Das Ziel der Mission
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Das Ziel der Mission
T he m a d e s M o na ts Das Ziel der Mission © Picture Alliance – AP Was Versöhnung bewirkt und warum sie gelebt werden muss Kim Phuc (das schreiende Mädchen in der Mitte) kurz nach dem Napalm-Angriff auf ihr Dorf. B ilder sagen mehr als tausend Worte. Auch wenn das eine Floskel sein mag, trifft es sicherlich für das Bild vom schreienden Mädchen aus Vietnam zu, das – vom Napalmfeuer getroffen – nackt um ihr Leben rannte. Der Fotograf Nick Ut gewann 1972 damit den Pulitzerpreis (ein renommierter Journalistenpreis in den USA), sein Bild wurde zum Symbol für den Wahnsinn des Viet namkrieges. Als am 8. Juni 1972 amerikanische „Skyraider“ einen verheerenden Napalm-Angriff auf das Dorf Trang Bang flogen, verlief alles nach Plan. Nicht geplant war das Foto. Es prägte sich in das kollektive Gewissen einer kriegerischen Welt. Kim Phuc und der amerikanische Soldat Ein paar Kinder rennen um ihr Leben; unter ihnen ein nacktes Mädchen. Es ist Kim Phuc. Damals war sie neun Jahre alt. Man hatte ihr die brennenden Kleider vom Leib gerissen und sie schreit nicht nur 8 | adventisten heute | August 2015 vor Schreck sondern auch vor Schmerz. Rücken, Nacken und Arme sind verbrannt. Kim selbst verbringt die folgenden 14 Monate im Krankenhaus. Ihre Mädchenpläne sind ruiniert.1 Ihr Leben bleibt durch die Verbrennungen gezeichnet – selbst nach 17 weiteren Operationen. Mehrere Ausbildungen muss sie abbrechen, denn die Schmerzen bleiben. Doch dann geschieht das Wunderbare. Die buddhistisch aufgewachsene Kim findet Trost bei Jesus, der sie liebt und trägt. Er gibt ihr Kraft zum Leben und gewinnt die Übermacht über den Hass und das Selbstmitleid. 24 Jahre später, am 11. November 1996, spricht Kim Phuc in Washington vor tausenden Vietnamveteranen, ihren ehemaligen Feinden. Der damalige Präsident Bill Clinton hat sie eingeladen. Als sie an das Rednerpult tritt, hält sie eine kurze Rede: „Liebe Freunde! Ich bin sehr glücklich, dass ich diesen Tag mit Ihnen verbringen kann. Ich bin M issionare: Bot schaf ter der Versö h n u n g dankbar für die Möglichkeit, an diesem Kriegsveteranentag zu ihnen zu sprechen und Sie zu treffen. Wie Sie alle wissen, bin ich das kleine Mädchen, das von dem Napalmfeuer davonrannte. Ich möchte heute aber nicht über den Krieg sprechen, denn ich kann die Geschichte nicht ändern. Ich möchte Sie lediglich an die Tragödie des Krieges erinnern, damit wir uns für das Ende des Kämpfens und Tötens in dieser Welt einsetzen. Ich habe viel gelitten, durch physische wie auch emotionale Schmerzen. Manchmal dachte ich, mein Leben sei vorbei, doch Gott hat mich gerettet und gab mir Glauben und Hoffnung. Selbst wenn ich heute von Angesicht zu Angesicht mit dem Piloten sprechen könnte, der damals die Bomben fallen ließ, so würde ich zu ihm sagen: Wir können die Geschichte nicht ändern, aber wir sollten uns im Heute und in der Zukunft für das Gute einsetzen, um so den Frieden zu fördern. Ich hätte nie gedacht, dass ich nach meinen Verbrennungen doch noch heiraten und Kinder haben könnte. Doch nun habe ich einen wunderbaren Ehemann sowie einen reizenden Jungen und eine glückliche Familie. Liebe Freunde, ich träume einfach davon, dass es einen Tag gibt, an dem alle Menschen in wahrem Frieden leben können – ohne Kämpfen und ohne Feindschaft. Gemeinsam sollten wir uns für den Frieden und das Glück aller Menschen in allen Ländern einsetzen. Herzlichen Dank, dass ich teil dieses wichtigen Tages sein darf.“2 Nachdem Kim ihre Rede beendet hat, kommt es zu einer ergreifenden Szene abseits der Menge. John Plummer, ein traumatisierter Vietnamveteran will sich unbedingt mit Kim treffen. Er war damals unweit des Dorfes Trang Bang stationiert und fühlt sich für die Bombardierung von Kims Dorf mitverantwortlich. Das Bild vom schreienden Mädchen hat sich tief in seine Seele gebrannt. Der Krieg hinterlässt auch bei ihm tiefe Spuren. Drei Ehen, zwei Scheidungen und ein schweres Alkoholproblem – hervorgerufen durch Schuldgefühle und Albträume. Das war Plummers Leben nach dem Krieg. Als John 1996 einen Bericht über das „Napalm-Mädchen“ im Fernsehen sieht, erfährt er zum ersten Mal, was danach mit ihr geschah – dass sie noch lebt und zusammen mit ihrer Familie in Toronto (Kanada) wohnt. Er erfährt, dass Kim am Tag der Vietnamveteranen reden soll. John fährt dorthin und gibt vor, der Pilot von damals zu sein – derjenige, der die Bomben fallen ließ. Kim will den vermeintlichen Piloten unbedingt treffen und abseits des Trubels kommt es dann zur Begegnung. Für Kim ist es eine Begegnung mit dem Piloten, für Plummer ein verzweifelter Versuch, dem Schrei des Mädchens zu entkommen. Es wird berichtet, dass man in der Menschenmenge die beiden kniend am Boden sah. John beschreibt es so: „Sie sah meine Trauer, meinen Schmerz und meinen Kummer. Sie streckte ihre Arme aus und umarmte mich. Alles, was ich nur immer und immer wieder sagen konnte, war: ‚Es tut mir leid, es tut mir leid.‘ Und sie sagte immer wieder: ‚Es ist alles gut, es ist alles gut.‘“3 Auch wenn Plummer nicht der Pilot war; Kim umarmt in jenem Moment den Bombenwerfer. In dieser Umarmung trifft die Bereitschaft zur Versöhnung eines Kriegsopfers auf den verzweifelten Wunsch eines traumatisierten Soldaten nach Vergebung. Es ist alles gut. Die Beziehung wird wiederhergestellt Tatsächlich – Versöhnung macht alles gut. Es gibt wohl kaum einen stärkeren Ausdruck für Frieden als den der Versöhnung. Wenn Feinde Freunde werden. Wenn die Liebe über den Hass siegt. „Wie ein Fest nach langer Trauer, … frischer Tau auf dürrem Land“, singen wir in einem Gemeindelied (Leben aus der Quelle, 152). „So ist Versöhnung. So muss der wahre Frieden sein. So ist Versöhnung. So ist Vergeben und Verzeihn.“ Doch so schön sich das singen lässt, Versöhnung macht sich rar in unserer Welt. Man muss da nur an die Konflikte in der Ostukraine oder im Nahen Osten denken. Können sich dort die Menschen wieder versöhnen? Die Sehnsucht nach Versöhnung zieht sich nicht nur durch Kriegsgebiete und Krisenherde, sie zieht sich auch durch Familien und Gemeinden. Überall dort, wo Beziehungen zerbrochen und vergiftet sind, wo man sich nicht in die Augen blicken kann oder gleichgültig aus dem Weg geht. Eine Versöhnung aber bewirkt genau das Gegenteil. Hier geht es um das Wiederherstellen einer zerstörten Beziehung. In diesem Sinn ist die Versöhnung mehr als Vergebung. Vergeben ist zwar in jedem Fall nötig, doch vergeben kann ich auch aus der Distanz. Ich kann jemandem einen Brief schreiben und ihm aufrichtig mitteilen: „Ich vergebe dir; ich trage dir das nicht nach.“ Eine betrogene Frau kann auch zu ihrem Ex-Mann sagen: „Ich vergebe dir, doch lass mich in Ruhe.“ Doch Versöhnung ist mehr. Sie braucht die Begegnung und die echte Umarmung ist ihr stärkster Ausdruck. Wo Menschen sich versöhnen, stellt man nicht nur Frieden her, sondern man lebt ihn. Der Kern des Evangeliums Ein solches Verständnis von Versöhnung findet sich auch in der Bibel. Da wird sogar von einem Gott gesprochen, der die Versöhnung mit den Menschen sucht und der uns dazu nicht nur eine Friedensbotschaft sendet. Nein, er kommt selbst und begegnet uns in Christus. Der Schöpfer selbst bemüht sich um die Versöhnung mit uns – ganz persönlich und unter Einsatz seines Lebens (Röm 5,10). Das gehört zum Kern unseres christlichen Bekenntnisses. adventisten heute | August 2015 | 9 T he m a d e s M o na ts Ob wir nun den Erfinder des Lebens ablehnen, bekämpfen oder ihm einfach aus dem Wege gehen – fest steht: Nur in der Beziehung zu Gott hat unser Leben Bestand. In Jesus erkennen wir, dass dieser Gott des Lebens uns ganz nah ist und dass er uns mit weit geöffneten Armen entgegenkommt und Versöhnung anbietet. Eine Beziehung zu ihm ist möglich. Niemand muss sich von Gott abwenden, denn er meint es gut. Niemand muss sich vor Gott fürchten, denn er vergibt. Niemand muss Gott beeindrucken, denn er liebt. Niemand muss an Gott verzweifeln, denn er hat das Leid überwunden. Der evangelische Theologe, Karl Barth hat die Versöhnung in den Mittelpunkt der Theologie gerückt, weil dadurch „das Zentrum des Heilsgeschehens zwischen Gott und Menschen und unter Menschen“ am Klarsten zum Ausdruck komme.4 So schrieb es auch auch der Apostel Paulus. In Jesus sind wir mit Gott versöhnt und das macht auch den Frieden möglich – und Frieden (schalom) kann auch heißen, „es ist alles gut“ (Röm 5,1). Versöhnung will verkündigt und gelebt werden Stephan Sigg leitet die Jugendabteilung der Intereuropäischen Division mit Sitz in Bern. Versöhnung ist im wahrsten Sinn des Wortes befreiend. Das griechische Wort katallasso heißt wörtlich übersetzt, „losmachen“ und „befreien“. Kim Phuc hat es erlebt. Weil sie selbst mit Gott versöhnt war, wurde sie befreit zu einem neuen Leben, losgelöst von Hass und Selbstmitleid. Ihr Leben gewann eine neue Perspektive und sie wurde befähigt, nicht nur ihrem Feind zu vergeben, sondern sich auch mit ihm zu versöhnen. Die Umarmung am 11. November 1996 war echt. Auf der Internetseite der Kim-Stiftung steht, dass Kim und John bis heute eng verbunden sind.5 Die gelebte Versöhnung ist Ausdruck des Evangeliums und eines der stärksten Zeichen für das Wirken Gottes im Leben der Menschen. Deshalb sollte die Versöhnung auch unser Bestreben und eine gelebte Realität in der Gemeinde sein. Wenn mit der iCOR-Initiative die Versöhnung in den Zusammenhang der Mission gestellt wird, dann eben deshalb, weil Menschen die Botschaft der Versöhnung hören und erleben müssen. Paulus schrieb: „Dieses neue Leben kommt allein von Gott, der uns durch das, was Christus getan hat, zu sich zurückgeholt hat. Und Gott hat uns zur Aufgabe gemacht, Menschen mit ihm zu versöhnen. Denn Gott war in Christus und versöhnte so die Welt mit sich selbst und rechnete den Menschen ihre Sünden nicht mehr an. Das ist die herrliche Botschaft der Versöhnung, die er uns anvertraut hat, damit wir sie anderen verkünden. So sind wir Botschafter Christi, und Gott gebraucht uns, um durch uns zu sprechen. Wir bitten inständig, so, als würde Christus es persönlich tun: ‚Lasst euch mit Gott versöhnen!‘“ (2 Kor 5,18–20 NLB) 10 | adventisten heute | August 2015 Nach Paulus liegt das Zentrum der uns anvertrauten Botschaft in der Einladung und Bitte um Versöhnung. Es geht bei der christlichen Botschaft folglich nicht einfach um die Verkündigung von Glaubenspunkten. Es reicht nicht – wie es manchmal zu hören ist –, den Menschen lediglich die Wahrheit zu sagen. Als Botschafter der Versöhnung werden wir zu Menschen, die andere einladen, und die stellvertretend für Jesus um Versöhnung mit Gott bitten. Im Zeichen der Versöhnung wird alles, was unsere Mission und Evangelisation betrifft, unter das Anliegen gestellt, ein verlorenes oder zerrüttetes Verhältnis zu Gott wieder aufzubauen. Dazu ist es notwendig, dass gerade auch durch uns als Gemeinde – Paulus spricht ja nicht einfach einzelne Christen an – Menschen wieder einen persönlichen Zugang zu unserem „lieben Vater“ finden. In diesem Sinne lässt sich die Botschaft nicht vom Botschafter trennen. An den Christen soll man erkennen, dass es Gott gut mit uns meint und dass Gott unser Leben befreit. Überall wo die Christen sind, soll die Botschaft der Versöhnung erlebt und gelebt werden können. Gerade in der Glaubensgemeinschaft der Gemeinde soll die Wahrheit glaubhaft werden. Mission im Kontext der Versöhnung macht deutlich, dass die Botschaft des Evangeliums untrennbar mit dem gelebten Evangelium in der Gemeinde und dem gemeinsamen Gebet verbunden ist. Ellen White wies uns als Gemeinde schon vor mehr als hundert Jahren darauf hin: „Als ein Glaubensvolk haben wir viel Licht erhalten. Dieses Licht des Herrn wurde uns zum Nutzen und zum Segen der Welt gegeben. Uns wurde der Dienst der Versöhnung anvertraut. Mit der Kraft von oben bitten wir Menschen, sich mit Gott zu versöhnen … Diese Kraft wird uns proportional zu der Einheit unter den Gliedern und zu der Liebe zu Gott und untereinander verliehen.“ (The Central Advance, February 25, 1903, par. 1-2}. Die iCOR-Initiative will Gemeinden helfen, in ihrer missionarischen Ausstrahlungskraft zu wachsen, indem sie die Botschaft der Versöhnung nicht nur einladend verkündigen, sondern auch einladend leben. Im Zeichen der Versöhnung ist die Mission sowohl inhaltlich als auch in der „Ausführung“ zutiefst beziehungsorientiert und fördert immer beides – den Zugang zum himmlischen Vater und auch den Zugang zu den „Brüdern und Schwestern“ in der Gemeinde. Wo die Umarmung Gottes erlebt wird, kann man wirklich sagen: Es ist alles gut! ■ 1 Für Kim Phucs Rede siehe: http://gos.sbc.edu/p/phuc.html 2 UNESCOPRESS, 2002-04, „“Kim Phuc – The Power of Forgiveness“, http://portal.unesco.org/en/ev.php-URL_ID=4782&URL_DO=DO_TOPIC&URL_ SECTION=201.html, (besucht am 3. Juni 2015). 3 Edward K. Rowell, 1001 Quotes, Illustrations, and Humorous Stories for Preachers, Teachers (Grand Rapids, MI: Baker Books, 1996), S. 263–264. 4 Lothar Coenen, Hg., Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament, Band 2 (Wuppertal: R. Brockhaus Verlag, 1986), S. 1309. 5 http://www.kimfoundation.com/modules/contentpage/index. php?file=foundation.htm (besucht am 3. Juni 2015).