon ullaore rillam acin henibh
eugait, commod exercip eriustrud el do commy nulputpat. To dolorper si etum verillan velenisit iure faccum iustion sectem venit
nit ver ipsustrud tat. Uscidunt iure conulluptat duis adit nullandit in
venim iurem zzriure magna conse mincipis nullan utat. Vulluptatio
commolo rperos nullametum del dolesendio dolore magna facillam ilit la faccum ad molorero corper incipisse facil deleniam nibh
eugiat, quat, quissequat, quatum quat nonum volorpero commodo commod euguer augue er ad tat dolorper sequipismod etum
vel dolore faciduis nonsecte facilit ipisl elisim do dolessed magnim
quat.Idui tem diam del irit amcon velis ex eniamcore magna facin
ex enisis acidunt atet nibh ea feugue dio diat. Nos er sisit la consequi tat aut atem volor suscilisl do consequam, sum zzrit pratuero
dolortie essed tat la at. Ros nit, quisi exer sequip et landigna feugait
ip exerosto commy nonsequis aliquis nim iurerat lutpat, quis num
quis et nit dolor ad dio dolessectem irit praestion eui bla core ver
secte vel duis dolummy nonsent wissis enibh exeriuscilit vullutetum aliqui te te volummy nis autet inciliquam quis acillaore doloreet, velit vel ut wisim augue magna facipis modolor sustrud mod
euis eu feugait, velent amconsed Duiscinis dolor sis augue erat, ver
si eratem dipit ulputat diate te min hent lut utpatum adip ex euguera esting enibh elent ver si bla feu feum nim veriurem iriurem
velit, quamcon ullaore rillam acin velit vel ut wisim augue magna facipis modolor sustrud mod euis eu feugait, velent amconsed
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Licht in der Dunkelheit –
Von Jagd und
Tarnung und einem
toten Lehrer
B
is Joe Matkin im August über die Torresstraße schauen
sollte, waren es noch ein weiter Weg und viele Monate voller Arbeit.
Noch hatte die Challenger nicht einmal den Äquator überquert. Der
nächste Stopp war Madeira, und die Passage von den Azoren dorthin
dauerte eine Woche – wegen der üblichen Arbeiten. Die Mannschaft
freute sich darauf, die Insel wiederzusehen, die sie schon zu Beginn
ihrer Reise angelaufen hatten. Wie ein Paradiesgarten sollte sie jetzt
im Sommer sein, davon hatten ihnen Anfang des Jahres britische Touristen erzählt. Eine Woche wollte man im Hafen von Funchal bleiben,
Freunde aus dem Winter treffen, die inzwischen wohl aus der Stadt in
ihre Landhäuser gezogen waren …
Aber sie sollten enttäuscht werden. Am Morgen des Juli lief die Challenger ein. Kapitän Nares erhielt die Nachricht, dass auch
hier gerade eine schwere Pockenepidemie gewütet hatte. Er entschied,
so schnell wie möglich wieder Segel zu setzen: Nur zwei Offiziere
hatten Ausgang, ansonsten wurde lediglich frischer Proviant an Bord
Abbildung links:
Juwelen-Kalmar
(Stigmatoteuthis)
Größe: bis zu cm
Lebt tagsüber zwischen
und Metern
Wassertiefe. Steigt
nachts zum Fressen
in Oberflächennähe.
Auffällig sind die
Augen: Eines scheint
aus dem Körper
her vorzuquellen,
das andere darin zu
versinken.
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Anglerfisch
(Ceratias uranoscopus)
Lebt in bis zu
Metern Wassertiefe. Wann immer
ein Anglerfisch in der
Tiefsee mit seinem
leuchtenden Köder
Beute lockt, ist es
ein weibliches Tier.
Die männlichen
Anglerfische sind nur
parasitische Anhängsel
an den Weibchen.
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geholt. Ein paar Wissenschaftler besuchten wenigstens ein Dampfschiff, das zwischen dem
afrikanischen Benin und Liverpool pendelte
und gerade in Funchal Kohlen bunkerte. Von
Bug bis Heck war es vollgestopft mit zahllosen Käfigen, in denen Graupapageien hockten. Selbst in den Quartieren der Mannschaft
standen sie herum. Affenkäfige gab es, eine
große Wildkatze, die in einem Verschlag steckte,
und ein paar große Pythons in einer Kiste, erzählte Henry Nottidge
Moseley in seinem Reisebericht. Die Tiere sollten alle nach Liverpool
transportiert und verkauft werden.
Für die Mannschaft gab es in Funchal diesmal nur einen Lichtblick:
den Postsack mit Briefen und ein paar Zeitungen von daheim, der
auf sie gewartet hatte. Die Zeit, Antworten zu schreiben, blieb jedoch
nicht. Schon am nächsten Abend ging es weiter zu den Kapverdischen Inseln. Bereits die erste Dredsche auf dem Weg dorthin war
recht erfolgreich, notiert Wyville Thomson: zwei unbekannte Seegurken. Dann näherte sich das Schiff dem Punkt, an dem sie vor fünf
Monaten die erste mit Mangan überkrustete Koralle gefunden hatten.
Die Wissenschaftler hofften, diesmal eine lebende hochzuholen. Vielleicht würde dann klarer, was da unten los sein könnte. Aber keine der
Korallen lebte. Sie waren alle schon halb mineralisiert. Dafür hingen
hübsche kleine Schlangensterne in ihren Ästen.
Am nächsten Tag fanden sie in Metern Tiefe einen Zentimeter langen Anglerfisch, den der Meeresbiologe an Bord der Challenger, John Murray, Ceratias uranoscopus taufte: ein bizarres Tier, schwarz,
die Haut dicht mit Dornen besetzt und mit winzigen Augen hoch oben
auf dem Kopf. In den er-Jahren hatte Oberstleutnant C. Holboell
das erste Exemplar dieser schwarzen »Teufel« zu Gesicht bekommen –
an einem Strand in Grönland. Behutsam hatte Holboell damals das
groteske Tier aufgenommen, das riesige Maul betrachtet, die rasiermesserscharfen, nach innen gebogenen Zähne, den seltsamen Fortsatz,
der aus seinem Kopf spross. Hässlich war der Fisch, mit warzigen Fäden
und Ausstülpungen.
EIN LEBEN IN DER DRITTEN DIMENSION
Nicht anders als an Land sorgen auch im Meer die
Pflanzen mithilfe des Sonnenlichts und der Fotosynthese für die primäre Biomasseproduktion, von der (fast)
alle anderen abhängen. Außerdem produzieren die diversen Algen in den obersten Meeresschichten auch reichlich Sauerstoff. In der obersten Lage ist also gut leben.
Allerdings spielt im Ozean die dritte Dimension eine
ganz gewichtige Rolle. Während an Land das Leben,
wenn man von den Vögeln absieht, im Grunde zweidimensional abläuft, erstreckt sich im Meer der größte
Lebensraum in den Hunderten und Hunderten von
Metern zwischen Wasseroberfläche und Boden. Der
Lebensraum der Tiefsee ist etwa elfmal größer als der
an Land. Mehr als Prozent liegen unterhalb von
Metern, also jenseits des Einflussbereichs der Sonne. Dieses Riesenreich ist überall besiedelt, und selbst
wenn es »nur« Borstenwürmer sind. Es gibt allerdings
eine Ausnahme: die sauerstofflosen Zonen. Dort fühlen
sich nur Mikroben wohl.
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Ceratias uranoscopus war keinen Deut hübscher als Holboells Zufallsfund. Thomson beschrieb ihn minutiös, den Körper und die Angel,
die ihm auf dem Kopf wuchs, mit dem »birnenförmigen Köder, der in
einem transparenten weißlichen Fleck endete«. Es gebe keinen »vernünftigen Zweifel«, dass er und seine Verwandten am Boden lebten.
Dort lägen sie verborgen im Schlamm, warteten auf Beute: »Es wird
vermutet, dass sie dabei die Angel samt Anhang als Köder benutzen,
aber es ist wahrscheinlicher, dass es sich dabei um ein Sinnesorgan
handelt, das ihnen anzeigt, wenn sich etwas Fressbares nähert.«
Thomson wäre erstaunt gewesen, wenn er den Anglerfisch einmal
auf der Jagd gesehen hätte. In den Angelruten leben in kleinen Hauttaschen Milliarden von Leuchtbakterien, die für Licht sorgen – denn in
der Tiefsee bedeutet ein strahlendes Etwas oft eine Einladung zu Tisch:
Dort unten gibt es leuchtende Würmer, und schimmernde Bakterien
siedeln sich auf Fäkalien an oder auf sich zersetzenden Nahrungsresten, auf von Parasiten befallenen, schwachen Tieren oder Kadavern.
Sie sind wie Leuchtsignale, die den Fischen zeigen, dass es hier etwas
zu fressen gibt, schließlich bevorzugen diese Bakterien Fischmägen als
Lebensraum und wollen auf dem schnellsten Weg dorthin. Ein Licht
in der Dunkelheit bedeutet also eine willkommene Gelegenheit in
einer frugalen Welt. Genau das macht sich der Anglerfisch zunutze.
Wenn er jagt, bewegen sich nur seine Augen, und die Spitze der Angel
glimmt. Er verharrt regungslos, während das fleischige, sich krümmende Anhängsel für ihn lockt. Kommt ein hungriger Fisch näher, ist das
sein Tod. Wie der Blitz schießt der Anglerfisch vor, reißt sein riesiges
Maul auf, schnappt den Kopf des Fisches. Der will fliehen, versucht zu
entkommen – und treibt sich durch den eigenen Flossenschlag noch
tiefer in den zahnbewehrten Schlund des Räubers hinein. Ein anderer
Anglerfisch macht es sich noch etwas bequemer. Er muss noch nicht
einmal mehr zuschnappen. Galatheathauma trägt das Leuchtorgan direkt im Rachen. Wer so unvorsichtig ist, den leuchtenden Köder zu
inspizieren, sitzt in der Falle: Galatheathauma braucht sein Maul nur
noch zu schließen.
Die Jagdmethoden der Anglerfische erscheinen zwar bizarr, aber
die Räuber der Tiefsee müssen andere Strategien einsetzen als die der
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lichtdurchfluteten Meereszonen. Dort oben leben die großen Schwärme der Heringe, Makrelen oder Sardinen. Sie leben im Licht, orientieren sich optisch. Um zu überleben, setzen sie auf Geschwindigkeit,
auf Gewandtheit, sie bilden Schulen: große Schwärme, in denen sich
alle genau gleich bewegen, sodass von der Seite her nicht mehr der
einzelne Fisch zu erkennen ist, sondern nur noch eine silbrige, flirrende Wand. Die Masse bietet Schutz. Ebenso seine Färbung. Von oben
betrachtet verschmilzt ihr bläulich oder grünlich gefärbter Rücken
ebenso mit der Farbe des Wassers wie ihr silberner Bauch von unten
her gesehen mit dem hellen Sonnenlicht.
Gejagt werden die schnellen Fische von nicht minder schnellen,
starken Räubern wie Thunfischen, Haien, Delfinen, dem Kabeljau,
aber auch Kalmaren. Die obersten Meter des Meeres – die epipelagische Zone – sind wie die Savannen Afrikas: Statt der Gnuherden
ziehen hier Heringsschulen, und die Rolle der Löwen und Hyänen
übernehmen die Raubfische oder die Delfine, die auf Sicht jagen, ihre
Opfer einkreisen oder hetzen.
In den dunklen Tiefen des Meeres funktioniert diese Strategie nicht
mehr. Es zählt auch nicht, schnell und stark zu sein – man muss sich
»listenreicher« durchs Leben schlagen und auf die Listen der anderen
gefasst sein. Wie Stigmatoteuthis arcturi – der Arcturus-Juwelenkalmar.
Er lebt tagsüber in bis Metern Tiefe und steigt nachts auf
bis in Meter Tiefe. Auf den ersten Blick könnte man ihn für deformiert halten, so weit stehen seine Augen auseinander, und sie sehen auch noch vollkommen
unterschiedlich aus: das eine klein, in den
Mantel eingesunken, das andere sehr
groß, und es scheint regelrecht
aus dem Körper hervorzuquellen. Mit diesem Auge
hält der Kalmar ständig
im Wasser über sich Ausschau nach Beute, während das
kleine in die dunkle Tiefe starrt, um Feinde
auszumachen.
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Anglerfisch
(Galatheathauma oder
Thaumatichthys)
Größe: bis cm
Lebt zwischen und rund Metern Wassertiefe.
Setzt auf so etwas
wie köderbestückte
Mausefallen: Im Maul
leuchtet ein Köder –
wer danach schnappt,
sitzt in der Falle.
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Augen in der Nacht
WASSERZONEN
Epipelagial
m
Mesopelagial
m
Etwa Meter tief dringt das Licht ins Meer
ein – und so weit reicht denn auch das Epipelagial. Darunter folgt die Welt des Zwielichts, das
Mesopelagial. Hier hinein dringt nur der blaue
Anteil des Sonnenlichts, und auch dieser bläuliche
Schimmer wird mit zunehmender Tiefe immer
schwächer. Dann, zwischen bis Me-
Bathypelagial
m
tern, verlischt er. Darunter beginnt die Zone der
Finsternis, zunächst die bathypelagische bis in
Metern Tiefe, dann die abyssopelagische
und unter Metern das Hadopelagial, die
Abyssopelagial
m
Zone, die selbst noch die Challenger-Tiefe im
Marianengraben umfasst. In den lichtlosen Tiefen beginnt außerdem jeweils Meter über
dem Meeresboden das Reich der benthopelagischen Fauna, der Tiefsee-Bodenbewohner. Sie
sind Bodenspezialisten, deren Welt vom Kontinentalabhang bis in die tiefsten Tiefen der Ebenen des Abyssals reicht. Jede dieser Zonen hat
ihre eigene Tierwelt.
Hadopelagial
m
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Selbst in der stockdunklen
Düsternis jenseits der Eindringtiefe des Lichts benutzen viele Tiefseebewohner ihre Augen.
In der Zwielichtzone sind sie sogar ganz besonders wichtig. Ihre
Augen sind auf höchste Empfindlichkeit optimiert – denn die meisten
Lichtreize dort unten sind nicht sehr hell. Selbst bei einem schwachen
Schimmer können sie noch etwas Fressbares auftun oder miteinander in ihren locker organisierten Gruppen kommunizieren oder einen
Partner finden, sogar wenn seine Lichtsignale mickrig sind.
Allerdings sind Linsenaugen dann am empfindlichsten, wenn die
Pupille möglichst weit geöffnet ist und möglichst viel Licht einlässt.
Je größer die Augen selbst dabei sind, umso besser. Nun macht es
einem Koloss-Kalmar nicht viel aus, wenn seine Linsenaugen Tellerformat annehmen, aber für einen Fisch wäre das doch sehr störend, weil
bei ihnen Augen im XXL-Format recht schnell nicht mehr in den Kopf
hineinpassen würden. Daher besitzen viele Fische der Zwielichtzone
Röhrenaugen, also zylindrische Augen, die im Grunde nichts anderes
sind als der zentrale Teil eines normalen Linsenauges. Die stehen dann
zwar etwas vor, doch ihr Vorteil ist, dass sie sehr lichtempfindlich sind,
aber trotzdem handhabbar klein bleiben. Allerdings haben sie auch
einen gravierenden Nachteil: Sie engen das Gesichtsfeld stark ein.
Die meist gerade einmal fingerlangen Gespensterfische, die in bis Metern Tiefe leben, setzen auf große, oft nach oben gerichtete Röhrenaugen, die noch den schwächsten Lichtschimmer einfangen. Sie werden auch »Hochgucker« genannt, weil die Augen bei den
meisten Arten ständig aufwärts gerichtet sind. Eine der Ausnahmen ist
Winteria telescopa. Ihre Röhrenaugen sind nicht nur besonders groß,
sodass sie wirken, als trügen sie riesige, sich fast berührende Scheinwerfer im Gesicht. Mit ihnen starrt Winteria nach vorne, aber dafür
unterscheidet sie sogar zwischen dem Umgebungslicht und der Biolumineszenz ihrer Nachbarn. Das macht das harmlos wirkende Fischchen zu einem perfekten Jäger – und es entgeht den vielen Lichtfallen,
die die Tiefseewesen einander stellen.
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Gespensterfisch
(Winteria telescopa)
Größe: cm
Lebt in Tiefen zwischen
und Metern.
Gespensterfische leben
wahrscheinlich als
Einzelgänger. Sie
wandern nicht, sondern
warten darauf, dass
ihnen etwas Fressbares
zu nahe kommt.
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Gespensterfisch
(Dolichopteryx longipes)
Größe: cm
Lebt in bis Metern Wassertiefe.
Er frisst vor allem
Kopepoden und andere
kleine Krebstiere.
Um den Lichteinfall für ihre Röhrenaugen zusätzlich zu verbessern,
setzen manche Gespensterfische auf Durchsichtigkeit, was ihr spukhaftes Aussehen noch unterstreicht. Dazu zählt Macropinna microstoma,
ein fingerlanges Fischchen, das im Grenzbereich zur absoluten Dunkelheit lebt und seinen Kopf mit einem transparenten Schild überzogen hat. Der liegt über den Röhrenaugen, die sich unter diesem
Schutz bewegen können: Macropinna kann seine Augen nach vorne
drehen, wenn dort etwas Interessantes reizt. Entdeckt hat das Bruce
H. Robinson vom Monterey Bay Aquarium Research Institute, als er
in dem Tiefsee-Canyon direkt vor seinem Institut den kleinen Fisch
mit einem ferngesteuerten Forschungs-U-Boot ausspionierte. Sobald
das Scheinwerferlicht auf Macropinna traf, leuchteten die Augen unter
dem flüssigkeitsgefüllten Schild grün auf.
Die grünen Pigmente in den Augen filtern wahrscheinlich das restliche Sonnenlicht aus, sodass Macropinna sich ganz auf jedes noch so
schwache Licht konzentrieren kann, das ein anderer Tiefseebewohner aussendet. Ihr außergewöhnlich kleines, zahnloses Maul und die
für den Körper ungewöhnlich großen Flügelflossen verraten, dass das
Fischchen eine besondere Überlebensstrategie ausgetüftelt hat. Normalerweise hängt Macropinna microstoma in bis Metern Tiefe
bewegungslos im Wasser »herum«, hält nach oben hin Ausschau – und
zwar nach kleinen Quallen, die sie einfach vertilgen kann, aber wohl
auch nach riesigen Staatsquallen wie Apolemia, in deren zehn Meter
langen Tentakeln sich kleine Ruderfußkrebse und andere Lebewesen
verfangen – ein Schlaraffenland für Macropinna, solange sie vorsichtig genug ist, denn Bruce Robinson hat sie im Verdacht, mit ihrem
»Mündchen« zwischen den Tentakeln der Staatsquallen auf Diebeszug zu gehen. Mit winzigen Flossenbewegungen steuert das Fischchen dann zwischen den tödlichen Tentakeln hindurch, wobei es
die Augen nach vorne klappt, um genau zu sehen, wo ein
Ruderfußkrebschen zu erbeuten ist. Der transparente
Schild schützt dabei die Augen vor dem Quallengift. T
Koloss-Kalmar
(Mesonychoteuthis
hamiltoni)
Größe: bis m
Lebt in bis zu Metern Wassertiefe.
Er ist die Leibspeise
von Pottwalen – und
anscheinend keine
ganz einfache Beute.
Viele Pottwale tragen
Narben von Kämpfen
mit dem wehrhaften
Riesen.
S E HE N MI T RÖH REN U ND S P IEGEL N
Ein Gespensterfisch hat sogar ganz einzigartige Augen,
das für die Gespensterfische klassische Röhrenauge −
wie Hans-Joachim Wagner von der Universität Tübin-
das nach unten sichernde Auge jedoch ein Wunder der
gen herausgefunden hat. Es ist der zarte, durchsichtige
Natur: Es hat der Linse abgeschworen und setzt statt-
Dolichopteryx longipes. Er hatte das Problem mit dem
dessen auf die »Spiegeloptik«. Diese »Nebenaugen«
ständigen Nach-oben-Starren wohl gründlich satt und
stecken in einer Art Säckchen, das sich von dem Röh-
hat deshalb im Lauf der Evolution einen ganz eigenen
renauge abzweigt. Während die eine Seite des Säck-
Augentyp entwickelt. Auf den ersten Blick sieht der
chens mit »Spiegeln« aus exakt angeordneten Guanin-
Dolichopteryx so aus, als hätte er vier Augen. Aber
kristallen bedeckt ist, sitzt auf der gegenüberliegenden
das täuscht, in Wirklichkeit sind es zwei, aber die sind
eine Netzhaut. Was immer an Licht auf die Spiegelflä-
gespalten. Der eine Teil schaut nach oben, der andere
che fällt, wird auf die Netzhaut projiziert. Weil das Ne-
nach unten − falls sich von dort ein Räuber nähert.
benauge so positioniert ist, dass es das Licht von unten
Das allein ist schon bemerkenswert, aber noch nicht
das Erstaunlichste. Das nach oben gerichtete Auge ist
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einfängt, erkennt Dolichopteryx longipes mit seiner
Hilfe, wenn sich ein Räuber von dort heranpirscht.
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Inhaltsverzeichnis
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
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Vorbemerkung –
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Das Abenteuer beginnt
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renommierte Auszeichnungen erhalten, darunter den
»Georg-von-Holtzbrinck-Preis« für Wissenschaftsjournalismus
10. Leben auf dem Vulkan −
Von Black Smokern und der
Begegnung mit dem Schnabeltier
&.... Zuletzt erschienen von ihr Evolution auf der Achterbahn
oder Warum wir Menschen unsere Existenz einem Vulkanausbruch verdanken '%%+ und Die Spur des Menschen oder
Zum tiefsten
Dagmar1.Röhrlich
Punkt –
Von der
Triesteund
und
dem Traum
vom
Von schwarzen
Rauchern
blinkenden
Fischen
Meeresboden
marewissen
Band &: TIEFSEE
Was die Erde alles aushalten muss '%%.. Dagmar Röhrlich
11. Die Verlorene Stadt –
Vom Leben im Rohrreiniger und
dem Abenteuer auf einem Vulkan
ca. ((% Seiten, mit zahlreichen Illustrationen von Jan Feindt
2. Und sie lebt doch!
Halbleineneinband,
lebenden
Fossilien
und guten wie
12. Riffe in der Nacht –
€ '),– [D] Von
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[A]*/ sFr.
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bösen Omen
Vom Schicksal des Granatbarschs
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und dem tiefsten Punkt der Welt
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3. Flüsse im Meer –
Vom Golfstrom und dem Geburtstag
13. Die Zeichen an der Wand –
www.mare.de
einer Königin
Vom Stress der Meere und einer
glücklichen Heimkehr
4. Verborgene Kontinente –
Von der Plattentektonik und dem
Telegrafenplateau
lebt in Köln.
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5. Licht in der Dunkelheit –
Von Jagd und Tarnung und einem toten
Lehrer
6. Die Kunst des Hungerns –
Von Wanderern in der Tiefsee und einer
Gelbfieberepidemie
7. Wässriges Fleisch –
Von Riesenkraken und der Angst vor
der Antarktis
Epilog − Zeiten des Wandels
Glossar
8. Wer im Schlamm wühlt –
Von Dreistelzenfischen und Kerguelenkohl
Literatur zum Weiterlesen
Danksagung
9. Der Weg zur Vielfalt –
Von Walbuffet und Jagdfieber
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Register
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