OLG Nürnberg: Endurteil
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OLG Nürnberg: Endurteil
OLG Nürnberg, Endurteil v. 18.11.2014 – 3 U 954/14 Titel: Steuer, Festpreis, Rechtsanwaltsgebühr, Steuerbescheid, Werbung, Hilfeleistung Normenkette: RVG § 35 Leitsätze: 1. Die Werbung eines Rechtsanwalts mit dem Angebot der Prüfung von Steuerbescheiden zu einem Festpreis von 45 € brutto stellt eine Gebührenunterschreitung dar und ist wettbewerbsrechtlich unzulässig. Rechtsanwälte sind bei der Erbringung von Hilfeleistungen in Steuersachen im Bereich der Verweisungsvorschrift des § 35 RVG an die gebührenrechtlichen Bestimmungen der Steuerberatervergütungsverordnung (StBVV) gebunden. (Leitsatz aus Beckzeitschrift) Schlagworte: Steuer, Festpreis, Rechtsanwaltsgebühr, Steuerbescheid, Werbung, Hilfeleistung Fundstellen: GRUR-RS 2015, 06395 GRUR-Prax 2015, 356 DStRE 2015, 892 DStR 2015, 783 LSK 2015, 160323 NJW-RR 2015, 1199 Tenor I. Die Berufung des Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 13.03.2014, Az.: 3 HK O 2380/13 wird zurückgewiesen. II. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. III. Das angefochtene Urteil des Landgerichts und das vorliegende Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Beschluss Als Streitwert für das Verfahren beider Instanzen wird jeweils ein Betrag von 10.000,00 Euro festgesetzt. Entscheidungsgründe A. 1 Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen. B. I. 2 Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hat das Landgericht der Klage stattgegeben. Der Klägerin steht ein Unterlassungsanspruch gemäß §§ 8 Abs. 1, 3, 4 Nr. 11 UWG i. V. m. § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO, § 35 RVG, §§ 28, 13 StBVV zu. Darüber hinaus kann sie die geltend gemachten Abmahnkosten verlangen, § 12 Abs. 1 S. 2 UWG. 3 Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auch auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und macht sich die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts zu eigen. Das Berufungsvorbringen gibt darüber hinaus Anlass zu folgenden ergänzenden Ausführungen: 4 1. Wie das Landgericht zu Recht angenommen hat, handelt es sich bei den berufsrechtlichen Gebührenregelungen des RVG und der StBVV um Marktverhaltensregeln i. S. d. § 4 Nr. 11 UWG (BGH, WRP 2005, 598 - Telekanzlei), bei deren Verletzung der Klägerin als rechtsfähigem Verband zur Förderung beruflicher Interessen ein Unterlassungsanspruch gemäß §§ 3, 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 UWG zusteht. Das wird auch von der Berufung nicht in Frage gestellt. 5 2. Die Werbung des Beklagten verstößt gegen § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO i. V. m. § 35 RVG, §§ 28, 13 StBVV. 6 a) Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass vorliegend § 35 RVG i. V. m. §§ 28, 13 StBVV und nicht § 34 RVG eingreift. 7 § 35 RVG hat gerade für Fälle, in welchen das RVG keine genauen Gebührenvorschriften vorsieht, in den genannten Bereichen, hier Prüfen eines Steuerbescheids gemäß § 28 StBVV, die entsprechende Anwendung der dort ausdrücklich aufgeführten Vorschriften vorgesehen. 8 Zwar weist die Berufung zu Recht auf den Primat der Vorschriften des RVG für die Berufstätigkeit der Rechtsanwälte hin. Dem wird aber durch das Herausnehmen der §§ 21, 22 StBVV aus dem Anwendungsbereich des § 35 RVG hinreichend Rechnung getragen. Soweit in den §§ 23 bis 39 StBVV die Zeitgebühr Anwendung findet, soll diese auch für entsprechende Tätigkeiten der Rechtsanwälte gelten (so auch Hartmann, KostenG, 43. Aufl., § 35 RVG Rn. 1). 9 Würde man der Argumentation des Beklagten folgen, hätte es der Vorschrift des § 35 RVG nicht bedurft. Denn entweder würde bei außergerichtlicher Beratung und Vorliegen einer Gebührenvereinbarung § 34 RVG greifen oder die Berechnung einer angemessenen Gebühr nach § 4 RVG vorzunehmen sein. Nach den Gesetzesmaterialien wollte der Gesetzgeber (BT-Drs. 15/1971, S. 197) aber mit § 35 RVG eine Möglichkeit schaffen, durch die Anwendung der §§ 23 bis 29 StBVV, die die dort genannten Tätigkeiten umfassend regeln, eine angemessene Vergütung zu berechnen. 10 Ohne Erfolg wendet der Beklagte (zuletzt in Schriftsätzen vom 11.11. und 13.11.2014) ein, der Tatbestand des § 35 RVG sei nicht erfüllt, da es sich bei der Prüfung eines Steuerbescheids weder um eine Hilfeleistung bei der Erfüllung allgemeiner Steuerpflichten noch bei der Erfüllung steuerlicher Buchführungsund Aufzeichnungspflichten handele. Insoweit liege ein Versehen des Gesetzgebers vor, wenn er § 28 StBVV in den Geltungsbereich der Vorschrift einbezöge. Ausweislich oben genannter Gesetzesmaterialien hat der Gesetzgeber bewusst aber auch die Prüfung eines Steuerbescheids als Hilfeleistung in Steuersachen unter den Anwendungsbereich des § 35 RVG subsumiert. Denn er geht davon aus, dass die §§ 23 bis 39 der StBVV die für die Hilfeleistung in Steuersachen in Betracht kommenden Tatbestände umfassend regeln und auf die entsprechenden Tätigkeiten der Rechtsanwälte sinngemäß angewandt, für diese eine angemessene Vergütung ermöglichen (BT-Drs. a. a. O. S. 197). Gegenteiliges ergibt sich nicht aus der von der Berufung zitierten Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 27.7.2013, Az.: VIII R 32/11). Danach hat der Steuerpflichtige mit der Abgabe einer vollständigen und ordnungsgemäßen Steuererklärung zwar seine Erklärungspflichten erfüllt und muss darüber hinaus nicht Fehler des Finanzamtes richtig stellen. Es besteht aber im Falle ihm selbst unterlaufener Fehler eine Berichtigungs- oder Erklärungspflicht gemäß § 153 AO (BFH a. a. O.). Auch diese kann Gegenstand einer Prüfung des Steuerbescheids sein. Ebenso wie die Abgabe der Steuererklärung gemäß §§ 149, 150 AO gehört die Berichtigung gemäß § 153 AO zu den Mitwirkungspflichten bei der Durchführung der Besteuerung und dient damit der Erfüllung allgemeiner Steuerpflichten i. S. d. § 35 RVG. 11 Im Übrigen hat der Gesetzgeber, worauf das Landgericht zutreffend hinweist, angenommen, dass Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Hilfeleistung für Steuersachen durch einen Rechtsanwalt von den bisherigen Vorschriften des für Rechtsanwälte geltenden Vergütungsgesetzes gerade nicht erfasst werden. Demnach greift § 34 RVG nicht ein, weil die Prüfung eines Steuerbescheides nicht als Beratung im Sinne der Vorschrift anzusehen ist. Eine vorgreifliche Gebührenvereinbarung kommt daher nicht in Betracht. Ihre abweichende Meinung kann die Berufung auch nicht auf die von ihr insoweit herangezogene Entscheidung des OLG Stuttgart (NJW 2007, 924) stützen. Diese betraf einen vom vorliegenden Fall abweichenden Sachverhalt. Denn anders als dort, wirbt der Beklagte hier nicht mit Beratung in allen Angelegenheiten, für die keine gesetzlichen Gebühren vorgesehen sind, sondern mit der Prüfung von Steuerbescheiden, für die über § 35 RVG mit den Verweisen auf die dort genannten Regelungen der StBVV nun Vergütungsvorschriften eingreifen. 12 Nicht heranzuziehen sind die von der Berufung genannten §§ 4, 14 StBVV, da § 35 RVG auf diese nicht verweist. Insofern ist auch die in diesem Zusammenhang zitierte Entscheidung des BGH vom 30.9.2004, Az. I ZR 89/02 nicht einschlägig, da sie den Verstoß eines Steuerberaters gegen die Berufsordnung der Bundessteuerberaterkammer i. V. m. §§4, 13 StBGebVV betraf. 13 b) Der Beklagte unterschreitet die Gebühren, die § 35 RVG i. V. m. §§ 28, 13 StBVV vorsieht, indem er für die Prüfung eines Steuerbescheids unabhängig vom Umfang der Tätigkeit einen Pauschalpreis von 45,00 Euro inklusive Mehrwertsteuer verlangt. 14 Dabei kann dahinstehen, ob sich die angegriffene Werbung hinsichtlich der Prüfung der Steuerbescheide, wie der Beklagte meint, nur auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt, nämlich auf Arbeitnehmer, Rentner, Beamte und Studenten, oder, wie das Landgericht ausführt, sich auf jeden Leser der Anzeige, der sich persönlich angesprochen fühlt, also auch auf Unternehmer oder Kaufleute, bezieht. Denn selbst wenn sich die angesprochenen Adressaten nur aus dem eingeschränkten Personenkreis ergäben, können auch deren Steuerbescheide die Prüfung umfangreicher Unterlagen erfordern oder verschiedene Einkunftsarten (etwa Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, Kapitalanlagen etc.) umfassen, die komplizierte Wertungen und Berechnungen voraussetzen. Dies kann zu einem beträchtlichen Aufwand führen, der eine halbe Stunde Bearbeitungszeit deutlich überschreitet. Da der Beklagte aber ohne weitere Differenzierung unabhängig vom zeitlichen Umfang die Prüfung der Steuerbescheide anbietet, liegt hierin eine Unterschreitung des nach §§ 28, 13 StBVV vorgegebenen Gebührenrahmens und damit ein Verstoß gegen § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO. 15 3. Ohne Erfolg beruft sich der Beklagte darauf, die Wiederholungsgefahr der angegriffenen Werbung sei entfallen, da er die streitgegenständliche Dienstleistung nicht mehr zu einem Pauschalpreis von 45,00 Euro anbiete. Denn der Wiederholungsgefahr kann nur durch eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung begegnet werden. 16 4. Die von der Klägerin geltend gemachten Abmahnkosten sind nach § 12 Abs. 1 S. 2 UWG begründet. Der geltend gemachte Betrag von 195,00 Euro ist selbst unter Zugrundelegung eines Streitwerts von 10.000,00 Euro gerechtfertigt, da er auch insoweit unter einer hierfür anfallenden Gebühr liegt. II. 17 Nebenentscheidungen: 18 1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. 19 2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. 20 3. Die Streitwertbestimmung folgt aus §§ 3 ZPO, 51 Abs. 2 GKG. Dabei ist auf das Interesse der Klägerin an der Verhinderung künftiger Verletzungshandlungen abzustellen. Dieses Interesse wird maßgeblich geprägt von der Art des Verstoßes, insbesondere seiner Gefährlichkeit und Schädlichkeit der zu verbietenden Handlung, d. h. der Wahrscheinlichkeit und dem Ausmaß einer künftigen Beeinträchtigung dieses Interesses (Köhler/Bornkamm, UWG, 32. Aufl., § 12 Rn. 5.5.). Im Hinblick darauf, dass der Beklagte nur kurzzeitig mit dem beanstandeten Pauschalpreis geworben und nach seinen Angaben, an denen der Senat nicht zweifelt, lediglich fünf Mandate erlangt hat, hält der Senat einen Streitwert von 10.000,00 Euro für angemessen. Der erstinstanzliche Streitwert war entsprechend herab zu setzen. Eine weitere Reduzierung gemäß § 51 Abs. 3 S. 2 GKG auf 1000,00 Euro, wie vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung angeregt, kam nicht in Betracht. 21 4. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO liegen nicht vor. 22 Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine solche wäre dann gegeben, wenn die der Rechtssache zugrunde liegende Rechtsfrage auch künftig wiederholt auftreten wird und wenn über ihre Auslegung in der Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen geäußert worden sind und noch keine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt (Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 543 Rdn. 11). Dass aber in der streitgegenständlichen Frage der Werbung mit einem Pauschalpreis für die Prüfung von Steuerbescheiden durch Rechtsanwälte in der Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen geäußert worden sind, ist nicht ersichtlich. Dem Senat sind keine diesbezüglichen gerichtlichen Entscheidungen bekannt. 23 Es war auch keine klärungsbedürftige Rechtsfrage zu entscheiden, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Es handelt es hier um einen besonders gelagerten Einzelfall. 24 Das Zulassungskriterium der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung liegt ebenfalls nicht vor. Der Senat weicht nicht von der Entscheidung eines höher- oder gleichrangigen Gerichts ab.