nl 07_5_links.indd
Transcrição
nl 07_5_links.indd
EGMR Al Fayed gg. Frankreich Zulässigkeitsentscheidung vom 27.9.2007 Kammer III Bsw. Nr. 38.501/02 Behauptete unzulängliche Untersuchung der Umstände des Todes von Dodi Al Fayed und Lady Diana Art. 2 EMRK Art. 6 Abs. 1 EMRK Art. 13 EMRK Sachverhalt: Der Bf. ist ägyptischer Staatsangehöriger. Sein Sohn Emad Fayed, besser bekannt unter dem Namen Dodi Al Fayed, starb bei einem Verkehrsunfall in Paris, dem auch die Prinzessin von Wales, Diana Spencer, zum Opfer fiel. In der Nacht des 31.8.1997 prallte die Limousine, in der sich Dodi Al Fayed und Lady Diana befanden, mit hoher Geschwindigkeit gegen einen Pfeiler des Pont d’Alma-Tunnels. Die beiden Genannten und der Fahrer starben, während der Leibwächter schwer verletzt überlebte. Dem Unfall war eine wilde Verfolgungsjagd durch Pressefotografen vorausgegangen, die nach Einlangen am Unfallort Aufnahmen von den Unfallopfern machten. In der Folge wurde gegen insgesamt zehn Pressefotografen eine strafrechtliche Untersuchung wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung bzw. Körperverletzung sowie der unterlassenen Hilfeleistung eingeleitet. Der Fall wurde einem Untersuchungsrichter des Pariser Tribunal de grande instance zugeteilt, der im Lauf des Verfahrens Unterstützung von einem zweiten Untersuchungsrichter erhielt. Am 2.9.1997 erklärte der Bf., sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligter anzuschließen. Eine Woche später erstattete er gegen besagte Journalisten Strafanzeige wegen Verletzung der Intimsphäre seines Sohns. Sein Antrag, die beiden Verfahren zu verbinden, blieb jedoch unbeantwortet. In der Folge ließ der Untersuchungsrichter ein Sachverständigengutachten zur Klärung der Unfallursache, des exakten Zeitpunkts des Todes und der am Unfallort geleisteten ersten Hilfe einholen. Die Anträge des Bf. auf Vornahme weiterer Untersuchungshandlungen wurden alle negativ beschieden. Mit Beschluss vom 3.9.1999 stellten die beiden Untersuchungsrichter das Strafverfah238 ren ein. Die dagegen erhobenen Rechtsmittel blieben alle erfolglos. Am 17.10.2000 brachte der Bf. eine Amtshaftungsklage wegen Rechtsverweigerung und schwerwiegender Mängel in der Justizverwaltung im Hinblick auf die Nichterledigung seiner Strafanzeige ein. Mit Urteil vom 28.4.2003 gab das Pariser Gericht zweiter Instanz der Amtshaftungsklage des Bf. statt und sprach ihm eine Entschädigung in der Höhe von € 15.000,– zu. Am 28.11.2003 sprach das Strafgericht die Angeklagten vom Vorwurf der Verletzung der Intimsphäre frei. Das Urteil wurde vom Gericht zweiter Instanz bestätigt, jedoch vom Cour de cassation wegen mangelhafter Begründung an eine andere Kammer desselben Gerichts zurückverwiesen. Mit rechtskräftigem Urteil vom 17.2.2006 wurde den Angeklagten die Leistung von Schadenersatz in der Höhe von jeweils einem Euro und die öffentliche Bekanntgabe der Entscheidung aufgetragen. Zur Zeit sind Strafanzeigen des Bf. wegen Vernichtung von Beweisen aufgrund der vorzeitigen Einbalsamierung des Leichnams von Lady Diana, des Verschwindenlassens von Beweisen im Zusammenhang mit einem Komplott im Wege der Vortäuschung eines Unfalls sowie wegen vorsätzlichen Mordes anhängig. Rechtsausführungen: Der Bf. rügt Verletzungen von Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 6 Abs. 1 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) und Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz). Zur behaupteten Verletzung von Art. 2 EMRK: Der Bf. bringt vor, die hinsichtlich des Todes seines Sohnes durchgeführte strafrecht- Newsletter Menschenrechte 2007/5 EGMR liche Untersuchung habe den Vorgaben des Art. 2 EMRK nicht entsprochen. Er kritisiert insbesondere, dass eine Autopsie des Leichnams von Lady Diana erst nach der Einbalsamierung erfolgt sei und der darüber angefertigte Bericht nicht Eingang in die Untersuchungsakten gefunden habe. Der Bf. beanstandet ferner die Richtigkeit des beim Chauffeur festgestellten Blutalkoholgehalts einschließlich der Ablehnung der sich darauf beziehenden Beweisanträge sowie die Verweigerung der Vornahme von ihm beantragter weiterer Untersuchungshandlungen. 1. Zur fehlenden Erschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges: Die Regierung wendet ein, der Bf. habe es verabsäumt, den innerstaatlichen Instanzenzug auszuschöpfen, da seine Amtshaftungsklage zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung noch anhängig gewesen sei. Darüber hinaus mangle es ihm an der Opfereigenschaft, da er nicht nur eine finanzielle Entschädigung wegen schlecht funktionierender Gerichtsverwaltung, sondern auch eine Sachentscheidung auf seine am 9.10.1997 erstattete Strafanzeige hin bekommen habe. Darüber hinaus sei dem Bf. während der ersten strafrechtlichen Untersuchung die Möglichkeit zur Verfügung gestanden, einen Antrag auf Ersatz der ihm durch schwerwiegende Verfahrensverzögerungen entstandene Schäden zu stellen. Die Regierung wendet ferner die Unvereinbarkeit des vorliegenden Beschwerdepunkts mit der Konvention ratione materiae ein, da Verkehrsunfälle Folge freiwilliger und individuell eingegangener gefährlicher Aktivitäten seien und somit nicht die positiven Verpflichtungen der Staaten unter Art. 2 EMRK berühren könnten, die nur für Handlungen bzw. Unterlassungen von staatlichen Organen einzustehen hätten. 2. Zur Einrede der Regierung: Der GH erinnert daran, dass die Verpflichtung der Staaten gemäß Art. 2 EMRK, hinsichtlich verdächtiger Todesumstände eine offizielle Untersuchung durchzuführen, nicht nur in Fällen Anwendung zu finden hat, in denen der Tod erwiesenermaßen auf ein staatliches Organ zurückzuführen ist. Die bloße Tatsache der Benachrichtigung der Behörden vom Ableben einer Person führt automatisch zu deren positiver Verpflichtung, eine effektive Untersuchung hinsichtlich der exakten Todesumstände durchzuführen. Die Einrede der Regierung ist somit hinsichtlich der Unvereinbarkeit des vorliegenden Beschwerdepunkts ratione materiae zurückzuweisen. Die übrigen Einwände wird der GH anlässlich der meritorischen Behandlung der Beschwerde prüfen. 3. In der Sache selbst: Der GH hält fest, dass der Sohn des Bf. bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Es wurde ein gerichtsmedizinischer Befund erstellt und am 2.9.1997 eine strafrechtliche Untersuchung wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung bzw. Körperverletzung sowie der unterlassenen Hilfeleistung eingeleitet. Im Zuge des Verfahrens wurde ein weiterer Untersuchungsrichter mit der Sache betraut. Dies zeigt, dass den Behörden die Bedeutung des Falls und die Notwendigkeit der Ergreifung angemessener Maßnahmen bewusst war. Während des Vorverfahrens wurden zahlreiche Untersuchungshandlungen getätigt. Der anwaltlich vertretene Bf. konnte seine Rechte während der ganzen Zeit effektiv wahrnehmen. Er wurde nicht nur über den Ablauf des Verfahrens regelmäßig informiert, sondern hatte auch die Möglichkeit, Beweisanträge zu stellen und sonstige Vorbringen zu präsentieren. Die Kritik des Bf. richtet sich vornehmlich gegen die von den Untersuchungsrichtern gewählte Ermittlungsstrategie und die Würdigung der gesammelten Beweise. Auffassungsunterschiede über zu treffende Untersuchungshandlungen mögen aus Sicht des Privatbeteiligten, der in einer dermaßen sensiblen Angelegenheit naturgemäß Erwartungen hegt, zwar verständlich sein, jedoch reichten sie im vorliegenden Fall nicht aus, um auf das Vorhandensein von Untersuchungsmängeln oder anderen Hindernissen schließen zu können. Den Behörden kann auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, der vom Bf. vertretenen Hypothese einer vorsätzlichen Tötung angesichts der vorliegenden Untersuchungsergebnisse eine Absage erteilt und aus diesem Grund eine Befragung von Angehörigen der Britischen Botschaft bzw. des amerikanischen Nachrichtendienstes abgelehnt zu haben. Dies trifft auch auf die Weigerung zu, eine von britischen Gerichtsmedizinern erstellte Expertise in den Akt aufzunehmen, da diese nicht die Umstände des Unfalls als solchen, sondern Schlussfolgerungen bezüglich des einige Stunden danach erfolgten Todes von Lady Diana betraf. Ebensowenig wirft die Einbalsamierung ihres Leichnams vor der Autopsie Fragen auf. Schließlich ist noch festzuhalten, dass die Behörden beim Chauffeur einwandfrei Alkohol im Blut festgestellt haben, sodass die Ablehnung der sich darauf beziehenden Beweisanträge Newsletter Menschenrechte 2007/5 239 EGMR des Bf. keine Bedenken aufwirft. Dies gilt auch für die Weigerung der Untersuchungsrichter, weitere Untersuchungshandlungen vorzunehmen. Abschließend hält der GH fest, dass es dem Bf. jederzeit offengestanden wäre, bei neu hervorgekommenen Tatsachen neuerlich Strafanzeige zu erstatten, was er auch tatsächlich getan hat. Der GH kommt zu dem Ergebnis, dass die Behörden im vorliegenden Fall eine effektive Untersuchung hinsichtlich der näheren Todesumstände des Sohnes des Bf. unternommen haben. Dieser Beschwerdepunkt ist somit wegen offensichtlicher Unbegründetheit gemäß Art. 35 Abs. 3 und Abs. 4 EMRK als unzulässig zurückzuweisen (einstimmig). Zur behaupteten Verletzung von Art. 2, Art. 6 Abs. 1 und Art. 13 EMRK: Der Bf. rügt die Weigerung des Untersuchungsrichters, die beiden Strafverfahren zu verbinden, ferner die unbefriedigende Behandlung seiner am 9.10.1997 erstatteten Strafanzeige sowie den nicht kontradiktorischen Charakter des gerichtsmedizinischen Gutachtens. Der GH räumt ein, dass der vorliegende Fall angesichts der Prominenz der Unfallopfer und der Art und Weise, wie sie ums Leben kamen, ohne Zweifel komplex war. Er erinnert aber an seine Schlussfolgerungen bezüglich einer behaupteten Verletzung von Art. 2 EMRK, sodass kein Anlass besteht, von diesen auch im Hinblick auf die gerügte Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK abzugehen. Die Nichtverbindung beider Verfahren mag zwar bedauerlich sein, jedoch zeigen die Gerichtsakten, dass der Bf. dadurch nicht in seiner Möglichkeit zur Abgabe von Stellungnahmen beschränkt wurde. Die Komplexität und der besondere Charakter des vorliegenden Falles vermochten daher die Ablehnung seines Antrags auf Verbindung beider Verfahren zu rechtfertigen. Das Verhalten der Behörden ist daher auch aus Sicht der Anforderungen an eine gut funktionierende Gerichtsverwaltung nicht zu beanstanden. Zwar stellte das Pariser Gericht zweiter Instanz in seinem Urteil vom 28.4.2003 schwere Mängel in der Justizverwaltung fest, jedoch wird darin ausdrücklich festgehalten, dass die Entscheidung, beide Verfahren nicht zu verbinden, in das richterliche Ermessen falle. Angesichts dieser Umstände reichen die vom Bf. gegen die Entscheidungen der Untersuchungsrichter vorgebrachten Einwände nicht aus, um von einer Unfairness des Verfahrens sprechen zu können. Mit Rücksicht auf die Tatsache, dass der Bf. über Rechtsmittel verfügte, von denen er auch Gebrauch machte, ist auch seine Beschwerde gemäß Art. 13 EMRK offensichtlich unbegründet. Dieser Teil der Beschwerde ist somit wegen offensichtlicher Unbegründetheit gemäß Art. 35 Abs. 3 und Abs. 4 EMRK als unzulässig zurückzuweisen (einstimmig). Vom GH zitierte Judikatur: Paul und Audrey Edwards/GB v. 14.3.2002 NL 2002, 55. Kavak/TR v. 6.7.2006. Schöpfer 240 Newsletter Menschenrechte 2007/5