Wie wissenschaftlich ist die Kosmetik?

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Wie wissenschaftlich ist die Kosmetik?
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Wie wissenschaftlich
ist die Kosmetik?
Foto: RK by_Klaus Uwe Gerhardt, Pixelio.de
In einem Interview mit Angelika Meiss erläutert Dr. Karl Lintner von
Kal’Idées, wie er die Wissenschaftlichkeit von Kosmetik einschätzt.
Viele Claims zu natürlichen Pflanzenextrakten basieren oft
auf nicht ausreichend wissenschaftlich untermauerten
Überlieferungen
Was verstehen Sie unter Evidence
Based Cosmetics*?
Dr. Karl Lintner, Berater,
Kal’Idées: Evidence Based
Cosmetics (EBC) ist von
dem Konzept der Evidence
Based Medicine abgeleitet.
Konkret heißt das, dass ein Entwickler
oder Anbieter einer Behandlung oder
eines Produktes sein Angebot auf wissenschaftliche Erkenntnisse anstatt
auf Meinungen, Traditionen, Anekdoten oder pointierte Umfragen stützt.
Ist das etwas Neues?
Ja und nein … Natürlich hat sich die
Kosmetikindustrie in den letzten Jahrzehnten verstärkt bemüht, Claims bzw.
Auslobungen mit Hilfe von In-vitrooder In-vivo-Studien zu untermauern,
und hat dabei große Fortschritte gemacht. Dennoch wird häufig kritisiert,
dass keine Doppelblindstudien mit
Placebokontrolle gemacht bzw. veröffentlicht werden und so die Konsumenten mehr oder weniger hinters
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Licht geführt würden. Auf der anderen
Seite basieren viele Claims, gerade im
Bereich der als natürlich oder traditionsreich angesehenen Pflanzenextrakte, auf Anekdoten oder Überbringungen aus alten Zeiten, die nicht immer
ausreichend wissenschaftlich untermauert sind.
Hat sich die Situation in den letzten
Jahren verändert?
Vor 50 Jahren wurden bisweilen
selbst bedenkliche Inhaltsstoffe mit
haarsträubenden Claims beworben. Inzwischen sind die Sicherheit von Inhaltsstoffen und ihre möglichen Wirkungen sehr viel besser belegt. Dann
wurden jedoch im Gefolge der BSE-Krise Kosmetika mit besonders starker
Wirkung als Cosmeceuticals bezeichnet. Dabei lösten innovative Wirkstoffe
wie AHAs und Retinol sowie später
Peptid- und Matrikinkonzepte Tierextrakte wie Kollagen, HA und Sphingolipide ab. Auf diese Weise kamen neue,
viel gezielter untersuchte Substanzen
ins Spiel. Aber da auch Wasser und
Glycerin mit spezifischen Zellrezeptoren interagieren, wie die Aquaporine
zeigen, und trotzdem nicht zu pharmakologischen Wirkstoffen ernannt werden, ist eine sinnvolle Abgrenzung von
Cosmeceuticals nicht möglich.
Gibt es regulatorische Voraussetzungen für evidenzbasierte Claims?
Obwohl dieses Thema zurzeit in
Brüssel im Zusammenhang mit der
neuen Kosmetikverordnung diskutiert
wird, ist dazu noch nichts Konkretes
vorgesehen. Die Frage, wie ein sauber
untermauerter Claim aussehen sollte,
haben Kosmetikhersteller im täglichen
Geschäft schon oft mit den Behörden
diskutiert. Wichtige Kriterien für einen
sauberen Wirksamkeitsnachweis sind
z.B. ein ausreichend großes Panel an
Probanden, speziell ausgebildete Forschungsleiter sowie eine statistische
Auswertung der Ergebnisse, eventuell
gestützt durch In-vitro-Untersuchungen von Wirkungsmechanismen bestimmter Inhaltsstoffe, wobei die Aussagekraft von In-vitro-Untersuchungen
bisweilen durchaus zu hinterfragen ist.
Was dagegen vom Gesetz nicht gefordert wird, weil es in der Kosmetik keinen Sinn macht, sind placebokontrollierte Studien. Schließlich gibt es kein
kosmetisches Placebo, da jede Creme
eine wie auch immer geartete Wirkung
besitzt.
Was folgern Sie daraus?
Die Kosmetiklabors und Testinstitute machen seit geraumer Zeit nun
sehr gute, zunehmend detaillierte und
seriöse Forschung und können und
sollen daher ihre Auslobung in der
Werbung auf konkrete forschungsbasierte Wirksamkeitsnachweise stützen.
Meiner Ansicht nach ist es jedoch
falsch, von kosmetischer Wissenschaft
zu sprechen. Wissenschaft versucht
schließlich, Hypothesen aufzustellen,
aus denen Theorien über prüfbare Vorhersagen abgeleitet werden. Davon
kann in unserem Metier allerdings weniger die Rede sein, denn dazu wird einerseits aus verständlichen Wettbewerbsgründen viel zu wenig veröffentlicht und andererseits bleibt die
Forschung, so fundiert sie auch sein
mag, zu stark produktbezogen. Dies ist
jedoch nicht als Kritik gemeint, sondern eher als Appell, eine präzisere
Wortwahl zu treffen.
* Vortrag Evidence-based Cosmetics – Old Hat or New
Trend? von Dr. Karl Lintner am 9.11.2010 beim SCS
Formulate in Coventry