Amerikanische „Bootcamps“ Weich heißt die Lösung Von

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Amerikanische „Bootcamps“ Weich heißt die Lösung Von
Amerikanische „Bootcamps“
Weich heißt die Lösung
Von Jordan Mejias, New York
Ein Studie spricht dem militärischen Drill die Wirkung ab
17. Januar 2008 Die deutsche Debatte über die Jugendkriminalität hat die amerikanischen Medien
erreicht. Die „New York Times“ schreibt von einem „brutalen Krieg der Worte“, der zwischen den
beiden größten politischen Parteien ausgebrochen sei. Wie es dazu kommen konnte, weiß die
Zeitung sich nicht zu erklären. Deutschland habe zwar Schwierigkeiten mit seinen „eingewanderten
Bewohnern“, aber rohe Konflikte wie anderswo, zumal in Frankreich, kenne es nicht. Die NaziVergangenheit und der daraus abgeleitete Eifer aller etablierten Politiker, selbst den Anschein
nationalistischer Regungen zu meiden, hätten die Art der Debatte, wie sie in Europa andernorts von
rechtsextremen Parteien angezettelt wurde, bisher verhindert. Dies aber könne sich jetzt ändern.
Doch nur keine Panik, das „Wall Street Journal“ macht uns wieder Mut. Auch unter Rupert
Murdoch, noch unerschüttert in seinem radikal ökonomischen Denken, vermag es Lösungen
anzubieten: Kulturelle Barrieren seien am besten mit guten Schulen zu überwinden, und während
Immigranten sich selbstkritisch mit ihren Versäumnissen auseinanderzusetzen hätten, müssten
Regierungsprogramme die Integration fördern. Die Hoffnung bestehe darin, dass das Ergebnis der
Debatte gleichermaßen zu mehr gesellschaftlicher Durchlässigkeit wie zum Ende des „rampant
welfarism“, der Exzesse des Wohlfahrtsstaats, führe.
Das Heilversprechen ist ausgereizt
Roland Koch würde sicher lieber das „Journal“ als die „Times“ aufschlagen. Was er sonst aus
Amerika zu hören bekäme, gefiele ihm wohl weniger. Mit Erziehungslagern für jugendliche
Straftäter, den „Bootcamps“, ist in deren Ursprungsland kein Staat mehr zu machen. Ihr
Heilsversprechen ist ausgereizt, wenn nicht widerlegt. Erst vor einem Vierteljahr veröffentlichte
nicht irgendeine pazifistisch-linksliberale Interessengruppe, sondern das Government
Accountability Office (G.A.O.), die Untersuchungsbehörde des amerikanischen Kongresses, eine
ernüchternde Studie, die Bootcamps und ihrem militärischen Drill jede Eignung absprach,
kriminelle Jugendliche zurück auf den Weg der Tugend zu bringen.
Ganz im Gegenteil könnten die umstrittenen Umpolungslager das Problem noch verschlimmern.
Ebenso trügen strengere Gesetze, die Teenager juristisch wie Erwachsene behandelten, nur zur
Verschärfung des Übels bei. Nach einer Haft mit volljährigen Tätern neigten Jugendliche dazu,
rabiater zu sein. Ähnliches gelte für Bootcamps, wo gewalttätige Minderjährige vereint seien und
einander anstacheln könnten. Solche Erziehungsstätten, so das G.A.O., haben auch keine
abschreckende Wirkung. „Tough love“, Angstmacherei und Taktiken, die auf Furcht und Schrecken
abzielen, laufen ins Leere.
Mehrere Todesfälle - und ein glänzendes Geschäft
Nicht erst die vom Kongress in Auftrag gegebene Untersuchung deckte himmelschreiende Skandale
auf. Seiten über Seiten sind gefüllt mit Berichten über Misshandlungen, Verletzungen und
Todesfälle. In den praktisch unregulierten Anstalten kam es vor, dass Teenager zur Strafe keine
Nahrung erhielten, dafür ihr Erbrochenes wieder herunterwürgen und in ihren Exkrementen liegen
mussten. Ein dehydrierter Junge verschlang Erde, weil er nichts zu trinken bekam. Mehrere
Todesfälle haben die Öffentlichkeit aufgeschreckt, und wie in Amerika üblich blieben
Schadenersatzklagen nicht aus. Der Bundesstaat Florida zahlte 2007 einer Familie, deren vierzehn
Jahre alter Sohn in einem vom lokalen Sheriff geleiteten Bootcamp umkam, fünf Millionen Dollar.
Erziehungscamp in Kalifornien: Himmelschreiende Skandale
Die meisten dieser Einrichtungen werden unter privatwirtschaftlicher Regie geführt. Der Staat
schießt Geld zu, denn pro Tag und jugendlichen Sträfling können sich die Kosten auf mehr als
vierhundert Dollar belaufen. Eine staatliche Kontrolle gibt es indes so gut wie nicht. Mit gut
hunderttausend Jugendlichen in Verwahrung dürften die jährlichen Einnahmen der Betreiber die
Milliardengrenze längst überschritten haben. Bootcamps erweisen sich als ein glänzendes Geschäft,
das trotz aller Kontroversen seit Mitte der neunziger Jahre auf Wachstumskurs ist und mit einer
Fernseh-Reality-Serie namens „Brat Camp“ auch schon seine popkulturelle Würdigung erfahren
hat.
Auf deutsche Verhältnisse übertragbar
Dem Aufschwung der militaristisch organisierten Jugendlager korrespondiert aparterweise ein
Abschwung der Jugendkriminalität. Seit zehn Jahren fällt in den Vereinigten Staaten die
entsprechende Quote, wenn auch die Jugendkriminalitätsrate nach wie vor hoch ist. In einer
Umfrage in Highschools des Jahres 2004 gab ein Drittel der Schüler an, im Jahr zuvor an
mindestens einer körperlichen Auseinandersetzung teilgenommen zu haben, siebzehn Prozent
trugen an mindestens einem der vorangegangenen dreißig Tage eine Waffe, sechs Prozent waren
mindestens einmal nicht zur Schule gegangen, weil sie sich dort oder auf dem Schulweg nicht
sicher fühlten.
Die meisten Einrichtungen werden privatwirtschaftlich geführt
Kommt in Amerika Jugendkriminalität zur Sprache, wird jeder zuerst an Schießereien in Schulen
und Colleges sowie an Gewalttaten von Jugendbanden denken. Ethnisch geprägte Probleme können
dabei eine entscheidende Rolle spielen, müssen es aber nicht. Die Centers for Disease Control and
Prevention (CDC), eine dem Gesundheitsministerium unterstellte Behörde, haben inzwischen
versucht, die Jugendkriminalität, die von ihnen als ernstes öffentliches Gesundheitsproblem
eingestuft wird, mit einer nüchternen Aufstellung von Entstehungsgründen und
Heilungsmöglichkeiten zu entmystifizieren.
Unter den individuellen und gesellschaftlichen Risikofaktoren nennen die C.D.C. antisoziales
Verhalten, ungenügende ökonomische Aufstiegschancen, erste Lebenserfahrungen in einer
gewaltbereiten Umgebung und in einem engbegrenzten Kreis mittelloser Bezugspersonen. Das alles
ließe sich leicht auch auf deutsche Verhältnisse übertragen.
Ein staatliche Kontrolle gibt es so gut wie nicht
Für Schlagzeilen und Wahlkämpfe nicht verwendbar
Aber welche Lehren wären daraus zu ziehen? Da nun ist das „fact sheet“, das trockene Faktenpapier
der C.D.C., weniger interessant als die Studie der Kongressbehörde. Auch deren aufgelistete
Lösungen sind freilich weit weniger spektakulär, als es Ruf und Versprechen der Bootcamps einst
waren. Immerhin drücken sich die dreizehn Experten nicht davor, Lösungsvorschläge zu machen.
Sie dringen darauf, Interventionsprogramme zu entwickeln, die gemeinsame Beratungen für
Jugendliche und ihre Familien einschließen und regelmäßig über mehrere Monate hinweg
stattfinden sollten. Auch die bisherigen Ergebnisse von gezielten therapeutischen Behandlungen
sind vielversprechend und auf jeden Fall besser als die der Bootcamps. Sie sind auch billiger.
Und würde in Erziehung und vorbeugende Maßnahmen mehr Geld gesteckt, könnte manches an
Kosten gespart werden, die dann für die Verwahrung und Wiedereingliederung jugendlicher
Straftäter anfallen. Ausgerechnet die gern so hart durchgreifenden Amerikaner scheinen jedenfalls
zumindest beim Umgang mit Jugendkriminalität auf weiche Methoden umzuschwenken. Vom
National Youth Violence Prevention Center bis zu den C.D.C. und den Experten des G.A.O
herrscht Übereinstimmung, dass überlegt strukturierte Vorbeugungspraktiken, die in Schulen
beginnen und auch im College noch beibehalten werden, die besten Ergebnisse zeitigen. Aber das
sind eben, trotz aller Erfolgsmeldungen, keine Maßnahmen, die für Schlagzeilen oder Wahlkämpfe
taugen.
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