VuR 2011, 337 - Schulz | Sozien

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Bernd Lorenz, Nutzungsausfallentschädigung für Computer
tung des Verbrauchers eine einheitliche Widerrufsfrist von 14
Tagen vor. Diese Widerrufsfrist läuft nach dem vollharmonisierenden Art. 10 Abs. 2 Verbraucherrechte-Richtlinie bei nachträglicher Belehrung ab dem Tag, an dem der Verbraucher die
Informationen erhält, sofern dies binnen 12 Monaten nach
dem in ihrem Art. 9 Abs. 2 genannten Tag erfolgt.
Damit geben sowohl Art. 10 Abs. 2 Verbraucherrechte-Richtlinie als auch Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Satz 3, 2. Spiegelstrich FDLFernabsatz-Richtlinie bei nachträglicher Belehrung des Verbrauchers – vollharmonisierend – einen verzögerten Beginn
des Laufs der 14-tägigen Widerrufsfrist vor. Konsequenterweise müsste sich deshalb der deutsche Gesetzgeber bei der
Umsetzung des Art. 10 Abs. 2 Verbraucherrechte-Richtlinie
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AUFSÄTZE
ebenso wie vormals bei Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Satz 3, 2. Spiegelstrich FDL-Fernabsatz-Richtlinie wiederum von der Absicht
eines hohen Verbraucherschutzes leiten lassen.
Folgerichtig wäre erneut eine Verdoppelung der Widerrufsfrist auf einen Monat im deutschen Recht zu normieren,
womit auch Art. 10 Abs. 2 Verbraucherrechte-Richtlinie europarechtswidrig umgesetzt würde.
Möchte der deutsche Gesetzgeber wider Erwarten ebenso wie
bei der Umsetzung der FDL-Fernabsatz-Richtlinie bei der Verbraucherrechte-Richtlinie für die von ihr geregelten Verträge
nicht auf seine vermeintlichen Mitgestaltungsmöglichkeiten
verzichten, bleibt der weitere Fortgang im Verbraucherschutzrecht spannend.
Nutzungsausfallentschädigung für Computer
Von RA Dr. Bernd Lorenz*
Der folgende Beitrag geht der Frage nach, ob und wann Verbraucher Anspruch auf eine Nutzungsausfallentschädigung
haben, wenn sie ihren Computer oder andere Geräte der Informationstechnologie nicht benutzen können. Weiterhin
wird die Frage erörtert, wie sich die Nutzungsausfallentschädigung berechnet.
A. Einleitung
Während Nutzungsausfallentschädigungen für Kraftfahrzeuge
gang und gäbe sind, ist die Frage bezüglich Computern bislang
kaum in der Rechtsprechung und Literatur behandelt worden.
Das AG Ulm hat mit Urteil vom 17.07.1996 einen Anspruch
auf eine Nutzungsausfallentschädigung für ein Notebook verneint, weil es sich bei Notebooks um Luxusgüter handeln
würde.1 Die Entscheidung ist inzwischen überholt. Computer
sind heutzutage in Privathaushalten weit verbreitet. Sie sind zu
einem unverzichtbaren Alltagsmittel geworden. Dementsprechend haben das LG Stuttgart mit Urteil vom 15.05.20092 und
das OLG München mit Urteil vom 23.03.20103 eine Nutzungsausfallentschädigung für Computer anerkannt.
B. Bestehen eines Schadensersatz- oder Entschädigungsanspruchs
Eine Nutzungsausfallentschädigung kommt immer dann in
Betracht, wenn jemand zum Schadensersatz oder zur Entschädigung für die fehlende Nutzbarkeit des Computers verpflichtet ist. Dementsprechend setzt eine Nutzungsausfallentschädigung das Bestehen eines Schadensersatz- oder Entschädigungsanspruchs voraus.
I.
Verzug
Ein Schadensersatzanspruch kann sich bei der verspäteten
Lieferung eines neu gekauften Computers aus §§ 280 Abs. 1,
2, 286 Abs. 1, 2 BGB ergeben. Wenn sich der Verkäufer mit
der Lieferung des Computers in Verzug befindet, behält der
Käufer seinen Leistungsanspruch und kann daneben den
Ersatz des Verzugsschadens verlangen. Bei einem verbindlich
vereinbarten Liefertermin ist die Leistungszeit nach dem
Kalender bestimmt, sodass es einer Mahnung nach § 286
Abs. 2 Nr. 1 BGB für den Verzugseintritt nicht bedarf. Der Verkäufer kommt automatisch ohne Mahnung mit Ablauf des
Liefertermins in Verzug. Wenn kein verbindlicher Liefertermin vereinbart ist, muss der Käufer den Verkäufer durch eine
Mahnung gemäß § 286 Abs. 1 S. 1 BGB in Verzug setzen. Der
Kunde kann ab Verzugseintritt eine Nutzungsausfallentschädigung verlangen. Vor Verzugseintritt besteht kein Schadensersatzanspruch und damit auch kein Anspruch auf eine Nutzungsausfallentschädigung.
II. Gewährleistung
Wenn der Computer mangelbehaftet ist, kann sich ein Schadensersatzanspruch für die fehlende Nutzbarkeit des Computers aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 BGB ergeben. Für den Schadensersatzanspruch kommt es nach der zutreffenden h.M.
nicht auf die Verzugsvoraussetzungen an.4 Dementsprechend
kann sich eine Nutzungsausfallentschädigung bereits von dem
Zeitpunkt des Auftretens des Mangels ergeben, ohne dass es auf
eine Mahnung ankommt. Eine Nutzungsausfallentschädigung
kann selbst dann verlangt werden, wenn der Käufer aufgrund
eines Mangels vom Vertrag zurücktritt.5 Schadensersatz kann
gemäß § 325 BGB auch im Falle des Rücktritts verlangt werden.
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Der Autor ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für IT-Recht und Fachanwalt für
Urheber- und Medienrecht bei STS Schulz Tegtmeyer Sozien in Essen.
AG Ulm, Urt. v. 17.07.1996, Az.: 3 C 1418/96, NJW-RR 1997, 556.
LG Stuttgart, Urt. v. 15.05.2009, Az.: 15 O 306/08, juris.
OLG München, Urt. v. 23.03.2010, Az.: 1 W 2689/09, CR 2010, 450.
Begründung SchuldrechtsmodernisierungsG BT-Drs. 14/6040, 225, URL:
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/14/060/1406040.pdf; BGH, Urt. v.
19.06.2009, Az.: V ZR 93/08, NJW 2009, 2674; Palandt-Grüneberg, BGB, 70.
Aufl. 2011, § 280 Rn. 18, 20; Säcker/Rixecker-Ernst, Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl. 2007, § 280 Rn. 55 ff.
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III. Unerlaubter Handlung
Ein Schadensersatzanspruch und damit eine Nutzungsausfallentschädigung kann sich aus § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 823
Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 303 ff. StGB ergeben. Ein durch eine
unerlaubte Handlung verursachter Nutzungsausfall liegt bei
einer Beschädigung der Hardware, bei Hacker-Angriffen oder
bei Schäden durch Viren, Würmer und Trojaner vor.
IV. Strafverfolgungsmaßnahmen
Bei einer Sicherstellung bzw. Beschlagnahme eines Computers nach § 94 Abs. 1, 2 StPO im Rahmen von Strafverfolgungsmaßnahmen kann sich ein Entschädigungsanspruch
aus § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 StrEG ergeben. Ersetzt werden
nach § 7 Abs. 1 StrEG Vermögensschäden und damit auch der
Nutzungsausfallschaden eines Computers.6
Umstritten ist die Frage, ob der Betroffene Eigentümer des
Computers sein muss. Das LG Flensburg hat einen Anspruch
auf eine Nutzungsausfallentschädigung verneint, weil der
Betroffene nicht Eigentümer des Computers war.7 Demgegenüber ist es nach dem LG Stuttgart ausreichend, wenn der
Betroffene schuldrechtlich zur Nutzung des Computers
berechtigt ist.8 Dem LG Stuttgart ist zu folgen. Es geht bei der
Nutzungsausfallentschädigung nicht um eine Beeinträchtigung des Eigentums, sondern um die Vorenthaltung der
Gebrauchsmöglichkeit. Auch der Entzug einer vertraglich
eingeräumten Gebrauchsmöglichkeit kann einen Vermögensschaden begründen.9
C. Voraussetzungen einer Nutzungsausfallentschädigung
Die Art und der Umfang des Schadensersatzes richten sich
nach §§ 249 ff. BGB. Unter den folgenden Voraussetzungen
kann von dem Schadensersatz auch eine Nutzungsausfallentschädigung umfasst sein:
I.
Eigenwirtschaftliche Nutzung
Nach der Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen des
BGH vom 09.07.1986 kann eine Nutzungsausfallentschädigung bei einer eigenwirtschaftlichen Nutzung von Sachen im
Wege der Rechtsfortbildung gewährt werden, wenn es sich
bei dem Gegenstand um ein Wirtschaftsgut handelt, auf
deren ständige Verfügbarkeit der Betroffene für die eigenwirtschaftliche Lebensführung angewiesen ist.10 Dies hat das AG
Ulm mit Urteil vom 17.07.1996 im Hinblick auf ein Notebook verneint, weil es sich bei Notebooks um Luxusgüter
handeln würde.11 Diese Entscheidung ist inzwischen überholt. Computer und Notebooks haben inzwischen für die
eigenwirtschaftliche Lebensführung von Privatpersonen eine
zentrale Bedeutung, wovon auch eine neue im Vordringen
befindliche Meinung ausgeht.12
Dabei ist zunächst der inzwischen weite Verbreitungsgrad
von Computern und Notebooks in Privathaushalten zu
berücksichtigen. Nach dem Statistischen Bundesamt besaßen
im Jahre 2009 insgesamt 79 % der Haushalte einen Personal
Computer oder ein Notebook.13 Überwiegend werden stationäre Personal Computer verwandt, über die 63 % der Haushalte im Jahr 2009 verfügten. Aber auch Notebooks sind
inzwischen in Haushalten weit verbreitet. 40 % der Haushalte besaßen im Jahr 2009 ein Notebook. Aufgrund des weiten
Verbreitungsgrades sind stationäre Personal Computer und
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Notebooks längst keine Luxusgüter mehr in Privathaushalten. Sie gehören inzwischen wie andere Haushaltsgeräte wie
Fernseher, Waschmaschine oder Kühlschrank zum allgemeinen Lebensstandard.
Ferner ist die Bedeutung der Informationstechnologie für die
private Lebensführung zu beachten. Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 27.02.2008 festgestellt, dass informationstechnische Systeme allgegenwärtig und ihre Nutzung für die
Lebensführung vieler Bürger von zentraler Bedeutung
seien.14 Computer und Internet dienen als wichtiges Kommunikationsmittel in Form von E-Mails, Nachrichtendiensten und sozialen Netzwerken. Das Internet spielt eine wichtige Rolle für die freie Meinungsäußerung in Foren, Chats
und Blogs. Computer und Internet dienen weiterhin zur Erledigung von alltäglichen Aufgaben wie z.B. der Anfertigung
der Steuererklärung, dem Online-Banking und dem OnlineShopping. Aus der Bedeutung der Nutzung informationstechnischer Systeme für die Persönlichkeitsentfaltung folgt
nach dem BVerfG ein grundrechtlich erhebliches Schutzbedürfnis.15 Die Nutzung eines Computers und des Internets
zählen folglich zur grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsentfaltung nach Art. 2 Abs. 1 GG.
Eine Nutzungsausfallentschädigung kann sich nicht nur ergeben, wenn der Computer oder das Notebook nicht mehr
benutzt werden können, sondern auch wenn wichtiges Zubehör nicht benutzbar ist. Von zentraler Bedeutung für die
eigenwirtschaftliche Lebensführung sind auch Zusatzgeräte
wie Drucker, Scanner oder Router.
Eine andere Frage ist, ob auch Netbooks, Tablet-PCs, Smartphones oder Handys von zentraler Bedeutung für die eigenwirtschaftliche Lebensführung sind. Man kann davon ausgehen, dass inzwischen fast alle Privatpersonen über ein Handy
verfügen. Bereits im Jahre 2006 verfügten gut 81 % der privaten Haushalte über ein Handy.16 Mobile Kommunikation
hat nicht nur im Geschäftsleben eine wichtige Bedeutung,
sondern ist auch für Privatpersonen von zentraler Bedeutung.
Dabei kann jede Person selbst entscheiden, wie sie mobil
kommuniziert, sei es telefonisch, per SMS, per E-Mail oder
per Chat, und welches Gerät sie dafür nutzt. Vor diesem
Hintergrund sind auch Netbooks, Tablet-PCs, Smartphones
oder Handys von zentraler Bedeutung für die eigenwirtschaftliche Lebensführung, sodass auch für die fehlende
Nutzbarkeit dieser Geräte eine Nutzungsausfallentschädigung in Betracht kommt.
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BGH, Urt. v. 14.04.2010, Az.: VIII ZR 145/09, NJW 2010, 2426; BGH, Urt.
v. 28.11.2007, Az.: VIII ZR 16/07, NJW 2008, 911; Gsell, NJW 2008, 912,
913; Palandt-Grüneberg, a.a.O. (s. o. Fn. 4), § 325 Rn. 2.
OLG München, Urt. v. 23.03.2010, Az.: 1 W 2689/09, CR 2010, 450.
LG Flensburg, Urt. v. 15.06.2005, Az.: 2 O 341/04, juris.
LG Stuttgart, Urt. v. 15.05.2009, Az.: 15 O 306/08, juris.
BGH, Urt. v. 16.09.1987, Az.: IVb ZR 27/86, NJW 1988, 251.
BGH, Beschl. v. 09.07.1986, Az.: GSZ 1/86, NJW 1987, 50.
AG Ulm, Urt. v. 17.07.1996, Az.: 3 C 1418/96, NJW-RR 1997, 556.
OLG München, Urt. v. 23.03.2010, Az.: 1 W 2689/09, CR 2010, 450; LG
Stuttgart, Urt. v. 15.05.2009, Az.: 15 O 306/08, juris; Engels, ITRB 2010,
206; Höhne, jurisPR-ITR 19/2010 Anm. 4; Palandt-Grüneberg, a.a.O. (s. o.
Fn. 4), § 249 Rn. 49; Schneider, Handbuch des EDV-Rechts, 4. Aufl. 2009,
Rn. 703.
Pressemitteilung Nr. 245 des Statistischen Bundesamtes vom 13.07.2010,
abrufbar unter http://www.destatis.de.
BVerfG, Urt. v. 27.02.2008, Az.: 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07, JurPC WebDok. 42/2008 Abs. 78, URL: http://www.jurpc.de/rechtspr/20080042.htm.
BVerfG, Urt. v. 27.02.2008, Az.: 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07, JurPC
Web.Dok. 42/2008 Abs. 88, URL: http://www.jurpc.de/rechtspr/20080042.
htm.
Pressemitteilung Nr. 19 des Statistischen Bundesamtes vom 15.5.2007,
abrufbar unter http://www.destatis.de.
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II. Verlust der Gebrauchsmöglichkeit
Voraussetzung für eine Nutzungsausfallentschädigung ist ein
Verlust der Gebrauchsmöglichkeit.17 Eine Nutzungsausfallentschädigung kommt nur für den Zeitraum in Betracht, in
dem der Verbraucher den Computer nicht benutzen kann.
Bei einer Nachbesserung wegen eines Mangels des Computers
kann sich eine Nutzungsausfallentschädigung bereits von
dem Zeitpunkt des Auftretens des Mangels ergeben, wenn der
Computer aufgrund des Mangels nicht mehr oder nur noch
stark eingeschränkt benutzbar ist. Andernfalls fällt die Nutzungsmöglichkeit erst an dem Tag weg, an dem der Computer zur Reparatur abgegeben wird. Der Anspruch auf eine Nutzungsausfallentschädigung besteht bis zur Rückgabe des reparierten Computers. Im Falle des Rücktritts besteht der
Anspruch bis zur Ersatzbeschaffung.18
Die Infektion mit einem Schadprogramm führt regelmäßig
dazu, dass der Computer aus Sicherheitsgründen nicht mehr
benutzt werden sollte, auch wenn ein Weiterarbeiten möglich wäre. Hier kommt eine Nutzungsausfallentschädigung
vom Zeitpunkt der Infektion bis zur Entfernung des Schadprogramms in Betracht. Eine Nutzungsausfallentschädigung
wird man allerdings nur annehmen können, wenn der Computer mehrere Tage ausfällt. Viele Schadprogramme lassen
sich durch ein aktuelles Anti-Viren-Programm in kurzer Zeit
beseitigen. In einem solchen Fall liegt eine nur unerhebliche
vorübergehende Beeinträchtigung der Gebrauchsmöglichkeit
vor. Eine bloße vorübergehende Beeinträchtigung, die zu
einem lediglich kurzfristigen Nutzungsausfall führt, genügt
nicht.19 Bei bloßen vorübergehenden Beeinträchtigungen
wird typischerweise kein Ersatzgerät beschafft.
Bei einer Sicherstellung bzw. Beschlagnahme des Computers
fällt die Nutzungsmöglichkeit von dem Tag der Sicherstellung bzw. Beschlagnahme bis zur Rückgabe des Computers
weg. Wenn der Betroffene seinen Computer allerdings nicht
unverzüglich abholt, obwohl die Sicherstellung bzw.
Beschlagnahme aufgehoben wurde, besteht für diesen Zeitraum kein Anspruch auf eine Nutzungsausfallentschädigung.
III. Fühlbare Nutzungsbeeinträchtigung
Eine Nutzungsausfallentschädigung kommt nur in Betracht,
wenn der Nutzungsausfall mit einem fühlbaren wirtschaftlichen Nachteil verbunden ist.20 An einem solchen fühlbaren
wirtschaftlichen Nachteil fehlt es, wenn dem Verbraucher ein
gleichwertiges Ersatzgerät zur Verfügung steht.
Kein Anspruch auf eine Nutzungsausfallentschädigung
besteht, wenn der Verbraucher ein Zweitgerät besitzt. Unproblematisch ist das der Fall, wenn er neben dem Computer
noch ein Notebook (auch als Laptop bezeichnet) besitzt.
Computer und Notebooks unterscheiden sich von ihrem
Funktionsumfang nicht, sodass ein Notebook ein vollwertiges Ersatzgerät darstellt. Problematisch ist die Frage, inwieweit ein Netbook, ein Tablet-PC oder ein Smartphone ein
vollwertiges Ersatzgerät für einen Computer darstellen. Hier
kommt es auf die Frage an, inwieweit die Geräte von ihrer
Leistungsfähigkeit und von ihrem Funktionsumfang geeignet
sind, einen herkömmlichen Computer zu ersetzen. Zwar
ermöglichen alle diese Geräte auch einen Zugang zum Internet. Im Hinblick auf die kleinen Displays und die eingeschränkte Nutzbarkeit von Programmen sind diese Geräte
aber noch nicht mit einem herkömmlichen Computer vergleichbar. Der Besitz eines Netbooks, Tablet-PCs oder eines
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AUFSÄTZE
Smartphones schließt damit eine Nutzungsausfallentschädigung nicht aus. Dies kann sich im Laufe der nächsten Jahre
ändern, wenn die Geräte eine höhere Leistungsfähigkeit und
einen zunehmenden Funktionsumfang haben.
Ein Ersatzgerät steht auch dann zur Verfügung, wenn der
Händler während der Dauer der Reparatur ein kostenloses
Ersatzgerät stellt. Der Händler kann eine Nutzungsausfallentschädigung folglich abwenden, indem er ein adäquates
Ersatzgerät zur Verfügung stellt.
Eine andere Frage ist, ob sich der Verbraucher darauf verweisen
lassen muss, dass ihm ein Ersatzgerät an seinem Arbeitsplatz zur
Verfügung steht. Im Hinblick darauf, dass die private Nutzung
eines Computers am Arbeitsplatz vielfach nicht erlaubt ist, stellt
ein Computer am Arbeitsplatz regelmäßig kein Ersatzgerät dar.
Selbst wenn der Computer während der Arbeitspausen privat
genutzt werden darf, steht dieser dem Arbeitnehmer nur für
einen kurzen Zeitraum zur Verfügung. Nach einer Umfrage der
BITKOM aus dem Jahre 2010 verbringt jeder Deutsche über 14
Jahren durchschnittlich eine Stunde und 40 Minuten am Tag
im Internet.21 Bei den unter Dreißigjährigen sind es sogar fast
drei Stunden und 20 Minuten am Tag. Im Hinblick auf diesen
erheblichen Nutzungsumfang genügt es nicht, wenn der
Arbeitnehmer ein paar Minuten in der Arbeitspause privat im
Internet surfen darf. Er ist vielmehr auf einen Computer in seiner Wohnung angewiesen. Wenn dem Verbraucher in der Wohnung kein Ersatzgerät zur Verfügung steht, hat er grundsätzlich
Anspruch auf eine Nutzungsausfallentschädigung. Ein Ersatzgerät steht dem Arbeitnehmer allerdings dann zur Verfügung,
wenn er das Notebook des Arbeitgebers mit nach Hause nehmen und für private Zwecke nutzen darf.
Eine weitere Frage ist, ob sich der Verbraucher darauf verweisen lassen muss, dass andere Familienmitglieder über ein
Ersatzgerät verfügen. Hier ist entscheidend, dass zwei Personen nicht ein Gerät gleichzeitig nutzen können. Im Hinblick
auf den festgestellten Nutzungsumfang des Internets stellt es
eine erhebliche Einschränkung dar, wenn sich mehrere Personen ein Gerät teilen müssen. Aus diesem Grunde schließt
ein weiteres Gerät eines anderen Familienmitglieds eine Nutzungsausfallenschädigung nicht aus.
Funktioniert ein einzelnes Programm wie die Textverarbeitung nicht, kommt es darauf an, ob der Verbraucher sich
nicht einen gleichwertigen Ersatz aus dem Internet beschaffen kann. Das Internet bietet eine Fülle von kostenlosen legalen Programmen an. Frei verfügbare Open Source Software
deckt praktisch alle privaten Bedürfnisse ab. Open Office22 ist
ein Office-Paket, das vom Leistungs- und Funktionsumfang
gleichwertig zu kommerziellen Office-Paketen ist und andere
Formate unterstützt. Vor dem Hintergrund der freien Verfügbarkeit von Ersatzprogrammen wird eine Nutzungsausfallentschädigung für Software vielfach ausscheiden.
D. Berechnung der Nutzungsausfallentschädigung
Für die Berechnung der Nutzungsausfallentschädigung kann
die übliche Miete für ein vergleichbares Ersatzgerät herange17 Palandt-Grüneberg, a.a.O. (s. o. Fn. 4), § 249 Rn. 51, 41.
18 Schneider, a.a.O. (s. o. Fn. 12), Rn. 703.
19 MüKo-Oetker, a.a.O. (s. o. Fn. 4), § 249 Rn. 73; Palandt-Grüneberg, a.a.O. (s.
o. Fn. 4), § 249 Rn. 51.
20 BGH, Urt. v. 04.12.2007, Az.: VI ZR 241/06, NJW 2008, 913.
21 Presseinformation der BITKOM vom 13.04.2010, URL: http://www.bitkom.org/de/presse/66442_63267.aspx.
22 URL: http://de.openoffice.org.
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RECHTSPRECHUNG
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zogen werden. Die Höhe der Nutzungsausfallentschädigung
kann sich an dem Mietpreis für ein vergleichbares Gerät
orientieren, wobei allerdings der Gewinn des Vermieters
abzuziehen ist.23 Hier wird vertreten, dass der Schaden regelmäßig auf 40 % der üblichen Miete nach § 287 Abs. 1 S. 1
ZPO geschätzt werden kann.24
Die Höhe der Miete für ein vergleichbares Ersatzgerät muss in
jedem Einzelfall ermittelt werden. Für die Ermittlung der
Miete kann auf die zahlreichen Angebote im Internet zurückgegriffen werden. Es gibt inzwischen zahlreiche Firmen, die
sich auf die Vermietung von Computern spezialisiert
haben.25 Auch gibt es Mietportale, in der Vermieter Computer anbieten.26 Abzustellen ist dabei nicht auf das preiswerteste Angebot, sondern auf die übliche Miete für ein vergleichbares Ersatzgerät. Aus verschiedenen Angeboten ist
dazu die Durchschnittsmiete für ein vergleichbares Gerät zu
ermitteln.
E. Fazit
Die Zeiten haben sich gewandelt. Computer sind zu einem
unverzichtbaren Alltagsmittel geworden. Dementsprechend
können Verbraucher für die fehlende Nutzbarkeit ihres Computers grundsätzlich eine angemessene Nutzungsausfallentschädigung verlangen. Leer geht allerdings derjenige aus, der
ein gleichwertiges Zweitgerät besitzt.
23 MüKo-Oetker, a.a.O. (s. o. Fn. 4), § 249 Rn. 75; Palandt-Grüneberg, a.a.O. (s.
o. Fn. 4), § 249 Rn. 52.
24 OLG München, Beschl. v. 23.03.2010, Az.: 1 W 2689/09, CR 2010, 450;
Palandt-Grüneberg, a.a.O. (s. o. Fn. 4), § 249 Rn. 52.
25 Z. B. http://www.caz.de, http://www.mietnotebook.de, http://www.computermiete.de, http://www.zirgon.de, http://www.c-rent.de.
26 Z. B. http://www.erento.com, http://www.miet24.de.
RECHTSPRECHUNG
I T- R E C H T
Pflichtangaben nach dem TKG in einer
AdWords-Anzeige
Eine Verletzung der Preisangabepflicht nach § 66 a TKG ist ein
abmahnfähiger Wettbewerbsverstoß.
(Leitsatz des Bearbeiters)
LG Frankfurt a.M., Urt. v. 04.03.2011, Az.: 3-12 O 147/10
bearbeitet von Dr. Stephan Ott, Bayreuth
Sachverhalt (zusammengefasst):
Die Parteien streiten u.a. um fehlende Pflichtangaben in einer
Google AdWords-Anzeige. In dieser wurde für eine telefonische
Rechtsberatung geworben und zwar unter Angabe einer Telefonnummer und auch eines Preises. Die Nennung eines abweichenden Mobilfunkpreises sei aufgrund der Platzbeschränkungen in
der Anzeige nicht möglich gewesen, so die Beklagte. Der Kläger
sieht hierin jedoch einen Verstoß gegen § 66 a TKG.
Gründe (zusammengefasst):
Das LG Frankfurt a.M. hat den Beklagten zur Zahlung von
Abmahnkosten verurteilt und einen Verstoß gegen das TKG
angenommen (§ 12 Abs. 1 S. 2 UWG i.V.m. §§ 3, 4 Nr. 11, 5,
8 Abs. 1 UWG, § 66 a TKG).
Bei § 66 a TKG handelt es sich um eine Marktverhaltensregel
i. S. d. § 4 Nr. 11 UWG. Sie statuiert, dass jeder, der gegenüber
Endnutzern Premium-Dienste, Auskunftsdienste, Massenverkehrsdienste, Service-Dienste, Neuartige Dienste oder Kurzwahldienste anbietet oder dafür wirbt, dabei den für die
Inanspruchnahme des Dienstes zu zahlenden Preis zeitabhängig je Minute oder zeitunabhängig je Inanspruchnahme
einschließlich der Umsatzsteuer und sonstiger Preisbestand-
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teile anzugeben hat. Gemäß S. 2 muss bei Angabe des Preises
der Preis gut lesbar, deutlich sichtbar und in unmittelbarem
Zusammenhang mit der Rufnummer angegeben werden.
Weiterhin postuliert S. 5, dass, soweit für Anrufe aus den
Mobilfunknetzen, abweichende Preise gelten, der Festnetzpreis mit dem Hinweis auf die Möglichkeit abweichender
Preise für Anrufe aus den Mobilfunknetzen anzugeben ist.
Die Beklagte ist Normadressat des § 66 a TKG. Die telefonische Rechtsberatung erfolgt unter einer kostenpflichtigen
0900-Nummer. Gemäß § 3 Nr. 17 a TKG handelt es sich bei
0900-Nummern um sogenannte „Premium Dienste“, bei
denen über die Telekommunikationsdienstleistung hinaus
eine weitere Dienstleistung erbracht wird, die gegenüber dem
Anrufer gemeinsam mit der Telekommunikationsdienstleistung abgerechnet wird und die nicht einer anderen Nummernart zuzurechnen ist.
Aufgrund der in der Anzeige beworbenen Telefonnummer
können Verbraucher mit deren Wahl direkt auf die angebotene Dienstleistung zugreifen. Damit liegt ein Angebot vor. Es
entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Verbraucher oft direkt die Servicenummer wählen und nicht erst eine
langwierige Recherche auf der Homepage der Beklagten
betreiben. Der Verbraucher hat daher ein Interesse an einer
vollständigen Preisinformation. Das Normziel einer Schaffung von Preistransparenz für den Verbraucher, könne nicht
aus platztechnischen Gründen ausgehebelt werden. § 66 a
S. 5 TKG soll insbesondere dem Umstand Rechnung tragen,
dass Festnetz- und Mobilfunkpreise teilweise signifikant voneinander abweichen. Neben dem Preis für Anrufe aus dem
Festnetz hätte demnach auch der Hinweis erfolgen müssen,
dass es eventuell zu abweichenden Preisen aus dem Mobilfunknetz kommt. Es liegt somit ein Verstoß gegen § 66 a S. 1,
S. 2, S. 5 TKG vor.
Das LG Frankfurt a.M. weist dann darauf hin, dass die gesetzlichen Vorgaben nicht unverhältnismäßig sind und dem