Neue Weine und ein alter Schlossgeist
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Neue Weine und ein alter Schlossgeist
Neue Weine und ein alter Schlossgeist Auf Schloss Salenegg wirkt die Winzerin Helene von Gugelberg als Innovationsmotor. Erstmals in seiner über tausendjährigen Geschichte wird das Familiengut ob Maienfeld rein landwirtschaftlich betrieben. Von Paul Imhof Es ist nicht die Zeit, die stehen bleibt; es sind Objekte, die diesen Eindruck fördern, denn sie repräsentieren Epochen. So gesehen pendelt Helene von Gugelberg jeden Tag, den sie auf Schloss Salenegg verbringt, zwischen elf Jahrhunderten. Der Torbogen ist um 950 errichtet worden, seit 1654 gehört das Schloss ob Maienfeld in der Bündner Herrschaft der Familie von Gugelberg. Von 1782 bis 1784 hat Ulysses Gugelberg von Moos den Sitz umfassend erneuert, stilistisch vereinheitlicht und ihm die heutige Form gegeben. Und im Herbst 2011 hat Helene von Gugelberg, die das Weingut seit dem Tod ihres Vaters 1997 führt, den neuen Torkel eingeweiht. Dieser Kubus verkörpert die Vorstellungen der Bauherrin, er ist nüchtern und funktional, grosszügig in seinen Dimensionen und im Degustationsraum ganz oben von stiller Erhabenheit. Der alte Torkel steht natürlich noch, er ist, jetzt genutzt als Entree zum neuen Weinkeller und als Verkaufsladen, ein «Museumsstück» in bestem Sinne. Der zum Schlosshof offene Raum wird beherrscht von einer monumentalen Traubenpresse aus dem 17. Jahrhundert. Man fragt sich, wie der mächtige Pressbalken, ein 14 Meter langer, dicker Eichenstamm, überhaupt hierher gebracht werden konnte. Eine Herde Ochsen hat ihn am Ufer des Walensees entlang getreidelt, dann wurde der Stamm nach Salenegg geschleppt und 1658 in die Presse eingepasst. Die alte Presse hat ausgedient, zeitgemässes Gerät verrichtet die Arbeit – und braucht immer etwas mehr Platz. Helene von Gugelberg, die das Gut als Erste in einer langen Reihe von Schlossherren und -frauen rein landwirtschaftlich betreibt, hat die Rebfläche von 8 auf 11,5 Hektaren erweitert und das Weinangebot von einem einzigen, traditionell vinifizierten Blauburgunder auf fünf Weine ausgebaut: «Ich wollte Salenegger für ein ganzes Essen», erklärt sie (siehe Artikel unten). Draussen erwacht die Landschaft am Rhein langsam aus der Winterruhe, und während wir aus dem Fenster blicken, erzählt von Gugelberg, dass bei Führungen durchs Haus vor allem ältere Damen gerne wissen möchten, wie viele Fenster es zu putzen gäbe. «Mehr als hundert!» Die Zimmer sind fast alle nach Süden orientiert, auf der Nordseite finden sich die Zugänge, Korridore wie Wandelhallen, «die sind immer kälter als alle andern Räume, im vergangenen Winter 11 Grad». Das imposante Haus erinnert mit seinem Grundriss an ein Hotel oder ein Kloster, und eine Klosterfiliale war es auch einmal. Der Trost der Jahrhunderte Warum, wird ersichtlich, als wir die Plattform auf dem Turm erreicht haben: Die Mönche des Klosters von Pfäfers auf der anderen Seite des Rheintals haben die Fundamente für Salenegg gelegt. Warum die Mönche ihr Kloster auf der Schattenseite gebaut haben, wissen wir nicht, aber wir verstehen bestens, dass sie diesen Sitz gebaut haben. Hier sollten kranke Mitbrüder sich erholen und die alten ihren Lebensabend geniessen, auch sollte Messwein gedeihen. Vom Gartenhäuschen bis zur Turmkammer gibt es 79 Zimmer auf dem Anwesen. Von diesen sind 27 bewohnbar, gut die Hälfte davon nur im Sommer, weil sie mit Kachelöfen beheizt werden müssen. «Eine monstermässige Verantwortung», sagt die Schlossherrin, Absolventin der Hotelfachschule Lausanne. Sie habe sich gefragt, «verwalten oder gestalten?», und sei rasch zu einem Entschluss gekommen. «Ich bin kein Museumswärter, der Staub wischt.» Viel lieber wälzt sie Ideen und setzt sie um: die Erweiterung der Weinpalette, ihr Delikat-Essig, das Essigkarussell für die Gastronomie, auf dem sechs Flaschen zur Auswahl stehen, oder die Stühle, gefertigt aus Eichendauben gebrauchter Barriques. «Ich bin hier der Innovationsmotor», sagt sie. Natürlich beschlichen sie manchmal Zweifel. «Was, wenn du das Ganze in den Sand setzt?» Die Aufgabe als Schlossherrin mag ihr nicht immer geheuer vorkommen, sie birgt freilich auch etwas Tröstliches, denn «was sind schon ein paar Jahre Krise gegen 350 Jahre Bestehen»? Die Familie Gugelberg von Das Familienschloss mit 79 Zimmern bedeutet für Helene von Gugelberg «eine monstermässige Verantwortung». Foto: Nicola Pitaro Moos hat Schloss Salenegg für 14 000 Gulden und sechs Fuder Wein von den Töchtern des Ritters Anton von Molina erworben. Damals war das Anwesen bereits mehr als 600 Jahre alt und seit 1068 ein Weingut. Und damals, keine zehn Jahre nach dem Ende des Dreissigjährigen Krieges, brachten Söldner die ersten Blauburgunder-Stecklinge in ihre Bündner Heimat mit. Nach dem Abstieg vom Turm stehen wir wieder im breit angelegten Treppenhaus, beobachtet von verblichenen Vorfahren, festgehalten auf Gemälden. Zum Beispiel Hortensia von Gugelberg, geborene von Salis, 1659 bis 1715, «eine der ersten Frauenrechtlerinnen, denn sie beging eine Ungeheuerlichkeit»: Hortensia sezierte einen Knecht, weil sie wissen wollte, woran er gestorben war. Auch Ritter Molina hängt im Treppenhaus, streng frisiertes, krauses braunes Haar, Spitzbart und Spitzen am Kragen. Er ist das Schlossgespenst. Als die Träger den Sarg des Ritters ins Freie getragen hatten, so die Legende, rief eine Stimme von Turm herab: «Bin ich schwer in meinem Sarg?» www.schloss-salenegg.ch Von Schaumwein bis Verjus Edle Tropfen und delikater Trinkessig von Schloss Salenegg Die Palette des Weinguts von Helene von Gugelberg kann ein ganzes Mahl begleiten. Zusammen mit Kellermeister Bernhard Wyler und seiner Equipe hat Helene von Gugelberg auf Schloss Salenegg eine Weinpalette mit drei Weissen und zwei Roten geschaffen, die ein Mahl mit mehreren Gängen geschmacklich variantenreich begleiten kann: Zu Aperitif und Amuse-Bouche gibts den Schaumwein Etincelle, einen Blanc de blancs Méthode traditionelle aus Chardonnay; zu Vorspeise und Fisch dann die Cuvée blanche aus Blanc de noir (Saft von blauen Beeren, keine roten Pigmente) und etwa 20 Prozent Chardonnay sowie den reinsortigen Chardonnay Barrique (der an Chablis erinnert); zu Hauptgang und Käse den traditionellen Blauburgunder und den Pinot noir Barrique. Zur Abrundung bietet das Haus drei Digestifs: zwei Schnäpse und einen Trinkessig. Einmal Marc, Häfelibrand aus dem Trester der eigenen Trauben, in Barriques fünf Jahre lang unter dem Schlossdach gereift. Einen Himbeergeist, destilliert mit Früchten des eigenen Obst- und Beerengartens. Und schliesslich etwas ganz Besonderes, Deli-Marc aus Marc mit einem Hauch BourbonVanille und nur 3,6 Prozent Essigsäure. Dieser erfrischende, feine Trinkessig schmeckt ausgezeichnet und hat als Digestif den Vorteil, dass der ganze Alkohol in Säure umgewandelt worden ist. «Das Wort Essig ist negativ besetzt», sagt Helene von Gugelberg am Mittagstisch im Salon, «diese Haltung lässt sich nur übers Erlebnis verändern.» Dafür sorgt sie selber. Um die Schritte zu verstehen, wie durch Vergärung Wein entsteht, hat sie mit Essig experimentiert und sich als zweites Standbein die Manufaktur Delikat-Essig aufgebaut. Das birgt erhebliche Risiken auf einem Weingut, denn die Endstation der Gärprozesse heisst Essig. Und ist einmal ein Weinkeller von Essigbakterien verseucht, kann man ihn nur noch abreissen. Von Gugelberg hat ihre Manufaktur etwas unterhalb des Anwesens eingerichtet – weit genug entfernt, damit nichts passieren kann, nahe genug, damit die Wege kurz bleiben. Mittlerweile hat sie zwölf verschiedene Säureessenzen entwickelt – von Essig zu reden, grenzt fast schon an Blasphemie. Apfel-, Weisswein- und Rotweinessig sind Klassiker, Himbeer-, Aprikosen- und Quittenessig durchaus vertraute Fruchtvariationen, Minz-, Ingwer- und Krenessig sowie Marc- und Met-Essig klingen da schon exotischer. Wer Essig absolut nicht schätzt, für den ist Verjus das Richtige. Dieser Saft grüner Trauben war im Europa nördlich der Alpen der Vorgänger der Zitrone, also ein altes Säuerungsmittel. Die Vorzüge von Verjus hat von Gugelberg in Canberra, Australien, entdeckt, wo sie mit ihrer Familie eine Zeit lang lebte. «Man kann nicht einfach abgeschnittene, unreife Trauben verwenden», betont sie, «es müssen grüne Trauben mit etwa 21 Oechslegrad Zucker sein, sonst fehlt dem Verjus diese leichte Limettennote.» Der Salenegger Verjus ist eine LagenEssenz, gepresst aus Blauburgunderbeeren vom Steiggasser, «der Parzelle, die Bernhard Wyler am wenigsten reut». Paul Imhof www.delikatessig.ch