TOO BIG - Maik Schlüter
Transcrição
TOO BIG - Maik Schlüter
plaza shows TOO BIG Thomas Moecker / Carsten Tabel Ein Projekt der 2 Herausgeber Commerzbank AG GM-C Corporate Responsibility 60261 Frankfurt am Main [email protected] Redaktion Hannes Glock (Kurator) Martina Möller (Lektorat) Koordination Annette Hoffmann Texte Maik Schlüter Carsten Tabel Titelbild Thomas Moecker „Balkon" Copyright Bildmotive Thomas Moecker Carsten Tabel Gestaltungskonzept MetaDesign AG Gestaltung Heike Andersen plaza shows TOO BIG Thomas Moecker /Carsten Tabel 19. Juni – 27. August 2013 Commerzbank-Hochhaus Kaiserplatz, 60311 Frankfurt am Main 4 plaza shows too big – thomas moecker / carsten tabel thomas moecker „monument # 1“, modellansicht (holz, acrylfarbe, wachs, 210 x 180 x 100 cm, 2013) 5 TOO BIG Einführung von Maik Schlüter Denkmäler und Monumente repräsentieren Geschichte, Erinnerung und Mythen einer spezifischen Kultur. Krieg, Sieg, Befreiung oder Gründungsmythen sind häufig ihre Themen. Säulen, Sockel, Tore, Obelisken, Ornamente, Reliefs, Inschriften, Kuben oder Quader stehen für die festgefügte Ästhetik einer bürgerlich-klassischen Architektur, die im Gedenken und Repräsentieren eine ständige Selbstvergewisserung und Bestätigung sucht. Thomas Moecker greift in seinen Arbeiten diese Formensprache auf und zeigt das Changieren zwischen Funktion und Fetisch. Gerade die Abstraktion, die die scheinbare Freiheit der Kunst als zweckfreie und wohlfeile Ästhetik darstellen soll, wird von ihm hinterfragt: Material und Bearbeitung, Status und Standort sind niemals zufällig oder absichtslos. Von den futuristischen Entwürfen eines Wladimir Tatlin über die anmaßende pseudoantike Bauweise der Nazizeit bis hin zu der gegenwärtigen Formenvielfalt der Kunst im öffentlichen Raum oder den Notwendigkeiten einer Gedenkkultur spielen Monumente und Denkmäler beständig eine Rolle im öffentlichen Diskurs. Thomas Moecker verweist auf die utopische Kraft eines unfertigen und unspezifischen Vokabulars: Seine Miniaturmonumente sind nichts und niemandem gewidmet. Gelten aber vielleicht jedem und allem. Carsten Tabel benutzt Materialien des Alltags: Fliesen, Matratzen, Rohre, Kohlen, Gips, Bänder, Sessel oder Stoffe. Und stellt ebenfalls die Frage nach den repräsentativen und funktionalen Qualitäten der Kunst. Viel zu oft wurde der Alltag zur Kunst erhoben und die realen Widersprüche und Schmerzen der Existenz auf diesem Wege für das Museum ästhetisiert. Meist als Vorwand für eine gültige Ignoranz gegenüber den Fakten der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Carsten 6 plaza shows too big – thomas moecker / carsten tabel Tabel entzieht sich den gängigen Kategorien von Kunst und Leben: In den Fugen seiner Kachelwände wird der Farbverlauf wie auf einem Mark-Rothko-Gemälde zelebriert. Die Kunst findet als ästhetische Fiktion statt, denn Kachelwände und Fugendichtungen sind das Material der Hobbybastler und der Erbauer von Einfamilienhäusern. Ästhetik, Revolution und Utopie sind damit nicht länger das Privileg einer Elite: In jedem Keller lässt sich ein formaler Umbruch planen. Carsten Tabel kachelt, malt, isoliert, verspachtelt, installiert und weist den Aktionismus, der in den Baumärkten der Republik propagiert wird, als Sackgasse der Ablenkung aus. Erst in der Zweckentfremdung bekommen diese Dinge einen Sinn: Sie werden nicht zu Kunst, sondern zu Leben. 7 carsten tabel „easy“ (installation, mixed media, 140 x 220 x 300 cm, 2013), foto: uwe walter video „comfortably numb“ (loop 8 min., 2013) 8 plaza shows too big – thomas moecker / carsten tabel thomas moecker „monument # 2“, modellansicht (holz, acrylfarbe, wachs, 280 x 157 x 130 cm, 2013) 9 Die Mittel zum Zweck Text zur Ausstellung von Maik Schlüter, 2013 Konkrete Taten und abstrakte Begriffe Was ist eine konkrete Bedrohung? Ein Geschehen, das im Maßstab 1 : 1 begriffen werden kann? Ein Vorgang, der sich logisch herleiten lässt? Eine vorhersehbare und damit kalkulierbare Gefahr? Die Welt ist ein unsicherer Ort. Der Katalog zur Kategorisierung möglicher Gefahren und deren Abwehr wird beständig fortgeschrieben. Immer wieder werden Gemeinschaften oder Gesellschaften, Gruppen und Individuen durch unterschiedliche Szenarien in ihrer Existenz bedroht. Je konkreter eine Gefahr benannt werden kann, desto schneller und gezielter werden Maßnahmen zur Prävention oder Verteidigung ergriffen. Voraussetzung für ein zielgerichtetes und effektives Handeln ist die eindeutige Identifizierung eines Gegners. Täter und Opfer werden häufig gleichermaßen exponiert. Im Sinne einer formal-bürokratischen Analyse und Bewertung einer Tat stehen sich die Protagonisten auf dem Feld einer abstrakt formulierten Rechtsgrundlage gegenüber. Oft divergieren Rechtsnormen und Gefühle, Paragraphen und Bedürfnisse, tatsächliches Geschehen und Aussagen. Ein unlösbares Problem, das immer dann auftritt, wenn sich individuelles Rechtsempfinden spiegeln und legitimieren muss in einem allgemeinen Interesse einer Gemeinschaft oder Gesellschaft. Und in übergeordneten Begriffen von Moral, Ethik und Recht. Reiz und Reaktion In Gefahrensituationen ist das Reaktionsschema einzelner Akteure instinktiv und folgt einer situativen Logik: Die Protagonisten verfallen auf Angriff oder Flucht oder stellen sich tot. Für die gesellschaftliche Dimension einer Gefahr gibt es dagegen eingeübte Abläufe, die Panik, Eskalation und weitere Schäden verhindern sollen. Die Bedrohung plaza shows too big – thomas moecker / carsten tabel wird benannt und entsprechende Maßnahmen werden ergriffen. Im Spannungsfeld von individueller Reaktion und organisierter Prävention und Restriktion lässt sich der Grad eines zivilgesellschaftlichen Status erkennen. Da die Bedürfnislagen der Akteure häufig nicht kongruent sind, weil scheinbar andere Interessen hinter den jeweiligen Handlungen stehen, die obendrein verdrängt, verschleiert oder verschwiegen werden, kommt es zu vielen Konflikten: Anlässe und Maßnahmen werden unterschiedlich interpretiert. Im Radius der eigenen Wahrnehmung erscheint vieles angemessen oder unausweichlich, was andere als Anmaßung oder Bedrohung erleben. Immer wieder werden daher vermeintlich renitente Mitglieder ermahnt, sich zu fügen, genauso wie die offiziellen Stellen als abgehoben, korrupt oder gleichgültig wahrgenommen werden. Reiz-Reaktion-Schemata werden politisiert, manipuliert und instrumentalisiert. Freiheit wird zu einem Faktor eines spezifischen Machtverhältnisses. Risiko und Haftung Je vielschichtiger die Gesellschaft, je ausdifferenzierter der individuelle Handlungsrahmen, desto komplexer und damit abstrakter gerät die Organisation. Denn die Vielzahl möglicher Verhaltensweisen und aktiver Individuen erzeugt auch eine Unübersichtlichkeit der Gesetze und Spielräume. Reglements und Verabredungen können jederzeit zum Spielball einer sich ändernden Interessenlage werden. Kulminationspunkt einer solchen Logik sind sich widersprechende Gesetze: Moralische Normen werden damit zum Nullsummenspiel. Radikale Reaktionen wie Ausgangssperren, Notstandsgesetze, Militärtribunale oder die Identifikation von Kombattanten, Eindringlingen und anderen als aussätzig definierten Personen zeigen, wie schnell ein neuer Handlungsrahmen definiert werden kann. Eben noch gefeierte Vertreter der öffentlichen Ordnung werden dann zu verdächtigen Subjekten und akzeptierte oder sogar honorierte Verhaltensweisen gelten nun als verwerflich. Die Abstraktion tatsächlicher Verhaltensweisen und notwendiger Regulierungen der öffentlichen Ordnung durch eine Übersetzung in Begriffe ist letztlich Mittel zum Zweck: die Wirklichkeit zu benennen, zu durchdringen oder zu beherrschen. Aber auch 11 die Fortentwicklung der Gesetze und der Werteskala ist ein entscheidender Faktor. Rudimentäre Gefahrenquellen, denen die Menschen unmittelbar und von Angesicht zu Angesicht ausgesetzt waren, sind längst ersetzt worden durch nicht sichtbare und nicht nachvollziehbare Bedrohungen. Extremvarianten dieser bedrohlichen Prozesse sind die Konsequenzen, die aus spezifischen Entscheidungen der Atompolitik, der Nahrungsmittelindustrie oder aus dem globalen Finanzmarkt erwachsen. Sie bilden neben anderen Bereichen die Grundlage des gesellschaftlichen Lebens, sind kaum individuell beeinflussbar und verteilen Risiko und Haftung auf alle Mitglieder der Gesellschaft. Raum und Schwerkraft Unbeherrschbare Prozesse gibt es auf allen Ebenen. Alles Verstehen ist relativ. Medizin, Astronomie, Mathematik, Rechtsprechung, Ästhetik, Soziologie oder Ökonomie: Kein Feld ist ausgenommen, wenn es darum geht, den Abgrund zwischen Angst und Erklärung, Rettung und Verfall, Licht und Dunkel, Sein und Nichts plausibel zu überbrücken. Letztlich sind alle Institutionen und Formate mit einer gültigen Erklärung überfordert. Das heißt nicht, dass irgendjemand heraustreten könnte aus dem Kreis, um für das eigene Handeln Verantwortung zu übernehmen. Relativität gibt es nur als abstrakte Größe. Konkret ist alles, was von Angesicht zu Angesicht verhandelt wird. Dazu gehören die Therapien der Medizin genauso wie die Spekulationen der Banker, die Kapriolen der höheren Mathematik oder die Manifeste der Kunst, die frivolen Auftritte der Lügner und die Kämpfe der Idealisten. Die gesellschaftlichen Abläufe gleichen einem Stoffwechselprozess, der alle Formen der materiellen Substanzen transformiert und nutzt, bis schließlich Ausscheidung und Energiegewinn in optimalem Verhältnis zueinander stehen. Selbst wenn die Phantasie, das freie Vokabular der individuellen Schöpfung und die Äußerungen der Kunst angeführt werden: Der Grund, auf dem gehandelt, gekämpft, geliebt, verworfen, zerstört und wieder aufgebaut wird, ist immer durch die Schwerkraft definiert. Der Raum ist klar umrissen. Sicherheit ist eine Verhandlungssache. Und wo die Abstraktion beginnt oder aufhört eine Frage der Selbstvergewisserung. Auch Uneindeutiges kann eindeutig sein. 12 plaza shows too big – thomas moecker / carsten tabel Abstraktion und Konkretion Was ist abstrakte Kunst? Ein Phänomen ohne Sinn und Zweck? Eine substanzlose und formale Attitüde? Etwas, das nicht lesbar ist oder sein soll? Kann Kritik ausschließlich im Spiegel der Tatsachen formuliert werden? Und ist eine Erzählung nur möglich, wenn Protagonisten die Bühne betreten? Die ästhetische Dichotomie der Gegenständlichkeit und der Abstraktion ist eine historische Position der Moderne. Denn konkrete gesellschaftliche Abläufe werden heute als abstrakt wahrgenommen. Unabhängig davon, ob es sich um Zellteilung, Derivate am Finanzmarkt, teleskopische Ausblicke ins All oder die Geschwindigkeit einer digitalen Automatisierung handelt. Schon die einfachste Erklärung alltäglichster Phänomene fällt schwer, gleichwohl deren Anwendung stets goutiert wird. Die Kunst schreitet hier ein, widerspricht im Sinne einer anderen Oberfläche, Materialität und Funktion. Verschiebt Größenverhältnisse und Relationen, Erzählstrukturen und Sinnzusammenhänge und bildet das ab, was für alle Prozesse gilt: Abstrakte Wirklichkeit kann es in einer konkreten Welt nicht geben. Über den Autor: Maik Schlüter ist freier Kurator und Autor für zeitgenössische Kunst. Nach dem Studium von Fotografie und Neuen Medien in Leipzig und Zürich war er unter anderem Kurator der kestnergesellschaft in Hannover und Direktor des Museums für Photographie in Braunschweig. Als freier Kurator hat er unter anderem Ausstellungen in Bregenz, Berlin, Hamburg, Stuttgart, Leipzig oder Potsdam kuratiert. Als Kunstkritiker arbeitet er regelmäßig für die Taz / Die Tageszeitung und das Art-Magazin Online, außerdem veröffentlichte er zahlreiche Werke. Weitere Informationen unter: www.maikschlueter.de 13 thomas moecker „panorama“ (acrylfarbe auf karton, 37 x 30 cm, 2013) 14 plaza shows too big – thomas moecker / carsten tabel thomas moecker „schatten“ (acrylfarbe auf karton, 47 x 37 cm, 2013) 15 thomas moecker „s # 3“, modellansicht (holz, acrylfarbe, wachs, 154 x 108 x 126 cm, 2013) 16 plaza shows too big – thomas moecker / carsten tabel carsten tabel, serie „family business“, ausschnitt, (mischtechnik auf papier, 14,8 x 21 cm, 2012 / 2013) 17 … And no one else wanted to play Essay von Carsten Tabel, 2013 Man bekommt wieder das Gefühl, der Sommer brüte etwas aus. Man baut an, gießt und vergießt Tränen über bitteren Salat, den Schneckenfraß, die Buddelfüchse, die Katzenscheiße im Garten. Die Wintersaison spart man sich, zu mühsam und undankbar. Ein Jahr der Undankbarkeit kann man nicht wegstecken, kein Appetit auf die muffigen Winterfrüchte, man will doch das ganze Jahr Ratatouille, Tomatensalat, Toskana. Im Sommer Gemüse aus Eigenanbau, im Winter vom Gemüsetürken. Der hat nämlich einen türkischen Gemüsegarten im Herzen, hat ganzjährig alles in Hülle und Fülle. Die Hülle und Fülle ist wichtig, denn nur in ihr kann man sinnlos verfaulen und weiterbrüten bis die Eier hart gekocht, mit blauem Rand um fahles Gelb. Meine Schuhe löchrig an den Spitzen, weil die Nägel zu hart und zu lang, richtige Altmännernägel schon, die sich aus Unruhe durch den Stoff an die frische Luft bohren. In den Sohlen klaffende Wunden. Im Regen auf dem Außenspann und immerzu heißen Kaffee in der Hand, damit man um Gottes Willen nicht krank wird. Lieber unterwegs 300 Kaffee bezahlen als ein neues Paar Schuhe. Damit man nichts aussuchen, nichts einlaufen muss. Nach der Pensionierung zog der Parkwächter in Begleitung seiner Kampfhundbestie auf eigene Faust los. Seine Stelle wurde nicht neu besetzt, sondern ganz und gar abgeschafft. Jahrzehntelang das Volk am Herumlungern gehindert, stürmte es jetzt ungehindert auf die Rasenflächen. Dem Volk die Verantwortung übertragen und niemand der sich ihm entgegenstellte, ersetzte er die städtische Aufsicht plaza shows too big – thomas moecker / carsten tabel durch privaten Wahnsinn. Habe ihn mal gefragt, ob es nicht ein viel größeres Unrecht sei, den Hunden Schwänze und Ohren mit Scheren abzuschneiden, ob das nicht viel mehr noch verboten sei als auf der Wiese zu sitzen. Er bebte vor Wut und der blöde Hund bebte mit und knurrte mich an. Die Alten für die Gartenarbeit zu faul, hätten genug Zeit, könnten die ganze Welt mit Gemüse versorgen, aber das passt nicht zur Vorstellung vom erfüllten Alter, vom Aufgehen im Aufgeben. Das Ehrenamt vielen zu sozial, man will doch raus aus der Gesellschaft, sich in aller Ruhe vorbereiten auf die Ewigkeit unter der Erde. Die Erde ist der Ort der Ruhe, deswegen auch das Gärtnern, die Vorstellung, dass dort etwas wächst und gedeiht, unerträglich. Man trägt Brauntöne, färbt sich dem Ende entgegen. Mit stolzgeschwellter Brust bin ich aus der Ängstlichkeit herausgetreten. Das Mutantrinken gelernt, mich nicht drum geschert, wie schwer es ist, das wieder zu verlernen. Plötzlich einer von vielen. Der Sehnsuchtsort Stadt nimmt den Wind aus den aufgeblähten Backen. Da steht man mit dem Rücken zur Gesellschaft, mit dem Rücken zur Menschheit und muss sich vorwerfen lassen, dass man nur noch an sich denkt, dabei hat man sich das doch gerade erst verdient. Frisch entstrukturiert, soll man sich wieder einreihen. Die Grenzen gibt es noch, wird dir gesagt, pass bloß auf, dass du im Freiheitsrausch auf keine trittst, darauf ausrutschst, dir den Kopf aufschlägst. Im Krankenhaus wird man dir den Kopf verbinden, aber ob die Kasse das bezahlt? Sag dem Arzt, es sei ein häuslicher Unfall gewesen, das Blut der Solidargemeinschaft fließe da aus deinem Kopf. Behalt's für dich, was da passierte, sonst kommen sie und reißen die Binde ab. Du bist mit deinem linken Tölpelfuß auf unsichtbare Grenzen gelatscht, hast Gemeingut beschädigt, gefährdet und beleidigt. Sag, dass es dir leid tut, ganz egal, ob es dir leid tut. Man redet von der Volkskrankheit Depression, die Zahl psychischer Erkrankungen nähme drastisch zu, man solle eine Nummer anrufen, seinen Hausarzt informieren. Nicht so gerne redet man von den Volkskrankheiten Dummheit und Schwachsinn. Die sind nicht existent, 19 carsten tabel, serie „family business“, ausschnitt, (mischtechnik auf papier, 14,8 x 21 cm, 2012 / 2013) 20 carsten tabel, serie „family business“, ausschnitt, (mischtechnik auf papier, 14,8 x 21 cm, 2012 / 2013) 21 werden nicht behandelt, die wuchern zahllos und unkontrolliert. Wurden eingepflanzt, werden fettgefüttert. Wer satt ist und die Schwachsinnsnahrung verweigert, kriegt eine anständige Depression und eine Nummer, die er anrufen soll. Wer gesund ist, hat Glück, verhält sich unsolidarisch, macht sich unbeliebt. Es regnet. Ich gehe jetzt löchrigen Schuhs nach Hause, ohne Kaffee, ohne Angst. Ich lasse mir die Butter absichtlich vom Brot nehmen, spüre wie mein Cholesterinspiegel sinkt. Ich denke manchmal positiv. Im Negativ in Frankfurt-Sachsenhausen war ich nur einmal mit 16, kurz vor der Schließung. SNFU spielten das lauteste Konzert meines Lebens. Später, zu Hause in der Küche, habe ich dann vielleicht mein letztes kaltes Kotelett gekaut, schwankend, meine entsetzte Mutter im Nachthemd, Ohrenpfeifen und Karussellfahrt im Kinderzimmer, hatte mir zu viel Mut angetrunken. Eng und kalt wird mir, beim Gedanken daran, an die Fleischfetzen im Maul, eng und kalt, wenn ich an SNFU denke, die es damals schon 15 Jahre und inzwischen 34 Jahre gibt, ganz eng wird mir, wenn ich daran denke, dass die immer noch mit ihren Gitarren in die Luft und von der Bühne springen. Wie man lebt, ist wichtig. Wofür, vollkommen uninteressant. Für eine Sache zu leben ist eng gekoppelt an die Vorstellung von Frustrationsmomenten auf dem Totenbett, die einem die ewige Ruhe versauern. Also lebt man für sich selbst und die Seinigen, strebt nach Sicherheit, die einem Zufriedenheit beim Abtritt ermöglicht. Das Problem, sich in dem einzurichten, was möglich ist, liegt darin, dass es nur einen Fingerbreit davon entfernt ist, nur das zu tun, was erlaubt ist. Wir sind mit dem Motorrad einfach drauflos, immer der Nase nach. Das Motorradfahren ein gemeinsames Hobby, einfach drauflos, bei Sonnenschein, ohne vorher auf die Karte zu schauen oder gar eine Pension zu buchen. Einmal bei Regen in der Scheune eines Bauern, der dann auch noch Schinkenbrote spendiert hat. Eine Insel der Freiheit diese Motorradurlaube, ein ganzes Jahr lang muss man davon zehren. Zwischen den Motorradurlauben lesen wir 22 plaza shows too big – thomas moecker / carsten tabel Erfahrungsberichte und Reiseführer, nehmen uns vor, die beschriebenen Erfahrungen und Gefühle beim nächsten Mal nachzuahmen, nachzuspüren. Ratgeber und Prospekte, sich auf dem Laufenden halten, um das Abenteuer in fortschreitendem Alter zu minimieren. Das Feststehende ist purer Luxus, ohne Luxus kein Urlaub, der Stillstand, die maximale Erschlaffung das Ziel. Wir trafen uns in der Kneipe und erzählten von früher und ich wünschte mir, einer würde kommen, uns eine scheuern, die Nostalgiepolizei würde einschreiten. Die Erzählung der gemeinsamen Vergangenheit, in der immer nur das Gemeinsame gesucht, die Generierung von Erfahrung als etwas Teilbarem praktiziert wird, sollte verboten werden. Wir sollten beweisen, dass wir einander noch brauchen, dass wir irgendwas brauchen, statt uns an etwas zu erinnern, was es nie gab. Weißt du noch, was SNFU bedeutet? Society's no fuckin' use. Right. 23 Über die Künstler elli ferriol thomas moecker Elli Ferriol lebt in Wien und Frankfurt. Sie studierte bildende Kunst an der Städelschule *1967 in Magdeburg, lebt und arbeitetund als Musikbilwissenschaft an der Johann Wolfgang Goethedender Künstler in Leipzig. Er studierte bildende Universität Frankfurt. für Derzeit Sie Kunst an derinHochschule Grafikpromoviert und Buchkunst bei Prof. Dr. Peter Ackermann und Prof. Diedrich in Leipzig und war Meisterschüler bei Professor Diederichsen. Eberhard Bosslet an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. 2006 / 2007 erhielt er das In ihrer künstlerischen Praxis sie unter dynamo.eintracht Stipendium derarbeitet Kulturstiftung Einbezug theoretischer Aspekte in unterschiedDresden der Dresdner Bank. lichen Medien wie Texten, Druckerzeugnissen, Grafiken, Musik oder Performance. www.thomasmoecker.de barak reiser carsten tabel Barak Reiser, in Haifa (Israel) geboren, lebt und arbeitet Frankfurt am Main. Erund studierte bildende *1978 in in Friedberg / Hessen, lebt arbeitet als Kunst an der Bezalel in Jerusalem und bildender Künstler undAkademie Autor in Leipzig. Er studiwar Fotografie an der Städelschule Meisterschüler beiund Tobias erte an der Hochschule für Grafik Rehberger.in2004 erhielt er machte den Abschlusspreis Buchkunst Leipzig. 2008 er dort seinendes Vereins Freunde von Portikus-Städelschule e.v. Meisterschülerabschluss bei Professor Timm Rautert. undselben das dynamo.eintracht der KulturIm Jahr erhielt er einStipendium sechsmonatiges Prostiftung Dresden Dresdner Bank. Das Jahr jektstipendium desder DAAD für Australien. 2012 verbrachte Carsten Tabel mit einem AtelierstiSeine Werke zeigte er bereits auf zahlreichen pendium der Hessischen Kulturstiftung in London. Ausstellungen z. B. in Arhus, Belgrad, Ljubljana, www.carstentabel.de Dubrovnik, Tel Aviv und Wien. 24