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KIRCHEN FLÜCHTLINGE Evangelischer Pressedienst GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG AUSLAND Wochenspiegel AUSGABE WEST Düsseldorf | 15. Juni 2015 | NR. 25 Kirchen Aufklärung und Dialog statt Abkapselung Die evangelische Kirche erörtert in einem Positionspapier Wege für das Zusammenleben in religiöser Vielfalt. Sie plädiert für ein Eintreten für Minderheiten und die Stärkung der demokratischen Kultur. Seite_2 Ein idealisierender Blick auf Luther Im Judentum gab es nach Ansicht des Religionswissenschaftlers Christian Wiese lange ein weitgehend positives Lutherbild. Die antisemitischen Äußerungen des Reformators seien lange Zeit ausgeklammert worden. Seite_4 Lippische Kirche stärkt Hilfen für Flüchtlinge Mehr Hilfen für Flüchtlinge und das Reformationsjubiläum im Jahr 2017 standen im Mittelpunkt der Lippischen Landessynode am Freitag und Samstag in Lemgo. Seite_5 Flüchtlinge Länder bekommen mehr Geld für Flüchtlinge Der Bund gibt dem Drängen der Länder nach: Ab 2016 will er dauerhaft in die Finanzierung der Kosten für Flüchtlinge einsteigen. Für das aktuelle Jahr verdoppelt er seine Hilfen auf eine Milliarde Euro. Seite_17 Ein neues Zuhause auf Zeit Tausende minderjährige Flüchtlinge machen sich allein auf den Weg nach Europa oder werden auf der Flucht von ihren Eltern getrennt. Einer von ihnen ist der 17-Jährige Amadou. Im Jugendheim Halfeshof in Solingen hat er Zuflucht gefunden. Seite_22 Soziales Befürworter organisierter Sterbehilfe legen Entwurf vor Im Bundestag formieren sich Befürworter und Gegner organisierter Sterbehilfe. Die anstehende Debatte verspricht Spannung. Patientenschützer fordern unterdessen, die Situation Todkranker in Pflegeheimen stärker in den Blick zu nehmen. Seite_35 Entwicklung Studie: Kinder pulen Garnelen für Europa Die EU müsse ihren Einfluss als wichtiger Handelspartner Thailands geltend machen, um diese Form der Ausbeutung zu beenden, fordert "terre des hommes". Seite_50 Ausland Schweizer sagen Ja zu Untersuchung von Embryonen Die Schweizer haben sich in einer Volksabstimmung für die Legalisierung der Präimplantationsdiagnostik (PID) ausgesprochen. Laut Hochrechnungen stimmten mehr als 60 Prozent der Stimmbürger am 14. Juni für eine Verfassungsänderung, welche die Voraussetzungen für die PID schafft. Seite_53 Impressum Seite_54 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Aufklärung und Dialog statt Abkapselung AUSLAND KIRCHEN Evangelische Kirche erörtert in Positionspapier Wege für Zusammenleben in religiöser Vielfalt Frankfurt a.M. (epd). In Hannover und Bern gibt es bereits ein »Haus der Religionen«. Auch in Berlin ist ein »House of One« geplant, das Christen, Juden und Muslimen als Begegnungsstätte dienen soll. In anderen Kommunen wie etwa Frankfurt und Köln haben sich Räte oder Runde Tische der Religionen etabliert, die Ausdruck der zunehmenden Präsenz fremder Religionen in der bisher überwiegend christlich geprägten Gesellschaft sind. Mit diesem religiösen Pluralismus, der auch Ängste, Fremdheitsgefühle und Konflikte auslösen kann, setzt sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in einem neuen Grundlagentext auseinander, der am 12. Juni vorgestellt wurde. »Gegen solche Ängste helfen aber nur Aufklärung und Dialog, Eintreten für Minderheiten und Stärkung der demokratischen Kultur«, empfiehlt der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm im Vorwort der Schrift »Christlicher Glaube und religiöse Vielfalt in evangelischer Perspektive«. Ausdrücklich bekennt sich das Papier zum Grundrecht der Religionsfreiheit und lobt das »religionsfreundliche Modell« des deutschen Verfassungsrechts, das öffentliches Wirken der Religionen ermöglicht. Wie sollen evangelische Christen Menschen mit anderen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen begegnen? Was ist in der Praxis des Zusammenlebens mit Angehörigen nichtchristlicher Religionen zu beachten? Vor diesem Hintergrund wirbt die EKD dafür, die Vielfalt der Religionskulturen als Chance zu sehen. »Ein positives Verständnis religiöser Vielfalt zielt letztlich auf eine Stärkung evangelischer Identität, die sich im Dialog und nicht in der Abkapselung entfaltet.« Neben grundsätzlichen Erwägungen zu einer »Theologie der Religionen« enthält der Text auch Hinweise zum Umgang mit Religionsverschiedenheit in Ehe und Familie, zu den Bedingungen für gemeinsames Beten, zum Missionsauftrag sowie zur Arbeit in der Diakonie. Im Zusammenleben mit anderen Religionen und Weltanschauungen seien Kirchen vor allem bei familiären Ereignissen wie Trauung, Taufe oder Bestattung herausgefordert. Über kirchenrechtliche Regeln hinaus seien dafür seelsorgerliche Lösungen gefragt. Anders- und Nichtgläubige sollten nicht zur Anpassung genötigt werden, wird in dem Text empfohlen. Bei der Ehe zwischen Partnern verschiedener Religionen seien interreligiöse Kompetenz und Begleitung gefragt. »Niemand kann heute für sich beanspruchen, über das Zusammensein mit anderen nach Taufbuch oder Religionszugehörigkeit definitiv zu entscheiden« heißt es in dem Papier. Kirchliche Angebote für die Gesellschaft wie Kindertagesstätten, Schulen, Krankenhäuser und Altenpflege oder die Seelsorge an Soldaten richteten sich nicht nur an Christen, sondern an alle, die auf christliche Nächstenliebe hoffen. Für Schulgottesdienste oder öffentliche Buß- und Gebetsfeiern bedarf es aus Sicht der EKD Gestaltungskompetenz und Weisheit der für die Liturgie Verantwortlichen. Dabei dürften liturgische Formen weder vereinnahmen noch neutralisieren und »sich vor allem nicht in Plattitüden erschöpfen«. »Niemand darf gezwungen oder übertölpelt werden«, argumentieren die Autoren mit Hinweis auf staatliches Recht und evangelisches Missionsverständnis: »Die Mission hat es nicht selbst in der Hand, ob ihre Verkündigung Frucht trägt und auf welchen Boden der Samen fällt.« Wer zu einer Veranstaltung einer evangelischen Gemeinde kommt, in einer evangelischen Kindertagesstätte oder einem evangelischen Krankenhaus ist, sollte nicht fürchten müssen, dass er »um die eigene Religion gebracht wird«. Gefragt sei ein kultur- und religionssensibles Handeln. Denn christliche Nächstenliebe und Barmherzigkeit hätten auch Nichtchristen als Adressaten. Ob diese theologische Orientierung, die Religionsvermischung ebenso wie Abwertung anderer Religionen ablehnt, beim Spitzentreffen von EKD und Koordinationsrat der Muslime am nächsten Dienstag auf der Tagesordnung steht, bleibt abzuwarten. Mit dem Koordinationsrat will die evangelische Kirche einen »Dialogratgeber« präsentieren, um die Begegnung von Christen und Muslimen zu fördern. Von Rainer Clos (epd) epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _2 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Zentralrat erwartet Distanzierung von Luthers Antisemitismus Berlin (epd). Der Zentralrat der Juden in Deutschland hofft vor dem Reformationsjubiläum 2017 auf ein »deutliches Zeichen« der evangelischen Kirche zu antisemitischen Äußerungen Martin Luthers (1483-1546). »Ich gehe davon aus, dass sich der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) dazu erklären wird«, sagte Zentralratspräsident Josef Schuster am 10. Juni in Berlin zum Auftakt einer gemeinsamen Tagung von Zentralrat und Evangelischer Akademie. In seiner Schrift »Von den Juden und ihren Lügen« von 1543 schlägt Luther unter anderem vor, Synagogen abzubrennen und Häuser von Juden zu zerstören. Diese Schattenseite des Reformators müsse deutlich benannt werden, sagte Schuster weiter. »Die Menschen müssen wissen, was Luther damals auch gedacht und aufgeschrieben hat«, betonte Schuster. Andernfalls sehe er dem Reformationsjubiläum mit einer gewissen Skepsis entgegen, fügte der Zentralratspräsident hinzu. Die erste gemeinsame Tagung von Zentralrat der Juden und Evangelischer Akademie in Berlin trägt den Titel »Reformator, Ketzer, Judenfeind - Jüdische Perspektiven auf Martin Luther«. Bis Freitag soll unter anderem über die Belastungen des christlich-jüdischen Verhältnisses durch die judenfeindlichen Thesen des Reformators diskutiert werden. Für Schuster spielen bei den heutigen Repräsentanten der evangelischen Kirche die Ideen Luthers zu den Juden keine Rolle mehr. Und er sieht bei der Kirche durchaus den Willen zur kritischen Aufarbeitung: »Wir wären aber auch enttäuscht gewesen, wenn diese Schattenseiten Luthers totgeschwiegen würden«, sagte der Zentralratspräsident. Ausgesprochen kritisch sehe die jüdische Gemeinschaft dagegen die Bestrebungen zur Judenmission bei AUSLAND KIRCHEN evangelikalen Gemeinden. »Hier erwarten wir eine klare Abgrenzung der Amtskirche«, forderte Schuster. Für den früheren EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider sind die judenfeindlichen Äußerungen des Reformators verletzend und empörend. Er gehe deshalb davon aus, dass sich die EKD dazu offiziell erklären wird, sagte der ehemalige rheinische Präses: »Diese Thesen sind mit dem Evangelium unvereinbar.« Für Schneider schwingt in dem Antisemitismus Luthers auch die Frustration über fehlende Resonanz bei den Juden auf die Reformation mit. Luther habe auf viele Überläufer aus dem Judentum in die neue moderne Kirche gehofft, sagte Schneider. Nach Ansicht des Frankfurter Religionswissenschaftlers Christian Wiese hat trotz dieses gravierenden Antisemitismus lange Zeit ein weitgehend positives Lutherbild unter den Juden existiert. Vor allem das Reformjudentum des 19. Jahrhunderts habe in Martin Luther ein Vorbild für eine »jüdische Reformation« gesehen, sagte der evangelische Theologe auf der Tagung. »Es sind hier immer wieder sehr positive Stimmen zu finden, die Luther als Vorläufer von Gewissensfreiheit, Toleranz und Aufklärung verstanden.« Die antisemitischen Äußerungen Luthers seien lange Zeit ausgeklammert worden. Luther habe für liberale Juden eine geistige Tradition in Deutschland verkörpert, »die der bürgerlichen Gleichberechtigung der Juden förderlich ist«. Dies sei ein sehr idealisierendes Lutherbild gewesen. Einen Wandel gab es Wiese zufolge dann in den 1930er Jahren. Dann habe sich im Judentum die Erkenntnis durchgesetzt, »dass die jüdische Liebesgeschichte mit Luther ein tragischer, völlig vergeblicher Versuch war«. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _3 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG AUSLAND KIRCHEN Ein idealisierender Blick auf Luther Der Religionswissenschaftler Christian Wiese über die jüdische Sicht auf den Reformator Frankfurt a.M. (epd). Im Judentum hat nach Ansicht des Religionswissenschaftlers Christian Wiese lange Zeit ein weitgehend positives Lutherbild existiert. Vor allem das Reformjudentum des 19. Jahrhunderts habe in Martin Luther ein Vorbild für eine »jüdische Reformation« gesehen, sagte der evangelische Theologe in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). »Es sind hier immer wieder sehr positive Stimmen zu finden, die Luther als Vorläufer von Gewissensfreiheit, Toleranz und Aufklärung verstanden.« Die antisemitischen Äußerungen Luthers seien lange Zeit ausgeklammert worden. Am 10. Juni begann in Berlin eine Tagung des Zentralrates der Juden und der Evangelischen Akademie zur jüdischen Perspektive auf Luther. Wiese warnte davor, die positiven Stimmen im Judentum zu verwenden, um zu belegen, dass der frühe Luther »aus jüdischer Perspektive gar nicht so schlimm gewesen sei«. Denn diese Deutung habe den historischen Kontext nicht im Blick. »Es war der verzweifelte Versuch, dazuzugehören und sich mit der Figur Luther zu identifizieren.« Die jüdischen Gelehrten hätten versucht, Luther besser zu verstehen als der Protestantismus ihn verstand. Luther habe für liberale Juden eine geistige Tradition in Deutschland verkörpert, »die der bürgerlichen Gleichberechtigung der Juden förderlich ist«. Dies sei ein sehr idealisierendes Lutherbild gewesen. Zugleich verwies der Wissenschaftler aber auch gegenläufige Bewegungen, die vor allem Luthers Obrigkeitsgeist und seine Beziehung zu den Territorialfürsten kritisierten. Einen Wandel des jüdischen Lutherbildes gab es Wiese zufolge in den 1930er Jahren. Dann habe sich im Rheinische Landeskirche Vizepräses wirbt für Offenheit von Gemeinden für Fremde Koblenz (epd). Der Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Christoph Pistorius, hat evangelische Kirchengemeinden aufgerufen, offen für fremde Menschen zu sein. Christen und ihre Gemeinden dürften sich nie allein mit dem Kreis derer zufriedengeben, die aktiv sind Luther-Porträt von Cranach epd-bild / Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt Judentum die Erkenntnis durchgesetzt, »dass die jüdische Liebesgeschichte mit Luther ein tragischer, völlig vergeblicher Versuch war«. Der Religionswissenschaftler ergänzte: »Wenn Luther jetzt in der jüdischen Literatur auftaucht, dann als Ahnherr des Antisemitismus.« In dieser Hinsicht sei Luther »eine äußerst negative Gestalt im Ahnenreigen des christlichen Antisemitismus«. epd-Gespräch: Barbara Schneider und Rainer Clos und mitmachen, sagte Pistorius laut Text am Sonntag in Koblenz. In seiner Gastpredigt in der Pfaffendorfer Kirche unterstrich er, dass die Gemeinschaft einer Gemeinde stets auch eine Offenheit für neue, andere Menschen und für Menschen, »die uns erst mal fremd sind«, haben müsse. Gerade weil vielen Menschen Religion und Glaube hierzulande heute nicht mehr so wichtig seien, sollten Gemeinden Menschen in Offenheit und mit Interesse begegnen, unabhängig von Bildung und Frömmigkeit. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _4 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Gottesdienst im Kurtheater zum Reformationsjubiläum AUSLAND KIRCHEN Lippischer Landessuperintendent: Jubiläum keine Konfrontation mit katholischer Kirche Lemgo (epd). Die Lippische Landeskirche will das Reformationsjubiläum am 30. Oktober 2016 mit einem Gottesdienst im Kurtheater Bad Salzuflen eröffnen. Unter dem Motto »gemeinsam frei - Lippe feiert 500 Jahre Reformation« stehen bis zum Abschluss des Reformationsjahres am 31. Oktober 2017 besondere Gottesdienste, musikalische Veranstaltungen und Ausstellungen auf dem Programm, wie der Landessuperintendent der Lippischen Landeskirche, Dietmar Arends, am Samstag in Lemgo ankündigte. Die Lippische Landeskirche beteiligt sich zudem an dem »Europäischen Stationenweg« der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). In Deutschland macht er nach aktuellem Stand in 13 Bundesländern und allen 20 Landeskirchen Station. Den Abschluss des Reformationsjahres am 31. Oktober 2017 bilden in der Lippischen Landeskirche Gottesdienste in den Kirchengemeinden. Zum Jubiläumsjahr wurde auf der Lippischen Landessynode das offizielle Logo der Lippischen Landeskirche für das Reformationsjahr vorgestellt. Die Reformationsfeiern seien keine Auseinandersetzung mit der heutigen katholischen Kirche, unterstrich Arends. Das Jubiläum beziehe sich auf die historische Situation im Jahr 1517. Im vergangenen Jahrzehnt sei man mit der katholischen Kirche ein ganzes Stück gemeinsam gegangen. Daher sei auch die katholische Kirche am Jubiläumsprogramm beteiligt. Die Reformation sei für evangelische Christen ein Grund zum Feiern, sagte Arends. Zugleich sollten jedoch auch der Trennung der Kirchen und Kriege als Folge der Reformation gedacht werden. Auf einem ökumenischen Pilgerweg unter dem Titel »Healing of Memories« sollen auch Themen wie »konfessionsverschiedene Ehen« behandelt werden, wie der Theologische Kirchenrat Tobias Treseler erklärte. Die evangelische Kirche erinnert mit dem Jubiläumsjahr an den 500. Jahrestag des Thesenanschlags Martin Luthers im Jahr 1517 an der Schlosskirche in Wittenberg. Das Ereignis gilt als Beginn der Reformation. Lippischer Landessuperintendent: Die Lippische Landessynode hatte im Jahr 2012 beschlossen, eine Debatte über die weitere Selbstständigkeit zu führen. Über den Diskussionsstand sollte jedes Jahr auf der Synode Bericht erstattet werden. Nach der Wahl zum neuen Landessuperintendenten hatte Arends Landeskirche will weitere Selbstständigkeit prüfen Lemgo (epd). Der Landessuperintendent der Lippischen Landeskirche, Dietmar Arends, hat angekündigt, die Debatte über die weitere Selbstständigkeit der Landeskirche bald fortzuführen. Auf einer Klausurtagung im August werde der Landeskirchenrat über eine Struktur des Diskussionsprozesses beraten, erklärte Arends am Freitag vor der Lippischen Landessynode in Lemgo. Ein Vorschlag solle voraussichtlich auf der Synode im Herbst vorgelegt werden. »Es kann nicht um eine isolierte Frage ’Selbstständigkeit oder Fusion’ gehen«, sagte Arends. Zunächst müsse geklärt werden, wie sich die Lippische Landeskirche inhaltlich aufstelle. Danach könne die Frage beantwortet werden, welche Struktur dafür geeignet sei. im vergangenen Jahr um eine Aussetzung gebeten, um sich zunächst in die neuen Aufgaben einzuarbeiten. Die Lippische Landeskirche ist mit rund 168.000 Mitgliedern die drittkleinste der 20 evangelischen Landeskirchen in Deutschland. Die diesjährige Sommersynode der Lippischen Landeskirche traf die Entscheidung, mehr Prädikanten auszubilden. Ehrenamtliche Prädikanten können in Gottesdiensten predigen, taufen und die Abendmahlsfeier leiten. Die künftige Ausbildung soll in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche von Westfalen angeboten werden. Zudem soll es in Lippe laut einem Synodenbeschluss künftig möglich sein, Diakone in Kirchengemeinden einsegnen zu lassen. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _5 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Lippische Kirche stärkt Hilfen für Flüchtlinge AUSLAND KIRCHEN Experte: Aufnahmestellen sind überlastet Lemgo (epd). Die Lippische Landeskirche weitet ihre Hilfen für Flüchtlinge aus. Für Beratungs- und Hilfsangebote stellt die Landeskirche im kommenden Jahr weitere 50.000 Euro zur Verfügung, wie die Lippische Landessynode am Freitag in Lemgo beschloss. Die Arbeit mit Geflüchteten soll einer der Schwerpunkte der Lippischen Landeskirche sein. Für die Flüchtlingsbetreuung mahnte der Experte der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe, Dietrich Eckeberg, ein stärkeres Denken von den Flüchtlingen her an. Mit den Sondermitteln fördert die Landeskirche die Asylberatung an zwei Standorten im Kreis Lippe. Auch die Asylverfahrensberatungen in den Erstaufnahmeeinrichtungen will die Lippische Landeskirche weiter fortführen. Für das laufende Jahr hatte die Lippische Landeskirche bereits Ende des vergangenen Jahres das Budget für die kirchliche Flüchtlingsarbeit aufgestockt und zudem einen Sonderfonds von 50.000 Euro eingerichtet. Der Flüchtlingsexperte der Diakonie RheinlandWestfalen-Lippe, Dietrich Eckeberg, unterstrich die Bedeutung des kirchlichen Engagements für Flüchtlinge. Er forderte Kirchengemeinden auf, ankommende Flüchtlinge stärker in ihre Mitte zu nehmen. Das Engagement könne bis zum Kirchenasyl gehen. Zudem regte der Diakonie-Experte den Aufbau einer eigenen kirchlichen Flüchtlingsarbeit an. Ehrenamtliche könnten Asylsuchende begleiten. Wichtig sei auch die Lobby-Arbeit in der Öffentlichkeit. Die Erstunterkünfte seien auf die steigenden Flüchtlingszahlen nicht vorbereitet, sagte Eckeberg weiter. Viele stünden kurz vor dem Zusammenbruch. Oftmals gebe es vor Ort auch kein klares Konzept zur Aufnahme. Allein für NRW sei in diesem Jahr mit einer Verdoppelung der Flüchtlingen in den Aufnahmeeinrichtungen zu rechnen. Im vergangenen Jahre waren es rund 44.000. Eckeberg mahnte auch auf europäischer Ebene ein Umsteuern in der Flüchtlingspolitik an. So werde bislang viel Geld in die Abwehr von Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen investiert. Grundlagen für eine erlaubte Einreise fehlten jedoch, kritisierte der Diakonie-Experte. Die Lippische Landeskirche forderte auf europäischer Ebene eine verstärkte Seenotrettung sowie sichere Zugänge für Flüchtlinge. Dafür sollten auch der Erhalt von Visa und die Asylverfahren erleichtert werden. Das Kirchenparlamente sprach sich zudem gegen militärische Maßnahmen der Flüchtlingsabwehr aus. Innerhalb der Lippischen Landeskirche sollen Gemeinden und Einrichtungen ermutigt werden, im kirchlichen Leben Kontakte mit christlichen Flüchtlingen auszubauen. Auch der Oberkirchenrat Detlef Görrig von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mahnte in seinem Grußwort legale Einreisewege für Flüchtlinge an. (siehe auch Rubrik »Flüchtlinge« von Seite 17 bis 22) Rekowski ruft Gemeinden zu Einsatz für Flüchtlinge auf Düsseldorf (epd). Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, hat die Kirchenkreise und Gemeinden zu deutlichem Engagement für Flüchtlinge aufgerufen. »Unsere Kirche versteht sich als Anwalt derer, die auf der Flucht sind und Zuflucht suchen«, schreibt der Präses am Donnerstag in Düsseldorf anlässlich des Weltflüchtlingstags am 20. Juni in einem Brief an die Gemeinden. Er forderte die rheinischen Christen dazu auf, die Situation der Flüchtlinge und den Handlungsbedarf in der Flüchtlingspolitik »sichtbar zu machen«. Rekowski appellierte an die Kirchenkreise und Gemeinden, die bestehende internationale Zusammenarbeit in der Flüchtlingsarbeit weiterzuentwickeln, »damit die Stimme der Kirchen in dieser Frage in Europa Gehör findet und Gewicht bekommt«. Es müsse der rheinischen Kirche darum gehen, Lobbyarbeit für Menschen zu machen, die auf der Flucht sind oder unter den Folgen von Flucht leiden. Am Vorabend des Weltflüchtlingstags findet den Angaben zufolge in Köln ein Solidaritätsabend für Asylsuchende statt. Gemeinsam mit Erzbischof Rainer Maria Woelki soll der rheinische Vizepräses Christoph Pistorius die Feier auf dem Platz am Kölner Dom gestalten. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _6 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Bedford-Strohm: G-7 haben deutliche Zeichen gesetzt Garmisch-Partenkirchen (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, ist von den Ergebnissen des G-7-Gipfels »freudig überrascht«. In einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte Bedford-Strohm am 8. Juni: »Vor allem beim Klimaschutz haben die Staats- und Regierungschefs deutliche Zeichen gesetzt.« Die Bekräftigung des sogenannten Zwei-Grad-Ziels und die deutliche Senkung der weltweiten CO2-Emissionen seien »wichtige Weichenstellungen«. Konkret bedeuten die beiden Ziele: Die Erderwärmung soll auf maximal zwei Grad begrenzt werden. Die weltweiten CO2-Emissionen sollen bis zum Jahr 2050 um 40 bis 70 Prozent zurückgehen. Bedford-Strohm, der auch bayerischer Landesbischof ist, sagte weiter, entscheidend sei nun, dass den Worten auch Taten folgen und die Klimaziele bei der UN-Klimakonferenz in Paris Ende des Jahres offensiv angegangen werden: »Die Grundlagen sind jetzt gelegt.« Ein wichtiger Schritt sei auch, dass die G-7-Staaten bis zum Jahr 2030 rund 500 Millionen Menschen von Hunger befreien wollen, sagte Bedford-Strohm. Dafür brauche es aber verbindliche und nachprüfbare Zusagen. Dazu gehöre auch, dass die Entwicklungshilfe endlich auf die vor Jahren vereinbarten 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöht werde. Eine gute Klimapolitik und die Überwindung der Armut seien die besten Maßnahmen, um die Flüchtlingsproblematik in den Griff zu bekommen, sagte der EKD-Ratschef. Wenn die Fluchtgründe beseitigt würden, müssten die Menschen ihre Heimatländer nicht verlassen. »Nur so wird sich die weltweite Flüchtlingskatastrophe entspannen.« Die Gruppe der G-7 beschloss bei ihrem Spitzentreffen auf Schloss Elmau auch, das transatlantische Handelsabkommen TTIP bis Ende des Jahres voranzutreiben. Eine Zielsetzung, die Bedford-Strohm durchaus kritisch sieht: »Die Frage, ob TTIP zu befürworten ist, hängt aus christlicher Sicht davon ab, ob es den Armen hilft.« Handelspolitik müsse auch humanitär sein und dürfe nie ausschließlich von den Interessen der beteiligten Länder geleitet werden, mahnte der Bischof. Es habe keinen Sinn, durch eine falsche Handelspolitik die die Überwindung von Armut zu verhindern und dann versuchen zu wollen, dies dann nachträglich mit Entwicklungshilfe zu reparieren. epd-Gespräch: Christiane Ried Klimakonferenz Bereits derzeit sei deutlich, dass ärmere und schwächere Menschen die Hauptlast der Folgen des Klimawan- Pilger fordern Klimagerechtigkeit Hannover (epd). Mit einem Pilgerweg zur Weltklimakonferenz in Paris wollen Kirchen, Entwicklungsdienste, Missionswerke und andere kirchliche Verbände mehr Klimagerechtigkeit und Solidarität mit armen Menschen in Entwicklungsländern fordern. Unter dem Motto »Geht doch!« wollen die Pilger am 13. September in Flensburg starten und am 27. November Paris erreichen, wie die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) am 10. Juni mitteilte. Der UN-Klima-Gipfel findet vom 30. November bis zum 11. Dezember statt. Klimaschutz und globale Gerechtigkeit »gehören eng zusammen«, sagte EKD-Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm. Der katholische Erzbischof von Bamberg, Ludwig Schick, ergänzte, gemeinsames Pilgern biete die Möglichkeit, »spirituelle Besinnung mit politischem Engagement zu verbinden«. Beide Bischöfe sind Schirmherren der Aktion. AUSLAND KIRCHEN dels tragen müssten, und nicht diejenigen, die durch die Emission von Treibhausgasen am stärksten zum Klimawandel beigetragen hätten, schreiben die Veranstalter. Auf dem Pilgerweg über Hamburg, Bremen, Dortmund, Remagen, Perl und Montmirail kann jeder mitgehen, der Tagesetappen von 20 bis 25 Kilometern bewältigen kann, einzelne oder mehrere Tage oder auch die ganze Strecke. Kirchengemeinden und andere Gruppen werden den Angaben zufolge einfache Schlafgelegenheiten zur Verfügung stellen, insgesamt sollen die Pilger auf dem Weg ein Leben »mit begrenzten natürlichen Ressourcen« führen. Anmeldungen unter www.klimapilgern.de sind ab sofort möglich. Unterwegs wollen die Pilger Kommunen und Projekte besuchen, die bereits klimafreundlich leben. Zudem wollen sie Orte besichtigen, an denen mit Blick auf das Klima noch viel zu tun ist. Dazu gehören Kohlekraftwerke. Die Teilnehmer es G-7-Gipfels haben gerade einen schrittweisen Ausstieg aus der Kohle angekündigt. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _7 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Rekowski und Schad für offene Debatte über Homo-Ehe AUSLAND KIRCHEN Kramp-Karrenbauer verteidigt umstrittene Äußerungen Saarbrücken (epd). Nach den umstrittenen Äußerungen der saarländischen Ministerpräsidentin Annegret KrampKarrenbauer (CDU) zur Homo-Ehe haben sich evangelische Kirchenvertreter für eine offene Debatte über das Thema ausgesprochen. Es sei wichtig, dass nicht mit einer Schere im Kopf diskutiert werde, erklärte der rheinische Präses Manfred Rekowski am 9. Juni in Saarbrücken. Für den pfälzischen Kirchenpräsidenten Christian Schad geht es um eine offene Diskussion, bei der fair mit den unterschiedlichen Positionen umgegangen werden sollte. Gleichzeitig betonte Rekowski, dass er es unterstütze, wenn die Werte der Ehe wie Verantwortung, Liebe und Treue auch in anderen Lebensformen »in Serie gehen«. In der Evangelischen Kirche im Rheinland würden homosexuelle Partnerschaften pragmatisch und unaufgeregt gelebt. Denn die Diskussion um gleichgeschlechtliche Paare habe dort vor 15 Jahre begonnen, sagte der rheinische Präses. Durch das Referendum in Irland seien vor allem politische und rechtliche Fragen aufgekommen. Die saarländische Ministerpräsidentin KrampKarrenbauer erklärte, dass die saarländische Landesregierung sich bei der Abstimmung im Bundesrat zur Gleichbehandlung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft enthalten werde. Bei ihrer umstrittenen Aussage sei es ihr vor allem um die rechtliche Dimension des Begriffs »Ehe« gegangen. Zwischen der Ehe und der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft bleibe ein Dissens, betonte die CDU-Politikerin. Dem stimmte auch der pfälzische Kirchenpräsident Schad zu. Eine Ehe bestehe aus einem Mann und einer Frau und zeichne sich dadurch aus, dass das Paar prinzipiell auf natürlichem Weg Kinder bekommen könne. Bei der eingetragenen Lebenspartnerschaft zwischen zwei Männern oder Frauen sei dies nicht möglich. Dieser Unterschied bleibe und sei keine unterschiedliche Wertung der Lebensformen, sagte der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche der Pfalz. EKD-Friedensbeauftragter: In der Stuttgarter Friedenskirchengemeinde hatten rund 40 Friedensgruppen ein eigenes »Zentrum Frieden« mit mehr als 60 Veranstaltungen organisiert. Allerdings wurde dieses Zentrum nicht im offiziellen Kirchentagsprogramm erwähnt. Brahms dankte den Verantwortlichen des Zentrums. Es sei wichtig, »gelingenden Beispielen von gewaltfreien Konfliktlösungen einen prominenten Ort auf dem Kirchentag einzuräumen«. An dem Christentreffen in der badenwürttembergischen Landeshauptstadt hatten sich rund 97.000 Dauerteilnehmer beteiligt. Der nächste Kirchentag wird 2017 zum 500-jährigen Reformationsjubiläum in Berlin und Wittenberg gefeiert. Thema Frieden kam auf Kirchentag zu kurz Bremen/Bonn (epd). Das Thema Frieden ist nach Ansicht des evangelischen Friedensbeauftragten Renke Brahms auf dem zurückliegenden Evangelischen Kirchentag in Stuttgart zu kurz gekommen. »Die Stimme der Pazifisten und Querdenker in Sachen Frieden darf nicht an den Rand gedrängt werden«, mahnte der Beauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am 9. Juni in Bremen. Er bedauere sehr, dass das »Zentrum Frieden« nicht in das Hauptprogramm aufgenommen worden sei. »Das müssen wir im Vorfeld des nächsten Kirchentages gemeinsam besser machen.« Der Kirchentag endete am Sonntag mit einem zentralen Gottesdienst. Brahms kündigte Gespräche mit der Kirchentagsleitung für den Herbst an. Dabei gehe es nicht um Schuldzuweisungen. Es müsse jedoch deutlich werden, dass »das Thema Frieden künftig wieder eine zentrale Rolle bei den Kirchentagen spielt«. Brahms ist auch theologischer Repräsentant der Bremischen Evangelischen Kirche. Ökumene Friedensgebet für verfolgte Christen Münster (epd). In Münster findet ein Ökumenisches Friedensgebet für verfolgte Christen weltweit statt. Am 19. Juni laden der Evangelische Kirchenkreis Münster und das katholische Stadtdekanat in den St. Paulus-Dom ein, wie das Bistum Münster am Freitag ankündigte. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _8 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT Angesprochen seien alle Menschen, denen das friedliche Miteinander der Kulturen und Religionen ein Anliegen ist. Das Christentum sei auch heute noch die am meisten verfolgte Religion der Welt, erklärten die Organisatoren. In 64 Staaten der Erde erlebten Christen eine eingeschränkte oder keine Religionsfreiheit. Viele von ihnen würden wegen ihres Glaubens systematisch verfolgt, gefoltert und getötet, hieß es. In den vergangenen Monaten habe sich die Situation noch zugespitzt. Personalien Paderborner Superintendentin geht in Ruhestand Paderborn (epd). Die Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Paderborn, Anke Schröder, geht zum 31. Dezember in den Ruhestand. Das gab die Theologin, die seit 2004 den Kirchenkreis leitet, auf der Kreissynode am Freitag in Bad Driburg bekannt. Schröder (Jahrgang 1957) nutzt eine bis Ende des Jahres geltende Regelung der Evangelischen Kirche von Westfalen, nach der Theologinnen und Theologen den vorzeitigen Ruhestand im Alter von 58 Jahren beantragen können, wie der Kirchenkreis erklärte. Auf der nächsten Kreissynode am 27. November in Paderborn soll eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger gewählt werden. Schröder zog eine Bilanz ihrer Amtszeit. »Wir haben gemeinsam viel auf den Weg gebracht, aber auch viele Belastungen tragen müssen«, sagte die Superintendentin mit Blick auf finanziell schwierige Zeiten mit Sparbeschlüsse für Kirchenkreis und Gemeinden (2005), Entwicklung von neuen Konzeptionen für Kirchengemeinden und Kirchenkreis (2006 bis 2008) oder die geplante Zusammenlegung der Verwaltung mit den Nachbar-Kirchenkreisen Gütersloh und Halle. »Der Kirchenkreis ist weiter in Bewegung. Ich finde, wir können stolz darauf sein, dass wir dies alles mit vereinten Kräften geschafft haben«, bedankte sich Schröder bei den Synodalen. Die Kreissynode stimmte zudem über zwei Vorhaben der westfälischen Landeskirche ab: So befürwortete sie, dass das Wahlalter im Presbyterwahlgesetz von 16 auf 14 Jahre gesenkt werden soll. Für die Wahlberechtigung soll ihrer Auffassung nach die Zulassung zum Abendmahl Voraussetzung bleiben. Dem Lehrplanentwurf für den kirchlichen Unterricht (Konfirmandenarbeit), der vier Jahre in den Gemeinden erprobt werden konnte, stimmte die Synode ebenfalls zu. SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Kirchenkreis Münster AUSLAND KIRCHEN Neue Stelle für Flüchtlingsarbeit zum 1. Juli Senden (epd). Im Evangelischen Kirchenkreis Münster wird zum 1. Juli eine neue Stelle für Flüchtlingsarbeit eingerichtet. Die Stelle sei im Jugend- und Bildungswerk des Kirchenkreises angesiedelt, wurde auf der jüngsten Kreissynode in Senden mitgeteilt. Die Beratungsstelle wird den Angaben nach in besonderer Weise auf Integrationsprojekte und Begleitung Ehrenamtlicher ausgerichtet sein. Die Kreissynode legte zudem die Finanzplanung von 2016 bis 2018 fest. Die etwa 90 stimmberechtigten Synodenmitglieder beschlossen, eine jährliche Verteilsumme von 10,8 Millionen Euro und damit eine leichte Steigerung gegenüber den Vorjahren. Die Kirchengemeinden, Einrichtungen und gemeinsamen Dienste könnten damit in den kommenden Jahren mit ähnlichen finanziellen Spielräumen planen wie bisher, erklärte der Kirchenkreis. Darüber hinaus erteilte die Kreissynode einen Prüfauftrag über die Möglichkeit einer Zusammenlegung der Verwaltungen mit den Kirchenkreisen Tecklenburg und Steinfurt-Coesfeld-Borken. Eine erste Analyse in den beiden Nachbarkirchenkreisen hatte bereits positive Ergebnisse hinsichtlich zu erwartender Synergien ergeben, wie es hieß. Mit der Ausarbeitung wurde eine aus allen drei Kirchenkreisen paritätisch besetzte Arbeitsgruppe beauftragt, deren Bericht bei der nächsten Synode vorgestellt werden soll. epd-West kat Kirchenkreis Wuppertal Gelder für Flüchtlingsberatung aufgestockt Wuppertal (epd). Die Synodalen des Kirchenkreises Wuppertal haben auf ihrer Frühjahrstagung einstimmig eine Aufstockung der Flüchtlingsberatungsstelle des Diakonischen Werks beschlossen. Zur mittelfristigen Sicherung der Arbeit werde eine auf drei Jahre befristete kreiskirchliche Sonderumlage in Höhe von 100.000 Euro eingerichtet, teilte der Kirchenkreis mit. Für die kommenden drei Jahre werde die Beratungsstelle um eine ganze Stelle aufgestockt. Der Kirchenkreis appelliert zudem an die Stadt Wuppertal, zeitnah für ein gemeinsames Finanzierungsmodell von Stadt, Diakonie, Kirchengemeinden und weiteren Akteuren für den Erhalt des Sozialcafés Fambiente im epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _9 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT Stadtteil Vohwinkel Sorge zu tragen. Zurzeit wären dafür 55.000 Euro erforderlich. Bis zur Herbstsynode sollen zudem die gegenwärtigen Arbeitsfelder der Diakonie in Wuppertal überprüft werden. Dies bedeute eine Überprüfung, welche Felder weiterentwickelt und welche reduziert werden können, hieß es. Auf der Basis einer vom Verwaltungsrat in Gesprächen mit Mitarbeitern formulierten Grundlage wurden bereits die Bereiche der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe sowie Leben im Alter und Soziale Teilhabe mit den Querschnittsthemen »Evangelisches Profil«, »Inklusion« und Gemeinwesenorientierung konfrontiert. Kreissynode Gütersloh Erzieherinnen-Protest und neue Pfarrstellen in Krankenhausselsorge Gütersloh (epd). Der Evangelische Kirchenkreis Gütersloh hat auf die schwierigen Arbeitsbedingungen in Kindertagesstätten hingewiesen. Die Kreissynodalen wandte sich auf ihrer Tagung am Samstag in Gütersloh mit der Bitte an die westfälische Landeskirche, sich beim Land Nordrhein-Westfalen für bessere Rahmenbedingungen im Kinderbildungsgesetz (KiBiz) einzusetzen, wie der Kirchenkreis mitteilte. Die Synodalen reagierten damit auf einen Protest von 150 Erzieherinnen und Erzieher evangelischer Kindertagesstätten. Auf der Kreissynode wiesen sie mit Sprechchören und auf Plakaten daraufhin hin, dass seit Einführung des KiBiz 2008 ständig wechselnde Vorgaben und gestiegene Qualifizierungsansprüche bei gleichzeitiger knappe Personalausstattung die Kita-Teams belasteten. Der Arbeitsbereich sei chronisch unterfinanziert, beklagten sie. Die Kreissynode beschloss zudem die Einrichtung von zwei übergemeindlichen Pfarrstellen in der Krankenhausseelsorge: eine am Städtischen Klinikum und am St. Elisabeth Hospital Gütersloh mit 100 Prozent Dienstumfang sowie eine weitere am Städtischen Klinikum Bielefeld (Rosenhöhe) mit 50 Prozent Dienstumfang. Ebenfalls wurde die Schaffung einer festen Stelle in der kreiskirchlichen Öffentlichkeitsarbeit beschlossen. Bislang wird die Aufgabe von einer Pfarrerin im Entsendungsdienst/ Probedienst geleistet. SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Kirchenkreis An Sieg und Rhein AUSLAND KIRCHEN Kreissynode prüft Formen der KitaTrägerschaft Herchen (epd). Die Synodalen des Kirchenkreises an Sieg und Rhein haben auf ihrer Frühjahrssynode in Herchen eine Prüfung verschiedener Trägerschaftsmodelle der Kita-Arbeit beschlossen. Es sollen die Gründung eines Verbandes, einer GmbH und die kreiskirchliche Trägerschaft über das Diakonische Werk geprüft und weiterentwickelt werden, teilte der Kirchenkreis am Sonntag mit. Bisher liegt die Trägerschaft der 19 Kindertagesstätten mit rund 1.000 Kindern und 150 Mitarbeitern bei den einzelnen Gemeinden. Durch Verwaltung und Management an zentraler Stelle durch einen gemeinsamen Träger sollen Kosten gesenkt werden. Allerdings seien die Bedürfnisse und Erwartungen an die Kita-Arbeit in den einzelnen Gemeinden sehr unterschiedlich, hieß es. Im Bereich der Kirchenkreiskonzeption gab es grünes Licht für die Einführung von Schwerpunktthemen, um das Ekasur-Profil zu schärfen. Die Presbyterien der 33 Gemeinden des Kirchenkreises werden in den kommenden Monaten darüber beraten, ob sie die vorgeschlagenen diakonischen Schwerpunkte »Migration, Flucht und Zusammenleben« und »Inklusion« vorrangig auf ihre Agenda setzen oder durch alternative Vorschläge ergänzen möchten. Die aktualisierte Kirchenkreiskonzeption soll von 2016 bis 2020 gelten. Kirchliche Jugendverbände Luftballonaktion gegen Kinderarbeit Düsseldorf/Hannover (epd). Die evangelischen und katholischen Jugendverbände in Deutschland haben eine Mitmachaktion gegen Kinderarbeit ins Leben gerufen. Unter dem Slogan »Uns geht die Luft nicht aus« sind Jugendliche dazu aufgerufen, ein Foto von sich und einem Luftballon zu veröffentlichen, wie der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) zum Welttag gegen Kinderarbeit am Freitag in Düsseldorf mitteilte. Anlass für die Aktion ist das Vorhaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), bis zum Jahr 2016 ein weltweites Ende der Kinderarbeit zu erreichen. Wer mitmachen will, kann sein Luftballon-Foto bis Juni 2016 auf Facebook, Instagram oder Twitter teilen, hieß es. Daraus soll eine Collage erstellt und an Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) übergeben werden. Nahles’ Ministerium wird Deutschland 2017 beim nächsten Treffen der ILO vertreten. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _10 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Kirchen gegen gemeinsame Bestattung von Mensch und Tier Darmstadt/Kassel (epd). Die beiden evangelischen Landeskirchen in Hessen lehnen kirchliche Bestattungen von Menschen und Tieren in gemeinsamen Gräbern ab. »Das wären für mich Grenzüberschreitungen«, sagte der Sprecher der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Volker Rahn, am 10. Juni in Darmstadt. Bei einer Ausweitung der kirchlichen Bestattung auf Tiere »würde der Unterschied zwischen Mensch und Tier zum Nachteil der ohnehin durch die Ökonomisierung unserer Bestattungskultur gefährdeten Menschenwürde verwischt«, sagte Lutz Friedrichs von der Evangelischen Kirche von KurhessenWaldeck in Kassel. Bei der Trauerfeier drohten »tiefgreifende theologische Probleme«, sagte Rahn. Denn die Beisetzung sei ein religiöser Akt, der eng mit der Taufe am Anfang des Lebens verbunden sei. Beides seien Übergangsriten, die aus christlicher Sicht mit der Hoffnung auf ein ewiges Leben bei Gott verknüpft werden. Bei der christlichen Feier würde sich dann unweigerlich die Frage stellen, ob das Tier auch einen Glauben hat. »Das möchte ich bei aller Wert- und Hochschätzung für die Tiere dann doch bezweifeln«, ergänzte Rahn. Ohne Zweifel hätten Tiere in christlicher Sicht einen besonderen Wert, den es mehr denn je zu achten gelte, sagte Friedrichs. Nachvollziehbar sei auch das Empfinden, sie hätten eine Seele. Davon aber sei die Würde des Menschen zu unterscheiden. Sie komme in der christlichen Bestattung insofern zum Ausdruck, als die Toten nicht einfach »Tote« seien, sondern »Tote in Christus«. Die christliche Hoffnung über den Tod hinaus wurzele in der Person und dem Geschick Jesu und meine nicht nur die Fortdauer einer Seele, sondern die Verwandlung des ganzen Menschen zu einem neuen Leben, sagte Friedrichs. Es sei aber selbstverständlich möglich, Menschen bei der Trauer um ein geliebtes Haustier seelsorglich zu begleiten und dafür angemessene Formen zu finden. Am Dienstag hatte das Familienunternehmen »Deutsche Friedhofsgesellschaft« in Braubach bei Koblenz einen Friedhof eröffnet, auf dem Mensch und Tier in einem gemeinsamen Urnengrab bestattet werden können. Am Mittwoch öffnete das Unternehmen einen solchen Friedhof in Essen. Weitere Standorte sind in Planung. Kirchenkreis Minden die Kreissynode, in den kommenden drei Jahren das Kirchenkreis-Budget um bis zu etwa drei Prozent zu überziehen. Die Zuweisung an die Kirchengemeinden bleibt Prioritätendiskussion auf Kreissynode Minden (epd). Der Evangelische Kirchenkreis Minden hat sich für eine Änderung des Presbyterwahlrechts ausgesprochen. Auf der jüngsten Kreissynode in Minden stimmten die anwesenden stimmberechtigten Delegierten einem Vorschlag der westfälischen Landeskirche zu, das Mindestalter für die Beteiligung von 16 auf 14 Jahre herabzusetzen, wie der Kirchenkreis mitteilte. Außerdem soll die Zulassung zum Abendmahl als Voraussetzung für die Teilnahme an der Presbyteriumswahl abgeschafft werden. Aufgrund gestiegener Kosten in den 26 kirchlichen Arbeitsfeldern diskutierten die Synodalen hauptsächlich darüber, nach welchen Prioritäten der Kirchenkreis künftig arbeiten soll, wie es hieß. Um unverzichtbare Arbeit wie Krankenhausseelsorge, Jugendarbeit und die zurzeit wichtige Flüchtlingsberatung zu sichern, beschloss AUSLAND KIRCHEN unangetastet. Die Mehrkosten werden den Angaben nach durch Rücklagen ausgeglichen, die aufgrund der guten konjunkturellen Entwicklung in den vergangenen Jahren aufgebaut werden konnten. Die Überlegungen, die Kirchenkreise Minden und Lübbecke zusammenzulegen, werden vorerst lediglich in der bestehenden Kooperation der Personalabteilungen fortgeführt. Bevor die Zusammenarbeit erweitert wird, soll abgewartet werden, welche Erfahrungen die Kirchenkreise Paderborn, Halle und Gütersloh mit der von ihnen geplanten gemeinsamen Verwaltung sammeln, wie es hieß. Im Kirchenkreis Minden steht eine Gemeinde-Fusion von Hartum und Holzhausen-Nordhemmern an: Ab 1. September wird aus ihnen die Gemeinde Hartum-Holzhausen mit dann insgesamt zwei statt bislang zweieinhalb Pfarrstellen. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _11 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG »Klagen der Energieversorger belasten Kommissionsarbeit« AUSLAND KIRCHEN Landesbischof Meister zieht Zwischenbilanz der Arbeit in Endlager-Kommission Hannover/Loccum (epd). Die Klagen der Atomkraftwerksbetreiber gegen das Standortauswahlgesetz belasten nach Ansicht des hannoverschen Landesbischofs Ralf Meister die Arbeit der vom Bundestag eingesetzten Endlagerkommission. Gleichzeitig biete die öffentliRalf Meister epd-bild / Schulze che Arbeit der Kommission aber eine Plattform, um über diese Klagen zu diskutieren, sagte Meister im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Theologe vertritt die Evangelische Kirche in Deutschland in dem Gremium mit 33 Mitgliedern, das die bundesweite Suche nach einem Endlager bis Ende 2016 vorbereiten soll. Am Wochenende beschäftigte sich eine Tagung an der Evangelischen Akademie Loccum mit der Arbeit der Kommission, die seit einem Jahr aktiv ist. Einige der Mitglieder sind als Referenten eingeladen. Die Endlagerkommission habe eine Arbeitsgruppe eingerichtet, in der die Energieunternehmen Hintergrund und Absicht ihrer Klagen offen legen und so in das öffentliche Protokoll »mit einspeisen« sollten, sagte Meister: »Das ist ein wichtiger Fortschritt.« Die AKW-Betreiber wollen mit ihren Klagen eine Kostenentlastung bei der künftigen Endlagersuche erreichen. Sie verweisen darauf, dass sie bereits rund 1,6 Milliarden in die Erkundung des Salzstocks Gorleben investiert haben. Zugleich zeigte sich Meister mit der bisherigen Arbeit der Endlager-Kommission zufrieden. Zwar wäre »ein zügigerer Start wünschenswert« gewesen. Doch nun stecke die Kommission mitten in der Arbeit, alle Sitzungen und fast alle Dokumente der Anhörungen sowie alle Beschlüsse ständen auf der Homepage. Leitbegriffe wie Transparenz, Konsens und Beteiligung der Öffentlichkeit seien auf ihre Substanz überprüft, wissenschaftliche Fragen durch Anhörungen aktualisiert worden. Der Bischof sprach sich dafür aus, dass eine umfassende Atommüll-Bilanz erstellt wird. Die für Deutschland erhobenen und dokumentierten atomaren Hinterlassenschaften gehörten in eine vollständige und stetig zu aktualisierende zentrale Datenbank. Vorhandener und in Zukunft anfallender Atommüll müsse vollständig und klar bilanziert werden: »Eine solche Datenbank gehört in die öffentliche Hand.« Mit Blick auf das im Bau befindliche Endlager Schacht Konrad in Salzgitter für schwach und mittelradioaktive Abfälle regte Meister eine Neubewertung der zwischen 1975 und 1982 vorgenommenen Analysen und Prüfungen des Standortes an. Konrad sei zwar genehmigt, »aber dieser Umstand darf zu keiner Phase als formal-juristisches Argument gegen besseres Wissen ins Feld geführt werden«. Wenn Zweifel an der Eignung des Endlagers bestünden, stelle sich die Frage nach einem zusätzlichen Einlagerungsvolumen nicht mehr. Zuletzt hatten Überlegungen der Bundesregierung in Salzgitter für Unruhe gesorgt, die Menge der in Konrad einzulagernden Abfälle zu verdoppeln. Von Reimar Paul (epd) Rheinland-Pfalz die europäische Grundrechte-Charta. Die Zahlungspflicht sei nicht zu rechtfertigen, weil Mitglieder der römisch- Ehepaar klagt gegen Kirchensteuer Koblenz (epd). Ein Ehepaar aus Rheinland-Pfalz hat einen neuen Anlauf unternommen, gerichtlich gegen die Kirchensteuer vorzugehen. Die katholischen Eheleute reichten gegen ihren Steuerbescheid Klage vor dem Verwaltungsgericht Koblenz ein, wie ein Gerichtssprecher am 9. Juni dem Evangelischen Pressedienst (epd) bestätigte (AZ: 5 K 1028/14.KO). Im Einzug der Kirchensteuer durch das Finanzamt sehen die beiden einen Verstoß gegen die im Grundgesetz garantierte Religionsfreiheit und gegen katholischen Kirche in anderen europäischen Staaten keine Steuern zahlen müssten. Über den Rechtsstreit soll am 10. Juli verhandelt werden. Klagen gegen die Kirchensteuer beschäftigten in der Vergangenheit bereits mehrfach deutsche Gerichte. Die Regelung, dass anerkannte Religionsgemeinschaften von ihren Mitgliedern eine Steuer erheben und gegen Entgelt über die staatlichen Finanzbehörden einziehen lassen können, wurde dabei bislang stets bestätigt. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _12 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG AUSLAND KIRCHEN Befreiende Botschaft ohne Telefon und Computer Der Kirchenkritiker und Autor Eugen Drewermann wird 75 Paderborn (epd). Kontakte zu Eugen Drewermann laufen in der Regel über ein Paderborner Hotel in der Nähe seiner Wohnung. Hier sichtet er Faxe und Post, von hier führt er seine Telefongespräche. Internet, Computer, Telefon oder gar ein Handy gibt es im Privathaushalt des Autors nicht. So könne er die Korrespondenz bündeln und für das tägliche Schreiben und Recherchieren bleibe genug Ruhe: »Das ist für mich überlebenswichtig«, sagt der Theologe und Psychotherapeut. Am 20. Juni wird er 75 Jahre alt. 1940 kam Drewermann als Sohn einer Bergmannsfamilie im westfälischen Bergkamen zur Welt. Eine Art Ruhestand kennt der einstige Priester nicht, der sich mit der katholischen Kirche überwarf und vor zehn Jahren austrat. Es gibt noch viele Bücher, die er schreiben möchte. Als nächstes Thema hat er sich die Macht der Ökonomie vorgenommen. »Das kommt ein bisschen spät, aber es muss sein.« Einmal in der Woche steht in der Regel ein Vortrag im Terminkalender. Bei Radio Bremen geht er monatlich mit seiner eigenen Diskussionssendung »Redefreiheit« auf den Sender. Vielen Briefschreibern antwortet er persönlich und handschriftlich. Und schließlich empfängt er ab dem späten Nachmittag Patienten, die er als Psychotherapeut behandelt. Noch sei er gesund, sagt er. »Das sehe ich als Verpflichtung, noch das zu tun, was ich kann.« Drewermann studierte Theologie und Philosophie, beschäftigte sich später mit Psychoanalyse, wurde 1966 zum Priester geweiht. Die Themen seiner Bücher und Vorträge reichen von theologischen Auslegungen und psychologischen Deutungen biblischer Bilder und Märchen bis zu Tierschutz und Friedenspolitik. Die katholische Reformbewegung »Wir sind Kirche« würdigt es als Verdienst Drewermanns, die Erkenntnisse von Theologie und Psychotherapie verbunden zu haben. Aber an ihm scheiden sich auch die Geister: Kritiker haben dem Bestsellerautor vorgeworfen, mit der Psychologisierung von Politik romantisch-konservative Denktraditionen zu pflegen. Der Schweizer Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik sieht in den Äußerungen Drewermanns eine Gefahr von Weltflucht und neuer Innerlichkeit. Kritik gab es auch an Drewermanns Auftritt auf einer Veranstaltung des »Aktionsbüros Friedenswinter« Ende vergangenen Jahres, an der auch die umstrittenen »Montagsmahnwachen« beteiligt waren, denen Rechtspopulismus und Antisemitismus vorgeworfen wird. Eugen Drewermann epd-bild / Friedrich Stark Bundesweit bekannt wurde Drewermann spätestens, als der Paderborner Erzbischof Johannes Joachim Degenhardt dem Privatdozenten 1991 erst die katholische Lehrbefugnis und später die Predigtbefugnis entzog. Joseph Ratzinger, der spätere Papst, soll als zuständiger Kardinal im Vatikan für die Glaubenslehre auf Maßnahmen gegen Drewermann gedrungen haben. Zuvor hatte der Theologe mit der sanften Stimme und dem Faible für Strickpullover in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« erklärt, dass die Geburt Jesu von einer Jungfrau Maria nicht als historisches oder biologisches Ereignis zu betrachten sei. Katholischen Bischöfen warf Drewermann vor, die Ergebnisse einer historisch-kritischen Erforschung der biblischen Texte zu ignorieren. Auch mit seinem Buch »Kleriker - Psychogramm eines Ideals« (1989) hatte er die Amtskirche erzürnt: Darin spricht der vielgelesene Theologe von einer krankmachenden Wirkung der Kirche auf Priester. »Das war alles ein Konvolut an Missverständnissen aufgrund von tradierten Fixierungen«, urteilt Drewermann heute über seine Suspendierung. Seinem Bischof habe er damals gesagt: »Erschafft euch die Ketzer, die ihr braucht, aber das hat mit mir nichts zu tun.« Sein Leben habe sich durch den Rausschmiss in keiner Weise geändert, erklärt Drewermann mit Nachdruck: »Ich habe nie eine Zeile zu Papier gebracht mit der Frage, was denkt ein Erzbischof oder ein Kardinal in Paderborn oder Rom.« Bei diesem Thema geraten seine Hände in Bewegung. Jeden seiner Sätze trägt er dabei so klar und strukturiert vor, als stamme er aus einem Manuskript. Geändert habe sich jedoch sein Glaube, dass er der Kirche nutzen könne, indem er sich um eine Seelsorge epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _13 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG bemühe, die sich biblisch und auch psychologisch verantworte. »Das war eine Illusion, deren Verlust mir wehgetan hat, keine Frage.« Nachdem Drewermann sich jahrzehntelang in Büchern und Vorträgen mit seiner Kirche auseinandergesetzt hat, erklärte er vor zehn Jahren, zu seinem 65. Geburtstag, den Austritt. »Ein Geschenk der Freiheit«, sagte er damals. Mit Interesse und sogar Sympathie verfolgt Drewermann heute, wie sich Papst Franziskus für Flüchtlinge und ausgegrenzte Menschen einsetzt. Das sei »beispielgebend«. Ob er jedoch die mächtige katholische Kirche verändern kann, das sieht Drewermann skeptisch. Eine Reform könne man nicht von oben verordnen, sagt er, sie müsse von unten kommen. Dazu müsste sich der Papst praktisch selbst abschaffen. Seinen persönlichen Glauben hat Drewermann in der Auseinandersetzung mit der Kirche nicht verloren, wie er sagt. Im Sinne der katholischen Kirche sei er zwar kein Glaubender. Aber: »Ich könnte nicht leben ohne die Botschaft Jesu«, betont der ehemalige Priester. »Und ich wäre nicht mit der Kirche in Widerspruch geraten ohne die befreiende Lehre Jesu.« Jesus habe kein Christentum gegründet, er habe keine Konfessionen eingesetzt: »Jesus wollte, dass Menschen lebendig sind.« Holger Spierig (epd) Erzbistum Berlin Das Erzbistum Berlin erstreckt sich über Berlin, weite Teile Brandenburgs und die östlichen Landesteile Mecklenburg-Vorpommerns. Flächenmäßig gilt es als zweitgrößtes Erzbistum in Deutschland. Die Zahl der katholischen Kirchenmitglieder lag hier zuletzt bei 407.060, davon mehr als 325.000 in Berlin. Bischof Koch wird Nachfolger von Woelki Berlin/Köln (epd). Die katholische Kirche hat den Wechsel des bisherigen Dresdner Bischofs Heiner Koch nach Berlin offiziell bestätigt. Die Entscheidung wurde am 8. Juni zeitgleich in der deutschen Hauptstadt, im Vatikan und in Dresden bekanntgegeben. Bereits in den Tagen davor war durchgesickert, dass der 60-Jährige Nachfolger von Rainer Maria Woelki als Berliner Erzbischof wird. Der Berliner Dompropst Ronald Rother sagte, er freue sich, Bischof Koch bald in Berlin begrüßen zu können. Einen Termin für die Amtseinführung gibt es nach seinen Worten noch nicht. »Wir sind uns bewusst, dass die Wahl und Ernennung von Erzbischof Heiner Koch Bestürzung und Irritation im Bistum Dresden-Meißen auslöst«, hieß es. Die freudige und herzliche Aufnahme, die er dort gefunden habe, werde ihm auch in Berlin gewünscht. Der Vorsitzende des Diözesanrates der Katholiken im Erzbistum Berlin, Wolfgang Klose, begrüßte die Ernennung Kochs: »Das ist eine gute Wahl.« Heiner Koch war vor etwas mehr als zwei Jahren zum Bischof von Dresden-Meißen berufen worden. Davor war der gebürtige Düsseldorfer sieben Jahre lang Weihbischof in Köln. In der Funktion des Generalsekretärs leitete er die Vorbereitung und Durchführung des Weltjugendtags 2005 in Köln. Koch ist in der Deutschen Bischofskonferenz für Ehe und Familie zuständig. Der bislang letzte Berliner Erzbischof Rainer Maria Woelki war nach knapp drei Jahren Amtszeit in Berlin 2014 zum Erzbischof von Köln ernannt worden und hatte im September die Bundeshauptstadt verlassen. AUSLAND KIRCHEN »Christen in der Wirtschaft« Neue Bundeszentrale in Würzburg Würzburg/Wuppertal (epd). Der überkonfessionelle Verband Christen in der Wirtschaft (CiW) feiert am 20. Juni mit einem Festtag den Umzug seiner Bundeszentrale von Wuppertal nach Würzburg. Im Gottesdienst am Samstagmorgen um 10 Uhr predigt der frühere Generalsekretär des Gesamtverbandes des Christlichen Vereins Junger Menschen (CVJM) in Deutschland, Roland Werner. Am Nachmittag folgt ein Fachvortrag von Minika Bylitza zum Thema »Führen zwischen Wunsch und Wirklichkeit«. Im Anschluss wird die neue Zentrale des Verbandes in der Theaterstraße besichtigt. CiW-Generalsekretär Martin Stäbler sagte, die neue Verortung des Verbandes habe viele Vorteile wegen der geografischen Lage. Die neue Zentrale ermögliche es vielen Menschen, »an CiW teilzuhaben und auch mitzuwirken«. Der CiW-Vorsitzende Friedbert Gay sagte, der Vorstand sei »überglücklich« über den neuen Standort in der Mitte Deutschlands: »Das macht einen echten Neuanfang möglich.« Der überkonfessionelle Verein hat nach eigenen Angaben derzeit rund 1.000 Mitglieder. Ziel sei es, christliche Werte in der Wirtschaft zu pflegen und bei aktuellen Fragen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Stellung zu beziehen. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _14 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Papst ruft Putin zu »ehrlichen Friedensbemühungen« auf Rom (epd). Papst Franziskus hat den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu »ehrlichen und umfassenden Friedensbemühungen« in der Ukraine aufgerufen. Die Ukraine-Krise stand Vatikanangaben vom 10. Juni zufolge im Mittelpunkt der 50-minütigen Privataudienz für Putin in Rom. Der Präsident, der zuvor mit dem italienischen Ministerpräsident Matteo Renzi die Weltausstellung Expo in Mailand besucht hatte, war mit erheblicher Verspätung im Vatikan eingetroffen. Der Papst und Putin betonten der Mitteilung zufolge gemeinsam die Notwendigkeit, dass alle Konfliktparteien in der Ukraine sich um die Umsetzung des Minsker Abkommens bemühen sollten. Vorrang habe für beide die Suche nach einer Lösung der humanitären Krise. Dabei müsse vor allem der Zugang von Hilfsorganisationen zu den betroffenen Regionen gesichert werden, um eine »schrittweise Entspannung « in der Region zu erreichen, hieß es anschließend in einer Vatikanerklärung. Im Hinblick auf die Konflikte in Syrien und im Irak bekräftigten der Papst und Putin demnach Forderungen nach verstärktem Bemühungen der internationalen Gemeinschaft um Friedenslösungen. Dabei müssten die Lebensbedingungen aller gesellschaftlichen Gruppen inklusive der religiösen Minderheiten, darunter insbesondere der Christen, garantiert werden. Der russische Außenminister Sergej Lawrow traf den Angaben zufolge gleichzeitig mit Vertretern des vatikanischen Staatssekretariats zu Gesprächen über die Lage in der Ukraine und im Nahen Osten zusammen. Franziskus begrüßte Putin am Beginn der Begegnung auf Deutsch mit »Willkommen!« Mit den Worten »Das ist der Friedensengel, der alle Kriege gewinnt und von Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg Kreiskirchentag 2017 geplant Meinerzhagen (epd). Der Evangelische Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg plant in zwei Jahren einen großen Kreiskirchentag in Lüdenscheid. Anvisiert sei als Termin der 2. Juli 2017, teilte der Kirchenkreis zu den Ergebnissen der jüngsten Kreissynode in Meinerzhagen mit. Nach einem Beschluss der Kreissynodalen wird zur Vorbereitung eine befristete halbe Stelle eingerichtet. Die dafür veranschlagten Personalkosten betragen den Angaben nach 70.000 Euro, für Organisation und Logistik werden weitere 50.000 Euro bereitgestellt. AUSLAND KIRCHEN Putins Privataudienz beim Papst. epd-bild / Stefano Dal Pozzolo Solidarität unter den Völkern spricht«, überreichte er dem russischen Präsidenten ein Medaillon mit einer Engelsdarstellung. Putin übergab dem Papst eine mit Goldfaden gestickte Darstellung der Moskauer Erlöserkirche mit den Worten, diese sei zu Sowjetzeiten zerstört und später wieder aufgebaut worden. Putin fuhr in einer Mercedes-Stretch-Limousine mit einer umfangreichen Delegation in zwölf weiteren Wagen in den Vatikan ein - mit 70-minütiger Verspätung. Der russische Präsident war bereits im Herbst 2013 mit Franziskus zusammengetroffen, damals stand Syrien im Mittelpunkt der Gespräche. Bei seiner eintägigen Italienreise hatte Putin zuvor Ministerpräsident Matteo Renzi getroffen. Beide Seiten hatten dabei angesichts der EU-Sanktionen gegen Russland gemeinsame Interessen betont. Im Anschluss an den Besuch im Vatikan traf Putin mit dem italienischen Präsidenten Sergio Mattarella zusammen. Mehrheitlich beschlossen wurde zudem ein Antrag für die Wiedereinführung einer achtjährigen Wahlperiode für Presbyter. Die Verkürzung auf vier Jahre mit Neuwahl des gesamten Presbyteriums habe sich nicht bewährt, hieß es. Der Antrag geht nun an die zuständige Landessynode der Evangelischen Kirche von Westfalen. Die Kreissynodalen stimmten darüber hinaus dem Vorschlag der westfälischen Landeskirche zu, das Wahlalter bei den Presbyterwahlen von 16 auf 14 Jahre zu senken. Die Kreissynode votierte mit knapper Mehrheit dafür, sprach sich aber für die Beibehaltung der Zulassung zum Abendmahl als weiterer Voraussetzung aus, wie der Kirchenkreis erklärte. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _15 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Dortmunder Rat entscheidet über Kirchentag 2019 Dortmund (epd). Der Dortmunder Stadtrat entscheidet am 25. Juni über die Ausrichtung des 37. Deutschen Evangelischen Kirchentags. Um Planungssicherheit auf beiden Seiten zu schaffen, liege eine entsprechende Vorlage vor, erklärte die Stadt am 9. Juni. Bei einem positiven Bescheid durch den Rat werde die Verwaltung mit den Vorbereitungen beginnen. Unter anderem müssen Finanzierungsanteile der Stadt in Höhe von 2,7 Millionen Euro in die mittelfristige Haushaltsplanung für 2018/19 aufgenommen werden. Insgesamt hat der Kirchentag nach Angaben der Stadt ein Volumen von 18 Millionen Euro, das gemeinsam von der AUSLAND KIRCHEN einladenden westfälischen Landeskirche (4,9 Millionen Euro), vom Land Nordrhein-Westfalen (5,2 Millionen Euro), vom Kirchentag (6,1 Millionen Euro) und von der Stadt Dortmund (2,7 Millionen Euro) aufgebracht wird. Der Kirchentag, der in diesem Jahr in Stuttgart stattfand, wird alle zwei Jahre als fünftägige Veranstaltung ausgerichtet. Das Glaubensfest der evangelischen Laienbewegung mit Gottesdiensten, Diskussionen, Vorträgen und Konzerten soll nach Angaben der Stadt Dortmund über 100.000 Besucher anziehen. Der Umsatzfaktor durch auswärtige Teilnehmer wird auf 20 bis 25 Millionen Euro geschätzt. Tausende Biker feiern Gottesdienst am Hamburger Michel Hamburg (epd). Etwa 27.000 Biker haben am 14. Juni den 32. Motorrad-Gottesdienst (MOGO) in Hamburg gefeiert. Im Hamburger Michel sprach erstmals der neue MOGOPastor Lars Lemke zur Biker-Gemeinde. Er war zuvor von Hamburgs Bischöfin Kirsten Fehrs feierlich in sein Amt eingeführt worden. Der Gottesdienst, der per Lautsprecher auf die Straße übertragen wurde, stand unter dem Motto »Trau Dich!«. Anschließend fuhren die Biker über die A7 nach Kaltenkirchen zum Abschlussfest. Bei dem Motto »Trau Dich!« gehe es nicht um eine Mutprobe oder darum, beim Fahren mehr an seine Grenzen zu gehen, sagte Lemke in seiner Predigt. Es gehe darum, das Leben mal anders oder neu in den Blick zu nehmen. Und auch darum, Gott zu vertrauen. »Und das kann das größte Abenteuer deines Lebens werden«, sagte der Theologe. Die MOGO-Hymne »Fahr nicht schneller als Dein Schutzengel fliegen kann« sang wieder die SingerSongwriterin und Violinistin Jördis. Der »MOGO-Engel 2015« ging an Hans-Nissen Andersen, den langjährigen Vorstandsvorsitzenden der Evangelischen Darlehnsgenossenschaft, für seine Verdienste für den MOGO. Die Finanzierung des nächsten MOGO in Hamburg sei gesichert, sagte Andersen während des Gottesdienstes. Der MOGO wird größtenteils durch Sponsoring und Spenden finanziert. Organisiert wird der MOGO Hamburg unter Leitung von Veranstaltungschef Bernd Lohmann und von 250 eh- Biken und Beten am Michel. epd-bild / Stephan Wallocha renamtlichen Helfern. 2016 soll er am 12. Juni stattfinden. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _16 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Länder bekommen mehr Geld für Flüchtlinge AUSLAND FLÜCHTLINGE Bund verspricht dauerhafte Beteiligung an Kosten Berlin/Düsseldorf (epd). Die Länder erhalten mehr Geld vom Bund für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen. Für das laufende Jahr werden die Hilfen auf eine Milliarde Euro verdoppelt, ab 2016 will sich der Bund dauerhaft an den Kosten beteiligen. Das ist das Ergebnis eines Treffens von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer am Donnerstagabend in Berlin. Die Vereinbarungen stießen bei Ländern und Kommunen, die den Bund zu einer stärkeren Beteiligung an den Kosten gedrängt hatten, überwiegend auf Beifall. Vieler Länder und Kommunen klagen wegen der steigenden Zahl von Asylbewerbern über Überforderung. Bislang tragen im Schnitt die Länder 77 Prozent, die Kommunen 18 und der Bund fünf Prozent der Kosten für die Flüchtlinge. Nach der nun geschlossenen Vereinbarung will sich der Bund ab 2016 strukturell »an den gesamtstaatlichen Kosten, die im Zusammenhang mit der Zahl der schutzbedürftigen Asylbewerber und Flüchtlinge entstehen, beteiligen«. Konkrete Entscheidungen dazu sollen im Herbst fallen. Der Bund hatte den Ländern bereits für dieses und das nächste Jahr Hilfen von jeweils 500 Millionen Euro zugesagt. Für 2015 wird dieser Betrag dem Beschluss zufolge auf eine Milliarde Euro verdoppelt. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte, es müsse noch entschieden werden, wie die zusätzliche finanzielle Beteiligung des Bundes im Einzelnen aussehen werde: ob es Beträge »pro Kopf« seien oder eine neue Aufgabenteilung. Weitere Details sollen unter anderem bei einem regulären Treffen der Regierungschefs mit der Kanzlerin in der kommenden Woche besprochen werden. In den Ländern stießen die Vereinbarungen überwiegend auf ein positives Echo. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) bezeichnete die dauerhafte Finanzzusage des Bundes als »echten Fortschritt«. Über die Höhe der Soforthilfe für 2015 werde man aber »noch mal reden müssen«, sagte sie im Deutschlandradio Kultur. Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) sagte, das Wesentliche und Neue sei aus seiner Sicht, »dass der Bund zum ersten Mal anerkannt hat, sich dauerhaft an dieser Aufgabe zu beteiligen, auch durch Finanzen«. Die Höhe der finanziellen Unterstützung des Bundes werde allerdings »auf Dauer nicht ausreichen«, sagte er dem Sender HR-Info. Auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sagte dem Sender MDR Info, angesichts der Problemstellungen sei die versprochene Summe »nur ein Tropfen auf den heißen Stein«. Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sprach indes von einem ersten Schritt zur dauerhaften strukturellen Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Flüchtlingspolitik. Auch die neue Präsidentin des Deutschen Städtetages, Eva Lohse (CDU), begrüßte, dass Bund und Länder sich bei der Flüchtlingsaufnahme in einer Verantwortungsgemeinschaft sähen. Die Kommunen leisteten die Hauptarbeit bei Aufnahme und Integration von Asylbewerbern. Jetzt komme es darauf an, dass die Länder den Kommunen die Mittel des Bundes auch weitergeben. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund sieht in den Vereinbarungen ebenfalls ein »positives Signal«. Damit sei eine »Neuausrichtung der Flüchtlingspolitik« auf den Weg gebracht worden, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg im Südwestrundfunk. Für den Städte- und Gemeindebund NRW ist die Einigung ein »Durchbruch«. Nun müsse es darum gehen, die Kosten in den Bundesländern transparent zu ermitteln und ein gerechtes Ausgleichsverfahren zu erarbeiten, betonte Hauptgeschäftsführer Bernd Jürgen Schneider. Zentral sei auch das rasche Abarbeiten der aufgestauten Asylanträge beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die Zahl der Flüchtlinge, die in Deutschland Asyl beantragen, war innerhalb des vergangenen Jahres stark gestiegen. 2014 verzeichnete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge insgesamt rund 200.000 Asylanträge, davon 173.000 Erstanträge. Für das laufende Jahr rechnet die Behörde mit bis zu 400.000 Erst- und 50.000 Folgeanträgen. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _17 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG De Maizière sagt Flüchtlings-Aufnahme nach EU-Quote zu Stuttgart (epd). Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) ist zur Aufnahme weiterer Flüchtlinge nach den Plänen der EU-Kommission bereit. In einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte er eine deutsche Beteiligung an dem kürzlich vorgeThomas de Maizière epd-bild / Neetz schlagenen Programm zu: »Wir würden uns an der Aufnahme beteiligen, welche Verteilquote auch immer gilt.« Er betonte aber auch, Ziel bleibe eine europäische Lösung. Einige Länder wie Großbritannien und Polen haben sich gegen Pläne für eine andere Verteilung von Flüchtlingen in Europa ausgesprochen, weil sie dann mehr aufnehmen müssten. Nach einem Entwurf von EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos will die Kommission 20.000 Menschen aus Krisenregionen wie dem Nahen Osten über ein sogenanntes Resettlementprogramm nach Europa bringen. Zudem sollen 40.000 Flüchtlinge von Italien und Griechenland aus in andere Staaten umgesiedelt werden. AUSLAND FLÜCHTLINGE Der Innenminister betonte, das europäische Asylsystem nach dem Dublin-Akommen sei geltendes Recht, darauf müsse man bestehen. »Die Akzeptanz bröckelt aber«, räumte er ein. Deswegen sei es richtig, über Verbesserungen und neue Wege nachzudenken. »Wir brauchen eine europäische Lösung mit Blick auf Drittstaaten, Transitstaaten, Lebensrettung, Schlepperbekämpfung sowie Aufnahme und Verteilung«, sagte er. Ohne diese sei auf Dauer die EU-Freizügigkeit nach dem Schengener Abkommen gefährdet. Es gebe nicht viele Alternativen zu Dublin, ergänzte de Maizière. Für ein freies Wahlrecht im Zugang nach Europa und innerhalb Europas werde es keine Mehrheit in der EU und Deutschland geben. Daneben gebe es den Vorschlag der Verteilung. »Den unterstütze ich«, sagte de Maizière. Die jetzigen Dublin-Kritiker müssten sich dann aber auch klar machen, dass eine Verteilung durch- und umgesetzt werden müsse. »Ich möchte dann nicht die gleichen Argumente gegen die Durchsetzung der Verteilung hören, die jetzt gegen Dublin vorgetragen werden«, sagte er. epd-Gespräch: Corinna Buschow und Thomas Schiller Flüchtlinge verhindern Selbstanzündung von Syrer Dortmund (epd). Ein 40-jähriger Syrer hat am Freitagnachmittag in Dortmund versucht, sich selbst anzuzünden. Der Mann habe sich an der Huckarder Straße mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen und sich anzünden wollen, teilte die Polizei Dortmund am Freitag mit. Er wurde von den syrischen Demonstranten überwältigt und fixiert, die dort seit Dienstag vor der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge campieren. Der Mann selbst habe nicht zu dem Flüchtlingscamp gehört, erklärte die Polizei. Der Syrer blieb den Angaben zufolge körperlich unversehrt und wurde zur ärztlichen Behandlung in ein Krankenhaus gebracht. Der Dortmunder Polizeipräsident Gregor Lange, der den Angaben zufolge Zeuge des Geschehens war, äußerte sich betroffen. Er habe großes Verständnis für die Ängste der Demonstranten um ihre Familien in Syrien, erklärte Lange. Seit Dienstag campieren mehr als 40 syrische Flüchtlinge vor der Dortmunder Außenstelle des Bundesamts. Sie fordern eine schnellere Bearbeitung ihrer Asylanträge, weil sie erst bei einer Anerkennung ihre Familien aus Syrien zu sich holen können. Die Demonstranten klagen, dass sie zum Teil seit fünf oder sechs Monaten auf die Bearbeitung ihres Antrags warten. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _18 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Italien ruft nach gemeinsamer Flüchtlingspolitik AUSLAND FLÜCHTLINGE Politiker- und Kirchendelegation zu Gesprächen in Rom Rom (epd). Italien hofft angesichts steigender Flüchtlingszahlen an seinen Südgrenzen auf mehr Solidarität in der EU. Es sei eine moralische und rechtliche Pflicht aller Europäer, die über das Mittelmeer gekommenen Menschen aufzunehmen, sagte Senatspräsident Pietro Grasso am Donnerstag bei einem Treffen mit Politikern und evangelischen Kirchenvertretern aus Nordrhein-Westfalen in Rom. Präfekt Mario Morcone, der im italienischen Innenministerium für Migrationsfragen zuständig ist, sprach sich für eine dauerhafte und verbindliche Quotenregelung zur Verteilung der Flüchtlinge aus. Um die Zahl der Bootsflüchtlinge zu reduzieren, setzen beide Politiker zudem auf eine Stabilisierung Libyens, wo die meisten Boote in See stechen. Vertreter der Delegation aus NRW betonten ebenfalls, wenn sich Europa als Wertegemeinschaft verstehe, müsse die Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten von Europa gemeinsam bewältigt werden. »Wir brauchen mehr politische Zusammenarbeit in dieser Frage«, sagte der Theologische Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Westfalen, Albert Henz. Die Kirchen könnten mit ihren ökumenischen Kontakten zu Kirchen etwa in Italien und Griechenland auch zwischen Ländern vermitteln. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag, Marc Herter, sagte, eine Verteilung von Flüchtlingen nach Quoten innerhalb der EU stoße in Deutschland auf offene Ohren. Senatspräsident Grasso nannte auch eine Bekämpfung von Schleuserbanden, »die aus dem Elend der Menschen Profit schlagen«, eine wichtige Maßnahme. Von großer Bedeutung sei zudem eine politische Stabilisierung Libyens, betonte der Vorsitzende der zweiten italienischen Parlamentskammer. Italien könne sich eine Führungsrolle bei den Beziehungen zu dem nordafrikanischen Staat vorstellen. Erstaufnahmelager für Bootsflüchtlinge in Pozzallo auf Sizilien. epd-bild / Ingo Lehnick Präfekt Morcone sagte, Italien sei in der Frage einer Quotenregelung zur Verteilung von Flüchtlingen zu Zugeständnissen bereit. Er zeigte sich angesichts des Widerstands aus Frankreich und Spanien skeptisch, ob eine solche Regelung in der EU durchsetzbar ist. Auch innerhalb Italiens gibt es nach Morcones Worten Streit zwischen den verschiedenen Regionen über die Aufteilung der Flüchtlinge. So nehme Sizilien 22 Prozent aller in Italien verbleibenden Asylbewerber auf, während es in einigen wohlhabenderen Regionen im Norden lediglich drei Prozent seien. Eine Gruppe von Landtagsabgeordneten sowie Experten und Repräsentanten der rheinischen und der westfälischen evangelischen Landeskirchen hatte in der vergangenen Woche Flüchtlingslager und Hilfsprojekte in Süditalien und Griechenland besucht. Die fünftägige Reise auf Einladung der beiden Landeskirchen sollte den Landespolitikern und den Kirchen ermöglichen, sich ein umfassendes Bild von der Lage vor Ort zu machen. Die Erkenntnisse sollen in die künftige Ausrichtung der Flüchtlingspolitik und der kirchlichen Arbeit mit Asylsuchenden und Migranten in Deutschland einfließen. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _19 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG AUSLAND FLÜCHTLINGE Bange Hoffnung Wie afrikanische Flüchtlinge auf Sizilien ankommen Pozzallo (epd). Der Notruf erreicht die italienische Küstenwache am Morgen um acht Uhr: Vier Schlauchboote mit afrikanischen Flüchtlingen sind gut 30 Seemeilen vor der libyschen Küste in Not geraten. Bis zum Abend können alle gerettet werden - insgesamt 454 Menschen nimmt die Guardia Costiera an Bord ihres Schiffes »CP 940«, darunter ein drei Monate altes Baby. Die Afrikaner werden in den sizilianischen Hafen Pozzallo gebracht, wo sie am nächsten Tag eintreffen. Die aufwendige Prozedur der Erstaufnahme läuft an. In Schlangen gehen die Menschen aus Somalia und Eritrea, Mali oder Gambia von Bord des Schiffes und setzen erstmals ihren Fuß auf europäischen Boden. Viele haben in Libyen lange auf ihre Überfahrt gewartet und wirken gezeichnet von den Strapazen und der Gewalt, die sie erlebt haben. Hoher logistischer Aufwand Ihre bange Erwartung trifft auf ein reges Treiben an der Anlegestelle. Die schlichte Kleidung der dunkelhäutigen Flüchtlinge steht in starkem Kontrast zu den weißen Schutzanzügen der Ärzte und den Uniformen von Polizei und Küstenwache. Aber auch Hilfsorganisationen und kirchliche Gruppen sind beteiligt. Das erprobte Zusammenspiel der beteiligten Helfer wirkt unaufgeregt und routiniert. Es überwiegen freundliche Gesten und Gesichter. Der logistische Aufwand ist enorm. Die Asylsuchenden werden bereits auf dem Schiff medizinisch untersucht, vor allem um Menschen mit ansteckenden Krankheiten von den anderen zu trennen. Danach folgen noch weitere Medizin-Checks. Allein 30 Ärzte sind beteiligt. Einige Verletzte werden mit Krankenwagen zur Behandlung gebracht. Eine besonderes Augenmerk liegt auch auf Schwangeren, Familien und Minderjährigen, die ohne Angehörige reisen. Die Helfer müssen entscheiden, wer ins örtliche Erstaufnahmelager gebracht wird und wem eine längere Busreise in eine andere Stadt zugemutet werden kann. Das Lager in Pozzallo sei mit den riesigen Flüchtlingszahlen hoffnungslos überfordert, sagt die Vizepräfektin der sizilianischen Provinz Ragusa, Rosanna Mallemi, die an diesem Tag selbst in den Hafen gekommen ist. Eigentlich könnten in Pozzallo nur 200 Menschen für einige Tage aufgenommen werden, manchmal seien es aber auch 500. Gemeinsam mit Mallemi besucht auch eine Gruppe von nordrhein-westfälischen Politikern und Vertretern der evangelischen Kirchen im Rheinland und in Westfalen den Hafen. Die Delegation macht sich in dieser Woche ein Bild von der Flüchtlingssituation in Italien. Einer der Neuankömmlinge an diesem Tag ist Marvellous Igbinomwanhin. Der Nigerianer, der drei auffällige Narben im Gesicht hat, sagt, er sei 25 Jahre alt. Er sei Elektriker und hoffe auf ein besseres Leben, sagt er mit unsicherem Blick in einer großen Halle des Aufnahmelagers, die mit Matratzen ausgelegt ist. In seiner Heimat gebe es kaum eine Zukunft für junge Leute. »Ich will, dass meine Familie stolz auf mich ist.« Was ihn in der unbekannten Umgebung erwartet, weiß Igbinomwanhin nicht. Auch über seine Erlebnisse auf dem langen Weg nach Europa spricht er nur vage. Er ist zunächst einmal froh, es hierher geschafft zu haben. Andere wirken geradezu euphorisch. Das ändere sich meist nach ein paar Tagen, sagen Experten. Dann zeige sich, wie traumatisiert viele seien. Ausharren im Lager Eigentlich sollen die Menschen nur einige Tage in den Erstaufnahmelagern bleiben. Doch die steigenden Flüchtlingszahlen überfordern immer wieder die Möglichkeiten, so dass manche auch Wochen oder gar Monate in den Lagern ausharren. Auf Lampedusa ist die Erstaufnahmeeinrichtung für bis zu 380 Menschen ausgelegt, es waren aber auch schon 1.600 Afrikaner dort untergebracht. Der Präfekt von Ragusa, Annunziato Vardè, spricht von einer komplexen und schwierigen Herausforderung. Im gesamten letzten Jahr seien 28.000 Flüchtlinge in Pozzallo angekommen, zurzeit seien es allein in dem Hafen der 20.000-Einwohner-Stadt mitunter mehr als tausend am Tag. Italien brauche die Unterstützung aller europäischen Staaten, fordert Vardè. Die bisherige EU-Regelung, nach der das Erstaufnahme-Land für das Asylverfahren zuständig ist, sei jedenfalls gescheitert. Ingo Lehnick (epd) epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _20 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG NRW-Kirchen und Politiker: Legale Fluchtwege in EU schaffen Rom/Düsseldorf (epd). Politiker aller NRWLandtagsfraktionen machen sich gemeinsam mit den evangelischen Kirchen in Nordrhein-Westfalen für legale Fluchtwege von Afrika nach Europa stark. Nötig seien unter anderem humanitäre Korridore, erklärten sie am Freitag in Rom zum Abschluss einer mehrtägigen Reise an die EU-Außengrenze in Griechenland und Italien. So könnten Flüchtlinge durch die Botschaften der EU-Staaten in Nordafrika offizielle Reisedokumente erhalten, um sicher nach Europa reisen und dort Asyl beantragen zu können, erläuterte der Theologische Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Westfalen, Albert Henz. Den Flüchtlingen müsse der gefährliche Weg über das Mittelmeer erspart werden, den viele nicht überlebten. Kritisch äußerten sich die knapp zwanzig Politiker und Kirchenleute zur geltenden Regelung, nach der Flüchtlinge nur in dem EU-Land Asyl beantragen können, das sie als erstes betreten. Die Aufnahmeländer im Süden dürften mit dem Problem der wachsenden Flüchtlingszahlen nicht allein gelassen werden, sagte der rheinische Kirchenrat Volker König dem Evangelischen Pressedienst (epd). »Das sind auch unsere Flüchtlinge, das Problem können wir nicht an Italien und Griechenland delegieren.« Hier sei mehr Solidarität innerhalb der EU nötig. Neben der Rettung von Bootsflüchtlingen müsse es aber auch um das Ziel gehen, Schiffseinsätze auf dem Mittelmeer überflüssig zu machen. Diskutiert wurde neben einer Quote für die Verteilung von Flüchtlingen auf die EU-Staaten auch die Möglichkeit, dass Asylbewerber in jedem EU-Land ihren Antrag stellen dürfen. Dann müssten die Kosten untereinander solidarisch aufgeteilt werden, sagte Henz. Er plädierte zudem für ein Zuwanderungsgesetz in Deutschland. Die Gruppe von Parlamentariern und Kirchenexperten hatte sich seit Montag auf den italienischen Mittelmeerinseln Sizilien und Lampedusa sowie auf der griechischen Insel Lesbos über die Situation von Flüchtlingen und den Umgang mit ihnen informiert. Das Thema wurde zudem in Gesprächen mit Abgeordneten, Regierungsvertretern, Hilfsorganisationen und kirchlichen Fachleuten erörtert. Trotz großen Engagements aller Beteiligten seien die Behörden vor allem in Griechenland mit der Ankunft tausender Flüchtlinge teilweise überlastet, hieß es. Auch in Deutschland müssten angesichts der teils dramatischen Lage ausgetretene Pfade der bisherigen politischen Konzepte verlassen und die Flüchtlingspolitik stärker von den Betroffenen her gestaltet werden. Flüchtlingsmisshandlungen an Regeln hielten, eingesperrt worden sein. In einem öffentlich gewordenen Video zwingen Wachleute einen Mann, sich auf eine Matratze mit Erbrochenem zu legen. Die Staatsanwaltschaft Siegen ermittelt zusammen mit einer beim Staatsschutz der Polizei Hagen eingesetzten Kommission. Ermittelt wird wegen Nötigung und Freiheitsberaubung gegen zahlreiche Wachleute, Sozialbetreuer und Bedienstete der Essener Firma European Homecare, die das Flüchtlingsheim betrieben hat. Nach Kutschatys Angaben gab es bislang Vernehmungen von 230 Zeugen und Beschuldigten, außerdem wurden rund 300 Dokumente sichergestellt, die noch ausgewertet werden müssen. Die Ermittlungen würden sich noch längere Zeit hinziehen, sagte der Justizminister. Anhaltspunkte dafür, dass auch Polizeibeamte unmittelbar Straftat begangen haben, gebe es nach derzeitigem Ermittlungsstand nicht. Ermittlungen gegen 52 Beschuldigte Düsseldorf/Burbach (epd). Im Zusammenhang mit der Misshandlung von Flüchtlingen in einer Asylunterkunft in Burbach wird nach Angaben von NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) gegen 52 Beschuldigte ermittelt. Wie Kutschaty am Mittwoch im Rechtsausschuss des Düsseldorfer Landtags erklärte, werden zurzeit 270 verschiedene Sachverhalte überprüft, die alle einzeln untersucht werden müssen. Im vergangenen September war bekanntgeworden, dass Sicherheitskräfte in der Notaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Burbach Asylbewerber misshandelt haben sollen. 128 der 270 Sachverhalte betreffen nach den Worten des Ministers die Vorfälle in dem sogenannten »Problemzimmer« in Burbach. Dort sollen Flüchtlinge, die sich nicht epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 AUSLAND FLÜCHTLINGE Seite _21 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG AUSLAND FLÜCHTLINGE Ein neues Zuhause auf Zeit Der Halfeshof in Solingen nimmt junge unbegleitete Flüchtlinge auf Solingen (epd). »Wenn zu dir jemand sagt, du bist das letzte, dann lach und sage: Der letzte wird der erste sein!« In säuberlichen Druckbuchstaben handgeschrieben, hängt ein Zettel mit diesem Spruch an der Zimmerwand von Amadou (Name geändert). Als der 17-Jährige vor einem halben Jahr aus dem westafrikanischen Guinea nach Solingen kam, sprach er kein Wort Deutsch. Heute besucht er die Integrationsklasse der benachbarten Hauptschule und will seinen Realschulabschluss machen. Der Guineer ist einer von zwölf Jugendlichen, die als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge am Wuppertaler Hauptbahnhof strandeten und über Polizei und Jugendamt in der Clearing-Gruppe des Jugendheims Halfeshof in Solingen landeten. Ein Zuhause auf Zeit, das die oft traumatisierten 15- bis 17-Jährigen erst einmal zur Ruhe kommen lässt. Die insgesamt zehn Wohngruppen des Jugendheims sind auf mehrere Gebäude verteilt, die sich in einer großzügigen Parkanlage mit altem Baumbestand geradezu idyllisch ausnehmen. 174 Jungen zwischen acht und 18 Jahren leben in der Einrichtung des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) - überwiegend kommen sie aus schwierigen Familien. Schulabbrüche, Drogen- und Gewalterfahrungen prägten ihre frühen Lebensjahre. Und nun also noch die Flüchtlinge, deren Kindheit auf andere Weise zerstört wurde. Die ersten, erinnert sich Einrichtungsleiter Ben Repp, habe man im September 2014 auf bereits bestehende Wohngruppen verteilt. »Das hat aber alle überfordert, schon wegen der Sprache.« Nun leben die Flüchtlinge zusammen in einem separaten kleinen Haus auf dem Gelände: unten sieben Jüngere in einer Wohngemeinschaft mit 24-Stunden-Betreuung, oben fünf Jugendliche kurz vor der Volljährigkeit, die lernen sollen, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen. Zu ihnen gehört auch Amadou. Auf dem Schreibtisch in seinem Zehn-Quadratmeter-Zimmer stapeln sich Bücher, darunter ein deutsch-französisches Wörterbuch. Seine Augen blicken ernst durch die Brillengläser: »Wenn man eine gute Zukunft haben möchte, ist die Schule wichtig«, sagt der 17-Jährige mit Nachdruck. Wie viele Altersgenossen aus seinem Heimatland, in dem die Le- benserwartung 42 Jahre beträgt, wurde er von seinen Eltern auf die lange und beschwerliche Reise geschickt - nach Europa, in ein besseres Leben. Dass sich viele Familien in Kriegs- und Krisengebieten verschulden, um die Schlepper für den ältesten Sohn zu bezahlen, weiß der LVR-Jugenddezernent Lorenz Bahr. Dass die Jungen in Transit-Städten wie Köln, Dortmund, Aachen oder eben Wuppertal aus dem Zug geworfen und sich selbst überlassen werden, hat man den Eltern nicht gesagt. »Die Jugendlichen, die hier in der Clearing-Gruppe ankommen, sind stark«, betont Bahr. Sie hätten eine teils lebensgefährliche Flucht überlebt und den unbedingten Willen, in Deutschland Fuß zu fassen - auch, um ihre Familien in der Heimat zu unterstützen. Im Gegensatz zu manchen deutschen Altersgenossen würden die jungen Flüchtlinge schon beim Frühstück darauf drängen, dass die Schule wartet, berichtet Bahr. Nachmittags stehen neben Hausaufgaben auch gemeinsames Kochen, Spiele und Sportangebote auf dem Programm. Amadou hat sogar einen Fußballverein im Stadtteil gefunden: »Ich spiele bei Post SV«, sagt er stolz - und ergänzt grinsend: »Linksaußen, wie Philipp Lahm!« Manchmal trifft er sich mit seinen Mannschaftskameraden auch zum Grillen. Besucht hat ihn allerdings noch keiner. In der Wohngruppe sind die Jugendlichen aus Guinea, Gambia, Somalia, Afghanistan, Algerien und Marokko zumeist unter sich. Zwei bis drei Mitarbeiter, die teils mit vier Sprachen gleichzeitig jonglieren, kümmern sich tagsüber um sie, nachts gibt es eine Ruf-Bereitschaft. Die übernimmt in regelmäßigen Abständen Bereichsleiter Henning Leuschner, der die Flüchtlingsgruppe mit aufgebaut hat und am Halfeshof auch für die Berufsausbildung zuständig ist. »Was die Jungs hier lernen, sind Kompetenzen, die ihnen keiner mehr nehmen kann«, betont Leuschner. Auch wenn ihr Asylantrag, den sie mit 18 Jahren stellen, abgelehnt wird - wie es bereits in manchem Fall geschehen ist. Ob die Jugendlichen bleiben dürfen, hängt auch davon ab, wie gut sie sich in Deutschland integriert haben. Amadou könnte gute Chancen haben. Stefanie Mergehenn (epd) epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _22 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Süssmuth mahnt offenere Flüchtlingspolitik an AUSLAND GESELLSCHAFT Ehemalige Bundestagspräsidentin mit Reinhard Mohn Preis geehrt Gütersloh (epd). Rita Süssmuth, diesjährige Preisträgerin des Reinhard Mohn Preises, hat zu mehr Offenheit in der Flüchtlings- und Einwanderungspolitik aufgerufen. Deutschland müsse seine harte Unterscheidung zwischen »nützlichen« Migranten und Flüchtlingen, die nicht gewollt seien, aufgeben, sagte die frühere Bundestagspräsidentin beim Festakt am Donnerstag in Gütersloh. Auch die Menschen, die derzeit aus den Krisenländern nach Europa strömen, verfügten über Fähigkeiten und Qualifikationen, die dem Land nutzen können. Die Überschreitung von Grenzen sei allenfalls illegal. Doch »kein Mensch ist illegal, sie haben Rechte«, mahnte die CDU-Politikerin. Zu einem gelingenden Zusammenleben gehöre auch, das Anderssein des anderen nicht abzulehnen, sondern über Kulturen und Religionen wie den Islam nachzudenken, sich Kenntnisse zu verschaffen. Eine Wertegemeinschaft brauche aber gemeinsame Regeln, betonte Süssmuth. Sie erhielt den mit 20.000 Euro dotierten Reinhard Mohn Preis der Bertelsmann Stiftung für ihre Verdienste um eine moderne Einwanderungspolitik. Das Preisgeld stiftet die frühere Familienministerin an Mentorenprojekte für junge Flüchtlinge in ihrer Geburtsstadt Wuppertal, in Dortmund und Osnabrück sowie für die Kinderrechtsorganisation »Save the Children Deutschland«. »Süssmuth hat die Perspektive auf die Einwanderung verändert«, sagte die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) in der Festrede. Mit ihrer Politik habe sie gezeigt, dass Migration auch eine Chance bedeute. Wichtige Impulse für Gesetzesreformen und eine offenere gesellschaftliche Haltung seien von der sogenannten Süssmuth-Kommission zum Thema Zuwanderung ausgegangen, die sie von 2000 bis 2001 leitete. Als Kernstück nannte Kraft die Integrationskurse. Deutschland sei mittlerweile eines der beliebtesten Einwanderungsländer und verstehe sich als »Gesellschaft der Vielfalt«. Gleichzeitig habe Süssmuth den Blick auf die Auswanderungsländer gerichtet und sich für Fairness ihnen gegenüber eingesetzt, sagte die Ministerpräsidentin weiter. Außerdem habe sie den deutschen Dialog mit Polen und der Türkei unterstützt, unter anderem als Gründungspräsidentin der ersten türkisch-deutschen Universität in Istanbul. »Sie ist zu einer Brückenbauerin geworden, zwischen den Menschen innerhalb und auch über die Grenzen hinweg«, würdigte Kraft die Preisträgerin. Süssmuth habe sich unermüdlich gegen jede Form von Ausgrenzung und Diskriminierung eingesetzt, sagte die stellvertretende Auszeichnungen mus einen »außerordentlich wichtigen Beitrag für unsere Demokratie«. Die niedersächsische Publizistin Röpke publiziert seit den 90er Jahren über die rechtsextreme Szene. Mehrfach wurde die 1965 geborene Journalistin bei ihren Recherchen von Rechtsextremen bedroht oder angegriffen. Die Branchen-Zeitschrift »Medium Magazin« zeichnete sie 2006 als »Reporterin des Jahres« und 2011 als »Politische Journalistin des Jahres« aus. Die nach dem früheren Zentralratspräsidenten benannte Auszeichnung wird seit 2009 an Menschen vergeben, die sich in besonderem Maße für eine stabile Demokratie und Zivilcourage einsetzen. Frühere Preisträger sind der sächsische Polizeipräsident Bernd Merbitz sowie das Künstler-Ehepaar Horst und Birgit Lohmeyer aus Mecklenburg-Vorpommern. Journalistin Andrea Röpke erhält Paul-Spiegel-Preis in Düsseldorf Berlin/Düsseldorf (epd). Die Journalistin Andrea Röpke erhält den mit 5.000 Euro dotierten Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage des Zentralrates der Juden in Deutschland. Die Politologin sei beharrlich und über viele Jahre am Thema geblieben und habe zahlreiche Verbindungen und Strukturen in der rechtsextremen Szene aufgedeckt, teilte der Zentralrat am Montag in Berlin mit. Die Auszeichnung wird am 17. Juni in der Synagoge der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf verliehen. Zentralratspräsident Josef Schuster betonte, die Journalistin leiste mit ihren Recherchen zum Rechtsextremis- Vorsitzende der Bertelsmann Stiftung, Liz Mohn: »Sie vertritt das weltoffene Deutschland.« Der alle zwei Jahre vergebene Preis erinnert an den im Jahr 2009 gestorbenen Gründer der Bertelsmann Stiftung, Reinhard Mohn. Die Auszeichnung soll innovative Ideen für drängende gesellschaftliche und politische Herausforderungen würdigen. Der erste Preis ging 2011 an die brasilianische Hafenstadt Recife, 2013 wurde der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan ausgezeichnet. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _23 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Zahl antisemitischer Straftaten gestiegen Berlin (epd). In Deutschland ist die Zahl der antisemitischen Straf- und Gewalttaten 2014 stark angestiegen. Wurden 2013 noch insgesamt 1.275 Fälle registriert, waren es im vergangenen Jahr 1.596, wie der in Berlin erscheinende »Tagesspiegel am Sonntag« berichtete. Die Zeitung berief sich auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Grünen-Politikers Volker Beck. Noch eklatanter sei demnach die Zunahme antiisraelischer Straftaten, die von den Behörden unter dem Begriff »Israel-Palästinenser-Konflikt« aufgelistet werden: 2013 habe es 41 solcher Vorfälle gegeben, 2014 waren es 575. Davon seien 91 Prozent mit Gewalt einhergegangen. Im Jahr zuvor wurden laut offizieller Statistik dagegen keine Gewalttaten mit antiisraelischem Hintergrund registriert, hieß es in dem Zeitungsbericht. Auffallend sei zudem, dass die Behörden die Übergriffe des Jahres 2014 größtenteils der »politisch motivierten Kriminalität von Ausländern« zuordnen. In der Statistik sind es 331 der insgesamt registrierten 575 Fälle. Nach Ansicht von Experten wirke der jüngste Gazakrieg als eine Art Brandbeschleuniger für ohnehin vorhandene Ressentiments und Vorbehalte, schrieb die Zeitung weiter. Im Sommer 2014 hatte es während des bewaffneten Kampfes zwischen dem jüdischen Staat und der islamistischen Hamas zahlreiche propalästinensische Demonstrationen gegeben. Dabei kam es immer wieder zu antiisraelischen und judenfeindlichen Protesten. »Antisemitismus darf in unserem Land genauso wenig toleriert werden wie Rassismus und Muslimfeindlichkeit«, forderte Beck. »Und Antizionismus ist eine Form des Antisemitismus.« Alarmiert zeigte sich auch das American Jewish Committee. Die deutliche Zunahme judenfeindlicher Vorfälle spiegele eine besorgniserregende Entwicklung, sagte die Direktorin des Berliner Büros, Deidre Berger, der Zeitung. Hinzu komme, dass viele judenfeindlichen Attacken ungeahndet blieben. Das ermuntere potenzielle Täter. Köln Dagegen hatte die israelische Botschaft nach Angaben der Stadt Köln schriftlich Protest eingelegt. Auch jüdische Kontroverse um Absage von israelkritischer Ausstellung Köln (epd). Um die Absage einer israelkritischen Ausstellung durch den Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) ist eine Kontroverse entbrannt. Der israelische Historiker Moshe Zimmermann sprach von einer »haarsträubenden Kapitulation Kölns«. Die Absage der Schau der israelischen Gruppe »Breaking the Silence« widerspreche den Grundregeln der Demokratie und freien Meinungsäußerung, sagte er dem »Kölner Stadt-Anzeiger« (15. Juni). Auch der »Cap Anamur«-Gründer Rupert Neudeck zeigte sich enttäuscht von Roters’ Entscheidung. »Breaking the Silence« sei eine der mutigsten Oppositionsgruppen Israels, sagte Neudeck dem Blatt. »Aber wenn wir sie nach Köln holen, sollte sie sich hier nicht äußern dürfen?« »Breaking the Silence« ist eine Gruppe ehemaliger israelischer Soldaten, die das Vorgehen ihrer Armee gegen die Palästinenser kritisieren. Die Volkshochschule Köln wollte eine Ausstellung der Organisation aus Anlass des 50. Jahrestags der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland zeigen. AUSLAND GESELLSCHAFT Synagogengemeinden und die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit hatten Kritik geäußert und erklärt, die Schau könnte Antisemitismus schüren. Vor diesem Hintergrund verteidigte der Kölner SPDFraktionsvorsitzende Martin Börschel die Entscheidung, die Schau abzusagen. Es wäre allerdings besser gewesen, die Bedenken früher zu prüfen, sagte Börschel. Auch der FDP-Fraktionsgeschäftsführer Ulrich Breite sagte, die Stadt hätte gar nicht erst eine Zusage erteilen dürfen. Eine Absage zum jetzigen Zeitpunkt sehe für Köln nicht gut aus. Der Vorsitzende der Gesellschaft für ChristlichJüdische Zusammenarbeit, Jürgen Wilhelm, verteidigte die Empfehlung, die Ausstellung abzusagen. Er kritisierte die »absolute Einseitigkeit« der Darstellungen, die nur das Vorgehen der israelischen Armee, nicht aber das der Palästinenser zeigten. Zugleich meldete er Bedenken gegen die Intervention der Botschaft an. Es sei ein »fragwürdiges Mittel«, diplomatischen Einfluss auf diese Weise geltend zu machen. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _24 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG AUSLAND GESELLSCHAFT Der grüne Gipfel Das G-7-Treffen in Elmau bot neben idyllischer Natur auch wegweisende Klimabeschlüsse Garmisch-Partenkirchen (epd). Die Erleichterung war Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag deutlich anzumerken. Der G-7-Gipfel im oberbayerischen Schloss Elmau stand unter extremem Sicherheitsaufwand - und war doch fast völlig reibungslos verlaufen. Zwei Tage lang hatten die Staats- und Regierungschefs der sieben führenden Industrienationen umgeben von idyllischer Natur am Fuß der Wettersteinwand ungestört über Weltpolitik beraten. Am Ende verabschiedeten die Regierungen Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands, Italiens, der USA, Kanadas und Japans eine 16-seitige Erklärung, mit dem Klimaschutz als zentralem Element. Für ihre Vorstöße erhielten die Regierungsvertreter Beifall: Viele Umweltund Entwicklungsaktivisten, die in den Tagen zuvor noch gegen die G-7-Politik demonstriert hatten, zeigten sich von den Gipfelergebnissen positiv überrascht. Gegen den anfänglichen Widerstand Kanadas und Japans setzten Merkel zusammen mit Frankreichs Staatschef François Hollande und US-Präsident Barack Obama in der G-7-Runde das Ziel durch, im Lauf des Jahrhunderts die weltweiten Kohlendioxid-Emissionen auf Null zu senken. Auf diese Weise soll die Weltgemeinschaft ihr vor langer Zeit formuliertes Vorhaben erfüllen können, die Erderwärmung auf maximal zwei Grad zu begrenzen. Bis 2050 sollen die weltweiten CO2-Emissionen um 40 bis 70 Prozent sinken - angepeilt werde »das obere Ende«, berichtete Merkel. Mit einer großen internationalen Agenda zu Klima, Hunger, Terrorismus bekennen sich die G-7-Staaten zu weltweiter Verantwortung. Dadurch erhofft sich die Gruppe, häufig als »elitärer Club der Reichen und Mächtigen« kritisiert, mehr Legitimität und Gewicht auf der globalen Bühne. Der G-7-Gipfel lieferte zugleich eine ehrgeizige Vorlage für die weiteren Weltkonferenzen, die in diesem Jahr anstehen: Von zentraler Bedeutung ist etwa die UN-Klimakonferenz in Paris im Dezember, auf der die Staatengemeinschaft ein neues Weltklimaabkommen aushandeln will. Das »Ende des fossilen Zeitalters«, das die G-7Gruppe anstrebe, müsse nun auch innerhalb des Pariser Abkommens beschlossen werden, verlangt die Entwicklungsorganisation Germanwatch. Merkel selbst gab zu bedenken, dass Länder wie China und Indien noch ins Boot geholt werden müssten. Um weltweit die Energiewende hin zu Wind, Sonne und Wasserkraft voranzubringen, be- Fantasievoller Protest: Ballons mit den Gesichtern der G-7-Teilnehmer im nächtlichen Himmel über GarmischPartenkirchen. epd-bild / Thomas Lohnes kräftigen die sieben Industrienationen ihre Klimahilfen für Entwicklungsländer und wollen neue Initiativen starten. Schon im nächsten Monat sollen wichtige Weichen gestellt werden, wenn Mitte Juli bei einer UN-Konferenz im äthiopischen Addis Abeba über Entwicklungsfinanzierung verhandelt wird. Dass den G-7-Ländern die Belange der südlichen Länder ernst sind, versuchte der Gipfel auch am Montag zu demonstrieren: Die Staats- und Regierungschefs Nigerias, Tunesiens, Liberias, Äthiopiens, Senegals sowie des Irak waren am zweiten Gipfeltag zu Gesprächen über Terrorabwehr, Armutsbekämpfung und Flüchtlinge eingeladen. »Die G-7-Staaten sind seit langem in einer schwierigen Lage«, erläutert der kanadische Politikwissenschaftler John Kirton mit Blick auf die Tausenden Demonstranten, die in die Alpen gekommen waren. Er forscht an der Universität von Toronto speziell zum Format der G-7. »Wenn sich eine solche Gruppe von Politikern zusammensetzt, nehmen die Bürger das schnell als Bevormundung wahr«, sagte Kirton. Doch noch problematischer wäre es seiner Ansicht nach, wenn die G-7 in drängenden Fragen untätig blieben: »Wir können im Kampf gegen den Klimawandel nicht noch ein Jahr verlieren. Und wer sonst sollte diesen Kampf vorantreiben und finanzieren?« Die Entwicklungsorganisation One zeigte sich angetan vom Versprechen der G-7, die extreme Armut und den Hunger in der Welt bis 2030 zu beseitigen. »Wird dieses Ziel nun solide finanziert, können wir Teil der Generation sein, die Armut beendet.« Allerdings, so die Entwicklungsexperten, sei bis dahin noch ein weiter Weg zurückzulegen. »Das starke Ergebnis von Elmau darf kein Luftschloss sein.« Von Isabel Guzmán und Elvira Treffinger (epd) epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _25 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT Klimaschutz Klimaforscher Latif sieht G-7Beschlüsse skeptisch Hannover/Kiel (epd). Der Klimaforscher Mojib Latif sieht die Beschlüsse des G-7-Gipfels zum Klimaschutz skeptisch. Es fehlten die Taten, um die Beschlüsse im bayerischen Schloss Elmau ernst nehmen zu können, sagte der Kieler Wissenschaftler am 9. Juni dem Radiosender NDR-Info. »Die USA haben jetzt die Erlaubnis erteilt, in arktischen Gewässern nach Öl zu bohren, und betreiben Fracking in großem Stil«, kritisierte der Klimaforscher. »Kanada nutzt Teersande. Das ist eine Riesenschweinerei, die ganze Landstriche verwüstet. Und in Deutschland schaffen wir es noch nicht einmal, uns von der Kohle zu verabschieden«, fügte Latif hinzu. Er habe wenig Hoffnung, dass die jüngsten G-7Beschlüsse eine veränderte Politik einleiteten, sagte Latif. »Ich weiß nicht, das wievielte Mal sich die Spitzen der Weltpolitik jetzt zum Zwei-Grad-Ziel bekannt haben, das ist wahrlich nichts Neues.« Der Klimaforscher wies darauf hin, dass der weltweite CO2-Ausstoß seit den ersten Weltklimakonferenzen in den 90er Jahren um 60 Prozent gestiegen sei: »Meine Skepsis ist daher extrem groß, dass es einfach nur großes Theater gewesen ist und man einfach weitermacht wie bisher.« Die Staats- und Regierungschefs der sieben führenden Industrieländer hatten sich bei ihrem Treffen in Oberbayern für einen Ausstieg aus fossilen Energien im Lauf dieses Jahrhunderts und eine bedeutsame Reduktion der Treibhausgase ausgesprochen. Die globale Erwärmung soll nach dem Willen der G-7-Staaten auf maximal zwei Grad begrenzt werden. Dafür sollen die weltweiten Treibhausgas-Emissionen um 40 bis 70 Prozent bis 2050 gegenüber 2010 reduziert werden. Klimaschutz Schellnhuber hält G-7-Ziel für erreichbar Hannover/Potsdam (epd). Das von den G-7-Staaten in Elmau formulierte Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, ist nach Ansicht des Klimaforschers Hans Joachim Schellnhuber durchaus realistisch. Allerdings SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG müssten die Staaten dazu schon 2050 aus der fossilen Wirtschaft mit Energieträgern wie Kohle und Öl weitgehend ausgestiegen sein, sagte der Direktor des Instituts für Klimafolgenforschung in Potsdam der »Hannoverschen Allgemeinen Zeitung« (10. Juni). »Wenn man sich zur Vision AUSLAND GESELLSCHAFT bekennt, die Wirtschaft auf ein neues Betriebssystem umzustellen, dann wird es möglich sein.« Entscheidend dafür sei zudem, dass auch China und Indien mitzögen. China sei bereits auf einem guten Weg und könne wahrscheinlich schon vor 2030 die Emissionen drücken, betonte Schellnhuber. Indien sei geprägt durch eine zutiefst ungleiche Gesellschaft: »Aber gerade den Armen kann ich nicht mit Kohlestrom helfen, sondern durch Sonnenenergie, die man in den Dörfern erzeugt. Das werden die Verantwortlichen begreifen.« Klimaschutz UN-Gespräche ohne greifbares Ergebnis Bonn (epd). Rund ein halbes Jahr vor der UNKlimakonferenz in Paris ringt die Staatengemeinschaft weiter um den Entwurf für einen neuen globalen Klimavertrag. Eine zweiwöchige Verhandlungsrunde in Bonn endete am Donnerstag ohne greifbares Ergebnis. Die Chefin des UN-Klimasekretariats, Christiana Figueres, erklärte, dass sich die Verhandlungen über den Vertragstext »Schritt für Schritt« entwickelten, nannte aber keine Details. Umweltschützer und Entwicklungsorganisationen zeigten sich enttäuscht. In Paris wollen sich die Staaten Ende des Jahres auf ein neues Klimaabkommen einigen, das 2020 in Kraft treten soll. Figueres erklärte, dass es sich um einen »sehr komplexen Prozess« handele. Sie äußerte sich zugleich optimistisch über den weiteren Verhandlungsverlauf. Ein wichtiger Impuls gehe dabei von den Klima-Beschlüssen der G-7-Staaten aus, sagte sie. Bei ihrem Gipfel im bayerischen Elmau hatten die G-7-Staaten die Absicht bekundet, sich bis Ende des Jahrhunderts vollständig von fossilen Energieträgern wie Kohle, Gas und Öl zu verabschieden. »Das ist ein wegweisendes Signal«, lobte Figueres. Eine »große Wirkung« erhofft sich Figueres auch von der Umwelt-Enzyklika, die Papst Franziskus in der kommenden Woche vorlegen will. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _26 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Umweltminister zum Klima-Pilgerweg erwartet AUSLAND GESELLSCHAFT Anmeldung gestartet Münster (epd). Für den internationalen »Ökumenischen Pilgerweg für Klimagerechtigkeit« können sich Interessierte jetzt im Internet anmelden. Die Route führe vom Nordkap unter anderem durch das Bistum Münster bis nach Paris, teilte das Bistum Münster am Mittwoch mit. Mit der Aktion will das ökumenische Bündnis »Geht doch« aus Kirchen und Hilfswerken zur UN-Klimakonferenz in Paris (30. November bis 11. Dezember) auf die globalen Folgen des Klimawandels aufmerksam machen. Der Pilgerweg startet in Deutschland am 13. September in Flensburg und führt über Trier nach Paris. Klimaschutz und globale Gerechtigkeit »gehören eng zusammen«, sagte EKD-Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm. Der katholische Erzbischof von Bamberg, Ludwig Schick, ergänzte, gemeinsames Pilgern biete die Möglichkeit, »spirituelle Besinnung mit politischem Engagement zu verbinden«. Beide Bischöfe sind Schirmherren der Aktion. Pfarrgemeinden, kirchliche Einrichtungen, Bildungsstätten, Verbände und kirchliche Schulen sind aufgerufen, sich am Klimapilgern zu beteiligen. Geplant seien unter anderem Begegnungen mit Menschen, die sich für Naturschutz und Energieeinsparen einsetzen oder die unter den Folgen einer fehlgeleiteten Energiepolitik leiden, erklärte das Bistum Münster. Erwartet werden auch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) und NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne). Die zurückzulegende Strecke sei frei wählbar, hieß es. Möglich sind Halbtages- oder Tagesetappen von 20 bis 25 Kilometern, eine mehrtägige Beteiligung oder eine vollständigen Teilnahme über die 1.460 Kilometer lange Gesamtstrecke. Kirchengemeinden und andere Gruppen werden den Angaben zufolge einfache Schlafgelegenheiten zur Verfügung stellen. Im Bistum Münster sind die Klimapilger vom 13. bis zum 19. Oktober unterwegs. Ihr Weg führt in Tagesetappen von Osnabrück über Lengerich, Saerbeck, Greven, Münster, Rinkerode und Herbern nach Lünen. Umwelt Müllverbrennungsanlagen und später für Anlagen der Metall erzeugenden und verarbeitenden Industrie gesenkt worden. Die Stoffgruppe der polychlorierten Biphenyle (PCB) wird seit 1994 systematisch gemessen. Zwar sei zu diesem Zeitpunkt die Verwendung und Produktion der Stoffe seit Jahren verboten gewesen, doch weil PCB in der Umwelt kaum abgebaut werde, nehme die Konzentration nur langsam ab, erklärte das Lanuv. Zudem könnten durch Recycling von Transformatoren, Kondensatoren oder Hydraulikanlagen PCB-haltige Materialien wieder in die Umwelt gelangen. Auch wenn die Belastung der Außenluft weiter sinke und deutlich unter den empfohlenen Zielwerten liege, gebe es jedoch noch immer Belastungen im Staubniederschlag, erklärte das Lanuv. Ablagerungen von giftigen Stoffen auf Boden, Pflanzen und anderen Flächen könnten in die Nahrungskette gelangen und die Gesundheit schädigen. Im Unterschied zu den Konzentrationen in der Außenluft liege die Belastung mit drei bis 18 Picogramm - ein Picogramm entspricht einem billionstel Gramm - durch Ablagerung noch über dem entsprechenden Zielwert von vier Picogramm pro Quadratmeter. Luft in NRW nur gering durch Gifte belastet Recklinghausen (epd). Die Giftbelastung der Luft in NRW sinkt weiter. Die Konzentrationen hochtoxischer Dioxine, Furane und dioxinähnlicher polychlorierter Biphenyle in der Außenluft haben das niedrigste Niveau seit Beginn der Messungen von 1988 beziehungsweise 1994 erreicht, wie das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) am 8. Juni in Recklinghausen mitteilte. Bereits seit 16 Jahren lägen die in Femtogramm - ein Femtogramm entspricht einem billiardstel Gramm - gemessenen Werte weit unterhalb des von der Bund-LänderArbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz empfohlenen Zielwerts, hieß es. Der zur Vorsorge empfohlene Zielwert beträgt 150 Femtogramm. An den Messstellen in Essen, Dortmund und Duisburg wurden jedoch lediglich zwischen 14 und 20 Femtogramm pro Kubikmeter Luft gemessen. Zu Beginn der Messreihen für Dioxine und Furane, die bis 1988 zurückgehen, seien die Konzentrationen etwa zehn- bis zwanzigmal höher gewesen als heute, erklärte das Lanuv. Sie seien aber durch Auflagen für epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _27 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG 102-Jährige erhält nach 80 Jahren ihren Doktortitel Hamburg (epd). Mit einer Verspätung von knapp 80 Jahren hat die 102-jährige Kinderärztin Ingeborg SyllmRapoport ihren Doktortitel erhalten. Burkhard Göke, Vorstandsvorsitzender der Hamburger Uni-Klinik Eppendorf, überreichte ihr am 9. Juni die Promotionsurkunde. Es sei der Versuch, »ein Stück Gerechtigkeit wiederherzustellen«, sagte Göke. Syllm-Rapoport hatte die Dissertation über die Krankheit Diphterie bereits in den 30er Jahren an der Uni-Klinik eingereicht, konnte sie wegen der jüdischen Herkunft ihrer Mutter aber nicht verteidigen. Im Mai 2015 war sie dazu mündlich geprüft worden. Die 102-Jährige schloss ihr Studium jetzt mit »magna cum laude« (dt.: mit großem Lob) ab. Ingeborg Rapoport wurde 1912 als Tochter einer jüdischen Pianistin im heutigen Kamerun geboren. Die Medizinierin war von 1937 bis 1938 als Assistenzärztin am Israelitischen Krankenhaus in Hamburg tätig und fertigte in dieser Zeit ihre Dissertationsschrift an, die aber abgelehnt wurde. 1938 emigrierte sie in die USA und bewarb sich an verschiedenen Universitäten. In Philadelphia konnte sie nach zwei weiteren Studienjahren ihren Abschluss machen. 1950 zog sie mit ihrem Mann und vier Kindern in die DDR und übernahm an der Berliner Charité den ersten Lehrstuhl für Säuglingsmedizin. Heute lebt sie in Berlin-Pankow. Der Dekan der Medizinischen Fakultät am Eppendorfer Klinikum, Uwe Koch-Gromus, erfuhr zum 100. Geburtstag der Medizinerin von dem Fall und setze sich für die Aufklärung ein. Gemeinsam entschied man sich für das Ablegen einer mündlichen Prüfung, auf die sich die Seniorin mit Hilfe von Freunden vorbereitete. Sie verfüge über ein großes Fachwissen auch im Bereich der modernen Medizin, sagte Koch-Gromus während der Feierstunde. »Nicht nur unter Berücksichtigung ihres hohen Alters war sie einfach brillant.« Bildung Offene Ganztagsschule Hausaufgabenbetreuung, Musikoder Sportkurse anbieten könne, hänge zurzeit noch entscheidend vom Engagement der Kommunen ab. Manche Städte finanzierten unter Verweis auf ihre hohe Verschuldung nicht einmal eine halbe Erzieherinnenstelle. Zwar sei für 2015 eine Erhöhung der Landesförderung und der Pauschalen von Land und Kommunen beschlossen worden. Auch stiegen die Eigenanteile der Schulträger. Dadurch fließen nach Diakonie-Angaben rund Diakonie fordert mehr Geld für Offene Ganztagsschulen Düsseldorf (epd). Offene Ganztagsschulen in NordrheinWestfalen sind nach Ansicht der Diakonie RheinlandWestfalen-Lippe seit Jahren unterfinanziert. »Da die Landesförderung nicht ausreicht, gibt es große regionale Unterschiede im Hinblick auf die finanzielle Ausstattung, Qualität des Personals, Räumlichkeiten sowie Förderund Freizeitangebote«, kritisierte Tim Rietzke, DiakonieReferent für Ganztagsschulen, am 8. Juni in Düsseldorf. Die Landesregierung müsse ihre Fördermittel deutlich erhöhen. Der evangelische Wohlfahrtsverband forderte die Landesregierung zudem auf, gesetzlich einheitliche Standards für die Personal- und Raumausstattung sowie für Bildungs- und Freizeitangebote festzulegen. Ob eine AUSLAND GESELLSCHAFT 6,6 Millionen Euro mehr in die Offenen Ganztagsschulen als im Vorjahr. Das reiche aber bei weitem nicht aus, kritisierte Helga Siemens-Weibring, Leiterin des DiakonieGeschäftsbereichs Familie, Bildung und Erziehung. Bei Offenen Ganztagsschulen kooperieren Schulen mit freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe. Die Diakonie und die evangelische Kirche sind Träger von 531 Offenen Ganztagsschulen in NRW. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _28 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Gesamtschule Barmen gewinnt Deutschen Schulpreis AUSLAND GESELLSCHAFT Jury lobt gutes Schulklima und erfolgreiche Förderung Wuppertal/Berlin (epd). Die Gesamtschule Barmen in Wuppertal hat den Deutschen Schulpreis 2015 gewonnen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) überreichte den mit 100.000 Euro dotierten Preis am Mittwoch in Berlin, wie die Robert Bosch Stiftung mitteilte. Mit der Auszeichnung würdigte die Stiftung das Engagement der Wuppertaler Schule, Schüler aus schwierigen Lebenssituationen zu guten Leistungen zu führen. Vier weitere Preise in Höhe von je 25.000 Euro gingen die Grundschule am Buntentorsteinweg Bremen, das Ganztagsgymnasium Klosterschule Hamburg, die Jenaplanschule Rostock und die Grundschule Waldschule in Flensburg. Den ebenfalls mit 25.000 Euro dotierten »Preis der Jury« erhielt die Berufsschule Don Bosco in Würzburg. Die siegreiche Gesamtschule Barmen in Wuppertal liegt in einem sozialen Brennpunkt. 120 Lehrkräfte, zwei Sozialpädagogen und ein Sozialarbeiter unterrichten 1.361 Schüler. Die Hälfte der Jungen und Mädchen wächst mit nur einem Elternteil auf, ein Drittel hat ausländische Wurzeln, wie es hieß. Trotz der unterschiedlichen Startbedingungen gelinge es den Lehrern, die Schüler zu besseren Leistungen zu führen, als von der Grundschule am Ende der vierten Klasse prognostiziert, erklärte die Jury. Obwohl nur 17 Prozent eine Empfehlung fürs Gymnasium erhalten, wechseln rund 60 Prozent der Jugendlichen in die gymnasiale Oberstufe. Zudem bewertet die Jury die Arbeit inklusiver Lerngruppen mit behinderten Schülern als erfolgreich. Streit um »Schmalspur-Abi«: Löhrmann weist Kritik zurück (epd). Die nordrheinOsnabrück/Düsseldorf westfälische Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) hat zum Auftakt der Kultusministerkonferenz Kritik zurückgewiesen, nach der es in einigen Bundesländern eine Art »Schmalspur-Abi« gebe. »Unser Ziel bleibt, dass wir das Schulsystem leistungsfähiger und sozial gerechter machen wollen«, sagte Löhrmann der »Neuen Osnabrücker Zeitung« (11. Juni). Mit Hilfe eines Bildungsmonitorings, das auf der am Donnerstag in Berlin gestarteten Konferenz der Bildungsminister der Besonders beeindruckt habe die Jury das hervorragende Schulklima, sagte ihr Sprecher, der Erziehungswissenschaftler Michael Schratz von der Universität Innsbruck. Jeder Schüler sei als Pate, Medienscout oder Schulsanitäter für etwas verantwortlich. Andere Schulen könnten von der Gesamtschule Barmen lernen, wie Partizipation und Teilhabe in exzellenter Weise gelebt werden, sagte Schratz. Mit dem Preisgeld will die Gesamtschule einen Schulhof mit vielen Bewegungsangeboten ausstatten, kündigte Schulleiterin Bettina Kubanek-Meis an. Besonders für die jüngeren Schüler würden damit die Pausen noch attraktiver. Neben dem Wuppertaler Oberbürgermeister Peter Jung (CDU) gratulierte auch NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) zu der Auszeichnung. Damit gehörten zum sechsten Mal in Folge Schulen aus NRW zu den Gewinnern des Schulpreises, erklärte die Ministerin. »Diese Schulen haben eine positive Ausstrahlung auf die gesamte Schullandschaft.« Sie zeigten, wie herausragende Unterrichtsentwicklung im Team gelingen könne und Kinder und Jugendliche bestmöglich gefördert würden. Die Robert Bosch Stiftung vergibt den Deutschen Schulpreis seit 2006 gemeinsam mit der Heidehof Stiftung. Die Jury bewertet die Bereiche Leistung, Umgang mit Vielfalt, Unterrichtsqualität, Verantwortung, Schulleben und Schule als lernende Institution. Länder beschlossen werden soll, könnten Unterrichtsund Lehrmethoden genauer analysiert werden. Es sei wichtig zu klären, warum manche Bundesländer in manchen Bereichen besser abschnitten und wie die anderen daraus lernen könnten. Ziel sei zudem, die »vorhandene gute Praxis in die Fläche« zu bringen, betonte die Vizepräsidentin der Konferenz. Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins »Spiegel« häuften sich zwischen 2006 und 2013 die TopAbiturnoten. Der Anteil der Einser-Abiturienten weicht zudem in manchen Ländern deutlich vom Bundesdurchschnitt ab. So schlossen 2013 in Thüringen 37,8 Prozent aller Kandidaten mit einer Eins vor dem Komma ab, in Niedersachsen nur 15,6 Prozent. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _29 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Viele Lehrer hadern mit der Inklusion AUSLAND GESELLSCHAFT Beim gemeinsamen Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Schülern knirscht es Dortmund (epd). Barbara Riems Ziele sind schnell kleiner geworden. »Nicht ausflippen - das ist das einzige, was ich diesen Schülern hier beibringen kann«, sagt die Sonderpädagogin aus Dortmund. Die Lehrerin heißt eigentlich anders, aber sie will ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Denn sie fürchtet, dass ihr öffentliche Kritik an der Inklusion - dem gemeinsamen Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Schülern - im Beruf schadet. »Bei dem Thema kommen Diskriminierungsvorwürfe besonders schnell«, sagt die Lehrerin. »Dabei funktioniert Inklusion für viele Schüler nicht.« Voller Elan sei sie im vergangenen Jahr in eine Dortmunder Gesamtschule gewechselt, um dort, in der Regelschule, Inklusion umzusetzen. Und ist dabei schnell an die Grenzen des gemeinsamen Unterrichts gestoßen: »Meine lernbehinderten Schüler dort beherrschten in Mathe das kleine Einmaleins nicht, die Klasse nahm aber Bruchrechnung durch«, erzählt sie. »Das ist auf eine sehr anstrengende Art langweilig für die Schüler, die dann auch anfingen, den Unterricht zu stören.« Riem ist für mehrere Klassen zuständig. »Oft habe ich die Klassenlehrer meiner Schüler wochenlang nicht zu Gesicht bekommen, weil das vom Stundenplan her nicht möglich war«, sagt Riem. »Und die Fachlehrer hatten auch keine Zeit, sich mit mir oder untereinander über den Lernstand Einzelner abzusprechen.« Geschweige denn, einen Zugang zu den sogenannten emotional-sozial behinderten Schülern zu finden, für die zwischenmenschlicher Umgang und Gefühlskontrolle besonders schwierig sind. Mit dieser Kritik ist Riem nicht allein, zeigt aktuell eine repräsentative Lehrerumfrage, die der Verband Erziehung und Wissenschaft (VBE) beim Meinungsforschungsinstitut Forsa in Auftrag gegeben hat. »Die Ergebnisse sind mehr als ein Alarmsignal an die Politik«, fasst VBE-Vorsitzender Udo Beckmann zusammen. Die Rahmenbedingungen an den Schulen entsprächen nicht im Mindesten den Auflagen der UN-Behindertenkonvention. Tatsächlich zeigt die Studie, wie viele Lehrer sich mit der Inklusion überfordert sehen. 98 Prozent sprechen sich in der Umfrage für eine Doppelbesetzung von Lehrern und Sonderpädagogen in inklusiven Lerngruppen aus - und zwar dauerhaft. »Schulrechtlich ist das gar nicht zwingend vorgesehen«, sagt Beckmann. Zwei von drei Befragten hatten immerhin einen Sonderpädagogen an der Schule wie Riem in Dortmund zuständig für alle Inklusionsklassen der Schule, häufig auch an mehreren im Stadtgebiet. Ihre eigenen sonderpädagogischen Fähigkeiten bewerten die Lehrer als schlecht: 57 Prozent gaben an, keine Kenntnisse zu haben, 38 Prozent hatten auch keine begleitende Fortbildung. Und wenn sie eine hatten, sind mehr als zwei Drittel der Befragten mit deren Qualität nicht zufrieden. Sie müssen trotzdem Inklusion umsetzen: 75 Prozent der Befragten gaben an, dass an ihren Schulen inklusiv unterrichtet wird. Bei den meisten wurde dabei weder die Schülerzahl kleiner, noch die Schule barrierefrei. »Die Lehrer wurden von ihren Dienstherren einfach ins kalte Wasser geworfen«, sagt Beckmann. So werde »willentlich in Kauf genommen, dass die Inklusion vor die Wand gefahren wird«. Zu große Lerngruppen, zu wenig Fachpersonal, fehlende Barrierefreiheit, beschreibt der Gewerkschafter »die Schulwirklichkeit«: »Da darf man sich nicht wundern, dass 41 Prozent der Lehrer die Beschulung behinderter Kinder an Förderschulen für sinnvoller halten.« So hoch ist laut Studie der Anteil der Inklusionsgegner unter den Lehrern. 57 Prozent wollen Inklusion - aber nur wenn die personellen und finanziellen Ressourcen stimmen. Barbara Riem unterrichtet seit einem Jahr wieder in einer Förderschule: Zwölf Kinder hat ihre zweite Klasse, einen davon kann sie sich bald an einer Regelschule vorstellen. »Für die andern ist der behütete Raum hier viel besser als Inklusion.« Miriam Bunjes (epd) epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _30 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Tugce-Prozess: Anklage fordert mehr als drei Jahre Haft AUSLAND GESELLSCHAFT Verteidiger plädieren auf Jugendstrafe zur Bewährung für 18-jährigen Angeklagten Darmstadt (epd). Im Prozess um den gewaltsamen Tod der Studentin Tugce Albayrak sind am 12. Juni im Landgericht Darmstadt die Plädoyers gehalten worden. Die Staatsanwaltschaft forderte für den 18-jährigen Angeklagten Sanel M. eine Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten. Der Vorwurf lautet auf Körperverletzung mit Todesfolge. Die Anwälte der Nebenkläger, der Familienangehörigen des Opfers, forderten eine »empfindlichere Jugendstrafe«, ohne ein genaues Maß zu nennen. Die Verteidiger des Angeklagten plädierten auf eine Jugendstrafe zur Bewährung und Aussetzung der Haft. Sanel M. hatte die Studentin laut Anklage im Morgengrauen des 15. November 2014 im Lauf eines Streits vor einem Offenbacher Schnellrestaurant geschlagen, so dass sie stürzte und ins Koma fiel. Zwei Wochen später ließen ihre Eltern die lebenserhaltenden Maschinen abstellen. Der Angeklagte ergriff am 12. Juni vor Gericht das letzte Wort, nachdem er seit seinem Geständnis zu Anfang des Prozesses geschwiegen hatte. »Egal was hier rauskommt - ich muss halt damit leben, dass wegen mir ein Mensch tot ist. Der Schlag war der schlimmste Fehler meines Lebens. Ich kann nur sagen, dass es mir leidtut«, sagte er. Staatsanwältin Birgit Lüter stellte fest, dass eine feste Ohrfeige ausreiche, um ein Opfer bewusstlos zu schlagen. Es sei vorhersehbar gewesen, dass der daraufhin folgende Sturz auf den Asphalt tödliche Folgen haben könne. Außerdem sei Sanel M. bereits dreimal verurteilt worden: Wegen Körperverletzung, räuberischer Erpressung und Diebstahl in einem schweren Fall. Für Köperverletzung mit Todesfolge sieht das Jugendstrafrecht einen Strafrahmen von sechs Monaten bis zehn Jahre Haft vor. Bei der Beurteilung habe die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten sein Geständnis und seine Reue zu Beginn des Prozesses zugutegehalten, sagte Lüter. Auch habe er auf das Opfer nicht eingeprügelt, sondern ihm nur einen Schlag versetzt. Sanel M. habe selbst Gewalt durch den Vater erlebt. Gegen den Angeklagten spreche seine kriminelle Energie. Nach der Tat sei er schnell geflohen, ohne Hilfe zu leisten. In der Haft solle der Angeklagte eine Berufsausbildung nachholen und Mitgefühl gegenüber Schwächeren erlernen. Oberstaatsanwalt Alexander Homm kritisierte das öffentliche Schwarz-Weiß-Bild vom bösen Täter und edlen Opfer der Zivilcourage vor dem Prozess. Klar sei, dass die Aggressionen von der Gruppe junger Männer gegen die Gruppe junger Frauen um Tugce Albayrak ausgegangen seien. Sanel M. habe sich vor dem Schlag auf dem nächtlichen Parkplatz »als großer starker Mann aufgespielt.« Es sei nicht glaubhaft, dass eine angeblich kurz zuvor ausgesprochene Beschimpfung durch Tugce den Ausschlag für den Schlag gegeben habe. Die Rechtsanwälte der Familienangehörigen des Opfers plädierten für eine »empfindlichere Jugendstrafe«, um in einer längeren Erziehung an der Persönlichkeit des Angeklagten zu arbeiten. Der Anwalt Macit Karaahmetoglu sprach dem Angeklagten Reue ab. Sein zu Anfang des Prozesses verlesenes Geständnis sei rein prozesstaktisch motiviert gewesen. Die Verteidiger des Angeklagten bestritten, dass die Folgen des Schlages hätten vorhergesehen werden können. Sanel M. seien nach Beleidigungen durch Tugce Albayrak »die Sicherungen durchgebrannt«, sagte Rechtsanwalt Stephan Kuhn. Verteidiger Hans-Jürgen Borowsky kritisierte eine Vorverurteilung des Angeklagten und eine beispiellose Kampagne in der Presse. Der Staat habe beim Schutz eines Heranwachsenden versagt. Sanel M. habe nicht wissen können, dass eine Ohrfeige zum Tod führen könne. »Ohrfeigen waren jahrhundertelang ein erprobtes Mittel der Erziehung.« Der 18-Jährige werde zu seiner Sicherheit das Rhein-Main-Gebiet verlassen und sich ein Leben lang mit den Folgen seiner Tat auseinandersetzen müssen. Der dritte Verteidiger, Christian Heinemann, nannte den Tod von Tugce einen »äußerst bedauerlichen Unglücksfall«. Sanel M. habe im Prozess geschwiegen, weil nach der »Hexenjagd« der Medien ihm »jedes Wort im Mund umgedreht« worden wäre. Der Anwalt plädierte auf ein Jahr Jugendstrafe, ausgesetzt auf zwei Jahre Bewährung. Das Urteil soll am 16. Juni erfolgen. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _31 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG GESELLSCHAFT Trinkgelage bei Schimpansen Frankfurt a.M. (epd). Auch die engsten tierischen Verwandten des Menschen treffen sich zum alkoholischen Stelldichein: Schimpansen in Guinea haben mit wiederholten Trinkgelagen den Forschern gezeigt, dass sie gezielt alkoholhaltigen Palmsaft zu sich nehmen. Dies geht aus einer Studie internationaler Wissenschaftler hervor, die die britische Royal Society am 10. Juni online veröffentlichte. Über einen Zeitraum von 17 Jahren hinweg beobachten die Forscher eine Gruppe wilder Affen im westafrikanischen Guinea. Etwa die Hälfte der erwachsenen und heranwachsenden Schimpansen fand dabei an dem zu Wein gegorenen Palmsaft Geschmack, manche sogar so sehr, dass ihnen der Konsum danach deutlich anzumerken war. Das berauschende Getränk fanden die Tiere in Containern, in denen Bewohner der Region den Saft der Raphia-Palmen auffangen. Besonders clever: Die Schimpansen nutzten Blätter, die die Menschen zum AUSLAND Abdecken der Auffangbehälter verwendeten, um daraus Trinkschwämme für sich zu fertigen. Sie zerkauten die Blätter und knüllten sie so zusammen, dass sie damit Palmwein aus den Containern schöpfen konnten. Die besonders Gewitzten brachten es so gar auf mehrere Liter des alkoholischen Getränks. Einige Affen nahmen nur wenig Alkohol zu sich, als geschätzten Höchstwert nennen die Forscher knapp 85 Milliliter Ethanol. Das entspricht ungefähr fünf Flaschen Bier. Sowohl männliche als auch weibliche Affen sprachen dem süßen Wein zu, zuweilen in geselliger Runde. Die Schimpansen hätten den fermentierten Palmensaft zwar nicht sehr häufig zu sich genommen, aber gewohnheitsmäßig, heißt es in der Studie unter Federführung von Kimberley Hockings, Expertin für Biologische Anthropologie. Die Beobachtungen ließen eine »zufällige Alkoholaufnahme« unwahrscheinlich erscheinen, resümieren die Forscher. Ein Tier des Südens Die Gottesanbeterin breitet sich in Deutschland aus Frankfurt a.M. (epd). Schon die alten Griechen nannten sie Mantis, die Seherin. Sie sahen in der Fangschrecke offenbar eine Verwandte der drogenumnebelten Wahrsagerin von Delphi. »Mantis religiosa«, so bezeichnete sie deshalb auch der Erfinder der biologischen Systematik, Carl von Linné. Ihr deutscher Name: Gottesanbeterin. Doch wenn die Schrecke, umschleiert von zarten grünen Flügeln, ihre Vorderbeine zum Himmel reckt, betet sie nicht. Sie lauert. »Sie ist der Tiger unter den friedliebenden Insektenvölkern, der seinen Tribut an frischem Fleisch fordert«, schrieb Jean-Henri Fabre schon vor mehr als 100 Jahren. Sie schnappt blitzschnell zu und frisst kleinere Insekten wie Spinnen. Der französische Insektenkundler Fabre hat sich ihre »Raubbeine« genau angesehen: »Die Hüftkeule ist auffallend lang und kräftig«, schreibt er, »denn die Mantis wartet nicht auf ihr Opfer, sie sucht es.« Die langen Schenkel gleichen einer Säge, das Unterbein einer Harpune. Das bekam auch Fabre schmerzhaft zu spüren. Heute muss man sich nicht mehr wie er in die südfranzösische Einöde zurückziehen, um die Europäische Gottesanbeterin zu beobachten. Auf dem ehemaligen Güterbahnhof in Berlin-Schöneberg wurde 1998 eine Mantiden-Population entdeckt. Wie sind die Tiere dorthin Gottesanbeterin epd-bild / Josef Niedermeier gekommen? Sind sie mit einem Zug aus dem Süden eingereist? Ist ein Eigelege von einem Zug mit Labormüll herabgefallen? Oder haben »Naturfreunde« sie ausgesetzt? Niemand weiß das. Jedenfalls haben die Berliner Fangschrecken neue Forscher auf den Plan gerufen. Manfred Klaus Berg, eigentlich Gartenbautechniker, beobachtet sie seit Jahren und hat ein umfassendes Fachbuch über die Gottesanbeterin verfasst. Manfred Keller, Diplomingenieur für Medizintechnik, hat die Mantiden in seiner Freizeit fotografiert und hält jetzt auch Vorträge über die Gottesanbeterin: »Der Güterbahnhof ist ungestört und sehr epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _32 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT schön warm. Er bietet Eiablageplätze an der Unterseite der Schienen oder im Gleisschotter und genug Insekten als Futtergrundlage.« Nicht nur in Berlin, auch in anderen östlichen Bundesländern breiten sich die Insekten aus, die eigentlich als Tiere des Mittelmeerraumes gelten. Vor allem an den Rändern von Tagebaugebieten, etwa in Nochten in der Lausitz, fühlen sie sich wohl, auch auf Truppenübungsplätzen. Von 14 Fundorten ist die Rede, davon wurde die Hälfte erst im vorigen Jahr entdeckt: in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen. Die Gesamtzahl der Individuen kennen auch die Berliner Amateur-Forscher nicht. Begünstigt der Klimawandel die Ausbreitung dieses wärmeliebenden Insekts? Das untersucht die Biologin Catherine Linn in ihrer Dissertation an der Universität Mainz. Noch ist ihre Studie in der Begutachtungsphase. Aber eines lässt sich schon jetzt sagen: »Es wird vermutet, dass die Mantis über die Burgundische Pforte ins südliche Baden-Württemberg eingewandert ist und sich unter der Zunahme von Hitzeperioden des Klimawandels weiter nach Norden ausbreitet.« Seit den 90er Jahren seien auch stabile Populationen im südlichen Rheinland-Pfalz bekannt, und: »Fundmeldungen aus dem Moseltal bei Trier deuten auf eine zweite SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Einwanderungsroute über Luxemburg hin.« Vereinzelte Funde soll es bereits 1756 einmal bei Frankfurt am Main gegeben haben. Die Berliner Population sei genetisch verwandt mit den Mantiden in Tschechien, erklärt Linn. Die sächsischen Gottesanbeterinnen könnten aus Polen durch das warme Elbtal eingewandert sein. Die kalten polnischen Winter können den Eigelegen (Ootheken) nichts anhaben, weil die Eier in einem erhärteten Schaumsekret bis zu minus 40 Grad überstehen. »Zur Zeit schlüpfen sicher die Larven aus den Ootheken«, sagt Keller. Aufgrund des trockenen Frühjahrs vermutet Linn ein Populationswachstum. »Aus einem Eigelege kommen durchschnittlich 150 Jungtiere von der Größe einer Waldameise«, erläutert Manfred Keller. Die Männchen werden fünf bis sechs Zentimeter, die Weibchen sechs bis sieben Zentimeter groß. Von klein auf fressen sie andere Insekten: Bienen, Fliegen, Milben, Heuschrecken. Nach bis zu sieben Häutungen schlüpft aus der Larve das erwachsene Tier. Im August fand Fabre nur noch wenige Männchen: So manches Weibchen hatte seinen Partner gefressen und sich dessen kostbares Eiweiß zugunsten der Brut einverleibt. Von Claudia Schülke (epd) epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 AUSLAND GESELLSCHAFT Seite _33 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Parlamentarier für Verbot »geschäftsmäßiger« Suizid-Hilfe AUSLAND SOZIALES Abgeordnetengruppe legt ersten Entwurf in Sterbehilfe-Debatte vor Berlin (epd). Im Bundestag werden die Pläne zum Umgang mit den umstrittenen Sterbehilfe-Organisationen konkret. Am 9. Juni stellte eine erste fraktionsübergreifende Parlamentariergruppe einen Entwurf vor, der die »geschäftsmäßige«, das heißt auf Wiederholung angelegte Hilfe beim Suizid unter Strafe stellt. Die SPD-Abgeordnete Kerstin Griese sagte, die Gruppe sehe ein Problem dort, »wo Vereine oder Einzelpersonen geschäftsmäßig Beihilfe zum Suizid betreiben«. Die Aggressivität von Organisationen, die den »Tod auf Bestellung servieren«, zwängen zu einer Regelung, sagte der CSU-Politiker Michael Frieser. Die Initiatoren-Gruppe aus zehn Abgeordneten von Union, SPD, Grünen und Linken spricht sich in ihrem Antrag für einen neuen Paragrafen im Strafgesetzbuch aus. In Paragraf 217 soll es künftig heißen: »Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.« Die Arbeit von Organisationen wie der des ehemaligen Hamburger Justizsenators Roger Kusch wäre damit nicht mehr möglich. Angehörige oder nahestehende Personen sollen dem Antrag zufolge vor Verfolgung geschützt werden, wenn sie bei der dann strafbaren Form der Suizid-Beihilfe teilnehmen, etwa indem sie den Sterbewilligen dorthin fahren. »Wer die Schärfe des Strafrechts nutzt, tut gut daran, nicht in Familien hineinzuregieren«, sagte Frieser. Eine ausdrückliche Regelung für Ärzte ist in dem Entwurf nicht enthalten. Griese stellte jedoch klar, dass auch sie nach dieser Regelung in Konflikt mit dem Strafrecht geraten, wenn sie die Suizidbeihilfe geschäftsmäßig verfolgten. Ethische Einzelfallentscheidungen sollten aber nicht sanktioniert werden. Bisher Mögliches, darunter auch die palliative Sedierung, die Schmerzen lindert, gegebenenfalls aber auch das Leben verkürzt, soll auch künftig erlaubt bleiben. Die Beihilfe zum Suizid ist in Deutschland wie der Suizid selbst nicht verboten. Das nutzen Sterbehilfeorganisationen. Im Bundestag wird derzeit um den Umgang mit der organisierten Form des assistierten Suizids gerungen. Bislang gibt es vier Positionen: Neben dem am Dienstag vorgestellten Entwurf stehen Pläne einer Gruppe um Renate Künast (Grüne), die die Arbeit von Sterbehilfeorganisationen erlauben und die Bedingungen dafür ausdrücklich regeln will. Der Bundestag will die Sterbehilfe neu regeln. epd-Bild / Jürgen Blume Zudem gibt es eine Gruppe um die Abgeordneten Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD), die Ärzten die Beihilfe zum Suizid ausdrücklich gestatten will. Mediziner sind bei der Regelung ein Sonderfall: Ihnen ist per Standesrecht die Beihilfe zum Suizid verboten. Eine vierte Position zum Thema formulierte kürzlich der CDUAbgeordnete Patrick Sensburg: Er will jede Beihilfe zum Suizid mit bis zu fünf Jahren Haft ahnden. Zwischen diesen Positionen sei der Entwurf der Parlamentarier für ein Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe ein »Weg der Mitte«, sagte der CDU-Politiker Michael Brand. Er rechnet mit einer großen Unterstützerzahl im Bundestag. Nach seinen Angaben steht auch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hinter dem Papier. Die SPD-Abgeordnete Eva Högl betonte, dass die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Pläne genau geprüft worden sei. Juristen hatten sich skeptisch darüber geäußert, ob es möglich ist, eine Handlung, die zunächst jedem erlaubt ist, zu verbieten, sobald sie »geschäftsmäßig« erfolgt. Daran zweifelt offensichtlich auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). In einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) sprach er sich dafür aus, nur die gewerbsmäßige, also auf Geschäfte ausgerichtete Sterbehilfe zu verbieten, »und im Übrigen keine Regelungen« zu treffen. Es gebe Grenzen des Rechts: »Die sind hier erreicht«, sagte der Jurist. »Wir werden nie eine Regelung finden, die allen schwierigen Entscheidungssituationen am Ende des Lebens gerecht wird«, betonte der CDU-Politiker. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _34 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Befürworter organisierter Sterbehilfe legen Entwurf vor AUSLAND SOZIALES Patientenschützer fordern mehr Unterstützung Sterbender in Pflegeheimen Berlin (epd). In der Sterbehilfe-Debatte haben am 11. Juni auch die Befürworter organisierter Hilfe bei der Selbsttötung durch Vereine ihren konkreten Entwurf vorgelegt. Danach soll die Beihilfe bei der Selbsttötung straffrei sein, wenn der Sterbewillige den Wunsch »freiverantwortlich gefasst und geäußert hat«. Diese ausdrückliche Erlaubnis soll auch für Organisationen gelten, solange sie nicht mit Gewinnabsicht Sterbehilfe leisten. Der von Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Linke) initiierte Antrag hat bislang 36 Unterzeichner aus den Reihen der Abgeordneten. Ihr Vorschlag ist der bislang liberalste in der Debatte um eine Regelung für Sterbehilfe-Organisationen, die Hilfe beim Suizid anbieten. Wie die Selbsttötung selbst ist die Beihilfe dazu in Deutschland nicht verboten. Auf dieser Grundlage ist auch die Arbeit von Sterbehilfe-Vereinen nicht illegal. Künast sagte, sie sehe keinen Grund, daran etwas zu ändern. Die Gruppe stellt in ihrem Gesetz Kriterien für die Suizid-Beihilfe auf. So schreibt sie fest, dass mindestens zwei Wochen vor der Hilfe bei der Selbsttötung ein umfassendes und ergebnisoffenes Beratungsgespräch stattfinden muss, in dem der Patient auch über Alternativen aufgeklärt wird. Fälle des assistierten Suizids müssen zudem dokumentiert werden. Das Gesetz sieht eine regelmäßige Evaluierung der Regelungen alle vier Jahre vor. Zudem soll ausdrücklich festgehalten werden, dass die Suizidbeihilfe auch ärztliche Aufgabe sein kann. Ärzten ist dies bislang durch das Standesrecht verboten. Neben dem Künast-Vorschlag spricht sich eine Gruppe im Bundestag für ein Verbot der »geschäftsmäßigen«, das heißt organisierten Sterbehilfe aus. Ein weiterer Vorschlag will jede Suizidbeihilfe unter Strafe stellen. Als vierte Position in der Debatte wird ein Antrag einer Gruppe um Karl Lauterbach (SPD) und Peter Hintze (CDU) erwartet, die nach bisher bekannt gewordenen Plänen keine Regelung für organisierte Sterbehilfe treffen, aber ebenfalls Ärzten die Unterstützung beim Suizid erlauben will. Der Entwurf soll in der nächsten Woche vorgestellt werden. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, zeigte sich irritiert über die derzeit geführte Debatte um die Sterbehilfe. »Es geht vielmehr darum, dass Sterbenlassen zu organisieren und weniger um die strafrechtliche Dimension«, sagte Brysch. Die Menschen bräuchten jeden Tag Hilfen. Darum müsste man sich verstärkt kümmern. Die Stiftung fordert mehr Unterstützung für Sterbende in Pflegeheimen. Dazu gehört vor allem mehr Personal mit einer zusätzlichen Palliative-CareAusbildung. Brysch rechnet mit Mehrkosten in Höhe von 728 Millionen Euro. Seine Stiftung warb für mehr Unterstützung Sterbender in Pflegeheimen. Die Versorgung müsse schnell verbessert werden. Sterbende in Pflegeheimen sollten am Ende ihres Lebens ebenso gut betreut werden wie Sterbende in einem stationären Hospiz, sagte Brysch: »Es gibt derzeit ein Zwei-Klassen Sterben.« Die Stiftung äußerte sich vor dem Hintergrund der Pläne der großen Koalition für eine Verbesserung der Hospiz- und Palliativmedizin. Brysch befürchtet, dass diese Pläne Betroffene in Pflegeheimen schlechter stellen als Sterbenskranke in Hospizen und auf Palliativstationen in Krankenhäusern. Assistiert, geschäftsmäßig, gewerbsmäßig Begriffe und Positionen in der Sterbehilfe-Debatte Berlin (epd). Im Herbst will der Bundestag eine Regelung zum Umgang mit Sterbehilfe-Vereinen verabschieden. Um das ethisch schwierige Thema wird über Fraktionsgrenzen hinweg beraten. Im Mittelpunkt steht dabei der assistierte Suizid, die Hilfe bei der Selbsttötung. Sie steht in Deutschland nicht unter Strafe. Bei der Suizidbeihilfe werden Sterbewilligen beispielsweise todbringende Medikamente überlassen. Nicht zur Debatte steht die aktive Sterbehilfe, bei der Todkranken Medikamente direkt verabreicht wer- den und die unter Strafe steht. Die passive Sterbehilfe, das Sterbenlassen etwa durch Abschalten der Geräte, ist politisch nicht umstritten und soll erlaubt bleiben. Bei der Hilfe zur Selbsttötung zeichnen sich insgesamt vier Gruppenanträge im Bundestag ab, über die letztlich ohne Fraktionszwang abgestimmt werden soll. Die Positionen im Überblick: - Weitgehendes Verbot der Suizidbeihilfe: Ein weitgehendes Verbot der Suizid-Beihilfe strebt der CDU- epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _35 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Politiker Patrick Sensburg an. Anstiftung oder Hilfe bei der Selbsttötung soll nach seinen Plänen mit bis zu fünf Jahren haft bestraft werden. Sensburg argumentiert, dass dieses klare Verbot Abgrenzungsprobleme zu bestimmten Formen der Suizidbeihilfe vermeidet. - Verbot geschäftsmäßiger Suizidbeihilfe: Eine Gruppe um die Parlamentarier Kerstin Griese (SPD), Michael Brand (CDU), Harald Terpe (Grüne) und Kathrin Vogler (Linke) will dagegen kein Komplett-Verbot, aber die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe bestrafen, mit bis zu drei Jahren Gefängnis. Geschäftsmäßig meint hierbei das auf Wiederholung angelegte, organisierte Handeln von Vereinen und Einzelpersonen. Das Verbot würde sich also nicht nur auf die auf Gewinn orientierte, gewerbsmäßige Suizidbeihilfe beschränken, diese aber auch umfassen. Angehörige und nahe stehende Personen wären vor einer Bestrafung geschützt, wenn sie bei organisierter Sterbehilfe unterstützen, etwa indem sie den Sterbewilligen zu einer entsprechenden Organisation fahren. Ethische Einzelfallentscheidungen sollen möglich sein und nicht sanktioniert werden, argumentiert die bislang größte Gruppe. - Regelung zum ärztlich assistierten Suizid: Den Sonderfall des ärztlich assistierten Suizids nimmt eine Gruppe um Karl Lauterbach (SPD) und Peter Hintze (CDU) in den Blick. Während die Hilfe beim Suizid prinzipiell nicht unter Strafe steht, ist sie Ärzten in der Regel durch Standesrecht untersagt. Die Hintze-Lauterbach-Gruppe will dies ändern. Ein konkreter Entwurf liegt noch nicht vor. - Erlaubnis für Sterbehilfe-Vereine: Die liberalste Regelung mit einer Erlaubnis für Sterbehilfe-Vereine haben die Politikerinnen Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Linke) vorgelegt. Sie sind gegen gewerbsmäßige, kommerziell ausgerichtete Sterbehilfe, organisierte Suizidhilfe ohne Gewinnabsicht wollen sie aber erhalten und definieren dafür Regeln. So sollen nach ihrem Entwurf Organisationen und Ärzte, die bei der Selbsttötung helfen wollen, zu Beratungsgesprächen und einer Dokumentation der Fälle verpflichtet werden. Auch sie wollen durch eine gesetzliche Regelung das standesrechtliche Verbot für Ärzte außer Kraft setzen. Der Entwurf hält fest, dass Suizidbeihilfe ärztliche Aufgabe sein kann, eine Verpflichtung dazu gebe es aber nicht. Sterbehilfe-Debatte fänden auch Patienten mit schwersten neurologischen Verletzungen ihr Leben als lebenswert. Die Sterbehilfe-Debatte wird auch das Hauptthema des diesjährigen Symposiums der im westfälischen Marl ansässigen Arbeitsgemeinschaft sein. Die bundesweite Wachkoma-Pflegeheime gegen Ausweitung Osnabrück/Marl (epd). Die Pflegeheime für WachkomaPatienten sehen eine mögliche Ausweitung der Sterbehilfe in Deutschland kritisch. In den bundesweit 130 Einrichtungen herrsche große Sorge, dass es zu einer »GeldbeutelEuthanasie« kommen könnte, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft »Phase F«, Franz Paul, am Wochenende in Osnabrück. Dabei wird spezielle Pflege oder Sonderkost aus Kostengründen verweigert. Die Heime betreuen insgesamt rund 2.700 Menschen mit schweren und schwersten neurologisch bedingten Bewusstseinsstörungen. Die Experten in den Pflegeheimen plädierten »für ein Lebensende an der Hand eines Menschen und nicht durch einen Menschen«, betonte Paul. Sie stünden für ein Leben bis zum Schluss ein. Paul verwies auf die von ihm geleitete »Junge Pflege« im Osnabrücker Paulusheim. Dort emp- AUSLAND SOZIALES Fachtagung zu Therapien bei neurologischen Verletzungen am 26. und 27. August in Osnabrück steht unter dem Motto »Wenn ich bestimmen könnte...?« Unter anderem wird der Wissenschaftler Andreas Zieger von der Universität Oldenburg über ethische Aspekte zur Sterbehilfe für Menschen im Wachkoma sprechen. »Phase F« beschreibt eine Pflegesituation, die eine aktivierende Rehabilitation zum Ziel hat. Die Beihilfe zum Suizid ist in Deutschland wie der Suizid selbst nicht verboten. Das nutzen Sterbehilfeorganisationen. Im Bundestag wird derzeit um den Umgang mit der organisierten Form des assistierten Suizids gerungen. Die Abgeordneten wollen im Herbst über eine gesetzliche Regelung abstimmen. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _36 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Studie: Sozialausgaben belasten Kommunalkassen stark Gütersloh (epd). Trotz guter Konjunktur sind die Sozialausgaben der Kommunen in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 50 Prozent gestiegen. Im Jahr 2014 beliefen sie sich auf 78 Milliarden Euro, wie aus einer am 8. Juni vorgestellten Studie der Bertelsmann Stiftung hervorgeht. Zehn Jahre zuvor lagen sie noch bei 51 Milliarden Euro. Vielen Kommunen bleibe dadurch kaum noch Handlungsspielraum. In Flensburg beispielsweise binden die Sozialausgaben inzwischen 58 Prozent des Etats. Die Autoren der Studie und der Deutsche Städtetag plädierten dafür, dass der Bund die Wohnungskosten von Hartz IV-Empfängern übernimmt. Die Belastung der Kommunalhaushalte durch Sozialleistungen ist der Studie zufolge bundesweit unterschiedlich. In Baden-Württemberg ist sie mit durchschnittlich 31 Prozent am niedrigsten. Am höchsten ist sie in NordrheinWestfalen mit 43 Prozent. In Städten wie Duisburg, Wiesbaden, Eisenach und Flensburg machten die Sozialkosten mehr als die Hälfte des städtischen Haushalts aus, hieß es. Die Höhe der Sozialabgaben sei vor allem von der Sozial- und Wirtschaftsstruktur der jeweiligen Region abhängig. Die Untersuchung erstellte die Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Verein für öffentliche Fürsorge, dem Statistischen Bundesamt und dem statistischen Landesamt für NRW. Ab 2018 will der Bund die Kommunen jährlich in Höhe von fünf Milliarden Euro entlasten. Wenn der Bund diese Förderung für die Übernahme der Wohnkosten für Hartz-IV-Empfänger einsetze, sei das der entscheidende Hebel, den armen Kommunen gezielt zu helfen, sagte AUSLAND SOZIALES René Geißler, einer der Studienautoren. In NRW könnten dadurch nach seiner Einschätzung 75 Prozent der Defizite in den Kommunalhaushalten getilgt werden. Die Übernahme der Wohnkosten für Arbeitslose biete sich als Bundesaufgabe an, weil sie bundesweit einheitlich geregelt seien und vor allem in struktur- und steuerschwachen Regionen anfielen, erklärte die Stiftung. Unter den hohen Ausgaben für Wohnkosten ächzten vor allem wirtschaftsschwache Kommunen mit hoher Langzeitarbeitslosigkeit und geringen Steuereinnahmen. Bundesweit lagen diese Kosten im Jahr 2013 bei rund 14 Milliarden Euro. Im wirtschaftsstarken Baden-Württemberg machten sie lediglich drei Prozent des kommunalen Etats aus, in Sachsen-Anhalt hingegen elf Prozent. Der Deutsche Städtetag forderte die Bundesregierung auf, die geplante Entlastung um fünf Milliarden Euro noch in dieser Legislaturperiode festzulegen, »damit die Kommunen ab 2018 den positiven Effekt bei ihren Sozialausgaben spüren«. Eine stärkere Beteiligung des Bundes an den Wohnkosten für Hartz-IV-Empfänger könne dabei ein Entlastungsweg sein, sagte Hauptgeschäftsführer Stephan Articus. Dagegen forderte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, der Bund müsse sich sofort und nicht erst ab 2018 an den Sozialausgaben beteiligen. Die lange zugesagte Entlastung bei der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen müsse unverzüglich umgesetzt werden, zudem müsse sich der Bund an den Kosten für die Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen beteiligen. 1.000 Teilnehmer zu »Bethel athletics« erwartet Bielefeld (epd). Rund 1.000 sportbegeisterte Menschen mit und ohne Behinderungen werden zu den diesjährigen »Bethel athletics« am 20. Juni in Bielefeld erwartet. Bei dem inklusiven Sportfest werden Athleten aus Deutschland in zehn unterschiedlichen Sportarten von Boule über Leichtathletik bis Reiten antreten, wie die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel am 8. Juni ankündigten. Zu den besonderen Gästen der 19. »Bethel athletics« gehört der dreimalige Hochsprung-Weltrekordler Carlo Thränhardt. Ausgerichtet wird das Turnier im »Bethel-Tal«, dem Bielefelder Ortsteil Gadderbaum und Hauptsitz der Stiftungen. Mit rund 21.370 Plätzen für behinderte, kranke, alte und sozial schwache Menschen gelten die v. Bodelschwinghschen Stiftungen als eines der größten diakonische Werke Europas. Für Bethel sind rund 17.300 Mitarbeiter in acht Bundesländern tätig, die Gesamterträge lagen 2013 bei rund einer Milliarde Euro. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _37 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Buntenbach: Schlechtere Jobchancen für Langzeitarbeitslose Berlin/Bielefeld (epd). Von der insgesamt guten Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland profitiert nach der Beobachtung des Deutschen Gewerkschaftsbundes nur ein Teil der Beschäftigten. Der Niedriglohnsektor weite sich aus, die Jobchancen für Langzeitarbeitslose hätten sich sogar »enorm verschlechtert«, sagte das DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach dem Evangelischen Pressedienst (epd). »Viele Arbeitslose sind davon bedroht, dauerhaft abgehängt zu werden.« Den Vorwurf, der gesetzliche Mindestlohn habe zu einem Abbau von Minijobs geführt, lässt Buntenbach nicht gelten. »Vielmehr wächst in den Branchen mit vielen Minijobbern die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze deutlich und über Durchschnitt. Mit der Einführung des Mindestlohns von 8,50 Euro lohnt sich offenbar so mancher Minijob für viele Arbeitgeber nicht mehr. Dies ist eine sehr zu begrüßende Entwicklung«, sagte die Bielefelder Gewerkschafterin. Buntenbach beklagte, dass Deutschland den größten Niedriglohnsektor aller westlichen Industriestaaten habe. »Ein Fünftel der Arbeitnehmer ist nicht zu auskömmlichen Bedingungen beschäftigt.« Dies sei vor allem in Branchen der Fall, die kaum gewerkschaftlich organisiert seien. Deshalb gingen die Gewerkschaften verstärkt auf Leiharbeitskräfte zu, um mit ihnen die Arbeitsbedingungen zu verbessern, sagte Buntenbach. Die Deregulierung des Arbeitsrechts und die Hartz-Gesetze hätten den Druck auf Arbeitslose und auf Arbeitnehmer erhöht. Buntenbach: »Die Angst vor dem Absturz ins Hartz-IV-System macht gefügig.« Der DGB fordert deshalb stärkere Arbeitnehmerrechte, der gesetzliche Mindestlohn sei hier »ein erster Diakonie Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung gefordert Berlin (epd). Die Diakonie hat einen Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung für alle verschuldeten und überschuldeten Menschen gefordert. »Bereits kleine Krisen oder unvorhergesehene Ereignisse sprengen das knappe Budget von Menschen, die wenig verdienen«, sagte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie aus Anlass der am 15. Juni beginnenden Aktionswoche Schuldnerberatung. Neben Arbeitslosigkeit sei immer häufiger prekäre Beschäftigung die Ursache für eine Überschuldung privater Haushalte. AUSLAND SOZIALES Annelie Buntenbach epd-bild / Jürgen Blume Schritt«. Buntenbach erklärte: »Wir wollen die Befristung von Arbeitsverhältnissen ohne sachlichen Grund abschaffen.« Es sei nicht akzeptabel, dass jungen Berufseinsteigern oft nur befristete Jobs oder Praktika angeboten würden. »Die frühzeitige Bindung junger Fachkräfte an ein Unternehmen wird so sicherlich nicht erreicht«, hält Buntenbach den Arbeitgebern vor. Um die Jobchancen von Langzeitarbeitslosen zu verbessern, müssten die Eingliederungsmittel der Jobcenter erhöht werden. Sie seien in den letzten Jahren um insgesamt 40 Prozent gekürzt worden. Mit diesem Geld seien Löcher im Bundeshaushalt gestopft worden. »Das ist absolut inakzeptabel, die Eingliederung der Langzeitarbeitslosen muss Vorrang haben«, forderte das Vorstandsmitglied des DGB. epd-Gespräch: Markus Jantzer Die Diakonie setzt sich deshalb für einen existenzsichernden Mindestlohn sowie für einmalige Beihilfen für Niedriglöhner ein. »Eine kaputte Waschmaschine, ein defekter Kühlschrank oder eine hohe Heizkostennachzahlung können dann in die Schuldenfalle führen«, sagte der Diakoniechef. Um das Übel an der Wurzel zu packen, sei ein Mindestlohn nötig, der zum Leben ausreiche. Überschuldete Menschen benötigten zudem dringend Unterstützung durch eine qualifizierte Schuldnerberatung, wie sie die Diakonie bundesweit anbietet. Die Finanzierung einer solchen Beratung für Erwerbstätige sei aber bisher rechtlich nicht gesichert. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _38 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Mehr Unterstützung für Tafeln gefordert AUSLAND SOZIALES Grünen-Politikerin Roth nennt Kinderarmut in Deutschland beschämend Augsburg (epd). Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) hat mehr Unterstützung der Politik für die Tafeln angemahnt. Die Tafeln versorgten viele arme Menschen nicht nur mit Lebensmitteln, sondern gäben ihnen auch ihre Würde zurück, sagte Roth am 13. Juni zum Abschluss des 21. Bundestafeltreffens in Augsburg. Dass aber immer mehr Kinder und Jugendliche auf die Leistungen der mehr als 900 Tafeln in deutschen Städten angewiesen seien, müsse die Politik mit Scham erfüllen. »Da muss der Sozialstaat handeln, das darf nicht den Tafeln überlassen werden«, sagte Roth bei der Langen Tafel auf dem Augsburger Rathausplatz. Die Lange Tafel bildet traditionell den Abschluss der Bundestafeltreffens. Beim 21. Bundestafeltreffen waren von Donnerstag bis Samstag rund 1.000 Ehrenamtliche von Tafeln in ganz Deutschland zusammengekommen, um über Probleme und Herausforderungen der Tafeln zu beraten. Der Augsburger Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU) lobte die Tafeln. Die Ehrenamtlichen leisteten Hilfe, die der Staat oder die Kommunen manchmal nicht bieten könnten, sagte er. Bei der Mitgliederversammlung wurde der Vorstand des Bundesverbandes Deutsche Tafel neu gewählt. Der Vorsitzende Jochen Brühl wurde dabei mit 95 Prozent Peter Gutjahr von der Augsburger Tafel verteilt Obst an die Gäste der "Langen Tafel". epd-bild / Annette Zöpf im Amt bestätigt. Er forderte die rund 1.000 Besucher der Langen Tafel auf, sich für die Armen zu engagieren. Nach seinen Angaben gehen derzeit mehr als 100.000 Asylbewerber in Deutschland regelmäßig zu Tafeln, um sich mit Lebensmitteln zu versorgen. Insgesamt nehmen in Deutschland rund 1,5 Millionen Menschen die Leistungen der Tafeln in Anspruch. Rund 60.000 Helfer sind dabei im Einsatz, was die Tafeln zu einer der größten sozialen Bewegungen in Deutschland macht. Protest gegen Deutsche Bank »Ordensleute für den Frieden« errichten zum Jubiläum eine Slumhütte Frankfurt a.M. (epd). Die »Initiative Ordensleute für den Frieden« (IOF) hat am 11. Juni vor der Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt am Main eine Slumhütte und ein »Tor der Gerechtigkeit« errichtet. Damit wolle der Zusammenschluss von rund 20 Christen und Nichtchristen gegen das ungerechte kapitalistische Wirtschafssystem protestieren, in dem sich einige wenige Reiche auf Kosten der vielen Armen bereicherten, sagte der IOF-Sprecher Gregor Böckermann. Die IOF erinnerte mit der Aktion an den Beginn der monatlichen Mahnwachen vor den Doppeltürmen der Deutschen Bank vor 25 Jahren. Bereits 1990 habe die Initiative dort eine solche Hütte errichtet, berichtete Böckermann. »Die Idee dazu kam von Günter Grass. Der Schriftsteller hatte nach einem Aufenthalt im indischen Kalkutta über die katastrophalen Zustände in den Elendsvierteln der Stadt geschrieben und die Überzeugung geäußert, dass die Bretterverschläge der Armen die großen Glaspaläste der Banken überdauern werden.« Jetzt schließe sich der Kreis, sagte Böckermann. Die »Initiative Ordensleute für den Frieden« gründete sich 1983, um gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Ost und West zu demonstrieren. Seit 1990 hält sie an jedem ersten Donnerstag im Monat eine Mahnwache vor der Zentrale der Deutschen Bank an der Frankfurter Taunusanlage. Außerdem traten die Ordensleute in regelmäßigen Abständen mit besonderen Aktionen an die Öffentlichkeit. So leerten sie etwa 1998 unter dem Motto »Geld stinkt doch!« einen Kanister mit 20 Litern Gülle vor dem Haupteingang der Deutschen Bank aus. 2005 klauten sie der milliardenschweren Quandt-Familie in Bad Homburg ein Stück Rasen mit der Botschaft »Wenn den Armen geholfen werden soll, müssen die Superreichen zur Kasse gebeten werden«. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _39 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Erste Zivilprozesse zum Loveparade-Unglück ab September Duisburg (epd). Fast fünf Jahre nach dem Duisburger Loveparade-Unglück mit 21 Toten stehen die Termine für die ersten Zivilverfahren vor dem Landgericht Duisburg fest. Am 1. September soll die 8. Zivilkammer über die Klage eines Feuerwehrmanns verhandeln, der bei dem Techno-Festival im Einsatz war, wie das Gericht am Donnerstag mitteilte. Der 53-Jährige Duisburger verlangt von der Loveparade-Veranstaltungsfirma Lopavent, ihrem Geschäftsführer Rainer Schaller und dem Land NordrheinWestfalen Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 65.000 Euro. Vier weitere der insgesamt 19 beim Landgericht laufenden Zivilverfahren sollen den Angaben zufolge am 12. November verhandelt werden. Die Klägerinnen aus Duisburg, Ratingen und Kevelaer waren als Besucherinnen bei der Loveparade. Sie verlangen zwischen 34.000 und 100.000 Euro von den Veranstaltern, dem Land NRW und der Stadt Duisburg. Wie auch der Feuerwehrmann geben die vier Frauen an, unter posttraumatischen Belastungsstörungen zu leiden. Am 24. Juli 2010 waren bei der Loveparade in Duisburg 21 Menschen bei einer Massenpanik im Tunnel eines ehemaligen Güterbahnhofes ums Leben gekommen, über 500 wurden verletzt. Die Klägerinnen gehörten zu den Besuchern, wurden aber selbst nicht verletzt. Eine von ihnen war gar nicht erst auf das Festivalgelände gelangt und hatte vor dem Areal von den Ereignissen erfahren. Nach Angaben des Gerichts werfen die Kläger Lopavent und Schaller Fehler bei der Planung und Durchführung der Loveparade vor, wie das Gericht erklärte. Zudem führen sie an, die Stadt Duisburg habe eine fehlerhafte und rechtswidrige Baugenehmigung erteilt und die Polizisten des Landes NRW hätten bei ihrem Einsatz Fehler begangen. Dadurch sei es zu einem Gedränge und der Massenpanik gekommen. Das Landgericht Duisburg erklärte, in den Zivilverfahren würden die Ereignisse nur insoweit geklärt, wie es für die Entscheidung nötig sei. Eine Beweiserhebung ist für die angesetzten mündlichen Verhandlungstermine nicht geplant. Ob es auch einen Strafprozess zum LoveparadeUnglück geben wird, ist derweil weiter offen. Das Landgericht Duisburg prüft zurzeit die Zulassung der Anklage gegen zehn Mitarbeiter der Firma Lopavent und der Stadt Duisburg, denen die Staatsanwaltschaft Fehler bei der Planung des Musikfestivals vorwirft. Zurzeit warte das Gericht auf angeforderte Erläuterungen eines Gutachters, die dieser bis Ende Juni einreichen müsse, sagte ein Sprecher des Gerichts dem epd. Soziales Das Fest beginnt um 11.30 Uhr mit einer Tanzvorführung. Um 12 Uhr wird es offiziell von der saarländischen Sozialministerin Monika Bachmann (CDU), dem Dillinger Bürgermeister Franz-Josef Berg (CDU) und dem Landesbeauftragten für die Belange behinderter Menschen, Wolfgang Gütlein, eröffnet. Auf der Bühne sind im Anschluss neben Musik- und Tanzvorführungen auch Diskussionsrunden und Redebeiträge geplant. Dabei würden gelungene Beispiele für Inklusion im Saarland vorgestellt, erklärte das Ministerium. Daneben gibt es für Kinder unter anderem einen Rätselwettbewerb, Schminken und Basteln. Besucher können sich zudem in Spielen wie Schach, Floorball und Sacklochwerfen versuchen. Sommerfest der Inklusion in Dillingen Dillingen (epd). Zum zweiten saarlandweiten »Sommerfest der Inklusion« laden die Landesregierung und die Stadt Dillingen am 20. Juni ein. Auf dem Hoyerswerda Platz in Dillingen gibt es ein Bühnenprogramm, zudem sind Spiele und Wettbewerbe geplant, wie das Sozialministerium am Freitag in Saarbrücken mitteilte. Über 50 Vereine und Organisationen beteiligen sich demnach an dem Fest für Menschen mit und ohne Behinderungen, darunter Diakonie und Caritas, das Deutsche Rote Kreuz und verschiedene Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 AUSLAND SOZIALES Seite _40 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Krankenhäuser kritisieren Gesetzentwurf zur Klinikreform Düsseldorf (epd). Das Bundeskabinett hat am Mittwoch den Entwurf für ein Krankenhausstrukturgesetz verabschiedet. Das Papier, das unter anderem Zu- und Abschläge für gute und schlechte Qualität sowie einen Strukturfonds vorsieht, stößt auf deutliche Kritik bei den Krankenhäusern. Die Krankenhausgesellschaft NordrheinWestfalen (KGNW), Dachverband von 370 Kliniken, und die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe mit 71 evangelischen Krankenhäusern beklagten am Mittwoch in Düsseldorf vor allem die geplanten Streichungen in Milliardenhöhe. Stattdessen müsse die Finanzierung von Personalkosten und Notfallambulanzen sichergestellt werden und der Investitionsstau aufgelöst werden. Der Anspruch des Kabinettsbeschlusses zur Krankenhausreform stehe im krassen Gegensatz zur Wirklichkeit in den Krankenhäusern, erklärte KGNW-Präsident Jochen Brink. »Wir brauchen mehr Personal, keine Kürzungen.« Der Investitionsbedarf, etwa für den Stationsumbau oder eine moderne IT-Infrastruktur, werde zwar anerkannt, aber es gebe weiterhin keine Lösung. Auf die wesentlichen Problembereiche, nämlich die Finanzierung des Personalbedarfs und der Notfallambulanzen sowie die Bereitstellung von Investitionsmitteln, gebe die Reform nicht nur keine Antwort, sondern verschärfe sie zum Teil, kritisierte Brink. Er verwies auf Analysen, wonach durch den ersatzlosen Wegfall des Versorgungszuschlags von 500 Millionen Euro zusammen mit Kürzungen bei neu vereinbarten Leistungen allein im Jahr 2017 rund einer Milliarde Euro fehlen würde. Es klinge zwar gut, dass die Bundesregierung die Kliniken mit einem einmaligen Strukturfonds in Höhe von 500 Millionen Euro unterstützen wolle, sagte Thomas Oelkers vom Diakonievorstand. Doch biete der Gesetzentwurf zur Entlastung nur Tropfen auf den heißen Stein. Beispielsweise bedeute das geplante Pflegestellenförderprogramm in Höhe von 660 Millionen Euro umgerechnet auf die evangelischen Krankenhäuser die Einstellung von lediglich zwei bis zweieinhalb neuen Pflegekräften pro Klinik. Bereits jetzt versorgten die Mitarbeiter immer mehr Patienten in kürzerer Zeit. Wenn das Gesetz nicht nachgebessert werde und dann auch die steigenden Kosten etwa durch Tarifabschlüsse berücksichtige, komme es zum Pflegekollaps, mahnte Diakonie-Geschäftsbereichsleiterin Elke Grothe-Kühn. Die bundesweite Krankenhausreform strebt einen Umbau der deutschen Krankenhauslandschaft in Spezialzentren und einen Abbau von Betten und Kliniken an. Soziales von 52.000 Euro zunächst zwei Jahre laufen. Am 19. Juni muss der Rat der Stadt noch »Grünes Licht« dazu geben. Anstoß für das Präventionsprojekt gaben zwei Todesfälle von Babys. Sie waren von jungen Männern misshandelt worden, denen die Kinder von ihren Müttern anvertraut wurden. Die »Bärenbude« soll verhindern, dass Herford plant Präventionsprojekt »Baby Hotel« Herford (epd). Die westfälische Stadt Herford will alleinerziehende Frauen mit dem »Baby Hotel Bärenbude« entlasten. Die soziale Einrichtung soll jungen Müttern ohne verlässliche Unterstützung im Familien- und Freundeskreis die Möglichkeit bieten, Babys und Kleinkinder über Nacht in eine sichere Betreuung zu geben, wie die Stadt mitteilte. Nach einem Beschluss des städtischen Jugendhilfeausschusses soll das Projekt mit einem Etat AUSLAND SOZIALES Je nach Qualität ihrer Behandlungen sollen die Kliniken Zu- und Abschläge erhalten. Von dem geplanten Strukturfonds in Höhe von 500 Millionen Euro sollen Länder oder Krankenhausträger zwar Gelder abrufen können, müssten aber Mittel in gleicher Höhe einsetzen. alleinstehende Frauen in schwierigen Lebenssituationen ihre Kinder durch eine ungeeignete Betreuung gefährden, wie es hieß. Erzieherinnen nehmen laut Konzept tagsüber oder über Nacht kostenfrei die Kinder auf, damit die Mütter etwa Termine wahrnehmen oder sich einfach mal eine Auszeit nehmen könnten. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _41 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Studie: Jeder sechsten Klinik droht die Pleite Essen/Berlin (epd). Deutsche Kliniken stehen wirtschaftlich schlecht da. Das geht aus einer am Donnerstag in Berlin vorgestellten Studie hervor, die unter anderem vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen erstellt wurde. Danach war 2013 jedes sechste Krankenhaus von der Insolvenz bedroht, jedes dritte schreibt rote Zahlen und fast jede zweite Klinik kann nicht ausreichend investieren. »Wir konnten einen Investitionsstau von mindestens zwölf Milliarden Euro identifizieren. Dieses Geld fehlt den Klinken, um den Patienten eine optimale Versorgung zu gewähren«, sagte der verantwortliche Autor der Studie, Sebastian Krolop von der Philips Healthcare EMEA. Dabei traten auch deutliche Unterschiede zwischen Kliniken in Ost und West zutage. Jede dritte westdeutsche Klinik (35,6 Prozent) in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft hatte eine stark erhöhte Insolvenzwahrscheinlichkeit. In Ostdeutschland waren es hingegen nur 1,7 Prozent. Generell seien in vielen Regionen die Krankenhausstrukturen ungünstig, heißt es in der Studie: »Es gibt zu viele kleine Einheiten, eine zu hohe Krankenhausdichte und zu wenig Spezialisierung.« Die Experten empfehlen mehr »Marktaustritte« wirtschaftlich schwacher Kliniken. Dazu sollte der vom Gesetzgeber geplante Strukturfonds als eine Art »Bad Bank« für Krankenhäuser genutzt werden und Kliniken abwickeln, wenn für den Träger weder eine Sanierung noch ein Verkauf infrage kommt. Der Fonds sollte die Kosten für den Abriss oder die Umwidmung der Immobilie tragen, sowie die Aufstellung eines Sozialplans. Nach Berechnungen der Autoren würde der Fonds eine Ausstattung von 2,7 Milliarden Euro benötigen, sollte aus Bundesmitteln gespeist werden und unabhängig von den Ländern agieren können. Krankenkasse: cherung und die Barmer von Samstag bis 21. Juni auf die Gefahren von übermäßigem Alkoholkonsum aufmerksam. Mit Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen und Medizinern Viele Alkoholsüchtige auch psychisch krank Düsseldorf (epd). Zahlreiche alkoholabhängige Menschen in Nordrhein-Westfalen sind auch wegen psychischen Störungen in Behandlung. Wie die Krankenkasse Barmer GEK am Mittwoch in Düsseldorf mitteilte, stieg im Jahr 2013 die Zahl ihrer Versicherten, die ambulant oder stationär wegen psychischer Störungen und Verhaltensstörungen durch Alkohol behandelt wurden, um 14 beziehungsweise 22 Prozent. Insgesamt wurden demnach rund 12.500 Versicherte deswegen von niedergelassenen Ärzten behandelt. Über 2.800 Patienten mussten mit dieser Diagnose ins Krankenhaus. Die Barmer wertete für die Statistik die Abrechnungsdaten ihrer 2,1 Millionen Versicherten in NRW aus. Eine gezielte Suchtbehandlung müsse den Zusammenhang von Alkoholismus und psychischen Krankheiten berücksichtigen, betonte Heiner Beckmann, Landesgeschäftsführer der Barmer in NRW. »Andernfalls drohen den Betroffenen schnelle Rückfälle.« Mit der Aktionswoche Alkohol machen die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, die Deutsche Rentenversi- AUSLAND SOZIALES werben sie für einen vorsichtigen Umgang mit Alkohol und stellen Präventions- und Behandlungsangebote vor. Evangelisches Krankenhaus Witten Benefiz-Fußballturnier für Förderverein der Palliativstation Witten (epd). Das Evangelische Krankenhaus Witten hat sein Benefiz-Fußballturnier zugunsten des Fördervereins der Palliativstation gewonnen. Die Auswahl des Gastgebers setzte sich im Finale mit drei zu eins Toren gegen die Mannschaft des Partnerkrankenhauses EvK Herne durch, wie die Diakonie Ruhr mitteilte. Beteiligt waren auch eine Mannschaft der Diakonie Ruhr und der Johannis-Kirchengemeinde. Das Geschehen im Wullenstadion verfolgten rund 300 Zuschauer. Der Erlös der Veranstaltung von 670 Euro kommt in vollem Umfang dem Förderverein »Palliativ-Station im Ev. Krankenhaus Witten e.V.« zugute. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _42 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Buchläden verlieren weniger als Internetbuchhändler AUSLAND KULTUR Hauptgeschäftsführer: Börsenverein verstärkt Kampf gegen Machtfülle von Amazon Frankfurt a.M. (epd). Der Bücherverkauf in Läden hat sich im vergangenen Jahr besser entwickelt als im Internet. Der auf 3,1 Prozent gestiegene Umsatzrückgang im Internetbuchhandel sei erstaunlich, sagte der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Heinrich Riethmüller, am 9. Juni in Frankfurt. Dagegen sei der Umsatz der Buchläden nur um 1,2 Prozent gesunken. Der Internetbuchhandel hat den Angaben zufolge nun im zweiten Jahr in Folge Einbußen verzeichnet und verfügt über einen leicht geschrumpften Marktanteil von 16,2 Prozent. Dagegen hat der Sortimentsbuchhandel einen leicht gestärkten Marktanteil von 49,2 Prozent. Um 1,5 Prozent auf 20,4 Prozent gewachsen ist der Direktverkauf durch Verlage. Insgesamt ist der Umsatz des deutschen Buchmarktes im vergangenen Jahr Riethmüller zufolge um 2,2 Prozent auf 9,3 Milliarden Euro gesunken. 2013 hatte es noch ein leichtes Plus von 0,2 Prozent gegeben. Grund für den Rückgang sei das Fehlen großer Bestseller und die Krise großer Filialisten wie »Weltbild«. Während die größte Warengruppe, die Belletristik, um 6,7 Prozent schrumpfte, wuchs die kleinere Gruppe der Sachbücher um 5,4 Prozent. Die Zahl der neu erschienenen Titel sank um zehn Prozent auf rund 73.900. Hier schlage sich die Entwicklung nieder, dass E-Books für elektronische Lesegeräte viele Taschenbücher ersetzten, sagte Riethmüller. Das E-Book hat sich nach Aussage von Matthias Heinrich, Schatzmeister des Börsenvereins, auf dem Markt etabliert. Sein Umsatzanstieg ist aber stark abgeflacht. Gab es 2012 noch einen Zuwachs um 191,4 Prozent und 2013 um 60,5 Prozent, so wuchs der Umsatz im vergangenen Jahr nur noch um 7,6 Prozent. Damit hat das E-Book einen Umsatzanteil von 4,3 Prozent am Buchmarkt. Mehr als zehn Prozent Umsatzanteil werde das elektronische Buch in Deutschland nicht bekommen, prognostizierte Heinrich. Gekauft wurden im vergangenen Jahr 24,8 Millionen E-Books (2013: 21,5 Millionen), dabei sank der durchschnittliche Preis je Buch weiter auf 7,08 Euro. Heinrich hob hervor, dass aktuell wieder mehr Kunden ausschließlich ein gedrucktes Buch kaufen wollen. Gaben dies bei einer repräsentativen Verbraucherumfrage im vergangenen Jahr 38 Prozent an, so sprachen sich in diesem Jahr 45 Prozent dafür aus. Nach Aussage von Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis verstärkt der Börsenverein den Kampf gegen die Machtkonzentration im Internethandel durch Amazon. Nach der laufenden Kartellbeschwerde prüfe der Verband eine weitere Kartellbeschwerde gegen die AmazonTochter Audible. Audible zwinge Hörbuchverlage, ein Flatrate-Modell zu akzeptieren oder aus dem Vertrieb hinausgeworfen zu werden. Außerdem bestehe Amazon auf Knebelverträgen mit Buchlieferanten, sagte Heinrich, zugleich Geschäftsführer der Brockhaus Kommissionsgeschäft GmbH. Der Internetkonzern verlagere Buchlager von Deutschland nach Polen und Tschechien, um Kosten zu sparen, und verlange von den Lieferanten eine kostenlose Belieferung. Amazon wälze die Kosten des Hin- und Herkarrens der Bücher über die Grenze auf die Verlage ab, kritisierte Heinrich. Vorsteher Riethmüller wies darauf hin, dass der deutsche Buchhandel gegenüber Amazon aufgeholt habe. Rund 2.000 Buchhandlungen hätten einen Online-Shop und seien anders als Internetkonzerne sowohl persönlich vor Ort als auch am Computer präsent. Hauptgeschäftsführer Skipis ergänzte, dass der E-Book-Reader des stationären Buchhandels, Tolino, innerhalb von zwei Jahren einen Marktanteil von 45 Prozent in Deutschland erreicht und damit den Kindle von Amazon (39 Prozent) überholt habe. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _43 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT »Bunte« Gesellschaftsreporter Sahner gestorben München (epd). Der Gesellschaftsreporter Paul Sahner ist tot. Wie die Illustrierte »Bunte« am 8. Juni mitteilte, starb Sahner am 7. Juni, wenige Tage vor seinem 71. Geburtstag. »Bunte«-Chefredakteurin Patricia Riekel sagte, ihre Redaktion verliere »nicht nur einen der größten Gesellschaftsjournalisten dieses Landes, sondern auch einen geliebten Menschen«. Sahner kam nach einem Volontariat beim »Westfalenblatt« 1976 zur neu gegründeten »Bunte«-Redaktion in SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Offenburg und schrieb außerdem für die »Abendzeitung« und den »Stern«. Von 1992 bis 1994 war er Chefredakteur der deutschsprachigen Ausgabe des Männermagazins »Penthouse«. Ab 1994 schrieb er wieder für »Bunte«, von 2001 bis 2014 war er Mitglied der Chefredaktion der Zeitschrift. Verleger Hubert Burda sagte, mit Journalisten wie Sahner sei »eine vollkommen neue Kategorie von LeutePersonalien entstanden, die aus ’Bunte’ in der Folge das große People-Magazin werden ließen. Paul Sahner war ein großer Journalist und ein wunderbarer Mensch.« AUSLAND KULTUR »Floskelwolke« erhält Preis für Journalismuskritik Köln (epd). Die beiden Journalisten Udo Stiehl und Sebastian Pertsch sind mit dem erstmals verliehenen GünterWallraff-Preis für Journalismuskritik ausgezeichnet worden. Sie erhielten den Preis am 8. Juni beim ersten Kölner Forum für Journalismuskritik für ihre »Floskelwolke«. Mit ihrem gleichnamigen Internetprojekt wollten sie die Aufmerksamkeit auf immer wiederkehrende Sprachbilder und Sprachfälschungen in den Medien lenken, erklärte Stiehl. Damit solle das Bewusstsein von Lesern wie Journalisten geschärft werden. So sei beispielsweise oft von »sozialschwach« die Rede, weil das Wort »arm« vermieden werden solle. Der mit 6.000 Euro dotierte Preis wird von der Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) an Personen und Institutionen verliehen, die sich kritisch mit dem Journalismus in der Demokratie auseinandersetzen. Damit soll laut INA die Diskussion um Aufgaben und Fehlentwicklungen des Journalismus in der Öffentlichkeit wach gehalten werden. Namensgeber ist der für seine kritischen Enthüllungsberichte bekannte Kölner Journalist Günter Wallraff. Die INA stellt jährlich zehn Themen vor, die nach ihrer Einschätzung trotz gesellschaftlicher Bedeutung zu kurz in den Medien kommen. Das Kölner Forum für Journalismuskritik wird getragen von der INA, dem Deutschlandfunk und der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft mit Sitz in Köln und Berlin. Der Internet-Aktivist Jochim Selzer beklagte bei dem Forum für Journalismuskritik, dass es immer weniger Möglichkeiten zur Privatsphäre im weltweiten Web gebe. Wer sich im Internet bewege, hinterlasse bewusst oder unbewusst eine breite Datenspur, sagte das Mitglied im Chaos Computer Club und in einem Arbeitskreis gegen Vorratsdatenspeicherung. Je nach privaten Schutzmechanismen gelte: »Entweder bin ich im Internet oder ich habe eine Privatsphäre.« Der Einzelne könne kaum feststellen, wer von den hinterlassenen persönlichen Daten profitiere. »Ich möchte nicht als Datenkuh gemolken werden«, sagte Selzer. Barbara Schmitz, Journalistin bei der Investigativreihe »Die Story« beim Westdeutschen Rundfunk (WDR), betonte, dass für komplizierte Themen Rechercheverbünde sinnvoll seien. Öffentlich-rechtliche Sender und die »Süddeutsche Zeitung« versuchten beispielsweise, mit ähnlichen Methoden die Hintergründe zu aktuellen Entwicklungen aufzudecken. Deshalb seien Allianzen hilfreich, um Ressourcen zu bündeln. »Man kann mit investigativem Journalismus in der jetzigen Zeit kein Geld mehr verdienen«, sagte Schmitz. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _44 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Experte: Passionsspiele Arabische Medien öffnen sich seit »Charlie Hebdo«-Anschlag Muslim wird Spielleiter in Oberammergau Dortmund (epd). Der Islamwissenschaftler Loay Mudhoon beobachtet seit dem Anschlag auf das französische Satiremagazin »Charlie Hebdo« eine Öffnung in der arabischen Medienwelt. »Zum ersten Mal haben sich die arabischen Qualitätsmedien nicht hinter Ausreden wie ’Die Anschläge haben nichts mit dem Islam zu tun’ versteckt«, sagte Mudhoon am Mittwoch bei einer Diskussionsrunde in Dortmund. Es gebe seitdem eine offene Debatte über die »universellen Werte«, die die Attentäter von Paris angegriffen hätten. »Viele arabische Medien sehen Muslime nicht mehr nur in der Opferrolle«, sagte Mudhoon, der auch das deutsch-arabische Online-Magazin »Qantara« betreut. Zugleich störten sich die meisten arabischen Kommentatoren jedoch daran, dass die Redakteure von »Charlie Hebdo« im Westen zu Helden stilisiert würden. »Der Tenor ist: Muslime sollen sich nicht entschuldigen oder rechtfertigen müssen für die Anschläge«, sagte Mudhoon. »Entsprechende Forderungen im Westen spielen nur den Salafisten in die Hände.« Bei dem Anschlag auf das Satireblatt »Charlie Hebdo«, das unter anderem Karikaturen des Propheten veröffentlicht hatte, wurden im Januar zwölf Menschen getötet. Die Medienwissenschaftlerin Josiane Jouet sieht die Pressefreiheit in Frankreich als Verliererin des Terroranschlags. »Es ist paradox: Nach den Anschlägen haben wir eine riesige Welle der Solidarität mit den Medien und eine Debatte über den Wert der Pressefreiheit erlebt«, sagte sie. »Gleichzeitig wurden jedoch schon bald nach den Anschlägen die Sicherheitsgesetze so verändert, dass die Redaktionen in ihrer Arbeit stark eingeschränkt sind«, kritisierte Jouet, die in Paris lehrt. Die Podiumsdiskussion über die Folgen der TerrorAngriffe von Paris und Kopenhagen auf die Medien in Europa wurde vom Erich-Brost-Institut für internationalen Journalismus der Technischen Universität Dortmund organisiert. Oberammergau (epd). Der muslimische Regisseur Abdullah Kenan Karaca soll zweiter Spielleiter bei den Oberammergauer Passionsspielen 2020 werden. Er soll Christian Stückl bei der Regiearbeit unterstützen. Bei einer AUSLAND KULTUR Gemeinderatssitzung am 16. Juni solle das Team gewählt und öffentlich vorgestellt werden teilte die Gemeinde am 11. Juni mit. Abdullah Kenan Karaca wurde 1989 in GarmischPartenkirchen geboren und wuchs in Oberammergau auf. Er war Regieassistent am Münchner Volkstheater und hatte dort 2012 sein Regiedebüt. Stückl übernimmt zum vierten Mal die Spielleitung. Kostüme und Bühne sollen von Stefan Hageneier kommen, die musikalische Gestaltung übernimmt Markus Zwink. Karaca und Stückl inszenieren bereits in diesem Sommer zwei Stücke in Oberammergau: Der 54-jährige Stückl präsentiert am 3. Juli die Oper »Nabucco« von Giuseppe Verdi. Karaca wird am 16. Juli Shakespeares »Romeo und Julia« in einem Zirkuszelt neben dem Passionstheater Oberammergau präsentieren. Die Passionsspiele haben eine mehr als 300 Jahre lange Tradition. Als 1633 die Pest in der Region grassierte, gelobten die Einwohner, alle zehn Jahre Passionsspiele abzuhalten. Im Jahr 2020 finden die Aufführungen zum 42. Mal statt. Es werden rund 500.000 Zuschauer aus aller Welt erwartet. Weimar Vorerst keine Besichtigung des Cranach-Altars möglich Weimar (epd). Wegen einer Kirchensanierung kann der Reformationsaltar von Lucas Cranach in Weimar vom 16. Juni an bis Ende Juni nicht besichtigt werden. Ab 1. Juli sei dann trotz der Bauarbeiten der Chorraum mit dem Altar wieder zugänglich, teilte die Weimarer Klassik-Stiftung. Die Bauarbeiten dauern noch bis zum 21. November. Der Flügelaltar ist ein Hauptwerk der reformatorischen Bildkunst und zentrales Exponat der Ausstellung »Cranach in Weimar«, die noch bis 28. Juni läuft. Anhand von etwa 150 Werken der beiden Cranachs und zahlreicher Zeitgenossen gibt die Schau im Schillerhaus bis zum 28. Juni einen Überblick über das Werk der Malerfamilie zwischen Mittelalter und Neuzeit. Der Altar kann dabei auf einer Medieninstallation betrachtet werden. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _45 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Arabischen Theatern in Israel droht die Schließung Jerusalem (epd). Die neue Regierungskoalition in Israel bringt Probleme für arabische Kulturschaffende mit sich. So rechnete das israelisch-arabische Ensemble des Kindertheaters »Almina« in Jaffa fest mit staatlichen Zuschüssen für das kommende Jahr, bis Kultusministerin Miri Regev (Likud) dem kleinen Schauspielhaus einen Strich durch die Rechnung machte. Bereits vor vier Monaten hatte Norman Issa, künstlerischer Direktor von »Almina« und Schauspieler am städtischen Theater von Haifa, sich geweigert, mit dem städtischen Ensemble aus Haifa vor Siedlern im Westjordanland aufzutreten. In den vergangenen Tagen signalisierte nun die neue Ministerin Regev, dass diese Weigerung die Chancen auf finanzielle Unterstützung für »Almina «deutlich verringere. Schon vor fünf Jahren hatten linke jüdische Schauspieler Schlagzeilen gemacht mit ihrer konzertierten Weigerung, auf einer Bühne im besetzten Gebiet zu spielen. Der Eklat endete mit der Regelung, dass niemand zum Auftritt gezwungen werden könne. Somit seien formal die Bedingungen für Subventionen erfüllt, sagte Gidona Issa, Normans jüdische Ehefrau und Mitgründerin Kindertheaters, auf telefonische Anfrage. Generell habe »Almina« den Anspruch, Juden und Araber zusammenzubringen, »um gemeinsam Kunst zu kreieren«, sagte Gidona Issa. Die Theatermacher hoffen nun, dass sie mit privaten Spenden über die Runden kommen werden. AUSLAND KULTUR Auch in Haifa kämpft ein arabisch-israelisches Theater ums Überleben: »Al-Midan«. Erziehungsminister Naftali Bennett, Chef der national-religiösen Partei »Das jüdische Haus«, strich die Vorstellung »Parallele Zeiten« von der Liste der subventionierten Produktionen. Und die Kommune Haifa legte den bisherigen Zuschuss von umgerechnet gut einer viertel Million Euro jährlich vorerst auf Eis. »Parallele Zeiten« steht seit gut einem Jahr auf dem Spielplan, 26 Mal wurde das Stück bereits gespielt, und bisher hat das Erziehungsministerium ganze Kartenkontingente für Schüler gekauft. Gegründet worden war »Al-Midan« vor 20 Jahren mit Unterstützung der damaligen Erziehungsministerin Schulamit Aloni von der linken Meretz, es richtet sich in erster Linie an ein arabisches Publikum. »Parallele Zeiten« geht auf die Geschichte des Palästinensers Walid Daka zurück, der wegen Beihilfe zum Mord eine lebenslängliche Haftstrafe absitzt. Daka war der erste politische Häftling, der hinter Gittern heiraten durfte. Unterdessen verteidigt Kultusministerin Regev ihr Vorgehen: »Wenn Zensur nötig ist, dann zensiere ich.« Die liberale Tageszeitung »Haaretz« kommentierte das scharf: »Anders als in autokratischen Regimen sind staatliche Subventionen nicht daran geknüpft, was aufgeführt wird, und noch weniger an das Denken und Tun eines Schauspielers.« Von Susanne Knaul (epd) Inklusionsmusical feiert Premiere in Essen Essen/Osnabrück (epd). Ein großes Inklusionsmusical mit behinderten und nichtbehinderten Menschen feiert am 18. September in Essen Premiere. Der Vorverkauf für »Grand Hotel Vegas« habe begonnen, teilte die »Patsy und Michael Hull Foundation« als Veranstalter am 9. Juni in Osnabrück mit. Rund 1.000 Darsteller und Tänzer werden das Musical in zehn deutschen Städten aufführen, darunter Osnabrück, Hamburg, Bremen, Stuttgart, Magdeburg und Frankfurt am Main. Nach Veranstalterangaben handelt es sich um das größte inklusive Musicalprojekt in Deutschland. Begleitend sind an fünf Aufführungsorten Jobmessen geplant, die Unternehmer und Menschen mit Behinderun- gen in Kontakt bringen sollen. Geleitet wird das Projekt von den ehemaligen Tanzweltmeistern Patsy Hull-Krogull und Michael Hull. Das in Osnabrück lebende Geschwisterpaar engagiert sich mit seiner Tanzschule schon seit Jahren für Menschen mit Behinderungen. Ein Stammensemble von 100 Laienschauspielern hat das zweistündige Musical »Grand Hotel Las Vegas« mit 20 Szenen und 18 Liedern erarbeitet. Bei jeder Aufführung sollen etwa 100 weitere Darsteller aus der jeweiligen Stadt zu den Tanzszenen dazukommen. Zum Finale am 26. November in Berlin sollen alle rund 1.000 Mitwirkenden auf der Bühne stehen. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _46 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG AUSLAND KULTUR Malerei als Poesie Kunstsammlung NRW präsentiert den »Malerdichter« Joan Miró Düsseldorf (epd). Unter dem Titel »Malerei als Poesie« wirft die Kunstsammlung NRW seit Samstag einen besonderen Blick auf den Maler Joan Miró (1893-1983). Mit der Schau im K20 widmet sich erstmals eine Ausstellung dem Verhältnis des spanischen Künstlers zur Literatur und seiner Freundschaft zu bedeutenden Schriftstellern des 20. Jahrhunderts, wie etwa Ernest Hemingway, Henry Miller, André Breton und Guillaume Apollinaire. Miró, der in seinen Ateliers in Barcelona, Paris und Mallorca während der Pausen vom Malen unablässig las, bezog sich in seinen Werken explizit auf Texte, wie Museumsdirektorin Marion Ackermann am Donnerstag erläuterte. In den 1920er Jahren arbeitete er an einer umfangreichen Serie, die er »Peinture-Poéme« (französisch: Malerei-Gedicht) nannte. Sie steht im Zentrum der Düsseldorfer Ausstellung. Die Arbeiten dieser Serie zeigten, wie Mirós zeichenhafte Abstraktion im Wechselspiel mit der Literatur entstanden sei, sagte die Museumschefin, die die Schau gemeinsam mit der Direktorin des Bucerius Kunst Forums Hamburg, Ortrud Westheider, kuratiert hat. Nach ihren Worten war es die Poesie, die dem »Malerdichter« Miró neue Möglichkeiten eröffnete und ihn über die Malerei hinausgeführt hat. Die Ausstellung in den hohen Räumen der Kunstsammlung am Rande der Düsseldorfer Altstadt präsentiert großzügig insgesamt 110 Gemälde, Zeichnungen und Malerbüchern aus allen Schaffensphasen des Künstlers und stellt nach den Worten der Museumschefin »eine Entdeckungsreise« zum vermeintlich bekannten Werk des weltberühmten Malers dar. Die zum Teil großflächigen Exponate werden durch Objekte aus seiner privaten Bibliothek ergänzt, die in der Ausstellung als Leseraum rekonstruiert zu bewundern ist. Mirós Enkel Joan Punyet Miró erklärte bei der Präsentation der Ausstellung, sein Großvater sei »ein philosophischer Geist« und ein »sehr komplexer Künstler« gewesen. Die Ausstellung mit den Bildern, den Büchern und Kunstgegenständen, mit denen sich Miró in seiner Bibliothek in Palma de Mallorca umgeben hat, sei in ihrer Komposition »wundervoll« und für ihn als Enkel »wie ein nach Hause kommen« in die Zeit seiner Kindheit, als er im Atelier des Großvaters gespielt habe. Erstmals öffentlich gezeigt wird in der Schau der bestickte und mit Fransen versehene Hocker, der auf Mirós Gemälde »Akt mit Spiegel« von 1919 zu sehen ist und der bislang als verschollen galt. Das Gemälde zählt zu den Paradestücken in der Ausstellung und ist eines von insgesamt vier Miró-Werken aus dem Bestand der Kunstsammlung NRW. Schon zu Beginn seiner Laufbahn, als er mit der engstirnigen Atmosphäre in seiner Geburtsstadt Barcelona haderte, wandte sich Miró der Literatur zu, um mit Konventionen in der Malerei zu brechen. In Paris lernte er die dort lebenden Dichter kennen. Zusammen mit ihnen schuf er insgesamt rund 270 »Malerbücher«, von denen viele in der Düsseldorfer Ausstellung zu bewundern sind, wie etwa die, die zusammen mit Pablo Neruda, Jacques Dupin oder André Breton entstanden. Ebenfalls zu sehen die berühmten Bilder »Das Pferd, die Pfeife und die rote Blume« von 1920, das auch ein aufgeschlagenes Buch zeigt und das Bild »Nord-Süd« aus dem Jahr 1917, auf dem auch ein Goethe-Buch zu sehen ist. »In seinen Malerbüchern konnte Miró seine Kunst am engsten mit der Literatur verbinden«, sagte Ackermann. Nach ihren Worten zeigt sich in den teils winzig kleinen, teils großformatigen Malerbüchern auf einzigartige Weise die Gleichberechtigung, die Miró dem Bild und der Schrift in seinem Werk zubilligte. Die Schau zeigt auch Bildgedichte, Kaligramme und natürlich die für Miró bedeutenden Bilder mit »tanzenden« Buchstaben. Der Katalane Miró - auch das eine Erkenntnis der Düsseldorfer Schau - war zeitlebens auch ein Mensch, »der die Literatur geradezu verschlungen« hat, so Ackermann. Das Museum hat einige der Lieblingsbücher des Malers gekauft und ausdrücklich »zum Lesen« in die nachgebaute Bibliothek in die Ausstellung integriert. Andreas Rehnolt (epd) epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _47 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Vom Expressionismus zur Neuen Sachlichkeit AUSLAND KULTUR Bonner August Macke Haus zeigt Bildnisse der »verlorenen Generation« Bonn (epd). Giftgrüne Augen starren den Betrachter aus einem gelben Gesicht an. Dramatisch dokumentiert das Bildnis Walter Gramattés von 1918 mit dem Titel »Selbstmörder« das Leiden an den grausamen Erfahrungen des Ersten Weltkrieges. Das August Macke Haus in Bonn zeigt bis 20. September Bildnisse dieser sogenannten verlorenen Generation von Künstlern. Die Ausstellung unter dem Titel »August Macke bis Otto Dix. Bildnisse vom Expressionismus bis zur Neuen Sachlichkeit« vereint 50 Gemälde, Lithografien und Aquarelle aus den Sammlungen August Macke Haus und Frank Brabant. Dabei zeichnet die Schau die Entwicklung vom farbtrunkenen Expressionismus der Vorkriegszeit hin zur nüchterneren Sichtweise der Neuen Sachlichkeit nach. Zeit der gesellschaftlichen Umbrüche Es sind die rasanten wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen, die Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer grundsätzlich neuen Kunstauffassung führen und damit auch zu neuen Formen des Bildnisses. Seit der Renaissance hatten sich Künstler darum bemüht, dargestellte Personen so naturgetreu wie möglich zu zeichnen oder zu malen. Mit dem Expressionismus änderte sich das. Die möglichst realistische Darstellung rückte in den Hintergrund. Statt dessen sollte die psychische Verfasstheit des Porträtierten herausgearbeitet werden. Das Bildnis definierte sich aus der Tiefe des Unbewussten und wurde Spiegel und Ausdruck inneren Befindens. Wichtiges Ausdrucksmittel dabei war die Farbe. So hat etwa Alexej von Jawlenskys »Lettisches Mädchen« grüne Haare. Walther Jacob malte sich selbst in Uniform vor einem blutroten Hintergrund, der auf die Grausamkeit des Kriegs verweist. Es ist das Verdienst der Ausstellung, dass sie neben berühmten Künstlern wie August Macke, Otto Dix oder Emil Nolde auch weniger bekannte Maler von hoher Qualität zeigt. Dabei konnte Museumsdirektorin Klara Drenker-Nagels auf den Bestand des Wiesbadener Sammlers Frank Brabant zurückgreifen. Das ermöglicht dem Besucher Entdeckungen wie die intensiven Bilder Walter Gramattés, ein Vertreter der sogenannten verlorenen Generation. Bereits als 18-Jähriger erlitt er im Ersten Weltkrieg schwere Verwundungen, von denen er sich nie mehr vollständig erholte und bereits 1929 starb. Andere Künstler, wie etwa Walther Jacob litten, nachdem sie bereits im Ersten Weltkrieg verwundet wurden, später unter den Repressalien der Nazis. Der Erste Weltkrieg, den auch viele Künstler enthusiastisch begrüßt hatten, brachte Ernüchterung und Desillusionierung. Der ekstatische Rausch expressionistischer Farben und Formen wich einer distanzierten und zeichnerisch klaren Darstellungsweise. Die Künstler der Neuen Sachlichkeit erfassten die Realität ohne Sentimentalität und mit bisweilen bissiger Ironie und Sozialkritik. Otto Dix schaut bewusst auf die hässlichen Seiten des menschlichen Antlitzes. Er betont den eingefallenen Mund eines Greises sowie Falten, Narben und Wunden im Gesicht einer Frau. Andere Künstler nutzten die expressionistischen Stilmittel wie Farbe, Form und die Dynamik der Linie zwar weiterhin, allerdings ohne das typische Pathos und mit dem Bemühen um Objektivierung. So etwa Greta Overbeck-Schenks »Junges Mädchen«, das zwar an die Tradition des romantischen Kinderbildnisses anknüpft. Doch es handelt sich um eine zwiespältige Idylle. Die großen Arbeitshände des Mädchens und der Bauernhof im Hintergrund lassen darauf schließen, dass dieses Kind kein einfaches Leben hat. Auffällig in den Bildnissen der Maler der Neuen Sachlichkeit ist, dass die Personen meist in einen Kontext gestellt werden. Standen bei den Expressionisten Gefühle und psychische Zustände im Vordergrund, so gewinnt nun die Realität wieder an Bedeutung. Die soziale Stellung der dargestellten Personen wird deutlich. So etwa in Immanuel Knayers »Arbeiter bei der Frühstückspause« von 1925. Der Mann erscheint blass und abgearbeitet, seine Hose ist geflickt. Umgekehrt zeigt Ulrich Neujahrs Bildnis von Tatjana Magid-Riester, dass diese Dame offenbar zur besseren Gesellschaft gehört. Sie posiert vor einer Mittelmeerlandschaft. Claudia Rometsch (epd) epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _48 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Zurückgekehrtes Bach-Porträt der Öffentlichkeit präsentiert Leipzig (epd). Eines der berühmtesten Porträts des Komponisten Johann Sebastian Bach (1685-1750) ist nach Leipzig zurückgekehrt. Am 12. Juni wurde das Werk des Kunstmalers Elias Gottlob Haußmann aus dem Jahr 1748 anlässlich der Eröffnung des Bachfestes in der Nikolaikirche präsentiert. Das Haußmann-Porträt gilt als das einzig authentische, nach dem lebenden Objekt gemalte Bildnis Bachs. Sämtliche Bilder, die heute vom Komponisten bekannt sind, gehen auf dieses Gemälde zurück. Das Bild zeigt Bach im Alter von etwa 60 Jahren mit einer eigenen Komposition, dem »Canon triplex à 6 Voc: per J. S. Bach« in der Hand. Haußmann hatte das Porträt in zwei Exemplaren angefertigt, beide befinden sich nunmehr in Leipzig. Das erste, aus dem Jahr 1746, ist im Bach-Zimmer des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig zu sehen. Durch missglückte Restaurierungen und Übermalungen im 19. Jahrhundert hat es jedoch sehr gelitten. Wesentlich besser erhalten ist das zweite Original von 1748, das nun nach 265 Jahren wieder nach Leipzig zurückkehrt. Das Bach-Archiv hat das Gemälde aus dem Nachlass des amerikanischen Musikwissenschaftlers William H. Chinesischer Investor Insolventer Orgelbauer Schuke offenbar gerettet Werder (epd). Die Zukunft des traditionsreichen Orgelbauers Schuke in Werder bei Potsdam scheint vorerst gesichert. Ein chinesischer Investor werde Partner des Traditionsunternehmens, sagte ein Sprecher des Verbandes Mittelstand International »Association of Small and Medium-Sized Enterprises« am 10. Juni dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das renommierte OrgelbauUnternehmen hatte im November 2014 Insolvenz anmelden müssen, nachdem ihm mehrere Aufträge unter anderem in Russland weggebrochen waren. Der chinesische Investor, dessen Name bislang noch nicht genannt wurde, habe unter anderem Unterstützung beim Vertrieb von Schuke- Orgeln zugesagt. So sollen die Großinstrumente aus Werder in den kommenden drei Jahren unter anderem nach China, Hongkong und Macau verkauft werden. Außerdem seien Kooperationen AUSLAND KULTUR Zur Eröffnung des Bachfests wurde das Bild präsentiert. epd-bild / Jens Schlüter Scheide erhalten, der im November 2014 verstorben war. Der Wert wird mit 2,5 Millionen Euro beziffert. Das Bachfest 2015 lädt in den kommenden Tagen zu über 100 Veranstaltungen an 30 Orten in Leipzig ein. Es steht unter dem Motto »So herrlich stehst du, liebe Stadt« und reiht sich ein in die Feierlichkeiten zum 1.000. Stadtjubiläum der Messestadt. Die Veranstalter erwarten rund 75.000 Besucher. zwischen zwei deutschen und drei chinesischen Universitäten zum Orgelbau geplant. Konkretere Angaben wollte der Sprecher der Mittelstands-Vereinigung zunächst nicht machen. Er verwies auf eine kurzfristig anberaumte Pressekonferenz am Mittwochabend in Werder. Zur Investitionsentscheidung des Partners aus China habe neben der gesunden Struktur des OrgelbauUnternehmens auch das Potenzial bei der Erschließung neuer Märkte für Schuke geführt. An der Rettung des Traditionsunternehmens seien neben dem Shanghai Business Center Potsdam auch die Stadt Werder, sowie der Verband Mittelstand International beteiligt gewesen. Mit den neuen Partnern solle Schuke nun rasch aus der Insolvenz geführt werden. Die 1820 in Potsdam gegründete Orgelbaufirma hat bisher Instrumente in die ganze Welt geliefert. Die rund 800 Orgeln stehen unter anderem in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, Kasachstan, Taiwan, China, Mexiko und Brasilien. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _49 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Studie: Kinder pulen Garnelen für Europa Osnabrück (epd). Tausende Kinder müssen laut einer Studie in Thailand täglich bis zu zehn Stunden Garnelen schälen. Die Meeresfrüchte landeten auch auf den Tellern europäischer Verbraucher, erklärte das Kinderhilfswerk »terre des hommes«. »Wir appellieren deshalb anlässlich des Welttages gegen Kinderarbeit am 12. Juni an die Bundesregierung, sich für ein Ende dieser Form der Ausbeutung einzusetzen«, sagte die Vorsitzende Danuta Sacher. Der Welttag wurde 2002 von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ausgerufen, um ein kritisches Bewusstsein für die weltweite Ausbeutung von Kindern zu schaffen. Die EU müsse als wichtiger Handelspartner Thailands ihren Einfluss gegenüber der dortigen Regierung geltend machen, forderte Sacher. Die Politiker müssten auf nachprüfbare Schritte zum Schutz der Rechte von Migrantenkindern bestehen. Denn die meisten der Kinder AUSLAND ENTWICKLUNG stammten der Studie zufolge aus dem armen Nachbarland Myanmar. Von dort kämen sie mit Hilfe von Schleusern nach Thailand. Als illegale Migranten seien sie der Willkür ihrer Arbeitgeber ausgesetzt. Sacher forderte auch die internationalen Garnelenhändler auf, dafür zu sorgen, dass soziale Mindeststandards in der Shrimp-Industrie eingehalten und angemessene Löhne gezahlt würden. Die Arbeiterinnen und Arbeiter müssten davon ihre Familien ernähren können, so dass sie nicht auf die Mitarbeit von Kindern angewiesen seien. »Das mag dazu führen, dass die Preise für Garnelen in Europa steigen«, sagte die Vorsitzende des Hilfswerks. »Doch unsere Erfahrungen aus dem Bereich von Textilien zeigen, dass Verbraucher höhere Preise akzeptieren, wenn schädliche Kinderarbeit ausgeschlossen und ein fairer Lohn für Erwachsene gezahlt wird.« Entschädigung für Rana-Plaza-Opfer vor Abschluss Menschenrechtler fordern Haftungsrecht für Textilfirmen Genf (epd). Die Opfer des Fabrik-Einsturzes von Rana Plaza in Bangladesch sollen laut Internationaler Arbeitsorganisation (ILO) in den kommenden Wochen weitere Entschädigungen erhalten. Durch eine anonyme Spende von 2,4 Millionen US-Dollar habe der Kompensationsfonds für die Opfer die benötigten 30 Millionen US-Dollar erreicht, teilte die ILO am 9. Juni in Genf mit. Die Kampagne für saubere Kleidung begrüßte die Auffüllung des Fonds und forderte gleichzeitig verbindliche Haftungsregeln für die Textilfirmen. Rund 2.800 Überlebende und Angehörige des Textilindustrie-Unglücks von 2013 haben laut ILO Anträge auf Entschädigung gestellt. Ein großer Teil der beantragten Gelder sei bereits ausbezahlt worden. Im Koordinationskomitee für die Entschädigungen vertreten sind die ILO, Bangladeschs Regierung, Firmen, Arbeitnehmer, Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen. Bei dem Einsturz des Fabrik-Hochhauses am 24. April 2013 wurden etwa 1.200 Arbeiterinnen und Arbeiter getötet, Hunderte wurden verletzt. »Es ist sehr erfreulich, dass die anvisierte Summe zusammengekommen ist«, sagte Berndt Hinzmann vom entwicklungspolitischen Inkota-Netzwerk, einem Mitglied der Kampagne für saubere Kleidung. Dies sei bisher einmalig. Grund dafür sei aber auch der starke und anhaltende öffentliche Druck, zuletzt auch zunehmend durch die Politik, gewesen. »Aber das war alles freiwillig«, sagte Hinzmann dem Evangelischen Pressedienst (epd). Opfer anderer, vergleichbarer Unglücke wie der Tazreen Fabrik ebenfalls in Dhaka könnten nicht mit einer solchen Aufmerksamkeit und entsprechenden Entschädigungen rechnen. Dies zeige, dass ein vernünftiges Haftungsrecht, wie es die UN-Leitlinien vorsähen, dringend nötig sei, betonte Hinzmann. »Dann hätten die Opfer auch nicht zwei Jahre warten müssen.« Zudem seien die Beiträge sehr gering angesichts dessen, dass Menschen gestorben oder ihre Existenzgrundlage verloren hätten. »Eine simple Lebensversicherung in Deutschland bringt deutlich mehr.« ILO-Generaldirektor Guy Ryder betonte, ein Unglück wie Rana Plaza dürfe sich nicht wiederholen. Er forderte Bangladesch auf, eine nationale Versicherung gegen Arbeitsunfälle einzuführen. Die Millionen Arbeiter in den mehr als 4.000 Textilfabriken des Landes bräuchten dringend Schutz. In den Entschädigungsfonds zahlten laut ILO deutsche Firmen wie KiK und C&A (jeweils eine Million US-Dollar) sowie die G. Güldenpfennig GmbH, die 600.000 USDollar beitrug. Kappa Deutschland habe 50.000 US-Dollar bereitgestellt. Entwicklungs- und Menschenrechtsorga- epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _50 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT nisationen hatten die mangelnde Bereitschaft großer Textilfirmen kritisiert, in den Fonds einzuzahlen. Das Fabrikunglück von Rana Plaza in Bangladesch löste weltweit Entsetzen und Empörung aus. Es war eine der schwersten Industriekatastrophen in diesem Jahrhundert. In dem Gebäude in der Nähe der Hauptstadt Dhaka befanden sich fünf Fabriken, in denen für Unternehmen wie Adler, NKD, C&A und KiK genäht wurde. SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Die G-7-Staaten hatten zum Abschluss ihres Treffens auf Schloss Elmau angekündigt, den Arbeitsschutz in ärmeren Produktionsländern zu verbessern. Dazu soll ein Fonds eingerichtet werden, über den entsprechende Schutzmaßnahmen oder Unfallversicherungen finanziert werden können. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) begrüßte die Ankündung. »Wir müssen alles dafür tun, um tragische Unfälle wie Rana Plaza künftig zu vermeiden«, sagte Nahles. AUSLAND ENTWICKLUNG Indien entzieht über 4.400 Hilfsorganisationen Lizenzen Neu-Delhi (epd). Indien blockiert weiter die Arbeit internationaler Hilfsorganisationen: Nach einer ersten Welle im April entzog die Regierung in Neu-Delhi nun laut indischen Medienberichten vom 10. Juni die Lizenzen von 4.470 Organisationen, die Geld aus dem Ausland erhalten. Darunter befinden sich auch Spitzen-Universitäten, angesehene Schulen und private Krankenhäuser. Das Innenministerium begründete den Schritt mit finanziellen Unregelmäßigkeiten bei diesen Institutionen. Auf der langen Liste steht überraschenderweise auch die hoch angesehene Anwaltsvereinigung des Obersten Gerichts von Indien. Auch das Escorts-Herz-Institut, die Panjab-Universität in Chandigarh und das traditionsreiche Lady Irwin College in Delhi gehören zu den Institutionen, die künftig keine Spenden mehr aus dem Ausland annehmen dürfen. Ende April hatte die Regierung fast 9.000 Hilfsinstitutionen die Operationserlaubnis entzogen und ihnen vorgeworfen, Spenden aus dem Ausland nicht ordnungsgemäß ausgewiesen zu haben. Auch Greenpeace India verlor seine Lizenz, die Bankkonten wurden eingefroren. Die Organisation klagte vor Gericht und gewann. Die Regierung sperrte daraufhin jedoch erneut die Konten. Am Samstag vergangener Woche wurde zudem einem internationalen Mitarbeiter von Greenpeace die Einreise verweigert. Indiens Regierung nimmt seit Monaten Entwicklungsund Menschenrechtsorganisationen ins Visier, die sich angeblich großangelegten Wirtschaftsprojekten gezielt in den Weg stellen. Ein Geheimdienstbericht vom Juni 2014 kam zu den Schluss, dass einige Initiativen »Werkzeuge für strategische außenpolitische Interessen westlicher Regierungen« seien, die das Wachstum der indischen Wirtschaft um zwei bis drei Prozentpunkte bremsten. Greenpeace kämpft in Indien gegen verschiedene Vorhaben von Kohlebergwerken und Nuklearanlagen. Burundi dass die notleidende Bevölkerung nicht im Stich gelassen werde. »Alles, womit wir unmittelbar die Menschen im Land unterstützen können und Grundbedürfnisse decken, werden wir fortführen«, sagte der CSU-Politiker. Burundi hatte sich auf der Genfer Geberkonferenz 2012 zur Einhaltung und Förderung der Menschenrechte verpflichtet. Im Gegenzug hatte sich die internationale Gemeinschaft bereiterklärt, ihre Finanzzusagen zu erhöhen. Burundi gehört zu den ärmsten Ländern der Welt und belegt auf dem Welthungerindex den letzten Platz. Auslöser für die jüngste Krise war die Ankündigung Nkurunzizas, für eine dritte Amtszeit anzutreten, obwohl die Verfassung nur zwei vorsieht. Seit Ende April demonstrieren Tausende Menschen vor allem in der Hauptstadt Bujumbura. Die Sicherheitskräfte gehen teils brutal gegen die Demonstranten vor. Deutschland setzt Zusammenarbeit aus Berlin (epd). Deutschland setzt die Entwicklungszusammenarbeit mit der Regierung von Burundi bis auf weiteres aus. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) erklärte am 10. Juni, die Bundesregierung reagiere damit auf die jüngste Krise, die Präsident Pierre Nkurunziza mit seiner Kandidatur für eine dritte Amtszeit ausgelöst habe. Man sehe keine Basis mehr für eine Zusammenarbeit mit der burundischen Regierung. »Burundi droht in eine Gewaltspirale abzurutschen, weil die Regierung demokratische Prinzipien missachtet und selbst vor Folter politischer Gegner nicht zurückschreckt«, sagte Müller. Der Minister betonte jedoch, epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _51 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Westfälische Kirche gratuliert zu 40 Jahren »Oikocredit« Berlin/Dortmund (epd). Die Evangelische Kirche von Westfalen hat die Entwicklungsbank »Oikocredit« anlässlich ihres 40-jährigen Bestehens gewürdigt. Die Ökumenische Entwicklungsgenossenschaft sei Pionier und Marktführer im Bereich der Mikrokredite, erklärte das Amt für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung (MÖWe) der westfälischen Kirche. Die Landeskirche hat im Jubiläumsjahr ihre Anlagen bei Oikocredit um 500.000 Euro erhöht hat, wie es hieß. Bei der jährlichen Generalversammlung der Entwicklungsbank am Donnerstag in Berlin wurde der 40. Geburtstag mit internationalen Teilnehmern gefeiert. Pfarrer Dietrich Weinbrenner vom MÖWe-Amt überbrachte die Glückwünsche der westfälischen Kirche: »Wir sind stolz darauf, dass unsere Kirche seit 1987 Direkt-Mitglied von Oikocredit ist.« Auch alle westfälischen Kirchenkreise und viele der Kirchengemeinden seien Mitglieder bei Oikocredit. 28 Millionen Menschen seien durch »Oikocredit« erreicht worden, sie fühlten sich dabei als Partner und nicht als Almosenempfänger angenommen. »Wir sehen sie als Menschen, die ihre je eigenen Fähigkeiten haben, mit denen sie ihre Lebensbedingungen verbessern können. Dabei unterstützen wir sie«, hieß es in dem Grußwort. Dieses Engagement entspreche der christlichen Grundüberzeugung, »dass wir den verantwortlichen Umgang mit Geld als Teil unserer Ethik begreifen«. Oikocredit war 1975 auf Initiative des Ökumenischen Rates der Kirchen gegründet worden. In 40 Jahren wurden nach eigenen Angaben 1.600 Partnerorganisationen mit mehr als zwei Milliarden Dollar unterstützt. Bisherige Schwerpunkte sind Mikrofinanz- und Landwirtschaftsprojekte. Zu einem neuen Schwerpunkt baute Oikocredit im vergangenen Jahr erneuerbare Energien aus. epd-West kat Nigeria »Wir brauchen Unterstützung und Teams, um den traumatisierten Menschen jetzt zu helfen, aber auch, um später friedensbildende Maßnahmen, Aussöhnungsprozesse und interreligiöse Verständigung professionell in Gang zu setzen«, forderte Bischof Doeme. Auch missioMitarbeiter Matthias Vogt appellierte an die Bundesregierung und die internationale Weltgemeinschaft, nicht Bischof sieht erste Erfolge im Kampf gegen Boko Haram Aachen (epd). Der nigerianische Bischof Oliver Dashe Doeme sieht erste Erfolge der neuen Regierung von Präsident Muhammadu Buhari im Kampf gegen die islamistische Miliz Boko Haram. Viele Dörfer seien schon befreit, berichtete der katholische Geistliche am 10. Juni bei seinem Besuch des katholischen Missionswerks missio in Aachen. »Allmählich kehren die Bewohner zurück, auch Christen, das ist eine gute Nachricht«, sagte er nach Angaben von missio. Die Menschen seien aber noch traumatisiert, erklärte Doeme. Der Bischof leitet die katholische Diözese Maiduguri im Nordosten Nigerias, die besonders von der Gewalt von Boko Haram betroffen ist. Nach seinen Worten wurden in der Region etwa 100 Kirchen zerstört und rund 500 katholische Christen getötet. Jugendliche würden von Boko Haram zwangsrekrutiert. AUSLAND ENTWICKLUNG nur den militärischen Kampf gegen Boko Haram im Blick zu haben. Es müsse jetzt schon überlegt werden, »wie ein Versöhnungsprozess in Nigeria nach einem möglichen Ende des Terrors vorbereitet werden kann«. Dafür müssten auch Mittel bereitgestellt werden, betonte Vogt. Nigerias neuer Präsident Muhammadu Buhari hatte nach seinem Amtsantritt Ende Mai einen harten Kampf gegen den Terrorismus angekündigt. Unter anderem will er das Hauptquartier der Armee von der Hauptstadt Abuja nach Maiduguri verlegen. Die islamistische Gruppe Boko Haram hat nach Schätzungen der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch allein in diesem Jahr mehr als 1.000 Menschen getötet. Zudem entführte sie Hunderte Menschen, meist Frauen und Kinder. epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _52 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG Schweizer sagen Ja zu Untersuchung von Embryonen Genf (epd). Die Schweizer haben sich in einer Volksabstimmung für die Legalisierung der Präimplantationsdiagnostik (PID) ausgesprochen. Laut Hochrechnungen stimmten mehr als 60 Prozent der Stimmbürger am 14. Juni für eine Verfassungsänderung, welche die Voraussetzungen für die PID schafft. Mit der Entscheidung schließen die Schweizer bei der Fortpflanzungsmedizin zu den meisten europäischen Staaten auf, fast alle Länder des Kontinents erlauben die PID in bestimmten Fällen. Mit der PID legen Ärzte fest, welche Embryonen sie nach der künstlichen Zeugung in den Mutterleib verpflanzen und welche nicht. In der Schweiz hatte das Parlament im November 2014 eine Änderung des Fortpflanzungsmedizingesetzes beschlossen. Darin wird die PID konkret geregelt. Unter den jährlich 80.000 Neugeborenen befinden sich etwa 2.000 Babys, die durch künstliche Befruchtung auf die Welt kommen. Allerdings soll in der Schweiz die PID nur Paaren erlaubt werden, die Träger schwerer Erbkrankheiten sind. Und sie soll Partnern gestattet werden, die auf natürlichem Weg keine Kinder bekommen können. Durch die PID wollen Ärzte und Eltern genetisch bedingte schwere Krankheiten bei den Kindern vermeiden. Zudem soll in Zukunft nur ein einzelner lebenskräftiger Embryo übertragen werden, um die gesundheitlichen Risiken für Mutter und Kind zu senken. Die Evangelische Volkspartei kündigte an, ein Referendum gegen das geänderte Fortpflanzungsmedizingesetz zu erzwingen. Kommt das Referendum zustande, können die Stimmberechtigten über das geänderte Fortpflanzungsmedizingesetz abstimmen. Konservative Kräfte rund um das »Komitee Nein zur PID« hatten eine großangelegte Kampagne gegen die Untersuchung der Embryonen gestartet. Die PID führe zu einer »Selektion« des Erbgutes und erhöhe den Druck auf Behinderte, die als »nicht lebenswerte« Menschen gelten könnten. Auch die katholische Schweizer Bischofskonferenz lehnte die PID ab. Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund sprach sich hingegen nicht kategorisch gegen die PID aus. Der Kirchenbund verlangte jedoch »klare und strikte rechtliche Regelung«, die vorgelegten Bestimmungen reichten nicht aus. USA Je höher Einkommen und Bildung, umso stärker ist laut Umfrage die Zustimmung. Bei der Erhebung wurden im Mai 2.002 Personen befragt. Zustimmung zur Homo-Ehe wächst Washington (epd). In den USA befürworten laut einer Umfrage 57 Prozent der Bevölkerung die rechtliche Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Noch nie sei die Zustimmung so stark gewesen, teilte das Pew Research Center am 8. Juni in Washington mit. 2010 hätten sich nur 42 Prozent für dafür ausgesprochen. Für die meisten jungen Menschen ist die Homo-Ehe keine strittige Frage: 73 Prozent der Befragten im Alter von 18 bis 34 Jahren sind für die Anerkennung. Noch in diesem Monat entscheidet das Oberste USGericht über die grundsätzliche Legalisierung der HomoEhe. Aufgrund von Gerichtsurteilen, Abstimmungen in den Parlamenten und Volksentscheiden dürfen gegenwärtig gleichgeschlechtliche Paare in der Hauptstadt Washington und in 36 der 50 Bundesstaaten heiraten. Etwa 70 Prozent der US-Amerikaner leben in Staaten mit der Homo-Ehe. Der Pew-Umfrage zufolge befürworten bei weißen Evangelikalen 27 Prozent die Legalisierung, bei Katholiken 56 Prozent, bei »Mainline«- Protestanten 62 Prozent und bei nicht religiös gebundenen US-Amerikanern 85 Prozent. AUSLAND AUSLAND Belgien Chemo mit 13: Ärzte machen Unfruchtbarkeit rückgängig Brüssel (epd). Eine 27-jährige Frau aus Belgien, die aufgrund einer Chemotherapie seit ihrer Teenagerzeit unfruchtbar war, hat mit Hilfe moderner Reproduktionsmedizin ein Baby zur Welt gebracht. Die junge Frau war mit 13 Jahren wegen Sichelzellenanämie behandelt worden, wie die Fachzeitschrift »Human Reproduction« berichtet. Vorsorglich hatten belgische Ärzte ihr zuvor den rechten Eierstock entfernt und ihn eingefroren. Obwohl die Frau mit 13 noch keine Regelblutungen gehabt hatte, gelang es den Medizinern zehn Jahre später, Teile des Eierstocks wieder einzusetzen und diese zu aktivieren. Es handele sich um den ersten Fall überhaupt, bei dem das Verfahren der Eierstock-Konservierung bei einer noch nicht geschlechtsreifen Patientin angewandt worden sei, berichteten die Ärzte. »Dies ist ein ermutigender epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015 Seite _53 KIRCHEN FLÜCHTLINGE GESELLSCHAFT Beleg, dass ein solches Verfahren schon in der Kindheit funktioniert.« Die junge Frau hatte fünf Monate nach Einpflanzen des Eierstocks mit 24 Jahren zum ersten Mal SOZIALES KULTUR ENTWICKLUNG AUSLAND ihre Menstruation bekommen. Nicht einmal drei Jahre später, im November 2014, brachte sie einen gesunden Jungen zur Welt. Etwa 500 Atomwaffen weniger weltweit Stockholm (epd). Die Zahl der Atomwaffen ist im vergangenen Jahr leicht gesunken. Allerdings trieben die meisten Atommächte eine Modernisierung ihrer Arsenale voran, wie das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri in seinem an diesem Montag veröffentlichten Jahrbuch schreibt. Zu Beginn dieses Jahres seien neun Staaten im Besitz von schätzungsweise 15.850 Nuklearwaffen gewesen: die USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea. Das seien 500 Sprengköpfe weniger als vor einem Jahr. Die liege vor allem an der Reduktion in Russland um 500 Sprengköpfe. Andere Länder wie China, Indien und Pakistan haben ihre Produktion aufgerüstet. In seinem Jahrbuch bewertete das Institut auch die Militärmissionen der Vereinten Nationen, die im vergangenen Jahr um drei auf 62 weltweit stiegen. Angesichts der zahlreichen Krisen sei es zu begrüßen, dass die UN ihr Engagement erhöhten, hieß es in dem Bericht. Zwar sei die Zahl der an den Einsätzen beteiligten Personen insgesamt um 20 Prozent auf 162.052 zurückgegangen. Doch das liege am Ende der Isaf-Mission in Afghanistan. Ohne Berücksichtigung von Isaf sei die Zahl um vier Prozent gestiegen. »Trotz aller Kritik und allem Pessimismus sind die Friedenseinsätze auffallend erfolgreich«, sagte der Sipri- Impressum HERAUSGEBER: Verein zur Förderung des Evangelischen Pressedienstes Region West e.V. Kaiserswerther Straße 450, 40474 Düsseldorf, Vorsitzender: Albert Henz | CHEFREDAKTEUR: Ingo Lehnick (verantwortlich i.S.v.§ 55 RVST), | REDAKTION: Katrin Nordwald, Tel. 0521/ Forscher Jair van der Lijn. Die internationale Gemeinschaft investiere zunehmend in solche Einsätze, weil sie in vielen Fällen das beste verfügbare Mittel zur Krisenlösung blieben. Die Zahl der Konflikte war die höchste seit dem Jahr 2000. Trotz weltweiter Bemühungen um Abrüstung vergrößerten im vergangenen Jahr mehrere Länder ihre Atomwaffenarsenale. Während Russland deutlich abrüstete und die USA 40 Sprengköpfe weniger meldete, erweiterten China, Indien und Pakistan ihre Produktion. Russland besaß Anfang des Jahres demnach 7.500 Sprengköpfe, die USA 7260. China erhöhte die Zahl der Sprengköpfe von 250 auf 260. Pakistan besitzt nach Schätzungen 100 bis 120, Indien 90 bis 110 Atomwaffen. Weltweit sind derzeit 4.300 Nuklearwaffen an militärischen Einsatzorten oder auf Raketen montiert. Deren Anzahl stieg laut SIPRI innerhalb eines Jahres um 300 Stück. »Trotz des internationalen Interesses, nukleare Abrüstung vorrangig zu behandeln, zeigen die Modernisierungsprogramme in den Ländern mit Atomwaffenbesitz, dass keiner von ihnen seine Arsenale in absehbarer Zukunft aufgeben wird«, sagte der Sipri-Forscher Shannon Kile. 9440-176, Fax: 0521/9440-175, E-Mail: [email protected], Internet: www.epd-west.de | VERANTWORTLICH für die überregionalen Seiten: Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik gGmbH, Emil-von-Behring-Straße 3, 60439 Frankfurt am Main, Geschäftsführer Jörg Bollmann, AG Frankfurt, HRB 49081, Ust-ID-Nr. 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