Rundbrief Nr. 7 - St. Johannes Leonberg
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Rundbrief Nr. 7 - St. Johannes Leonberg
Rundbrief Nr. 7 Ostern ist lange her und Pfingsten ist auch schon vorbei. Es ist also schon ausreichend Zeit vergangen, in der sich mehr als genügend Stoff für einen oder mehrere Filme bzw. Telenovelas angesammelt hat. Im Augenblick befinden sich die Drehbücher noch in den Händen von Steven Spielberg, daher bitten wir um ein wenig Geduld bis zur Kinopremiere. Vorab geben wir euch in unserem 7. Rundbrief wieder einen kleinen Einblick in unseren Alltag ohne alle Highlights zu verraten. Wie in Deutschland beginnt auch hier das Schuljahr mit dem Besorgen der Schulutensilien und Schulbücher. Für die von den Geldern aus Leonberg unterstützten Schüler kauften wir diese im Zeitraum vom 20.4 – 4.5 in Santo Domingo und Santa Maria del Toachi ein. Die riesigen Kisten voller Hefte, Stifte, Scheren, Kleber, Glitzer, karierte, linierte und weiße Papierbögen, Bastelkarton, Wasserfarben, Lineale, Radiergummis, Spitzer, Ordnern, Moosgummibögen (Din A 2 – wofür auch immer), Legos, Puzzles, Wolle (?) etc. mussten wir dann mit der Camioneta nach Santa Maria fahren. Die nächsten Tage verbrachten wir dann damit die ganzen Schulutensilien zu überprüfen, nach Klassenstufen zu sortieren, in Tüten zu packen, mit Namen zu beschriften und zu guter Letzt an die richtige Person auszuhändigen (Bei ca. 150 Schultüten kann schon mal eine Verwechslung vorkommen). Alle Schulmaterialien und Hefte müssen dem Lehrer gesammelt zur Überprüfung vorgezeigt werden. Außerdem ist es hier üblich bzw. Pflicht in jedem Heft ein Deckblatt zu machen und das Heft zusätzlich zu einem Plastikumschlag in Buntpapier einzubinden. Da die Hefte dem Lehrer einen ersten Eindruck über die Ordentlichkeit des Kindes vermitteln, hatten wir die Aufgabe den jüngeren Internatskindern dabei zu helfen. Weil die Kinder die fertigen Hefte von einem auf den anderen Tag brauchten, mussten wir eine Nachtschicht einlegen. Als wir am nächsten Morgen unsere Meisterwerke (Die Vorlagen durften von den Kinder angemalt werden, was diese manchmal unkenntlich werden ließ.) abgaben, konnten wir keine „Caratulas“ (Deckblätter) mehr sehen, aber ein Ende war nicht in Sicht… . In den Genuss eines typischen guayaquilenischen Gerichts kamen wir, als Sor Blanca Inés für uns am 23.4.09 eine „Cangrejada“ (in Bier und Kräuter gekochte Krebse, die zusammen mit Pellkartoffeln und Bananen serviert werden) zubereitete. Über den Geschmack lässt sich bekanntlich streiten und spätestens nach dem 2. Krebs hat man genug, aber es war eine interessante Erfahrung die Krebse mit dem Hammer zu knacken und danach auszuzutzeln. Am 2.5.09 wurden wir endlich Zuschauer eines der (hier) beliebtesten und attraktivsten Sport‐ Spektakeln: DEN HAHNENKAMPF! Der Name sagt schon ziemlich viel darüber, was in der extra dafür errichteten Arena passiert. Nicht nur die extra dafür gezüchteten, trainierten, mit Spezialfutter (Schnaps) gedopten, mit einem extra Zeh bewaffneten (am Fuß festgebundener Stachel), gehegten und gepflegten bis zu 500 $ wertvollen Prachtstücke treten gegen einander an, sondern auch die Besitzer verwandeln sich in Streithähne, wenn das Urteil des Schiedsrichters nicht zu ihrem Gunsten ausfällt. Nach dem Wiegen und Einteilen in Gewichtsklassen treten die entsprechenden Hähne gegeneinander an, was nicht selten auch mit dem Tod eines Tieres und nach den Schwestern auch mit dem eines Menschen endet. Bei den Kämpfen der Elitehähne der 1. Liga die erst zu später Stunde stattfinden, wird nämlich vom Gewinner immer ein Schuss abgefeuert. (zuuu viel Alkohol und Waffen sind keine gute Kombination) Wir bedauerten es nicht sehr die Arena mit den aufgeheizten Gemütern schon nach einer Stunde zu verlassen, da das erstens nur ein Hobby der Männer ist und uns zweitens die Hähne leid taten. Von der Wetthölle gings dann mit etwas schickeren Klamotten zum Gottesdienst für eine sogenannte „Quinceañera“. Für ein Mädchen in Lateinamerika ist der 15. Geburtstag von ganz besonderer Bedeutung, weil sie an diesem Tag als volles Mitglied in die Gesellschaft aufgenommen wird. Bei diesem wichtigen Ritual darf auf keinen Fall das rosa Abendkleid, die plastikpinke Torte, die Baby‐Born‐farbene Deko und natürlich die PINKEN Geschenke nicht fehlen. Das Fest in Barbies Traumhaus mit Tanz, Musik und Essen war trotz dem (zu) vielen pink ein schönes Erlebnis, aber der schlichtere Geburtstag am Tag zuvor bei den Paredes war um einiges entspannender und natürlich auch von dem berühmten „Biss in die Torte“ des Geburtstagskindes (mit zusätzlicher Hilfe der anderern) begleitet. Bei derselben Familie hatten wir wenige Tage später auch die Möglichkeit bei der „Verde“‐Ernte zuzuschauen (Zur Erinnerung: „Verde“ sind die noch nicht ganz reifen (grünen) Kochbananen). Erstaunlicherweise wird nicht die Bananenstaude abgeschlagen, sondern mit wenigen Machetenhieben die extrem wasserhaltige Bananenpalme zu Fall gebracht und anschließend die Bananenstaude abgeschnitten. Am Sonntag den 3.5.09 machten wir uns auf die Suche nach der legendären „Taravita“. Auf dem Weg nach Monte Nuevo gabelten wir noch ein paar Internatskinder auf. Dort kauften wir das berühmte „Hornado“ (gegrilltes Schwein am Spieß) und besuchten eine Käserei. Nachdem wir wieder über die Hängebrücke im Recinto El Mirador spaziert waren, gings in San Francisco dann über einen schlammigen Weg zu der abenteuerlichen Taravita, eine Seilbahn, die die Überquerung des Flusses sowie den Transport von Lebensmitteln und Tieren für die dort wohnende Familie erst ermöglicht. Wir konnten es uns natürlich nicht nehmen lassen, dieses Wagnis einzugehen mit dem leicht rostigen Gefährt die andere Seite des Flusses zu erreichen. Als wir aktuelle Fotos von den Institutionen in Santa Maria machten, wurden wir kurzfristig zur Muttertagsfeier (Essen, Kuchen, Spiele und Nominierung der Vorbildsmama (Madre Símbolo) etc.) in den Kindergarten eingeladen. Das Muttertagswochenende nutze die Schwester Maria Magdalena um ihre Familie im Carchi zu besuchen und lud uns prompt dazu ein, sie zu begleiten und so den Norden Ecuadors kennenzulernen. Um 23.00 Uhr fuhr der Bus aus Santo Domingo (dessen Fahrer schon mehrere Stunden gefahren war) ab und erreichte Otavalo Gott sei Dank mit dem notwendigen Beistand der Virgen María um 5.00 morgens. Der Samstag begann also mit dem Besuch des größten Indiomarkts Lateinamerikas. Mit prallgefüllten Taschen und leeren Geldbeuteln fuhren wir dann weiter zur wunderschönen Kraterlagune „Cotacachi“, die wir mit einer Bootsfahrt erkundeten. Auf dem Weg nach Ibarra machten wir noch Zwischenstopps in San Antonio, eine für seine Holzschnitzkunst bekannte Stadt, und noch anderen kleineren Städten. Vom Aussichtspunkt mit der Statue vom Schutzheiligen Ibarras „San Miguel“, probierten wir zum 1.Mal das berühmte „cuy“ (alle Meerschweinchenfreunde sollten die Übersetzung lieber nicht nachschlagen) mit dem Ausblick auf Ibarra bei Nacht. Obwohl die Weiterfahrt nach Julio Andrade, dem Heimatsort der Schwester, nicht ganz so angenehm war, verschliefen wir beinahe an unserem Ziel auszusteigen. Zusammen mit Maria Magdalenas Familie besuchten wir in den folgenden Tagen die „Gruta de la Paz“ (Wallfahrtsort mit heißen Thermalquellen), den großen Friedhof von Tulcan (bekannt für seine riesigen und beeindruckenden Zypressenfiguren), die kolumbianische Grenze, den kleinen Familienhof und natürlich verschiedene Familienmitglieder. Es war eine schöne und interessante Erfahrung, die schöne hüglige „Patchwork“ ‐ Landschaft und die Familie der Schwester kennenzulernen. Da der Monat Mai hier auch im Zeichen der Mutter Maria gewidmet steht, wurde hier jeden Abend ein Rosenkranz in einer Institution oder Familie gebetet und anschließend bei einer Kleinigkeit zu essen und zu trinken zusammengesessen. Diese Veranstaltungen besuchten wir am Tag unserer Rückkehr nach Santa Maria in der Schule und auch bei den Wohnungen der Lehrer. Ab dem 15.5. widmeten wir uns der Verschönerung des Internats. Wir fingen mit dem Streichen des Speiseraums mit einer speziellen wasserabweisenden hautunfreundlichen Farbe mit benebelnder Wirkung an, die wir trotz vergeblichem Schrubben nicht von unserem Körper bekamen. Das Sahnehäubchen unserer Streichaktion war die gemalte Abbildung zweier Kinder, das Larissa zuletzt an eine Wand zauberte. Die Internatszisterne wurde ausgebaut, damit die Frösche nicht mehr eindringen können und auch die von Ameisen zerfressenen Tische wurden ausgebessert bzw. neu in Auftrag gegeben. Das Wochenende vom 22.‐24.5. verbrachten wir bei einer Internatsschülerin zu Hause. Nach einer eineinhalbstündigen Ranchera‐ Fahrt nach Monte Nuevo, begaben wir uns, diesmal mit Gummistiefeln gewappnet, auf eine stets aufwärts verlaufende Wanderung durch Matsch und eine eindrucksvolle Landschaft zum Haus von Mari, das wir nach ca. 2 h erreichten. Die neunköpfige Familie wohnt dort ohne Strom und Telefonnetz in einem Holzhaus mit zwei Schlafkammern, in denen auf Bretterbetten ohne Matratze geschlafen wird. Gegessen wird im Eingangsbereich oder direkt am Feuer der sich außerhalb befindenden Kochstelle. Auch das Plumpsklo liegt in ca. 50 Meter vom Haus entfernt, weshalb man sich einen nächtlichen Klogang in totaler Dunkelheit zweimal überlegt. Wir durften bei der Herstellung der sogenannten Panela zuschauen, die aus Zuckerrohr gewonnen wird. In einer von einem Maultier betriebenen Mühle wird das geschälte und zurechtgeschnittene Zuckerrohr gepresst. Der so erzeugte Saft wird anschließend mehrere Stunden gekocht, bis die gewünschte Konsistenz erreicht ist, jedoch noch nicht kristallisiert. Unter ständigem Rühren erkaltet die zähflüssige Masse und wird dann zu dem zuckerartigen Panela‐Pulver. Um eine besonders süße und extrem zahnfreundliche Süßigkeit herzustellen, wird die flüssige Masse in länglichen Naturschalen durch Hin‐ und Herfließenlassen, Ziehen und Kneten abgekühlt und anschließend wie ein riesiges Karamellbonbon in Palmblätter eingepackt. Den Rest des Wochenendes verbrachten wir mit einer Wanderung zum Wasserfall und der dort angebundenen Kuh mit Kälbchen, Baden im Fluss, Hausaufgaben und dem Löschen des Blätterdaches der Außenküche, das sich unbemerkt entzündete, als wir alle außer Haus waren. Was Santa Maria in große Aufruhr versetzt hat, war die Verbrennung zweier Mitglieder einer Räuberbande, die in den Überfall auf die Viehwägen Ende März verwickelt war. Bei einem erneuten Überfall am 14.5 schnappte sie das Volk und händigte sie aus Angst, Wut und Bedürfnis nach Sicherheit nicht der Polizei aus, sondern übte Selbstjustiz um sicher zu gehen, dass eine Strafe erfolgt und die Gefangenen nicht nach wenigen Tagen U‐Haft wieder freigelassen werden. Durch dieses sehr erschreckende Ereignis ist die Stimmung hier angespannter und geladener als zuvor. Es sind immer noch Bandenmitglieder auf freiem Fuß, weshalb die Leute aus Angst vor neuen Überfällen bzw. Racheaktionen vorsichtiger geworden sind. Um die Sicherheit im Umkreis zu erhöhen wurde ein Komitee aufgestellt, das eine neue Polizeistation an einer gefährdeten Wegkreuzung plant. Für den Kauf des Grundstücks und den Bau der Gebäude wird deshalb gerade in Santa Maria und den umliegenden Siedlungen Geld durch verschiedene Initiativen gesammelt. Am Schluss des Rundbriefs wollen wir euch natürlich noch von den Fortschritten des Schulhofprojekts berichten, das am Montag, den 25.5 für uns und die Kinder erst so richtig begonnen hat. Jede Klasse wurde in Gruppen eingeteilt und hat ein bis zwei Tage Zeit, ihren Part an die Wand zu malen (die 7.Klasse: Große Tiere, 6. Klasse: die Arche + Noah, 5. Klasse: Vögel, 4. + 3.Klasse: Kleintiere, 2. + 1.Klasse: Schmetterlinge, Blumen etc.). Jedes Kind, auch das allerkleinste, darf seinen künstlerischen Beitrag leisten, damit im Gesamtbild die Geschichte von Noah, seiner Arche und den vielen verschiedenen Tiere entstehen kann. In den letzen 2 ½ Wochen hat die 3. – 7. Klasse mit Begeisterung und freiwilligem Mithelfen am Nachmittag, ihre kleinen Meisterwerke zuerst mit Kreide an die Wand gezeichnet und anschließend mit der gekauften Farbe angemalt. So kann man jetzt schon die Arche, den Regenbogen und eine Vielfalt an Tieren bewundern, die bis jetzt aber alle noch in der Luft schweben, bis wir mit den Lehrern die dazugehörige Landschaft gemalt haben. Die drei Kisten voller Farbe und die ganzen Pinsel hatten wir am 20.5. in Santo Domingo besorgt und mit der Camioneta nach Santa Maria gebracht. (Bei dem Transport von 19 Farbeimern durften wir im Taxi einen Aufpreis wegen des zusätzlichen Gewichts zahlen!?) In dieser und der nächsten Woche dürfen noch die Erst‐ und Zweitklässler ihren Teil dazu beitragen und so die Tierwelt vervollständigen. Neben all dem wird es für uns langsam Zeit sich der Zukunftsplanung bzw. den Universitätsbewerbungen zu widmen. An dieser Stelle wollen wir uns ganz herzlich bei unseren Eltern dafür bedanken, dass sie uns dabei so sehr unter die Arme greifen, weil das ganze durch diese Entfernung und das nicht ganz verlässliche Postsystem noch (viel) komplizierter ist. Ganz liebe Grüße von den 2 – im wahrsten Sinne des Wortes – bunten Hunden aus Santa Maria del Toachi