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AUSGABE WEST
Düsseldorf | 15. Juni 2015 | NR. 25
Kirchen
Aufklärung und Dialog statt Abkapselung
Die evangelische Kirche erörtert in einem Positionspapier Wege für das Zusammenleben in religiöser Vielfalt. Sie plädiert für ein Eintreten für Minderheiten und die Stärkung der demokratischen
Kultur.
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Ein idealisierender Blick auf Luther
Im Judentum gab es nach Ansicht des Religionswissenschaftlers Christian Wiese lange ein weitgehend positives Lutherbild. Die antisemitischen Äußerungen des Reformators seien lange Zeit
ausgeklammert worden.
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Lippische Kirche stärkt Hilfen für Flüchtlinge
Mehr Hilfen für Flüchtlinge und das Reformationsjubiläum im Jahr 2017 standen im Mittelpunkt der
Lippischen Landessynode am Freitag und Samstag in Lemgo.
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Flüchtlinge
Länder bekommen mehr Geld für Flüchtlinge
Der Bund gibt dem Drängen der Länder nach: Ab 2016 will er dauerhaft in die Finanzierung der
Kosten für Flüchtlinge einsteigen. Für das aktuelle Jahr verdoppelt er seine Hilfen auf eine Milliarde
Euro.
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Ein neues Zuhause auf Zeit
Tausende minderjährige Flüchtlinge machen sich allein auf den Weg nach Europa oder werden auf
der Flucht von ihren Eltern getrennt. Einer von ihnen ist der 17-Jährige Amadou. Im Jugendheim
Halfeshof in Solingen hat er Zuflucht gefunden.
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Soziales
Befürworter organisierter Sterbehilfe legen Entwurf vor
Im Bundestag formieren sich Befürworter und Gegner organisierter Sterbehilfe. Die anstehende
Debatte verspricht Spannung. Patientenschützer fordern unterdessen, die Situation Todkranker in
Pflegeheimen stärker in den Blick zu nehmen.
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Entwicklung
Studie: Kinder pulen Garnelen für Europa
Die EU müsse ihren Einfluss als wichtiger Handelspartner Thailands geltend machen, um diese
Form der Ausbeutung zu beenden, fordert "terre des hommes".
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Ausland
Schweizer sagen Ja zu Untersuchung von Embryonen
Die Schweizer haben sich in einer Volksabstimmung für die Legalisierung der Präimplantationsdiagnostik (PID) ausgesprochen. Laut Hochrechnungen stimmten mehr als 60 Prozent der Stimmbürger am 14. Juni für eine Verfassungsänderung, welche die Voraussetzungen für die PID schafft.
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Impressum
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Aufklärung und Dialog statt Abkapselung
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Evangelische Kirche erörtert in Positionspapier Wege für Zusammenleben in religiöser Vielfalt
Frankfurt a.M. (epd). In Hannover und Bern gibt es
bereits ein »Haus der Religionen«. Auch in Berlin ist
ein »House of One« geplant, das Christen, Juden und
Muslimen als Begegnungsstätte dienen soll. In anderen
Kommunen wie etwa Frankfurt und Köln haben sich Räte
oder Runde Tische der Religionen etabliert, die Ausdruck
der zunehmenden Präsenz fremder Religionen in der
bisher überwiegend christlich geprägten Gesellschaft
sind.
Mit diesem religiösen Pluralismus, der auch Ängste,
Fremdheitsgefühle und Konflikte auslösen kann, setzt
sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in
einem neuen Grundlagentext auseinander, der am 12.
Juni vorgestellt wurde. »Gegen solche Ängste helfen aber
nur Aufklärung und Dialog, Eintreten für Minderheiten
und Stärkung der demokratischen Kultur«, empfiehlt der
EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm im Vorwort
der Schrift »Christlicher Glaube und religiöse Vielfalt in
evangelischer Perspektive«. Ausdrücklich bekennt sich
das Papier zum Grundrecht der Religionsfreiheit und
lobt das »religionsfreundliche Modell« des deutschen
Verfassungsrechts, das öffentliches Wirken der Religionen
ermöglicht.
Wie sollen evangelische Christen Menschen mit
anderen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen
begegnen? Was ist in der Praxis des Zusammenlebens
mit Angehörigen nichtchristlicher Religionen zu beachten?
Vor diesem Hintergrund wirbt die EKD dafür, die Vielfalt
der Religionskulturen als Chance zu sehen. »Ein positives
Verständnis religiöser Vielfalt zielt letztlich auf eine
Stärkung evangelischer Identität, die sich im Dialog und
nicht in der Abkapselung entfaltet.«
Neben grundsätzlichen Erwägungen zu einer »Theologie der Religionen« enthält der Text auch Hinweise
zum Umgang mit Religionsverschiedenheit in Ehe und
Familie, zu den Bedingungen für gemeinsames Beten,
zum Missionsauftrag sowie zur Arbeit in der Diakonie. Im
Zusammenleben mit anderen Religionen und Weltanschauungen seien Kirchen vor allem bei familiären Ereignissen
wie Trauung, Taufe oder Bestattung herausgefordert. Über
kirchenrechtliche Regeln hinaus seien dafür seelsorgerliche Lösungen gefragt. Anders- und Nichtgläubige sollten
nicht zur Anpassung genötigt werden, wird in dem Text
empfohlen.
Bei der Ehe zwischen Partnern verschiedener Religionen seien interreligiöse Kompetenz und Begleitung
gefragt. »Niemand kann heute für sich beanspruchen,
über das Zusammensein mit anderen nach Taufbuch oder
Religionszugehörigkeit definitiv zu entscheiden« heißt es
in dem Papier. Kirchliche Angebote für die Gesellschaft
wie Kindertagesstätten, Schulen, Krankenhäuser und Altenpflege oder die Seelsorge an Soldaten richteten sich
nicht nur an Christen, sondern an alle, die auf christliche
Nächstenliebe hoffen.
Für Schulgottesdienste oder öffentliche Buß- und
Gebetsfeiern bedarf es aus Sicht der EKD Gestaltungskompetenz und Weisheit der für die Liturgie Verantwortlichen.
Dabei dürften liturgische Formen weder vereinnahmen
noch neutralisieren und »sich vor allem nicht in Plattitüden
erschöpfen«.
»Niemand darf gezwungen oder übertölpelt werden«, argumentieren die Autoren mit Hinweis auf staatliches Recht und evangelisches Missionsverständnis: »Die
Mission hat es nicht selbst in der Hand, ob ihre Verkündigung Frucht trägt und auf welchen Boden der Samen fällt.«
Wer zu einer Veranstaltung einer evangelischen Gemeinde
kommt, in einer evangelischen Kindertagesstätte oder einem evangelischen Krankenhaus ist, sollte nicht fürchten
müssen, dass er »um die eigene Religion gebracht wird«.
Gefragt sei ein kultur- und religionssensibles Handeln.
Denn christliche Nächstenliebe und Barmherzigkeit hätten
auch Nichtchristen als Adressaten.
Ob diese theologische Orientierung, die Religionsvermischung ebenso wie Abwertung anderer Religionen ablehnt, beim Spitzentreffen von EKD und Koordinationsrat
der Muslime am nächsten Dienstag auf der Tagesordnung
steht, bleibt abzuwarten. Mit dem Koordinationsrat will die
evangelische Kirche einen »Dialogratgeber« präsentieren,
um die Begegnung von Christen und Muslimen zu fördern.
Von Rainer Clos (epd)
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Zentralrat erwartet Distanzierung von Luthers Antisemitismus
Berlin (epd). Der Zentralrat der Juden in Deutschland hofft
vor dem Reformationsjubiläum 2017 auf ein »deutliches
Zeichen« der evangelischen Kirche zu antisemitischen
Äußerungen Martin Luthers (1483-1546). »Ich gehe davon aus, dass sich der Rat der Evangelischen Kirche in
Deutschland (EKD) dazu erklären wird«, sagte Zentralratspräsident Josef Schuster am 10. Juni in Berlin zum
Auftakt einer gemeinsamen Tagung von Zentralrat und
Evangelischer Akademie. In seiner Schrift »Von den Juden
und ihren Lügen« von 1543 schlägt Luther unter anderem
vor, Synagogen abzubrennen und Häuser von Juden zu
zerstören.
Diese Schattenseite des Reformators müsse deutlich
benannt werden, sagte Schuster weiter. »Die Menschen
müssen wissen, was Luther damals auch gedacht und
aufgeschrieben hat«, betonte Schuster. Andernfalls sehe
er dem Reformationsjubiläum mit einer gewissen Skepsis
entgegen, fügte der Zentralratspräsident hinzu.
Die erste gemeinsame Tagung von Zentralrat der
Juden und Evangelischer Akademie in Berlin trägt den Titel
»Reformator, Ketzer, Judenfeind - Jüdische Perspektiven
auf Martin Luther«. Bis Freitag soll unter anderem über die
Belastungen des christlich-jüdischen Verhältnisses durch
die judenfeindlichen Thesen des Reformators diskutiert
werden.
Für Schuster spielen bei den heutigen Repräsentanten
der evangelischen Kirche die Ideen Luthers zu den Juden
keine Rolle mehr. Und er sieht bei der Kirche durchaus den
Willen zur kritischen Aufarbeitung: »Wir wären aber auch
enttäuscht gewesen, wenn diese Schattenseiten Luthers
totgeschwiegen würden«, sagte der Zentralratspräsident.
Ausgesprochen kritisch sehe die jüdische Gemeinschaft dagegen die Bestrebungen zur Judenmission bei
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evangelikalen Gemeinden. »Hier erwarten wir eine klare
Abgrenzung der Amtskirche«, forderte Schuster.
Für den früheren EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus
Schneider sind die judenfeindlichen Äußerungen des
Reformators verletzend und empörend. Er gehe deshalb
davon aus, dass sich die EKD dazu offiziell erklären wird,
sagte der ehemalige rheinische Präses: »Diese Thesen
sind mit dem Evangelium unvereinbar.«
Für Schneider schwingt in dem Antisemitismus Luthers auch die Frustration über fehlende Resonanz bei
den Juden auf die Reformation mit. Luther habe auf viele
Überläufer aus dem Judentum in die neue moderne Kirche
gehofft, sagte Schneider.
Nach Ansicht des Frankfurter Religionswissenschaftlers Christian Wiese hat trotz dieses gravierenden Antisemitismus lange Zeit ein weitgehend positives Lutherbild
unter den Juden existiert. Vor allem das Reformjudentum
des 19. Jahrhunderts habe in Martin Luther ein Vorbild
für eine »jüdische Reformation« gesehen, sagte der evangelische Theologe auf der Tagung. »Es sind hier immer
wieder sehr positive Stimmen zu finden, die Luther als
Vorläufer von Gewissensfreiheit, Toleranz und Aufklärung
verstanden.« Die antisemitischen Äußerungen Luthers
seien lange Zeit ausgeklammert worden.
Luther habe für liberale Juden eine geistige Tradition
in Deutschland verkörpert, »die der bürgerlichen Gleichberechtigung der Juden förderlich ist«. Dies sei ein sehr
idealisierendes Lutherbild gewesen. Einen Wandel gab
es Wiese zufolge dann in den 1930er Jahren. Dann habe
sich im Judentum die Erkenntnis durchgesetzt, »dass die
jüdische Liebesgeschichte mit Luther ein tragischer, völlig
vergeblicher Versuch war«.
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Ein idealisierender Blick auf Luther
Der Religionswissenschaftler Christian Wiese über die jüdische Sicht auf den Reformator
Frankfurt a.M. (epd). Im Judentum hat nach Ansicht des
Religionswissenschaftlers Christian Wiese lange Zeit ein
weitgehend positives Lutherbild existiert. Vor allem das
Reformjudentum des 19. Jahrhunderts habe in Martin
Luther ein Vorbild für eine »jüdische Reformation« gesehen,
sagte der evangelische Theologe in einem Gespräch mit
dem Evangelischen Pressedienst (epd). »Es sind hier
immer wieder sehr positive Stimmen zu finden, die
Luther als Vorläufer von Gewissensfreiheit, Toleranz und
Aufklärung verstanden.« Die antisemitischen Äußerungen
Luthers seien lange Zeit ausgeklammert worden.
Am 10. Juni begann in Berlin eine Tagung des Zentralrates der Juden und der Evangelischen Akademie zur
jüdischen Perspektive auf Luther. Wiese warnte davor,
die positiven Stimmen im Judentum zu verwenden, um zu
belegen, dass der frühe Luther »aus jüdischer Perspektive
gar nicht so schlimm gewesen sei«. Denn diese Deutung
habe den historischen Kontext nicht im Blick. »Es war
der verzweifelte Versuch, dazuzugehören und sich mit
der Figur Luther zu identifizieren.« Die jüdischen Gelehrten hätten versucht, Luther besser zu verstehen als der
Protestantismus ihn verstand.
Luther habe für liberale Juden eine geistige Tradition
in Deutschland verkörpert, »die der bürgerlichen Gleichberechtigung der Juden förderlich ist«. Dies sei ein sehr
idealisierendes Lutherbild gewesen. Zugleich verwies der
Wissenschaftler aber auch gegenläufige Bewegungen, die
vor allem Luthers Obrigkeitsgeist und seine Beziehung zu
den Territorialfürsten kritisierten.
Einen Wandel des jüdischen Lutherbildes gab es
Wiese zufolge in den 1930er Jahren. Dann habe sich im
Rheinische Landeskirche
Vizepräses wirbt für Offenheit von
Gemeinden für Fremde
Koblenz (epd). Der Vizepräses der Evangelischen Kirche
im Rheinland, Christoph Pistorius, hat evangelische Kirchengemeinden aufgerufen, offen für fremde Menschen
zu sein. Christen und ihre Gemeinden dürften sich nie
allein mit dem Kreis derer zufriedengeben, die aktiv sind
Luther-Porträt von Cranach
epd-bild / Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt
Judentum die Erkenntnis durchgesetzt, »dass die jüdische Liebesgeschichte mit Luther ein tragischer, völlig
vergeblicher Versuch war«. Der Religionswissenschaftler
ergänzte: »Wenn Luther jetzt in der jüdischen Literatur
auftaucht, dann als Ahnherr des Antisemitismus.« In
dieser Hinsicht sei Luther »eine äußerst negative Gestalt im Ahnenreigen des christlichen Antisemitismus«.
epd-Gespräch: Barbara Schneider und Rainer Clos
und mitmachen, sagte Pistorius laut Text am Sonntag in
Koblenz. In seiner Gastpredigt in der Pfaffendorfer Kirche
unterstrich er, dass die Gemeinschaft einer Gemeinde
stets auch eine Offenheit für neue, andere Menschen
und für Menschen, »die uns erst mal fremd sind«, haben
müsse. Gerade weil vielen Menschen Religion und Glaube
hierzulande heute nicht mehr so wichtig seien, sollten
Gemeinden Menschen in Offenheit und mit Interesse
begegnen, unabhängig von Bildung und Frömmigkeit.
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Gottesdienst im Kurtheater zum Reformationsjubiläum
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Lippischer Landessuperintendent: Jubiläum keine Konfrontation mit katholischer Kirche
Lemgo (epd). Die Lippische Landeskirche will das Reformationsjubiläum am 30. Oktober 2016 mit einem
Gottesdienst im Kurtheater Bad Salzuflen eröffnen. Unter
dem Motto »gemeinsam frei - Lippe feiert 500 Jahre
Reformation« stehen bis zum Abschluss des Reformationsjahres am 31. Oktober 2017 besondere Gottesdienste,
musikalische Veranstaltungen und Ausstellungen auf dem
Programm, wie der Landessuperintendent der Lippischen
Landeskirche, Dietmar Arends, am Samstag in Lemgo
ankündigte.
Die Lippische Landeskirche beteiligt sich zudem an
dem »Europäischen Stationenweg« der Evangelischen
Kirche in Deutschland (EKD). In Deutschland macht er
nach aktuellem Stand in 13 Bundesländern und allen 20
Landeskirchen Station. Den Abschluss des Reformationsjahres am 31. Oktober 2017 bilden in der Lippischen
Landeskirche Gottesdienste in den Kirchengemeinden.
Zum Jubiläumsjahr wurde auf der Lippischen Landessynode das offizielle Logo der Lippischen Landeskirche für
das Reformationsjahr vorgestellt.
Die Reformationsfeiern seien keine Auseinandersetzung mit der heutigen katholischen Kirche, unterstrich
Arends. Das Jubiläum beziehe sich auf die historische
Situation im Jahr 1517. Im vergangenen Jahrzehnt sei
man mit der katholischen Kirche ein ganzes Stück gemeinsam gegangen. Daher sei auch die katholische Kirche
am Jubiläumsprogramm beteiligt. Die Reformation sei
für evangelische Christen ein Grund zum Feiern, sagte
Arends. Zugleich sollten jedoch auch der Trennung der
Kirchen und Kriege als Folge der Reformation gedacht
werden.
Auf einem ökumenischen Pilgerweg unter dem Titel
»Healing of Memories« sollen auch Themen wie »konfessionsverschiedene Ehen« behandelt werden, wie der
Theologische Kirchenrat Tobias Treseler erklärte. Die
evangelische Kirche erinnert mit dem Jubiläumsjahr an
den 500. Jahrestag des Thesenanschlags Martin Luthers
im Jahr 1517 an der Schlosskirche in Wittenberg. Das
Ereignis gilt als Beginn der Reformation.
Lippischer Landessuperintendent:
Die Lippische Landessynode hatte im Jahr 2012
beschlossen, eine Debatte über die weitere Selbstständigkeit zu führen. Über den Diskussionsstand sollte jedes
Jahr auf der Synode Bericht erstattet werden. Nach der
Wahl zum neuen Landessuperintendenten hatte Arends
Landeskirche will weitere
Selbstständigkeit prüfen
Lemgo (epd). Der Landessuperintendent der Lippischen
Landeskirche, Dietmar Arends, hat angekündigt, die Debatte über die weitere Selbstständigkeit der Landeskirche
bald fortzuführen. Auf einer Klausurtagung im August
werde der Landeskirchenrat über eine Struktur des Diskussionsprozesses beraten, erklärte Arends am Freitag
vor der Lippischen Landessynode in Lemgo. Ein Vorschlag
solle voraussichtlich auf der Synode im Herbst vorgelegt
werden.
»Es kann nicht um eine isolierte Frage ’Selbstständigkeit oder Fusion’ gehen«, sagte Arends. Zunächst müsse
geklärt werden, wie sich die Lippische Landeskirche inhaltlich aufstelle. Danach könne die Frage beantwortet
werden, welche Struktur dafür geeignet sei.
im vergangenen Jahr um eine Aussetzung gebeten, um
sich zunächst in die neuen Aufgaben einzuarbeiten. Die
Lippische Landeskirche ist mit rund 168.000 Mitgliedern
die drittkleinste der 20 evangelischen Landeskirchen in
Deutschland.
Die diesjährige Sommersynode der Lippischen Landeskirche traf die Entscheidung, mehr Prädikanten auszubilden. Ehrenamtliche Prädikanten können in Gottesdiensten predigen, taufen und die Abendmahlsfeier leiten.
Die künftige Ausbildung soll in Zusammenarbeit mit der
Evangelischen Kirche von Westfalen angeboten werden.
Zudem soll es in Lippe laut einem Synodenbeschluss künftig möglich sein, Diakone in Kirchengemeinden einsegnen
zu lassen.
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Lippische Kirche stärkt Hilfen für Flüchtlinge
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Experte: Aufnahmestellen sind überlastet
Lemgo (epd). Die Lippische Landeskirche weitet ihre
Hilfen für Flüchtlinge aus. Für Beratungs- und Hilfsangebote stellt die Landeskirche im kommenden Jahr weitere
50.000 Euro zur Verfügung, wie die Lippische Landessynode am Freitag in Lemgo beschloss. Die Arbeit mit
Geflüchteten soll einer der Schwerpunkte der Lippischen
Landeskirche sein. Für die Flüchtlingsbetreuung mahnte
der Experte der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe, Dietrich Eckeberg, ein stärkeres Denken von den Flüchtlingen
her an.
Mit den Sondermitteln fördert die Landeskirche die
Asylberatung an zwei Standorten im Kreis Lippe. Auch die
Asylverfahrensberatungen in den Erstaufnahmeeinrichtungen will die Lippische Landeskirche weiter fortführen.
Für das laufende Jahr hatte die Lippische Landeskirche
bereits Ende des vergangenen Jahres das Budget für die
kirchliche Flüchtlingsarbeit aufgestockt und zudem einen
Sonderfonds von 50.000 Euro eingerichtet.
Der Flüchtlingsexperte der Diakonie RheinlandWestfalen-Lippe, Dietrich Eckeberg, unterstrich die Bedeutung des kirchlichen Engagements für Flüchtlinge. Er
forderte Kirchengemeinden auf, ankommende Flüchtlinge
stärker in ihre Mitte zu nehmen. Das Engagement könne bis
zum Kirchenasyl gehen. Zudem regte der Diakonie-Experte
den Aufbau einer eigenen kirchlichen Flüchtlingsarbeit an.
Ehrenamtliche könnten Asylsuchende begleiten. Wichtig
sei auch die Lobby-Arbeit in der Öffentlichkeit.
Die Erstunterkünfte seien auf die steigenden Flüchtlingszahlen nicht vorbereitet, sagte Eckeberg weiter. Viele
stünden kurz vor dem Zusammenbruch. Oftmals gebe es
vor Ort auch kein klares Konzept zur Aufnahme. Allein
für NRW sei in diesem Jahr mit einer Verdoppelung der
Flüchtlingen in den Aufnahmeeinrichtungen zu rechnen.
Im vergangenen Jahre waren es rund 44.000. Eckeberg
mahnte auch auf europäischer Ebene ein Umsteuern in
der Flüchtlingspolitik an. So werde bislang viel Geld in
die Abwehr von Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen
investiert. Grundlagen für eine erlaubte Einreise fehlten
jedoch, kritisierte der Diakonie-Experte.
Die Lippische Landeskirche forderte auf europäischer Ebene eine verstärkte Seenotrettung sowie sichere
Zugänge für Flüchtlinge. Dafür sollten auch der Erhalt
von Visa und die Asylverfahren erleichtert werden. Das
Kirchenparlamente sprach sich zudem gegen militärische
Maßnahmen der Flüchtlingsabwehr aus. Innerhalb der
Lippischen Landeskirche sollen Gemeinden und Einrichtungen ermutigt werden, im kirchlichen Leben Kontakte
mit christlichen Flüchtlingen auszubauen. Auch der Oberkirchenrat Detlef Görrig von der Evangelischen Kirche
in Deutschland (EKD) mahnte in seinem Grußwort legale Einreisewege für Flüchtlinge an. (siehe auch Rubrik
»Flüchtlinge« von Seite 17 bis 22)
Rekowski ruft Gemeinden zu Einsatz für Flüchtlinge auf
Düsseldorf (epd). Der Präses der Evangelischen Kirche im
Rheinland, Manfred Rekowski, hat die Kirchenkreise und
Gemeinden zu deutlichem Engagement für Flüchtlinge
aufgerufen. »Unsere Kirche versteht sich als Anwalt derer,
die auf der Flucht sind und Zuflucht suchen«, schreibt
der Präses am Donnerstag in Düsseldorf anlässlich des
Weltflüchtlingstags am 20. Juni in einem Brief an die
Gemeinden. Er forderte die rheinischen Christen dazu auf,
die Situation der Flüchtlinge und den Handlungsbedarf
in der Flüchtlingspolitik »sichtbar zu machen«.
Rekowski appellierte an die Kirchenkreise und Gemeinden, die bestehende internationale Zusammenarbeit
in der Flüchtlingsarbeit weiterzuentwickeln, »damit die
Stimme der Kirchen in dieser Frage in Europa Gehör findet
und Gewicht bekommt«. Es müsse der rheinischen Kirche
darum gehen, Lobbyarbeit für Menschen zu machen, die
auf der Flucht sind oder unter den Folgen von Flucht
leiden.
Am Vorabend des Weltflüchtlingstags findet den
Angaben zufolge in Köln ein Solidaritätsabend für Asylsuchende statt. Gemeinsam mit Erzbischof Rainer Maria
Woelki soll der rheinische Vizepräses Christoph Pistorius
die Feier auf dem Platz am Kölner Dom gestalten.
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Bedford-Strohm: G-7 haben deutliche Zeichen gesetzt
Garmisch-Partenkirchen (epd). Der Ratsvorsitzende der
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich
Bedford-Strohm, ist von den Ergebnissen des G-7-Gipfels
»freudig überrascht«. In einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte Bedford-Strohm am 8.
Juni: »Vor allem beim Klimaschutz haben die Staats- und
Regierungschefs deutliche Zeichen gesetzt.« Die Bekräftigung des sogenannten Zwei-Grad-Ziels und die deutliche
Senkung der weltweiten CO2-Emissionen seien »wichtige
Weichenstellungen«.
Konkret bedeuten die beiden Ziele: Die Erderwärmung soll auf maximal zwei Grad begrenzt werden. Die
weltweiten CO2-Emissionen sollen bis zum Jahr 2050 um
40 bis 70 Prozent zurückgehen. Bedford-Strohm, der auch
bayerischer Landesbischof ist, sagte weiter, entscheidend
sei nun, dass den Worten auch Taten folgen und die
Klimaziele bei der UN-Klimakonferenz in Paris Ende des
Jahres offensiv angegangen werden: »Die Grundlagen sind
jetzt gelegt.«
Ein wichtiger Schritt sei auch, dass die G-7-Staaten bis
zum Jahr 2030 rund 500 Millionen Menschen von Hunger
befreien wollen, sagte Bedford-Strohm. Dafür brauche es
aber verbindliche und nachprüfbare Zusagen. Dazu gehöre
auch, dass die Entwicklungshilfe endlich auf die vor Jahren vereinbarten 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
erhöht werde.
Eine gute Klimapolitik und die Überwindung der Armut
seien die besten Maßnahmen, um die Flüchtlingsproblematik in den Griff zu bekommen, sagte der EKD-Ratschef.
Wenn die Fluchtgründe beseitigt würden, müssten die
Menschen ihre Heimatländer nicht verlassen. »Nur so wird
sich die weltweite Flüchtlingskatastrophe entspannen.«
Die Gruppe der G-7 beschloss bei ihrem Spitzentreffen auf Schloss Elmau auch, das transatlantische
Handelsabkommen TTIP bis Ende des Jahres voranzutreiben. Eine Zielsetzung, die Bedford-Strohm durchaus
kritisch sieht: »Die Frage, ob TTIP zu befürworten ist,
hängt aus christlicher Sicht davon ab, ob es den Armen
hilft.«
Handelspolitik müsse auch humanitär sein und dürfe
nie ausschließlich von den Interessen der beteiligten Länder geleitet werden, mahnte der Bischof. Es habe keinen
Sinn, durch eine falsche Handelspolitik die die Überwindung von Armut zu verhindern und dann versuchen zu
wollen, dies dann nachträglich mit Entwicklungshilfe zu
reparieren.
epd-Gespräch: Christiane Ried
Klimakonferenz
Bereits derzeit sei deutlich, dass ärmere und schwächere Menschen die Hauptlast der Folgen des Klimawan-
Pilger fordern Klimagerechtigkeit
Hannover (epd). Mit einem Pilgerweg zur Weltklimakonferenz in Paris wollen Kirchen, Entwicklungsdienste,
Missionswerke und andere kirchliche Verbände mehr
Klimagerechtigkeit und Solidarität mit armen Menschen
in Entwicklungsländern fordern. Unter dem Motto »Geht
doch!« wollen die Pilger am 13. September in Flensburg
starten und am 27. November Paris erreichen, wie die
Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) am 10. Juni
mitteilte. Der UN-Klima-Gipfel findet vom 30. November
bis zum 11. Dezember statt.
Klimaschutz und globale Gerechtigkeit »gehören
eng zusammen«, sagte EKD-Ratsvorsitzender Heinrich
Bedford-Strohm. Der katholische Erzbischof von Bamberg,
Ludwig Schick, ergänzte, gemeinsames Pilgern biete die
Möglichkeit, »spirituelle Besinnung mit politischem Engagement zu verbinden«. Beide Bischöfe sind Schirmherren
der Aktion.
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dels tragen müssten, und nicht diejenigen, die durch die
Emission von Treibhausgasen am stärksten zum Klimawandel beigetragen hätten, schreiben die Veranstalter.
Auf dem Pilgerweg über Hamburg, Bremen, Dortmund,
Remagen, Perl und Montmirail kann jeder mitgehen, der
Tagesetappen von 20 bis 25 Kilometern bewältigen kann,
einzelne oder mehrere Tage oder auch die ganze Strecke.
Kirchengemeinden und andere Gruppen werden den
Angaben zufolge einfache Schlafgelegenheiten zur Verfügung stellen, insgesamt sollen die Pilger auf dem Weg ein
Leben »mit begrenzten natürlichen Ressourcen« führen.
Anmeldungen unter www.klimapilgern.de sind ab sofort
möglich. Unterwegs wollen die Pilger Kommunen und
Projekte besuchen, die bereits klimafreundlich leben.
Zudem wollen sie Orte besichtigen, an denen mit Blick
auf das Klima noch viel zu tun ist. Dazu gehören Kohlekraftwerke. Die Teilnehmer es G-7-Gipfels haben gerade
einen schrittweisen Ausstieg aus der Kohle angekündigt.
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Rekowski und Schad für offene Debatte über Homo-Ehe
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Kramp-Karrenbauer verteidigt umstrittene Äußerungen
Saarbrücken (epd). Nach den umstrittenen Äußerungen
der saarländischen Ministerpräsidentin Annegret KrampKarrenbauer (CDU) zur Homo-Ehe haben sich evangelische
Kirchenvertreter für eine offene Debatte über das Thema
ausgesprochen. Es sei wichtig, dass nicht mit einer
Schere im Kopf diskutiert werde, erklärte der rheinische
Präses Manfred Rekowski am 9. Juni in Saarbrücken.
Für den pfälzischen Kirchenpräsidenten Christian Schad
geht es um eine offene Diskussion, bei der fair mit den
unterschiedlichen Positionen umgegangen werden sollte.
Gleichzeitig betonte Rekowski, dass er es unterstütze,
wenn die Werte der Ehe wie Verantwortung, Liebe und
Treue auch in anderen Lebensformen »in Serie gehen«. In
der Evangelischen Kirche im Rheinland würden homosexuelle Partnerschaften pragmatisch und unaufgeregt gelebt.
Denn die Diskussion um gleichgeschlechtliche Paare habe
dort vor 15 Jahre begonnen, sagte der rheinische Präses.
Durch das Referendum in Irland seien vor allem politische
und rechtliche Fragen aufgekommen.
Die saarländische Ministerpräsidentin KrampKarrenbauer erklärte, dass die saarländische Landesregierung sich bei der Abstimmung im Bundesrat zur
Gleichbehandlung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft enthalten werde. Bei ihrer umstrittenen Aussage
sei es ihr vor allem um die rechtliche Dimension des
Begriffs »Ehe« gegangen. Zwischen der Ehe und der
gleichgeschlechtlichen Partnerschaft bleibe ein Dissens,
betonte die CDU-Politikerin.
Dem stimmte auch der pfälzische Kirchenpräsident
Schad zu. Eine Ehe bestehe aus einem Mann und einer
Frau und zeichne sich dadurch aus, dass das Paar prinzipiell auf natürlichem Weg Kinder bekommen könne. Bei
der eingetragenen Lebenspartnerschaft zwischen zwei
Männern oder Frauen sei dies nicht möglich. Dieser
Unterschied bleibe und sei keine unterschiedliche Wertung der Lebensformen, sagte der Kirchenpräsident der
Evangelischen Kirche der Pfalz.
EKD-Friedensbeauftragter:
In der Stuttgarter Friedenskirchengemeinde hatten
rund 40 Friedensgruppen ein eigenes »Zentrum Frieden«
mit mehr als 60 Veranstaltungen organisiert. Allerdings
wurde dieses Zentrum nicht im offiziellen Kirchentagsprogramm erwähnt. Brahms dankte den Verantwortlichen
des Zentrums. Es sei wichtig, »gelingenden Beispielen von
gewaltfreien Konfliktlösungen einen prominenten Ort auf
dem Kirchentag einzuräumen«.
An dem Christentreffen in der badenwürttembergischen Landeshauptstadt hatten sich rund
97.000 Dauerteilnehmer beteiligt. Der nächste Kirchentag wird 2017 zum 500-jährigen Reformationsjubiläum in
Berlin und Wittenberg gefeiert.
Thema Frieden kam auf Kirchentag
zu kurz
Bremen/Bonn (epd). Das Thema Frieden ist nach Ansicht
des evangelischen Friedensbeauftragten Renke Brahms
auf dem zurückliegenden Evangelischen Kirchentag in
Stuttgart zu kurz gekommen. »Die Stimme der Pazifisten
und Querdenker in Sachen Frieden darf nicht an den
Rand gedrängt werden«, mahnte der Beauftragte der
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am 9. Juni in
Bremen.
Er bedauere sehr, dass das »Zentrum Frieden« nicht
in das Hauptprogramm aufgenommen worden sei. »Das
müssen wir im Vorfeld des nächsten Kirchentages gemeinsam besser machen.« Der Kirchentag endete am Sonntag
mit einem zentralen Gottesdienst.
Brahms kündigte Gespräche mit der Kirchentagsleitung für den Herbst an. Dabei gehe es nicht um
Schuldzuweisungen. Es müsse jedoch deutlich werden,
dass »das Thema Frieden künftig wieder eine zentrale
Rolle bei den Kirchentagen spielt«. Brahms ist auch theologischer Repräsentant der Bremischen Evangelischen
Kirche.
Ökumene
Friedensgebet für verfolgte
Christen
Münster (epd). In Münster findet ein Ökumenisches
Friedensgebet für verfolgte Christen weltweit statt. Am
19. Juni laden der Evangelische Kirchenkreis Münster
und das katholische Stadtdekanat in den St. Paulus-Dom
ein, wie das Bistum Münster am Freitag ankündigte.
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Angesprochen seien alle Menschen, denen das friedliche
Miteinander der Kulturen und Religionen ein Anliegen ist.
Das Christentum sei auch heute noch die am meisten
verfolgte Religion der Welt, erklärten die Organisatoren. In
64 Staaten der Erde erlebten Christen eine eingeschränkte
oder keine Religionsfreiheit. Viele von ihnen würden
wegen ihres Glaubens systematisch verfolgt, gefoltert und
getötet, hieß es. In den vergangenen Monaten habe sich
die Situation noch zugespitzt.
Personalien
Paderborner Superintendentin geht
in Ruhestand
Paderborn (epd). Die Superintendentin des Evangelischen
Kirchenkreises Paderborn, Anke Schröder, geht zum 31.
Dezember in den Ruhestand. Das gab die Theologin, die
seit 2004 den Kirchenkreis leitet, auf der Kreissynode
am Freitag in Bad Driburg bekannt. Schröder (Jahrgang
1957) nutzt eine bis Ende des Jahres geltende Regelung
der Evangelischen Kirche von Westfalen, nach der Theologinnen und Theologen den vorzeitigen Ruhestand im Alter
von 58 Jahren beantragen können, wie der Kirchenkreis
erklärte. Auf der nächsten Kreissynode am 27. November
in Paderborn soll eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger
gewählt werden.
Schröder zog eine Bilanz ihrer Amtszeit. »Wir haben
gemeinsam viel auf den Weg gebracht, aber auch viele Belastungen tragen müssen«, sagte die Superintendentin mit
Blick auf finanziell schwierige Zeiten mit Sparbeschlüsse
für Kirchenkreis und Gemeinden (2005), Entwicklung von
neuen Konzeptionen für Kirchengemeinden und Kirchenkreis (2006 bis 2008) oder die geplante Zusammenlegung
der Verwaltung mit den Nachbar-Kirchenkreisen Gütersloh und Halle. »Der Kirchenkreis ist weiter in Bewegung.
Ich finde, wir können stolz darauf sein, dass wir dies alles
mit vereinten Kräften geschafft haben«, bedankte sich
Schröder bei den Synodalen.
Die Kreissynode stimmte zudem über zwei Vorhaben
der westfälischen Landeskirche ab: So befürwortete sie,
dass das Wahlalter im Presbyterwahlgesetz von 16 auf
14 Jahre gesenkt werden soll. Für die Wahlberechtigung
soll ihrer Auffassung nach die Zulassung zum Abendmahl
Voraussetzung bleiben. Dem Lehrplanentwurf für den
kirchlichen Unterricht (Konfirmandenarbeit), der vier
Jahre in den Gemeinden erprobt werden konnte, stimmte
die Synode ebenfalls zu.
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Kirchenkreis Münster
AUSLAND
KIRCHEN
Neue Stelle für Flüchtlingsarbeit
zum 1. Juli
Senden (epd). Im Evangelischen Kirchenkreis Münster
wird zum 1. Juli eine neue Stelle für Flüchtlingsarbeit
eingerichtet. Die Stelle sei im Jugend- und Bildungswerk
des Kirchenkreises angesiedelt, wurde auf der jüngsten
Kreissynode in Senden mitgeteilt. Die Beratungsstelle
wird den Angaben nach in besonderer Weise auf Integrationsprojekte und Begleitung Ehrenamtlicher ausgerichtet
sein.
Die Kreissynode legte zudem die Finanzplanung von
2016 bis 2018 fest. Die etwa 90 stimmberechtigten Synodenmitglieder beschlossen, eine jährliche Verteilsumme
von 10,8 Millionen Euro und damit eine leichte Steigerung gegenüber den Vorjahren. Die Kirchengemeinden,
Einrichtungen und gemeinsamen Dienste könnten damit
in den kommenden Jahren mit ähnlichen finanziellen
Spielräumen planen wie bisher, erklärte der Kirchenkreis.
Darüber hinaus erteilte die Kreissynode einen Prüfauftrag über die Möglichkeit einer Zusammenlegung der
Verwaltungen mit den Kirchenkreisen Tecklenburg und
Steinfurt-Coesfeld-Borken. Eine erste Analyse in den
beiden Nachbarkirchenkreisen hatte bereits positive Ergebnisse hinsichtlich zu erwartender Synergien ergeben,
wie es hieß. Mit der Ausarbeitung wurde eine aus allen drei
Kirchenkreisen paritätisch besetzte Arbeitsgruppe beauftragt, deren Bericht bei der nächsten Synode vorgestellt
werden soll.
epd-West kat
Kirchenkreis Wuppertal
Gelder für Flüchtlingsberatung
aufgestockt
Wuppertal (epd). Die Synodalen des Kirchenkreises Wuppertal haben auf ihrer Frühjahrstagung einstimmig eine
Aufstockung der Flüchtlingsberatungsstelle des Diakonischen Werks beschlossen. Zur mittelfristigen Sicherung
der Arbeit werde eine auf drei Jahre befristete kreiskirchliche Sonderumlage in Höhe von 100.000 Euro eingerichtet,
teilte der Kirchenkreis mit. Für die kommenden drei Jahre
werde die Beratungsstelle um eine ganze Stelle aufgestockt.
Der Kirchenkreis appelliert zudem an die Stadt Wuppertal, zeitnah für ein gemeinsames Finanzierungsmodell
von Stadt, Diakonie, Kirchengemeinden und weiteren
Akteuren für den Erhalt des Sozialcafés Fambiente im
epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015
Seite _9
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FLÜCHTLINGE
GESELLSCHAFT
Stadtteil Vohwinkel Sorge zu tragen. Zurzeit wären dafür
55.000 Euro erforderlich.
Bis zur Herbstsynode sollen zudem die gegenwärtigen Arbeitsfelder der Diakonie in Wuppertal überprüft
werden. Dies bedeute eine Überprüfung, welche Felder
weiterentwickelt und welche reduziert werden können,
hieß es. Auf der Basis einer vom Verwaltungsrat in Gesprächen mit Mitarbeitern formulierten Grundlage wurden
bereits die Bereiche der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe sowie Leben im Alter und Soziale Teilhabe mit den
Querschnittsthemen »Evangelisches Profil«, »Inklusion«
und Gemeinwesenorientierung konfrontiert.
Kreissynode Gütersloh
Erzieherinnen-Protest
und neue Pfarrstellen in
Krankenhausselsorge
Gütersloh (epd). Der Evangelische Kirchenkreis Gütersloh
hat auf die schwierigen Arbeitsbedingungen in Kindertagesstätten hingewiesen. Die Kreissynodalen wandte
sich auf ihrer Tagung am Samstag in Gütersloh mit der
Bitte an die westfälische Landeskirche, sich beim Land
Nordrhein-Westfalen für bessere Rahmenbedingungen
im Kinderbildungsgesetz (KiBiz) einzusetzen, wie der Kirchenkreis mitteilte. Die Synodalen reagierten damit auf
einen Protest von 150 Erzieherinnen und Erzieher evangelischer Kindertagesstätten. Auf der Kreissynode wiesen
sie mit Sprechchören und auf Plakaten daraufhin hin,
dass seit Einführung des KiBiz 2008 ständig wechselnde
Vorgaben und gestiegene Qualifizierungsansprüche bei
gleichzeitiger knappe Personalausstattung die Kita-Teams
belasteten. Der Arbeitsbereich sei chronisch unterfinanziert, beklagten sie.
Die Kreissynode beschloss zudem die Einrichtung
von zwei übergemeindlichen Pfarrstellen in der Krankenhausseelsorge: eine am Städtischen Klinikum und am St.
Elisabeth Hospital Gütersloh mit 100 Prozent Dienstumfang sowie eine weitere am Städtischen Klinikum Bielefeld
(Rosenhöhe) mit 50 Prozent Dienstumfang. Ebenfalls
wurde die Schaffung einer festen Stelle in der kreiskirchlichen Öffentlichkeitsarbeit beschlossen. Bislang wird
die Aufgabe von einer Pfarrerin im Entsendungsdienst/
Probedienst geleistet.
SOZIALES
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Kirchenkreis An Sieg und Rhein
AUSLAND
KIRCHEN
Kreissynode prüft Formen der KitaTrägerschaft
Herchen (epd). Die Synodalen des Kirchenkreises an Sieg
und Rhein haben auf ihrer Frühjahrssynode in Herchen
eine Prüfung verschiedener Trägerschaftsmodelle der
Kita-Arbeit beschlossen. Es sollen die Gründung eines Verbandes, einer GmbH und die kreiskirchliche Trägerschaft
über das Diakonische Werk geprüft und weiterentwickelt
werden, teilte der Kirchenkreis am Sonntag mit. Bisher
liegt die Trägerschaft der 19 Kindertagesstätten mit rund
1.000 Kindern und 150 Mitarbeitern bei den einzelnen Gemeinden. Durch Verwaltung und Management an zentraler
Stelle durch einen gemeinsamen Träger sollen Kosten
gesenkt werden. Allerdings seien die Bedürfnisse und Erwartungen an die Kita-Arbeit in den einzelnen Gemeinden
sehr unterschiedlich, hieß es.
Im Bereich der Kirchenkreiskonzeption gab es grünes
Licht für die Einführung von Schwerpunktthemen, um das
Ekasur-Profil zu schärfen. Die Presbyterien der 33 Gemeinden des Kirchenkreises werden in den kommenden
Monaten darüber beraten, ob sie die vorgeschlagenen
diakonischen Schwerpunkte »Migration, Flucht und Zusammenleben« und »Inklusion« vorrangig auf ihre Agenda
setzen oder durch alternative Vorschläge ergänzen möchten. Die aktualisierte Kirchenkreiskonzeption soll von
2016 bis 2020 gelten.
Kirchliche Jugendverbände
Luftballonaktion gegen
Kinderarbeit
Düsseldorf/Hannover (epd). Die evangelischen und
katholischen Jugendverbände in Deutschland haben eine
Mitmachaktion gegen Kinderarbeit ins Leben gerufen.
Unter dem Slogan »Uns geht die Luft nicht aus« sind
Jugendliche dazu aufgerufen, ein Foto von sich und
einem Luftballon zu veröffentlichen, wie der Bund der
Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) zum Welttag
gegen Kinderarbeit am Freitag in Düsseldorf mitteilte.
Anlass für die Aktion ist das Vorhaben der Internationalen
Arbeitsorganisation (ILO), bis zum Jahr 2016 ein weltweites
Ende der Kinderarbeit zu erreichen.
Wer mitmachen will, kann sein Luftballon-Foto bis
Juni 2016 auf Facebook, Instagram oder Twitter teilen,
hieß es. Daraus soll eine Collage erstellt und an Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) übergeben
werden. Nahles’ Ministerium wird Deutschland 2017 beim
nächsten Treffen der ILO vertreten.
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Kirchen gegen gemeinsame Bestattung von Mensch und Tier
Darmstadt/Kassel (epd). Die beiden evangelischen Landeskirchen in Hessen lehnen kirchliche Bestattungen
von Menschen und Tieren in gemeinsamen Gräbern ab.
»Das wären für mich Grenzüberschreitungen«, sagte der
Sprecher der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau,
Volker Rahn, am 10. Juni in Darmstadt. Bei einer Ausweitung der kirchlichen Bestattung auf Tiere »würde der
Unterschied zwischen Mensch und Tier zum Nachteil der
ohnehin durch die Ökonomisierung unserer Bestattungskultur gefährdeten Menschenwürde verwischt«, sagte Lutz
Friedrichs von der Evangelischen Kirche von KurhessenWaldeck in Kassel.
Bei der Trauerfeier drohten »tiefgreifende theologische Probleme«, sagte Rahn. Denn die Beisetzung sei
ein religiöser Akt, der eng mit der Taufe am Anfang des
Lebens verbunden sei. Beides seien Übergangsriten, die
aus christlicher Sicht mit der Hoffnung auf ein ewiges
Leben bei Gott verknüpft werden. Bei der christlichen
Feier würde sich dann unweigerlich die Frage stellen, ob
das Tier auch einen Glauben hat. »Das möchte ich bei
aller Wert- und Hochschätzung für die Tiere dann doch
bezweifeln«, ergänzte Rahn.
Ohne Zweifel hätten Tiere in christlicher Sicht einen
besonderen Wert, den es mehr denn je zu achten gelte,
sagte Friedrichs. Nachvollziehbar sei auch das Empfinden,
sie hätten eine Seele. Davon aber sei die Würde des
Menschen zu unterscheiden. Sie komme in der christlichen
Bestattung insofern zum Ausdruck, als die Toten nicht
einfach »Tote« seien, sondern »Tote in Christus«.
Die christliche Hoffnung über den Tod hinaus wurzele
in der Person und dem Geschick Jesu und meine nicht nur
die Fortdauer einer Seele, sondern die Verwandlung des
ganzen Menschen zu einem neuen Leben, sagte Friedrichs.
Es sei aber selbstverständlich möglich, Menschen bei der
Trauer um ein geliebtes Haustier seelsorglich zu begleiten
und dafür angemessene Formen zu finden.
Am Dienstag hatte das Familienunternehmen »Deutsche Friedhofsgesellschaft« in Braubach bei Koblenz
einen Friedhof eröffnet, auf dem Mensch und Tier in
einem gemeinsamen Urnengrab bestattet werden können.
Am Mittwoch öffnete das Unternehmen einen solchen
Friedhof in Essen. Weitere Standorte sind in Planung.
Kirchenkreis Minden
die Kreissynode, in den kommenden drei Jahren das
Kirchenkreis-Budget um bis zu etwa drei Prozent zu überziehen. Die Zuweisung an die Kirchengemeinden bleibt
Prioritätendiskussion auf
Kreissynode
Minden (epd). Der Evangelische Kirchenkreis Minden
hat sich für eine Änderung des Presbyterwahlrechts
ausgesprochen. Auf der jüngsten Kreissynode in Minden
stimmten die anwesenden stimmberechtigten Delegierten
einem Vorschlag der westfälischen Landeskirche zu, das
Mindestalter für die Beteiligung von 16 auf 14 Jahre
herabzusetzen, wie der Kirchenkreis mitteilte. Außerdem
soll die Zulassung zum Abendmahl als Voraussetzung
für die Teilnahme an der Presbyteriumswahl abgeschafft
werden.
Aufgrund gestiegener Kosten in den 26 kirchlichen
Arbeitsfeldern diskutierten die Synodalen hauptsächlich
darüber, nach welchen Prioritäten der Kirchenkreis künftig arbeiten soll, wie es hieß. Um unverzichtbare Arbeit
wie Krankenhausseelsorge, Jugendarbeit und die zurzeit wichtige Flüchtlingsberatung zu sichern, beschloss
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unangetastet. Die Mehrkosten werden den Angaben nach
durch Rücklagen ausgeglichen, die aufgrund der guten
konjunkturellen Entwicklung in den vergangenen Jahren
aufgebaut werden konnten.
Die Überlegungen, die Kirchenkreise Minden und
Lübbecke zusammenzulegen, werden vorerst lediglich in
der bestehenden Kooperation der Personalabteilungen
fortgeführt. Bevor die Zusammenarbeit erweitert wird,
soll abgewartet werden, welche Erfahrungen die Kirchenkreise Paderborn, Halle und Gütersloh mit der von ihnen
geplanten gemeinsamen Verwaltung sammeln, wie es
hieß.
Im Kirchenkreis Minden steht eine Gemeinde-Fusion
von Hartum und Holzhausen-Nordhemmern an: Ab 1. September wird aus ihnen die Gemeinde Hartum-Holzhausen
mit dann insgesamt zwei statt bislang zweieinhalb Pfarrstellen.
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»Klagen der Energieversorger belasten Kommissionsarbeit«
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Landesbischof Meister zieht Zwischenbilanz der Arbeit in Endlager-Kommission
Hannover/Loccum (epd). Die
Klagen der Atomkraftwerksbetreiber gegen das Standortauswahlgesetz belasten nach Ansicht des hannoverschen Landesbischofs Ralf Meister die
Arbeit der vom Bundestag eingesetzten Endlagerkommission.
Gleichzeitig biete die öffentliRalf Meister
epd-bild / Schulze
che Arbeit der Kommission aber
eine Plattform, um über diese
Klagen zu diskutieren, sagte Meister im Gespräch mit
dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Der Theologe vertritt die Evangelische Kirche in
Deutschland in dem Gremium mit 33 Mitgliedern, das die
bundesweite Suche nach einem Endlager bis Ende 2016
vorbereiten soll. Am Wochenende beschäftigte sich eine
Tagung an der Evangelischen Akademie Loccum mit der
Arbeit der Kommission, die seit einem Jahr aktiv ist. Einige
der Mitglieder sind als Referenten eingeladen.
Die Endlagerkommission habe eine Arbeitsgruppe
eingerichtet, in der die Energieunternehmen Hintergrund
und Absicht ihrer Klagen offen legen und so in das öffentliche Protokoll »mit einspeisen« sollten, sagte Meister:
»Das ist ein wichtiger Fortschritt.« Die AKW-Betreiber
wollen mit ihren Klagen eine Kostenentlastung bei der
künftigen Endlagersuche erreichen. Sie verweisen darauf,
dass sie bereits rund 1,6 Milliarden in die Erkundung des
Salzstocks Gorleben investiert haben.
Zugleich zeigte sich Meister mit der bisherigen Arbeit
der Endlager-Kommission zufrieden. Zwar wäre »ein zügigerer Start wünschenswert« gewesen. Doch nun stecke die
Kommission mitten in der Arbeit, alle Sitzungen und fast
alle Dokumente der Anhörungen sowie alle Beschlüsse
ständen auf der Homepage. Leitbegriffe wie Transparenz,
Konsens und Beteiligung der Öffentlichkeit seien auf
ihre Substanz überprüft, wissenschaftliche Fragen durch
Anhörungen aktualisiert worden.
Der Bischof sprach sich dafür aus, dass eine umfassende Atommüll-Bilanz erstellt wird. Die für Deutschland
erhobenen und dokumentierten atomaren Hinterlassenschaften gehörten in eine vollständige und stetig zu
aktualisierende zentrale Datenbank. Vorhandener und in
Zukunft anfallender Atommüll müsse vollständig und klar
bilanziert werden: »Eine solche Datenbank gehört in die
öffentliche Hand.«
Mit Blick auf das im Bau befindliche Endlager Schacht
Konrad in Salzgitter für schwach und mittelradioaktive Abfälle regte Meister eine Neubewertung der zwischen 1975
und 1982 vorgenommenen Analysen und Prüfungen des
Standortes an. Konrad sei zwar genehmigt, »aber dieser
Umstand darf zu keiner Phase als formal-juristisches Argument gegen besseres Wissen ins Feld geführt werden«.
Wenn Zweifel an der Eignung des Endlagers bestünden,
stelle sich die Frage nach einem zusätzlichen Einlagerungsvolumen nicht mehr. Zuletzt hatten Überlegungen
der Bundesregierung in Salzgitter für Unruhe gesorgt, die
Menge der in Konrad einzulagernden Abfälle zu verdoppeln.
Von Reimar Paul (epd)
Rheinland-Pfalz
die europäische Grundrechte-Charta. Die Zahlungspflicht
sei nicht zu rechtfertigen, weil Mitglieder der römisch-
Ehepaar klagt gegen Kirchensteuer
Koblenz (epd). Ein Ehepaar aus Rheinland-Pfalz hat einen
neuen Anlauf unternommen, gerichtlich gegen die Kirchensteuer vorzugehen. Die katholischen Eheleute reichten
gegen ihren Steuerbescheid Klage vor dem Verwaltungsgericht Koblenz ein, wie ein Gerichtssprecher am 9. Juni
dem Evangelischen Pressedienst (epd) bestätigte (AZ: 5
K 1028/14.KO). Im Einzug der Kirchensteuer durch das
Finanzamt sehen die beiden einen Verstoß gegen die
im Grundgesetz garantierte Religionsfreiheit und gegen
katholischen Kirche in anderen europäischen Staaten
keine Steuern zahlen müssten.
Über den Rechtsstreit soll am 10. Juli verhandelt
werden. Klagen gegen die Kirchensteuer beschäftigten in
der Vergangenheit bereits mehrfach deutsche Gerichte.
Die Regelung, dass anerkannte Religionsgemeinschaften
von ihren Mitgliedern eine Steuer erheben und gegen
Entgelt über die staatlichen Finanzbehörden einziehen
lassen können, wurde dabei bislang stets bestätigt.
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Befreiende Botschaft ohne Telefon und Computer
Der Kirchenkritiker und Autor Eugen Drewermann wird 75
Paderborn (epd). Kontakte zu Eugen Drewermann laufen
in der Regel über ein Paderborner Hotel in der Nähe seiner
Wohnung. Hier sichtet er Faxe und Post, von hier führt
er seine Telefongespräche. Internet, Computer, Telefon
oder gar ein Handy gibt es im Privathaushalt des Autors
nicht. So könne er die Korrespondenz bündeln und für das
tägliche Schreiben und Recherchieren bleibe genug Ruhe:
»Das ist für mich überlebenswichtig«, sagt der Theologe
und Psychotherapeut. Am 20. Juni wird er 75 Jahre alt.
1940 kam Drewermann als Sohn einer Bergmannsfamilie
im westfälischen Bergkamen zur Welt.
Eine Art Ruhestand kennt der einstige Priester nicht,
der sich mit der katholischen Kirche überwarf und vor
zehn Jahren austrat. Es gibt noch viele Bücher, die er
schreiben möchte. Als nächstes Thema hat er sich die
Macht der Ökonomie vorgenommen. »Das kommt ein
bisschen spät, aber es muss sein.« Einmal in der Woche
steht in der Regel ein Vortrag im Terminkalender.
Bei Radio Bremen geht er monatlich mit seiner eigenen Diskussionssendung »Redefreiheit« auf den Sender.
Vielen Briefschreibern antwortet er persönlich und handschriftlich. Und schließlich empfängt er ab dem späten
Nachmittag Patienten, die er als Psychotherapeut behandelt. Noch sei er gesund, sagt er. »Das sehe ich als
Verpflichtung, noch das zu tun, was ich kann.«
Drewermann studierte Theologie und Philosophie,
beschäftigte sich später mit Psychoanalyse, wurde 1966
zum Priester geweiht. Die Themen seiner Bücher und
Vorträge reichen von theologischen Auslegungen und
psychologischen Deutungen biblischer Bilder und Märchen
bis zu Tierschutz und Friedenspolitik.
Die katholische Reformbewegung »Wir sind Kirche«
würdigt es als Verdienst Drewermanns, die Erkenntnisse
von Theologie und Psychotherapie verbunden zu haben.
Aber an ihm scheiden sich auch die Geister: Kritiker haben
dem Bestsellerautor vorgeworfen, mit der Psychologisierung von Politik romantisch-konservative Denktraditionen
zu pflegen.
Der Schweizer Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik sieht in den Äußerungen Drewermanns eine Gefahr
von Weltflucht und neuer Innerlichkeit. Kritik gab es auch
an Drewermanns Auftritt auf einer Veranstaltung des »Aktionsbüros Friedenswinter« Ende vergangenen Jahres, an
der auch die umstrittenen »Montagsmahnwachen« beteiligt waren, denen Rechtspopulismus und Antisemitismus
vorgeworfen wird.
Eugen Drewermann
epd-bild / Friedrich Stark
Bundesweit bekannt wurde Drewermann spätestens,
als der Paderborner Erzbischof Johannes Joachim Degenhardt dem Privatdozenten 1991 erst die katholische
Lehrbefugnis und später die Predigtbefugnis entzog. Joseph Ratzinger, der spätere Papst, soll als zuständiger
Kardinal im Vatikan für die Glaubenslehre auf Maßnahmen
gegen Drewermann gedrungen haben.
Zuvor hatte der Theologe mit der sanften Stimme
und dem Faible für Strickpullover in einem Interview
mit dem Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« erklärt, dass
die Geburt Jesu von einer Jungfrau Maria nicht als
historisches oder biologisches Ereignis zu betrachten
sei. Katholischen Bischöfen warf Drewermann vor, die
Ergebnisse einer historisch-kritischen Erforschung der
biblischen Texte zu ignorieren. Auch mit seinem Buch
»Kleriker - Psychogramm eines Ideals« (1989) hatte er
die Amtskirche erzürnt: Darin spricht der vielgelesene
Theologe von einer krankmachenden Wirkung der Kirche
auf Priester.
»Das war alles ein Konvolut an Missverständnissen
aufgrund von tradierten Fixierungen«, urteilt Drewermann
heute über seine Suspendierung. Seinem Bischof habe er
damals gesagt: »Erschafft euch die Ketzer, die ihr braucht,
aber das hat mit mir nichts zu tun.«
Sein Leben habe sich durch den Rausschmiss in keiner
Weise geändert, erklärt Drewermann mit Nachdruck: »Ich
habe nie eine Zeile zu Papier gebracht mit der Frage,
was denkt ein Erzbischof oder ein Kardinal in Paderborn
oder Rom.« Bei diesem Thema geraten seine Hände in
Bewegung. Jeden seiner Sätze trägt er dabei so klar und
strukturiert vor, als stamme er aus einem Manuskript.
Geändert habe sich jedoch sein Glaube, dass er der
Kirche nutzen könne, indem er sich um eine Seelsorge
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bemühe, die sich biblisch und auch psychologisch verantworte. »Das war eine Illusion, deren Verlust mir wehgetan
hat, keine Frage.«
Nachdem Drewermann sich jahrzehntelang in Büchern und Vorträgen mit seiner Kirche auseinandergesetzt
hat, erklärte er vor zehn Jahren, zu seinem 65. Geburtstag,
den Austritt. »Ein Geschenk der Freiheit«, sagte er damals.
Mit Interesse und sogar Sympathie verfolgt Drewermann heute, wie sich Papst Franziskus für Flüchtlinge
und ausgegrenzte Menschen einsetzt. Das sei »beispielgebend«. Ob er jedoch die mächtige katholische Kirche
verändern kann, das sieht Drewermann skeptisch. Eine
Reform könne man nicht von oben verordnen, sagt er, sie
müsse von unten kommen. Dazu müsste sich der Papst
praktisch selbst abschaffen.
Seinen persönlichen Glauben hat Drewermann in
der Auseinandersetzung mit der Kirche nicht verloren,
wie er sagt. Im Sinne der katholischen Kirche sei er
zwar kein Glaubender. Aber: »Ich könnte nicht leben
ohne die Botschaft Jesu«, betont der ehemalige Priester.
»Und ich wäre nicht mit der Kirche in Widerspruch
geraten ohne die befreiende Lehre Jesu.« Jesus habe
kein Christentum gegründet, er habe keine Konfessionen
eingesetzt: »Jesus wollte, dass Menschen lebendig sind.«
Holger Spierig (epd)
Erzbistum Berlin
Das Erzbistum Berlin erstreckt sich über Berlin,
weite Teile Brandenburgs und die östlichen Landesteile
Mecklenburg-Vorpommerns. Flächenmäßig gilt es als
zweitgrößtes Erzbistum in Deutschland. Die Zahl der katholischen Kirchenmitglieder lag hier zuletzt bei 407.060,
davon mehr als 325.000 in Berlin.
Bischof Koch wird Nachfolger von
Woelki
Berlin/Köln (epd). Die katholische Kirche hat den Wechsel
des bisherigen Dresdner Bischofs Heiner Koch nach Berlin
offiziell bestätigt. Die Entscheidung wurde am 8. Juni
zeitgleich in der deutschen Hauptstadt, im Vatikan und
in Dresden bekanntgegeben. Bereits in den Tagen davor
war durchgesickert, dass der 60-Jährige Nachfolger von
Rainer Maria Woelki als Berliner Erzbischof wird.
Der Berliner Dompropst Ronald Rother sagte, er freue
sich, Bischof Koch bald in Berlin begrüßen zu können.
Einen Termin für die Amtseinführung gibt es nach seinen
Worten noch nicht.
»Wir sind uns bewusst, dass die Wahl und Ernennung
von Erzbischof Heiner Koch Bestürzung und Irritation im
Bistum Dresden-Meißen auslöst«, hieß es. Die freudige
und herzliche Aufnahme, die er dort gefunden habe,
werde ihm auch in Berlin gewünscht. Der Vorsitzende
des Diözesanrates der Katholiken im Erzbistum Berlin,
Wolfgang Klose, begrüßte die Ernennung Kochs: »Das ist
eine gute Wahl.«
Heiner Koch war vor etwas mehr als zwei Jahren zum
Bischof von Dresden-Meißen berufen worden. Davor war
der gebürtige Düsseldorfer sieben Jahre lang Weihbischof
in Köln. In der Funktion des Generalsekretärs leitete er die
Vorbereitung und Durchführung des Weltjugendtags 2005
in Köln. Koch ist in der Deutschen Bischofskonferenz für
Ehe und Familie zuständig. Der bislang letzte Berliner
Erzbischof Rainer Maria Woelki war nach knapp drei Jahren
Amtszeit in Berlin 2014 zum Erzbischof von Köln ernannt
worden und hatte im September die Bundeshauptstadt
verlassen.
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»Christen in der Wirtschaft«
Neue Bundeszentrale in Würzburg
Würzburg/Wuppertal (epd). Der überkonfessionelle Verband Christen in der Wirtschaft (CiW) feiert am 20. Juni
mit einem Festtag den Umzug seiner Bundeszentrale von
Wuppertal nach Würzburg. Im Gottesdienst am Samstagmorgen um 10 Uhr predigt der frühere Generalsekretär
des Gesamtverbandes des Christlichen Vereins Junger
Menschen (CVJM) in Deutschland, Roland Werner. Am
Nachmittag folgt ein Fachvortrag von Minika Bylitza zum
Thema »Führen zwischen Wunsch und Wirklichkeit«. Im
Anschluss wird die neue Zentrale des Verbandes in der
Theaterstraße besichtigt.
CiW-Generalsekretär Martin Stäbler sagte, die neue
Verortung des Verbandes habe viele Vorteile wegen
der geografischen Lage. Die neue Zentrale ermögliche
es vielen Menschen, »an CiW teilzuhaben und auch
mitzuwirken«. Der CiW-Vorsitzende Friedbert Gay sagte,
der Vorstand sei »überglücklich« über den neuen Standort
in der Mitte Deutschlands: »Das macht einen echten
Neuanfang möglich.«
Der überkonfessionelle Verein hat nach eigenen Angaben derzeit rund 1.000 Mitglieder. Ziel sei es, christliche
Werte in der Wirtschaft zu pflegen und bei aktuellen
Fragen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Stellung zu
beziehen.
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Papst ruft Putin zu »ehrlichen Friedensbemühungen« auf
Rom (epd). Papst Franziskus hat den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu »ehrlichen und umfassenden
Friedensbemühungen« in der Ukraine aufgerufen. Die
Ukraine-Krise stand Vatikanangaben vom 10. Juni zufolge
im Mittelpunkt der 50-minütigen Privataudienz für Putin
in Rom. Der Präsident, der zuvor mit dem italienischen
Ministerpräsident Matteo Renzi die Weltausstellung Expo
in Mailand besucht hatte, war mit erheblicher Verspätung
im Vatikan eingetroffen.
Der Papst und Putin betonten der Mitteilung zufolge
gemeinsam die Notwendigkeit, dass alle Konfliktparteien
in der Ukraine sich um die Umsetzung des Minsker
Abkommens bemühen sollten. Vorrang habe für beide die
Suche nach einer Lösung der humanitären Krise. Dabei
müsse vor allem der Zugang von Hilfsorganisationen zu
den betroffenen Regionen gesichert werden, um eine
»schrittweise Entspannung « in der Region zu erreichen,
hieß es anschließend in einer Vatikanerklärung.
Im Hinblick auf die Konflikte in Syrien und im Irak bekräftigten der Papst und Putin demnach Forderungen nach
verstärktem Bemühungen der internationalen Gemeinschaft um Friedenslösungen. Dabei müssten die Lebensbedingungen aller gesellschaftlichen Gruppen inklusive
der religiösen Minderheiten, darunter insbesondere der
Christen, garantiert werden. Der russische Außenminister Sergej Lawrow traf den Angaben zufolge gleichzeitig
mit Vertretern des vatikanischen Staatssekretariats zu
Gesprächen über die Lage in der Ukraine und im Nahen
Osten zusammen.
Franziskus begrüßte Putin am Beginn der Begegnung
auf Deutsch mit »Willkommen!« Mit den Worten »Das
ist der Friedensengel, der alle Kriege gewinnt und von
Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg
Kreiskirchentag 2017 geplant
Meinerzhagen (epd). Der Evangelische Kirchenkreis
Lüdenscheid-Plettenberg plant in zwei Jahren einen großen
Kreiskirchentag in Lüdenscheid. Anvisiert sei als Termin
der 2. Juli 2017, teilte der Kirchenkreis zu den Ergebnissen der jüngsten Kreissynode in Meinerzhagen mit. Nach
einem Beschluss der Kreissynodalen wird zur Vorbereitung eine befristete halbe Stelle eingerichtet. Die dafür
veranschlagten Personalkosten betragen den Angaben
nach 70.000 Euro, für Organisation und Logistik werden
weitere 50.000 Euro bereitgestellt.
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Putins Privataudienz beim Papst.
epd-bild / Stefano Dal Pozzolo
Solidarität unter den Völkern spricht«, überreichte er dem
russischen Präsidenten ein Medaillon mit einer Engelsdarstellung. Putin übergab dem Papst eine mit Goldfaden
gestickte Darstellung der Moskauer Erlöserkirche mit den
Worten, diese sei zu Sowjetzeiten zerstört und später
wieder aufgebaut worden.
Putin fuhr in einer Mercedes-Stretch-Limousine mit
einer umfangreichen Delegation in zwölf weiteren Wagen
in den Vatikan ein - mit 70-minütiger Verspätung. Der
russische Präsident war bereits im Herbst 2013 mit
Franziskus zusammengetroffen, damals stand Syrien im
Mittelpunkt der Gespräche.
Bei seiner eintägigen Italienreise hatte Putin zuvor
Ministerpräsident Matteo Renzi getroffen. Beide Seiten
hatten dabei angesichts der EU-Sanktionen gegen Russland gemeinsame Interessen betont. Im Anschluss an
den Besuch im Vatikan traf Putin mit dem italienischen
Präsidenten Sergio Mattarella zusammen.
Mehrheitlich beschlossen wurde zudem ein Antrag für
die Wiedereinführung einer achtjährigen Wahlperiode für
Presbyter. Die Verkürzung auf vier Jahre mit Neuwahl des
gesamten Presbyteriums habe sich nicht bewährt, hieß
es. Der Antrag geht nun an die zuständige Landessynode
der Evangelischen Kirche von Westfalen.
Die Kreissynodalen stimmten darüber hinaus dem
Vorschlag der westfälischen Landeskirche zu, das Wahlalter bei den Presbyterwahlen von 16 auf 14 Jahre zu
senken. Die Kreissynode votierte mit knapper Mehrheit
dafür, sprach sich aber für die Beibehaltung der Zulassung
zum Abendmahl als weiterer Voraussetzung aus, wie der
Kirchenkreis erklärte.
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Dortmunder Rat entscheidet über Kirchentag 2019
Dortmund (epd). Der Dortmunder Stadtrat entscheidet
am 25. Juni über die Ausrichtung des 37. Deutschen
Evangelischen Kirchentags. Um Planungssicherheit auf
beiden Seiten zu schaffen, liege eine entsprechende
Vorlage vor, erklärte die Stadt am 9. Juni. Bei einem
positiven Bescheid durch den Rat werde die Verwaltung
mit den Vorbereitungen beginnen. Unter anderem müssen
Finanzierungsanteile der Stadt in Höhe von 2,7 Millionen
Euro in die mittelfristige Haushaltsplanung für 2018/19
aufgenommen werden.
Insgesamt hat der Kirchentag nach Angaben der Stadt
ein Volumen von 18 Millionen Euro, das gemeinsam von der
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einladenden westfälischen Landeskirche (4,9 Millionen
Euro), vom Land Nordrhein-Westfalen (5,2 Millionen Euro),
vom Kirchentag (6,1 Millionen Euro) und von der Stadt
Dortmund (2,7 Millionen Euro) aufgebracht wird.
Der Kirchentag, der in diesem Jahr in Stuttgart stattfand, wird alle zwei Jahre als fünftägige Veranstaltung
ausgerichtet. Das Glaubensfest der evangelischen Laienbewegung mit Gottesdiensten, Diskussionen, Vorträgen
und Konzerten soll nach Angaben der Stadt Dortmund
über 100.000 Besucher anziehen. Der Umsatzfaktor durch
auswärtige Teilnehmer wird auf 20 bis 25 Millionen Euro
geschätzt.
Tausende Biker feiern Gottesdienst am Hamburger Michel
Hamburg (epd). Etwa 27.000 Biker haben am 14. Juni den
32. Motorrad-Gottesdienst (MOGO) in Hamburg gefeiert.
Im Hamburger Michel sprach erstmals der neue MOGOPastor Lars Lemke zur Biker-Gemeinde. Er war zuvor von
Hamburgs Bischöfin Kirsten Fehrs feierlich in sein Amt
eingeführt worden. Der Gottesdienst, der per Lautsprecher
auf die Straße übertragen wurde, stand unter dem Motto
»Trau Dich!«. Anschließend fuhren die Biker über die A7
nach Kaltenkirchen zum Abschlussfest.
Bei dem Motto »Trau Dich!« gehe es nicht um eine
Mutprobe oder darum, beim Fahren mehr an seine
Grenzen zu gehen, sagte Lemke in seiner Predigt. Es gehe
darum, das Leben mal anders oder neu in den Blick zu
nehmen. Und auch darum, Gott zu vertrauen. »Und das
kann das größte Abenteuer deines Lebens werden«, sagte
der Theologe.
Die MOGO-Hymne »Fahr nicht schneller als Dein
Schutzengel fliegen kann« sang wieder die SingerSongwriterin und Violinistin Jördis. Der »MOGO-Engel
2015« ging an Hans-Nissen Andersen, den langjährigen
Vorstandsvorsitzenden der Evangelischen Darlehnsgenossenschaft, für seine Verdienste für den MOGO. Die
Finanzierung des nächsten MOGO in Hamburg sei gesichert, sagte Andersen während des Gottesdienstes. Der
MOGO wird größtenteils durch Sponsoring und Spenden
finanziert.
Organisiert wird der MOGO Hamburg unter Leitung
von Veranstaltungschef Bernd Lohmann und von 250 eh-
Biken und Beten am Michel.
epd-bild / Stephan Wallocha
renamtlichen Helfern. 2016 soll er am 12. Juni stattfinden.
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Länder bekommen mehr Geld für Flüchtlinge
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FLÜCHTLINGE
Bund verspricht dauerhafte Beteiligung an Kosten
Berlin/Düsseldorf (epd). Die Länder erhalten mehr Geld
vom Bund für die Unterbringung und Versorgung von
Flüchtlingen. Für das laufende Jahr werden die Hilfen auf
eine Milliarde Euro verdoppelt, ab 2016 will sich der Bund
dauerhaft an den Kosten beteiligen. Das ist das Ergebnis
eines Treffens von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)
mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer am Donnerstagabend in Berlin. Die Vereinbarungen stießen bei
Ländern und Kommunen, die den Bund zu einer stärkeren
Beteiligung an den Kosten gedrängt hatten, überwiegend
auf Beifall.
Vieler Länder und Kommunen klagen wegen der
steigenden Zahl von Asylbewerbern über Überforderung.
Bislang tragen im Schnitt die Länder 77 Prozent, die
Kommunen 18 und der Bund fünf Prozent der Kosten für
die Flüchtlinge.
Nach der nun geschlossenen Vereinbarung will sich
der Bund ab 2016 strukturell »an den gesamtstaatlichen Kosten, die im Zusammenhang mit der Zahl der
schutzbedürftigen Asylbewerber und Flüchtlinge entstehen, beteiligen«. Konkrete Entscheidungen dazu sollen
im Herbst fallen. Der Bund hatte den Ländern bereits
für dieses und das nächste Jahr Hilfen von jeweils 500
Millionen Euro zugesagt. Für 2015 wird dieser Betrag dem
Beschluss zufolge auf eine Milliarde Euro verdoppelt.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU)
sagte, es müsse noch entschieden werden, wie die
zusätzliche finanzielle Beteiligung des Bundes im Einzelnen
aussehen werde: ob es Beträge »pro Kopf« seien oder
eine neue Aufgabenteilung. Weitere Details sollen unter
anderem bei einem regulären Treffen der Regierungschefs
mit der Kanzlerin in der kommenden Woche besprochen
werden.
In den Ländern stießen die Vereinbarungen überwiegend auf ein positives Echo. Die rheinland-pfälzische
Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) bezeichnete die
dauerhafte Finanzzusage des Bundes als »echten Fortschritt«. Über die Höhe der Soforthilfe für 2015 werde
man aber »noch mal reden müssen«, sagte sie im Deutschlandradio Kultur.
Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier
(CDU) sagte, das Wesentliche und Neue sei aus seiner Sicht, »dass der Bund zum ersten Mal anerkannt hat,
sich dauerhaft an dieser Aufgabe zu beteiligen, auch durch
Finanzen«. Die Höhe der finanziellen Unterstützung des
Bundes werde allerdings »auf Dauer nicht ausreichen«,
sagte er dem Sender HR-Info.
Auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow
(Linke) sagte dem Sender MDR Info, angesichts der
Problemstellungen sei die versprochene Summe »nur
ein Tropfen auf den heißen Stein«. Die saarländische
Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU)
sprach indes von einem ersten Schritt zur dauerhaften
strukturellen Zusammenarbeit von Bund und Ländern in
der Flüchtlingspolitik.
Auch die neue Präsidentin des Deutschen Städtetages, Eva Lohse (CDU), begrüßte, dass Bund und Länder
sich bei der Flüchtlingsaufnahme in einer Verantwortungsgemeinschaft sähen. Die Kommunen leisteten die
Hauptarbeit bei Aufnahme und Integration von Asylbewerbern. Jetzt komme es darauf an, dass die Länder
den Kommunen die Mittel des Bundes auch weitergeben.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund sieht in den
Vereinbarungen ebenfalls ein »positives Signal«. Damit
sei eine »Neuausrichtung der Flüchtlingspolitik« auf den
Weg gebracht worden, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd
Landsberg im Südwestrundfunk.
Für den Städte- und Gemeindebund NRW ist die Einigung ein »Durchbruch«. Nun müsse es darum gehen, die
Kosten in den Bundesländern transparent zu ermitteln und
ein gerechtes Ausgleichsverfahren zu erarbeiten, betonte
Hauptgeschäftsführer Bernd Jürgen Schneider. Zentral sei
auch das rasche Abarbeiten der aufgestauten Asylanträge
beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Die Zahl der Flüchtlinge, die in Deutschland Asyl
beantragen, war innerhalb des vergangenen Jahres stark
gestiegen. 2014 verzeichnete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge insgesamt rund 200.000 Asylanträge,
davon 173.000 Erstanträge. Für das laufende Jahr rechnet die Behörde mit bis zu 400.000 Erst- und 50.000
Folgeanträgen.
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De Maizière sagt Flüchtlings-Aufnahme nach EU-Quote zu
Stuttgart (epd). Bundesinnenminister Thomas de Maizière
(CDU) ist zur Aufnahme weiterer Flüchtlinge nach den Plänen
der EU-Kommission bereit. In
einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd)
sagte er eine deutsche Beteiligung an dem kürzlich vorgeThomas de Maizière
epd-bild / Neetz
schlagenen Programm zu: »Wir
würden uns an der Aufnahme
beteiligen, welche Verteilquote auch immer gilt.« Er betonte aber auch, Ziel bleibe eine europäische Lösung.
Einige Länder wie Großbritannien und Polen haben sich
gegen Pläne für eine andere Verteilung von Flüchtlingen
in Europa ausgesprochen, weil sie dann mehr aufnehmen
müssten.
Nach einem Entwurf von EU-Migrationskommissar
Dimitris Avramopoulos will die Kommission 20.000 Menschen aus Krisenregionen wie dem Nahen Osten über
ein sogenanntes Resettlementprogramm nach Europa
bringen. Zudem sollen 40.000 Flüchtlinge von Italien und
Griechenland aus in andere Staaten umgesiedelt werden.
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Der Innenminister betonte, das europäische Asylsystem nach dem Dublin-Akommen sei geltendes Recht,
darauf müsse man bestehen. »Die Akzeptanz bröckelt
aber«, räumte er ein. Deswegen sei es richtig, über Verbesserungen und neue Wege nachzudenken. »Wir brauchen
eine europäische Lösung mit Blick auf Drittstaaten, Transitstaaten, Lebensrettung, Schlepperbekämpfung sowie
Aufnahme und Verteilung«, sagte er. Ohne diese sei
auf Dauer die EU-Freizügigkeit nach dem Schengener
Abkommen gefährdet.
Es gebe nicht viele Alternativen zu Dublin, ergänzte de
Maizière. Für ein freies Wahlrecht im Zugang nach Europa
und innerhalb Europas werde es keine Mehrheit in der EU
und Deutschland geben. Daneben gebe es den Vorschlag
der Verteilung. »Den unterstütze ich«, sagte de Maizière.
Die jetzigen Dublin-Kritiker müssten sich dann aber auch
klar machen, dass eine Verteilung durch- und umgesetzt
werden müsse. »Ich möchte dann nicht die gleichen
Argumente gegen die Durchsetzung der Verteilung hören,
die jetzt gegen Dublin vorgetragen werden«, sagte er.
epd-Gespräch: Corinna Buschow und Thomas Schiller
Flüchtlinge verhindern Selbstanzündung von Syrer
Dortmund (epd). Ein 40-jähriger Syrer hat am Freitagnachmittag in Dortmund versucht, sich selbst anzuzünden.
Der Mann habe sich an der Huckarder Straße mit einer
brennbaren Flüssigkeit übergossen und sich anzünden
wollen, teilte die Polizei Dortmund am Freitag mit. Er
wurde von den syrischen Demonstranten überwältigt und
fixiert, die dort seit Dienstag vor der Außenstelle des
Bundesamts für Migration und Flüchtlinge campieren. Der
Mann selbst habe nicht zu dem Flüchtlingscamp gehört,
erklärte die Polizei.
Der Syrer blieb den Angaben zufolge körperlich unversehrt und wurde zur ärztlichen Behandlung in ein
Krankenhaus gebracht. Der Dortmunder Polizeipräsident
Gregor Lange, der den Angaben zufolge Zeuge des Geschehens war, äußerte sich betroffen. Er habe großes
Verständnis für die Ängste der Demonstranten um ihre
Familien in Syrien, erklärte Lange.
Seit Dienstag campieren mehr als 40 syrische Flüchtlinge vor der Dortmunder Außenstelle des Bundesamts.
Sie fordern eine schnellere Bearbeitung ihrer Asylanträge,
weil sie erst bei einer Anerkennung ihre Familien aus
Syrien zu sich holen können. Die Demonstranten klagen,
dass sie zum Teil seit fünf oder sechs Monaten auf die
Bearbeitung ihres Antrags warten.
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Italien ruft nach gemeinsamer Flüchtlingspolitik
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Politiker- und Kirchendelegation zu Gesprächen in Rom
Rom (epd). Italien hofft angesichts steigender Flüchtlingszahlen an seinen Südgrenzen auf mehr Solidarität in der
EU. Es sei eine moralische und rechtliche Pflicht aller Europäer, die über das Mittelmeer gekommenen Menschen
aufzunehmen, sagte Senatspräsident Pietro Grasso am
Donnerstag bei einem Treffen mit Politikern und evangelischen Kirchenvertretern aus Nordrhein-Westfalen in
Rom. Präfekt Mario Morcone, der im italienischen Innenministerium für Migrationsfragen zuständig ist, sprach
sich für eine dauerhafte und verbindliche Quotenregelung
zur Verteilung der Flüchtlinge aus. Um die Zahl der Bootsflüchtlinge zu reduzieren, setzen beide Politiker zudem
auf eine Stabilisierung Libyens, wo die meisten Boote in
See stechen.
Vertreter der Delegation aus NRW betonten ebenfalls, wenn sich Europa als Wertegemeinschaft verstehe,
müsse die Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten
von Europa gemeinsam bewältigt werden. »Wir brauchen
mehr politische Zusammenarbeit in dieser Frage«, sagte
der Theologische Vizepräsident der Evangelischen Kirche
von Westfalen, Albert Henz. Die Kirchen könnten mit
ihren ökumenischen Kontakten zu Kirchen etwa in Italien
und Griechenland auch zwischen Ländern vermitteln. Der
parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion im
Düsseldorfer Landtag, Marc Herter, sagte, eine Verteilung
von Flüchtlingen nach Quoten innerhalb der EU stoße in
Deutschland auf offene Ohren.
Senatspräsident Grasso nannte auch eine Bekämpfung von Schleuserbanden, »die aus dem Elend der
Menschen Profit schlagen«, eine wichtige Maßnahme. Von
großer Bedeutung sei zudem eine politische Stabilisierung
Libyens, betonte der Vorsitzende der zweiten italienischen
Parlamentskammer. Italien könne sich eine Führungsrolle
bei den Beziehungen zu dem nordafrikanischen Staat
vorstellen.
Erstaufnahmelager für Bootsflüchtlinge in Pozzallo auf Sizilien.
epd-bild / Ingo Lehnick
Präfekt Morcone sagte, Italien sei in der Frage
einer Quotenregelung zur Verteilung von Flüchtlingen zu
Zugeständnissen bereit. Er zeigte sich angesichts des
Widerstands aus Frankreich und Spanien skeptisch, ob
eine solche Regelung in der EU durchsetzbar ist. Auch
innerhalb Italiens gibt es nach Morcones Worten Streit
zwischen den verschiedenen Regionen über die Aufteilung
der Flüchtlinge. So nehme Sizilien 22 Prozent aller in
Italien verbleibenden Asylbewerber auf, während es in
einigen wohlhabenderen Regionen im Norden lediglich
drei Prozent seien.
Eine Gruppe von Landtagsabgeordneten sowie Experten und Repräsentanten der rheinischen und der
westfälischen evangelischen Landeskirchen hatte in der
vergangenen Woche Flüchtlingslager und Hilfsprojekte
in Süditalien und Griechenland besucht. Die fünftägige
Reise auf Einladung der beiden Landeskirchen sollte den
Landespolitikern und den Kirchen ermöglichen, sich ein
umfassendes Bild von der Lage vor Ort zu machen. Die
Erkenntnisse sollen in die künftige Ausrichtung der Flüchtlingspolitik und der kirchlichen Arbeit mit Asylsuchenden
und Migranten in Deutschland einfließen.
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Bange Hoffnung
Wie afrikanische Flüchtlinge auf Sizilien ankommen
Pozzallo (epd). Der Notruf erreicht die italienische Küstenwache am Morgen um acht Uhr: Vier Schlauchboote
mit afrikanischen Flüchtlingen sind gut 30 Seemeilen
vor der libyschen Küste in Not geraten. Bis zum Abend
können alle gerettet werden - insgesamt 454 Menschen
nimmt die Guardia Costiera an Bord ihres Schiffes »CP
940«, darunter ein drei Monate altes Baby. Die Afrikaner
werden in den sizilianischen Hafen Pozzallo gebracht, wo
sie am nächsten Tag eintreffen. Die aufwendige Prozedur
der Erstaufnahme läuft an.
In Schlangen gehen die Menschen aus Somalia und
Eritrea, Mali oder Gambia von Bord des Schiffes und
setzen erstmals ihren Fuß auf europäischen Boden. Viele
haben in Libyen lange auf ihre Überfahrt gewartet und
wirken gezeichnet von den Strapazen und der Gewalt, die
sie erlebt haben.
Hoher logistischer Aufwand
Ihre bange Erwartung trifft auf ein reges Treiben
an der Anlegestelle. Die schlichte Kleidung der dunkelhäutigen Flüchtlinge steht in starkem Kontrast zu den
weißen Schutzanzügen der Ärzte und den Uniformen von
Polizei und Küstenwache. Aber auch Hilfsorganisationen
und kirchliche Gruppen sind beteiligt. Das erprobte Zusammenspiel der beteiligten Helfer wirkt unaufgeregt
und routiniert. Es überwiegen freundliche Gesten und
Gesichter.
Der logistische Aufwand ist enorm. Die Asylsuchenden werden bereits auf dem Schiff medizinisch untersucht,
vor allem um Menschen mit ansteckenden Krankheiten
von den anderen zu trennen. Danach folgen noch weitere
Medizin-Checks. Allein 30 Ärzte sind beteiligt. Einige Verletzte werden mit Krankenwagen zur Behandlung gebracht.
Eine besonderes Augenmerk liegt auch auf Schwangeren,
Familien und Minderjährigen, die ohne Angehörige reisen.
Die Helfer müssen entscheiden, wer ins örtliche
Erstaufnahmelager gebracht wird und wem eine längere
Busreise in eine andere Stadt zugemutet werden kann. Das
Lager in Pozzallo sei mit den riesigen Flüchtlingszahlen
hoffnungslos überfordert, sagt die Vizepräfektin der
sizilianischen Provinz Ragusa, Rosanna Mallemi, die an
diesem Tag selbst in den Hafen gekommen ist. Eigentlich
könnten in Pozzallo nur 200 Menschen für einige Tage
aufgenommen werden, manchmal seien es aber auch
500.
Gemeinsam mit Mallemi besucht auch eine Gruppe
von nordrhein-westfälischen Politikern und Vertretern der
evangelischen Kirchen im Rheinland und in Westfalen den
Hafen. Die Delegation macht sich in dieser Woche ein Bild
von der Flüchtlingssituation in Italien.
Einer der Neuankömmlinge an diesem Tag ist Marvellous Igbinomwanhin. Der Nigerianer, der drei auffällige
Narben im Gesicht hat, sagt, er sei 25 Jahre alt. Er sei
Elektriker und hoffe auf ein besseres Leben, sagt er mit
unsicherem Blick in einer großen Halle des Aufnahmelagers, die mit Matratzen ausgelegt ist. In seiner Heimat
gebe es kaum eine Zukunft für junge Leute. »Ich will, dass
meine Familie stolz auf mich ist.«
Was ihn in der unbekannten Umgebung erwartet,
weiß Igbinomwanhin nicht. Auch über seine Erlebnisse
auf dem langen Weg nach Europa spricht er nur vage. Er
ist zunächst einmal froh, es hierher geschafft zu haben.
Andere wirken geradezu euphorisch. Das ändere sich
meist nach ein paar Tagen, sagen Experten. Dann zeige
sich, wie traumatisiert viele seien.
Ausharren im Lager
Eigentlich sollen die Menschen nur einige Tage in den
Erstaufnahmelagern bleiben. Doch die steigenden Flüchtlingszahlen überfordern immer wieder die Möglichkeiten,
so dass manche auch Wochen oder gar Monate in den
Lagern ausharren. Auf Lampedusa ist die Erstaufnahmeeinrichtung für bis zu 380 Menschen ausgelegt, es waren
aber auch schon 1.600 Afrikaner dort untergebracht.
Der Präfekt von Ragusa, Annunziato Vardè, spricht
von einer komplexen und schwierigen Herausforderung.
Im gesamten letzten Jahr seien 28.000 Flüchtlinge in
Pozzallo angekommen, zurzeit seien es allein in dem
Hafen der 20.000-Einwohner-Stadt mitunter mehr als
tausend am Tag. Italien brauche die Unterstützung aller europäischen Staaten, fordert Vardè. Die bisherige
EU-Regelung, nach der das Erstaufnahme-Land für das
Asylverfahren zuständig ist, sei jedenfalls gescheitert.
Ingo Lehnick (epd)
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NRW-Kirchen und Politiker: Legale Fluchtwege in EU schaffen
Rom/Düsseldorf (epd). Politiker aller NRWLandtagsfraktionen machen sich gemeinsam mit den
evangelischen Kirchen in Nordrhein-Westfalen für legale
Fluchtwege von Afrika nach Europa stark. Nötig seien
unter anderem humanitäre Korridore, erklärten sie am
Freitag in Rom zum Abschluss einer mehrtägigen Reise
an die EU-Außengrenze in Griechenland und Italien. So
könnten Flüchtlinge durch die Botschaften der EU-Staaten
in Nordafrika offizielle Reisedokumente erhalten, um
sicher nach Europa reisen und dort Asyl beantragen
zu können, erläuterte der Theologische Vizepräsident
der Evangelischen Kirche von Westfalen, Albert Henz.
Den Flüchtlingen müsse der gefährliche Weg über das
Mittelmeer erspart werden, den viele nicht überlebten.
Kritisch äußerten sich die knapp zwanzig Politiker und
Kirchenleute zur geltenden Regelung, nach der Flüchtlinge
nur in dem EU-Land Asyl beantragen können, das sie als
erstes betreten. Die Aufnahmeländer im Süden dürften
mit dem Problem der wachsenden Flüchtlingszahlen nicht
allein gelassen werden, sagte der rheinische Kirchenrat
Volker König dem Evangelischen Pressedienst (epd). »Das
sind auch unsere Flüchtlinge, das Problem können wir
nicht an Italien und Griechenland delegieren.« Hier sei
mehr Solidarität innerhalb der EU nötig. Neben der Rettung
von Bootsflüchtlingen müsse es aber auch um das Ziel
gehen, Schiffseinsätze auf dem Mittelmeer überflüssig zu
machen.
Diskutiert wurde neben einer Quote für die Verteilung
von Flüchtlingen auf die EU-Staaten auch die Möglichkeit,
dass Asylbewerber in jedem EU-Land ihren Antrag stellen
dürfen. Dann müssten die Kosten untereinander solidarisch aufgeteilt werden, sagte Henz. Er plädierte zudem
für ein Zuwanderungsgesetz in Deutschland.
Die Gruppe von Parlamentariern und Kirchenexperten
hatte sich seit Montag auf den italienischen Mittelmeerinseln Sizilien und Lampedusa sowie auf der griechischen
Insel Lesbos über die Situation von Flüchtlingen und den
Umgang mit ihnen informiert. Das Thema wurde zudem
in Gesprächen mit Abgeordneten, Regierungsvertretern,
Hilfsorganisationen und kirchlichen Fachleuten erörtert.
Trotz großen Engagements aller Beteiligten seien die
Behörden vor allem in Griechenland mit der Ankunft
tausender Flüchtlinge teilweise überlastet, hieß es. Auch
in Deutschland müssten angesichts der teils dramatischen Lage ausgetretene Pfade der bisherigen politischen
Konzepte verlassen und die Flüchtlingspolitik stärker von
den Betroffenen her gestaltet werden.
Flüchtlingsmisshandlungen
an Regeln hielten, eingesperrt worden sein. In einem
öffentlich gewordenen Video zwingen Wachleute einen
Mann, sich auf eine Matratze mit Erbrochenem zu legen.
Die Staatsanwaltschaft Siegen ermittelt zusammen
mit einer beim Staatsschutz der Polizei Hagen eingesetzten Kommission. Ermittelt wird wegen Nötigung und
Freiheitsberaubung gegen zahlreiche Wachleute, Sozialbetreuer und Bedienstete der Essener Firma European
Homecare, die das Flüchtlingsheim betrieben hat.
Nach Kutschatys Angaben gab es bislang Vernehmungen von 230 Zeugen und Beschuldigten, außerdem
wurden rund 300 Dokumente sichergestellt, die noch
ausgewertet werden müssen. Die Ermittlungen würden
sich noch längere Zeit hinziehen, sagte der Justizminister.
Anhaltspunkte dafür, dass auch Polizeibeamte unmittelbar Straftat begangen haben, gebe es nach derzeitigem
Ermittlungsstand nicht.
Ermittlungen gegen 52
Beschuldigte
Düsseldorf/Burbach (epd). Im Zusammenhang mit der
Misshandlung von Flüchtlingen in einer Asylunterkunft
in Burbach wird nach Angaben von NRW-Justizminister
Thomas Kutschaty (SPD) gegen 52 Beschuldigte ermittelt. Wie Kutschaty am Mittwoch im Rechtsausschuss
des Düsseldorfer Landtags erklärte, werden zurzeit 270
verschiedene Sachverhalte überprüft, die alle einzeln
untersucht werden müssen. Im vergangenen September war bekanntgeworden, dass Sicherheitskräfte in
der Notaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Burbach
Asylbewerber misshandelt haben sollen.
128 der 270 Sachverhalte betreffen nach den Worten
des Ministers die Vorfälle in dem sogenannten »Problemzimmer« in Burbach. Dort sollen Flüchtlinge, die sich nicht
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Ein neues Zuhause auf Zeit
Der Halfeshof in Solingen nimmt junge unbegleitete Flüchtlinge auf
Solingen (epd). »Wenn zu dir jemand sagt, du bist das
letzte, dann lach und sage: Der letzte wird der erste sein!«
In säuberlichen Druckbuchstaben handgeschrieben, hängt
ein Zettel mit diesem Spruch an der Zimmerwand von
Amadou (Name geändert). Als der 17-Jährige vor einem
halben Jahr aus dem westafrikanischen Guinea nach
Solingen kam, sprach er kein Wort Deutsch. Heute besucht
er die Integrationsklasse der benachbarten Hauptschule
und will seinen Realschulabschluss machen.
Der Guineer ist einer von zwölf Jugendlichen, die als
unbegleitete minderjährige Flüchtlinge am Wuppertaler
Hauptbahnhof strandeten und über Polizei und Jugendamt
in der Clearing-Gruppe des Jugendheims Halfeshof in
Solingen landeten. Ein Zuhause auf Zeit, das die oft
traumatisierten 15- bis 17-Jährigen erst einmal zur Ruhe
kommen lässt. Die insgesamt zehn Wohngruppen des
Jugendheims sind auf mehrere Gebäude verteilt, die sich
in einer großzügigen Parkanlage mit altem Baumbestand
geradezu idyllisch ausnehmen.
174 Jungen zwischen acht und 18 Jahren leben in
der Einrichtung des Landschaftsverbands Rheinland (LVR)
- überwiegend kommen sie aus schwierigen Familien.
Schulabbrüche, Drogen- und Gewalterfahrungen prägten
ihre frühen Lebensjahre. Und nun also noch die Flüchtlinge, deren Kindheit auf andere Weise zerstört wurde.
Die ersten, erinnert sich Einrichtungsleiter Ben Repp,
habe man im September 2014 auf bereits bestehende
Wohngruppen verteilt. »Das hat aber alle überfordert,
schon wegen der Sprache.«
Nun leben die Flüchtlinge zusammen in einem separaten kleinen Haus auf dem Gelände: unten sieben Jüngere
in einer Wohngemeinschaft mit 24-Stunden-Betreuung,
oben fünf Jugendliche kurz vor der Volljährigkeit, die lernen
sollen, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen.
Zu ihnen gehört auch Amadou. Auf dem Schreibtisch in seinem Zehn-Quadratmeter-Zimmer stapeln sich
Bücher, darunter ein deutsch-französisches Wörterbuch.
Seine Augen blicken ernst durch die Brillengläser: »Wenn
man eine gute Zukunft haben möchte, ist die Schule
wichtig«, sagt der 17-Jährige mit Nachdruck. Wie viele
Altersgenossen aus seinem Heimatland, in dem die Le-
benserwartung 42 Jahre beträgt, wurde er von seinen
Eltern auf die lange und beschwerliche Reise geschickt
- nach Europa, in ein besseres Leben.
Dass sich viele Familien in Kriegs- und Krisengebieten
verschulden, um die Schlepper für den ältesten Sohn
zu bezahlen, weiß der LVR-Jugenddezernent Lorenz Bahr.
Dass die Jungen in Transit-Städten wie Köln, Dortmund,
Aachen oder eben Wuppertal aus dem Zug geworfen und
sich selbst überlassen werden, hat man den Eltern nicht
gesagt.
»Die Jugendlichen, die hier in der Clearing-Gruppe
ankommen, sind stark«, betont Bahr. Sie hätten eine teils
lebensgefährliche Flucht überlebt und den unbedingten
Willen, in Deutschland Fuß zu fassen - auch, um ihre
Familien in der Heimat zu unterstützen. Im Gegensatz zu
manchen deutschen Altersgenossen würden die jungen
Flüchtlinge schon beim Frühstück darauf drängen, dass
die Schule wartet, berichtet Bahr.
Nachmittags stehen neben Hausaufgaben auch gemeinsames Kochen, Spiele und Sportangebote auf dem
Programm. Amadou hat sogar einen Fußballverein im
Stadtteil gefunden: »Ich spiele bei Post SV«, sagt er
stolz - und ergänzt grinsend: »Linksaußen, wie Philipp
Lahm!« Manchmal trifft er sich mit seinen Mannschaftskameraden auch zum Grillen. Besucht hat ihn allerdings
noch keiner. In der Wohngruppe sind die Jugendlichen
aus Guinea, Gambia, Somalia, Afghanistan, Algerien und
Marokko zumeist unter sich. Zwei bis drei Mitarbeiter, die
teils mit vier Sprachen gleichzeitig jonglieren, kümmern
sich tagsüber um sie, nachts gibt es eine Ruf-Bereitschaft.
Die übernimmt in regelmäßigen Abständen Bereichsleiter Henning Leuschner, der die Flüchtlingsgruppe mit
aufgebaut hat und am Halfeshof auch für die Berufsausbildung zuständig ist. »Was die Jungs hier lernen, sind
Kompetenzen, die ihnen keiner mehr nehmen kann«, betont Leuschner. Auch wenn ihr Asylantrag, den sie mit 18
Jahren stellen, abgelehnt wird - wie es bereits in manchem
Fall geschehen ist. Ob die Jugendlichen bleiben dürfen,
hängt auch davon ab, wie gut sie sich in Deutschland
integriert haben. Amadou könnte gute Chancen haben.
Stefanie Mergehenn (epd)
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Süssmuth mahnt offenere Flüchtlingspolitik an
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Ehemalige Bundestagspräsidentin mit Reinhard Mohn Preis geehrt
Gütersloh (epd). Rita Süssmuth, diesjährige Preisträgerin
des Reinhard Mohn Preises, hat zu mehr Offenheit in
der Flüchtlings- und Einwanderungspolitik aufgerufen.
Deutschland müsse seine harte Unterscheidung zwischen
»nützlichen« Migranten und Flüchtlingen, die nicht gewollt
seien, aufgeben, sagte die frühere Bundestagspräsidentin
beim Festakt am Donnerstag in Gütersloh. Auch die
Menschen, die derzeit aus den Krisenländern nach Europa
strömen, verfügten über Fähigkeiten und Qualifikationen,
die dem Land nutzen können. Die Überschreitung von
Grenzen sei allenfalls illegal. Doch »kein Mensch ist illegal,
sie haben Rechte«, mahnte die CDU-Politikerin.
Zu einem gelingenden Zusammenleben gehöre auch,
das Anderssein des anderen nicht abzulehnen, sondern
über Kulturen und Religionen wie den Islam nachzudenken,
sich Kenntnisse zu verschaffen. Eine Wertegemeinschaft
brauche aber gemeinsame Regeln, betonte Süssmuth. Sie
erhielt den mit 20.000 Euro dotierten Reinhard Mohn
Preis der Bertelsmann Stiftung für ihre Verdienste um eine
moderne Einwanderungspolitik. Das Preisgeld stiftet die
frühere Familienministerin an Mentorenprojekte für junge
Flüchtlinge in ihrer Geburtsstadt Wuppertal, in Dortmund
und Osnabrück sowie für die Kinderrechtsorganisation
»Save the Children Deutschland«.
»Süssmuth hat die Perspektive auf die Einwanderung
verändert«, sagte die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) in der Festrede. Mit ihrer
Politik habe sie gezeigt, dass Migration auch eine Chance
bedeute. Wichtige Impulse für Gesetzesreformen und eine
offenere gesellschaftliche Haltung seien von der sogenannten Süssmuth-Kommission zum Thema Zuwanderung
ausgegangen, die sie von 2000 bis 2001 leitete. Als Kernstück nannte Kraft die Integrationskurse. Deutschland sei
mittlerweile eines der beliebtesten Einwanderungsländer
und verstehe sich als »Gesellschaft der Vielfalt«.
Gleichzeitig habe Süssmuth den Blick auf die Auswanderungsländer gerichtet und sich für Fairness ihnen
gegenüber eingesetzt, sagte die Ministerpräsidentin weiter. Außerdem habe sie den deutschen Dialog mit Polen
und der Türkei unterstützt, unter anderem als Gründungspräsidentin der ersten türkisch-deutschen Universität in
Istanbul. »Sie ist zu einer Brückenbauerin geworden, zwischen den Menschen innerhalb und auch über die Grenzen
hinweg«, würdigte Kraft die Preisträgerin. Süssmuth habe
sich unermüdlich gegen jede Form von Ausgrenzung und
Diskriminierung eingesetzt, sagte die stellvertretende
Auszeichnungen
mus einen »außerordentlich wichtigen Beitrag für unsere
Demokratie«. Die niedersächsische Publizistin Röpke publiziert seit den 90er Jahren über die rechtsextreme
Szene. Mehrfach wurde die 1965 geborene Journalistin
bei ihren Recherchen von Rechtsextremen bedroht oder
angegriffen. Die Branchen-Zeitschrift »Medium Magazin«
zeichnete sie 2006 als »Reporterin des Jahres« und 2011
als »Politische Journalistin des Jahres« aus.
Die nach dem früheren Zentralratspräsidenten benannte Auszeichnung wird seit 2009 an Menschen vergeben, die sich in besonderem Maße für eine stabile
Demokratie und Zivilcourage einsetzen. Frühere Preisträger sind der sächsische Polizeipräsident Bernd Merbitz
sowie das Künstler-Ehepaar Horst und Birgit Lohmeyer
aus Mecklenburg-Vorpommern.
Journalistin Andrea Röpke erhält
Paul-Spiegel-Preis in Düsseldorf
Berlin/Düsseldorf (epd). Die Journalistin Andrea Röpke
erhält den mit 5.000 Euro dotierten Paul-Spiegel-Preis für
Zivilcourage des Zentralrates der Juden in Deutschland.
Die Politologin sei beharrlich und über viele Jahre am
Thema geblieben und habe zahlreiche Verbindungen und
Strukturen in der rechtsextremen Szene aufgedeckt, teilte
der Zentralrat am Montag in Berlin mit. Die Auszeichnung
wird am 17. Juni in der Synagoge der Jüdischen Gemeinde
Düsseldorf verliehen.
Zentralratspräsident Josef Schuster betonte, die Journalistin leiste mit ihren Recherchen zum Rechtsextremis-
Vorsitzende der Bertelsmann Stiftung, Liz Mohn: »Sie
vertritt das weltoffene Deutschland.«
Der alle zwei Jahre vergebene Preis erinnert an
den im Jahr 2009 gestorbenen Gründer der Bertelsmann
Stiftung, Reinhard Mohn. Die Auszeichnung soll innovative
Ideen für drängende gesellschaftliche und politische
Herausforderungen würdigen. Der erste Preis ging 2011
an die brasilianische Hafenstadt Recife, 2013 wurde der
ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan ausgezeichnet.
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Zahl antisemitischer Straftaten gestiegen
Berlin (epd). In Deutschland ist die Zahl der antisemitischen Straf- und Gewalttaten 2014 stark angestiegen.
Wurden 2013 noch insgesamt 1.275 Fälle registriert,
waren es im vergangenen Jahr 1.596, wie der in Berlin
erscheinende »Tagesspiegel am Sonntag« berichtete. Die
Zeitung berief sich auf eine Antwort der Bundesregierung
auf eine Anfrage des Grünen-Politikers Volker Beck.
Noch eklatanter sei demnach die Zunahme antiisraelischer Straftaten, die von den Behörden unter dem Begriff
»Israel-Palästinenser-Konflikt« aufgelistet werden: 2013
habe es 41 solcher Vorfälle gegeben, 2014 waren es 575.
Davon seien 91 Prozent mit Gewalt einhergegangen. Im
Jahr zuvor wurden laut offizieller Statistik dagegen keine
Gewalttaten mit antiisraelischem Hintergrund registriert,
hieß es in dem Zeitungsbericht. Auffallend sei zudem, dass
die Behörden die Übergriffe des Jahres 2014 größtenteils
der »politisch motivierten Kriminalität von Ausländern«
zuordnen. In der Statistik sind es 331 der insgesamt
registrierten 575 Fälle.
Nach Ansicht von Experten wirke der jüngste Gazakrieg als eine Art Brandbeschleuniger für ohnehin vorhandene Ressentiments und Vorbehalte, schrieb die Zeitung
weiter. Im Sommer 2014 hatte es während des bewaffneten Kampfes zwischen dem jüdischen Staat und der
islamistischen Hamas zahlreiche propalästinensische Demonstrationen gegeben. Dabei kam es immer wieder zu
antiisraelischen und judenfeindlichen Protesten.
»Antisemitismus darf in unserem Land genauso wenig
toleriert werden wie Rassismus und Muslimfeindlichkeit«,
forderte Beck. »Und Antizionismus ist eine Form des
Antisemitismus.«
Alarmiert zeigte sich auch das American Jewish Committee. Die deutliche Zunahme judenfeindlicher Vorfälle
spiegele eine besorgniserregende Entwicklung, sagte die
Direktorin des Berliner Büros, Deidre Berger, der Zeitung. Hinzu komme, dass viele judenfeindlichen Attacken
ungeahndet blieben. Das ermuntere potenzielle Täter.
Köln
Dagegen hatte die israelische Botschaft nach Angaben
der Stadt Köln schriftlich Protest eingelegt. Auch jüdische
Kontroverse um Absage von
israelkritischer Ausstellung
Köln (epd). Um die Absage einer israelkritischen Ausstellung durch den Kölner Oberbürgermeister Jürgen
Roters (SPD) ist eine Kontroverse entbrannt. Der israelische Historiker Moshe Zimmermann sprach von einer
»haarsträubenden Kapitulation Kölns«. Die Absage der
Schau der israelischen Gruppe »Breaking the Silence«
widerspreche den Grundregeln der Demokratie und freien
Meinungsäußerung, sagte er dem »Kölner Stadt-Anzeiger«
(15. Juni).
Auch der »Cap Anamur«-Gründer Rupert Neudeck
zeigte sich enttäuscht von Roters’ Entscheidung. »Breaking the Silence« sei eine der mutigsten Oppositionsgruppen Israels, sagte Neudeck dem Blatt. »Aber wenn wir sie
nach Köln holen, sollte sie sich hier nicht äußern dürfen?«
»Breaking the Silence« ist eine Gruppe ehemaliger
israelischer Soldaten, die das Vorgehen ihrer Armee gegen die Palästinenser kritisieren. Die Volkshochschule
Köln wollte eine Ausstellung der Organisation aus Anlass des 50. Jahrestags der Aufnahme diplomatischer
Beziehungen zwischen Israel und Deutschland zeigen.
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Synagogengemeinden und die Kölnische Gesellschaft
für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit hatten Kritik geäußert und erklärt, die Schau könnte Antisemitismus
schüren.
Vor diesem Hintergrund verteidigte der Kölner SPDFraktionsvorsitzende Martin Börschel die Entscheidung,
die Schau abzusagen. Es wäre allerdings besser gewesen,
die Bedenken früher zu prüfen, sagte Börschel. Auch
der FDP-Fraktionsgeschäftsführer Ulrich Breite sagte, die
Stadt hätte gar nicht erst eine Zusage erteilen dürfen.
Eine Absage zum jetzigen Zeitpunkt sehe für Köln nicht
gut aus.
Der Vorsitzende der Gesellschaft für ChristlichJüdische Zusammenarbeit, Jürgen Wilhelm, verteidigte die
Empfehlung, die Ausstellung abzusagen. Er kritisierte die
»absolute Einseitigkeit« der Darstellungen, die nur das
Vorgehen der israelischen Armee, nicht aber das der Palästinenser zeigten. Zugleich meldete er Bedenken gegen
die Intervention der Botschaft an. Es sei ein »fragwürdiges
Mittel«, diplomatischen Einfluss auf diese Weise geltend
zu machen.
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Der grüne Gipfel
Das G-7-Treffen in Elmau bot neben idyllischer Natur auch wegweisende Klimabeschlüsse
Garmisch-Partenkirchen (epd). Die Erleichterung war
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag deutlich anzumerken. Der G-7-Gipfel im oberbayerischen
Schloss Elmau stand unter extremem Sicherheitsaufwand
- und war doch fast völlig reibungslos verlaufen. Zwei
Tage lang hatten die Staats- und Regierungschefs der
sieben führenden Industrienationen umgeben von idyllischer Natur am Fuß der Wettersteinwand ungestört über
Weltpolitik beraten.
Am Ende verabschiedeten die Regierungen Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands, Italiens, der USA,
Kanadas und Japans eine 16-seitige Erklärung, mit dem
Klimaschutz als zentralem Element. Für ihre Vorstöße
erhielten die Regierungsvertreter Beifall: Viele Umweltund Entwicklungsaktivisten, die in den Tagen zuvor noch
gegen die G-7-Politik demonstriert hatten, zeigten sich
von den Gipfelergebnissen positiv überrascht.
Gegen den anfänglichen Widerstand Kanadas und
Japans setzten Merkel zusammen mit Frankreichs Staatschef François Hollande und US-Präsident Barack Obama
in der G-7-Runde das Ziel durch, im Lauf des Jahrhunderts
die weltweiten Kohlendioxid-Emissionen auf Null zu senken. Auf diese Weise soll die Weltgemeinschaft ihr vor
langer Zeit formuliertes Vorhaben erfüllen können, die
Erderwärmung auf maximal zwei Grad zu begrenzen. Bis
2050 sollen die weltweiten CO2-Emissionen um 40 bis
70 Prozent sinken - angepeilt werde »das obere Ende«,
berichtete Merkel.
Mit einer großen internationalen Agenda zu Klima,
Hunger, Terrorismus bekennen sich die G-7-Staaten
zu weltweiter Verantwortung. Dadurch erhofft sich die
Gruppe, häufig als »elitärer Club der Reichen und Mächtigen« kritisiert, mehr Legitimität und Gewicht auf der
globalen Bühne. Der G-7-Gipfel lieferte zugleich eine
ehrgeizige Vorlage für die weiteren Weltkonferenzen, die
in diesem Jahr anstehen: Von zentraler Bedeutung ist
etwa die UN-Klimakonferenz in Paris im Dezember, auf der
die Staatengemeinschaft ein neues Weltklimaabkommen
aushandeln will.
Das »Ende des fossilen Zeitalters«, das die G-7Gruppe anstrebe, müsse nun auch innerhalb des Pariser
Abkommens beschlossen werden, verlangt die Entwicklungsorganisation Germanwatch. Merkel selbst gab zu
bedenken, dass Länder wie China und Indien noch ins Boot
geholt werden müssten. Um weltweit die Energiewende
hin zu Wind, Sonne und Wasserkraft voranzubringen, be-
Fantasievoller Protest: Ballons mit den Gesichtern der
G-7-Teilnehmer im nächtlichen Himmel über GarmischPartenkirchen.
epd-bild / Thomas Lohnes
kräftigen die sieben Industrienationen ihre Klimahilfen für
Entwicklungsländer und wollen neue Initiativen starten.
Schon im nächsten Monat sollen wichtige Weichen
gestellt werden, wenn Mitte Juli bei einer UN-Konferenz im
äthiopischen Addis Abeba über Entwicklungsfinanzierung
verhandelt wird. Dass den G-7-Ländern die Belange
der südlichen Länder ernst sind, versuchte der Gipfel
auch am Montag zu demonstrieren: Die Staats- und
Regierungschefs Nigerias, Tunesiens, Liberias, Äthiopiens,
Senegals sowie des Irak waren am zweiten Gipfeltag zu
Gesprächen über Terrorabwehr, Armutsbekämpfung und
Flüchtlinge eingeladen.
»Die G-7-Staaten sind seit langem in einer schwierigen Lage«, erläutert der kanadische Politikwissenschaftler
John Kirton mit Blick auf die Tausenden Demonstranten,
die in die Alpen gekommen waren. Er forscht an der Universität von Toronto speziell zum Format der G-7. »Wenn
sich eine solche Gruppe von Politikern zusammensetzt,
nehmen die Bürger das schnell als Bevormundung wahr«,
sagte Kirton. Doch noch problematischer wäre es seiner
Ansicht nach, wenn die G-7 in drängenden Fragen untätig
blieben: »Wir können im Kampf gegen den Klimawandel
nicht noch ein Jahr verlieren. Und wer sonst sollte diesen
Kampf vorantreiben und finanzieren?«
Die Entwicklungsorganisation One zeigte sich angetan vom Versprechen der G-7, die extreme Armut und den
Hunger in der Welt bis 2030 zu beseitigen. »Wird dieses
Ziel nun solide finanziert, können wir Teil der Generation
sein, die Armut beendet.« Allerdings, so die Entwicklungsexperten, sei bis dahin noch ein weiter Weg zurückzulegen.
»Das starke Ergebnis von Elmau darf kein Luftschloss
sein.«
Von Isabel Guzmán und Elvira Treffinger (epd)
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Klimaschutz
Klimaforscher Latif sieht G-7Beschlüsse skeptisch
Hannover/Kiel (epd). Der Klimaforscher Mojib Latif sieht
die Beschlüsse des G-7-Gipfels zum Klimaschutz skeptisch.
Es fehlten die Taten, um die Beschlüsse im bayerischen
Schloss Elmau ernst nehmen zu können, sagte der Kieler
Wissenschaftler am 9. Juni dem Radiosender NDR-Info.
»Die USA haben jetzt die Erlaubnis erteilt, in arktischen
Gewässern nach Öl zu bohren, und betreiben Fracking in
großem Stil«, kritisierte der Klimaforscher. »Kanada nutzt
Teersande. Das ist eine Riesenschweinerei, die ganze
Landstriche verwüstet. Und in Deutschland schaffen wir
es noch nicht einmal, uns von der Kohle zu verabschieden«,
fügte Latif hinzu.
Er habe wenig Hoffnung, dass die jüngsten G-7Beschlüsse eine veränderte Politik einleiteten, sagte Latif.
»Ich weiß nicht, das wievielte Mal sich die Spitzen der
Weltpolitik jetzt zum Zwei-Grad-Ziel bekannt haben, das
ist wahrlich nichts Neues.« Der Klimaforscher wies darauf
hin, dass der weltweite CO2-Ausstoß seit den ersten
Weltklimakonferenzen in den 90er Jahren um 60 Prozent
gestiegen sei: »Meine Skepsis ist daher extrem groß,
dass es einfach nur großes Theater gewesen ist und man
einfach weitermacht wie bisher.«
Die Staats- und Regierungschefs der sieben führenden Industrieländer hatten sich bei ihrem Treffen in
Oberbayern für einen Ausstieg aus fossilen Energien im
Lauf dieses Jahrhunderts und eine bedeutsame Reduktion
der Treibhausgase ausgesprochen. Die globale Erwärmung soll nach dem Willen der G-7-Staaten auf maximal
zwei Grad begrenzt werden. Dafür sollen die weltweiten
Treibhausgas-Emissionen um 40 bis 70 Prozent bis 2050
gegenüber 2010 reduziert werden.
Klimaschutz
Schellnhuber hält G-7-Ziel für
erreichbar
Hannover/Potsdam (epd). Das von den G-7-Staaten in
Elmau formulierte Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad
zu begrenzen, ist nach Ansicht des Klimaforschers Hans
Joachim Schellnhuber durchaus realistisch. Allerdings
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müssten die Staaten dazu schon 2050 aus der fossilen
Wirtschaft mit Energieträgern wie Kohle und Öl weitgehend
ausgestiegen sein, sagte der Direktor des Instituts für
Klimafolgenforschung in Potsdam der »Hannoverschen
Allgemeinen Zeitung« (10. Juni). »Wenn man sich zur Vision
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bekennt, die Wirtschaft auf ein neues Betriebssystem
umzustellen, dann wird es möglich sein.«
Entscheidend dafür sei zudem, dass auch China und
Indien mitzögen. China sei bereits auf einem guten Weg
und könne wahrscheinlich schon vor 2030 die Emissionen
drücken, betonte Schellnhuber. Indien sei geprägt durch
eine zutiefst ungleiche Gesellschaft: »Aber gerade den
Armen kann ich nicht mit Kohlestrom helfen, sondern
durch Sonnenenergie, die man in den Dörfern erzeugt.
Das werden die Verantwortlichen begreifen.«
Klimaschutz
UN-Gespräche ohne greifbares
Ergebnis
Bonn (epd). Rund ein halbes Jahr vor der UNKlimakonferenz in Paris ringt die Staatengemeinschaft
weiter um den Entwurf für einen neuen globalen Klimavertrag. Eine zweiwöchige Verhandlungsrunde in Bonn
endete am Donnerstag ohne greifbares Ergebnis. Die
Chefin des UN-Klimasekretariats, Christiana Figueres,
erklärte, dass sich die Verhandlungen über den Vertragstext »Schritt für Schritt« entwickelten, nannte aber keine
Details. Umweltschützer und Entwicklungsorganisationen
zeigten sich enttäuscht. In Paris wollen sich die Staaten
Ende des Jahres auf ein neues Klimaabkommen einigen,
das 2020 in Kraft treten soll.
Figueres erklärte, dass es sich um einen »sehr
komplexen Prozess« handele. Sie äußerte sich zugleich
optimistisch über den weiteren Verhandlungsverlauf. Ein
wichtiger Impuls gehe dabei von den Klima-Beschlüssen
der G-7-Staaten aus, sagte sie. Bei ihrem Gipfel im
bayerischen Elmau hatten die G-7-Staaten die Absicht
bekundet, sich bis Ende des Jahrhunderts vollständig
von fossilen Energieträgern wie Kohle, Gas und Öl zu
verabschieden. »Das ist ein wegweisendes Signal«, lobte
Figueres. Eine »große Wirkung« erhofft sich Figueres auch
von der Umwelt-Enzyklika, die Papst Franziskus in der
kommenden Woche vorlegen will.
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Umweltminister zum Klima-Pilgerweg erwartet
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Anmeldung gestartet
Münster (epd). Für den internationalen »Ökumenischen
Pilgerweg für Klimagerechtigkeit« können sich Interessierte jetzt im Internet anmelden. Die Route führe vom
Nordkap unter anderem durch das Bistum Münster bis
nach Paris, teilte das Bistum Münster am Mittwoch mit.
Mit der Aktion will das ökumenische Bündnis »Geht doch«
aus Kirchen und Hilfswerken zur UN-Klimakonferenz in
Paris (30. November bis 11. Dezember) auf die globalen Folgen des Klimawandels aufmerksam machen. Der
Pilgerweg startet in Deutschland am 13. September in
Flensburg und führt über Trier nach Paris.
Klimaschutz und globale Gerechtigkeit »gehören
eng zusammen«, sagte EKD-Ratsvorsitzender Heinrich
Bedford-Strohm. Der katholische Erzbischof von Bamberg,
Ludwig Schick, ergänzte, gemeinsames Pilgern biete die
Möglichkeit, »spirituelle Besinnung mit politischem Engagement zu verbinden«. Beide Bischöfe sind Schirmherren
der Aktion.
Pfarrgemeinden, kirchliche Einrichtungen, Bildungsstätten, Verbände und kirchliche Schulen sind aufgerufen,
sich am Klimapilgern zu beteiligen. Geplant seien unter anderem Begegnungen mit Menschen, die sich für
Naturschutz und Energieeinsparen einsetzen oder die
unter den Folgen einer fehlgeleiteten Energiepolitik leiden, erklärte das Bistum Münster. Erwartet werden auch
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) und
NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne).
Die zurückzulegende Strecke sei frei wählbar, hieß
es. Möglich sind Halbtages- oder Tagesetappen von 20
bis 25 Kilometern, eine mehrtägige Beteiligung oder eine
vollständigen Teilnahme über die 1.460 Kilometer lange
Gesamtstrecke. Kirchengemeinden und andere Gruppen
werden den Angaben zufolge einfache Schlafgelegenheiten zur Verfügung stellen. Im Bistum Münster sind die
Klimapilger vom 13. bis zum 19. Oktober unterwegs. Ihr
Weg führt in Tagesetappen von Osnabrück über Lengerich,
Saerbeck, Greven, Münster, Rinkerode und Herbern nach
Lünen.
Umwelt
Müllverbrennungsanlagen und später für Anlagen der
Metall erzeugenden und verarbeitenden Industrie gesenkt
worden.
Die Stoffgruppe der polychlorierten Biphenyle (PCB)
wird seit 1994 systematisch gemessen. Zwar sei zu
diesem Zeitpunkt die Verwendung und Produktion der
Stoffe seit Jahren verboten gewesen, doch weil PCB in der
Umwelt kaum abgebaut werde, nehme die Konzentration
nur langsam ab, erklärte das Lanuv. Zudem könnten
durch Recycling von Transformatoren, Kondensatoren
oder Hydraulikanlagen PCB-haltige Materialien wieder in
die Umwelt gelangen.
Auch wenn die Belastung der Außenluft weiter sinke
und deutlich unter den empfohlenen Zielwerten liege, gebe
es jedoch noch immer Belastungen im Staubniederschlag,
erklärte das Lanuv. Ablagerungen von giftigen Stoffen
auf Boden, Pflanzen und anderen Flächen könnten in die
Nahrungskette gelangen und die Gesundheit schädigen.
Im Unterschied zu den Konzentrationen in der Außenluft
liege die Belastung mit drei bis 18 Picogramm - ein
Picogramm entspricht einem billionstel Gramm - durch
Ablagerung noch über dem entsprechenden Zielwert von
vier Picogramm pro Quadratmeter.
Luft in NRW nur gering durch Gifte
belastet
Recklinghausen (epd). Die Giftbelastung der Luft in NRW
sinkt weiter. Die Konzentrationen hochtoxischer Dioxine,
Furane und dioxinähnlicher polychlorierter Biphenyle in
der Außenluft haben das niedrigste Niveau seit Beginn der
Messungen von 1988 beziehungsweise 1994 erreicht, wie
das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz
(Lanuv) am 8. Juni in Recklinghausen mitteilte.
Bereits seit 16 Jahren lägen die in Femtogramm - ein
Femtogramm entspricht einem billiardstel Gramm - gemessenen Werte weit unterhalb des von der Bund-LänderArbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz empfohlenen
Zielwerts, hieß es. Der zur Vorsorge empfohlene Zielwert
beträgt 150 Femtogramm. An den Messstellen in Essen,
Dortmund und Duisburg wurden jedoch lediglich zwischen
14 und 20 Femtogramm pro Kubikmeter Luft gemessen.
Zu Beginn der Messreihen für Dioxine und Furane,
die bis 1988 zurückgehen, seien die Konzentrationen
etwa zehn- bis zwanzigmal höher gewesen als heute,
erklärte das Lanuv. Sie seien aber durch Auflagen für
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102-Jährige erhält nach 80 Jahren ihren Doktortitel
Hamburg (epd). Mit einer Verspätung von knapp 80
Jahren hat die 102-jährige Kinderärztin Ingeborg SyllmRapoport ihren Doktortitel erhalten. Burkhard Göke, Vorstandsvorsitzender der Hamburger Uni-Klinik Eppendorf,
überreichte ihr am 9. Juni die Promotionsurkunde. Es sei
der Versuch, »ein Stück Gerechtigkeit wiederherzustellen«,
sagte Göke. Syllm-Rapoport hatte die Dissertation über
die Krankheit Diphterie bereits in den 30er Jahren an der
Uni-Klinik eingereicht, konnte sie wegen der jüdischen
Herkunft ihrer Mutter aber nicht verteidigen. Im Mai 2015
war sie dazu mündlich geprüft worden. Die 102-Jährige
schloss ihr Studium jetzt mit »magna cum laude« (dt.: mit
großem Lob) ab.
Ingeborg Rapoport wurde 1912 als Tochter einer
jüdischen Pianistin im heutigen Kamerun geboren. Die
Medizinierin war von 1937 bis 1938 als Assistenzärztin
am Israelitischen Krankenhaus in Hamburg tätig und
fertigte in dieser Zeit ihre Dissertationsschrift an, die
aber abgelehnt wurde. 1938 emigrierte sie in die USA
und bewarb sich an verschiedenen Universitäten. In
Philadelphia konnte sie nach zwei weiteren Studienjahren
ihren Abschluss machen. 1950 zog sie mit ihrem Mann
und vier Kindern in die DDR und übernahm an der Berliner
Charité den ersten Lehrstuhl für Säuglingsmedizin. Heute
lebt sie in Berlin-Pankow.
Der Dekan der Medizinischen Fakultät am Eppendorfer Klinikum, Uwe Koch-Gromus, erfuhr zum 100.
Geburtstag der Medizinerin von dem Fall und setze sich
für die Aufklärung ein. Gemeinsam entschied man sich
für das Ablegen einer mündlichen Prüfung, auf die sich
die Seniorin mit Hilfe von Freunden vorbereitete. Sie
verfüge über ein großes Fachwissen auch im Bereich der
modernen Medizin, sagte Koch-Gromus während der Feierstunde. »Nicht nur unter Berücksichtigung ihres hohen
Alters war sie einfach brillant.«
Bildung
Offene Ganztagsschule Hausaufgabenbetreuung, Musikoder Sportkurse anbieten könne, hänge zurzeit noch
entscheidend vom Engagement der Kommunen ab. Manche Städte finanzierten unter Verweis auf ihre hohe
Verschuldung nicht einmal eine halbe Erzieherinnenstelle.
Zwar sei für 2015 eine Erhöhung der Landesförderung und der Pauschalen von Land und Kommunen
beschlossen worden. Auch stiegen die Eigenanteile der
Schulträger. Dadurch fließen nach Diakonie-Angaben rund
Diakonie fordert mehr Geld für
Offene Ganztagsschulen
Düsseldorf (epd). Offene Ganztagsschulen in NordrheinWestfalen sind nach Ansicht der Diakonie RheinlandWestfalen-Lippe seit Jahren unterfinanziert. »Da die Landesförderung nicht ausreicht, gibt es große regionale
Unterschiede im Hinblick auf die finanzielle Ausstattung,
Qualität des Personals, Räumlichkeiten sowie Förderund Freizeitangebote«, kritisierte Tim Rietzke, DiakonieReferent für Ganztagsschulen, am 8. Juni in Düsseldorf.
Die Landesregierung müsse ihre Fördermittel deutlich
erhöhen.
Der evangelische Wohlfahrtsverband forderte die
Landesregierung zudem auf, gesetzlich einheitliche Standards für die Personal- und Raumausstattung sowie
für Bildungs- und Freizeitangebote festzulegen. Ob eine
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6,6 Millionen Euro mehr in die Offenen Ganztagsschulen
als im Vorjahr. Das reiche aber bei weitem nicht aus,
kritisierte Helga Siemens-Weibring, Leiterin des DiakonieGeschäftsbereichs Familie, Bildung und Erziehung.
Bei Offenen Ganztagsschulen kooperieren Schulen
mit freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe. Die Diakonie
und die evangelische Kirche sind Träger von 531 Offenen
Ganztagsschulen in NRW.
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Gesamtschule Barmen gewinnt Deutschen Schulpreis
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Jury lobt gutes Schulklima und erfolgreiche Förderung
Wuppertal/Berlin (epd). Die Gesamtschule Barmen in
Wuppertal hat den Deutschen Schulpreis 2015 gewonnen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) überreichte den mit
100.000 Euro dotierten Preis am Mittwoch in Berlin, wie
die Robert Bosch Stiftung mitteilte. Mit der Auszeichnung
würdigte die Stiftung das Engagement der Wuppertaler
Schule, Schüler aus schwierigen Lebenssituationen zu
guten Leistungen zu führen.
Vier weitere Preise in Höhe von je 25.000 Euro
gingen die Grundschule am Buntentorsteinweg Bremen,
das Ganztagsgymnasium Klosterschule Hamburg, die
Jenaplanschule Rostock und die Grundschule Waldschule
in Flensburg. Den ebenfalls mit 25.000 Euro dotierten
»Preis der Jury« erhielt die Berufsschule Don Bosco in
Würzburg.
Die siegreiche Gesamtschule Barmen in Wuppertal
liegt in einem sozialen Brennpunkt. 120 Lehrkräfte, zwei
Sozialpädagogen und ein Sozialarbeiter unterrichten 1.361
Schüler. Die Hälfte der Jungen und Mädchen wächst mit
nur einem Elternteil auf, ein Drittel hat ausländische
Wurzeln, wie es hieß.
Trotz der unterschiedlichen Startbedingungen gelinge
es den Lehrern, die Schüler zu besseren Leistungen zu
führen, als von der Grundschule am Ende der vierten
Klasse prognostiziert, erklärte die Jury. Obwohl nur 17
Prozent eine Empfehlung fürs Gymnasium erhalten, wechseln rund 60 Prozent der Jugendlichen in die gymnasiale
Oberstufe. Zudem bewertet die Jury die Arbeit inklusiver
Lerngruppen mit behinderten Schülern als erfolgreich.
Streit um »Schmalspur-Abi«:
Löhrmann weist Kritik zurück
(epd).
Die
nordrheinOsnabrück/Düsseldorf
westfälische Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne)
hat zum Auftakt der Kultusministerkonferenz Kritik
zurückgewiesen, nach der es in einigen Bundesländern
eine Art »Schmalspur-Abi« gebe. »Unser Ziel bleibt,
dass wir das Schulsystem leistungsfähiger und sozial
gerechter machen wollen«, sagte Löhrmann der »Neuen
Osnabrücker Zeitung« (11. Juni). Mit Hilfe eines
Bildungsmonitorings, das auf der am Donnerstag in
Berlin gestarteten Konferenz der Bildungsminister der
Besonders beeindruckt habe die Jury das hervorragende Schulklima, sagte ihr Sprecher, der Erziehungswissenschaftler Michael Schratz von der Universität
Innsbruck. Jeder Schüler sei als Pate, Medienscout oder
Schulsanitäter für etwas verantwortlich. Andere Schulen
könnten von der Gesamtschule Barmen lernen, wie Partizipation und Teilhabe in exzellenter Weise gelebt werden,
sagte Schratz.
Mit dem Preisgeld will die Gesamtschule einen Schulhof mit vielen Bewegungsangeboten ausstatten, kündigte
Schulleiterin Bettina Kubanek-Meis an. Besonders für
die jüngeren Schüler würden damit die Pausen noch
attraktiver.
Neben dem Wuppertaler Oberbürgermeister Peter
Jung (CDU) gratulierte auch NRW-Schulministerin Sylvia
Löhrmann (Grüne) zu der Auszeichnung. Damit gehörten
zum sechsten Mal in Folge Schulen aus NRW zu den
Gewinnern des Schulpreises, erklärte die Ministerin.
»Diese Schulen haben eine positive Ausstrahlung auf die
gesamte Schullandschaft.« Sie zeigten, wie herausragende
Unterrichtsentwicklung im Team gelingen könne und
Kinder und Jugendliche bestmöglich gefördert würden.
Die Robert Bosch Stiftung vergibt den Deutschen
Schulpreis seit 2006 gemeinsam mit der Heidehof Stiftung.
Die Jury bewertet die Bereiche Leistung, Umgang mit
Vielfalt, Unterrichtsqualität, Verantwortung, Schulleben
und Schule als lernende Institution.
Länder beschlossen werden soll, könnten Unterrichtsund Lehrmethoden genauer analysiert werden.
Es sei wichtig zu klären, warum manche Bundesländer
in manchen Bereichen besser abschnitten und wie die
anderen daraus lernen könnten. Ziel sei zudem, die
»vorhandene gute Praxis in die Fläche« zu bringen, betonte
die Vizepräsidentin der Konferenz.
Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins »Spiegel« häuften sich zwischen 2006 und 2013 die TopAbiturnoten. Der Anteil der Einser-Abiturienten weicht
zudem in manchen Ländern deutlich vom Bundesdurchschnitt ab. So schlossen 2013 in Thüringen 37,8 Prozent
aller Kandidaten mit einer Eins vor dem Komma ab, in
Niedersachsen nur 15,6 Prozent.
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Viele Lehrer hadern mit der Inklusion
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Beim gemeinsamen Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Schülern knirscht es
Dortmund (epd). Barbara Riems Ziele sind schnell kleiner
geworden. »Nicht ausflippen - das ist das einzige, was ich
diesen Schülern hier beibringen kann«, sagt die Sonderpädagogin aus Dortmund. Die Lehrerin heißt eigentlich
anders, aber sie will ihren Namen nicht in der Zeitung
lesen. Denn sie fürchtet, dass ihr öffentliche Kritik an der
Inklusion - dem gemeinsamen Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Schülern - im Beruf schadet.
»Bei dem Thema kommen Diskriminierungsvorwürfe besonders schnell«, sagt die Lehrerin. »Dabei funktioniert
Inklusion für viele Schüler nicht.«
Voller Elan sei sie im vergangenen Jahr in eine
Dortmunder Gesamtschule gewechselt, um dort, in der
Regelschule, Inklusion umzusetzen. Und ist dabei schnell
an die Grenzen des gemeinsamen Unterrichts gestoßen:
»Meine lernbehinderten Schüler dort beherrschten in
Mathe das kleine Einmaleins nicht, die Klasse nahm aber
Bruchrechnung durch«, erzählt sie. »Das ist auf eine sehr
anstrengende Art langweilig für die Schüler, die dann auch
anfingen, den Unterricht zu stören.«
Riem ist für mehrere Klassen zuständig. »Oft habe
ich die Klassenlehrer meiner Schüler wochenlang nicht
zu Gesicht bekommen, weil das vom Stundenplan her
nicht möglich war«, sagt Riem. »Und die Fachlehrer hatten
auch keine Zeit, sich mit mir oder untereinander über den
Lernstand Einzelner abzusprechen.« Geschweige denn,
einen Zugang zu den sogenannten emotional-sozial behinderten Schülern zu finden, für die zwischenmenschlicher
Umgang und Gefühlskontrolle besonders schwierig sind.
Mit dieser Kritik ist Riem nicht allein, zeigt aktuell eine
repräsentative Lehrerumfrage, die der Verband Erziehung
und Wissenschaft (VBE) beim Meinungsforschungsinstitut
Forsa in Auftrag gegeben hat. »Die Ergebnisse sind mehr
als ein Alarmsignal an die Politik«, fasst VBE-Vorsitzender
Udo Beckmann zusammen. Die Rahmenbedingungen
an den Schulen entsprächen nicht im Mindesten den
Auflagen der UN-Behindertenkonvention.
Tatsächlich zeigt die Studie, wie viele Lehrer sich mit
der Inklusion überfordert sehen. 98 Prozent sprechen sich
in der Umfrage für eine Doppelbesetzung von Lehrern und
Sonderpädagogen in inklusiven Lerngruppen aus - und
zwar dauerhaft. »Schulrechtlich ist das gar nicht zwingend
vorgesehen«, sagt Beckmann. Zwei von drei Befragten
hatten immerhin einen Sonderpädagogen an der Schule wie Riem in Dortmund zuständig für alle Inklusionsklassen
der Schule, häufig auch an mehreren im Stadtgebiet.
Ihre eigenen sonderpädagogischen Fähigkeiten bewerten die Lehrer als schlecht: 57 Prozent gaben an,
keine Kenntnisse zu haben, 38 Prozent hatten auch keine
begleitende Fortbildung. Und wenn sie eine hatten, sind
mehr als zwei Drittel der Befragten mit deren Qualität
nicht zufrieden.
Sie müssen trotzdem Inklusion umsetzen: 75 Prozent
der Befragten gaben an, dass an ihren Schulen inklusiv
unterrichtet wird. Bei den meisten wurde dabei weder
die Schülerzahl kleiner, noch die Schule barrierefrei. »Die
Lehrer wurden von ihren Dienstherren einfach ins kalte
Wasser geworfen«, sagt Beckmann. So werde »willentlich
in Kauf genommen, dass die Inklusion vor die Wand
gefahren wird«.
Zu große Lerngruppen, zu wenig Fachpersonal, fehlende Barrierefreiheit, beschreibt der Gewerkschafter »die
Schulwirklichkeit«: »Da darf man sich nicht wundern,
dass 41 Prozent der Lehrer die Beschulung behinderter
Kinder an Förderschulen für sinnvoller halten.« So hoch
ist laut Studie der Anteil der Inklusionsgegner unter den
Lehrern. 57 Prozent wollen Inklusion - aber nur wenn die
personellen und finanziellen Ressourcen stimmen.
Barbara Riem unterrichtet seit einem Jahr wieder in
einer Förderschule: Zwölf Kinder hat ihre zweite Klasse,
einen davon kann sie sich bald an einer Regelschule
vorstellen. »Für die andern ist der behütete Raum hier viel
besser als Inklusion.«
Miriam Bunjes (epd)
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Tugce-Prozess: Anklage fordert mehr als drei Jahre Haft
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Verteidiger plädieren auf Jugendstrafe zur Bewährung für 18-jährigen Angeklagten
Darmstadt (epd). Im Prozess um den gewaltsamen Tod
der Studentin Tugce Albayrak sind am 12. Juni im Landgericht Darmstadt die Plädoyers gehalten worden. Die
Staatsanwaltschaft forderte für den 18-jährigen Angeklagten Sanel M. eine Jugendstrafe von drei Jahren und drei
Monaten. Der Vorwurf lautet auf Körperverletzung mit
Todesfolge. Die Anwälte der Nebenkläger, der Familienangehörigen des Opfers, forderten eine »empfindlichere
Jugendstrafe«, ohne ein genaues Maß zu nennen. Die Verteidiger des Angeklagten plädierten auf eine Jugendstrafe
zur Bewährung und Aussetzung der Haft.
Sanel M. hatte die Studentin laut Anklage im Morgengrauen des 15. November 2014 im Lauf eines Streits vor
einem Offenbacher Schnellrestaurant geschlagen, so dass
sie stürzte und ins Koma fiel. Zwei Wochen später ließen
ihre Eltern die lebenserhaltenden Maschinen abstellen.
Der Angeklagte ergriff am 12. Juni vor Gericht das
letzte Wort, nachdem er seit seinem Geständnis zu
Anfang des Prozesses geschwiegen hatte. »Egal was hier
rauskommt - ich muss halt damit leben, dass wegen mir
ein Mensch tot ist. Der Schlag war der schlimmste Fehler
meines Lebens. Ich kann nur sagen, dass es mir leidtut«,
sagte er.
Staatsanwältin Birgit Lüter stellte fest, dass eine feste
Ohrfeige ausreiche, um ein Opfer bewusstlos zu schlagen.
Es sei vorhersehbar gewesen, dass der daraufhin folgende
Sturz auf den Asphalt tödliche Folgen haben könne.
Außerdem sei Sanel M. bereits dreimal verurteilt worden:
Wegen Körperverletzung, räuberischer Erpressung und
Diebstahl in einem schweren Fall. Für Köperverletzung mit
Todesfolge sieht das Jugendstrafrecht einen Strafrahmen
von sechs Monaten bis zehn Jahre Haft vor.
Bei der Beurteilung habe die Staatsanwaltschaft dem
Angeklagten sein Geständnis und seine Reue zu Beginn
des Prozesses zugutegehalten, sagte Lüter. Auch habe
er auf das Opfer nicht eingeprügelt, sondern ihm nur
einen Schlag versetzt. Sanel M. habe selbst Gewalt durch
den Vater erlebt. Gegen den Angeklagten spreche seine
kriminelle Energie. Nach der Tat sei er schnell geflohen,
ohne Hilfe zu leisten. In der Haft solle der Angeklagte eine
Berufsausbildung nachholen und Mitgefühl gegenüber
Schwächeren erlernen.
Oberstaatsanwalt Alexander Homm kritisierte das
öffentliche Schwarz-Weiß-Bild vom bösen Täter und edlen
Opfer der Zivilcourage vor dem Prozess. Klar sei, dass die
Aggressionen von der Gruppe junger Männer gegen die
Gruppe junger Frauen um Tugce Albayrak ausgegangen
seien. Sanel M. habe sich vor dem Schlag auf dem nächtlichen Parkplatz »als großer starker Mann aufgespielt.« Es
sei nicht glaubhaft, dass eine angeblich kurz zuvor ausgesprochene Beschimpfung durch Tugce den Ausschlag
für den Schlag gegeben habe.
Die Rechtsanwälte der Familienangehörigen des Opfers plädierten für eine »empfindlichere Jugendstrafe«,
um in einer längeren Erziehung an der Persönlichkeit des
Angeklagten zu arbeiten. Der Anwalt Macit Karaahmetoglu
sprach dem Angeklagten Reue ab. Sein zu Anfang des
Prozesses verlesenes Geständnis sei rein prozesstaktisch
motiviert gewesen.
Die Verteidiger des Angeklagten bestritten, dass
die Folgen des Schlages hätten vorhergesehen werden
können. Sanel M. seien nach Beleidigungen durch Tugce
Albayrak »die Sicherungen durchgebrannt«, sagte Rechtsanwalt Stephan Kuhn. Verteidiger Hans-Jürgen Borowsky
kritisierte eine Vorverurteilung des Angeklagten und eine
beispiellose Kampagne in der Presse. Der Staat habe beim
Schutz eines Heranwachsenden versagt. Sanel M. habe
nicht wissen können, dass eine Ohrfeige zum Tod führen
könne. »Ohrfeigen waren jahrhundertelang ein erprobtes
Mittel der Erziehung.« Der 18-Jährige werde zu seiner
Sicherheit das Rhein-Main-Gebiet verlassen und sich ein
Leben lang mit den Folgen seiner Tat auseinandersetzen
müssen.
Der dritte Verteidiger, Christian Heinemann, nannte
den Tod von Tugce einen »äußerst bedauerlichen Unglücksfall«. Sanel M. habe im Prozess geschwiegen, weil nach
der »Hexenjagd« der Medien ihm »jedes Wort im Mund
umgedreht« worden wäre. Der Anwalt plädierte auf ein
Jahr Jugendstrafe, ausgesetzt auf zwei Jahre Bewährung.
Das Urteil soll am 16. Juni erfolgen.
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Trinkgelage bei Schimpansen
Frankfurt a.M. (epd). Auch die engsten tierischen Verwandten des Menschen treffen sich zum alkoholischen
Stelldichein: Schimpansen in Guinea haben mit wiederholten Trinkgelagen den Forschern gezeigt, dass sie gezielt
alkoholhaltigen Palmsaft zu sich nehmen. Dies geht aus einer Studie internationaler Wissenschaftler hervor, die die
britische Royal Society am 10. Juni online veröffentlichte.
Über einen Zeitraum von 17 Jahren hinweg beobachten die Forscher eine Gruppe wilder Affen im westafrikanischen Guinea. Etwa die Hälfte der erwachsenen
und heranwachsenden Schimpansen fand dabei an dem
zu Wein gegorenen Palmsaft Geschmack, manche sogar so sehr, dass ihnen der Konsum danach deutlich
anzumerken war. Das berauschende Getränk fanden die
Tiere in Containern, in denen Bewohner der Region den
Saft der Raphia-Palmen auffangen. Besonders clever: Die
Schimpansen nutzten Blätter, die die Menschen zum
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Abdecken der Auffangbehälter verwendeten, um daraus
Trinkschwämme für sich zu fertigen.
Sie zerkauten die Blätter und knüllten sie so zusammen, dass sie damit Palmwein aus den Containern
schöpfen konnten. Die besonders Gewitzten brachten
es so gar auf mehrere Liter des alkoholischen Getränks.
Einige Affen nahmen nur wenig Alkohol zu sich, als geschätzten Höchstwert nennen die Forscher knapp 85
Milliliter Ethanol. Das entspricht ungefähr fünf Flaschen
Bier.
Sowohl männliche als auch weibliche Affen sprachen
dem süßen Wein zu, zuweilen in geselliger Runde. Die
Schimpansen hätten den fermentierten Palmensaft zwar
nicht sehr häufig zu sich genommen, aber gewohnheitsmäßig, heißt es in der Studie unter Federführung von Kimberley Hockings, Expertin für Biologische Anthropologie. Die
Beobachtungen ließen eine »zufällige Alkoholaufnahme«
unwahrscheinlich erscheinen, resümieren die Forscher.
Ein Tier des Südens
Die Gottesanbeterin breitet sich in Deutschland aus
Frankfurt a.M. (epd). Schon die alten Griechen nannten
sie Mantis, die Seherin. Sie sahen in der Fangschrecke
offenbar eine Verwandte der drogenumnebelten Wahrsagerin von Delphi. »Mantis religiosa«, so bezeichnete sie
deshalb auch der Erfinder der biologischen Systematik,
Carl von Linné. Ihr deutscher Name: Gottesanbeterin.
Doch wenn die Schrecke, umschleiert von zarten grünen
Flügeln, ihre Vorderbeine zum Himmel reckt, betet sie
nicht. Sie lauert.
»Sie ist der Tiger unter den friedliebenden Insektenvölkern, der seinen Tribut an frischem Fleisch fordert«,
schrieb Jean-Henri Fabre schon vor mehr als 100 Jahren.
Sie schnappt blitzschnell zu und frisst kleinere Insekten
wie Spinnen. Der französische Insektenkundler Fabre hat
sich ihre »Raubbeine« genau angesehen: »Die Hüftkeule
ist auffallend lang und kräftig«, schreibt er, »denn die
Mantis wartet nicht auf ihr Opfer, sie sucht es.« Die
langen Schenkel gleichen einer Säge, das Unterbein einer
Harpune. Das bekam auch Fabre schmerzhaft zu spüren.
Heute muss man sich nicht mehr wie er in die
südfranzösische Einöde zurückziehen, um die Europäische
Gottesanbeterin zu beobachten. Auf dem ehemaligen
Güterbahnhof in Berlin-Schöneberg wurde 1998 eine
Mantiden-Population entdeckt. Wie sind die Tiere dorthin
Gottesanbeterin
epd-bild / Josef Niedermeier
gekommen? Sind sie mit einem Zug aus dem Süden
eingereist? Ist ein Eigelege von einem Zug mit Labormüll
herabgefallen? Oder haben »Naturfreunde« sie ausgesetzt?
Niemand weiß das. Jedenfalls haben die Berliner Fangschrecken neue Forscher auf den Plan gerufen. Manfred
Klaus Berg, eigentlich Gartenbautechniker, beobachtet sie
seit Jahren und hat ein umfassendes Fachbuch über die
Gottesanbeterin verfasst. Manfred Keller, Diplomingenieur
für Medizintechnik, hat die Mantiden in seiner Freizeit
fotografiert und hält jetzt auch Vorträge über die Gottesanbeterin: »Der Güterbahnhof ist ungestört und sehr
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schön warm. Er bietet Eiablageplätze an der Unterseite
der Schienen oder im Gleisschotter und genug Insekten
als Futtergrundlage.«
Nicht nur in Berlin, auch in anderen östlichen Bundesländern breiten sich die Insekten aus, die eigentlich als
Tiere des Mittelmeerraumes gelten. Vor allem an den Rändern von Tagebaugebieten, etwa in Nochten in der Lausitz,
fühlen sie sich wohl, auch auf Truppenübungsplätzen. Von
14 Fundorten ist die Rede, davon wurde die Hälfte erst im
vorigen Jahr entdeckt: in Sachsen-Anhalt, Brandenburg
und Sachsen. Die Gesamtzahl der Individuen kennen auch
die Berliner Amateur-Forscher nicht.
Begünstigt der Klimawandel die Ausbreitung dieses
wärmeliebenden Insekts? Das untersucht die Biologin
Catherine Linn in ihrer Dissertation an der Universität
Mainz. Noch ist ihre Studie in der Begutachtungsphase.
Aber eines lässt sich schon jetzt sagen: »Es wird vermutet,
dass die Mantis über die Burgundische Pforte ins südliche
Baden-Württemberg eingewandert ist und sich unter der
Zunahme von Hitzeperioden des Klimawandels weiter
nach Norden ausbreitet.«
Seit den 90er Jahren seien auch stabile Populationen
im südlichen Rheinland-Pfalz bekannt, und: »Fundmeldungen aus dem Moseltal bei Trier deuten auf eine zweite
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Einwanderungsroute über Luxemburg hin.« Vereinzelte
Funde soll es bereits 1756 einmal bei Frankfurt am Main
gegeben haben.
Die Berliner Population sei genetisch verwandt mit
den Mantiden in Tschechien, erklärt Linn. Die sächsischen
Gottesanbeterinnen könnten aus Polen durch das warme
Elbtal eingewandert sein. Die kalten polnischen Winter
können den Eigelegen (Ootheken) nichts anhaben, weil
die Eier in einem erhärteten Schaumsekret bis zu minus
40 Grad überstehen. »Zur Zeit schlüpfen sicher die Larven
aus den Ootheken«, sagt Keller. Aufgrund des trockenen
Frühjahrs vermutet Linn ein Populationswachstum.
»Aus einem Eigelege kommen durchschnittlich 150
Jungtiere von der Größe einer Waldameise«, erläutert
Manfred Keller. Die Männchen werden fünf bis sechs
Zentimeter, die Weibchen sechs bis sieben Zentimeter
groß. Von klein auf fressen sie andere Insekten: Bienen,
Fliegen, Milben, Heuschrecken. Nach bis zu sieben Häutungen schlüpft aus der Larve das erwachsene Tier. Im
August fand Fabre nur noch wenige Männchen: So manches Weibchen hatte seinen Partner gefressen und sich
dessen kostbares Eiweiß zugunsten der Brut einverleibt.
Von Claudia Schülke (epd)
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Parlamentarier für Verbot »geschäftsmäßiger« Suizid-Hilfe
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Abgeordnetengruppe legt ersten Entwurf in Sterbehilfe-Debatte vor
Berlin (epd). Im Bundestag werden die Pläne zum Umgang mit den umstrittenen Sterbehilfe-Organisationen
konkret. Am 9. Juni stellte eine erste fraktionsübergreifende Parlamentariergruppe einen Entwurf vor, der die
»geschäftsmäßige«, das heißt auf Wiederholung angelegte
Hilfe beim Suizid unter Strafe stellt. Die SPD-Abgeordnete
Kerstin Griese sagte, die Gruppe sehe ein Problem dort,
»wo Vereine oder Einzelpersonen geschäftsmäßig Beihilfe
zum Suizid betreiben«. Die Aggressivität von Organisationen, die den »Tod auf Bestellung servieren«, zwängen zu
einer Regelung, sagte der CSU-Politiker Michael Frieser.
Die Initiatoren-Gruppe aus zehn Abgeordneten von
Union, SPD, Grünen und Linken spricht sich in ihrem
Antrag für einen neuen Paragrafen im Strafgesetzbuch aus.
In Paragraf 217 soll es künftig heißen: »Wer in der Absicht,
die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu
geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder
vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder
mit Geldstrafe bestraft.« Die Arbeit von Organisationen
wie der des ehemaligen Hamburger Justizsenators Roger
Kusch wäre damit nicht mehr möglich.
Angehörige oder nahestehende Personen sollen dem
Antrag zufolge vor Verfolgung geschützt werden, wenn
sie bei der dann strafbaren Form der Suizid-Beihilfe
teilnehmen, etwa indem sie den Sterbewilligen dorthin
fahren. »Wer die Schärfe des Strafrechts nutzt, tut gut
daran, nicht in Familien hineinzuregieren«, sagte Frieser.
Eine ausdrückliche Regelung für Ärzte ist in dem
Entwurf nicht enthalten. Griese stellte jedoch klar, dass
auch sie nach dieser Regelung in Konflikt mit dem Strafrecht geraten, wenn sie die Suizidbeihilfe geschäftsmäßig
verfolgten. Ethische Einzelfallentscheidungen sollten aber
nicht sanktioniert werden. Bisher Mögliches, darunter
auch die palliative Sedierung, die Schmerzen lindert,
gegebenenfalls aber auch das Leben verkürzt, soll auch
künftig erlaubt bleiben.
Die Beihilfe zum Suizid ist in Deutschland wie der
Suizid selbst nicht verboten. Das nutzen Sterbehilfeorganisationen. Im Bundestag wird derzeit um den Umgang
mit der organisierten Form des assistierten Suizids gerungen. Bislang gibt es vier Positionen: Neben dem am
Dienstag vorgestellten Entwurf stehen Pläne einer Gruppe
um Renate Künast (Grüne), die die Arbeit von Sterbehilfeorganisationen erlauben und die Bedingungen dafür
ausdrücklich regeln will.
Der Bundestag will die Sterbehilfe neu regeln.
epd-Bild / Jürgen Blume
Zudem gibt es eine Gruppe um die Abgeordneten Peter
Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD), die Ärzten die
Beihilfe zum Suizid ausdrücklich gestatten will. Mediziner
sind bei der Regelung ein Sonderfall: Ihnen ist per
Standesrecht die Beihilfe zum Suizid verboten. Eine
vierte Position zum Thema formulierte kürzlich der CDUAbgeordnete Patrick Sensburg: Er will jede Beihilfe zum
Suizid mit bis zu fünf Jahren Haft ahnden.
Zwischen diesen Positionen sei der Entwurf der
Parlamentarier für ein Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe ein »Weg der Mitte«, sagte der CDU-Politiker
Michael Brand. Er rechnet mit einer großen Unterstützerzahl im Bundestag. Nach seinen Angaben steht auch
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hinter
dem Papier.
Die SPD-Abgeordnete Eva Högl betonte, dass die
Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Pläne genau
geprüft worden sei. Juristen hatten sich skeptisch darüber
geäußert, ob es möglich ist, eine Handlung, die zunächst jedem erlaubt ist, zu verbieten, sobald sie »geschäftsmäßig«
erfolgt.
Daran zweifelt offensichtlich auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). In einem Gespräch
mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) sprach er sich
dafür aus, nur die gewerbsmäßige, also auf Geschäfte
ausgerichtete Sterbehilfe zu verbieten, »und im Übrigen
keine Regelungen« zu treffen. Es gebe Grenzen des Rechts:
»Die sind hier erreicht«, sagte der Jurist. »Wir werden
nie eine Regelung finden, die allen schwierigen Entscheidungssituationen am Ende des Lebens gerecht wird«,
betonte der CDU-Politiker.
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Befürworter organisierter Sterbehilfe legen Entwurf vor
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Patientenschützer fordern mehr Unterstützung Sterbender in Pflegeheimen
Berlin (epd). In der Sterbehilfe-Debatte haben am 11. Juni
auch die Befürworter organisierter Hilfe bei der Selbsttötung durch Vereine ihren konkreten Entwurf vorgelegt.
Danach soll die Beihilfe bei der Selbsttötung straffrei sein,
wenn der Sterbewillige den Wunsch »freiverantwortlich
gefasst und geäußert hat«. Diese ausdrückliche Erlaubnis
soll auch für Organisationen gelten, solange sie nicht mit
Gewinnabsicht Sterbehilfe leisten. Der von Renate Künast
(Grüne) und Petra Sitte (Linke) initiierte Antrag hat bislang
36 Unterzeichner aus den Reihen der Abgeordneten.
Ihr Vorschlag ist der bislang liberalste in der Debatte
um eine Regelung für Sterbehilfe-Organisationen, die Hilfe
beim Suizid anbieten. Wie die Selbsttötung selbst ist die
Beihilfe dazu in Deutschland nicht verboten. Auf dieser
Grundlage ist auch die Arbeit von Sterbehilfe-Vereinen
nicht illegal. Künast sagte, sie sehe keinen Grund, daran
etwas zu ändern.
Die Gruppe stellt in ihrem Gesetz Kriterien für die
Suizid-Beihilfe auf. So schreibt sie fest, dass mindestens zwei Wochen vor der Hilfe bei der Selbsttötung ein
umfassendes und ergebnisoffenes Beratungsgespräch
stattfinden muss, in dem der Patient auch über Alternativen aufgeklärt wird. Fälle des assistierten Suizids
müssen zudem dokumentiert werden. Das Gesetz sieht
eine regelmäßige Evaluierung der Regelungen alle vier
Jahre vor. Zudem soll ausdrücklich festgehalten werden,
dass die Suizidbeihilfe auch ärztliche Aufgabe sein kann.
Ärzten ist dies bislang durch das Standesrecht verboten.
Neben dem Künast-Vorschlag spricht sich eine
Gruppe im Bundestag für ein Verbot der »geschäftsmäßigen«, das heißt organisierten Sterbehilfe aus. Ein
weiterer Vorschlag will jede Suizidbeihilfe unter Strafe
stellen. Als vierte Position in der Debatte wird ein Antrag
einer Gruppe um Karl Lauterbach (SPD) und Peter Hintze
(CDU) erwartet, die nach bisher bekannt gewordenen
Plänen keine Regelung für organisierte Sterbehilfe treffen, aber ebenfalls Ärzten die Unterstützung beim Suizid
erlauben will. Der Entwurf soll in der nächsten Woche
vorgestellt werden.
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz,
Eugen Brysch, zeigte sich irritiert über die derzeit geführte
Debatte um die Sterbehilfe. »Es geht vielmehr darum,
dass Sterbenlassen zu organisieren und weniger um die
strafrechtliche Dimension«, sagte Brysch. Die Menschen
bräuchten jeden Tag Hilfen. Darum müsste man sich
verstärkt kümmern. Die Stiftung fordert mehr Unterstützung für Sterbende in Pflegeheimen. Dazu gehört vor
allem mehr Personal mit einer zusätzlichen Palliative-CareAusbildung. Brysch rechnet mit Mehrkosten in Höhe von
728 Millionen Euro.
Seine Stiftung warb für mehr Unterstützung Sterbender in Pflegeheimen. Die Versorgung müsse schnell
verbessert werden. Sterbende in Pflegeheimen sollten
am Ende ihres Lebens ebenso gut betreut werden wie
Sterbende in einem stationären Hospiz, sagte Brysch:
»Es gibt derzeit ein Zwei-Klassen Sterben.« Die Stiftung
äußerte sich vor dem Hintergrund der Pläne der großen
Koalition für eine Verbesserung der Hospiz- und Palliativmedizin. Brysch befürchtet, dass diese Pläne Betroffene
in Pflegeheimen schlechter stellen als Sterbenskranke in
Hospizen und auf Palliativstationen in Krankenhäusern.
Assistiert, geschäftsmäßig, gewerbsmäßig
Begriffe und Positionen in der Sterbehilfe-Debatte
Berlin (epd). Im Herbst will der Bundestag eine Regelung
zum Umgang mit Sterbehilfe-Vereinen verabschieden. Um
das ethisch schwierige Thema wird über Fraktionsgrenzen
hinweg beraten. Im Mittelpunkt steht dabei der assistierte
Suizid, die Hilfe bei der Selbsttötung. Sie steht in Deutschland nicht unter Strafe. Bei der Suizidbeihilfe werden
Sterbewilligen beispielsweise todbringende Medikamente
überlassen. Nicht zur Debatte steht die aktive Sterbehilfe,
bei der Todkranken Medikamente direkt verabreicht wer-
den und die unter Strafe steht. Die passive Sterbehilfe,
das Sterbenlassen etwa durch Abschalten der Geräte, ist
politisch nicht umstritten und soll erlaubt bleiben.
Bei der Hilfe zur Selbsttötung zeichnen sich insgesamt vier Gruppenanträge im Bundestag ab, über die
letztlich ohne Fraktionszwang abgestimmt werden soll.
Die Positionen im Überblick:
- Weitgehendes Verbot der Suizidbeihilfe: Ein weitgehendes Verbot der Suizid-Beihilfe strebt der CDU-
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Politiker Patrick Sensburg an. Anstiftung oder Hilfe bei
der Selbsttötung soll nach seinen Plänen mit bis zu fünf
Jahren haft bestraft werden. Sensburg argumentiert, dass
dieses klare Verbot Abgrenzungsprobleme zu bestimmten
Formen der Suizidbeihilfe vermeidet.
- Verbot geschäftsmäßiger Suizidbeihilfe: Eine
Gruppe um die Parlamentarier Kerstin Griese (SPD),
Michael Brand (CDU), Harald Terpe (Grüne) und Kathrin
Vogler (Linke) will dagegen kein Komplett-Verbot, aber
die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe bestrafen, mit bis zu
drei Jahren Gefängnis. Geschäftsmäßig meint hierbei das
auf Wiederholung angelegte, organisierte Handeln von
Vereinen und Einzelpersonen. Das Verbot würde sich also
nicht nur auf die auf Gewinn orientierte, gewerbsmäßige
Suizidbeihilfe beschränken, diese aber auch umfassen.
Angehörige und nahe stehende Personen wären vor einer
Bestrafung geschützt, wenn sie bei organisierter Sterbehilfe unterstützen, etwa indem sie den Sterbewilligen
zu einer entsprechenden Organisation fahren. Ethische
Einzelfallentscheidungen sollen möglich sein und nicht
sanktioniert werden, argumentiert die bislang größte
Gruppe.
- Regelung zum ärztlich assistierten Suizid: Den
Sonderfall des ärztlich assistierten Suizids nimmt eine
Gruppe um Karl Lauterbach (SPD) und Peter Hintze (CDU)
in den Blick. Während die Hilfe beim Suizid prinzipiell
nicht unter Strafe steht, ist sie Ärzten in der Regel durch
Standesrecht untersagt. Die Hintze-Lauterbach-Gruppe
will dies ändern. Ein konkreter Entwurf liegt noch nicht
vor.
- Erlaubnis für Sterbehilfe-Vereine: Die liberalste
Regelung mit einer Erlaubnis für Sterbehilfe-Vereine haben die Politikerinnen Renate Künast (Grüne) und Petra
Sitte (Linke) vorgelegt. Sie sind gegen gewerbsmäßige,
kommerziell ausgerichtete Sterbehilfe, organisierte Suizidhilfe ohne Gewinnabsicht wollen sie aber erhalten und
definieren dafür Regeln. So sollen nach ihrem Entwurf
Organisationen und Ärzte, die bei der Selbsttötung helfen
wollen, zu Beratungsgesprächen und einer Dokumentation
der Fälle verpflichtet werden. Auch sie wollen durch eine
gesetzliche Regelung das standesrechtliche Verbot für
Ärzte außer Kraft setzen. Der Entwurf hält fest, dass Suizidbeihilfe ärztliche Aufgabe sein kann, eine Verpflichtung
dazu gebe es aber nicht.
Sterbehilfe-Debatte
fänden auch Patienten mit schwersten neurologischen
Verletzungen ihr Leben als lebenswert.
Die Sterbehilfe-Debatte wird auch das Hauptthema
des diesjährigen Symposiums der im westfälischen Marl
ansässigen Arbeitsgemeinschaft sein. Die bundesweite
Wachkoma-Pflegeheime gegen
Ausweitung
Osnabrück/Marl (epd). Die Pflegeheime für WachkomaPatienten sehen eine mögliche Ausweitung der Sterbehilfe
in Deutschland kritisch. In den bundesweit 130 Einrichtungen herrsche große Sorge, dass es zu einer »GeldbeutelEuthanasie« kommen könnte, sagte der stellvertretende
Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft »Phase F«,
Franz Paul, am Wochenende in Osnabrück. Dabei wird
spezielle Pflege oder Sonderkost aus Kostengründen
verweigert. Die Heime betreuen insgesamt rund 2.700
Menschen mit schweren und schwersten neurologisch
bedingten Bewusstseinsstörungen.
Die Experten in den Pflegeheimen plädierten »für ein
Lebensende an der Hand eines Menschen und nicht durch
einen Menschen«, betonte Paul. Sie stünden für ein Leben
bis zum Schluss ein. Paul verwies auf die von ihm geleitete
»Junge Pflege« im Osnabrücker Paulusheim. Dort emp-
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Fachtagung zu Therapien bei neurologischen Verletzungen
am 26. und 27. August in Osnabrück steht unter dem Motto
»Wenn ich bestimmen könnte...?« Unter anderem wird
der Wissenschaftler Andreas Zieger von der Universität
Oldenburg über ethische Aspekte zur Sterbehilfe für
Menschen im Wachkoma sprechen. »Phase F« beschreibt
eine Pflegesituation, die eine aktivierende Rehabilitation
zum Ziel hat.
Die Beihilfe zum Suizid ist in Deutschland wie der
Suizid selbst nicht verboten. Das nutzen Sterbehilfeorganisationen. Im Bundestag wird derzeit um den Umgang mit
der organisierten Form des assistierten Suizids gerungen.
Die Abgeordneten wollen im Herbst über eine gesetzliche
Regelung abstimmen.
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Studie: Sozialausgaben belasten Kommunalkassen stark
Gütersloh (epd). Trotz guter Konjunktur sind die Sozialausgaben der Kommunen in den vergangenen zehn
Jahren um mehr als 50 Prozent gestiegen. Im Jahr 2014
beliefen sie sich auf 78 Milliarden Euro, wie aus einer
am 8. Juni vorgestellten Studie der Bertelsmann Stiftung
hervorgeht. Zehn Jahre zuvor lagen sie noch bei 51 Milliarden Euro. Vielen Kommunen bleibe dadurch kaum
noch Handlungsspielraum. In Flensburg beispielsweise
binden die Sozialausgaben inzwischen 58 Prozent des
Etats. Die Autoren der Studie und der Deutsche Städtetag
plädierten dafür, dass der Bund die Wohnungskosten von
Hartz IV-Empfängern übernimmt.
Die Belastung der Kommunalhaushalte durch Sozialleistungen ist der Studie zufolge bundesweit unterschiedlich. In Baden-Württemberg ist sie mit durchschnittlich 31
Prozent am niedrigsten. Am höchsten ist sie in NordrheinWestfalen mit 43 Prozent. In Städten wie Duisburg,
Wiesbaden, Eisenach und Flensburg machten die Sozialkosten mehr als die Hälfte des städtischen Haushalts aus,
hieß es. Die Höhe der Sozialabgaben sei vor allem von
der Sozial- und Wirtschaftsstruktur der jeweiligen Region
abhängig.
Die Untersuchung erstellte die Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Verein für öffentliche Fürsorge,
dem Statistischen Bundesamt und dem statistischen
Landesamt für NRW.
Ab 2018 will der Bund die Kommunen jährlich in
Höhe von fünf Milliarden Euro entlasten. Wenn der Bund
diese Förderung für die Übernahme der Wohnkosten für
Hartz-IV-Empfänger einsetze, sei das der entscheidende
Hebel, den armen Kommunen gezielt zu helfen, sagte
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René Geißler, einer der Studienautoren. In NRW könnten
dadurch nach seiner Einschätzung 75 Prozent der Defizite
in den Kommunalhaushalten getilgt werden.
Die Übernahme der Wohnkosten für Arbeitslose biete
sich als Bundesaufgabe an, weil sie bundesweit einheitlich
geregelt seien und vor allem in struktur- und steuerschwachen Regionen anfielen, erklärte die Stiftung. Unter
den hohen Ausgaben für Wohnkosten ächzten vor allem
wirtschaftsschwache Kommunen mit hoher Langzeitarbeitslosigkeit und geringen Steuereinnahmen. Bundesweit
lagen diese Kosten im Jahr 2013 bei rund 14 Milliarden
Euro. Im wirtschaftsstarken Baden-Württemberg machten
sie lediglich drei Prozent des kommunalen Etats aus, in
Sachsen-Anhalt hingegen elf Prozent.
Der Deutsche Städtetag forderte die Bundesregierung auf, die geplante Entlastung um fünf Milliarden Euro
noch in dieser Legislaturperiode festzulegen, »damit die
Kommunen ab 2018 den positiven Effekt bei ihren Sozialausgaben spüren«. Eine stärkere Beteiligung des Bundes
an den Wohnkosten für Hartz-IV-Empfänger könne dabei
ein Entlastungsweg sein, sagte Hauptgeschäftsführer
Stephan Articus.
Dagegen forderte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, der Bund müsse
sich sofort und nicht erst ab 2018 an den Sozialausgaben beteiligen. Die lange zugesagte Entlastung bei
der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen müsse
unverzüglich umgesetzt werden, zudem müsse sich der
Bund an den Kosten für die Unterbringung und Betreuung
von Flüchtlingen beteiligen.
1.000 Teilnehmer zu »Bethel athletics« erwartet
Bielefeld (epd). Rund 1.000 sportbegeisterte Menschen
mit und ohne Behinderungen werden zu den diesjährigen
»Bethel athletics« am 20. Juni in Bielefeld erwartet. Bei
dem inklusiven Sportfest werden Athleten aus Deutschland in zehn unterschiedlichen Sportarten von Boule
über Leichtathletik bis Reiten antreten, wie die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel am 8. Juni ankündigten.
Zu den besonderen Gästen der 19. »Bethel athletics«
gehört der dreimalige Hochsprung-Weltrekordler Carlo
Thränhardt. Ausgerichtet wird das Turnier im »Bethel-Tal«,
dem Bielefelder Ortsteil Gadderbaum und Hauptsitz der
Stiftungen.
Mit rund 21.370 Plätzen für behinderte, kranke, alte
und sozial schwache Menschen gelten die v. Bodelschwinghschen Stiftungen als eines der größten diakonische
Werke Europas. Für Bethel sind rund 17.300 Mitarbeiter
in acht Bundesländern tätig, die Gesamterträge lagen
2013 bei rund einer Milliarde Euro.
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Buntenbach: Schlechtere Jobchancen für Langzeitarbeitslose
Berlin/Bielefeld (epd). Von der insgesamt guten Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland profitiert nach
der Beobachtung des Deutschen Gewerkschaftsbundes
nur ein Teil der Beschäftigten. Der Niedriglohnsektor
weite sich aus, die Jobchancen für Langzeitarbeitslose
hätten sich sogar »enorm verschlechtert«, sagte das
DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach dem Evangelischen Pressedienst (epd). »Viele Arbeitslose sind davon
bedroht, dauerhaft abgehängt zu werden.«
Den Vorwurf, der gesetzliche Mindestlohn habe zu
einem Abbau von Minijobs geführt, lässt Buntenbach
nicht gelten. »Vielmehr wächst in den Branchen mit vielen
Minijobbern die Zahl der sozialversicherungspflichtigen
Arbeitsplätze deutlich und über Durchschnitt. Mit der
Einführung des Mindestlohns von 8,50 Euro lohnt sich
offenbar so mancher Minijob für viele Arbeitgeber nicht
mehr. Dies ist eine sehr zu begrüßende Entwicklung«,
sagte die Bielefelder Gewerkschafterin.
Buntenbach beklagte, dass Deutschland den größten
Niedriglohnsektor aller westlichen Industriestaaten habe.
»Ein Fünftel der Arbeitnehmer ist nicht zu auskömmlichen
Bedingungen beschäftigt.« Dies sei vor allem in Branchen
der Fall, die kaum gewerkschaftlich organisiert seien.
Deshalb gingen die Gewerkschaften verstärkt auf Leiharbeitskräfte zu, um mit ihnen die Arbeitsbedingungen
zu verbessern, sagte Buntenbach. Die Deregulierung des
Arbeitsrechts und die Hartz-Gesetze hätten den Druck auf
Arbeitslose und auf Arbeitnehmer erhöht. Buntenbach:
»Die Angst vor dem Absturz ins Hartz-IV-System macht
gefügig.«
Der DGB fordert deshalb stärkere Arbeitnehmerrechte, der gesetzliche Mindestlohn sei hier »ein erster
Diakonie
Rechtsanspruch auf
Schuldnerberatung gefordert
Berlin (epd). Die Diakonie hat einen Rechtsanspruch
auf Schuldnerberatung für alle verschuldeten und überschuldeten Menschen gefordert. »Bereits kleine Krisen
oder unvorhergesehene Ereignisse sprengen das knappe
Budget von Menschen, die wenig verdienen«, sagte
Diakonie-Präsident Ulrich Lilie aus Anlass der am 15. Juni
beginnenden Aktionswoche Schuldnerberatung. Neben
Arbeitslosigkeit sei immer häufiger prekäre Beschäftigung
die Ursache für eine Überschuldung privater Haushalte.
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Annelie Buntenbach
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Schritt«. Buntenbach erklärte: »Wir wollen die Befristung von Arbeitsverhältnissen ohne sachlichen Grund
abschaffen.« Es sei nicht akzeptabel, dass jungen Berufseinsteigern oft nur befristete Jobs oder Praktika angeboten
würden. »Die frühzeitige Bindung junger Fachkräfte an
ein Unternehmen wird so sicherlich nicht erreicht«, hält
Buntenbach den Arbeitgebern vor.
Um die Jobchancen von Langzeitarbeitslosen zu verbessern, müssten die Eingliederungsmittel der Jobcenter
erhöht werden. Sie seien in den letzten Jahren um insgesamt 40 Prozent gekürzt worden. Mit diesem Geld seien
Löcher im Bundeshaushalt gestopft worden. »Das ist absolut inakzeptabel, die Eingliederung der Langzeitarbeitslosen muss Vorrang haben«, forderte das Vorstandsmitglied
des DGB.
epd-Gespräch: Markus Jantzer
Die Diakonie setzt sich deshalb für einen existenzsichernden Mindestlohn sowie für einmalige Beihilfen
für Niedriglöhner ein. »Eine kaputte Waschmaschine, ein
defekter Kühlschrank oder eine hohe Heizkostennachzahlung können dann in die Schuldenfalle führen«, sagte
der Diakoniechef. Um das Übel an der Wurzel zu packen,
sei ein Mindestlohn nötig, der zum Leben ausreiche.
Überschuldete Menschen benötigten zudem dringend
Unterstützung durch eine qualifizierte Schuldnerberatung,
wie sie die Diakonie bundesweit anbietet. Die Finanzierung
einer solchen Beratung für Erwerbstätige sei aber bisher
rechtlich nicht gesichert.
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Mehr Unterstützung für Tafeln gefordert
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Grünen-Politikerin Roth nennt Kinderarmut in Deutschland beschämend
Augsburg (epd). Bundestags-Vizepräsidentin Claudia
Roth (Grüne) hat mehr Unterstützung der Politik für
die Tafeln angemahnt. Die Tafeln versorgten viele arme
Menschen nicht nur mit Lebensmitteln, sondern gäben
ihnen auch ihre Würde zurück, sagte Roth am 13. Juni
zum Abschluss des 21. Bundestafeltreffens in Augsburg.
Dass aber immer mehr Kinder und Jugendliche auf die
Leistungen der mehr als 900 Tafeln in deutschen Städten
angewiesen seien, müsse die Politik mit Scham erfüllen.
»Da muss der Sozialstaat handeln, das darf nicht den
Tafeln überlassen werden«, sagte Roth bei der Langen
Tafel auf dem Augsburger Rathausplatz. Die Lange Tafel
bildet traditionell den Abschluss der Bundestafeltreffens.
Beim 21. Bundestafeltreffen waren von Donnerstag bis
Samstag rund 1.000 Ehrenamtliche von Tafeln in ganz
Deutschland zusammengekommen, um über Probleme
und Herausforderungen der Tafeln zu beraten. Der Augsburger Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU) lobte die Tafeln.
Die Ehrenamtlichen leisteten Hilfe, die der Staat oder die
Kommunen manchmal nicht bieten könnten, sagte er.
Bei der Mitgliederversammlung wurde der Vorstand
des Bundesverbandes Deutsche Tafel neu gewählt. Der
Vorsitzende Jochen Brühl wurde dabei mit 95 Prozent
Peter Gutjahr von der Augsburger Tafel verteilt Obst an die
Gäste der "Langen Tafel".
epd-bild / Annette Zöpf
im Amt bestätigt. Er forderte die rund 1.000 Besucher
der Langen Tafel auf, sich für die Armen zu engagieren.
Nach seinen Angaben gehen derzeit mehr als 100.000
Asylbewerber in Deutschland regelmäßig zu Tafeln, um
sich mit Lebensmitteln zu versorgen.
Insgesamt nehmen in Deutschland rund 1,5 Millionen
Menschen die Leistungen der Tafeln in Anspruch. Rund
60.000 Helfer sind dabei im Einsatz, was die Tafeln zu
einer der größten sozialen Bewegungen in Deutschland
macht.
Protest gegen Deutsche Bank
»Ordensleute für den Frieden« errichten zum Jubiläum eine Slumhütte
Frankfurt a.M. (epd). Die »Initiative Ordensleute für den
Frieden« (IOF) hat am 11. Juni vor der Zentrale der
Deutschen Bank in Frankfurt am Main eine Slumhütte
und ein »Tor der Gerechtigkeit« errichtet. Damit wolle der
Zusammenschluss von rund 20 Christen und Nichtchristen
gegen das ungerechte kapitalistische Wirtschafssystem
protestieren, in dem sich einige wenige Reiche auf Kosten
der vielen Armen bereicherten, sagte der IOF-Sprecher
Gregor Böckermann. Die IOF erinnerte mit der Aktion
an den Beginn der monatlichen Mahnwachen vor den
Doppeltürmen der Deutschen Bank vor 25 Jahren.
Bereits 1990 habe die Initiative dort eine solche
Hütte errichtet, berichtete Böckermann. »Die Idee dazu
kam von Günter Grass. Der Schriftsteller hatte nach einem
Aufenthalt im indischen Kalkutta über die katastrophalen
Zustände in den Elendsvierteln der Stadt geschrieben und
die Überzeugung geäußert, dass die Bretterverschläge
der Armen die großen Glaspaläste der Banken überdauern
werden.« Jetzt schließe sich der Kreis, sagte Böckermann.
Die »Initiative Ordensleute für den Frieden« gründete
sich 1983, um gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Ost und West zu demonstrieren. Seit
1990 hält sie an jedem ersten Donnerstag im Monat eine
Mahnwache vor der Zentrale der Deutschen Bank an der
Frankfurter Taunusanlage.
Außerdem traten die Ordensleute in regelmäßigen
Abständen mit besonderen Aktionen an die Öffentlichkeit. So leerten sie etwa 1998 unter dem Motto »Geld
stinkt doch!« einen Kanister mit 20 Litern Gülle vor dem
Haupteingang der Deutschen Bank aus. 2005 klauten sie
der milliardenschweren Quandt-Familie in Bad Homburg
ein Stück Rasen mit der Botschaft »Wenn den Armen
geholfen werden soll, müssen die Superreichen zur Kasse
gebeten werden«.
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Erste Zivilprozesse zum Loveparade-Unglück ab September
Duisburg (epd). Fast fünf Jahre nach dem Duisburger
Loveparade-Unglück mit 21 Toten stehen die Termine für
die ersten Zivilverfahren vor dem Landgericht Duisburg
fest. Am 1. September soll die 8. Zivilkammer über
die Klage eines Feuerwehrmanns verhandeln, der bei
dem Techno-Festival im Einsatz war, wie das Gericht am
Donnerstag mitteilte. Der 53-Jährige Duisburger verlangt
von der Loveparade-Veranstaltungsfirma Lopavent, ihrem
Geschäftsführer Rainer Schaller und dem Land NordrheinWestfalen Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe
von 65.000 Euro.
Vier weitere der insgesamt 19 beim Landgericht
laufenden Zivilverfahren sollen den Angaben zufolge am
12. November verhandelt werden. Die Klägerinnen aus
Duisburg, Ratingen und Kevelaer waren als Besucherinnen bei der Loveparade. Sie verlangen zwischen 34.000
und 100.000 Euro von den Veranstaltern, dem Land
NRW und der Stadt Duisburg. Wie auch der Feuerwehrmann geben die vier Frauen an, unter posttraumatischen
Belastungsstörungen zu leiden.
Am 24. Juli 2010 waren bei der Loveparade in
Duisburg 21 Menschen bei einer Massenpanik im Tunnel
eines ehemaligen Güterbahnhofes ums Leben gekommen,
über 500 wurden verletzt. Die Klägerinnen gehörten zu
den Besuchern, wurden aber selbst nicht verletzt. Eine von
ihnen war gar nicht erst auf das Festivalgelände gelangt
und hatte vor dem Areal von den Ereignissen erfahren.
Nach Angaben des Gerichts werfen die Kläger Lopavent und Schaller Fehler bei der Planung und Durchführung
der Loveparade vor, wie das Gericht erklärte. Zudem führen sie an, die Stadt Duisburg habe eine fehlerhafte und
rechtswidrige Baugenehmigung erteilt und die Polizisten des Landes NRW hätten bei ihrem Einsatz Fehler
begangen. Dadurch sei es zu einem Gedränge und der
Massenpanik gekommen. Das Landgericht Duisburg erklärte, in den Zivilverfahren würden die Ereignisse nur
insoweit geklärt, wie es für die Entscheidung nötig sei.
Eine Beweiserhebung ist für die angesetzten mündlichen
Verhandlungstermine nicht geplant.
Ob es auch einen Strafprozess zum LoveparadeUnglück geben wird, ist derweil weiter offen. Das Landgericht Duisburg prüft zurzeit die Zulassung der Anklage
gegen zehn Mitarbeiter der Firma Lopavent und der Stadt
Duisburg, denen die Staatsanwaltschaft Fehler bei der
Planung des Musikfestivals vorwirft. Zurzeit warte das
Gericht auf angeforderte Erläuterungen eines Gutachters,
die dieser bis Ende Juni einreichen müsse, sagte ein
Sprecher des Gerichts dem epd.
Soziales
Das Fest beginnt um 11.30 Uhr mit einer Tanzvorführung. Um 12 Uhr wird es offiziell von der saarländischen
Sozialministerin Monika Bachmann (CDU), dem Dillinger
Bürgermeister Franz-Josef Berg (CDU) und dem Landesbeauftragten für die Belange behinderter Menschen,
Wolfgang Gütlein, eröffnet.
Auf der Bühne sind im Anschluss neben Musik- und
Tanzvorführungen auch Diskussionsrunden und Redebeiträge geplant. Dabei würden gelungene Beispiele für
Inklusion im Saarland vorgestellt, erklärte das Ministerium. Daneben gibt es für Kinder unter anderem einen
Rätselwettbewerb, Schminken und Basteln. Besucher
können sich zudem in Spielen wie Schach, Floorball und
Sacklochwerfen versuchen.
Sommerfest der Inklusion in
Dillingen
Dillingen (epd). Zum zweiten saarlandweiten »Sommerfest der Inklusion« laden die Landesregierung und die
Stadt Dillingen am 20. Juni ein. Auf dem Hoyerswerda
Platz in Dillingen gibt es ein Bühnenprogramm, zudem
sind Spiele und Wettbewerbe geplant, wie das Sozialministerium am Freitag in Saarbrücken mitteilte. Über 50
Vereine und Organisationen beteiligen sich demnach an
dem Fest für Menschen mit und ohne Behinderungen, darunter Diakonie und Caritas, das Deutsche Rote Kreuz und
verschiedene Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen.
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Krankenhäuser kritisieren Gesetzentwurf zur Klinikreform
Düsseldorf (epd). Das Bundeskabinett hat am Mittwoch
den Entwurf für ein Krankenhausstrukturgesetz verabschiedet. Das Papier, das unter anderem Zu- und Abschläge für gute und schlechte Qualität sowie einen
Strukturfonds vorsieht, stößt auf deutliche Kritik bei den
Krankenhäusern. Die Krankenhausgesellschaft NordrheinWestfalen (KGNW), Dachverband von 370 Kliniken, und die
Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe mit 71 evangelischen
Krankenhäusern beklagten am Mittwoch in Düsseldorf
vor allem die geplanten Streichungen in Milliardenhöhe.
Stattdessen müsse die Finanzierung von Personalkosten
und Notfallambulanzen sichergestellt werden und der
Investitionsstau aufgelöst werden.
Der Anspruch des Kabinettsbeschlusses zur Krankenhausreform stehe im krassen Gegensatz zur Wirklichkeit
in den Krankenhäusern, erklärte KGNW-Präsident Jochen
Brink. »Wir brauchen mehr Personal, keine Kürzungen.«
Der Investitionsbedarf, etwa für den Stationsumbau oder
eine moderne IT-Infrastruktur, werde zwar anerkannt, aber
es gebe weiterhin keine Lösung.
Auf die wesentlichen Problembereiche, nämlich die
Finanzierung des Personalbedarfs und der Notfallambulanzen sowie die Bereitstellung von Investitionsmitteln,
gebe die Reform nicht nur keine Antwort, sondern verschärfe sie zum Teil, kritisierte Brink. Er verwies auf
Analysen, wonach durch den ersatzlosen Wegfall des
Versorgungszuschlags von 500 Millionen Euro zusammen
mit Kürzungen bei neu vereinbarten Leistungen allein im
Jahr 2017 rund einer Milliarde Euro fehlen würde.
Es klinge zwar gut, dass die Bundesregierung die
Kliniken mit einem einmaligen Strukturfonds in Höhe von
500 Millionen Euro unterstützen wolle, sagte Thomas
Oelkers vom Diakonievorstand. Doch biete der Gesetzentwurf zur Entlastung nur Tropfen auf den heißen Stein.
Beispielsweise bedeute das geplante Pflegestellenförderprogramm in Höhe von 660 Millionen Euro umgerechnet
auf die evangelischen Krankenhäuser die Einstellung von
lediglich zwei bis zweieinhalb neuen Pflegekräften pro
Klinik.
Bereits jetzt versorgten die Mitarbeiter immer mehr
Patienten in kürzerer Zeit. Wenn das Gesetz nicht nachgebessert werde und dann auch die steigenden Kosten etwa
durch Tarifabschlüsse berücksichtige, komme es zum
Pflegekollaps, mahnte Diakonie-Geschäftsbereichsleiterin
Elke Grothe-Kühn.
Die bundesweite Krankenhausreform strebt einen
Umbau der deutschen Krankenhauslandschaft in Spezialzentren und einen Abbau von Betten und Kliniken an.
Soziales
von 52.000 Euro zunächst zwei Jahre laufen. Am 19. Juni
muss der Rat der Stadt noch »Grünes Licht« dazu geben.
Anstoß für das Präventionsprojekt gaben zwei Todesfälle von Babys. Sie waren von jungen Männern
misshandelt worden, denen die Kinder von ihren Müttern
anvertraut wurden. Die »Bärenbude« soll verhindern, dass
Herford plant Präventionsprojekt
»Baby Hotel«
Herford (epd). Die westfälische Stadt Herford will alleinerziehende Frauen mit dem »Baby Hotel Bärenbude«
entlasten. Die soziale Einrichtung soll jungen Müttern
ohne verlässliche Unterstützung im Familien- und Freundeskreis die Möglichkeit bieten, Babys und Kleinkinder
über Nacht in eine sichere Betreuung zu geben, wie die
Stadt mitteilte. Nach einem Beschluss des städtischen
Jugendhilfeausschusses soll das Projekt mit einem Etat
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Je nach Qualität ihrer Behandlungen sollen die Kliniken
Zu- und Abschläge erhalten. Von dem geplanten Strukturfonds in Höhe von 500 Millionen Euro sollen Länder oder
Krankenhausträger zwar Gelder abrufen können, müssten
aber Mittel in gleicher Höhe einsetzen.
alleinstehende Frauen in schwierigen Lebenssituationen
ihre Kinder durch eine ungeeignete Betreuung gefährden,
wie es hieß. Erzieherinnen nehmen laut Konzept tagsüber
oder über Nacht kostenfrei die Kinder auf, damit die
Mütter etwa Termine wahrnehmen oder sich einfach mal
eine Auszeit nehmen könnten.
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Studie: Jeder sechsten Klinik droht die Pleite
Essen/Berlin (epd). Deutsche Kliniken stehen wirtschaftlich schlecht da. Das geht aus einer am Donnerstag in
Berlin vorgestellten Studie hervor, die unter anderem vom
Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung
(RWI) in Essen erstellt wurde. Danach war 2013 jedes
sechste Krankenhaus von der Insolvenz bedroht, jedes
dritte schreibt rote Zahlen und fast jede zweite Klinik
kann nicht ausreichend investieren.
»Wir konnten einen Investitionsstau von mindestens
zwölf Milliarden Euro identifizieren. Dieses Geld fehlt den
Klinken, um den Patienten eine optimale Versorgung zu
gewähren«, sagte der verantwortliche Autor der Studie,
Sebastian Krolop von der Philips Healthcare EMEA.
Dabei traten auch deutliche Unterschiede zwischen
Kliniken in Ost und West zutage. Jede dritte westdeutsche
Klinik (35,6 Prozent) in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft
hatte eine stark erhöhte Insolvenzwahrscheinlichkeit. In
Ostdeutschland waren es hingegen nur 1,7 Prozent. Generell seien in vielen Regionen die Krankenhausstrukturen
ungünstig, heißt es in der Studie: »Es gibt zu viele kleine
Einheiten, eine zu hohe Krankenhausdichte und zu wenig
Spezialisierung.«
Die Experten empfehlen mehr »Marktaustritte« wirtschaftlich schwacher Kliniken. Dazu sollte der vom Gesetzgeber geplante Strukturfonds als eine Art »Bad Bank« für
Krankenhäuser genutzt werden und Kliniken abwickeln,
wenn für den Träger weder eine Sanierung noch ein
Verkauf infrage kommt. Der Fonds sollte die Kosten für
den Abriss oder die Umwidmung der Immobilie tragen,
sowie die Aufstellung eines Sozialplans. Nach Berechnungen der Autoren würde der Fonds eine Ausstattung von
2,7 Milliarden Euro benötigen, sollte aus Bundesmitteln
gespeist werden und unabhängig von den Ländern agieren
können.
Krankenkasse:
cherung und die Barmer von Samstag bis 21. Juni auf die
Gefahren von übermäßigem Alkoholkonsum aufmerksam.
Mit Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen und Medizinern
Viele Alkoholsüchtige auch
psychisch krank
Düsseldorf (epd). Zahlreiche alkoholabhängige Menschen
in Nordrhein-Westfalen sind auch wegen psychischen Störungen in Behandlung. Wie die Krankenkasse Barmer GEK
am Mittwoch in Düsseldorf mitteilte, stieg im Jahr 2013
die Zahl ihrer Versicherten, die ambulant oder stationär
wegen psychischer Störungen und Verhaltensstörungen
durch Alkohol behandelt wurden, um 14 beziehungsweise
22 Prozent.
Insgesamt wurden demnach rund 12.500 Versicherte
deswegen von niedergelassenen Ärzten behandelt. Über
2.800 Patienten mussten mit dieser Diagnose ins Krankenhaus. Die Barmer wertete für die Statistik die Abrechnungsdaten ihrer 2,1 Millionen Versicherten in NRW
aus. Eine gezielte Suchtbehandlung müsse den Zusammenhang von Alkoholismus und psychischen Krankheiten
berücksichtigen, betonte Heiner Beckmann, Landesgeschäftsführer der Barmer in NRW. »Andernfalls drohen
den Betroffenen schnelle Rückfälle.«
Mit der Aktionswoche Alkohol machen die Deutsche
Hauptstelle für Suchtfragen, die Deutsche Rentenversi-
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werben sie für einen vorsichtigen Umgang mit Alkohol
und stellen Präventions- und Behandlungsangebote vor.
Evangelisches Krankenhaus Witten
Benefiz-Fußballturnier für
Förderverein der Palliativstation
Witten (epd). Das Evangelische Krankenhaus Witten hat
sein Benefiz-Fußballturnier zugunsten des Fördervereins
der Palliativstation gewonnen. Die Auswahl des Gastgebers setzte sich im Finale mit drei zu eins Toren
gegen die Mannschaft des Partnerkrankenhauses EvK
Herne durch, wie die Diakonie Ruhr mitteilte. Beteiligt
waren auch eine Mannschaft der Diakonie Ruhr und der
Johannis-Kirchengemeinde. Das Geschehen im Wullenstadion verfolgten rund 300 Zuschauer. Der Erlös der
Veranstaltung von 670 Euro kommt in vollem Umfang
dem Förderverein »Palliativ-Station im Ev. Krankenhaus
Witten e.V.« zugute.
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Buchläden verlieren weniger als Internetbuchhändler
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Hauptgeschäftsführer: Börsenverein verstärkt Kampf gegen Machtfülle von Amazon
Frankfurt a.M. (epd). Der Bücherverkauf in Läden hat sich
im vergangenen Jahr besser entwickelt als im Internet.
Der auf 3,1 Prozent gestiegene Umsatzrückgang im
Internetbuchhandel sei erstaunlich, sagte der Vorsteher
des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Heinrich
Riethmüller, am 9. Juni in Frankfurt. Dagegen sei der
Umsatz der Buchläden nur um 1,2 Prozent gesunken.
Der Internetbuchhandel hat den Angaben zufolge nun
im zweiten Jahr in Folge Einbußen verzeichnet und verfügt
über einen leicht geschrumpften Marktanteil von 16,2
Prozent. Dagegen hat der Sortimentsbuchhandel einen
leicht gestärkten Marktanteil von 49,2 Prozent. Um 1,5
Prozent auf 20,4 Prozent gewachsen ist der Direktverkauf
durch Verlage.
Insgesamt ist der Umsatz des deutschen Buchmarktes im vergangenen Jahr Riethmüller zufolge um 2,2
Prozent auf 9,3 Milliarden Euro gesunken. 2013 hatte es
noch ein leichtes Plus von 0,2 Prozent gegeben. Grund für
den Rückgang sei das Fehlen großer Bestseller und die
Krise großer Filialisten wie »Weltbild«. Während die größte
Warengruppe, die Belletristik, um 6,7 Prozent schrumpfte,
wuchs die kleinere Gruppe der Sachbücher um 5,4 Prozent. Die Zahl der neu erschienenen Titel sank um zehn
Prozent auf rund 73.900. Hier schlage sich die Entwicklung nieder, dass E-Books für elektronische Lesegeräte
viele Taschenbücher ersetzten, sagte Riethmüller.
Das E-Book hat sich nach Aussage von Matthias
Heinrich, Schatzmeister des Börsenvereins, auf dem Markt
etabliert. Sein Umsatzanstieg ist aber stark abgeflacht.
Gab es 2012 noch einen Zuwachs um 191,4 Prozent
und 2013 um 60,5 Prozent, so wuchs der Umsatz im
vergangenen Jahr nur noch um 7,6 Prozent. Damit hat
das E-Book einen Umsatzanteil von 4,3 Prozent am
Buchmarkt. Mehr als zehn Prozent Umsatzanteil werde
das elektronische Buch in Deutschland nicht bekommen,
prognostizierte Heinrich.
Gekauft wurden im vergangenen Jahr 24,8 Millionen
E-Books (2013: 21,5 Millionen), dabei sank der durchschnittliche Preis je Buch weiter auf 7,08 Euro. Heinrich
hob hervor, dass aktuell wieder mehr Kunden ausschließlich ein gedrucktes Buch kaufen wollen. Gaben dies bei
einer repräsentativen Verbraucherumfrage im vergangenen Jahr 38 Prozent an, so sprachen sich in diesem Jahr
45 Prozent dafür aus.
Nach Aussage von Hauptgeschäftsführer Alexander
Skipis verstärkt der Börsenverein den Kampf gegen die
Machtkonzentration im Internethandel durch Amazon.
Nach der laufenden Kartellbeschwerde prüfe der Verband eine weitere Kartellbeschwerde gegen die AmazonTochter Audible. Audible zwinge Hörbuchverlage, ein
Flatrate-Modell zu akzeptieren oder aus dem Vertrieb
hinausgeworfen zu werden.
Außerdem bestehe Amazon auf Knebelverträgen mit
Buchlieferanten, sagte Heinrich, zugleich Geschäftsführer
der Brockhaus Kommissionsgeschäft GmbH. Der Internetkonzern verlagere Buchlager von Deutschland nach
Polen und Tschechien, um Kosten zu sparen, und verlange
von den Lieferanten eine kostenlose Belieferung. Amazon
wälze die Kosten des Hin- und Herkarrens der Bücher
über die Grenze auf die Verlage ab, kritisierte Heinrich.
Vorsteher Riethmüller wies darauf hin, dass der deutsche Buchhandel gegenüber Amazon aufgeholt habe. Rund
2.000 Buchhandlungen hätten einen Online-Shop und
seien anders als Internetkonzerne sowohl persönlich vor
Ort als auch am Computer präsent. Hauptgeschäftsführer
Skipis ergänzte, dass der E-Book-Reader des stationären
Buchhandels, Tolino, innerhalb von zwei Jahren einen
Marktanteil von 45 Prozent in Deutschland erreicht und
damit den Kindle von Amazon (39 Prozent) überholt habe.
epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015
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»Bunte«
Gesellschaftsreporter Sahner
gestorben
München (epd). Der Gesellschaftsreporter Paul Sahner
ist tot. Wie die Illustrierte »Bunte« am 8. Juni mitteilte,
starb Sahner am 7. Juni, wenige Tage vor seinem 71.
Geburtstag. »Bunte«-Chefredakteurin Patricia Riekel sagte,
ihre Redaktion verliere »nicht nur einen der größten
Gesellschaftsjournalisten dieses Landes, sondern auch
einen geliebten Menschen«.
Sahner kam nach einem Volontariat beim »Westfalenblatt« 1976 zur neu gegründeten »Bunte«-Redaktion in
SOZIALES
KULTUR
ENTWICKLUNG
Offenburg und schrieb außerdem für die »Abendzeitung«
und den »Stern«. Von 1992 bis 1994 war er Chefredakteur
der deutschsprachigen Ausgabe des Männermagazins
»Penthouse«. Ab 1994 schrieb er wieder für »Bunte«, von
2001 bis 2014 war er Mitglied der Chefredaktion der
Zeitschrift.
Verleger Hubert Burda sagte, mit Journalisten wie
Sahner sei »eine vollkommen neue Kategorie von LeutePersonalien entstanden, die aus ’Bunte’ in der Folge das
große People-Magazin werden ließen. Paul Sahner war ein
großer Journalist und ein wunderbarer Mensch.«
AUSLAND
KULTUR
»Floskelwolke« erhält Preis für Journalismuskritik
Köln (epd). Die beiden Journalisten Udo Stiehl und Sebastian Pertsch sind mit dem erstmals verliehenen GünterWallraff-Preis für Journalismuskritik ausgezeichnet worden. Sie erhielten den Preis am 8. Juni beim ersten Kölner
Forum für Journalismuskritik für ihre »Floskelwolke«. Mit
ihrem gleichnamigen Internetprojekt wollten sie die Aufmerksamkeit auf immer wiederkehrende Sprachbilder
und Sprachfälschungen in den Medien lenken, erklärte
Stiehl. Damit solle das Bewusstsein von Lesern wie Journalisten geschärft werden. So sei beispielsweise oft von
»sozialschwach« die Rede, weil das Wort »arm« vermieden
werden solle.
Der mit 6.000 Euro dotierte Preis wird von der Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) an Personen und
Institutionen verliehen, die sich kritisch mit dem Journalismus in der Demokratie auseinandersetzen. Damit
soll laut INA die Diskussion um Aufgaben und Fehlentwicklungen des Journalismus in der Öffentlichkeit wach
gehalten werden. Namensgeber ist der für seine kritischen
Enthüllungsberichte bekannte Kölner Journalist Günter
Wallraff.
Die INA stellt jährlich zehn Themen vor, die nach ihrer
Einschätzung trotz gesellschaftlicher Bedeutung zu kurz in
den Medien kommen. Das Kölner Forum für Journalismuskritik wird getragen von der INA, dem Deutschlandfunk
und der Hochschule für Medien, Kommunikation und
Wirtschaft mit Sitz in Köln und Berlin.
Der Internet-Aktivist Jochim Selzer beklagte bei dem
Forum für Journalismuskritik, dass es immer weniger
Möglichkeiten zur Privatsphäre im weltweiten Web gebe.
Wer sich im Internet bewege, hinterlasse bewusst oder
unbewusst eine breite Datenspur, sagte das Mitglied im
Chaos Computer Club und in einem Arbeitskreis gegen
Vorratsdatenspeicherung. Je nach privaten Schutzmechanismen gelte: »Entweder bin ich im Internet oder ich habe
eine Privatsphäre.« Der Einzelne könne kaum feststellen,
wer von den hinterlassenen persönlichen Daten profitiere.
»Ich möchte nicht als Datenkuh gemolken werden«, sagte
Selzer.
Barbara Schmitz, Journalistin bei der Investigativreihe
»Die Story« beim Westdeutschen Rundfunk (WDR), betonte,
dass für komplizierte Themen Rechercheverbünde sinnvoll
seien. Öffentlich-rechtliche Sender und die »Süddeutsche
Zeitung« versuchten beispielsweise, mit ähnlichen Methoden die Hintergründe zu aktuellen Entwicklungen aufzudecken. Deshalb seien Allianzen hilfreich, um Ressourcen
zu bündeln. »Man kann mit investigativem Journalismus
in der jetzigen Zeit kein Geld mehr verdienen«, sagte
Schmitz.
epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015
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Experte:
Passionsspiele
Arabische Medien öffnen sich seit
»Charlie Hebdo«-Anschlag
Muslim wird Spielleiter in
Oberammergau
Dortmund (epd). Der Islamwissenschaftler Loay Mudhoon beobachtet seit dem Anschlag auf das französische
Satiremagazin »Charlie Hebdo« eine Öffnung in der arabischen Medienwelt. »Zum ersten Mal haben sich die
arabischen Qualitätsmedien nicht hinter Ausreden wie ’Die
Anschläge haben nichts mit dem Islam zu tun’ versteckt«,
sagte Mudhoon am Mittwoch bei einer Diskussionsrunde
in Dortmund. Es gebe seitdem eine offene Debatte über
die »universellen Werte«, die die Attentäter von Paris angegriffen hätten. »Viele arabische Medien sehen Muslime
nicht mehr nur in der Opferrolle«, sagte Mudhoon, der
auch das deutsch-arabische Online-Magazin »Qantara«
betreut.
Zugleich störten sich die meisten arabischen Kommentatoren jedoch daran, dass die Redakteure von
»Charlie Hebdo« im Westen zu Helden stilisiert würden.
»Der Tenor ist: Muslime sollen sich nicht entschuldigen
oder rechtfertigen müssen für die Anschläge«, sagte Mudhoon. »Entsprechende Forderungen im Westen spielen
nur den Salafisten in die Hände.« Bei dem Anschlag
auf das Satireblatt »Charlie Hebdo«, das unter anderem
Karikaturen des Propheten veröffentlicht hatte, wurden
im Januar zwölf Menschen getötet.
Die Medienwissenschaftlerin Josiane Jouet sieht die
Pressefreiheit in Frankreich als Verliererin des Terroranschlags. »Es ist paradox: Nach den Anschlägen haben wir
eine riesige Welle der Solidarität mit den Medien und eine
Debatte über den Wert der Pressefreiheit erlebt«, sagte
sie. »Gleichzeitig wurden jedoch schon bald nach den
Anschlägen die Sicherheitsgesetze so verändert, dass die
Redaktionen in ihrer Arbeit stark eingeschränkt sind«,
kritisierte Jouet, die in Paris lehrt.
Die Podiumsdiskussion über die Folgen der TerrorAngriffe von Paris und Kopenhagen auf die Medien in
Europa wurde vom Erich-Brost-Institut für internationalen Journalismus der Technischen Universität Dortmund
organisiert.
Oberammergau (epd). Der muslimische Regisseur Abdullah Kenan Karaca soll zweiter Spielleiter bei den
Oberammergauer Passionsspielen 2020 werden. Er soll
Christian Stückl bei der Regiearbeit unterstützen. Bei einer
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KULTUR
Gemeinderatssitzung am 16. Juni solle das Team gewählt
und öffentlich vorgestellt werden teilte die Gemeinde am
11. Juni mit.
Abdullah Kenan Karaca wurde 1989 in GarmischPartenkirchen geboren und wuchs in Oberammergau
auf. Er war Regieassistent am Münchner Volkstheater
und hatte dort 2012 sein Regiedebüt. Stückl übernimmt
zum vierten Mal die Spielleitung. Kostüme und Bühne
sollen von Stefan Hageneier kommen, die musikalische
Gestaltung übernimmt Markus Zwink.
Karaca und Stückl inszenieren bereits in diesem Sommer zwei Stücke in Oberammergau: Der 54-jährige Stückl
präsentiert am 3. Juli die Oper »Nabucco« von Giuseppe
Verdi. Karaca wird am 16. Juli Shakespeares »Romeo und
Julia« in einem Zirkuszelt neben dem Passionstheater
Oberammergau präsentieren.
Die Passionsspiele haben eine mehr als 300 Jahre
lange Tradition. Als 1633 die Pest in der Region grassierte,
gelobten die Einwohner, alle zehn Jahre Passionsspiele
abzuhalten. Im Jahr 2020 finden die Aufführungen zum
42. Mal statt. Es werden rund 500.000 Zuschauer aus
aller Welt erwartet.
Weimar
Vorerst keine Besichtigung des
Cranach-Altars möglich
Weimar (epd). Wegen einer Kirchensanierung kann der
Reformationsaltar von Lucas Cranach in Weimar vom 16.
Juni an bis Ende Juni nicht besichtigt werden. Ab 1. Juli sei
dann trotz der Bauarbeiten der Chorraum mit dem Altar
wieder zugänglich, teilte die Weimarer Klassik-Stiftung.
Die Bauarbeiten dauern noch bis zum 21. November.
Der Flügelaltar ist ein Hauptwerk der reformatorischen Bildkunst und zentrales Exponat der Ausstellung
»Cranach in Weimar«, die noch bis 28. Juni läuft. Anhand
von etwa 150 Werken der beiden Cranachs und zahlreicher Zeitgenossen gibt die Schau im Schillerhaus bis zum
28. Juni einen Überblick über das Werk der Malerfamilie
zwischen Mittelalter und Neuzeit. Der Altar kann dabei
auf einer Medieninstallation betrachtet werden.
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KULTUR
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Arabischen Theatern in Israel droht die Schließung
Jerusalem (epd). Die neue Regierungskoalition in Israel
bringt Probleme für arabische Kulturschaffende mit sich.
So rechnete das israelisch-arabische Ensemble des Kindertheaters »Almina« in Jaffa fest mit staatlichen Zuschüssen
für das kommende Jahr, bis Kultusministerin Miri Regev
(Likud) dem kleinen Schauspielhaus einen Strich durch die
Rechnung machte. Bereits vor vier Monaten hatte Norman
Issa, künstlerischer Direktor von »Almina« und Schauspieler am städtischen Theater von Haifa, sich geweigert,
mit dem städtischen Ensemble aus Haifa vor Siedlern im
Westjordanland aufzutreten. In den vergangenen Tagen
signalisierte nun die neue Ministerin Regev, dass diese
Weigerung die Chancen auf finanzielle Unterstützung für
»Almina «deutlich verringere.
Schon vor fünf Jahren hatten linke jüdische Schauspieler Schlagzeilen gemacht mit ihrer konzertierten
Weigerung, auf einer Bühne im besetzten Gebiet zu spielen. Der Eklat endete mit der Regelung, dass niemand
zum Auftritt gezwungen werden könne. Somit seien formal die Bedingungen für Subventionen erfüllt, sagte
Gidona Issa, Normans jüdische Ehefrau und Mitgründerin
Kindertheaters, auf telefonische Anfrage.
Generell habe »Almina« den Anspruch, Juden und
Araber zusammenzubringen, »um gemeinsam Kunst zu
kreieren«, sagte Gidona Issa. Die Theatermacher hoffen
nun, dass sie mit privaten Spenden über die Runden
kommen werden.
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Auch in Haifa kämpft ein arabisch-israelisches Theater ums Überleben: »Al-Midan«. Erziehungsminister Naftali
Bennett, Chef der national-religiösen Partei »Das jüdische Haus«, strich die Vorstellung »Parallele Zeiten« von
der Liste der subventionierten Produktionen. Und die
Kommune Haifa legte den bisherigen Zuschuss von umgerechnet gut einer viertel Million Euro jährlich vorerst
auf Eis. »Parallele Zeiten« steht seit gut einem Jahr auf
dem Spielplan, 26 Mal wurde das Stück bereits gespielt, und bisher hat das Erziehungsministerium ganze
Kartenkontingente für Schüler gekauft.
Gegründet worden war »Al-Midan« vor 20 Jahren
mit Unterstützung der damaligen Erziehungsministerin
Schulamit Aloni von der linken Meretz, es richtet sich in
erster Linie an ein arabisches Publikum. »Parallele Zeiten«
geht auf die Geschichte des Palästinensers Walid Daka
zurück, der wegen Beihilfe zum Mord eine lebenslängliche
Haftstrafe absitzt. Daka war der erste politische Häftling,
der hinter Gittern heiraten durfte.
Unterdessen verteidigt Kultusministerin Regev ihr
Vorgehen: »Wenn Zensur nötig ist, dann zensiere ich.«
Die liberale Tageszeitung »Haaretz« kommentierte das
scharf: »Anders als in autokratischen Regimen sind staatliche Subventionen nicht daran geknüpft, was aufgeführt
wird, und noch weniger an das Denken und Tun eines
Schauspielers.«
Von Susanne Knaul (epd)
Inklusionsmusical feiert Premiere in Essen
Essen/Osnabrück (epd). Ein großes Inklusionsmusical
mit behinderten und nichtbehinderten Menschen feiert
am 18. September in Essen Premiere. Der Vorverkauf
für »Grand Hotel Vegas« habe begonnen, teilte die »Patsy
und Michael Hull Foundation« als Veranstalter am 9. Juni
in Osnabrück mit. Rund 1.000 Darsteller und Tänzer
werden das Musical in zehn deutschen Städten aufführen,
darunter Osnabrück, Hamburg, Bremen, Stuttgart, Magdeburg und Frankfurt am Main. Nach Veranstalterangaben
handelt es sich um das größte inklusive Musicalprojekt
in Deutschland.
Begleitend sind an fünf Aufführungsorten Jobmessen
geplant, die Unternehmer und Menschen mit Behinderun-
gen in Kontakt bringen sollen. Geleitet wird das Projekt
von den ehemaligen Tanzweltmeistern Patsy Hull-Krogull
und Michael Hull. Das in Osnabrück lebende Geschwisterpaar engagiert sich mit seiner Tanzschule schon seit
Jahren für Menschen mit Behinderungen.
Ein Stammensemble von 100 Laienschauspielern hat
das zweistündige Musical »Grand Hotel Las Vegas« mit 20
Szenen und 18 Liedern erarbeitet. Bei jeder Aufführung
sollen etwa 100 weitere Darsteller aus der jeweiligen
Stadt zu den Tanzszenen dazukommen. Zum Finale am 26.
November in Berlin sollen alle rund 1.000 Mitwirkenden
auf der Bühne stehen.
epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015
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Malerei als Poesie
Kunstsammlung NRW präsentiert den »Malerdichter« Joan Miró
Düsseldorf (epd). Unter dem Titel »Malerei als Poesie«
wirft die Kunstsammlung NRW seit Samstag einen besonderen Blick auf den Maler Joan Miró (1893-1983). Mit
der Schau im K20 widmet sich erstmals eine Ausstellung
dem Verhältnis des spanischen Künstlers zur Literatur
und seiner Freundschaft zu bedeutenden Schriftstellern
des 20. Jahrhunderts, wie etwa Ernest Hemingway, Henry
Miller, André Breton und Guillaume Apollinaire. Miró, der
in seinen Ateliers in Barcelona, Paris und Mallorca während der Pausen vom Malen unablässig las, bezog sich in
seinen Werken explizit auf Texte, wie Museumsdirektorin
Marion Ackermann am Donnerstag erläuterte.
In den 1920er Jahren arbeitete er an einer umfangreichen Serie, die er »Peinture-Poéme« (französisch:
Malerei-Gedicht) nannte. Sie steht im Zentrum der Düsseldorfer Ausstellung. Die Arbeiten dieser Serie zeigten,
wie Mirós zeichenhafte Abstraktion im Wechselspiel mit
der Literatur entstanden sei, sagte die Museumschefin,
die die Schau gemeinsam mit der Direktorin des Bucerius
Kunst Forums Hamburg, Ortrud Westheider, kuratiert hat.
Nach ihren Worten war es die Poesie, die dem »Malerdichter« Miró neue Möglichkeiten eröffnete und ihn über die
Malerei hinausgeführt hat.
Die Ausstellung in den hohen Räumen der Kunstsammlung am Rande der Düsseldorfer Altstadt präsentiert großzügig insgesamt 110 Gemälde, Zeichnungen und
Malerbüchern aus allen Schaffensphasen des Künstlers
und stellt nach den Worten der Museumschefin »eine
Entdeckungsreise« zum vermeintlich bekannten Werk des
weltberühmten Malers dar. Die zum Teil großflächigen
Exponate werden durch Objekte aus seiner privaten Bibliothek ergänzt, die in der Ausstellung als Leseraum
rekonstruiert zu bewundern ist.
Mirós Enkel Joan Punyet Miró erklärte bei der Präsentation der Ausstellung, sein Großvater sei »ein philosophischer Geist« und ein »sehr komplexer Künstler«
gewesen. Die Ausstellung mit den Bildern, den Büchern
und Kunstgegenständen, mit denen sich Miró in seiner
Bibliothek in Palma de Mallorca umgeben hat, sei in ihrer
Komposition »wundervoll« und für ihn als Enkel »wie ein
nach Hause kommen« in die Zeit seiner Kindheit, als er
im Atelier des Großvaters gespielt habe.
Erstmals öffentlich gezeigt wird in der Schau der
bestickte und mit Fransen versehene Hocker, der auf
Mirós Gemälde »Akt mit Spiegel« von 1919 zu sehen ist
und der bislang als verschollen galt. Das Gemälde zählt
zu den Paradestücken in der Ausstellung und ist eines
von insgesamt vier Miró-Werken aus dem Bestand der
Kunstsammlung NRW.
Schon zu Beginn seiner Laufbahn, als er mit der
engstirnigen Atmosphäre in seiner Geburtsstadt Barcelona
haderte, wandte sich Miró der Literatur zu, um mit
Konventionen in der Malerei zu brechen. In Paris lernte er
die dort lebenden Dichter kennen. Zusammen mit ihnen
schuf er insgesamt rund 270 »Malerbücher«, von denen
viele in der Düsseldorfer Ausstellung zu bewundern sind,
wie etwa die, die zusammen mit Pablo Neruda, Jacques
Dupin oder André Breton entstanden.
Ebenfalls zu sehen die berühmten Bilder »Das Pferd,
die Pfeife und die rote Blume« von 1920, das auch ein
aufgeschlagenes Buch zeigt und das Bild »Nord-Süd« aus
dem Jahr 1917, auf dem auch ein Goethe-Buch zu sehen
ist. »In seinen Malerbüchern konnte Miró seine Kunst am
engsten mit der Literatur verbinden«, sagte Ackermann.
Nach ihren Worten zeigt sich in den teils winzig kleinen,
teils großformatigen Malerbüchern auf einzigartige Weise
die Gleichberechtigung, die Miró dem Bild und der Schrift
in seinem Werk zubilligte.
Die Schau zeigt auch Bildgedichte, Kaligramme und
natürlich die für Miró bedeutenden Bilder mit »tanzenden«
Buchstaben. Der Katalane Miró - auch das eine Erkenntnis der Düsseldorfer Schau - war zeitlebens auch ein
Mensch, »der die Literatur geradezu verschlungen« hat, so
Ackermann. Das Museum hat einige der Lieblingsbücher
des Malers gekauft und ausdrücklich »zum Lesen« in
die nachgebaute Bibliothek in die Ausstellung integriert.
Andreas Rehnolt (epd)
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Vom Expressionismus zur Neuen Sachlichkeit
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Bonner August Macke Haus zeigt Bildnisse der »verlorenen Generation«
Bonn (epd). Giftgrüne Augen starren den Betrachter
aus einem gelben Gesicht an. Dramatisch dokumentiert
das Bildnis Walter Gramattés von 1918 mit dem Titel
»Selbstmörder« das Leiden an den grausamen Erfahrungen
des Ersten Weltkrieges. Das August Macke Haus in Bonn
zeigt bis 20. September Bildnisse dieser sogenannten
verlorenen Generation von Künstlern.
Die Ausstellung unter dem Titel »August Macke
bis Otto Dix. Bildnisse vom Expressionismus bis zur
Neuen Sachlichkeit« vereint 50 Gemälde, Lithografien und
Aquarelle aus den Sammlungen August Macke Haus und
Frank Brabant. Dabei zeichnet die Schau die Entwicklung
vom farbtrunkenen Expressionismus der Vorkriegszeit
hin zur nüchterneren Sichtweise der Neuen Sachlichkeit
nach.
Zeit der gesellschaftlichen Umbrüche
Es sind die rasanten wirtschaftlichen und sozialen
Umwälzungen, die Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer grundsätzlich neuen Kunstauffassung führen und
damit auch zu neuen Formen des Bildnisses. Seit der
Renaissance hatten sich Künstler darum bemüht, dargestellte Personen so naturgetreu wie möglich zu zeichnen
oder zu malen. Mit dem Expressionismus änderte sich das.
Die möglichst realistische Darstellung rückte in den Hintergrund. Statt dessen sollte die psychische Verfasstheit
des Porträtierten herausgearbeitet werden.
Das Bildnis definierte sich aus der Tiefe des Unbewussten und wurde Spiegel und Ausdruck inneren Befindens. Wichtiges Ausdrucksmittel dabei war die Farbe.
So hat etwa Alexej von Jawlenskys »Lettisches Mädchen«
grüne Haare. Walther Jacob malte sich selbst in Uniform
vor einem blutroten Hintergrund, der auf die Grausamkeit
des Kriegs verweist. Es ist das Verdienst der Ausstellung,
dass sie neben berühmten Künstlern wie August Macke,
Otto Dix oder Emil Nolde auch weniger bekannte Maler
von hoher Qualität zeigt. Dabei konnte Museumsdirektorin
Klara Drenker-Nagels auf den Bestand des Wiesbadener
Sammlers Frank Brabant zurückgreifen.
Das ermöglicht dem Besucher Entdeckungen wie die
intensiven Bilder Walter Gramattés, ein Vertreter der sogenannten verlorenen Generation. Bereits als 18-Jähriger
erlitt er im Ersten Weltkrieg schwere Verwundungen, von
denen er sich nie mehr vollständig erholte und bereits
1929 starb. Andere Künstler, wie etwa Walther Jacob
litten, nachdem sie bereits im Ersten Weltkrieg verwundet
wurden, später unter den Repressalien der Nazis.
Der Erste Weltkrieg, den auch viele Künstler enthusiastisch begrüßt hatten, brachte Ernüchterung und
Desillusionierung. Der ekstatische Rausch expressionistischer Farben und Formen wich einer distanzierten und
zeichnerisch klaren Darstellungsweise. Die Künstler der
Neuen Sachlichkeit erfassten die Realität ohne Sentimentalität und mit bisweilen bissiger Ironie und Sozialkritik.
Otto Dix schaut bewusst auf die hässlichen Seiten des
menschlichen Antlitzes. Er betont den eingefallenen Mund
eines Greises sowie Falten, Narben und Wunden im
Gesicht einer Frau.
Andere Künstler nutzten die expressionistischen
Stilmittel wie Farbe, Form und die Dynamik der Linie
zwar weiterhin, allerdings ohne das typische Pathos und
mit dem Bemühen um Objektivierung. So etwa Greta
Overbeck-Schenks »Junges Mädchen«, das zwar an die
Tradition des romantischen Kinderbildnisses anknüpft.
Doch es handelt sich um eine zwiespältige Idylle. Die
großen Arbeitshände des Mädchens und der Bauernhof
im Hintergrund lassen darauf schließen, dass dieses Kind
kein einfaches Leben hat.
Auffällig in den Bildnissen der Maler der Neuen
Sachlichkeit ist, dass die Personen meist in einen Kontext
gestellt werden. Standen bei den Expressionisten Gefühle
und psychische Zustände im Vordergrund, so gewinnt nun
die Realität wieder an Bedeutung. Die soziale Stellung der
dargestellten Personen wird deutlich. So etwa in Immanuel
Knayers »Arbeiter bei der Frühstückspause« von 1925.
Der Mann erscheint blass und abgearbeitet, seine Hose
ist geflickt. Umgekehrt zeigt Ulrich Neujahrs Bildnis
von Tatjana Magid-Riester, dass diese Dame offenbar
zur besseren Gesellschaft gehört. Sie posiert vor einer
Mittelmeerlandschaft.
Claudia Rometsch (epd)
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Zurückgekehrtes Bach-Porträt der Öffentlichkeit präsentiert
Leipzig (epd). Eines der berühmtesten Porträts des
Komponisten Johann Sebastian Bach (1685-1750) ist
nach Leipzig zurückgekehrt. Am 12. Juni wurde das
Werk des Kunstmalers Elias Gottlob Haußmann aus dem
Jahr 1748 anlässlich der Eröffnung des Bachfestes in
der Nikolaikirche präsentiert. Das Haußmann-Porträt gilt
als das einzig authentische, nach dem lebenden Objekt
gemalte Bildnis Bachs. Sämtliche Bilder, die heute vom
Komponisten bekannt sind, gehen auf dieses Gemälde
zurück.
Das Bild zeigt Bach im Alter von etwa 60 Jahren
mit einer eigenen Komposition, dem »Canon triplex à 6
Voc: per J. S. Bach« in der Hand. Haußmann hatte das
Porträt in zwei Exemplaren angefertigt, beide befinden
sich nunmehr in Leipzig. Das erste, aus dem Jahr 1746,
ist im Bach-Zimmer des Stadtgeschichtlichen Museums
Leipzig zu sehen. Durch missglückte Restaurierungen und
Übermalungen im 19. Jahrhundert hat es jedoch sehr
gelitten. Wesentlich besser erhalten ist das zweite Original
von 1748, das nun nach 265 Jahren wieder nach Leipzig
zurückkehrt.
Das Bach-Archiv hat das Gemälde aus dem Nachlass
des amerikanischen Musikwissenschaftlers William H.
Chinesischer Investor
Insolventer Orgelbauer Schuke
offenbar gerettet
Werder (epd). Die Zukunft des traditionsreichen Orgelbauers Schuke in Werder bei Potsdam scheint vorerst
gesichert. Ein chinesischer Investor werde Partner des
Traditionsunternehmens, sagte ein Sprecher des Verbandes Mittelstand International »Association of Small and
Medium-Sized Enterprises« am 10. Juni dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das renommierte OrgelbauUnternehmen hatte im November 2014 Insolvenz anmelden müssen, nachdem ihm mehrere Aufträge unter
anderem in Russland weggebrochen waren.
Der chinesische Investor, dessen Name bislang noch
nicht genannt wurde, habe unter anderem Unterstützung
beim Vertrieb von Schuke- Orgeln zugesagt. So sollen
die Großinstrumente aus Werder in den kommenden
drei Jahren unter anderem nach China, Hongkong und
Macau verkauft werden. Außerdem seien Kooperationen
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KULTUR
Zur Eröffnung des Bachfests wurde das Bild präsentiert.
epd-bild / Jens Schlüter
Scheide erhalten, der im November 2014 verstorben war.
Der Wert wird mit 2,5 Millionen Euro beziffert.
Das Bachfest 2015 lädt in den kommenden Tagen
zu über 100 Veranstaltungen an 30 Orten in Leipzig ein.
Es steht unter dem Motto »So herrlich stehst du, liebe
Stadt« und reiht sich ein in die Feierlichkeiten zum 1.000.
Stadtjubiläum der Messestadt. Die Veranstalter erwarten
rund 75.000 Besucher.
zwischen zwei deutschen und drei chinesischen Universitäten zum Orgelbau geplant. Konkretere Angaben wollte
der Sprecher der Mittelstands-Vereinigung zunächst nicht
machen. Er verwies auf eine kurzfristig anberaumte
Pressekonferenz am Mittwochabend in Werder.
Zur Investitionsentscheidung des Partners aus China
habe neben der gesunden Struktur des OrgelbauUnternehmens auch das Potenzial bei der Erschließung
neuer Märkte für Schuke geführt. An der Rettung des
Traditionsunternehmens seien neben dem Shanghai Business Center Potsdam auch die Stadt Werder, sowie der
Verband Mittelstand International beteiligt gewesen. Mit
den neuen Partnern solle Schuke nun rasch aus der
Insolvenz geführt werden.
Die 1820 in Potsdam gegründete Orgelbaufirma
hat bisher Instrumente in die ganze Welt geliefert. Die
rund 800 Orgeln stehen unter anderem in Deutschland,
Österreich, der Schweiz, Italien, Kasachstan, Taiwan,
China, Mexiko und Brasilien.
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Studie: Kinder pulen Garnelen für Europa
Osnabrück (epd). Tausende Kinder müssen laut einer
Studie in Thailand täglich bis zu zehn Stunden Garnelen
schälen. Die Meeresfrüchte landeten auch auf den Tellern
europäischer Verbraucher, erklärte das Kinderhilfswerk
»terre des hommes«. »Wir appellieren deshalb anlässlich
des Welttages gegen Kinderarbeit am 12. Juni an die
Bundesregierung, sich für ein Ende dieser Form der
Ausbeutung einzusetzen«, sagte die Vorsitzende Danuta
Sacher. Der Welttag wurde 2002 von der Internationalen
Arbeitsorganisation (ILO) ausgerufen, um ein kritisches
Bewusstsein für die weltweite Ausbeutung von Kindern
zu schaffen.
Die EU müsse als wichtiger Handelspartner Thailands ihren Einfluss gegenüber der dortigen Regierung
geltend machen, forderte Sacher. Die Politiker müssten
auf nachprüfbare Schritte zum Schutz der Rechte von
Migrantenkindern bestehen. Denn die meisten der Kinder
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stammten der Studie zufolge aus dem armen Nachbarland
Myanmar. Von dort kämen sie mit Hilfe von Schleusern
nach Thailand. Als illegale Migranten seien sie der Willkür
ihrer Arbeitgeber ausgesetzt.
Sacher forderte auch die internationalen Garnelenhändler auf, dafür zu sorgen, dass soziale Mindeststandards in der Shrimp-Industrie eingehalten und angemessene Löhne gezahlt würden. Die Arbeiterinnen und
Arbeiter müssten davon ihre Familien ernähren können, so
dass sie nicht auf die Mitarbeit von Kindern angewiesen
seien.
»Das mag dazu führen, dass die Preise für Garnelen
in Europa steigen«, sagte die Vorsitzende des Hilfswerks.
»Doch unsere Erfahrungen aus dem Bereich von Textilien
zeigen, dass Verbraucher höhere Preise akzeptieren, wenn
schädliche Kinderarbeit ausgeschlossen und ein fairer
Lohn für Erwachsene gezahlt wird.«
Entschädigung für Rana-Plaza-Opfer vor Abschluss
Menschenrechtler fordern Haftungsrecht für Textilfirmen
Genf (epd). Die Opfer des Fabrik-Einsturzes von Rana
Plaza in Bangladesch sollen laut Internationaler Arbeitsorganisation (ILO) in den kommenden Wochen weitere
Entschädigungen erhalten. Durch eine anonyme Spende
von 2,4 Millionen US-Dollar habe der Kompensationsfonds
für die Opfer die benötigten 30 Millionen US-Dollar erreicht, teilte die ILO am 9. Juni in Genf mit. Die Kampagne
für saubere Kleidung begrüßte die Auffüllung des Fonds
und forderte gleichzeitig verbindliche Haftungsregeln für
die Textilfirmen.
Rund 2.800 Überlebende und Angehörige des
Textilindustrie-Unglücks von 2013 haben laut ILO Anträge auf Entschädigung gestellt. Ein großer Teil der
beantragten Gelder sei bereits ausbezahlt worden. Im
Koordinationskomitee für die Entschädigungen vertreten
sind die ILO, Bangladeschs Regierung, Firmen, Arbeitnehmer, Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen.
Bei dem Einsturz des Fabrik-Hochhauses am 24. April
2013 wurden etwa 1.200 Arbeiterinnen und Arbeiter
getötet, Hunderte wurden verletzt.
»Es ist sehr erfreulich, dass die anvisierte Summe
zusammengekommen ist«, sagte Berndt Hinzmann vom
entwicklungspolitischen Inkota-Netzwerk, einem Mitglied
der Kampagne für saubere Kleidung. Dies sei bisher
einmalig. Grund dafür sei aber auch der starke und
anhaltende öffentliche Druck, zuletzt auch zunehmend
durch die Politik, gewesen. »Aber das war alles freiwillig«,
sagte Hinzmann dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Opfer anderer, vergleichbarer Unglücke wie der Tazreen
Fabrik ebenfalls in Dhaka könnten nicht mit einer solchen
Aufmerksamkeit und entsprechenden Entschädigungen
rechnen.
Dies zeige, dass ein vernünftiges Haftungsrecht,
wie es die UN-Leitlinien vorsähen, dringend nötig sei,
betonte Hinzmann. »Dann hätten die Opfer auch nicht
zwei Jahre warten müssen.« Zudem seien die Beiträge
sehr gering angesichts dessen, dass Menschen gestorben
oder ihre Existenzgrundlage verloren hätten. »Eine simple
Lebensversicherung in Deutschland bringt deutlich mehr.«
ILO-Generaldirektor Guy Ryder betonte, ein Unglück
wie Rana Plaza dürfe sich nicht wiederholen. Er forderte
Bangladesch auf, eine nationale Versicherung gegen
Arbeitsunfälle einzuführen. Die Millionen Arbeiter in den
mehr als 4.000 Textilfabriken des Landes bräuchten
dringend Schutz.
In den Entschädigungsfonds zahlten laut ILO deutsche
Firmen wie KiK und C&A (jeweils eine Million US-Dollar)
sowie die G. Güldenpfennig GmbH, die 600.000 USDollar beitrug. Kappa Deutschland habe 50.000 US-Dollar
bereitgestellt. Entwicklungs- und Menschenrechtsorga-
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nisationen hatten die mangelnde Bereitschaft großer
Textilfirmen kritisiert, in den Fonds einzuzahlen.
Das Fabrikunglück von Rana Plaza in Bangladesch
löste weltweit Entsetzen und Empörung aus. Es war eine
der schwersten Industriekatastrophen in diesem Jahrhundert. In dem Gebäude in der Nähe der Hauptstadt Dhaka
befanden sich fünf Fabriken, in denen für Unternehmen
wie Adler, NKD, C&A und KiK genäht wurde.
SOZIALES
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Die G-7-Staaten hatten zum Abschluss ihres Treffens
auf Schloss Elmau angekündigt, den Arbeitsschutz in
ärmeren Produktionsländern zu verbessern. Dazu soll
ein Fonds eingerichtet werden, über den entsprechende
Schutzmaßnahmen oder Unfallversicherungen finanziert
werden können. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
(SPD) begrüßte die Ankündung. »Wir müssen alles dafür
tun, um tragische Unfälle wie Rana Plaza künftig zu
vermeiden«, sagte Nahles.
AUSLAND
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Indien entzieht über 4.400 Hilfsorganisationen Lizenzen
Neu-Delhi (epd). Indien blockiert weiter die Arbeit internationaler Hilfsorganisationen: Nach einer ersten Welle
im April entzog die Regierung in Neu-Delhi nun laut indischen Medienberichten vom 10. Juni die Lizenzen von
4.470 Organisationen, die Geld aus dem Ausland erhalten. Darunter befinden sich auch Spitzen-Universitäten,
angesehene Schulen und private Krankenhäuser. Das
Innenministerium begründete den Schritt mit finanziellen
Unregelmäßigkeiten bei diesen Institutionen.
Auf der langen Liste steht überraschenderweise auch
die hoch angesehene Anwaltsvereinigung des Obersten
Gerichts von Indien. Auch das Escorts-Herz-Institut, die
Panjab-Universität in Chandigarh und das traditionsreiche
Lady Irwin College in Delhi gehören zu den Institutionen, die künftig keine Spenden mehr aus dem Ausland
annehmen dürfen.
Ende April hatte die Regierung fast 9.000 Hilfsinstitutionen die Operationserlaubnis entzogen und ihnen
vorgeworfen, Spenden aus dem Ausland nicht ordnungsgemäß ausgewiesen zu haben. Auch Greenpeace India
verlor seine Lizenz, die Bankkonten wurden eingefroren.
Die Organisation klagte vor Gericht und gewann. Die
Regierung sperrte daraufhin jedoch erneut die Konten.
Am Samstag vergangener Woche wurde zudem einem
internationalen Mitarbeiter von Greenpeace die Einreise
verweigert.
Indiens Regierung nimmt seit Monaten Entwicklungsund Menschenrechtsorganisationen ins Visier, die sich
angeblich großangelegten Wirtschaftsprojekten gezielt in
den Weg stellen. Ein Geheimdienstbericht vom Juni 2014
kam zu den Schluss, dass einige Initiativen »Werkzeuge
für strategische außenpolitische Interessen westlicher
Regierungen« seien, die das Wachstum der indischen
Wirtschaft um zwei bis drei Prozentpunkte bremsten.
Greenpeace kämpft in Indien gegen verschiedene Vorhaben von Kohlebergwerken und Nuklearanlagen.
Burundi
dass die notleidende Bevölkerung nicht im Stich gelassen
werde. »Alles, womit wir unmittelbar die Menschen im
Land unterstützen können und Grundbedürfnisse decken,
werden wir fortführen«, sagte der CSU-Politiker.
Burundi hatte sich auf der Genfer Geberkonferenz
2012 zur Einhaltung und Förderung der Menschenrechte
verpflichtet. Im Gegenzug hatte sich die internationale
Gemeinschaft bereiterklärt, ihre Finanzzusagen zu erhöhen. Burundi gehört zu den ärmsten Ländern der Welt
und belegt auf dem Welthungerindex den letzten Platz.
Auslöser für die jüngste Krise war die Ankündigung
Nkurunzizas, für eine dritte Amtszeit anzutreten, obwohl
die Verfassung nur zwei vorsieht. Seit Ende April demonstrieren Tausende Menschen vor allem in der Hauptstadt
Bujumbura. Die Sicherheitskräfte gehen teils brutal gegen
die Demonstranten vor.
Deutschland setzt Zusammenarbeit
aus
Berlin (epd). Deutschland setzt die Entwicklungszusammenarbeit mit der Regierung von Burundi bis auf weiteres
aus. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) erklärte
am 10. Juni, die Bundesregierung reagiere damit auf die
jüngste Krise, die Präsident Pierre Nkurunziza mit seiner
Kandidatur für eine dritte Amtszeit ausgelöst habe. Man
sehe keine Basis mehr für eine Zusammenarbeit mit der
burundischen Regierung.
»Burundi droht in eine Gewaltspirale abzurutschen,
weil die Regierung demokratische Prinzipien missachtet
und selbst vor Folter politischer Gegner nicht zurückschreckt«, sagte Müller. Der Minister betonte jedoch,
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Westfälische Kirche gratuliert zu 40 Jahren »Oikocredit«
Berlin/Dortmund (epd). Die Evangelische Kirche von
Westfalen hat die Entwicklungsbank »Oikocredit« anlässlich ihres 40-jährigen Bestehens gewürdigt. Die Ökumenische Entwicklungsgenossenschaft sei Pionier und
Marktführer im Bereich der Mikrokredite, erklärte das Amt
für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung
(MÖWe) der westfälischen Kirche. Die Landeskirche hat
im Jubiläumsjahr ihre Anlagen bei Oikocredit um 500.000
Euro erhöht hat, wie es hieß.
Bei der jährlichen Generalversammlung der Entwicklungsbank am Donnerstag in Berlin wurde der 40.
Geburtstag mit internationalen Teilnehmern gefeiert. Pfarrer Dietrich Weinbrenner vom MÖWe-Amt überbrachte
die Glückwünsche der westfälischen Kirche: »Wir sind
stolz darauf, dass unsere Kirche seit 1987 Direkt-Mitglied
von Oikocredit ist.« Auch alle westfälischen Kirchenkreise
und viele der Kirchengemeinden seien Mitglieder bei
Oikocredit.
28 Millionen Menschen seien durch »Oikocredit« erreicht worden, sie fühlten sich dabei als Partner und nicht
als Almosenempfänger angenommen. »Wir sehen sie als
Menschen, die ihre je eigenen Fähigkeiten haben, mit
denen sie ihre Lebensbedingungen verbessern können.
Dabei unterstützen wir sie«, hieß es in dem Grußwort.
Dieses Engagement entspreche der christlichen Grundüberzeugung, »dass wir den verantwortlichen Umgang
mit Geld als Teil unserer Ethik begreifen«.
Oikocredit war 1975 auf Initiative des Ökumenischen
Rates der Kirchen gegründet worden. In 40 Jahren wurden
nach eigenen Angaben 1.600 Partnerorganisationen mit
mehr als zwei Milliarden Dollar unterstützt. Bisherige
Schwerpunkte sind Mikrofinanz- und Landwirtschaftsprojekte. Zu einem neuen Schwerpunkt baute Oikocredit im
vergangenen Jahr erneuerbare Energien aus.
epd-West kat
Nigeria
»Wir brauchen Unterstützung und Teams, um den
traumatisierten Menschen jetzt zu helfen, aber auch, um
später friedensbildende Maßnahmen, Aussöhnungsprozesse und interreligiöse Verständigung professionell in
Gang zu setzen«, forderte Bischof Doeme. Auch missioMitarbeiter Matthias Vogt appellierte an die Bundesregierung und die internationale Weltgemeinschaft, nicht
Bischof sieht erste Erfolge im
Kampf gegen Boko Haram
Aachen (epd). Der nigerianische Bischof Oliver Dashe
Doeme sieht erste Erfolge der neuen Regierung von
Präsident Muhammadu Buhari im Kampf gegen die islamistische Miliz Boko Haram. Viele Dörfer seien schon
befreit, berichtete der katholische Geistliche am 10. Juni
bei seinem Besuch des katholischen Missionswerks missio
in Aachen. »Allmählich kehren die Bewohner zurück, auch
Christen, das ist eine gute Nachricht«, sagte er nach
Angaben von missio.
Die Menschen seien aber noch traumatisiert, erklärte
Doeme. Der Bischof leitet die katholische Diözese Maiduguri im Nordosten Nigerias, die besonders von der
Gewalt von Boko Haram betroffen ist. Nach seinen Worten
wurden in der Region etwa 100 Kirchen zerstört und rund
500 katholische Christen getötet. Jugendliche würden von
Boko Haram zwangsrekrutiert.
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nur den militärischen Kampf gegen Boko Haram im Blick
zu haben. Es müsse jetzt schon überlegt werden, »wie
ein Versöhnungsprozess in Nigeria nach einem möglichen
Ende des Terrors vorbereitet werden kann«. Dafür müssten
auch Mittel bereitgestellt werden, betonte Vogt.
Nigerias neuer Präsident Muhammadu Buhari hatte
nach seinem Amtsantritt Ende Mai einen harten Kampf
gegen den Terrorismus angekündigt. Unter anderem will
er das Hauptquartier der Armee von der Hauptstadt Abuja
nach Maiduguri verlegen. Die islamistische Gruppe Boko
Haram hat nach Schätzungen der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch allein in diesem Jahr mehr als
1.000 Menschen getötet. Zudem entführte sie Hunderte
Menschen, meist Frauen und Kinder.
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Schweizer sagen Ja zu Untersuchung von Embryonen
Genf (epd). Die Schweizer haben sich in einer Volksabstimmung für die Legalisierung der Präimplantationsdiagnostik
(PID) ausgesprochen. Laut Hochrechnungen stimmten
mehr als 60 Prozent der Stimmbürger am 14. Juni für
eine Verfassungsänderung, welche die Voraussetzungen
für die PID schafft. Mit der Entscheidung schließen die
Schweizer bei der Fortpflanzungsmedizin zu den meisten
europäischen Staaten auf, fast alle Länder des Kontinents
erlauben die PID in bestimmten Fällen. Mit der PID legen
Ärzte fest, welche Embryonen sie nach der künstlichen
Zeugung in den Mutterleib verpflanzen und welche nicht.
In der Schweiz hatte das Parlament im November
2014 eine Änderung des Fortpflanzungsmedizingesetzes
beschlossen. Darin wird die PID konkret geregelt. Unter
den jährlich 80.000 Neugeborenen befinden sich etwa
2.000 Babys, die durch künstliche Befruchtung auf die
Welt kommen.
Allerdings soll in der Schweiz die PID nur Paaren
erlaubt werden, die Träger schwerer Erbkrankheiten sind.
Und sie soll Partnern gestattet werden, die auf natürlichem
Weg keine Kinder bekommen können. Durch die PID wollen
Ärzte und Eltern genetisch bedingte schwere Krankheiten
bei den Kindern vermeiden. Zudem soll in Zukunft nur
ein einzelner lebenskräftiger Embryo übertragen werden,
um die gesundheitlichen Risiken für Mutter und Kind zu
senken.
Die Evangelische Volkspartei kündigte an, ein Referendum gegen das geänderte Fortpflanzungsmedizingesetz
zu erzwingen. Kommt das Referendum zustande, können
die Stimmberechtigten über das geänderte Fortpflanzungsmedizingesetz abstimmen.
Konservative Kräfte rund um das »Komitee Nein zur
PID« hatten eine großangelegte Kampagne gegen die
Untersuchung der Embryonen gestartet. Die PID führe zu
einer »Selektion« des Erbgutes und erhöhe den Druck auf
Behinderte, die als »nicht lebenswerte« Menschen gelten
könnten.
Auch die katholische Schweizer Bischofskonferenz
lehnte die PID ab. Der Schweizerische Evangelische
Kirchenbund sprach sich hingegen nicht kategorisch
gegen die PID aus. Der Kirchenbund verlangte jedoch
»klare und strikte rechtliche Regelung«, die vorgelegten
Bestimmungen reichten nicht aus.
USA
Je höher Einkommen und Bildung, umso stärker ist laut
Umfrage die Zustimmung. Bei der Erhebung wurden im
Mai 2.002 Personen befragt.
Zustimmung zur Homo-Ehe wächst
Washington (epd). In den USA befürworten laut einer
Umfrage 57 Prozent der Bevölkerung die rechtliche
Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Noch nie
sei die Zustimmung so stark gewesen, teilte das Pew
Research Center am 8. Juni in Washington mit. 2010
hätten sich nur 42 Prozent für dafür ausgesprochen. Für
die meisten jungen Menschen ist die Homo-Ehe keine
strittige Frage: 73 Prozent der Befragten im Alter von 18
bis 34 Jahren sind für die Anerkennung.
Noch in diesem Monat entscheidet das Oberste USGericht über die grundsätzliche Legalisierung der HomoEhe. Aufgrund von Gerichtsurteilen, Abstimmungen in den
Parlamenten und Volksentscheiden dürfen gegenwärtig
gleichgeschlechtliche Paare in der Hauptstadt Washington
und in 36 der 50 Bundesstaaten heiraten. Etwa 70 Prozent
der US-Amerikaner leben in Staaten mit der Homo-Ehe.
Der Pew-Umfrage zufolge befürworten bei weißen
Evangelikalen 27 Prozent die Legalisierung, bei Katholiken
56 Prozent, bei »Mainline«- Protestanten 62 Prozent und
bei nicht religiös gebundenen US-Amerikanern 85 Prozent.
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Belgien
Chemo mit 13: Ärzte machen
Unfruchtbarkeit rückgängig
Brüssel (epd). Eine 27-jährige Frau aus Belgien, die
aufgrund einer Chemotherapie seit ihrer Teenagerzeit
unfruchtbar war, hat mit Hilfe moderner Reproduktionsmedizin ein Baby zur Welt gebracht. Die junge Frau war mit
13 Jahren wegen Sichelzellenanämie behandelt worden,
wie die Fachzeitschrift »Human Reproduction« berichtet.
Vorsorglich hatten belgische Ärzte ihr zuvor den rechten
Eierstock entfernt und ihn eingefroren. Obwohl die Frau
mit 13 noch keine Regelblutungen gehabt hatte, gelang
es den Medizinern zehn Jahre später, Teile des Eierstocks
wieder einzusetzen und diese zu aktivieren.
Es handele sich um den ersten Fall überhaupt, bei
dem das Verfahren der Eierstock-Konservierung bei einer
noch nicht geschlechtsreifen Patientin angewandt worden
sei, berichteten die Ärzte. »Dies ist ein ermutigender
epd-Wochenspiegel | AUSGABE WEST Nr. 25_2015
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Beleg, dass ein solches Verfahren schon in der Kindheit
funktioniert.« Die junge Frau hatte fünf Monate nach
Einpflanzen des Eierstocks mit 24 Jahren zum ersten Mal
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ihre Menstruation bekommen. Nicht einmal drei Jahre
später, im November 2014, brachte sie einen gesunden
Jungen zur Welt.
Etwa 500 Atomwaffen weniger weltweit
Stockholm (epd). Die Zahl der Atomwaffen ist im vergangenen Jahr leicht gesunken. Allerdings trieben die meisten
Atommächte eine Modernisierung ihrer Arsenale voran,
wie das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri
in seinem an diesem Montag veröffentlichten Jahrbuch
schreibt. Zu Beginn dieses Jahres seien neun Staaten
im Besitz von schätzungsweise 15.850 Nuklearwaffen
gewesen: die USA, Russland, Großbritannien, Frankreich,
China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea. Das seien
500 Sprengköpfe weniger als vor einem Jahr. Die liege vor
allem an der Reduktion in Russland um 500 Sprengköpfe.
Andere Länder wie China, Indien und Pakistan haben ihre
Produktion aufgerüstet.
In seinem Jahrbuch bewertete das Institut auch die
Militärmissionen der Vereinten Nationen, die im vergangenen Jahr um drei auf 62 weltweit stiegen. Angesichts
der zahlreichen Krisen sei es zu begrüßen, dass die UN
ihr Engagement erhöhten, hieß es in dem Bericht. Zwar
sei die Zahl der an den Einsätzen beteiligten Personen
insgesamt um 20 Prozent auf 162.052 zurückgegangen.
Doch das liege am Ende der Isaf-Mission in Afghanistan.
Ohne Berücksichtigung von Isaf sei die Zahl um vier
Prozent gestiegen.
»Trotz aller Kritik und allem Pessimismus sind die
Friedenseinsätze auffallend erfolgreich«, sagte der Sipri-
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Forscher Jair van der Lijn. Die internationale Gemeinschaft
investiere zunehmend in solche Einsätze, weil sie in vielen
Fällen das beste verfügbare Mittel zur Krisenlösung
blieben. Die Zahl der Konflikte war die höchste seit dem
Jahr 2000.
Trotz weltweiter Bemühungen um Abrüstung vergrößerten im vergangenen Jahr mehrere Länder ihre Atomwaffenarsenale. Während Russland deutlich abrüstete und
die USA 40 Sprengköpfe weniger meldete, erweiterten
China, Indien und Pakistan ihre Produktion. Russland
besaß Anfang des Jahres demnach 7.500 Sprengköpfe,
die USA 7260. China erhöhte die Zahl der Sprengköpfe
von 250 auf 260. Pakistan besitzt nach Schätzungen 100
bis 120, Indien 90 bis 110 Atomwaffen.
Weltweit sind derzeit 4.300 Nuklearwaffen an militärischen Einsatzorten oder auf Raketen montiert. Deren
Anzahl stieg laut SIPRI innerhalb eines Jahres um 300
Stück. »Trotz des internationalen Interesses, nukleare
Abrüstung vorrangig zu behandeln, zeigen die Modernisierungsprogramme in den Ländern mit Atomwaffenbesitz,
dass keiner von ihnen seine Arsenale in absehbarer Zukunft aufgeben wird«, sagte der Sipri-Forscher Shannon
Kile.
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